TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/6 W279 2232218-1

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Veröffentlicht am 06.10.2020
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Entscheidungsdatum

06.10.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs1
BFA-VG §22a Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §76 Abs2 Z2
VwGVG §35
VwGVG §35 Abs3

Spruch

W279 2232218-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. KOREN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Rumänien, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung Diakonie und Flüchtlingsdienst GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.05.2020 und die Anhaltung in Schubhaft von 11.05.2020 bis 14.05.2020, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Der Beschwerde gegen den Bescheid vom 11.05.2020 wird gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

Gleichzeitig wird die Anhaltung in Schubhaft von 11.05.2020 bis 14.05.2020 für rechtswidrig erklärt.

II. Der Antrag der belangten Behörde auf Kostenersatz wird gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG abgewiesen.

III. Gemäß § 35 VwGVG iVm Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 517/2013, hat der Bund (Bundesminister für Inneres) dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von € 737,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in Folge: BF), ein Staatsangehöriger Rumäniens, reiste im Juli 2016 nach Österreich ein und war, mit zwei Unterbrechungen von 13.01.2018 bis 08.02.2018 und von 12.02.2019 bis 15.12.2019, von 05.08.2016 bis zu seiner Abschiebung am 14.05.2020 durchgehend im Bundesgebiet gemeldet.

2. Der BF ging von 26.07.2016 – 13.01.2020 16 legalen Erwerbstätigkeiten, überwiegend im Baubereich, nach und war bis zum 10.01.2020 über die Österreichische Gesundheitskasse versichert.

3. Am 14.01.2020 wurde der BF in Untersuchungshaft genommen.

4. Am 23.01.2020 wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: BFA) ein Festnahmeauftrag gem. § 34 Abs. 3 Z 1 BFA-VG erlassen. Demnach sei der BF unmittelbar nach Entlassung aus der Untersuchungshaft festzunehmen gewesen.

5. Mit Schreiben vom 29.01.2020 informierte das BFA den BF über die Absicht, ein Aufenthaltsverbot gem. § 67 FPG, in eventu einen ordentlichen Schubhaftbescheid gem. § 76 FPG zu erlassen. Dem BF wurde die Möglichkeit der Abgabe einer Stellungnahme binnen zehn Tagen gegeben. Diese Frist wurde auf Antrag des Vertreters des BF formlos verlängert.

6. Am 10.03.2020 wurde der BF vom Landesgericht für Strafsachen XXXX , Zahl XXXX , gem. §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 5 Z 2 StGB sowie §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 4, 85 Abs. 5 Z 2 zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, davon 20 Monate Freiheitsstrafe, bedingt, unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren, verurteilt. Mildernd wurden das umfassende Geständnis, der bisher tadellose Lebenswandel und die Beeinträchtigung durch Alkoholkonsum, erschwerend das Zusammentreffen zweier Fakten, berücksichtigt.

7. Das BFA erließ mit Bescheid vom 06.04.2020 gem. § 67 Abs. 1 und Abs. 2 FPG ein Aufenthaltsverbot in Höhe von acht Jahren. Gem. § 70 Abs. 3 FPG wurde dem BF kein Durchsetzungsaufschub gewährt und einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Festgehalten wurde, dass der BF die Frist zur Abgabe einer Stellungnahme trotz gewährter Verlängerung fristlos habe verstreichen lassen. Daher gehe die Behörde davon aus, dass der BF keine Familienangehörigen in Österreich habe, sich der Lebensmittelpunkt im Heimatstaat befinde und zu Österreich weder familiäre, soziale noch berufliche Bindungen bestehen würden. Der BF stelle aufgrund seiner strafrechtlichen Verurteilung eine Gefährdung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar.

8. Am 11.05.2020 wurde der BF durch das BFA niederschriftlich in der Sprache Rumänisch einvernommen.

Dabei gab er an, dass er bis zu seiner Festnahme in der XXXX , gewohnt habe. Auch seine Mutter und seine drei Schwestern würden im Bundesgebiet wohnen, sein Vater lebe in Rumänien. Er habe einen gültigen Personalausweis und besitze etwa € 25,-.

9. Am 11.05.2020 erließ das BFA gem. § 76 Abs. 2 Z 2 iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung und stellte fest, dass gegen den BF ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot bestehe und der BF aufgrund seiner Verurteilung eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Er sei nie einer legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen, sei im Bundesgebiet untergetaucht, in dem er sich behördlich nicht gemeldet habe und sei für ein fremdenrechtliches Verfahren nicht greifbar gewesen. Er habe die österreichische Rechtsordnung missachtet und verfüge nicht über ausreichende Barmittel, um seinen Unterhalt finanzieren zu können. Auch einer legalen Beschäftigung gehe er nicht nach. Er habe keinen ordentlichen Wohnsitz und habe keine familiären oder sozialen Anknüpfungspunkte. Er sei für die Behörde nur aufgrund der Überstellung durch die Justiz greifbar gewesen.

10. Am 14.05.2020 wurde der BF über den Landweg abgeschoben.

11. Mit Schriftsatz vom 22.06.2020 erhob der BF fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde gem. § 22a BFA-VG und brachte vor, dass die belangte Behörde ihrer Verpflichtung zur amtswegigen Erforschung des maßgeblichen Sachverhaltes nicht nachgekommen sei. Gerade in Fällen, in denen die Abschiebung nicht unmittelbar im Anschluss an die Entlassung aus der Strafhaft möglich sei, müsse ein ordentliches Ermittlungsverfahren durchgeführt werden, was im vorliegenden Fall unterlassen worden sei. Die Behörde habe den BF nicht zu seiner Ausreisewilligkeit, der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft bzw. der Möglichkeit der Verhängung eines gelinderen Mittels oder seinen sozialen Kontakten bzw. seinem üblichen Einkommen befragt. Darüber hinaus fuße die Annahme, dass beim BF Fluchtgefahr bestehe, maßgeblich auf aktenwidrigen bzw. unrichtigen Feststellungen. Wäre die Behörde vom richtigen Sachverhält ausgegangen, hätte sie eine Fluchtgefahr im Falle des BF nicht angenommen. Das Vorliegen einer solchen werde ausdrücklich bestritten. Darüber hinaus sei eine Schubhaft unverhältnismäßig. Die belangte Behörde habe keine ausreichende Prüfung der Voraussetzungen für die Zuerkennung eines gelinderen Mittels geführt.

12. Am 24.06.2020 legte das BFA die eingelangte Schubhaftbeschwerde dem Bundesverwaltungsgericht (in Folge: BVwG) vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Gleichzeitig wurde eine Stellungnahme eingebracht und vorgebracht, dass die vom Rechtsvertreter des BF behauptete Unverhältnismäßigkeit der Schubhaft nicht nachvollzogen werden könne. Es existiere langjährige Judikatur des BVwG und des Verwaltungsgerichtshofes (in Folge: VwGH), im Zuge welcher bei gleichgelagerter Sachverhalte Schubhaft als verhältnismäßig angesehen worden sei.

Der BF habe zudem nicht angegeben, dass er bei seinen Verwandten im Bundesgebiet Unterkunft nehmen hätte können. Es habe ein verdünnter Sicherungsbedarf bestanden, welcher jedoch durch die massive Straffälligkeit des BF so weit zu seinem Nachteil gewichtet worden sei, dass letztlich eine Ultima-Ratio Situation vorgelegen habe. Es dürfe außerdem angemerkt werden, dass der BF nur deshalb in Schubhaft verhalten werden habe müssen, da die Zeitspanne von 72 Stunden bis zur Außerlandesbringung nur geringfügig aber dennoch überschritten hätte werden müssen, da die Außerlandesbringung mit dem wöchentlich stattfindenden Sammeltransport vorgenommen worden sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter I. geschilderte Verfahrensgang wird zur Feststellung erhoben.

Der volljährige BF ist Staatsangehöriger der Republik Rumänien und besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft. Er ist daher Fremder iSd § 2 Abs. 4 Z 1 FPG.

Der BF verfügt über einen gültigen Reisepass der Republik Rumänien, ausgestellt am 21.12.2016.

Der BF ist gesund und leidet an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten.

Der BF war zu folgenden Zeiten im Bundesgebiet aufrecht behördlich gemeldet:

05.08.2016 – 12.01.2018, in der XXXX

09.02.2018 – 11.02.2019, in der XXXX

16.12.2019 – 14.01.2020, in der XXXX

Danach wurde der BF in Untersuchungs-, Straf- und Schubhaft genommen.

In folgenden Zeiträumen ging der BF einer legalen und regelmäßigen Beschäftigung nach:

26.07.2016 – 09.08.2016 als Arbeiter für die „ XXXX “

06.09.2016 – 12.09.2016 als Arbeiter für die Firma „ XXXX “

20.04.2017 – 02.06.2017 als Arbeiter für die „ XXXX “

07.07.2017 – 25.08.2017 als Arbeiter für die „ XXXX “

09.11.2017 – 22.06.2018 als geringfügig Beschäftigter Arbeiter für die „ XXXX “

12.02.2018 – 13.03.2018 als Arbeiter für die „ XXXX “

25.04.2018 – 04.05.2018 als Arbeiter für die „ XXXX “

26.06.2018 – 05.07.2018 als Arbeiter für die „ XXXX “

10.07.2018 – 03.08.2018 als Arbeiter für die „ XXXX “

07.08.2018 – 13.09.2018 als Arbeiter für die „ XXXX “

19.09.2018 – 25.10.2018 als Arbeiter für die „ XXXX “

14.11.2018 – 30.11.2018 als Arbeiter für die „ XXXX “

06.05.2019 – 11.07.2019 als Arbeiter für die „ XXXX “

19.07.2019 – 09.08.2019 als Arbeiter für die „ XXXX “

02.09.2019 – 10.12.2019 als Arbeiter für die „ XXXX “

08.01.2020 – 13.01.2020 als Arbeiter für die „ XXXX “

Der BF wurde am 14.01.2020 in Untersuchungshaft genommen.

Der BF wurde mit Urteil vom 10.03.2020 vom Landesgericht für Strafsachen XXXX , Zahl XXXX , gem. §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 5 Z 2 StGB sowie §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 4, 85 Abs. 5 Z 2 zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, davon 20 Monate Freiheitsstrafe, bedingt, unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt. Mildernd wurden das umfassende Geständnis, der bisher tadellose Lebenswandel und die Beeinträchtigung durch Alkoholkonsum, erschwerend das Zusammentreffen zweier Fakten, berücksichtigt.

Gegen den BF besteht ein auf acht Jahre befristetes Aufenthaltsverbot gem. § 67 FPG. Gem. § 70 Abs. 3 FPG wurde dem BF kein Durchsetzungsaufschub gewährt und einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt. Über eine dagegen erhobene Beschwerde wurde bis dato nicht erkannt.

Der BF war von 11.05.2020 bis 14.05.2020 in Schubhaft und wurde am 14.05.2020 am Landweg nach Rumänien abgeschoben.

Die Mutter sowie drei Schwestern des BF leben in Österreich, wo der BF vorübergehend bis zu seiner Abschiebung Unterkunft hätte nehmen können. Der Vater des BF befindet sich im Heimatstaat.

Es gab keine hinreichenden Indizien für die Annahme, dass sich der BF dem Zugriff der Behörden entziehen würde.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und der Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.

Die Feststellungen zur Person des BF und seiner Staatsangehörigkeit ergeben sich aus seinen Angaben, seine Identität steht aufgrund des dem BFA vorliegenden Reisepasses fest.

Dass der BF von 11.05.2020 bis 14.05.2020 in Schubhaft war und am 14.05.2020 abgeschoben wurde, ergibt sich aus einem Auszug aus der Anhaltedatei.

Die Feststellungen der Untersuchungshaft sowie der rechtskräftigen Verurteilung sind aus dem im Akt einliegenden Urteil sowie einem Strafregisterauszug ersichtlich.

Die Feststellung, dass gegen den BF ein befristetes Aufenthaltsverbot besteht, ergibt sich aus dem Verwaltungsakt des BF.

Dass der BF gesund ist beruht auf dem Umstand, dass Gegenteiliges nicht vorgebracht wurde.

Dass der BF bei den genannten Arbeitgebern angestellt war, ergibt sich aus der Einsichtnahme in einen Sozialversicherungsauszug.

Die Feststellung zu den Meldeadressen des BF ergibt sich aus einer Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister.

Die Tatsache, dass der BF über familiäre Anknüpfungspunkte im Form seiner Mutter und seiner Schwestern hat, ergibt sich aus den Angaben des BF in der niederschriftlichen Einvernahme.

Der BF übte während seines Aufenthaltes in Österreich diverse legale Tätigkeiten aus, war – bis auf zwei Unterbrechungen - stets im Bundesgebiet gemeldet und verfügte über einen eigenen gesicherten Wohnsitz bzw. die Möglichkeit der Unterkunftnahme bei der Mutter. Der BF war im Bundesgebiet auch insoweit verankert, als die Mutter und drei Schwestern des BF hier leben. Hinweise, dass sich der BF dem Zugriff der Behörde entziehen würden, waren nicht ersichtlich.


3. Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt A) Rechtmäßig- bzw. widrigkeit der angeordneten Schubhaft

3.1 Gesetzliche Grundlagen

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c.es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

Der mit „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ überschriebene § 22a des BFA-Verfahrensgesetzes lautet:

„§ 22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig.“

§ 77 Gelinderes Mittel:

Gemäß § 77 Abs. 1 FPG hat das Bundesamt bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1 FPG.

Gemäß § 77 Abs. 2 FPG ist Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

Gemäß § 77 Abs. 3 FPG sind gelindere Mittel insbesondere die Anordnung, (Z 1) in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen, (Z 2) sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder (Z 3) eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.

Kommt der Fremde gemäß § 77 Abs. 4 FPG seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird.

Gemäß § 77 Abs. 5 FPG steht die Anwendung eines gelinderen Mittels der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

Gemäß § 77 Abs. 6 FPG hat sich zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

Gemäß § 77 Abs. 7 FPG können die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

Gemäß § 77 Abs. 8 FPG ist das gelindere Mittel mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

Gemäß § 77 Abs. 9 FPG können die Landespolizeidirektionen betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.

3.2. Zur Judikatur:

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

„Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs. 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis E 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde“ (VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, vgl. auch VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

„Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22.05.2007, Zl. 006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.04.2008, Zl. 2008/21/0085; siehe auch die Erkenntnisse vom 28.02.2008, Zl. 2007/21/0512, und Zl. 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein. Mit bestimmten gelinderen Mitteln wird man sich insbesondere dann auseinander zu setzen haben, wenn deren Anordnung vom Fremden konkret ins Treffen geführt wird“ (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

3.3 Der BF besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist daher Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG. Er ist volljährig und verfügt über keine Aufenthaltsberechtigung – gegen ihn besteht ein Aufenthaltsverbot – weshalb die Anordnung der Schubhaft grundsätzlich – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – möglich ist. Voraussetzung für die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung ist das Vorliegen eines Sicherungsbedarfes, das Bestehen von Fluchtgefahr sowie die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft. Zur Sicherung der Abschiebung kommt Schubhaft darüber hinaus nur dann in Betracht, wenn die Abschiebung auch tatsächlich im Raum steht.

Im vorliegenden Fall besteht gegen den BF ein auf acht Jahre befristetes Aufenthaltsverbot gem. § 67 FPG. Gem. § 70 Abs. 3 FPG wurde dem BF kein Durchsetzungsaufschub gewährt und einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt. Die belangte Behörde ging daher bei der Verhängung der Schubhaft zutreffend vom Vorliegen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme aus. Der BF verfügt über einen gültigen Reisepass. Die Abschiebung des BF erschien zum Zeitpunkt der Anordnung daher möglich.

3.4 Bei der Beurteilung, ob Fluchtgefahr vorliegt, ist gemäß § 76 Abs. 3 Z 3 FPG zu berücksichtigen, ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat. Das Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme per se vermag zwar keinen Tatbestand zu verwirklichen, der in tauglicher Weise "Fluchtgefahr" zum Ausdruck bringt. Der Existenz einer solchen Maßnahme kommt jedoch im Rahmen der gebotenen einzelfallbezogenen Bewertung der Größe der auf Grund der Verwirklichung eines anderen tauglichen Tatbestandes des § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich anzunehmenden Fluchtgefahr Bedeutung zu (vgl. VwGH vom 11.05.2017, Ro 2016/21/0021). Die belangte Behörde ging im gegenständlichen Fall zutreffend davon aus, dass gegen den BF eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, da gegen den BF ein Aufenthaltsverbot gem. § 67 FPG erlassen worden ist.

Darüber hinaus ist gemäß § 76 Abs. 3 Z 9 FPG auch der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes zu berücksichtigen.

Wenn die belangte Behörde im gegenständlichen Bescheid feststellt, dass der BF niemals einer legalen Tätigkeit nachging, ist nicht nachvollziehbar, wieso auf Seite 2 des Bescheides sämtliche ehemaligen Arbeitgeber des BF aufgezählt werden. Der BF ging daher – entgegen der Ansicht der belangten Behörde – fortwährend einer legalen Tätigkeit im Bundesgebiet nach.

Auch die Feststellung, dass der BF im Bundesgebiet untergetaucht und seiner Meldeverpflichtung nicht nachgekommen sowie für die Behörde nicht greifbar gewesen sei, ist absolut unverständlich, zumal der BF bis auf zwei Ausnahmen stets über eine aufrechte Meldung im Bundesgebiet verfügte und bis zu seiner Festnahme in der XXXX wohnte (wie ebenfalls im Verfahrensgang des gegenständlichen Bescheides festgehalten!). Auch nach Entlassung aus der Strafhaft hätte der BF bei seiner Mutter Unterkunft nehmen können und wäre daher für die Behörde greifbar gewesen.

Ebenso unklar ist, wieso die belangte Behörde feststellte, er habe keinerlei familiäre wie soziale Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet, obwohl der BF im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme angab, dass seine Mutter und seine drei Schwestern in Österreich wohnen würden und nur sein Vater in seiner Heimat sei.

Bei der Beurteilung des Sicherungsbedarfes ist das gesamte Verhalten des BF vor Anordnung der Schubhaft sowie seine familiäre, soziale und berufliche Verankerung im Inland in einer Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen.

Da der BF über einen gesicherten Wohnsitz verfügt hat, familiäre Anknüpfungspunkte im Bundesgebebiet hatte und stets einer legalen Tätigkeit nachgegangen ist, bestand bereits von vornherein kein Sicherungsbedarf. Es ergaben sich auch sonst keine Anhaltspunkte, dass beim BF Fluchtgefahr vorliegen würde. Eine strafrechtliche Verurteilung allein kann nicht zum Bejahen von Fluchtgefahr führen.

Selbst die belangte Behörde erklärte in ihrer Stellungnahme, dass ein „verdünnter Sicherungsbedarf“ bestanden habe. Ferner wird dieser verdünnte Sicherungsbedarf nicht weiter begründet. Eine strafrechtliche Verurteilung allein kann jedenfalls nicht zur Begründung der Fluchtgefahr herangezogen, sondern lediglich im Rahmen der Verhältnismäßigkeit miteinbezogen werden.

Die Behörde hätte sohin auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung vorzunehmen gehabt, ob und in Hinblick auf welche Umstände eine tragfähige Gefährdungsprognose gerechtfertigt ist. Die bloße Verurteilung des BF reicht hierzu nicht aus. Es wird nicht übersehen, dass die Begehung eines Körperverletzungsdeliktes grundsätzlich ein von der Rechtsordnung und der Judikatur der Höchstgereichte verpöntes Verhalten ist. Im vorliegenden Fall wurde der zuvor unbescholtene und mehrfach legal im Bundesgebiet aufhältige BF zu einer Strafe von 24 Monaten verurteilt. Das Gericht fand jedoch mit der Verurteilung zu einer teilbedingten Haftstrafe das Auslagen, wobei der unbedingte Teil der Strafe lediglich vier Monate betrug, welche der BF auch verbüßt hat. Die zur Verurteilung des BF im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen reichen für eine nachvollziehbare Darstellung der Gefährdungsannahme nicht aus (vgl. diesbezüglich VwGH vom 10.04.2014, 2013/22/0310).

3.5 Da von vorn herein kein Sicherungsbedarf gegeben war, war die angeordnete Schubhaft nicht verhältnismäßig und auch nicht als Ultima Ratio zu qualifizieren. Bei einer Prüfung der Verhältnismäßigkeit sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen.

In einem Verfahren betreffend Anordnung der Schubhaft muss bei der Prüfung des Sicherungsbedarfs auch das strafrechtliche Verhalten des Fremden in Bezug auf Gewalt- und Vermögensdelikte einbezogen werden. Diesen Umständen kann nämlich im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung insofern Bedeutung zukommen, als eine erhebliche Delinquenz des Fremden das Gewicht des öffentlichen Interesses an der Effektivität seiner (baldigen) Abschiebung - in Abhängigkeit von der Schwere der Straftaten - maßgeblich vergrößern kann (VwGH 25.03.2017, Ra 2009/21/0276).

Auch wenn durch das straffällige Verhalten des BF ein öffentliches Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung gegeben war, so ist dieses mit dem Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Der BF war stets gemeldet, verfügte über einen gesicherten Wohnsitz sowie familiäre und soziale Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet. Er ging stets einer legalen Beschäftigung nach und war für die Behörde greifbar. Das das Urteil aussprechende Strafgericht bezog zudem mildernd mit ein, dass der BF davor stets ein tadelloses Leben geführt hat.

3.6 Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs. 1 FPG ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17. März 2009, 2007/21/0542; E 30. August 2007, 2007/21/0043).

Da bereits von vorn herein kein Sicherungsbedarf gegeben war, war der Schubhaftbescheid rechtswidrig. War der Schubhaftbescheid rechtswidrig, so muss das auch für die auf den Schubhaftbescheid gestützte Anhaltung gelten (VwGH 08.09.2009, 2009/21/0162; 26.01.2012, 2008/21/0626; 11.06.2013, 2012/21/0114).

Im vorliegenden Fall konnte von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der Sachverhalt im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens hinreichend geklärt werden konnte. Der Sachverhalt konnte aus den Akten abschließend ermittelt werden. Eine Einvernahme des BF konnte daher unterbleiben.

Zu A) III. und IV. Kostenanträge

1. Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (für die Zeit vor Inkrafttreten des § 22a Abs. 1a BFA-VG s. VwGH 23.04.2015, Ro 2014/21/0077).

2. Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der BF die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom BF vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der BF die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.

3. Nach § 35 Abs. 4 VwGVG gelten als Aufwendungen gemäß Abs. 1 die Kommissionsgebühren sowie die Barauslagen, für die der BF aufzukommen hat (Z 1), die Fahrtkosten, die mit der Wahrnehmung seiner Parteirechte in Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht verbunden waren (Z 2), sowie die durch Verordnung des Bundeskanzlers festzusetzenden Pauschalbeträge für den Schriftsatz-, den Verhandlungs- und den Vorlageaufwand (Z 3). Die Höhe des Schriftsatz- und des Verhandlungsaufwands hat gemäß Abs. 5 den durchschnittlichen Kosten der Vertretung bzw. der Einbringung des Schriftsatzes durch einen Rechtsanwalt zu entsprechen. Für den Ersatz der den Behörden erwachsenden Kosten ist ein Pauschalbetrag festzusetzen, der dem durchschnittlichen Vorlage-, Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand der Behörden entspricht. Aufwandersatz ist laut Abs. 7 auf Antrag der Partei zu leisten. Der Antrag kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt werden.

Beide Parteien begehrten den Ersatz ihrer Aufwendungen entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen. Da der BF vollständig obsiegte, steht ihm nach den angeführten Bestimmungen dem Grunde nach der Ersatz seiner Aufwendungen zu.

B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH und EuGH ist zwar teilweise zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Abschiebung EWR-Bürger Fluchtgefahr gelinderes Mittel Kostenentscheidung - Gericht Kostenersatz Kostenersatz - Antrag Kostenzuspruch Obsiegen Rückkehrentscheidung Schubhaft Schubhaftbeschwerde Schubhaftverfahren Sicherungsbedarf Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft Ultima Ratio Untersuchungshaft Verhältnismäßigkeit Wohnsitz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W279.2232218.1.00

Im RIS seit

01.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

01.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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