TE Bvwg Beschluss 2020/6/29 W138 2189499-1

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Veröffentlicht am 29.06.2020
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Entscheidungsdatum

29.06.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W138 2189499-1/7E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch den Richter Mag. Klaus HOCHSTEINER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.02.2018, Zl. 1099748907-152026408 folgenden Beschluss:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird Spruchpunkt I. des bekämpften Bescheides behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der minderjährige Beschwerdeführer stellte durch seinen gesetzlichen Vertreter am 18.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Der BF wurde weder bei der Erstbefragung noch bei der Einvernahme vor dem BFA selbst befragt. Zur Beurteilung seines Antrages auf internationalen Schutzes wurden die Angaben des Onkels des BF bei der Erstbefragung und in der Einvernahme vor dem BFA herangezogen. Der Onkel des BF gab an, dass seine Familie verfolgt werden würde, weil er einen Heiratsantrag an seine älteste Tochter angelehnt habe. Seine Familie sei in den Iran gereist habe dort jedoch keine Aufenthaltsberechtigung gehabt. Seine Familie und die Familie seines Bruders hätten sich gemeinsam auf den Weg nach Europa gemacht. An der Grenze habe seine Tochter die Hand des BF gehalten und sie seien gemeinsam gelaufen. Die Familie sei dann getrennt worden und der BF sei bei ihnen geblieben. Der Vater des BF sei damals wegen der Taliban in den Iran gezogen.

4. Mit den oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.02.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 08.02.2019 erteilt (Spruchpunkt III.).

5. Gegen Spruchpunkte I. des Bescheides wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Darin wird unter anderem ausgeführt, dass der Onkel des BF fast überhaupt nicht zu einer möglichen Verfolgungsgefahr des BF in Afghanistan befragt worden sei. Der BF sei überhaupt nicht befragt worden. Die Behörde habe wichtige Ermittlungsschritte unterlassen.

6. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und sind am 16.03.2018 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Pkt. I. dargelegte Verfahrensgang wird festgestellt.

2. Beweiswürdigung:

Die getroffenen Feststellungen ergeben sich - ebenso wie der unter Pkt. I. dargelegte Verfahrensgang - zweifelsfrei aus dem Inhalt des vorliegenden Verfahrensakts. Dass der Beschwerdeführer minderjährig ist, ergibt sich aus seinem unbestrittenen Geburtsdatum XXXX .

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG entscheiden die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da eine Senatsentscheidung in den einschlägigen Bundesgesetzen nicht vorgesehen ist, liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A) Zurückverweisung:

Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist (§ 28 Abs. 3 dritter Satz VwGVG).

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH 10.09.2014, Ra 2014/08/0005; 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Gemäß § 18 AsylG 2005 hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

Gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 ist ein Fremder, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach Antragstellung oder im Zulassungsverfahren zu befragen. Diese Befragung dient insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden und hat sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen. Diese Einschränkung gilt nicht, wenn es sich um einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) handelt.

Gemäß § 19 Abs. 2 AsylG 2005 ist ein Asylwerber vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, soweit er nicht auf Grund von in seiner Person gelegenen Umständen nicht in der Lage ist, durch Aussagen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen, zumindest einmal im Zulassungsverfahren und – soweit nicht bereits im Zulassungsverfahren über den Antrag entschieden wird – zumindest einmal nach Zulassung des Verfahrens einzuvernehmen. Steht der entscheidungsrelevante Sachverhalt fest und hat sich der Asylwerber dem Verfahren entzogen, so steht gemäß § 24 Abs. 3 AsylG 2005 die Tatsache, dass der Asylwerber vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht bisher nicht einvernommen wurde, einer Entscheidung nicht entgegen.

Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner Rechtsprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei Letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH 26.11.2003, 2003/20/0389).

Im vorliegenden Fall stützte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl seine Entscheidung bezüglich der Frage des Vorliegens asylrelevanter Verfolgung ausschließlich auf die Erstbefragung und die niederschriftliche Einvernahme des Onkels des BF. Der Onkel des BF wurde dabei nicht im Detail zu den Fluchtgründen des BF befragt. Dass der damals 13-jährige und nunmehr 15-jährige Beschwerdeführer nicht einvernahmefähig wäre oder zu entscheidungsmaßgeblichen Umständen aus sonstigen Gründen keine Aussagen treffen könnte, kam im Verfahren nicht hervor.

Wie in der gegenständlichen Beschwerde zu Recht moniert wird, unterließ die belangte Behörde weitere Erhebungen zu dem im vorliegenden Verfahren maßgebenden Sachverhalt; sie sah insbesondere davon ab, den BF selbst einzuvernehmen und zu seinen Fluchtgründen zu befragen. Mangels Durchführung einer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wurde dem BF keine Gelegenheit zu einem diesbezüglichen Vorbringen gegeben; insbesondere konnte er kein Vorbringen zu der von ihm in der Beschwerde behaupteten asylrelevanten kinderspezifischen Verfolgung erstatten. Auch der Onkel des BF wurde nicht ausreichend zu den Fluchtgründen des BF befragt. Es wurde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit in Bezug auf den Fluchtgrund es BF unterlassen.

Der angefochtene Bescheid leidet daher unter erheblichen Ermittlungsmängeln in Bezug auf die Frage der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer konkret und gezielt gegen den BF gerichteten Verfolgung maßgeblicher Intensität; der vorliegende Sachverhalt erweist sich für das Bundesverwaltungsgericht zur Beurteilung einer allfälligen Gefährdung des BF unter dem Aspekt der Gewährung des Status der Asylberechtigten als so mangelhaft, dass weitere Ermittlungen des Sachverhaltes diesbezüglich unerlässlich erscheinen.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, vor allem unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist, und weil eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird im fortgesetzten Verfahren den BF und allfällig den Onkel bzw. andere Verwandte des BF einzuvernehmen und sich mit seinem bzw. ihrem Vorbringen zu seinen Fluchtgründen im Wege einer ganzheitlichen Würdigung auseinanderzusetzen haben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die hier anzuwendenden Regelungen erweisen sich als klar und eindeutig (vgl. dazu auch OGH 22.3.1992, 5 Ob 105/90; vgl. zur Unzulässigkeit der Revision bei eindeutiger Rechtslage trotz fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa VwGH 28.05.2014, Ro 2014/07/0053). Die Aufhebung der angefochtenen Bescheide und die Zurückverweisung der Angelegenheit an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Erlassung von neuen Bescheiden ergeht in Anlehnung an die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W138.2189499.1.01

Im RIS seit

30.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

30.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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