TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/15 W139 2138830-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.09.2020
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Entscheidungsdatum

15.09.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W139 2138830-1/26E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Kristina HOFER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die Arge Rechtsberatung Diakonie Flüchtlingsdienst gem GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.09.2016, Zl. XXXX , nach Durchführung mündlicher Verhandlungen zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste illegal und schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 10.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.       In seiner Erstbefragung am 10.10.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, gab der Beschwerdeführer an, in XXXX , Daikundi, Afghanistan, geboren zu sein und die letzten 15 Jahre vor seiner Flucht illegal in der Stadt Teheran im Iran gelebt zu haben. Seine Familienangehörigen (Mutter, Vater, zwei Brüder und eine Schwester) seien im Iran geblieben. Er gab an, er habe im Iran fünf Jahre die Grundschule besucht und vor seiner Flucht als Schneider gearbeitet. Seine Flucht habe er von Teheran, Iran angetreten. Zum Fluchtgrund führte er aus, dass er den Iran verlassen habe, weil er dort nicht in die Schule gehen habe dürfen und er Angst gehabt habe, die iranische Polizei würde ihn nach Afghanistan oder Syrien schicken. Er gab an, er wolle etwas lernen und im Iran hätte er dazu keine Möglichkeit gehabt.

3.       Aufgrund des 4 Augen Prinzips wurde das Alter des Beschwerdeführers zum Asylantragsstellungszeitpunkt als unter 18 Jahren bestätigt und sein Geburtsdatum, XXXX als glaubwürdig erachtet. Das Land Niederösterreich als Jugendwohlfahrtsträger, legte am 02.12.2015 eine Vertretungs- und Zustellvollmacht gemäß § 10 Abs 3 BFA-VG für die Caritas Erzdiözese Wien vor.

4.       Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 20.04.2016 wiederholte der Beschwerdeführer die im Rahmen der Erstbefragung getätigten Angaben und führte ergänzend im Wesentlichen aus, er gehöre der Volksgruppe Hazara an und habe ca ein Jahr mit seiner Familie in Afghanistan gelebt, dann seien sie in den Iran übersiedelt. Er habe keine Dokumente dazu, da er illegal im Iran gelebt habe. Sein Vater sei als Hilfsarbeiter am Friedhof tätig und seine Mutter sei Hausfrau. Weiters gab er an, dass zwei seiner Onkel noch in Afghanistan seien und mehrere Onkel und Tanten in der Stadt Teheran leben würden. Zu seinen Onkeln in Afghanistan habe er keinen Kontakt, mit seiner Familie im Iran telefoniere er regelmäßig. Seine Geschwister im Iran würden nicht in die Schule gehen und auch nichts arbeiten. Er gab an, dass seine Eltern damals Afghanistan aufgrund des Krieges verlassen haben und die Sicherheitslage dort schlecht sei. Im Iran sei er von der Polizei mehrere Male geschlagen worden, da er illegal dort gewesen sei und keine Aufenthaltskarte besessen habe. Er könne nicht zurück nach Afghanistan, da es dort Selbstmordattentäter und auch Entführungen gebe. Er gab an, in Österreich in XXXX in einer Asylunterkunft zu leben, zudem besuche er die Schule und habe Freunde gefunden. Die Vertreterin legte dazu eine Schulbesuchsbestätigung vor. Weiters führte er aus, dass er kein Mitglied in einem Verein, einer Moschee oder anderen Organisation in Österreich sei. In seiner Freizeit gehe er gerne spazieren oder spiele Gitarre.

5.       Am 03.05.2016 brachte der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Vertreterin eine Stellungnahme zu den Länderfeststellungen bei der belangten Behörde ein.

6.       Mit dem angefochtenen Bescheid vom 20.09.2016 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 20.09.2017 erteilt (Spruchpunkt III.).

Die belangte Behörde führte begründend im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe keine Verfolgung iSd GFK glaubhaft bzw geltend machen können. Da er zeitlebens nicht in Afghanistan gewesen sei, könne auch keine entsprechende Verfolgungsgefahr im Herkunftsland festgestellt werden. Es fehle jedoch eine Lebensgrundlage in Afghanistan, da der Beschwerdeführer dort keinerlei soziale oder tragfähige familiäre Netzwerke mehr habe, wäre er im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan auf sich alleine gestellt. Die Behörde konnte nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen, dass im Falle eine Rückkehr eine reale Gefahr bestehen würde. Daher sei subsidiärer Schutz zu gewähren.

7.       Am 24.10.2016 brachte der Beschwerdeführer – fristgerecht – Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des obgenannten Bescheides ein. Er beantragte die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, in eventu die Zuru?ckverweisung, sowie eine mu?ndliche Verhandlung. Er brachte im Wesentlichen vor, dass es Verfahrensfehler hinsichtlich fehlender Feststellungen, Verletzung des Parteiengehörs und des Grundsatzes der objektiven Wahrheitsfindung und Verletzung des kinderspezifischen Standards gegeben habe. Zudem machte er eine unrichtige rechtliche Beurteilung geltend. Ihm drohe aufgrund seines minderjährigen Alters, seiner auffallenden westlichen Gesinnung, seiner sozialen/familiären Situation und zudem seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit zu den schiitischen Hazara eine Verfolgung.

8.       Am 02.12.2016 legte die Caritas der Erzdiözese Wiens ein Schreiben vor, in dem festgehalten wird, dass das Land Niederösterreich nunmehr die gesetzliche Vertretung im Asylverfahren selbst ausübt.

9.       Am 11.10.2017 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Farsi statt, bei welcher der Beschwerdeführer unter Beisein seiner gesetzlichen Vertreterin einvernommen wurde. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung fern. In Ergänzung der aktenkundigen Unterlagen wurde ein Konvolut an Unterlagen vom Beschwerdeführer vorgelegt (Beilage A zum Verhandlungsprotokoll): ein ÖSD Zertifikat über die bestandene A2 Deutschprüfung vom 22.06.2017, eine Schulbesuchsbestätigung vom 06.04.2016, eine Schwimmkursbestätigung vom 28.02.2017, eine Teilnahmebestätigung am Workshop zur Suchtvorbeugung vom 28.03.2017 sowie eine Bestätigung einer Erste-Hilfe Unterweisung vom 21.07.2016. Er legte außerdem Anfragebeantwortungen und die UNCHR-Richtlinien (Beilage B) sowie eine ACCORD-Anrufbeantwortung zu Baccha Baazi, eine ACCORD-Anrufbeantwortung zur Situation der Hazara und eine Anrufbeantwortung der Staatendokumentation zu Bachha Baazi (Beilage C) vor.

Im Rahmen der Verhandlung wurde der Beschwerdeführer u.a. ausführlich zu seiner Identität und Herkunft, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seinen persönlichen Verhältnissen und seinem Leben in Afghanistan und Iran, seinen Familienangehörigen, seinen Fluchtgründen und seinem Leben in Österreich befragt.

10.      Das erkennende Gericht brachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsland des Beschwerdeführers in das Verfahren ein: Integrierte Kurzinformation vom 25.09.2017, vom 21.12.2017 und vom 30.01.2018 zum Länderinformationsblatt der Staatendokumentation.

11.      Mit Schreiben vom 26.02.2018, brachte der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Vertreterin fristgerecht Stellungnahme zur eingebrachten Länderinformation ein.

12.      Am 12.06.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht erneut eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Farsi statt, bei welcher der Beschwerdeführer – nach ausführlicher Belehrung – auf seinen Wunsch ohne Beiziehung eines Rechtsvertreters einvernommen wurde. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung entschuldigt fern. In Ergänzung der bereits aktenkundigen Unterlagen wurde ein Konvolut an Unterlagen vom Beschwerdeführer vorgelegt (Beilage A zum Verhandlungsprotokoll): ein ÖSD Zertifikat über die bestandene Deutsch Prüfung B1 vom 18.09.2018, ein Empfehlungsschreiben des „Jungend-Bildungszentrum Wien“ vom 11.06.2019, Protokoll der Pflichtschulabschlussprüfung für Berufsorientierung vom 12.11.2018 und ein Protokoll der Pflichtschullabschlussprüfung für Deutsch vom 13.03.2019, eine Teilnahmebestätigung „Werte- und Orientierungskurs“ des ÖIF vom 05.02.2019, ein Lebenslauf vom 29.03.2018 und Fotos über die freiwilligen Tätigkeit am XXXX (ehrenamtlich, immer am Wochenende – wöchentlich). Im Rahmen der Verhandlung wurde der Beschwerdeführer genauer zu den Fluchtgründen, seiner Lebensweise in Österreich und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat befragt.

Das erkennende Gericht verwies auf die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 sowie eine ACCORD-Anfragebeantwortung vom 01.07.2017 zu u.a. Apostaten, sowie Rückkehrern aus Europa etc als weitere Erkenntnisquellen.

13.      Mit Schreiben vom 25.06.2019 wurde eine Vollmachtsbekanntgabe eingebracht, in welcher festgehalten wird, dass die nunmehrige Rechtsvertretung des Beschwerdeführers die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe übernimmt. Gleichzeitig wurde eine Stellungnahme eingebracht, in der auf die UNHCR-Richtlinien hingewiesen wird und insbesondere die kumulativ vorliegenden Gefährdungsmomente des Beschwerdeführers dargetan werden.

14.      Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung brachte das erkennende Gericht mit Schreiben vom 10.07.2020 eine Erkenntnisquelle zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers in das Verfahren ein: Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019 mit aktueller Kurzinformation vom 29.06.2020.

15.      Am 23.07.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine erneute öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi statt, bei welcher der Beschwerdeführer unter Beisein seiner Rechtsvertreterin einvernommen wurde. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung. In Ergänzung der bereits aktenkundigen Unterlagen wurde ein Konvolut an Unterlagen vom Beschwerdeführer vorgelegt (Beilage A zum Verhandlungsprotokoll): ein Jahreszeugnis vom 03.07.2020, eine Schulnachricht vom 31.01.2020, ein Zeugnis über die Pflichtschulschlussprüfung sowie ein Lehrvertrag vom 13.09.2019. Im Rahmen der Verhandlung wurde der Beschwerdeführer erneut genauer zur Identität und Herkunft sowie zu den persönlichen Lebensumständen und zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat befragt.

16.      Im Strafregisterauszug der Republik Österreich vom 11.09.2020 – geführt von der Landespolizeidirektion Wien – scheint keine Verurteilung auf.

II.     Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1.    Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Fluchtgründen:

Aufgrund des Asylantrags vom 10.10.2015, der Einvernahme des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und durch die belangte Behörde, der Beschwerde vom 24.10.2016 gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 20.09.2016, der Einsichtnahme in den bezughabenden Verwaltungsakt, der Einsichtnahme in das zentrale Melderegister, in das Grundversorgungs-Informationssystem, in das Strafregister, die vom Beschwerdeführer vorgelegten Dokumente sowie auf Grundlage der vom Bundesverwaltungsgericht durchgeführten mündlichen Verhandlungen werden die folgenden Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazara an und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam, übte und übt seine Religion aber kaum aus. Für den Vater war es wichtig, dass regelmäßig gebetet wurde, die Mutter war hingegen der Meinung, dass es keinen Zwang gibt, eine Religion auszuüben. Der Beschwerdeführer vertrat und vertritt die Auffassung seiner Mutter und besuchte bereits im Iran und ebenso hier in Österreich nicht regelmäßig die Moschee. Er war und ist kein strenggläubiger Moslem. Seine Muttersprache ist Farsi. Dies ist klar an seiner Aussprache erkennbar. Er spricht zudem Deutsch und Englisch, wobei ihm Deutsch leichter fällt als Englisch. Er ist ledig und kinderlos.

Der Beschwerdeführer wurde in der Provinz Daikundi, im Distrikt XXXX in Afghanistan geboren. Er lebte dort bis zum Alter von einem Jahr mit seiner Familie im Dorf XXXX . Sie verließen damals Afghanistan wegen der dortigen Unsicherheit und des Krieges. Der Beschwerdeführer wuchs im Iran auf. Zuletzt lebte er mit seinen Eltern und seinen zwei Brüdern und seiner Schwester in der Stadt Teheran in einer Mietwohnung. Sein Vater war Hilfsarbeiter am Friedhof und seine Mutter war Hausfrau. Der Beschwerdeführer besuchte fünf Jahre lang die Schule. Danach war es ihm nicht mehr möglich, diese weiter zu besuchen, da er sich illegal im Iran aufhielt. Der Beschwerdeführer erlernte keinen Beruf, arbeitete jedoch drei Jahre in einer Schneiderei als Gehilfe. Manchmal wurde in der Familie traditionelles Essen gekocht und über die Traditionen in Afghanistan erzählt. Sie feierten jedoch wie die Iraner das Ramadan-Fest und das neue Jahr. Seine Familie lebt weiterhin im Iran und einmal wöchentlich telefoniert sie miteinander.

Der Beschwerdeführer hat sich in Österreich bereits sehr gut eingelebt und ist als sehr gut integriert in die österreichische Gesellschaft zu betrachten. Er besuchte von Anbeginn seines Aufenthaltes in Österreich regelmäßig zahlreiche Kurse (ua Werte- und Orientierungskurs) und hat die Pflichtschule abgeschlossen. Seit September letzten Jahres macht er eine Lehre als Tapezierer und Dekorateur. Er ist selbsterhaltungsfähig und bezieht keine Leistungen aus der Grundversorgung. Auch die erste Klasse der Berufsschule hat er bereits erfolgreich abgeschlossen. Er absolvierte die ÖSD Sprachzertifikate KID A2 und B1. Der Beschwerdeführer verfügt über gute Deutschkenntnisse. Er hat viele österreichische und afghanische Freunde gefunden, die er regelmäßig trifft. Seine afghanischen Freunde sind liberal und offen eingestellt. Gemeinsam besuchen sie Konzerte, gehen in die Disco, zum Fußballplatz oder ins Schwimmbad. Der Beschwerdeführer spielt Gitarre. Zudem arbeitet der Beschwerdeführer einmal wöchentlich ehrenamtlich am XXXX . Der Beschwerdeführer nimmt kaum an religiösen Feierlichkeiten teil, er glaubt zwar an Gott, hielt sich jedoch – wie bereits aufgezeigt – bereits im Iran und hält sich nunmehr auch in Österreich nicht streng an die Regeln des Islam und kann auch den Koran nicht lesen. Er ist der Meinung, dass jedem gestattet sein muss, seine Religion so auszuleben kann, wie er möchte. Er hat keine Berührungsängste mit anderen Religionen und ist der österreichischen bzw westlichen Kultur und österreichischen Gesellschaft gegenüber sehr aufgeschlossen, so feiert er gemeinsam mit einer österreichischen Familie wiederholt Geburtstage sowie christliche Feiertage wie Weihnachten und Ostern. Ihm ist es überaus wichtig, in Freiheit leben und über sein Leben selbst entscheiden zu können. Er legt großen Wert auf Bildung und zeigt großes Interesse am Fach Politische Bildung. Er unterstützt es, dass Frauen in Österreich ihre eigenen Entscheidungen treffen, egal ob in Bezug auf Studium, Beruf, Kleidung oder Partnerschaft. Er spricht sich klar gegen die Zwangsverheiratung von Frauen aus.

Der Beschwerdeführer befürchtet im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seiner europäischen Wertehaltung und seiner westlichen Denk- und Verhaltensweise, die er die letzten Jahre während seines Aufenthaltes in Österreich entwickelt und für sich angenommen hat, sehr schnell ins Visier der Taliban zu gelangen. Er wurde außerhalb Afghanistans sozialisiert, war seit der Ausreise aus Afghanistan im Alter von einem Jahr nie mehr in Afghanistan und wurde in einem westlich geprägten Kulturkreis erwachsen. Ihm sind die afghanischen Sitten, Feiertage und Gebräuche nicht gebräuchlich und er verfügt über keinerlei familiäres oder soziales Netzwerkt in Afghanistan.

Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen modernen und aufgeklärten jungen Mann, dessen persönliche Haltung und Denkweise nicht den in der afghanischen Gesellschaft bislang vorherrschenden Denkweisen und gesellschaftlich-religiösen Traditionen entspricht. Er beabsichtigt, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, sich weiterzubilden und Entscheidungen unbeeinflusst von religiösen oder politischen Wertehaltungen zu treffen. Der Beschwerdeführer lehnt aufgrund seiner weltoffenen Lebenseinstellung und seiner Wahrnehmung der Entwicklung in Afghanistan deutlich erkennbar die in der afghanischen Gesellschaft vorherrschende konservativ-restriktive Wertehaltung insgesamt und insbesondere auch hinsichtlich der Rolle und Stellung von Frauen ab. Die von der konservativ-afghanischen Tradition geprägten Lebensumstände, mit welchen der Beschwerdeführer im hypothetischen Fall eines Lebens in Afghanistan konfrontiert wäre, stehen mit jenen, welche er sich aus freiem Willen zu gestalten wünscht bzw. bereits gestaltet hat, ganz offensichtlich in unüberwindbarem Gegensatz.

Der Beschwerdeführer ist gesund und in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Gründe, nach denen ein Ausschluss des Beschwerdeführers hinsichtlich der Asylgewährung zu erfolgen hat, sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

1.2.    Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

a.       Aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Afghanistan, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019 mit aktueller Kurzinformation vom 29.06.2020:

Länderspezifische Anmerkungen COVID-19

„Stand 29.6.2020

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt (WP 25.5.2020; vgl. JHU 26.6.2020), mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (WP 25.6.2020).

In vier der 34 Provinzen Afghanistans – Nangahar, Ghazni, Logar und Kunduz – hat sich unter den Sicherheitskräften COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90% vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (WP 25.6.2020).

In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden (RA KBL 19.6.2020). In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (AJ 8.6.2020).

Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge, lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt (AF 24.6.2020). Dem Lockdown folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (AJ 8.6.2020).


Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (AF 24.6.2020).

Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei dem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden (AF 24.6.2020). In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes (TN 15.6.2020). Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern (AF 24.6.2020; vgl. TN 15.6.2020). Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (TN 20.5.2020).

Weitere Maßnahmen der afghanischen Regierung

Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen (AJ 8.6.2020; vgl. RA KBL 19.6.2020). Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden (AJ 8.6.2020). Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum Einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafür benötigten Geräte leisten und zum Anderem schränkt eine hohe Analphabetenzahl unter den Eltern in Afghanistan diese dabei ein, ihren Kindern beim Lernen behilflich sein zu können (HRW 18.6.2020).

Die großen Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen(RA KBL 19.6.2020). Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wieder aufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird (AnA 24.6.2020). Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020; vgl. GN 9.6.2020). Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020). Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich (RA KBL 19.6.2020). Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (RA KBL 19.6.2020).

Seit 1.1.2020 beträgt die Anzahl zurückgekehrter Personen aus dem Iran und Pakistan: 339.742; 337.871 Personen aus dem Iran (247.082 spontane Rückkehrer/innen und 90.789 wurden abgeschoben) und 1.871 Personen aus Pakistan (1.805 spontane Rückkehrer/innen und 66 Personen wurden abgeschoben) (UNHCR 20.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus Pakistan

Die Grenze zu Pakistan war fast drei Monate lang aufgrund der COVID-19-Pandemie gesperrt. Mit 22.6.2020 erhielt Pakistan an drei Grenzübergängen erste Exporte aus Afghanistan: frisches Obst und Gemüse wurde über die Grenzübergänge Torkham, Chaman und Ghulam Khan nach Pakistan exportiert. Im Hinblick auf COVID-19 wurden Standardarbeitsanweisungen (SOPs – standard operating procedures) für den grenzüberschreitenden Handel angewandt (XI 23.6.2020). Der bilaterale Handel soll an sechs Tagen der Woche betrieben werden, während an Samstagen diese Grenzübergänge für Fußgänger reserviert sind (XI 23.6.2020; vgl. UNHCR 20.6.2020); in der Praxis wurde der Fußgängerverkehr jedoch häufiger zugelassen (UNHCR 20.6.2020).

Pakistanischen Behörden zufolge waren die zwei Grenzübergänge Torkham und Chaman auf Ansuchen Afghanistans und aus humanitären Gründen bereits früher für den Transithandel sowie Exporte nach Afghanistan geöffnet worden (XI 23.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus dem Iran

Die Anzahl aus dem Iran abgeschobener Afghanen ist im Vergleich zum Monat Mai stark gestiegen. Berichten zufolge haben die Lockerungen der Mobilitätsmaßnahmen dazu geführt, dass viele Afghanen mithilfe von Schmugglern in den Iran ausreisen. UNHCR zufolge, gaben Interviewpartner/innen an, kürzlich in den Iran eingereist zu sein, aber von der Polizei verhaftet und sofort nach Afghanistan abgeschoben worden zu sein (UNHCR 20.6.2020).

Stand: 18.5.2020

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.4.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.4.2020). COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.4.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (DW 22.4.2020).

Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.4.2020). Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen (WP 20.4.2020). Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar (TN 30.3.2020) und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (TN 7.4.2020a).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.4.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil (AnA 21.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei (ARZ KBL 7.5.2020). Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung (AnA 21.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten (BBC 9.4.2020) und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung (TN 8.4.2020; vgl. DW 22.4.2020; QA 16.4.2020). 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten (DW 22.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (ARZ KBL 7.5.2020).

Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen (TN 7.4.2020b). Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden (NYT 22.4.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert (TN 7.4.2020b). In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (BBC 9.4.2020; vgl. TN 8.4.2020).


Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung

Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt (WP 20.4.2020), wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar (TG 1.4.2020a). Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt (WP 20.4.2020). Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (TN 9.4.2020a).

Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (WP 22.4.2020): Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen (TG 1.4.2020). Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.4.2020).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH) (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise (WHO MIT 10.5.2020): 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020).

Taliban und COVID-19

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte (TN 2.4.2020; vgl. TD 2.4.2020). In der nördlichen Provinz Kunduz, hätten die Taliban eine Gesundheitskommision gegründet, die direkt in den Gemeinden das öffentliche Bewusstsein hinsichtlich des Virus stärkt. Auch sollen Quarantänezentren eingerichtet worden sein, in denen COVID-19-Verdachtsfälle untergebracht wurden. Die Taliban hätten sowohl Schutzhandschuhe, als auch Masken und Broschüren verteilt; auch würden sie jene, die aus anderen Gebieten kommen, auf COVID-19 testen (TD 2.4.2020). Auch in anderen Gebieten des Landes, wie in Baghlan, wird die Bevölkerung im Rahmen einer Informationsveranstaltung in der Moschee über COVID-19 informiert. Wie in der Provinz Kunduz, versorgen die Taliban die Menschen mit (Schutz)material, helfen Entwicklungshelfern dabei zu jenen zu gelangen, die in Taliban kontrollierten Gebieten leben und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen, an (UD 13.3.2020).

Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (NZZ 7.4.2020).

Aktuelle Informationen zu Rückkehrprojekten

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (IOM AUT 18.5.2020).

IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:

•        Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)

•        Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten) (IOM AUT 18.5.2020).

Das Projekt RESTART III – Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan“ wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden (IOM AUT 18.5.2020)

Mit Stand 18.5.2020, sind im laufenden Jahr bereits 19 Projektteilnehmer/innen nach Afghanistan zurückgekehrt. Mit ihnen, als auch mit potenziellen Projektteilnehmer/innen, welche sich noch in Österreich befinden, steht IOM Österreich in Kontakt und bietet Beratung/Information über virtuelle Kommunikationswege an (IOM AUT 18.5.2020).

Informationen von IOM Kabul zufolge, sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 13.5.2020 auch weiterhin in Afghanistan operativ (IOM KBL 13.5.2020).“

1.       Sicherheitslage

„Letzte Änderung: 22.4.2020

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison – was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt – dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten – als Reaktion auf einen Anschlag – absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. – 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit – insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Abb. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle 2015-2018 in ganz Afghanistan gemäß Berichten des UN-Generalsekretärs (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UN-Daten (UNGASC 7.3.2016; UNGASC 3.3.2017; UNGASC 28.2.2018; UNGASC 28.2.2019))

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle – eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle – ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet – 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Folgender Tabelle kann die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Jahr im Zeitraum 2016-2018, sowie bis einschließlich August des Jahres 2019 entnommen werden:

Tab. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o.D.))

 

2016

2017

2018

2019

Jänner

2111

2203

2588

2118

Februar

2225

2062

2377

1809

März

2157

2533

2626

2168

April

2310

2441

2894

2326

Mai

2734

2508

2802

2394

Juni

2345

2245

2164

2386

Juli

2398

2804

2554

2794

August

2829

2850

2234

2443

September

2493

2548

2389

-

Oktober

2607

2725

2682

-

November

2348

2488

2086

-

Dezember

2281

2459

2097

-

insgesamt

28.838

29.866

29.493

18.438

Abb. 2: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o.D.))

Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433. Die folgende Grafik der Staatendokumentation schlüsselt die sicherheitsrelevanten Vorfälle anhand ihrer Vorfallarten und nach Quartalen auf (BFA Staatendokumentation 4.11.2019):

Abb. 3: Sicherheitsrelevante Vorfälle nach Quartalen und Vorfallsarten im Zeitraum 1.1.2018-30.9.2019 (Global Incident Map, Darstellung der Staatendokumentation; BFA Staatendokumentation 4.11.2019)

Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) – dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September – im Gegensatz zu 2019 – von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl – Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) – 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

Tab. 2: Zivile Opfer im Zeitverlauf 1.1.2009-30.9.2019 nach UNAMA (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UNAMA-Daten (UNAMA 24.2.2019; UNAMA 17.10.2019))

Jahr

Tote

Verletzte

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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