TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/21 W282 2232754-2

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Veröffentlicht am 21.09.2020
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Entscheidungsdatum

21.09.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs1 Z3
BFA-VG §22a Abs1a
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
VwG-AufwErsV §1 Z1
VwGVG §28 Abs6
VwGVG §35 Abs1
VwGVG §35 Abs2
VwGVG §35 Abs3

Spruch

W282 2232754-2/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Florian KLICKA, BA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit: Afghanistan, vertreten durch RA Mag. Michael-Thomas REICHENVATER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien vom XXXX .2020, Zl. XXXX hinsichtlich der Anhaltung in Schubhaft zu Recht:

A)       

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und der Schubhaftbescheid sowie die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft vom 10.09.2020 bis 18.09.2020 gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 u. Abs. 1a BFA-VG iVm § 28 Abs. 6 VwGVG für rechtswidrig erklärt.

II. Gemäß § 35 Abs. 1 und 2 VwGVG iVm § 1 Z. 1 VwG-AufwErsV hat der Bund (Bundesministerium für Inneres) dem Beschwerdeführer zu Handen seines ausgewiesenen Vertreters Aufwendungen in Höhe von € 737,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

III. Der Antrag auf Kostenersatz des Bundesamtes für Fremdenwesen uns Asyl wird gemäß
§ 35 Abs. 3 VwGVG abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF) ist afghanischer Staatsangehöriger, er ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter. Der BF gehört der Volksgruppe der Tadschiken an, reiste am 25.08.2015 illegal ins Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in Folge Bundesamt bzw. belangte Behörde) vom XXXX .2017, Zl. XXXX , wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz abgewiesen. Der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan wurde ebenfalls abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm nicht erteilt. Gleichzeitig wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die dagegen eingebrachte Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.08.2019, W232 2170607-1/7E, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.07.2019, als unbegründet abgewiesen. Die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis eingebrachten Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wurde – nach anfänglicher Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung – mit Beschluss des VfGH vom 13.12.2019, E 3615/2019-16, abgelehnt, wodurch das Asylverfahren des BF rechtskräftig abschlägig entschieden wurde. Seitdem besteht gegen den BF eine rechtskräftige aufenthaltsbeendende Maßnahme.

2. Am 12.09.2019 eröffnete das Bundesamt ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates (HRZ) mit der afghanischen Botschaft. Am 24.12.2019 wurde dem BF nachweislich ein Mitwirkungsbescheid des Bundeamtes zur Zl. XXXX , für die Mitwirkung im HRZ Verfahren zugestellt (bzw. von diesem übernommen). Der BF erschien zum angeführten Termin an der Adresse der Regionaldirektion Wien des Bundesamtes in 1080 Wien am 10.01.2020 um 11:00 Uhr nicht.

3. Am 16.01.2020 wurde die Polizei vom Bundesamt ersucht auf Grund des Nichterscheinens des BF zum Interviewtermin vom 10.01.2020 eine Wohnsitzerhebung für den BF durchzuführen. Die Polizei teilte der ho. Behörde am 22.01.2020 mit, dass der BF gemäß Erhebung seit einigen Tagen nicht mehr an seiner Meldeadresse aufhältig war. Es erfolgte deshalb die Abmeldung durch den Unterkunftsgeber am 20.01.2020, der BF war mit Wirkung zum 06.02.2020 nicht mehr behördlich gemeldet. Eine neue Adresse des BF konnte nicht ermittelt werden. Aus diesem Grund wurde der BF mit Festnahmeauftrag des Bundesamtes vom 23.01.2020 gem. § 34 Abs. 3 Z 3 BFA-VG zur Festnahme ausgeschrieben.

4. Am 25.02.2020 erreichte das Bundesamt ein Ersuchen der italienischen Behörden um Rückübernahme des BF gem. Dublin III-VO, da der BF illegal nach Italien gereist ist und dort einen weiteren Asylantrag gestellt hat. Am 27.02.2020 stimmte das Bundesamt der Wiederaufnahme aus Italien zu. Der Fremde wurde jedoch nie durch die italienischen Behörden nach Österreich überstellt, da er sich offensichtlich (auch) den italienischen Behörden durch Flucht entzogen hat.

5. Am 28.04.2020 wurde durch die nunmehrige rechtliche Vertretung des BF, RA Mag. REICHENVATER (in Folge BFV), beim Bundesamt ein Antrag gestellt, diesem einen Aufenthaltstitel aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen für den BF zu erteilen. Zu diesem Antrag wurden diverse Beweismittel vorgelegt. Eine aufrechte behördliche Wohnsitzmeldung des BF war jedoch nicht beigeschlossen. Am 04.05.2020 wurden weitere Unterlagen die Sozialversicherung des BF betreffend bei der Behörde nachgereicht. Das Bundesamt übermittelte am 05.06.2020 eine schriftliche Ladung an den BFV für eine persönliche Einvernahme in diesem Verfahren des BF für den 29.06.2020 um 09:00 Uhr.

6. Der BF reiste am XXXX .2020 von Italien kommend illegal zu Fuß nach Österreich ein, wo der BF von patrouillierenden Soldaten des Bundesheeres angehalten und an Beamte der Landespolizeidirektion Tirol übergeben wurden. Im Zuge der fremdenpolizeilichen Kontrolle wurde festgestellt, dass gegen den BF ein Festnahmeauftrag gemäß § 34 Abs. 3 Z. 3 BFA-VG bestand. Nach Rücksprache mit dem Bundesamt wurde dieser Auftrag vollzogen und der BF in das Polizeianhaltezentrum (PAZ) Innsbruck überstellt.

7. Mit gegenständlich angefochtenem Mandatsbescheid des Bundesamtes vom XXXX .2020, Zl. XXXX , wurde gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG über den BF die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet und dazu begründend ausgeführt, dass aufgrund des Vorverhaltens des BF von erheblicher Fluchtgefahr auszugehen sei, da der BF untergetaucht sei und nach Italien geflohen sei, um sich seiner Abschiebung zu entziehen. Dort habe er einen weiteren Asylantrag gestellt. Der BF sei nicht vertrauenswürdig und verfüge über keinen Wohnsitz, sei nicht erwerbstätigt und sei sozial nicht nennenswert verankert. Ein gelinderes Mittel sei nach Sicht der Behörde nicht als ausreichende Sicherung anzusehen, um von einer gesicherten Rückführung des BF in seinen Herkunftsstaat ausgehen zu können. Mit XXXX .2020 um 20:21 Uhr erfolgte die Zustellung dieses Bescheids an den BF im PAZ Innsbruck wobei die Unterschrift für die Übernahme durch den BF verweigert wurde.

8. Mit am 06.07.2020 beim Bundesamt eingebrachten – und in weiterer Folge am 07.07.2020 ans Bundesverwaltungsgericht (BVwG) weitergeleiteten – Schubhaftbeschwerde erhob der BF durch den BFV Beschwerde gegen die Anhaltung in Schubhaft seit XXXX .2020 im PAZ Innsbruck. Diese Beschwerde wurde mit Erkenntnis vom 13.07.2020 abgewiesen. Der BF befand sich bis zum 07.07.2020 im PAZ Innsbruck, wurde jedoch an diesem Tag zum Zwecke der Wahrnehmung einer Vorführung zur afghanischen Botschaft im HRZ Verfahren am 10.07.2020 in das PAZ Hernalser Gürtel in Wien überstellt. Er wurde nach einem kurzen Aufenthalt im Anhaltezentrum Vordernberg dort weiter bis 18.09.2020 in Schubhaft angehalten.

9. Am 15.09.2020 ließ der BF durch den BFV eine erneute Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG einbringen. Diese wurde durch den BFV (erneut) entgegen dem klaren gesetzlichen Wortlaut im elektronischen Rechtsverkehr nicht beim zuständigen BVwG sondern dieses Mal beim Verwaltungsgerichtshof eingebracht, der die Beschwerde zur Zl. So 2020/21/0002-3 gemäß § 6 AVG an das BVwG weiterleitete, wo diese letztlich auch noch am 15.09.2020 einging. Der bekämpfte Zeitraum der Anhaltung in Schubhaft, wurde mit „zumindest seit 10.09.2020“ angegeben. Darüber hinaus wird darin nicht zur Schubhaft, sondern fast ausschließlich zum Verfahren des vom BF beantragten Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 ausgeführt. Ein qualifiziertes Entgegentreten gegen die vom Bundesamt angenommen Gründe für den Sicherungsbedarf und die Fluchtgefahr findet sich darin nicht.

10. Über Anforderung legte die belangte Behörde die Akten des Verwaltungsverfahrens am 16.09.2020 vor und erstatte unter einem eine Stellungnahme. Darin brachte das Bundesamt (sinngemäß) vor, dass aufgrund des Vorverhaltens des BF von erheblicher Fluchtgefahr auszugehen sei, da der BF untergetaucht sei und nach Italien geflohen sei, um sich seiner Abschiebung zu entziehen. Dort habe er einen weiteren Asylantrag gestellt. Italien habe daraufhin am 25.02.2020 ein Wiederaufnahmeersuchen nach der Dublin III-VO gestellt, dem seitens des Bundesamtes am 27.02.2020 zugestimmt wurde. Der BF habe sich aber der Rücküberstellung durch untertauchen entzogen. Der BF sei nicht vertrauenswürdig und verfüge über keinen Wohnsitz, sei nicht erwerbstätigt und sei sozial nicht nennenswert verankert. Ein gelinderes Mittel sei nach Sicht der Behörde nicht als ausreichende Sicherung anzusehen, um von einer gesicherten Rückführung des BF in seinen Herkunftsstaat ausgehen zu können. Weiters wurde nach Darstellung des Verfahrensgangs nach 13.07.2020 wie folgt vorgebracht: „Die monierte Vertiefung der sozialen Kontakte in Österreich (S. 3 der Beschwerde) die seit der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung entstanden sind, sind nach Ansicht der Behörde nicht relevant, da der BF von seiner Ausreiseverpflichtung wusste und dieser nur lediglich nicht nachgekommen ist. Des Weiteren handelt es sich bei der Asylantragstellung in Italien um keine Behauptung, wie in der Beschwerde angeführt, sondern über einen durch Korrespondenz mit den italienischen Behörden eindeutig belegten Fakt. Anders als in der Beschwerde behauptet (S. 4 der Beschwerde) ist zum jetzigen Zeitpunkt sehr wohl absehbar, wann mit der Abschiebung des BF aus dem österreichischen Bundesgebiet in sein Heimatland zu rechnen ist. Durch die am 10.07.2020 erfolgte Identifizierung ist definitiv mit einer Ausstellung eines Ersatzreisedokuments zu rechnen, sobald der nächste Charter-Abschiebetermin feststeht. Weiters kam es in der Vergangenheit laufend zu Charterabschiebungen nach Afghanistan. Trotz der aktuellen COVID19-Lage ist in naher Zukunft mit (Charter)Abschiebungen nach Afghanistan zu rechnen und sind diese seitens der ho. Behörde und durch die europäische Grenzschutzagentur Frontex geplant.“

11. Über Nachfrage des Bundesverwaltungsgerichts im ggst. Verfahren, was mit dem Antrag auf internationalen Schutz des BF in Italien geschehen sei, gab dieses am 18.09.2020 bekannt, dass der BF noch am selben Tag aus der Schubhaft entlassen werde und in Folge sein Antrag geprüft werde.

II. Feststellungen:

1. Zur Person des Beschwerdeführers und dem Vorverfahren:

1.1 Der BF ist nicht österreichischer Staatsangehöriger. Er ist Staatsangehöriger Afghanistans, weiters ist er volljährig und in Österreich strafrechtlich unbescholten. Er ist derzeit weder Asylberechtigter, noch subsidiär Schutzberechtigter. Der BF ist und war im Inland nicht erwerbstätig, er ist weitgehend mittelos. Er ist mit Ausnahme einer Verletzung an einer Hand gesund und haftfähig.

1.2 Mit Bescheid des Bundesamtes vom XXXX .2017, Zl. XXXX , ist der Antrag des BF auf internationalen Schutz abgewiesen worden. Der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ist ebenfalls abgewiesen worden, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen ist ihm nicht erteilt worden. Gleichzeitig wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die dagegen eingebrachte Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.08.2019, W232 2170607-1/7E als unbegründet abgewiesen. Die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis eingebrachten Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof hat dieser mit Beschluss vom 13.12.2019, E 3615/2019-16, abgelehnt, wodurch das Asylverfahren des BF rechtskräftig negativ entschieden wurde. Gegen den BF bestand somit eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung.

1.3 Der Beschwerdeführer verfügt im Bundesgebiet über keinen nennenswerten Grad der sozialen Verankerung. Er hat keinen gesicherten Wohnsitz, keine sozial verfestigten familiären Kontakte im Bundesgebiet und ging nie einer legalen Erwerbstätigkeit zur Bestreitung seiner Existenzmittel nach.

2. Zu den Voraussetzungen der Anhaltung in Schubhaft:

2.1 Nach rk. negativem Abschluss des Asylverfahrens hat der BF am 24.12.2019 nachweislich ein Mitwirkungsbescheid des Bundeamtes zur Zl. XXXX , für die Mitwirkung im HRZ-Verfahren übernommen. Der BF ist zum angeführten Termin an der Adresse der Regionaldirektion Wien des Bundesamtes am 10.01.2020 nicht erschienen. Der BF war zu diesem Zeitpunkt bereits untergetaucht und war für das Bundesamt an seiner Meldeadresse bei einer polizeilichen Überprüfung Ende Jänner 2020 nicht mehr greifbar. Eine neue Adresse hat der BF nicht bekannt gegeben und konnte eine solche auch nicht ermittelt werden, da auch der bisherige Quartiergeber keine Kenntnis vom Verbleib des BF hatte. Das Bundesamt hat hierauf einen Festnahmeauftrag gemäß § 34 BFA-VG erlassen.

2.2 Am 25.02.2020 ist das Bundesamt von italienischen Behörden um Rückübernahme des BF gem. Dublin-III-VO ersucht worden, da der BF zwischenzeitig illegal nach Italien gereist ist und dort am 28.01.2020 einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat. Am 27.02.2020 hat das Bundesamt dem Wiederaufnahmeersuchen der italienischen Behörden zugestimmt. Der BF konnte jedoch durch die italienischen Behörden nicht nach Österreich überstellt werden, da er sich erneut dem Zugriff der (italienischen) Behörden durch Untertauchen entzogen hat.

2.3 Am 28.04.2020 ließ der BF durch den BFV einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 stellen und wurde in Folge hierfür via des BFV zu einer Einvernahme vor das Bundesamt geladen. Der BF ist am XXXX .2020 zu Fuß von Italien kommend illegal in das Bundesgebiet eingereist und wurde von Soldaten des Bundesheeres angehalten und im Anschluss der Polizei übergeben, woraufhin der Festnahmeauftrag des Bundesamtes am BF vollzogen wurde. Der BF ist am XXXX .2020 in das PAZ Innsbruck eingeliefert worden, wo über ihn mit dem angefochtenen Mandatsbescheid zur Zl. XXXX die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung (§ 76 Abs. 2 Z 2 FPG) verhängt wurde; der BF hat die Übernahme dieses Bescheides und die Unterschrift auf dem Übernahmeschein verweigert. Der BF wurde zwischenzeitig nach einem Aufenthalt im Anhaltezentrum Vordernberg wieder in das PAZ Hernalser Gürtel in Wien überstellt, wo der BF bis 18.09.2020 in Schubhaft angehalten wurde.

2.4. Der BF wurde am 18.09.2020, abends aus der Schubhaft entlassen, da das Bundesamt nun davon ausging, dass der BF aufgrund des in Italien gestellten Asylantrags derzeit als Antragsteller auf internationalen Schutz zu behandeln ist.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den umfangreichen Akt der belangten Behörde zur im Spruch angeführten GZ, in den Mandatsbescheid der belangten Behörde vom XXXX .2020, mit dem die Schubhaft angeordnet wurde, sowie in den Beschwerdeschriftsatz und die Stellungnahme der belangten Behörde vom 19.06.2020.

Auskünfte aus dem Strafregister (SA), dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Informationsverbundsystem „Zentrales Fremdenregister“ und aus der Anhaltedatei des Bundeministeriums für Inneres wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.

Die Feststellungen zum bisherigen Verfahrensgang, insb. der durchsetzbaren Rückkehrentscheidung, der Tatsache, dass der BF im Jänner 2020 untergetaucht und nach Italien geflohen ist, dort einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Österreich um Wiederaufnahme ersucht wurde und dieser zugestimmt hat und sich der BF danach auch dort dem Zugriff der Behörden entzogen hat sowie zum Status des HRZ-Verfahrens ergeben sich widerspruchsfrei aus dem Akt der belangten Behörde (OZ 3 u. 4), deren glaubwürdige Stellungnahme vom 16.09.2020 (OZ 3) und den Angaben in der Anhaltedatei. Hinsichtlich des Datums der Zustimmung des Bundesamtes im Wiederaufnahmeverfahren mit Italien nach der Dublin III-VO geschah dem Bundesamt ein Schreibfehler, als es in seiner Stellungnahme den 27.05.2020 hierfür angab. Tatsächlich wurde die Zustimmung am 27.02.2020 erteilt, was über Nachfrage vom Bundesamt bestätigt wurde (AV OZ 9). Die Entlassung des BF aus der Schubhaft samt den Gründen hierfür ergeben sich aus dem vom Bundesamt am 18.09.2020 übermittelten Entlassungsschein (OZ 7) und dem Aktenvermerk des BVwG (OZ 8).

Die Feststellungen zur Haftfähigkeit des BF und zu seinem Gesundheitszustand basieren auf den im Verwaltungsakt einliegenden Kopien der Befunde des LKH Bruck/Mur, sowie dem polizeiamtsärztlichen Gutachten zur Haftfähigkeit des BF vom 17.09.2020 (OZ 6).

Die Feststellungen zum Grad der sozialen Verankerung des Beschwerdeführers, insbesondere zu seinen fehlenden familiären Anknüpfungspunkten im Bundesgebiet und der Tatsache, dass er keiner legalen Erwerbstätigkeit im Inland nachgeht, sowie dass er über keinen gesicherten Wohnsitz verfügt, ergeben sich aus der nachvollziehbaren Stellungnahme der belangten Behörde vom 16.09.2020, sowie aus einem eingeholten Auszug des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger. Wie schon zuvor festgehalten, wird zu diesen Umständen in der Beschwerde kein konkretes Vorbringen erstattet. Das pauschale Vorbringen, dass die „soziale Integration des BF zu seinen Gunsten sich weiter verbessert hat“ stellt jedenfalls keine überzeugende Darlegung einer sozialen Verankerung iSd § 76 Abs. 3 Z 9 FPG dar, zumal der BF selbst dann keinen familiären Anschluss im Bundesgebiet, keinen gesicherten Wohnsitz und auch keine Erwerbstätigkeit vorweisen könnte.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 3 BFA-VG erkennt das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gemäß dem 1. Hauptstück des 2. Teiles des BFA-VG und gemäß dem 7. und 8. Hauptstück des FPG.

Gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG hat der Fremde das Recht das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides anzurufen, wenn gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde. Für diese Beschwerden gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

Gemäß § 22a Abs. 2 leg. cit. hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

Nach § 22a Abs. 3 leg. cit hat, sofern die Anhaltung noch andauert, das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

Gemäß § 28 Abs. 6 VwGVG ist im Verfahren wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG, wenn eine Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist, vom Verwaltungsgericht die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären und gegebenenfalls aufzuheben. Dauert die für rechtswidrig erklärte Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt noch an, so hat die belangte Behörde unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Zustand herzustellen.

Zu A)

3.1 Zu den gesetzlichen Grundlagen der Schubhaft:

§§ 76, 77 und 80 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), § 22a Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Verfahrensgesetz (BFA-VG) lauten auszugsweise:

Schubhaft (§ 76 FPG)


„§ 76 (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen. 

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebiets-beschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

Gelinderes Mittel (§ 77 FPG)

„§ 77 (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1.

(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,
1.         in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,
2.         sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder
2.         eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen;

(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird

(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

(7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(9) Die Landespolizeidirektionen können betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.“

Dauer der Schubhaft (§ 80 FPG)

„(1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.

(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich
1.         drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;
2.         sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt.

(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.

(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil
1.         die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,
2.         eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,
3.         der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder
4.         die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,

kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.

(5) Abweichend von Abs. 2 und vorbehaltlich der Dublin-Verordnung darf die Schubhaft, sofern sie gegen einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, angeordnet wurde, bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Dauer von 10 Monaten nicht überschreiten. Wird die Schubhaft über diesen Zeitpunkt hinaus aufrechterhalten oder nach diesem Zeitpunkt neuerlich angeordnet, ist die Dauer der bis dahin vollzogenen Schubhaft auf die Dauer gemäß Abs. 2 oder 4 anzurechnen.

(5a) In den Fällen des § 76 Abs. 2 letzter Satz ist auf die Schubhaftdauer gemäß Abs. 5 auch die Dauer der auf den Festnahmeauftrag gestützten Anhaltung anzurechnen, soweit sie nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz gemäß § 40 Abs. 5 BFA VG aufrechterhalten wurde. Die Anrechnung gemäß Abs. 5 letzter Satz bleibt davon unberührt.

(6) Das Bundesamt hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.

(7) Das Bundesamt hat einen Fremden, der ausschließlich aus den Gründen des Abs. 3 oder 4 in Schubhaft anzuhalten ist, hievon unverzüglich schriftlich in Kenntnis zu setzen.“

Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft (§ 22a BFA-VG)

§ 22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig.

Die Art. 18, 23, 25 und 29 der VERORDNUNG (EU) Nr. 604/2013 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO), lauten wie folgt:

„Artikel 18

Pflichten des zuständigen Mitgliedstaats

(1) Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet:

a) einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 21, 22 und 29 aufzunehmen;

b) einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

c) einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

d) einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen.

(2) Der zuständige Mitgliedstaat prüft in allen dem Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstaben a und b unterliegenden Fällen den gestellten Antrag auf internationalen Schutz oder schließt seine Prüfung ab.

Hat der zuständige Mitgliedstaat in den in den Anwendungsbereich von Absatz 1 Buchstabe c fallenden Fällen die Prüfung nicht fortgeführt, nachdem der Antragsteller den Antrag zurückgezogen hat, bevor eine Entscheidung in der Sache in erster Instanz ergangen ist, stellt dieser Mitgliedstaat sicher, dass der Antragsteller berechtigt ist, zu beantragen, dass die Prüfung seines Antrags abgeschlossen wird, oder einen neuen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, der nicht als Folgeantrag im Sinne der Richtlinie 2013/32/EU behandelt wird. In diesen Fällen gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die Prüfung des Antrags abgeschlossen wird.

In den in den Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstabe d fallenden Fällen, in denen der Antrag nur in erster Instanz abgelehnt worden ist, stellt der zuständige Mitgliedstaat sicher, dass die betreffende Person die Möglichkeit hat oder hatte, einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Artikel 46 der Richtlinie 2013/32/EU einzulegen.

Artikel 23

Wiederaufnahmegesuch bei erneuter Antragstellung im ersuchenden Mitgliedstaat

(1) Ist ein Mitgliedstaat, in dem eine Person im Sinne des Artikels 18 Absatz 1 Buchstaben b, c oder d einen neuen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Auffassung, dass nach Artikel 20 Absatz 5 und Artikel 18 Absatz 1 Buchstaben b, c oder d ein anderer Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags zuständig ist, so kann er den anderen Mitgliedstaat ersuchen, die Person wieder aufzunehmen.

(2) Ein Wiederaufnahmegesuch ist so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von zwei Monaten nach der Eurodac-Treffermeldung im Sinne von Artikel 9 Absatz 5 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 zu stellen.

Stützt sich das Wiederaufnahmegesuch auf andere Beweismittel als Angaben aus dem Eurodac-System, ist es innerhalb von drei Monaten, nachdem der Antrag auf internationalen Schutz im Sinne von Artikel 20 Absatz 2 gestellt wurde, an den ersuchten Mitgliedstaat zu richten.

(3) Erfolgt das Wiederaufnahmegesuch nicht innerhalb der in Absatz 2 festgesetzten Frist, so ist der Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, in dem der neue Antrag gestellt wurde.

(4) Für ein Wiederaufnahmegesuch ist ein Standardformblatt zu verwenden, das Beweismittel oder Indizien im Sinne der beiden Verzeichnisse nach Artikel 22 Absatz 3 und/oder sachdienliche Angaben aus der Erklärung der betroffenen Person enthalten muss, anhand deren die Behörden des ersuchten Mitgliedstaats prüfen können, ob ihr Staat auf Grundlage der in dieser Verordnung festgelegten Kriterien zuständig ist.

Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für die Erstellung und Übermittlung von Wiederaufnahmegesuchen fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem in Artikel 44 Absatz 2 gennanten Prüfverfahren erlassen.

Artikel 25

Antwort auf ein Wiederaufnahmegesuch

(1) Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt die erforderlichen Überprüfungen vor und entscheidet über das Gesuch um Wiederaufnahme der betreffenden Person so rasch wie möglich, in jedem Fall aber nicht später als einen Monat, nachdem er mit dem Gesuch befasst wurde. Stützt sich der Antrag auf Angaben aus dem Eurodac-System, verkürzt sich diese Frist auf zwei Wochen.

(2) Wird innerhalb der Frist von einem Monat oder der Frist von zwei Wochen gemäß Absatz 1 keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person wieder aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.

Artikel 29

Modalitäten und Fristen

(1) Die Überstellung des Antragstellers oder einer anderen Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgt gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats nach Abstimmung der beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme — oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Artikel 27 Absatz 3 aufschiebende Wirkung hat.

Wenn Überstellungen in den zuständigen Mitgliedstaat in Form einer kontrollierten Ausreise oder in Begleitung erfolgen, stellt der Mitgliedstaat sicher, dass sie in humaner Weise und unter uneingeschränkter Wahrung der Grundrechte und der Menschenwürde durchgeführt werden.

Erforderlichenfalls stellt der ersuchende Mitgliedstaat dem Antragsteller ein Laissez-passer aus. Die Kommission gestaltet im Wege von Durchführungsrechtsakten das Muster des Laissez-passer. Diese Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.

Der zuständige Mitgliedstaat teilt dem ersuchenden Mitgliedstaat gegebenenfalls mit, dass die betreffende Person eingetroffen ist oder dass sie nicht innerhalb der vorgegebenen Frist erschienen ist.

(2) Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über. Diese Frist kann höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist.

(3) Wurde eine Person irrtümlich überstellt oder wird einem Rechtsbehelf gegen eine Überstellungsentscheidung oder der Überprüfung einer Überstellungentscheidung nach Vollzug der Überstellung stattgegeben, nimmt der Mitgliedstaat, der die Überstellung durchgeführt hat, die Person unverzüglich wieder auf.

(4) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten, insbesondere für den Fall, dass Überstellungen verschoben werden oder nicht fristgerecht erfolgen, für Überstellungen nach stillschweigender Annahme, für Überstellungen Minderjähriger oder abhängiger Personen und für kontrollierte Überstellungen fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.“

3.2 Zur Judikatur:

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Das Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme per se vermag zwar keinen Tatbestand zu verwirklichen, der in tauglicher Weise "Fluchtgefahr" zum Ausdruck bringt. Der Existenz einer solchen Maßnahme kommt jedoch im Rahmen der gebotenen einzelfallbezogenen Bewertung der Größe der auf Grund der Verwirklichung eines anderen tauglichen Tatbestandes des § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich anzunehmenden Fluchtgefahr Bedeutung zu (vgl. VwGH vom 11.05.2017, Ro 2016/21/0021). In einem schon fortgeschrittenen Verfahrensstadium reichen grundsätzlich weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung aus, weil hier die Gefahr des Untertauchens eines Fremden erhöht ist (VwGH vom 20.02.2014, 2013/21/0178).

Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FPG ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Der Behörde kommt aber dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043).

Eine Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kann stets nur dann rechtens sein, wenn eine Abschiebung auch tatsächlich infrage kommt. Die begründete Annahme, dass eine Aufenthaltsbeendigung erfolgen wird, ist dabei ausreichend. Dass die Effektuierung mit Gewissheit erfolgt, ist nicht erforderlich (vgl. dazu etwa VwGH 07.02.2008, Zl. 2006/21/0389; VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/21/0039). Steht hingegen von vornherein fest, dass diese Maßnahme nicht durchführbar ist, so darf die Schubhaft nicht verhängt werden. Anderenfalls erwiese sich die Schubhaft nämlich als für die Erreichung des Haftzweckes (der Abschiebung) "nutzlos". Umgekehrt schadet es - wie sich aus den Verlängerungstatbeständen des § 80 FPG ergibt - nicht, wenn der ins Auge gefassten Abschiebung zeitlich befristete Hindernisse entgegenstehen. Den erwähnten Verlängerungstatbeständen liegt freilich zugrunde, dass die infrage kommenden Hindernisse längstens innerhalb der zulässigen Schubhaftdauer beseitigt werden. Ist hingegen bereits bei Beginn der Schubhaft absehbar, dass das Abschiebehindernis nicht binnen dieser Frist zu beseitigen ist, so soll die Schubhaft nach den Vorstellungen des Gesetzgebers von Anfang an nicht verhängt werden. Dasselbe gilt, wenn während der Anhaltung in Schubhaft Umstände eintreten, aus denen erkennbar ist, dass die Abschiebung nicht in der restlichen noch zur Verfügung stehenden Schubhaftdauer bewerkstelligt werden kann. (vgl. VwGH 11.06.2013, Zl. 2013/21/0024, zum Erfordernis einer Prognosebeurteilung, ob die baldige Ausstellung eines Heimreisezertifikates trotz wiederholter Urgenzen durch das Bundesministerium für Inneres angesichts der Untätigkeit der Vertretungsbehörde des Herkunftsstaates zu erwarten ist; vgl. VwGH 18.12.2008, Zl. 2008/21/0582, zur rechtswidrigen Aufrechterhaltung der Schubhaft trotz eines ärztlichen Gutachtens, wonach ein neuerlicher Versuch einer Abschiebung des Fremden in den nächsten Monaten aus medizinischen Gründen nicht vorstellbar sei).

Weiters hat der VwGH zur Frage der Zuständigkeit für einen Folgeantrag auf internationalen Schutz bei Zustimmung zur Wiederaufnahme nach Art. 24 Dublin III-VO wie in seinem Erkenntnis vom 03.07.2018, Zl. Ra 2018/21/0025, zur Schubhaft in einem vergleichbaren Fall wie folgt festgehalten:

„8.Im vorliegenden Fall stellt sich zunächst die Frage, ob der Revisionswerber bei seiner Rücküberstellung aus dem Vereinigten Königreich im Hinblick auf den dort eingebrachten, inhaltlich noch nicht geprüften Antrag auf internationalen Schutz als "Drittstaatsangehöriger, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat", zu qualifizieren war oder nicht. Mit diesem Thema hatte sich der Verwaltungsgerichtshof bereits in dem (insoweit) eine vergleichbare Konstellation betreffenden Erkenntnis VwGH 19.3.2013, 2011/21/0128, ausführlich auseinandergesetzt. Er ist dabei vor dem Hintergrund der unmittelbar anwendbaren Bestimmungen der (damals geltenden) Dublin II-Verordnung zu dem Ergebnis gelangt, dass der in einem anderen Mitgliedstaat gestellte Asylantrag auch als in Österreich gestellt anzusehen sei, wenn sich die Republik Österreich im Hinblick auf die ihr nach der genannten Verordnung zukommende Zuständigkeit zur (Wieder-)Aufnahme des Fremden bereit erklärt hat. Eines (nochmaligen) Schutzersuchens bedürfe es nicht. Im Ergebnis bestehe damit die Pflicht des (wieder-)aufnehmenden Staates, den in einem anderen Mitgliedstaat gestellten Asylantrag, und sei es auch ein "Folgeantrag", bei dem ohne vorherige Prüfung nicht beurteilt werden könne, ob neue Fluchtgründe geltend gemacht werden, ohne Weiteres einer Prüfung zuzuführen. Unter diesen Bedingungen aus dem anderen Mitgliedstaat nach Österreich (rück-)überstellte Drittstaatsangehörige könnten daher auch nur nach den (gleichermaßen) für "Fremde, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben," und für "Asylwerber" geltenden Bestimmungen (damals: § 76 Abs. 2 und 2a FPG in der bis 31. Dezember 2013 geltenden Fassung) in Schubhaft genommen werden. Dazu kann des Näheren auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses, die auch für die insoweit im Wesentlichen inhaltsgleichen Bestimmungen der Dublin III-Verordnung Gültigkeit haben, gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen werden (vgl. daran anschließend auch VwGH 19.3.2013, 2011/21/0250, VwGH 11.6.2013, 2013/21/0037, und schon zur Dublin III-Verordnung VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0345, Rn. 12; siehe in diesem Sinn auch EuGH (Große Kammer) 26.7.2017, C-646/16, Jafari, Rn. 83, woraus sich ergibt, dass ein nach Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung wegen illegalen Überschreitens seiner Grenze zuständiger Mitgliedstaat den danach von diesem Drittstaatsangehörigen in einem anderen Mitgliedstaat gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen hat).

9 Galt der Revisionswerber somit im Zeitpunkt seiner Rücküberstellung aus dem Vereinigten Königreich am 17. Jänner 2018 als Drittstaatsangehöriger, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, über den noch nicht endgültig entschieden war, so war er "Antragsteller" im Sinne der Begriffsbestimmung des Art. 2 Buchst. b der Aufnahme-RL (Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung vom Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Neufassung)). Auf den Revisionswerber waren daher nach deren Art. 3 Abs. 1 die Bestimmungen der genannten Richtlinie anzuwenden, und zwar solange er als Antragsteller im Hoheitsgebiet verbleiben durfte.

10 Dem Revisionswerber kam gemäß § 12 Abs. 1 AsylG 2005 aufgrund seines Asylfolgeantrags ab dem Zeitpunkt seiner Wiedereinreise faktischer Abschiebeschutz zu, der in dieser Konstellation nach innerstaatlichem Recht nur gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen vom BFA mit Bescheid hätte aufgehoben werden können. Ein solcher Bescheid ist im gegenständlichen Fall bis zur Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses nicht ergangen. Schon auf dieser Basis galt auch zu diesem Zeitpunkt für den Revisionswerber noch die Aufnahme-RL, sodass Schubhaft nach § 76 Abs. 2 Z 1 FPG gegen ihn nicht in Betracht kam (siehe zu einer insoweit vergleichbaren Konstellation VwGH 14.11.2017, Ra 2016/21/0219, unter Bezugnahme auf das grundlegende Erkenntnis VwGH 5.10.2017, Ro 2017/21/0009, auf deren Entscheidungsgründe jeweils gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen werden kann; vgl. auch das Erkenntnis vom heutigen Tag, Ra 2018/21/0094). Angesichts dessen erweist sich der vom BVwG gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG vorgenommene Ausspruch, die maßgeblichen Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft - evident gemeint: nach § 76 Abs. 2 Z 1 FPG - seien am 1. Februar 2018 vorgelegen, als inhaltlich rechtswidrig.“

3.3 Zum konkreten Fall:

3.3.1 Zum Beschwerdeumfang:

Die in der Beschwerde vom 15.09.2020 gestellten Beschwerdeanträge lauten (Zitierung im Original) wie folgt:

„1. das Bundesverwaltungsgericht möge nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung feststellen, dass die über den BF XXXX mit Mandatsbescheid des Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, vom XXXX .2020 weiter aufrechterhaltene Schubhaft zumindest seit 10.09.2020 für rechtswidrig erklären; in eventu feststellen, dass für die Fortsetzung der Schubhaft die maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen und

2. das Bundesverwaltungsgericht möge erkennen, dass die belangte Behörde, bzw. der Bund schuldig ist, die dem BF durch das verfassungsgerichtliche Verfahren entstandenen Kosten im gesetzlichen Ausmaß zu Handen des Rechtsvertreters des BF binnen vierzehn Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.“

Einleitend ist festzuhalten, dass die ggst. erhobene Beschwerde nach § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG weitgehend an der Sache des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vorbeigeht, als hierin überwiegend zu Umständen ausgeführt wird, die offensichtlich das Verfahren nach § 55 Abs. 1 AslyG 2005 des BF betreffen. Die Anhaltung des BF in Schubhaft wird aufgrund der gestellten Beschwerdeanträge jedenfalls ab 10.09.2020 angefochten. Die Hinzufügung des unklaren Begriffs „zumindest“ durch den BFV erweist sich in diesem Zusammenhang als verfehlt und inhaltsleer, da auch hierdurch mangels konkreter zeitlicher Angabe keine Ausdehnung des Anfechtungszeitraumes bewirkt werden kann. Festzuhalten ist letztlich, dass es dem BFV als berufsmäßigem Parteienvertreter und Rechtsanwalt möglich sein sollte, klare und unmissverständliche Beschwerdebegehren iSd § 9 Abs. 1 Z 4 VwGVG zu formulieren, soweit ein längerer Anfechtungszeitraum begehrt wird.

3.3.2 Zur Qualifikation des BF als "Drittstaatsangehöriger, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat“ und zur Rechtswidrigkeit der Schubhaft:

Wie aus der Dublin III-VO und der oben wiedergegebenen Judikatur hervorgeht, war der BF ab dem Zeitpunkt, an dem das Bundesamt dem Wiederaufnahmeersuchen der italienischen Behörden hinsichtlich des am 27.02.2020 zugestimmt hat, als „Drittstaatsangehöriger, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat“ zu qualifizieren, da der BF in Italien am 28.01.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat. Hat der aufnehmende Staat (im ggst. Fall Österreich) der Wiederaufnahme gemäß Art. 25 Abs. 1 Dublin III-VO zugestimmt, besteht damit die Pflicht des (wieder-)aufnehmenden Staates, den in einem anderen Mitgliedstaat gestellten Asylantrag, auch wenn dieser als Folgeantrag gilt, bei dem ohne vorherige Prüfung nicht beurteilt werden können, ob neue Fluchtgründe geltend gemacht werden, ohne Weiteres einer Prüfung zuzuführen. Diese Verpflichtung ergibt sich letztlich auch schon aus Art. 18. Abs. 1b iVm Abs. 2 Dublin III-VO.

Dass sich der BF seiner Rücküberstellung nach Österreich auch in Italien durch Untertauchen entzogen hat, spielt im ggst. Fall keine Rolle, da die gemäß Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO sechsmonatige Frist für die Rücküberstellung des BF aus Italien zum Zeitpunkt der Wiedereinreise des BF nach Österreich Ende Juni 2020 ohnehin noch nicht abgelaufen war. Es bedurfte daher auch keines Rückgriffs auf die gem. Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO verlängerte, 18-monatige Frist für die Rücküberstellung des BF, weil dieser in Italien nach seiner Antragstellung untergetaucht und idS „geflüchtet“ war.

Fest steht daher, dass Österreich zur Behandlung des am 28.01.2020 vom BF in Italien gestellten Antrag auf internationalen Schutz iSe Folgeantrags verpflichtet war (und noch ist) und dem BF jedenfalls seit seiner Wiedereinreise in das Bu

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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