TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/16 W279 2233335-1

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Veröffentlicht am 16.09.2020
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Entscheidungsdatum

16.09.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs1
BFA-VG §22a Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
VwGVG §35

Spruch

W279 2233335-1/21E

SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG DES AM 28.07.2020 MÜNDLICH VERKÜNDETEN ERKENNTNISSES:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. KOREN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.07.2020, Zl. XXXX , und die Anhaltung in Schubhaft von 15.07.2020 bis 28.07.2020, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.07.2020, zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird stattgegeben. Der Schubhaftbescheid und die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft werden für rechtswidrig erklärt.

II. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm §76 FPG idgF wird festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft nicht vorliegen.

III. Der Bund (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen von EUR 737,60 (Schriftsatzaufwand) und EUR 922 (Verhandlungsaufwand), insgesamt daher EUR 1.659,60, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

IV. Der Antrag der Verwaltungsbehörde auf Kostenersatz wird gemäß § 35 VwGVG abgewiesen.

V. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste im Jahr 2015 erstmals nach Österreich ein und stellte am 25.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) vom 18.05.2017 abgewiesen und eine Rückkehrentscheidung erlassen wurde. Die Entscheidung erwuchs durch Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (in der Folge BVwG) vom 29.08.2019 in Rechtskraft.

2. Da der BF seiner Ausreisepflicht nicht nachkam, erließ das BFA am 04.10.2019 einen Festnahmeauftrag gem. § 34 Abs. 3 Z 2 Fremdenpolizeigesetz (FPG). Der Festnahmeauftrag wurde in weiterer Folge am 10.03.2020 widerrufen, da die Voraussetzungen gem. § 34 Abs. 3 Z 3 FPG vorliegen würden, weshalb am 10.03.2020 ein neuer Festnahmeauftrag aufgrund der geplanten Anordnung der Abschiebung erging.

3. Am 15.07.2020 wurde der BF von der Landespolizeidirektion (LPD) Wien einer Personenkontrolle unterzogen und aufgrund des Festnahmeauftrages vom 10.03.2020 gem. § 34 Abs. 3 Z 3 BFA-VG festgenommen.

4. Der BF stellte am 15.07.2020 im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme im Stande der Anhaltung einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz. Mit Aktenvermerk vom selben Tag hielt das BFA fest, dass die Schubhaft trotz Stellung eines Folgeantrages aufrechterhalten werden könne, wenn anzunehmen sei, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt worden sei.

5. Am 15.07.2020 erließ das BFA gem. § 76 Abs. 2 Z 1 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und stellte fest, dass sich der BF illegal im Bundesgebiet aufhalte und trotz rechtskräftiger Rückkehrentscheidung in Österreich verblieben sei. Um eine Abschiebung zu verhindern, habe er einen Folgeantrag gestellt. Er gehe keiner Erwerbstätigkeit nach, sei mittellos, und verfüge über keine familiären oder sozialen Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet. Er sei untergetaucht, in dem er sich behördlich nicht gemeldet habe. Der BF sei obdachlos, ansonsten sei er jedoch gesund. Der BF habe sich unkooperativ verhalten, indem er am Verfahren nicht mitgewirkt und sich nicht um die Ausstellung eines Ersatzreisedokumentes bemüht habe. Zudem besitze er kein gültiges Reisedokument. Derzeit sei ein Asylverfahren des BF anhängig, der BF verfüge daher über faktischen Abschiebeschutz. Es sei jedoch davon auszugehen, dass der BF den erneuten Antrag auf internationalen Schutz nur gestellt habe, um eine Abschiebung zu verzögern oder zu behindern.

6. Am 21.07.2020 wurde der BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes einer Erstbefragung hinsichtlich seines Folgeantrages unterzogen. Dabei gab er an, dass er zum Christentum konvertieren wolle.

7. Mit Schriftsatz vom 23.07.2020 erhob der BF fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde gem. § 22a BFA-VG und brachte vor, dass von ihm keine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgehe. Er sei weder verurteilt worden noch sei er in irgendeiner Weise strafgerichtlich in Erscheinung getreten. Es liege eindeutig kein Fall schwerer Kriminalität vor und bestehe keine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichende Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Das Verhalten des BF stelle daher keine derart schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar, wie sie gem. § 76 Abs. 2 Z 1 FPG in Umsetzung von Art. 8 Abs. 3 lit e Aufnahmerichtlinie verlangt werde. Darüber hinaus liege beim BF auch keine Fluchtgefahr vor. Der Umstand, dass der BF bislang nicht freiwillig aus dem Bundesgebiet ausgereist sei, sei für sich genommen nicht geeignet, das Vorliegen einer Fluchtgefahr zu begründen. Der BF sei sich seiner Meldeverpflichtung nach dem Verlassen der Grundversorgungseinrichtung nicht bewusst gewesen, er sei sozial sehr gut integriert und habe viele Freunde, die ihm eine Unterkunft organisiert hätten, in der er bis zu seiner Abschiebung verbleiben könne. Auch einige seiner Fußballkollegen seien bereit, den BF bei sich aufzunehmen.

8. Am 24.07.2020 legte das BFA dem BVwG die eingelangte Schubhaftbeschwerde vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen und auszusprechen, dass die Voraussetzungen für eine weitere Anhaltung in Schubhaft vorliegen würden. Gleichzeitig wurde eine Stellungnahme seitens des BFA abgegeben, in der vorgebracht wurde, dass im Rahmen einer minutiös durchgeführten Einzelfallprüfung das Vorliegen eines Sicherungsbedarfes sowie das Vorliegen einer Ultima-ratio Situation geprüft worden sei. Es liege Fluchtgefahr vor, da der BF im Bundesgebiet untergetaucht und in keinster Weise für die Behörde greifbar gewesen sei. Im Lichte der Bestimmungen des § 40 Abs. 5 BFA-VG bedürfe es bei einem Asylfolgeantrag sohin nicht des Vorliegens der Gefährdungselemente. Der BF habe durch die erneute Antragstellung die Uneinsichtigkeit hinsichtlich der Rechtswidrigkeit seines Aufenthaltes, seine Ausreiseunwilligkeit und seinen Unwillen, sich an die Rechtsordnung zu halten, gezeigt. Ein gelinderes Mittel erscheine als verfahrenssichernd nicht geeignet.

9. Am 28.07.2020 führte das BVwG unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Dari eine öffentliche, mündliche Verhandlung durch, an der das BFA teilnahm.

Dabei gab der BF an, dass er bei der Freundin des Trainers des Fußballvereins gewohnt habe. Er sei jetzt Christ und besuche drei Mal pro Woche die iranische Kirche. In Haft bete er oft in seinem Zimmer. Derzeit lebe er vom Geld seines Trainers, dieser habe seinen Verbleib organisiert und gebe ihm Essen. Im Fall einer Entlassung aus der Schubhaft könne und würde er in der WG von der Freundin seines Trainers, Frau XXXX , Unterkunft nehmen und sich melden.

Der Zeuge, Herr XXXX , Trainer des BF, gab an, dass er seit 2016 Trainer im Fußballverein „ XXXX “ sei. Es bestehe die Möglichkeit, den BF nach seiner Entlassung bei Frau XXXX zu melden, wo er ein kleines Zimmer zur Verfügung hätte und sich melden könne.

Der Behördenvertreter erklärte, dass es derzeit zu Verzögerungen bei der Außerlandesbringung komme und für den BF bisher kein Heimreisezertifikat (HRZ) beantragt oder ausgestellt worden sei. Der BF sei jedoch nach Eintritt der Rechtskraft der zweiten Instanz seines ersten Asylverfahrens im Bundesgebiet untergetaucht, um sich dem Verfahren zur Außerlandesbringung zu entziehen. Keinesfalls bestehe zwischen dem Zeugen und der potentiellen Unterkunftgeberin ein solch persönliches Verhältnis zum BF, dass bei objektiver Betrachtung eine verfahrenssichernde Maßnahme ausgesprochen werden könne.

Der Rechtsvertreter brachte vor, dass der vom BFA angelegte Aktenvermerk hinsichtlich der Aufrechterhaltung der Schubhaft gem. § 40 Abs. 5 BFA-VG grob mangelhaft sei und an schweren Begründungsmängeln leide. Aus dem Aktenvermerk gehe nur die gesetzliche Bestimmung hervor, Ausführungen zu den vom BFA angenommenen Gründen für die Verzögerungsabsicht seien nicht zu entnehmen.

Im Rahmen der Verhandlung wurde der Beschwerde stattgegeben, der Schubhaftbescheid und die Anhaltung des BF in Schubhaft für rechtswidrig erklärt und festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft nicht vorliegen. Begründend wurde ausgeführt, dass das Gericht in der Stellung des Asylantrages zweifellos eine Verzögerungsabsicht des BF sieht, zumal der BF kein theologisches Wissen aufweist und der Zeitpunkt der Antragstellung stark auf eine Verzögerungsabsicht hinweist. Der Aktenvermerk vom 15.07.2020 führt Anhaltspunkte, aus welchem Grund von einer Verzögerungsabsicht ausgegangen wird, nicht an, weshalb die Schubhaft aus formalen Gründen als rechtswidrig zu betrachten ist. Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf sind, wie vom BFA angeführt, gegeben, was vor allem durch das zweijährige Leben im Untergrund verdeutlicht wird.

Im gegenständlichen Fall ist jedoch, vor allem aufgrund der Unbescholtenheit, dem Nichtvorliegen eines HRZ und dem Fehlen eines konkreten Abschiebetermins – eine Aufrechterhaltung der Schubhaft in der Gesamtschau nicht verhältnismäßig. Die Behörde hat mit einem gelinderen Mittel das Auslangen zu finden.

11. Mit Schreiben vom 29.07.2020 wurde von Seiten des BFA die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter I. geschilderte Verfahrensgang wird zur Feststellung erhoben.

Der volljährige BF ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan und besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft. Er ist daher Fremder iSd § 2 Abs. 4 Z 1 FPG.

Der BF stellte am 25.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Dieser wurde mit Bescheid des BFA vom 18.05.2017 abgewiesen und eine Rückkehrentscheidung erlassen. Mit Erkenntnis des BVwG vom 29.08.2019, Zahl XXXX , wurde die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Am 15.07.2020 wurde der BF im Rahmen einer polizeilichen Lenkerkontrolle gem. § 34 Abs. 3 Z 3 BFA-VG aufgrund eines Festnahmeauftrages vom 10.03.2020 festgenommen.

Am 15.07.2020 stellte der BF im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme einen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Das BFA hielt mit Aktenvermerk vom 15.07.2020 fest, dass die Schubhaft trotz Stellung eines Folgeantrages aufrechterhalten werde, da anzunehmen sei, dass der BF den Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt habe. Eine Begründung dieser Annahme erfolgte nicht.

Der BF verfügt über kein gültiges Reisedokument. Es wurde von Seiten des BFA bis zum Entscheidungszeitpunkt noch kein HRZ beantragt.

Der BF verfügt über keine existenzsichernden Mittel und ging keiner legalen Erwerbstätigkeit nach. Er hat keine familiären, beruflichen oder maßgeblichen sozialen Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet.

Er war von 20.11.2015 bis 18.09.2019 in XXXX gemeldet. Danach war der BF obdachlos und kam bei Freuden unter, verfügte jedoch über keine aufrechte Meldung im Bundesgebiet.

Nach der Entlassung ist es dem BF möglich, in einem Zimmer der Freundin des Fußballtrainers des BF, Frau XXXX , Unterkunft zu nehmen und sich dort behördlich zu melden.

Der BF ist gesund und leidet an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten.

Der BF ist strafgerichtlich unbescholten.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und der Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.

Die Feststellungen zur Person des BF und seiner Staatsangehörigkeit ergeben sich aus seinen Angaben im Verfahren vor dem BFA sowie vor dem BVwG.

Die Feststellung der mehrmaligen Antragstellung auf internationalen Schutz ergibt sich aus einer Einsicht in den Verwaltungsakt sowie aus der niederschriftlichen Einvernahme vom 15.07.2020.

Die Feststellungen hinsichtlich der Festnahme und dem Festnahmeauftrag ergeben sich aus dem im Akt einliegenden Festnahmeauftrag vom 10.03.2020 sowie dem Bericht der LPD Wien vom 15.07.2020.

Dass der BF über kein gültiges Reisedokument verfügt und von Seiten des BFA eine Beantragung eines HRZ noch nicht erfolgt ist, ergibt sich aus den Angaben des BF und des Behördenvertreters im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung.

Die Feststellung, dass der BF über keine existenzsichernden Barmittel verfügt und keiner legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist, ergibt sich ebenso wie die Tatsache, dass der BF keine maßgeblichen sozialen, familiären oder beruflichen Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet hat, aus den Angaben des BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung.

Die Feststellungen hinsichtlich der Aufenthaltsorte des BF ergeben sich aus seinen Angaben im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA, der mündlichen Beschwerdeverhandlung sowie den in der Verhandlung eingebrachten Unterlagen und einer Einsicht in das Zentrale Melderegister.

Die Feststellung der strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus einer Einsicht in das Strafregister.

Dass der BF gesund ist beruht auf dem Umstand, dass Gegenteiliges nicht vorgebracht wurde.

3. Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkten I. und II.

3.1 Gesetzliche Grundlagen

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c.es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

§ 40 Abs. 5 BFA-VG lautet:

[…] (5) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung auf Grund eines Festnahmeauftrags gemäß § 34 Abs. 3 Z 1 oder 3 einen Antrag auf internationalen Schutz, kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 gelten dabei sinngemäß.

Der mit „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ überschriebene § 22a des BFA-Verfahrensgesetzes lautet:

„§ 22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig.“

§ 77 Gelinderes Mittel:

Gemäß § 77 Abs. 1 FPG hat das Bundesamt bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1 FPG.

Gemäß § 77 Abs. 2 FPG ist Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

Gemäß § 77 Abs. 3 FPG sind gelindere Mittel insbesondere die Anordnung, (Z 1) in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen, (Z 2) sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder (Z 3) eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.

Kommt der Fremde gemäß § 77 Abs. 4 FPG seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird.

Gemäß § 77 Abs. 5 FPG steht die Anwendung eines gelinderen Mittels der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

Gemäß § 77 Abs. 6 FPG hat sich zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

Gemäß § 77 Abs. 7 FPG können die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

Gemäß § 77 Abs. 8 FPG ist das gelindere Mittel mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

Gemäß § 77 Abs. 9 FPG können die Landespolizeidirektionen betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.

3.2. Zur Judikatur:

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

„Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs. 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis E 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde“ (VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, vgl. auch VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

„Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22.05.2007, Zl. 006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.04.2008, Zl. 2008/21/0085; siehe auch die Erkenntnisse vom 28.02.2008, Zl. 2007/21/0512, und Zl. 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein. Mit bestimmten gelinderen Mitteln wird man sich insbesondere dann auseinander zu setzen haben, wenn deren Anordnung vom Fremden konkret ins Treffen geführt wird“ (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

Auf Basis des § 76 Abs. 2 Z 1 FPG idF des FrÄG 2018 kommt Schubhaft grundsätzlich auch gegen Asylwerber mit "Bleiberecht" in Betracht (vgl. VwGH 27.4.2020, Ra 2019/21/0367).

Auch die Verhängung von Schubhaft nach § 76 Abs. 2 Z 1 FPG ist daran geknüpft, dass sich die konkrete Schubhaft als verhältnismäßig erweist. Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut dieser Bestimmung und ist im Übrigen auch aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten. Im Rahmen der demnach vorzunehmenden Verhältnismäßigkeitsprüfung ist nach der mittlerweile gefestigten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auch die Frage der voraussichtlichen Dauer des Asylverfahrens bzw. eines dem Asylwerber weiterhin zukommenden „Bleiberechts“ einzubeziehen (VwGH 17.4.2020, Ro 2020/21/0004, Rn. 10 und 11, mwH; siehe dazu auch noch aaO., Rn. 13 und 14).

3.3 Zu Spruchpunkt I. – Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides und der Anhaltung in Schubhaft vom 15.07.2020 bis 28.07.2020

Der volljährige BF besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist daher Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG.

Voraussetzung für die Verhängung der Schubhaft nach § 76 Abs. 2 Z 1 FPG ist, dass der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung und Sicherheit gem. § 67 FPG gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist. Da der BF jedoch gem. § 34 Abs. 3 Z 3 BFA-VG festgenommen worden ist, gilt gem. § 76 Abs. 2 dritter Absatz in den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG Z 1 des § 76 Abs. 2 FPG mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit nicht voraussetzt.

Gegen den BF bestand eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung vom 29.08.2019. Der BF wurde aufgrund des Festnahmeauftrages vom 10.03.2020 festgenommen, stellte jedoch während seiner Anhaltung am 15.07.2020 einen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Das BFA hielt mit Aktenvermerk vom 15.07.2020 fest, dass Gründe zur Annahme bestehen würden, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde, weshalb der BF trotz der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz festgehalten werde.

Im angeführten Aktenvermerk wurden jedoch lediglich die Bestimmung des § 40 Abs. 5 BFA-VG angeführt, eine Begründung der Annahme, dass der BF den Antrag lediglich in Verzögerungsabsicht gestellt habe, blieb gänzlich aus.

Der VwGH stellte in seiner Entscheidung vom 19.09.2019, Ra 2019/21/0204, zu dem zu § 40 Abs. 5 BFA-VG wortgleichen § 76 Abs. 6 FPG bereits fest, dass es zu bemängeln sei, wenn der Aktenvermerk, in dem von einer Verzögerungsabsicht des BF ausgegangen wird, weder begründet noch fallbezogen evident sei. Insoweit hätte es zumindest einer Grobprüfung der Motive für die Stellung des Asylfolgeantrags, insbesondere auch unter Bedachtnahme auf die zu dessen Begründung nunmehr vorgetragenen Verfolgungsbehauptungen, bedurft.

Da der Aktenvermerk des BFA vom 15.07.2020 lediglich die gesetzliche Bestimmung des § 40 Abs. 5 BFA-VG wiedergab, jedoch jegliche Begründung für die Annahme der Verzögerungsabsicht vermissen ließ, war der Schubhaftbescheid aufgrund eines Formalmangels und die Schubhaft bis zum 28.07.2020 aufgrund eines Formalmangels als rechtswidrig anzusehen.

3.4 Zu Spruchpunkt II. – dem Nichtvorliegen der Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft

Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG hat das BVwG, sofern die Anhaltung noch andauert, jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

Da die Schubhaft zum Zeitpunkt der mündlichen Beschwerdeverhandlung noch andauerte, hatte das BVwG festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

Im vorliegenden Fall lag eine rechtskräftige, durchsetzbare und durchführbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vom 29.08.2019 vor. Der BF stellte jedoch im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vom 15.07.2020 einen Folgeantrag auf internationalen Schutz.

Das Gericht sieht, entsprechend den Bestimmungen des § 40 Abs. 5 BFA-VG, vor dem Hintergrund des nicht existenten theologischen Wissens und dem Zeitpunkt, zu dem der Asylantrag gestellt wurde, zweifellos Verzögerungsabsicht des BF, weshalb die Fortsetzung der Schubhaft grundsätzlich – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – in Frage kommt.

Auch waren Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf aus den folgenden Gründen gegeben:

Bei der Beurteilung der Fluchtgefahr ist gemäß § 76 Abs. 3 Z 1 FPG zu berücksichtigen, ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert. Der BF lebte trotz rechtskräftiger Rückkehrentscheidung über ein Jahr illegal und unter Verletzung der Meldevorschriften im Verborgenen und umging damit die Vollziehung der Rückkehrentscheidung, in dem er für die Behörde nicht greifbar war.

Bei der Beurteilung, ob Fluchtgefahr vorliegt, ist gemäß § 76 Abs. 3 Z 3 FPG zu berücksichtigen, ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat. Das Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme per se vermag zwar keinen Tatbestand zu verwirklichen, der in tauglicher Weise "Fluchtgefahr" zum Ausdruck bringt. Der Existenz einer solchen Maßnahme kommt jedoch im Rahmen der gebotenen einzelfallbezogenen Bewertung der Größe der auf Grund der Verwirklichung eines anderen tauglichen Tatbestandes des § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich anzunehmenden Fluchtgefahr Bedeutung zu (vgl. VwGH vom 11.05.2017, Ro 2016/21/0021). Die belangte Behörde ging im gegenständlichen Fall zutreffend davon aus, dass gegen den BF eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, da gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen worden ist.

Darüber hinaus ist gemäß § 76 Abs. 3 Z 9 FPG auch der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes zu berücksichtigen.

Der BF verfügte über keine familiären oder maßgeblichen sozialen Anknüpfungspunkte, ging keiner legalen Erwerbstätigkeit nach und verfügte über keinen aufrechten Wohnsitz im Bundesgebiet.

Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf waren daher, wie vom BFA angeführt, auch nach dem persönlichen Eindruck des erkennenden Richters gegeben.

Charterabschiebungen sind vor dem Hintergrund der derzeit herrschenden COVID-19 Restriktionen zwar geplant, sie unterliegen aber den internationalen Flugverschiebungen. Das führt dazu, dass eine Außerlandesbringung derzeit zeitlich verzögert stattfindet. Der genaue Zeitraum der Verzögerung kann nicht vorhergesehen werden, es kann sich laut Auskunft des Behördenvertreters um wenige Tage oder mehrere Wochen handeln. Für den BF wurde bis zum Entscheidungszeitpunkt kein konkreter Abschiebetermin festgelegt. Auch wurde für den BF von Seiten der Behörde noch kein HRZ beantragt oder ausgestellt.

Der BF war darüber hinaus strafgerichtlich unbescholten, weshalb eine Aufrechterhaltung der Schubhaft in einer Gesamtschau der Umstände nicht verhältnismäßig war. Die Behörde hat mit gelinderen Mittel das Auslangen zu finden.

Es war daher spruchgemäß festzustellen, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen.

Zu Spruchpunkten III. und IV. Kostenanträge

1. Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (für die Zeit vor Inkrafttreten des § 22a Abs. 1a BFA-VG s. VwGH 23.04.2015, Ro 2014/21/0077).

2. Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der BF die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom BF vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der BF die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.

3. Nach § 35 Abs. 4 VwGVG gelten als Aufwendungen gemäß Abs. 1 die Kommissionsgebühren sowie die Barauslagen, für die der BF aufzukommen hat (Z 1), die Fahrtkosten, die mit der Wahrnehmung seiner Parteirechte in Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht verbunden waren (Z 2), sowie die durch Verordnung des Bundeskanzlers festzusetzenden Pauschalbeträge für den Schriftsatz-, den Verhandlungs- und den Vorlageaufwand (Z 3). Die Höhe des Schriftsatz- und des Verhandlungsaufwands hat gemäß Abs. 5 den durchschnittlichen Kosten der Vertretung bzw. der Einbringung des Schriftsatzes durch einen Rechtsanwalt zu entsprechen. Für den Ersatz der den Behörden erwachsenden Kosten ist ein Pauschalbetrag festzusetzen, der dem durchschnittlichen Vorlage-, Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand der Behörden entspricht. Aufwandersatz ist laut Abs. 7 auf Antrag der Partei zu leisten. Der Antrag kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt werden.

Beide Parteien begehrten den Ersatz ihrer Aufwendungen entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen. Da der BF vollständig obsiegte, steht ihm nach den angeführten Bestimmungen dem Grunde nach der Ersatz seiner Aufwendungen zu.

V. Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH und EuGH ist zwar teilweise zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

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European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W279.2233335.1.00

Im RIS seit

01.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

01.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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