TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/10 W261 2189289-1

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Veröffentlicht am 10.09.2020
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Entscheidungsdatum

10.09.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §6 Abs1 Z4
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W261 2189289-1/39E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX auch XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Benno WAGENEDER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, Außenstelle Linz vom 01.02.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung von mündlichen Verhandlungen zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und dem Beschwerdeführer wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 12.06.2015 nach gemeinsamer Einreise mit seiner Ehefrau XXXX (IFA: XXXX ) und seinem minderjährigen Sohn XXXX (IFA: XXXX ) einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Am 14.06.2015 fand seine Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Dabei gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen an, seine Frau sei seinem Cousin versprochen gewesen. Sie habe ihn nicht heiraten wollen. Sie hätten sich ineinander verliebt. Sie hätten nur zusammenleben können, wenn sie fliehen würden, ansonsten hätte ihre Familie niemals zu ihrer Eheschließung eingewilligt. Aus diesem Grund seien sie geflohen.

2. Mit Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden belangte Behörde) vom 23.09.2015 wurde dem Beschwerdeführer die aufgrund des Grundversorgungsgesetzes-Bund 2005 bisher gewährte Versorgung gemäß § 2 Abs. 4 GVG-B 2005 mit 23.09.2015 wegen Verstoßes gegen die Hausordnung entzogen. Der Beschwerdeführer erhob fristgerecht Vorstellung gegen den Mandatsbescheid.

3. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 14.12.2015, Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15 Abs. 1, 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, die ihm unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

4. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 29.02.2016 wurde dem Beschwerdeführer die aufgrund des Grundversorgungsgesetzes-Bund 2005 bisher gewährte Versorgung gemäß § 2 Abs. 4 GVG-B 2005 mit 30.09.2015 wegen Verstoßes gegen die Hausordnung entzogen. Die gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.05.2017, Zl. W264 2123199-1/24E, als unbegründet abgewiesen.

5. Die Ersteinvernahme im inhaltlichen Asylverfahren vor der belangten Behörde fand am 17.08.2017 statt. Dabei gab der Beschwerdeführer zu seinen persönlichen Umständen im Wesentlichen an, er sei Hazara und schiitischer Muslim. Er stamme aus dem Dorf XXXX im Distrikt Jaghuri in der Provinz Ghazni, wo er bis zu seinem 12. Lebensjahr gelebt habe. Dann sei er zusammen mit seinem älteren Bruder in den Iran gegangen. In Afghanistan habe er sechs Jahre lang die Schule besucht, im Iran habe er zuerst als Hilfsarbeiter und dann als Steinmetz in einer Steinfabrik gearbeitet. Seine Eltern, vier jüngere Brüder und zwei Schwestern würden noch in der Provinz Ghazni wohnen, sein älterer Bruder wohne im Iran. Im Jahr 2011 habe er im Iran traditionell geheiratet, 2013 sei sein Sohn geboren. Seine Ehefrau und sein Sohn würden ebenfalls in Österreich, aber getrennt von ihm, leben. Im Rahmen der Einvernahme legte der Beschwerdeführer Integrationsunterlagen und afghanische Dokumente vor.

Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, als er 12 Jahre alt gewesen sei, seien die Taliban in ihr Dorf und in ihre Schule gekommen und hätten ihnen arabische Bücher gebracht. Sie hätten auch die Kleidung der Taliban tragen müssen. Nach zwei Monaten sei er nicht mehr in die Schule gegangen, da er ohne Arabischkenntnisse nichts verstanden habe. Deshalb hätten sein Bruder und er beschlossen, in den Iran zu gehen. Er persönlich sei nicht verfolgt worden. Den Iran habe er verlassen, da er dort illegal gelebt habe, bereits zweimal nach Afghanistan abgeschoben worden sei und Angst gehabt habe, erneut abgeschoben zu werden. Seine Angaben bei der Erstbefragung zu einer Verfolgung durch die Familie seiner Frau würden nicht stimmen. Er habe gehört, dass er mit diesem Fluchtgrund Asyl bekomme und daher falsche Angaben gemacht. Er sei auch aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit als Hazara bedroht, in Afghanistan würden die Sunniten die Schiiten unterdrücken.

6. Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid vom 01.02.2018 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab. Es wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung wurde aberkannt (Spruchpunkt VI.). Es wurde festgesellt, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VII.) und der Beschwerdeführer sein Aufenthaltsrecht ab dem 20.10.2015 verloren habe (Spruchpunkt VIII.). Schließlich wurde gegen ihn ein auf fünf Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IX.)

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan je von den Taliban oder sonstigen Personen verfolgt oder bedroht worden sei. Es habe auch aus sonstigen Gründen keine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen festgestellt werden können. Der Beschwerdeführer sei gesund und arbeitsfähig und verfüge über Angehörige in Form seiner Eltern und Geschwister in Afghanistan, er könne daher Unterstützung bekommen. Er habe eine sechsjährige Schulbildung und Berufserfahrung als Steinmetz. Er würde im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan in keine existenzbedrohende Notlage geraten. Es bestehe zwar eine relevante Gefährdungslage in Bezug auf seine Heimatprovinz Ghazni, die Sicherheitslage in Kabul sei jedoch ausreichend sicher, wo ihm eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer mit XXXX verheiratet oder der Vater von XXXX sei. Es bestehe kein gemeinsames Familienleben mehr. Zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung wurde ausgeführt, angesichts der Verurteilung des Beschwerdeführers wegen versuchter schwerer Nötigung, sechs Eintragungen im kriminalpolizeilichen Aktenindex (KPA) sowie falscher Angaben gegenüber den Behörden sei anzunehmen, dass er eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstelle. Sein Antrag auf internationalen Schutz habe keine Aussicht auf Erfolg und ihm drohe keine Gefahr im Herkunftsstaat. Das Einreiseverbot sei zulässig, da der Beschwerdeführer mit seiner illegalen Einreise gegen das Grenzkontrollgesetz verstoßen habe und die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde.

7. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid durch seine bevollmächtigte Vertretung mit Schreiben vom 07.03.2018 fristgerecht Beschwerde. Er brachte im Wesentlichen vor, die Feststellung der belangten Behörde, die von ihm geschilderte Verfolgung sei unglaubwürdig, erscheine gänzlich willkürlich. Die von der Behörde herangezogenen Länderfeststellungen würden sich nur unzureichend mit der aktuellen Sicherheitslage, speziell mit den Problemen für Rückkehrer nach Kabul, befassen, weshalb ergänzend auf Länderberichte zu diesen Themen verwiesen werde. Der Beschwerdeführer habe glaubhaft vorgebracht, dass er in Afghanistan von Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur religiösen und ethnischen Gruppe der schiitischen Hazara bedroht sei. Ebenso wäre er einer Verfolgung bzw. schweren Diskriminierung ausgesetzt, da er den Großteil seines Lebens im Iran verbracht habe und dies durch seinen Akzent erkennbar sei. Ihm wäre bei richtiger rechtlicher Beurteilung daher Asyl, jedenfalls aber subsidiärer Schutz zuzuerkennen. Es liege auch ein schützenswertes Familienleben mit seinem Sohn vor, mit dem er zwar unregelmäßig Kontakt habe, aber wenn er ihn sehen könne/dürfe, sei eindeutig eine Vater-Sohn-Beziehung gegeben.

8. Die belangte Behörde legte das Beschwerdeverfahren mit Schreiben vom 14.03.2018 dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor, wo dieses am 15.03.2018 in der Gerichtsabteilung W263 einlangte.

9. Mit Teilerkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.03.2018, Zl. W263 2189289-1/3Z, wurde der Beschwerde gegen Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides Folge gegeben und dieser behoben. Gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

10. Mit Eingabe vom 14.05.2019 gab der Beschwerdeführer die Bevollmächtigung seiner nunmehrigen rechtlichen Vertretung bekannt und brachte zugleich vor, er habe regelmäßig Kontakt zu Pfarrer Dr. XXXX und setze sich gemeinsam mit diesem mit den Unterschieden des Islams und der katholischen Religion auseinander. Der Kontakt zu seinem Sohn sei aufrecht, und er nehme Besuchskontakte wahr. Der Sohn brauche für seine Entwicklung diese Kontakte zu seinem Vater.

11. Mit Eingabe vom 10.09.2019 legte der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Vertretung Integrationsunterlagen vor.

12. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.01.2020 wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren der Gerichtsabteilung W263 abgenommen und in weiterer Folge der Gerichtsabteilung W261 neu zugewiesen, wo dieses am 27.01.2020 einlangte.

13. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 02.03.2020 eine mündliche Verhandlung durch, im Zuge derer der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen und der Situation im Falle seiner Rückkehr befragt wurde. Die belangte Behörde nahm an der Verhandlung entschuldigt nicht teil. Der Beschwerdeführer legte einen Taufschein, Integrationsunterlagen und Unterlagen zu seinem Familienleben vor. Als Zeugin zur Glaubenspraxis des Beschwerdeführers wurde XXXX einvernommen. Das Bundesverwaltungsgericht legte die aktuellen Länderinformationen vor, und räumte den Parteien des Verfahrens die Möglichkeit ein, hierzu eine Stellungnahme abzugeben.

14. Mit Eingabe vom 19.03.2020 erstattete der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Vertretung eine Stellungnahme, in der er im Wesentlichen ausführte, im Beratungsgespräch zur Abfassung der Beschwerde sei die beginnende Konversion nach Auskunft des damaligen Rechtsberaters kein Thema gewesen. Der Rechtsberater sehe auch keinen zeitlichen Konnex, da die Besprechung nach dem Bescheid vom 01.02.2018, die Taufe erst am 01.12.2019 stattgefunden habe. Zu einem vom Beschwerdeführer in der Verhandlung geschilderten Erlebnis wurde ergänzend vorgebracht, er habe in einem dunklen Zimmer im Pfarrhof Bilder von Christus und der Jungfrau Maria bemerkt, diese betrachtet und nachgedacht. Später habe er ein Frühstück serviert bekommen, obwohl er es nicht verdient zu haben schien. Der ihn aufnehmende katholische Pfarrer Dr. XXXX sei für den Beschwerdeführer als Mensch, Katholik und Priester zum Vorbild geworden. Er sei heute der Meinung, dass so ein wunderbarer Mensch nicht an einen falschen Gott glauben könne. Der Weg zum Christentum sei für den Beschwerdeführer ein langer gewesen, was für die reifliche Überlegung spreche. Mit der Stellungnahme wurde ein Artikel zur Situation afghanischer Rückkehrer vorgelegt.

15. Mit Schreiben vom 02.06.2020 teilte der als Zeuge geladene Pfarrer Dr. XXXX im Wesentlichen mit, dass der Beschwerdeführer am 11.12.2019 getauft worden sei. Davor habe dieser von Jänner bis November 2019 wöchentlich den Taufunterricht besucht. Anfangs habe er als Pfarrer den Taufunterricht erteilt, nach ca. zwei Monaten habe er diese Aufgabe an Diakon Mag. XXXX übergeben. Zudem habe der Beschwerdeführer an zwei zehnwöchigen „Alpha-Kursen“, einem Glaubensseminar, teilnehmen müssen. Von September 2015 bis Juli 2017 habe der Beschwerdeführer bei ihm im Pfarrhof gelebt, er habe diesen jedoch niemals über die Möglichkeit, Christ zu werden, informiert, oder ihn in irgendeiner Form dazu gedrängt. Er fragte auch an, ob es möglich wäre, anstelle seiner Einvernahme als Zeuge eine schriftliche Stellungnahme einzubringen.

16. Mit Schreiben vom 09.06.2020 teilte das Bundesverwaltungsgericht Pfarrer Dr. XXXX in Beantwortung seines Schreibens mit, dass es erforderlich sei, dass er bzw. eine Person, die den Konversionsprozess des Beschwerdeführers maßgeblich begleitet habe, persönlich als Zeuge aussage. Es wäre möglich, dass der von ihm genannte Diakon Mag. XXXX an seiner Stelle eine Aussage mache.

17. Mit Eingabe vom 15.06.2020 regte der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Vertretung an, Diakon Mag. XXXX als Zeugen einzuvernehmen. Neben dem Pfarrer habe auch dieser den Taufunterricht durchgeführt und könne daher zu einem Großteil des Konversionsprozesses Auskunft geben. Pfarrer Dr. XXXX habe für seine Mitarbeiter die Richtlinie ausgegeben, dass keine Mission stattzufinden habe.

18. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 09.07.2020 eine weitere mündliche Verhandlung durch, im Zuge derer der Beschwerdeführer ergänzend zu seiner Konversion befragt wurde. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm an der Verhandlung teil. Der Beschwerdeführer legte Unterlagen zu seiner Integration und seinem Familienleben vor. Als Zeugen zur Konversion des Beschwerdeführers wurden Diakon Mag. XXXX und Pfarrer Dr. XXXX einvernommen. Das Bundesverwaltungsgericht legte die aktuellen Länderinformationen vor, und räumte den Parteien des Verfahrens die Möglichkeit ein, hierzu eine Stellungnahme abzugeben.

19. Mit Schreiben vom 20.07.2020 teilte das Bundesverwaltungsgericht den Verfahrensparteien mit, dass ergänzende Ermittlungen dazu durchgeführt worden seien, ob der Beschwerdeführer in den letzten Monaten körperlich gewalttätige Übergriffe gegen seine Ex-Frau vorgenommen habe. Einer telefonischen Auskunft einer Vertreterin der Unterkunft der Ex-Frau zufolge sei dies seit Februar 2020 und auch in den Monaten davor nicht der Fall gewesen. Es fänden alle zwei Wochen Besuchskontakte mit dem gemeinsamen minderjährigen Sohn statt, die ohne spezielle Vorfälle verlaufen würden. Der Beschwerdeführer habe zeitweise Probleme, Grenzen einzuhalten, diese Grenzüberschreitungen seien jedoch körperlich immer gewaltfrei verlaufen.

II.     Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1.    Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX bzw. XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und wuchs als schiitischer Muslim auf. Seine Muttersprache ist Dari, er spricht auch Farsi, Englisch und Deutsch auf dem Niveau B1.

Der Beschwerdeführer stammt aus dem Dorf XXXX im Distrikt Jaghuri in der Provinz Ghazni. Sein Vater heißt XXXX , er arbeitet in der Landwirtschaft. Seine Mutter heißt XXXX , sie ist Hausfrau. Er hat vier Brüder, XXXX , XXXX , XXXX und XXXX , sowie zwei Schwestern, XXXX und XXXX .

Der Beschwerdeführer lebte bis zu seinem 12. Lebensjahr im Heimatdorf. Er besuchte dort sechs Jahre lang die Grundschule. Im Jahr 2000 verließ er Afghanistan gemeinsam mit seinem Bruder XXXX und zog mit diesem in die Stadt Ghom im Iran. Dort arbeitete er das erste halbe Jahr als Hilfsarbeiter und danach bis zur Ausreise als Steinmetz in einer Steinfabrik.

Im Jahr 2012 heiratete er im Iran traditionell seine Ehefrau XXXX . Dieser Beziehung entstammt der gemeinsame Sohn XXXX , geb. XXXX .

Die Eltern und zwei Brüder des Beschwerdeführers, XXXX und XXXX , leben noch im Heimatdorf in einem gemeinsamen Haushalt. Seine beiden Schwestern, XXXX und XXXX , sind verheiratet und leben wie auch sein Bruder XXXX an anderen Orten in der Provinz Ghazni. Sein Bruder XXXX lebt im Iran. Ein Onkel väterlicherseits lebt auch im Heimatdorf, zwei Onkel mütterlicherseits leben im Iran. Der Beschwerdeführer hat gelegentlich Kontakt zu seiner Familie.

Der Beschwerdeführer stellte nach gemeinsamer Einreise mit seiner Ehefrau und seinem minderjährigen Sohn am 12.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Der Beschwerdeführer ist gesund.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer wuchs als schiitischer Muslim auf und ist nunmehr bekennender römisch-katholischer Christ. Er wurde am 01.12.2019 in der Basilika XXXX der Pfarre XXXX von Pfarrer Dr. XXXX getauft.

Erstmals mit dem Christentum in Kontakt kam der Beschwerdeführer, als er von September 2015 bis Juli 2017 im Pfarrhof der Pfarre XXXX lebte. Pfarrer XXXX beeindruckte ihn in zunächst vor allem in persönlicher Hinsicht sehr, sodass er zunehmend auch an dessen Religion interessiert war. Der Beschwerdeführer engagierte sich ehrenamtlich für die Pfarre, besuchte wiederholt Gottesdienste und blieb der Pfarrgemeinschaft auch nach seinem Umzug in eine private Unterkunft 2017 eng verbunden. Im Jänner 2019 begann er auf eigenen Wunsch einen nach den Richtlinien der österreichischen Bischöfe zum Katechumenat von Asylwerbern abgehaltenen Taufvorbereitungskurs, der zunächst von Pfarrer XXXX und dann von Diakon Mag. XXXX geleitet wurde. Zudem nahm er an zwei zehnwöchigen „Alpha“-Kursen, zusätzlichen Glaubensseminaren, teil. Nach Absolvierung des Vorbereitungskurses wurde er im November 2019 zur Taufe zugelassen.

Der Beschwerdeführer lebt seinen christlichen Glauben in Österreich offen aus. Er besucht regelmäßig Gottesdienste in der Pfarre XXXX und nimmt an kirchlichen Aktivitäten teil. Der Beschwerdeführer hat den christlichen Glauben verinnerlicht, ist aus innerer Überzeugung konvertiert und würde seinen christlichen Glauben auch im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan weiter ausüben und seine Konversion nicht widerrufen.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan droht dem Beschwerdeführer individuell und konkret Lebensgefahr sowie ein Eingriff in seine körperliche Integrität aufgrund seiner Konversion und Ausübung seines Glaubens in Afghanistan.

Es liegen keine Gründe vor, nach denen der Beschwerdeführer von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten auszuschließen ist. Solche Gründe sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

1.3. Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und hält sich zumindest seit Juni 2015 durchgehend in Österreich auf. Er ist nach seinem Antrag auf internationalen Schutz vom 12.06.2015 in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig.

Der Beschwerdeführer nahm in Österreich an mehreren Deutschkursen und an einem Werte- und Orientierungskurs teil. Er absolvierte eine B1-Deutschprüfung und bestand im September 2019 die Pflichtschulabschlussprüfung.

Der Beschwerdeführer engagiert sich seit 2015 freiwillig in verschiedenen Bereichen für die Pfarre XXXX . Er war von 01.01.2019 bis 02.09.2019 ehrenamtlich für das Rote Kreuz, Ortsstelle XXXX , im Besuchsdienst tätig. Im Seniorenwohnheim XXXX verrichtet er Sozialstunden und darüber hinaus ehrenamtlich tätig. Der Beschwerdeführer lebt von der Grundversorgung, er ist am österreichischen Arbeitsmarkt nicht integriert und geht keiner Erwerbstätigkeit nach. Er verfügt über keine verbindliche Arbeitszusage.

In Österreich leben die Ehefrau, XXXX , und der minderjährige Sohn des Beschwerdeführers, XXXX , als Asylberechtigte. Seit September 2015 leben sie getrennt von ihm in einem eigenen Haushalt. Der Beschwerdeführer hat regelmäßig Kontakt zu seinem Sohn und trifft diesen alle zwei Wochen, mit seiner Ehefrau hat er nur im Rahmen dieser Treffen Kontakt. Die Besuchskontakte verlaufen ohne besondere Vorfälle. Es besteht ein aufrechtes Familienleben mit seinem Sohn, nicht aber mit seiner Ehefrau.

Am 22.09.2015 wurden gegen den Beschwerdeführer ein Betretungsverbot gemäß § 38a Sicherheitspolizeigesetz (SPG) verhängt und eine Wegweisung ausgesprochen, da er seine Ehefrau wiederholt misshandelt und verletzt habe. Aus demselben Grund wurde ihm mit Mandatsbescheid der belangten Behörde ab 23.09.2015 (mit späterem Bescheid abgeändert auf 30.09.2015) wegen Verstoßes gegen die Hausordnung die Grundversorgung entzogen.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 14.12.2015, Zl. XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15 Abs. 1, 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, die ihm unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass er am 20.10.2015 seine Ehefrau zu einer Handlung, die besonders wichtige Interessen der genötigten Person verletzt, zu nötigen versuchte, und zwar dazu, in einem gemeinsamen Haushalt zu leben, indem er äußerte, er werde sie umbringen und ihr den gemeinsamen Sohn wegnehmen, sollte sie sich nicht bereit erklären, mit ihm zusammenzuleben, und die Anzeige gegen ihn nicht zurückziehen.

Davon abgesehen ist der Beschwerdeführer in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.4.    Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:

-        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019 mit Stand 21.07.2020 (LIB),

-        UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR),

-         EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2019 (EASO)

-        ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage in der Stadt Masar-e Sharif und Umgebung; Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie vom 30.04.2020 (ACCORD Masar-e Sharif)

-        ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage in der Stadt Herat; Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie vom 23.04.2020 (ACCORD Herat)

-        ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Apostasie, Blasphemie, Konversion, Verstoß gegen islamische Verhaltensregeln, gesellschaftliche Wahrnehmung von RückkehrerInnen aus Europa vom 15.06.2020

-        ACCORD Afghanistan: Covid-19 (allgemeine Informationen; Lockdown-Maßnahmen; Proteste; Auswirkungen auf Gesundheitssystem, Versorgungslage, Lage von Frauen und RückkehrerInnen; Reaktionen der Taliban; Stigmatisierung) vom 05.06.2020

1.4.1.  Allgemeine Sicherheitslage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 2).

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen anderen gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 2). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B).

Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan’s Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police). Die ANA untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig, ihre primäre Aufgabe ist jedoch die Bekämpfung der Aufständischen innerhalb Afghanistans. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul (LIB, Kapitel 4).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus (LIB, Kapitel 2).

1.4.1.1.  Aktuelle Entwicklungen

Die afghanischen Regierungskräfte und die Amerikaner können die Taliban, die über rund 60.000 Mann verfügen, nicht besiegen. Auch die Islamisten sind nicht stark genug, um die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation (LIB Kapitel 1).

Dieser Konflikt in Afghanistan kann nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann. Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten. Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist. Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (LIB, Kapitel 2).

Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen (Stand Ende 2019: rund 6.700 Mann) sollen abgezogen werden (LIB, Kapitel 1).

Die Verhandlungen mit den Taliban stocken auch aufgrund des innerpolitischen Disputes zwischen Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah, die beide die Präsidentschaft für sich beanspruchten. Die Taliban haben seit dem unterzeichneten Abkommen im Februar mehr als 4.500 Angriffe verübt. Die von dieser Gewalt am stärksten betroffenen Provinzen sind auch jene Provinzen, die am stärksten von COVID-19-Fällen betroffen sind. In den innerafghanischen Gesprächen wird es um die künftige Staatsordnung, eine Machtteilung und die Integration der Aufständischen gehen (LIB, Kapitel 1).

1.4.2. Allgemeine Wirtschaftslage

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Lebensgrundlage für rund 80 % der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 20).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB, Kapitel 20).

In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5 % der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80 % der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20 %), während sie im Winter 32,5 % erreichen kann (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Aufgrund der COVID-19 Maßnahmen der afghanischen Regierung sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen. Offiziellen Schätzungen zufolge können z. B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge lebt 52 % der Bevölkerung in Armut, während 45 % in Ernährungsunsicherheit lebt. Dem Lock down Folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen:

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein „Solidaritätsprogramm“ entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei welchem bedürftigen Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden. In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes. Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern. Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

In Afghanistan gibt es neben der Zentralbank auch mehrere kommerzielle Banken. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Geld kann auch über das Hawala System (Form des Geldtausches) transferiert werden. Dieses System funktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich und wird von verschiedenen Bevölkerungsschichten verwendet (LIB, Kapitel 20).

Im Zeitraum von 2016 bis 2017 waren 44,6 % der afghanischen Bevölkerung sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72 %, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86 % der städtischen Häuser in Afghanistan können (gemäß der Definition von UN-Habitat) als Slums eingestuft werden. Der Zugang zu angemessenem Wohnraum stellt für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung dar (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bieten die Städte normalerweise die Möglichkeit von „Teehäusern“, die mit 30 Afghani (das sind ca. € 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. € 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. „Teehäuser“ werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V). Derzeit sind die meisten Teehäuser, Hotels und ähnliche Orte sind aufgrund der COVID-19-Maßnahmen geschlossen, es sei denn, sie wurden geheim und unbemerkt von staatlichen Stellen geöffnet (LIB, Kurzinformation 21.07.2020)

Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

1.4.3. Medizinische Versorgung

Das afghanische Gesundheitsministerium gab an, dass 60 % der Menschen im April 2018 Zugang zu Gesundheitsdiensten hatten, wobei der Zugang als eine Stunde Fußweg zur nächsten Klinik definiert wurde. Trotz der Tatsache, dass die Gesundheitsversorgung laut afghanischer Verfassung kostenlos sein sollte, müssen die Menschen in vielen öffentlichen Einrichtungen für Medikamente, Arzthonorare, Labortests und stationäre Versorgung bezahlen. Hohe Behandlungskosten sind der Hauptgrund, weswegen die Behandlung vermieden wird (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB, Kapitel 21).

Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände – die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden – sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sind grundsätzlich verfügbar (LIB, Kapitel 21.1).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil. Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei. Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung. Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung. 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten. Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Berichten zufolge haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt, mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2 % der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

1.4.4. Ethnische Minderheiten

In Afghanistan sind ca. 40-42 % Paschtunen, rund 27-30 % Tadschiken, ca. 9-10 % Hazara und 9 % Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB, Kapitel 16).

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9-10 % der Bevölkerung aus. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind die schiitische Konfession (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) und ihre ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild. Ihre Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Kernfamilie bzw. dem Klan. Es bestehen keine sozialen oder politischen Stammesstrukturen (LIB, Kapitel 16.3).

Die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, hat sich grundsätzlich verbessert und Hazara bekleiden inzwischen auch prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind jedoch in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert. Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung. Nichtsdestotrotz, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen (LIB Kapitel 16.3).

Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, dies steht im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen führen weiterhin zu Konflikten und Tötungen. Angriffe durch den ISKP und andere aufständische Gruppierungen auf spezifische religiöse und ethno-religiöse Gruppen – inklusive der schiitischen Hazara – halten an (LIB, Kapitel 16.3).

1.4.5.  Religionen

Etwa 99 % der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80–89,7 % Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB Kapitel 15).

Ausländische Christen und die wenigen Afghanen, die originäre Christen und nicht vom Islam konvertiert sind, werden normal und fair behandelt. Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert (LIB, Kapitel 15.2).

Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam. Laut islamischer Rechtsprechung soll jeder Konvertit drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum der Abtrünnigen konfiszieren und deren Erbrecht einschränken. Konvertiten vom Islam zum Christentum werden von der Gesellschaft nicht gut behandelt, weswegen sie sich meist nicht öffentlich bekennen. In den meisten Fällen versuchen die Behörden Konvertiten gegen die schlechte Behandlung durch die Gesellschaft zu unterstützen, zumindest um potenzielles Chaos und Misshandlung zu vermeiden. Missionierungen sind illegal. Die öffentliche Meinung stehe Christen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber (LIB, Kapitel 15.2).

Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht. Es gibt keine Berichte über die Verhängung der Todesstrafe aufgrund von Apostasie oder der Strafverfolgung bei Blasphemie. Gefahr bis hin zur Ermordung droht Konvertiten hingegen oft aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld. Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden. Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, sind Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt, aber eher nicht von staatlichen Akteuren. Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (LIB, Kapitel 15.5).

1.4.6.  Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB, Kapitel 10).

Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden nach wie vor in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betroffenen Gebiete tatsächlich kontrolliert (UNHCR, Kapitel II. C. 1).

Die Fähigkeit der Regierung, Menschenrechte zu schützen, wird durch die Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte untergraben. Insbesondere ländliche und instabile Gebiete leiden unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden (UNHCR, Kapitel II. C. 2).

1.4.7.  Bewegungsfreiheit und Meldewesen

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB, Kapitel 19).

In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z. B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden. In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

Die großen COVID-19-bedingten Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen. Afghanistan hat mit 24.06.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish-Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wiederaufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird. Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.06.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wiederaufgenommen. Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wiederaufgenommen. Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich. Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB, Kapitel 18.1).

1.4.8.  Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB, Kapitel 2).

Taliban:

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB, Kapitel 2).

Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer, davon rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten und der Rest ist Teil der lokalen Milizen. Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB, Kapitel 2).

Die Taliban sind keine monolithische Organisation; nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind (LIB, Kapitel 2).

Zwischen 01.12.2018 und 31.05.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel – die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB, Kapitel 2).

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte. Die Taliban setzen Aktivitäten, um das Bewusstsein der Bevölkerung um COVID-19 in den von diesen kontrollierten Landesteilen zu stärken. Sie verteilen Schutzhandschuhe, Masken und Broschüren, führen COVID-19 Tests durch und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen an (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

1.4.9. Relevante Provinzen und Städte

1.4.9.1. Herkunftsprovinz Ghazni

Die Provinz Ghazni liegt im Südosten Afghanistans. Fast die Hälfte der Bevölkerung von Ghazni sind Paschtunen, etwas weniger als die Hälfte sind Hazara und rund 5% sind Tadschiken. Ghazni hat 1.338.597 Einwohner (LIB, Kapitel 2.10).

Ghazni gehört zu den relativ volatilen Provinzen im Südosten Afghanistans. Taliban-Kämpfer sind in einigen der unruhigen Distrikte der Provinz aktiv, wo sie oft versuchen, terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitseinrichtungen durchzuführen. Gleichzeitig führen die Regierungskräfte regelmäßig Operationen in Ghazni durch, um die Aufständischen aus der Provinz zu vertreiben. In der Provinz kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen, Luftangriffen und Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften. Im Jahr 2019 gab es 673 zivile Opfer (213 Tote und 460 Verletzte) in der Provinz Ghazni. Dies entspricht einer Steigerung von 3% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmordattentate, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und Kämpfen am Boden (LIB, Kapitel 2.10).

In der Provinz Ghazni reicht eine „bloße Präsenz“ in dem Gebiet nicht aus, um ein reales Risiko für ernsthafte Schäden gemäß Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie festzustellen. Es wird dort jedoch ein hohes Maß an willkürlicher Gewalt erreicht, und dementsprechend ist ein geringeres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um die Annahme zu begründen, dass ein Zivilist, der dieses Gebiet zurückgekehrt ist, einem realen Risiko eines ernsthaften Schadens im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie ausgesetzt ist (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

1.4.9.2. Provinz bzw. Stadt Kabul

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans. Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Die Stadt Kabul ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, sie hat 5.029.850 Einwohner. Kabul ist Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt (LIB, Kapitel 3.1). Die Stadt Kabul ist über Hauptstraßen mit den anderen Provinzen des Landes verbunden und verfügt über einen internationalen Flughafen (LIB Kapitel 2.1 und Kapitel 2.35).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele durch, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Im Jahr 2019 gab es 1.563 zivile Opfer (261 Tote und 1.302 Verletzte) in der Provinz Kabul. Dies entspricht einem Rückgang von 16 % gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmordangriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (LIB, Kapitel 2.1).

Kabul zählt zu jenen Provinzen, in denen es zu willkürlicher Gewalt kommt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

In Kabul leben 70.000 bis 80.000 Binnenvertriebene (LIB, Kapitel 2.1).

Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war in den letzten Jahren das Zentrum dieses Wachstums. Schätzungsweise 70% der Bevölkerung Kabuls lebt in informellen Siedlungen (Slums), welche den meisten Einwohnern der Stadt preiswerte Wohnmöglichkeiten bieten. (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Es gibt eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten. Die besten (Arbeits-)Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul. Trotz der niedrigeren Erwerbsquoten ist der Frauenanteil in hoch qualifizierten Berufen in Kabul (49,6 %) am größten (LIB, Kapitel 20).

Die Gehälter in Kabul sind in der Regel höher als in anderen Provinzen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Das Hunger-Frühwarnsystem (FEWS) stufte Kabul im Dezember 2018 als „gestresst“ ein, was bedeutet, dass Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch aufweisen und nicht in der Lage seien sich wesentliche, nicht nahrungsbezogenen Güter zu leisten, ohne irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Schätzungen zufolge haben 32 % der Bevölkerung Kabuls Zugang zu fließendem Wasser, und nur 10% der Einwohner erhalten Trinkwasser. Diejenigen, die es sich leisten können, bohren ihre eigenen Brunnen. Viele arme Einwohner von Kabul sind auf öffentliche Zapfstellen angewiesen, die oft weit von ihren Häusern entfernt sind. Der Großteil der gemeinsamen Wasserstellen und Brunnen in der Hauptstadt ist durch häusliches und industrielles Abwasser verseucht, das in den Kabul-Fluss eingeleitet wird, was ernste gesundheitliche Bedenken aufwirft. Fast die Hälfte der Bevölkerung in Kabul verfügt über sanitäre Grundversorgung (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In der Stadt Kabul besteht Zugang zu öffentlichen und privaten Gesundheitsdiensten. Nach verschiedenen Quellen gibt es in Kabul ein oder zwei öffentliche psychiatrische Kliniken (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

1.4.9.3. Provinz Balkh bzw. Stadt Mazar-e Sharif

Balkh liegt im Norden Afghanistans. Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. In der Provinz Balkh leben 1.475.649 Personen, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif. (LIB, Kapitel 2.5).

Balkh zählt zu den relativ stabilen und ruhigen Provinzen Afghanistans. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Im Jahr 2019 gab es 277 zivile Opfer (108 Tote und 169 Verletzte) in der Provinz Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 22 % gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen. (LIB, Kapitel 2.5).

In der Provinz Balkh – mit Ausnahme der Stadt Mazar- e Sharif – kommt es zu willkürlicher Gewalt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

Die Hauptstadt der Provinz Balkh ist Mazar-e Sharif. In dieser Stadt findet willkürliche Gewalt auf einem niedrigen Niveau statt. Im Allgemeinen besteht kein reales Risiko, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen wird. Es müssen jedoch immer individuelle Risikoelemente berücksichtigt werden, da sie den Antragsteller in risikoreichere Situationen bringen könnten (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III).

Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) legal zu erreichen (LIB, Kapitel 21). Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz, ein regionales Handelszentrum sowie ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen (LIB, Kapitel 21). Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als wirtschaftlich relativ stabiler. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt Mazar-e Sharif sind im Dienstleistungsbereich und als Verkäufer tätig (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In der Stadt Mazar-e Sharif gab bzw. gibt es aufgrund der Corona Pandemie Ausgangssperren. Durch diese Ausgangssperren sind insbesondere Taglöhner, welche auf ihre tägliche Arbeit und ihren täglichen Lohn angewiesen sind, und Familien, welche nicht auf landwirtschaftliche Einkünfte zugreifen können, besonders betroffen (ACCORD Masar-e Sharif).

Die Unterkunftssituation stellt sich in Mazar-e Sharif, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Mazar-e Sharif besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten. (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V). Derzeit sind die meisten Teehäuser, Hotels und ähnliche Orte sind aufgrund der COVID-19-Maßnahmen geschlossen, es sei denn, sie wurden geheim und unbemerkt von staatlichen Stellen geöffnet (LIB, Kurzinformation 21.07.2020).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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