TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/18 W127 2202822-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.09.2020
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Entscheidungsdatum

18.09.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W127 2202822-1/18E

I M N A M E N D E R R E P U B L I K !

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Dr. Fischer-Szilagyi über die Beschwerde von XXXX geboren am XXXX alias XXXX , Staatsangehörigkeit XXXX , vertreten durch die ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle West (EASt-West) vom 03.07.2018, XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird stattgeben und XXXX der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung in der Dauer eines Jahres erteilt.

IV. In Erledigung der Beschwerde werden die übrigen Spruchpunkte III., IV., V. und VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer ist in die Republik Österreich eingereist und hat am 08.05.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 09.05.2016 gab der zu diesem Zeitpunkt minderjährige Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari zu seinem Fluchtgrund an, er habe mit einem Mädchen sexuellen Kontakt gehabt, was in Afghanistan verboten sei. Die Familie des Mädchens habe ihn deshalb zur Heirat zwingen wollen, was der Beschwerdeführer abgelehnt habe und er daraufhin geflüchtet sei. Zur Frage über seine Befürchtungen im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan gab der Beschwerdeführer an: „Es herrschen sehr unsichere Zustände zu Hause.“

2.       Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Steyr vom 22.07.2016 wurde das Land Oberösterreich als Kinder- und Jugendhilfeträger, vertreten durch den Magistrat der Stadt Steyr, mit der Obsorge des Beschwerdeführers betraut.

3.       Mit Verfahrensanordnung vom 05.01.2018 legte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl das Geburtsdatum des Beschwerdeführers aufgrund eines gerichtsmedizinischen Gutachtens mit XXXX fest.

4.       Der Beschwerdeführer wurde am 19.03.2018 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari und seiner gesetzlichen Vertretung niederschriftlich einvernommen. Auf den Vorhalt, dass das medizinische Gutachten ein anderes als das vom ihm angegebene Datum festgestellt habe, erwiderte der Beschwerdeführer, dass er das richtige Alter angegeben habe. Dieses kenne er aus seiner Tazkira, welche er allerdings auf dem Weg nach Griechenland ins Wasser geworfen habe. Zum Fluchtgrund befragt wiederholte der Beschwerdeführer, er habe in Afghanistan eine zwei- bis dreimonatige sexuelle Beziehung mit einem Mädchen gehabt. Dabei seien sie von einem Bekannten des Mädchens gesehen worden, der dies auch ihrer Familie berichtet habe. Über einen Anruf des Mädchens habe der Beschwerdeführer erfahren, dass ihre Familie ihn suche und töten wolle. Er führte aus, dass unehelicher Geschlechtsverkehr das „schlimmste Verbrechen“ sei, welches man je begehen könne. Sowohl seitens der Regierung als auch der Bevölkerung drohe ihm die Todesstrafe. Im Falle seiner Rückkehr könne er nicht einmal einen Tag in Afghanistan leben, weil er dort niemanden habe und kein Geld habe. Die Familie des Mädchens würde ihn umbringen und der afghanische Staat ihn zur „höchsten Strafe“ verurteilen.

Im Zuge der Einvernahme wurden ein afghanischer Mietvertrag und die Tazkira des Vaters des Beschwerdeführers sowie Unterlagen betreffend die Integration des Beschwerdeführers in Österreich, wie Schulbesuchsbestätigung, ÖSD Zertifikat B1, vorgelegt.

5. Am 23.03.2018 langte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Stellungnahme des Beschwerdeführers zum Ländervorhalt ein.

6.       Laut des am 30.05.2018 vorgelegten Arztbriefes wurde der Beschwerdeführer vom 19.04.2018 bis 22.05.2018 aufgrund einer Tuberkulose-Erkrankung stationär behandelt.

7.       Mit nunmehr angefochtenem Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und es wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.). Weiters wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Es wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

In der Begründung wurde dem Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers aufgrund widersprüchlicher Angaben die Glaubwürdigkeit versagt. Der Beschwerdeführer sei in der Provinz Herat geboren und aufgewachsen, welche laut den vorliegenden Länderinformationen eine relativ entwickelte und sichere Provinz sei. Es sei dem Beschwerdeführer unter anderem aufgrund seiner Schulbildung und Arbeitsfähigkeit zumutbar, sich wieder in Herat niederzulassen. Zudem sei Tuberkulose auch in Afghanistan behandelbar.

8.       Hiegegen wurde Beschwerde erhoben und der gesamte Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und infolge einer Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie mangelnder Beweiswürdigung bekämpft. In der Begründung beanstandete der Beschwerdeführer die unschlüssige Versagung der Glaubwürdigkeit und in Zusammenhang damit die mangelnde Würdigung seines Alters und Entwicklungsstandes zum Zeitpunkt des Ereignisses. Darüber hinaus dürfe auch die geringe Kenntnis des Beschwerdeführers über die allgemeine Sicherheitslage und Verfolgung bestimmter Personengruppen nicht zu seinem Nachteil gereicht werden; vielmehr sei es die Aufgabe der Behörde gewesen, diese zu ermitteln und objektiv festzustellen. Unter Zugrundelegung diverser Berichte sei sehr wohl eine Verfolgung aus asylrelevanten Umständen gegeben. Eine innerstaatliche Fluchtalternative läge nicht vor. Beigelegt wurde der Ambulanzbericht vom 18.07.2018 betreffend eine erstmalige Kontrolle nach vorangegangenem, stationären Aufenthalt aufgrund der Tuberkulose-Erkrankung.

9.       Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 06.08.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

10.      Am 11.12.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nicht teilnahm. Der Beschwerdeführer wurde im Beisein seiner Vertreterin und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari zu seinen Fluchtgründen, seinem Gesundheitszustand und zu seiner Situation in Österreich befragt und wurde ihm Gelegenheit gegeben, zu den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten zur Situation in Afghanistan Stellung zu nehmen. Im Zuge der Verhandlung legte die Vertretern des Beschwerdeführers eine Stellungnahme vor.

11.      Am 13.12.2019 wurden dem Bundesverwaltungsgericht weitere Unterlagen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers übermittelt.

12.      Mit Schreiben vom 06.07.2020 (der zustellbevollmächtigten Rechtsvertretung am selben Tag zugestellt) wurde der Beschwerdeführer durch das Bundesverwaltungsgericht darüber informiert, dass dem Verfahren das aufgrund von Covid-19 aktualisierte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Fassung vom 29.06.2020 zugrunde gelegt wird. Dem Beschwerdeführer wurde diesbezüglich die Möglichkeit zur Stellungnahme binnen einer Frist von zwei Wochen eingeräumt. Darüber hinaus wurde die Bekanntgabe etwaiger Änderungen in persönlicher Hinsicht seit der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht erbeten.

13.      Die diesbezügliche Stellungnahme des Beschwerdeführers bzw. seiner Vertretung langte am 20.07.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des Bundesamtes und in den Gerichtsakt, durch Befragung des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und Einsichtnahme in die in der Verhandlung vorgelegten Dokumente sowie durch Einsicht insbesondere in folgende Länderberichte: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 13.11.2019, zuletzt aktualisiert am 21.07.2020; EASO-Bericht „Country Guidance: Afghanistan“ vom Juni 2019; EASO-Bericht „Afghanistan Security situation“ vom Juni 2019; EASO-Bericht „Afghanistan Key socio-economic indicators, Focus on Kabul City, Mazar-e sharif and Herat City“ vom April 2019; UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018; Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 02.09.2019; ecoi.et-Themedossier „Überblick über die Sicherheitslage in Afghanistan“ vom 02.10.2019; ecoi.net-Themedossier zu Afghanistan „Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in herat und Masar-e Sharif“ vom 02.10.2019; Schreiben des Bundesministeriums für Inneres vom 20.09.2019 betreffend „Afghanistan – Rückkehr und Reintegrationsunterstützung“; ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan „1) Zielen Rachehandlungen wegen vorehelichem Geschlechtsverkehr nur auf den „Täter" ab oder können auch andere Mitglieder seiner Familie zum Ziel werden?; 2) Möglichkeit, bei staatlichen Stellen um Schutz vor Rachehandlungen anzusuchen“ vom 23.02.2017; ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan „Außereheliche sexuelle Beziehungen und deren Konsequenzen nach paschtunischem Gewohnheitsrecht, einschließlich der Rolle der Dschirgas (Jirgas)“ vom 07.11.2018.

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, der Volksgruppe der Hazara zugehörig und bekennt sich zum schiitisch-muslimischen Glauben. Er ist in das Bundesgebiet eingereist und hat am 08.05.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Der Beschwerdeführer ist in der Provinz Herat geboren und hat dort bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan gelebt. Er hat acht Jahre lang die Schule besucht.

Die Eltern, zwei Brüder und eine Schwester des Beschwerdeführers leben nunmehr im Iran. Der Beschwerdeführer hat derzeit zu seiner Familie aufgrund von Problemen mit dem Internet im Iran keinen Kontakt.

Der Beschwerdeführer ist nicht verheiratet und hat keine Kinder.

Der Beschwerdeführer ist spätestens seit dem 12.04.2018 volljährig und arbeitsfähig. Er hat in Österreich keine nahen Familienangehörigen; er hat eine minderjährige Afghanin als Freundin, lebt jedoch mit dieser in keinem gemeinsamen Haushalt.

Der Beschwerdeführer hatte Tuberkulose, welche in Österreich mit Medikamenten behandelt wurde; derzeit steht er diesbezüglich unter 1-2x jährlicher ärztlicher Kontrolle.

Der Beschwerdeführer ist nicht straffällig im Sinne des Asylgesetzes. Er hat in Österreich die Schule sowie Deutschkurse (Zertifikat B1) besucht, zudem hat er an Renumerationsprojekten teilgenommen und sich auch freiwillig engagiert. Er ist keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen und hat Leistungen aus der Grundversorgung bezogen. Der Beschwerdeführer ist nicht legal in das Bundesgebiet eingereist und hatte nie ein nicht auf das Asylverfahren gegründetes Aufenthaltsrecht in Österreich.

1.2. Zum Fluchtvorbringen und zur Rückkehrsituation:

Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan keine physische oder psychische Gewalt oder Strafverfolgung aufgrund einer außerehelichen Beziehung mit einer Frau in Afghanistan.

Ihm droht aufgrund seiner Volksgruppen- bzw. Religionszugehörigkeit weder Gewalt noch Diskriminierung von erheblicher Intensität. Weiters haben sich keine Anhaltpunkte ergeben, dass eine Asylantragstellung im Ausland oder eine rechtswidrige Ausreise zu Sanktionen oder Repressionen in Afghanistan führen würde.

Dem Beschwerdeführer droht keine Zwangsrekrutierung durch den afghanischen Staat, die Taliban oder andere Gruppierungen.

Er hat bei einer Rückkehr nach Afghanistan auch keine sonstige konkret gegen seine Person gerichtete Bedrohung durch staatliche Organe oder durch Privatpersonen zu erwarten.

Der Beschwerdeführer droht gegenwärtig bei einer Rückkehr nach Afghanistan in eine die Existenz bedrohende Notlage zu geraten.

1.3. Zur allgemeinen Lage in Afghanistan:

In Afghanistan leben laut neuesten Schätzungen ca. 32-35 Millionen Menschen, wovon 40 bis 42% Pashtunen, 27 bis 30% Tadschiken, 9 bis 10% Hazara, 9% Usbeken, ca. 4% Aimaken, 3% Turkmenen und 2% Belutschen sind.

Hazara leben hauptsächlich in den zentralen und westlichen Provinzen (so auch Herat) sowie in Kabul. Ihre Lage, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, hat sich grundsätzlich verbessert und sie bekleiden inzwischen auch prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind jedoch in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert. Die afghanische Verfassung zählt sie explizit in Artikel 4 als einer der Völkerschaften auf, aus denen sich Afghanistan bildet. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnischen Minderheiten.

Etwa 99,7 % der Bevölkerung Afghanistans sind Muslime, der Großteil davon sind Sunniten. Schätzungen zufolge sind etwa 10 bis 19 % der Bevölkerung Schiiten. Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie beispielsweise Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen zusammen etwa 0,3 % der Bevölkerung aus.

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus.

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über die Provinz Kabul. Nichtsdestotrotz führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 1.866 zivile Opfer (596 Tote und 1.270 Verletzte) in der Provinz Kabul. Dies entspricht einer Zunahme von 2% gegenüber 2017.

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als „sehr sicher“ gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. Auch im Vergleich zu Kabul gilt Herat-Stadt einem Mitarbeiter von IOM-Kabul zufolge zwar als sicherere Stadt, doch gleichzeitig wird ein Anstieg der Gesetzlosigkeit und Kriminalität verzeichnet: Raubüberfälle nahmen zu und ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen wurde beispielsweise überfallen und ausgeraubt. Entführungen finden gelegentlich statt, wenn auch in Herat nicht in solch einem Ausmaß wie in Kabul. Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat. Dies entspricht einem Rückgang von 48% gegenüber 2017.

Balkh (und dessen Hauptstadt Masar-e Scharif) zählt zu den relativ stabilen und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten. Die vergleichsweise ruhige Sicherheitslage war vor allem auf das Machtmonopol des ehemaligen Kriegsherrn und späteren Gouverneurs von Balkh, Atta Mohammed Noor, zurückzuführen. In den letzten Monaten versuchen Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Taliban überrannten keines dieser Gebiete.

Zur Wirtschafts- und Versorgungslage ist festzuhalten, dass Afghanistan weiterhin ein Land mit hoher Armutsrate und Arbeitslosigkeit ist. Rückkehrer nach Afghanistan sind zunächst oft – wie auch große Teile der dort ansässigen Bevölkerung – auf gering qualifizierte Beschäftigungen oder Gelegenheitstätigkeiten angewiesen. Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen besteht auch für zurückkehrende Flüchtlinge das Risiko, in die Armut abzurutschen. Die Rolle sozialer Netzwerke – der Familie, der Freunde und der Bekannten – ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden.

Die Wirtschaft der Provinz Kabul hat einen weitgehend städtischen Charakter, wobei die wirtschaftlich aktive Bevölkerung in Beschäftigungsfeldern, wie dem Handel, Dienstleistungen oder einfachen Berufen tätig ist. Kabul-Stadt hat einen hohen Anteil an Lohnarbeitern, während Selbstständigkeit im Vergleich zu den ländlichen Gebieten Afghanistans weniger verbreitet ist. Zu den wichtigsten Arbeitgebern in Kabul gehört der Dienstleistungssektor, darunter auch die öffentliche Verwaltung. Die Gehälter sind in Kabul im Allgemeinen höher als in anderen Provinzen, insbesondere für diejenigen, welche für ausländische Organisationen arbeiten. Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten. Ergebnisse einer Studie ergaben, dass Kabul unter den untersuchten Provinzen den geringsten Anteil an Arbeitsplätzen im Agrarsektor hat, dafür eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern. Die besten (Arbeits-)Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul. Trotz der niedrigeren Erwerbsquoten ist der Frauenanteil in hoch qualifizierten Berufen in Kabul am größten (49,6 Prozent).

Der Einschätzung einer in Afghanistan tätigen internationalen NGO zufolge gehört Herat zu den „bessergestellten“ und „sichereren Provinzen“ Afghanistans und weist historisch im Vergleich mit anderen Teilen des Landes wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf. Aufgrund der sehr jungen Bevölkerung ist der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter in Herat – wie auch in anderen afghanischen Städten – vergleichsweise klein. Erwerbstätige müssen also eine große Anzahl an von ihnen abhängigen Personen versorgen. Hinzu kommt, dass die Hälfte der arbeitstätigen Bevölkerung in Herat Tagelöhner sind, welche Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt in besonderem Ausmaß ausgesetzt sind. Die Herater Wirtschaft bietet seit langem Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran, wie auch Bergbau und Produktion. Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt. Manche alten Handwerksberufe (Teppichknüpfereien, Glasbläsereien, die Herstellung von Stickereien) haben es geschafft zu überleben, während sich auch bestimmte moderne Industrien entwickelt haben (z.B. Lebensmittelverarbeitung und Verpackung). Die meisten der in KMUs Beschäftigten sind entweder Tagelöhner oder kleine Unternehmer. Die Arbeitsplätze sind allerdings von der volatilen Sicherheitslage bedroht (insbesondere Entführungen von Geschäftsleuten oder deren Angehörigen durch kriminelle Netzwerke, im stillen Einverständnis mit der Polizei). Als weitere Probleme werden Stromknappheit, bzw. -ausfälle, Schwierigkeiten, mit iranischen oder anderen ausländischen Importen zu konkurrieren und eine steigende Arbeitslosigkeit genannt.

Masar-e Scharif ist ein regionales Handelszentrum für Nordafghanistan, wie auch ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten.

Betreffend das Fluchtvorbringen:

- Männer, die vermeintlich gegen vorherrschende Gebräuche verstoßen, können einem Misshandlungsrisiko ausgesetzt sein, insbesondere in Fällen von mutmaßlichem Ehebruch und außerehelichen sexuellen Beziehungen. In Gebieten, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle der Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte befinden, besteht für Frauen und Männer, die unmoralischer Verhaltensweisen bezichtigt werden, das Risiko, über die parallelen Justizstrukturen dieser regierungsfeindlichen Kräfte zu harten Strafen, einschließlich zu Auspeitschung und zum Tod, verurteilt zu werden.

Außereheliche bzw. voreheliche sexuelle Beziehungen können auch einen Grund für „Ehrenmorde“ darstellen. Viele Fälle werden allerdings von lokalen Schuras und Dschirgas beigelegt bzw. ohne Beteiligung von Gerichten oder Vermittlungsgremien gelöst, um den entstandenen „Ehrverlust“ lokal einzugrenzen. Wenn ein unverheiratetes Paar einvernehmlichen Geschlechtsverkehr hatte, folgt häufig eine Eheschließung zwischen dem Mann und der Frau. Familien mit hoher Bildung, Familien in Großstädten, Hazara und Tadschiken sind allgemein dafür offen, Lösungen zu finden, häufig auch mithilfe von Vermittlung.

- In Afghanistan gibt es keine Wehrpflicht. Das vorgeschriebene Mindestalter für die freiwillige Meldung beträgt 18 Jahre. Da die Tätigkeit als Soldat oder Polizist für den großen Teil der jungen männlichen Bevölkerung eine der wenigen Verdienstmöglichkeiten darstellt, besteht grundsätzlich kein Anlass für Zwangsrekrutierungen zu staatlichen Sicherheitskräften. Soldaten oder Polizisten, die ihre Truppe vorübergehend unerlaubt verlassen, um zu ihren Familien zurückzukehren, werden schon aufgrund ihrer sehr hohen Zahl nach Rückkehr zu ihrem ursprünglichen Standort wieder in die ANDSF aufgenommen.

Die Taliban haben keinen Mangel an freiwilligen Rekruten und machen nur in Ausnahmefällen von Zwangsrekrutierung Gebrauch. Druck und Zwang, den Taliban beizutreten, sind jedoch nicht immer gewalttätig.

Aktueller Stand der COVID-19 Krise in Afghanistan:

Berichten zufolge haben sich in Afghanistan mehr als 35.000 Menschen mit COVID-19 angesteckt (WHO 20.7.2020; vgl. JHU 20.7.2020, OCHA 16.7.2020), mehr als 1.280 sind daran gestorben. Aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt zu wenig gemeldet (OCHA 16.7.2020; vgl. DS 19.7.2020). 10 Prozent der insgesamt bestätigten COVID-19-Fälle entfallen auf das Gesundheitspersonal. Kabul ist hinsichtlich der bestätigten Fälle nach wie vor der am stärksten betroffene Teil des Landes, gefolgt von den Provinzen Herat, Balkh, Nangarhar und Kandahar (OCHA 15.7.2020). Beamte in der Provinz Herat sagten, dass der Strom afghanischer Flüchtlinge, die aus dem Iran zurückkehren, und die Nachlässigkeit der Menschen, die Gesundheitsrichtlinien zu befolgen, die Möglichkeit einer neuen Welle des Virus erhöht haben, und dass diese in einigen Gebieten bereits begonnen hätte (TN 14.7.2020). Am 18.7.2020 wurde mit 60 neuen COVID-19 Fällen der niedrigste tägliche Anstieg seit drei Monaten verzeichnet – wobei an diesem Tag landesweit nur 194 Tests durchgeführt wurden (AnA 18.7.2020).

Krankenhäuser und Kliniken berichten weiterhin über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19. Diese Herausforderungen stehen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA), Testkits und medizinischem Material sowie mit der begrenzten Anzahl geschulter Mitarbeiter - noch verschärft durch die Zahl des erkrankten Gesundheitspersonals. Es besteht nach wie vor ein dringender Bedarf an mehr Laborequipment sowie an der Stärkung der personellen Kapazitäten und der operativen Unterstützung (OCHA 16.7.2020, vgl. BBC-News 30.6.2020).

Maßnahmen der afghanischen Regierung und internationale Hilfe

Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Universitäten und Schulen bleiben weiterhin geschlossen (OCHA 8.7.2020; vgl. RA KBL 16.7.2020). Die Regierung Afghanistans gab am 6.6.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Darüber hinaus hat die Regierung die Schließung von Schulen um weitere drei Monate bis Ende August verlängert (OCHA 8.7.2020).

Berichten zufolge werden die Vorgaben der Regierung nicht befolgt, und die Durchsetzung war nachsichtig (OCHA 16.7.2020, vgl. TN 12.7.2020). Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. Zwar behindern die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin periodisch die Bewegung der humanitären Helfer, doch hat sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verbessert, und es wurden weniger Behinderungen gemeldet (OCHA 15.7.2020).

Einwohner Kabuls und eine Reihe von Ärzten stellten am 18.7.2020 die Art und Weise in Frage, wie das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) mit der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie im Land umgegangen ist, und sagten, das Gesundheitsministerium habe es trotz massiver internationaler Gelder versäumt, richtig auf die Pandemie zu reagieren (TN 18.7.2020). Es gibt Berichte wonach die Bürger angeben, dass sie ihr Vertrauen in öffentliche Krankenhäuser verloren haben und niemand mehr in öffentliche Krankenhäuser geht, um Tests oder Behandlungen durchzuführen (TN 12.7.2020).

Beamte des afghanischen Gesundheitsministeriums erklärten, dass die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 in den Städten zurückgegangen ist, die Pandemie in den Dörfern und in den abgelegenen Regionen des Landes jedoch zunimmt. Der Gesundheitsminister gab an, dass 500 Beatmungsgeräte aus Deutschland angekauft wurden und 106 davon in den Provinzen verteilt werden würden (TN 18.7.2020).

Am Samstag den 18.7.2020 kündete die afghanische Regierung den Start des Dastarkhan-e-Milli-Programms als Teil ihrer Bemühungen an, Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie zu helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken (TN 18.7.2020; vgl. Mangalorean 19.7.2020).

Die Weltbank genehmigte am 15.7.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten (WB 10.7.2020; vgl. AN 10.7.2020).

Auszugsweise Lage in den Provinzen Afghanistans

Dieselben Maßnahmen – nämlich Einschränkungen und Begrenzungen der täglichen Aktivitäten, des Geschäftslebens und des gesellschaftlichen Lebens – werden in allen folgend angeführten Provinzen durchgeführt. Die Regierung hat eine Reihe verbindlicher gesundheitlicher und sozialer Distanzierungsmaßnahmen eingeführt, wie z.B. das obligatorische Tragen von Gesichtsmasken an öffentlichen Orten, das Einhalten eines Sicherheitsabstandes von zwei Metern in der Öffentlichkeit und ein Verbot von Versammlungen mit mehr als zehn Personen. Öffentliche und touristische Plätze, Parks, Sportanlagen, Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen sind geschlossen; die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor sind auf 6 Stunden pro Tag beschränkt und die Beschäftigten werden in zwei ungerade und gerade Tagesschichten eingeteilt (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).

Die meisten Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte sind aufgrund der COVID-19 Maßnahmen geschlossen, es sei denn, sie wurden geheim und unbemerkt von staatlichen Stellen geöffnet (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).

In der Provinz Kabul gibt es zwei öffentliche Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln mit 200 bzw. 100 Betten. Aufgrund der hohen Anzahl von COVID-19-Fällen im Land und der unzureichenden Kapazität der öffentlichen Krankenhäuser hat die Regierung kürzlich auch privaten Krankenhäusern die Behandlung von COVID-19-Patienten gestattet. Kabul sieht sich aufgrund von Regen- und Schneemangel, einer boomenden Bevölkerung und verschwenderischem Wasserverbrauch mit Wasserknappheit konfrontiert. Außerdem leben immer noch rund 12 Prozent der Menschen in Kabul unter der Armutsgrenze, was bedeutet, dass oftmals ein erschwerter Zugang zu Wasser besteht (RA KBL 16.7.2020; WHO o.D).

In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Es gibt Berichte, dass die Bewohner einiger Distrikte der Provinz mit Wasserknappheit zu kämpfen hatten. Darüber hinaus hatten die Menschen in einigen Distrikten Schwierigkeiten mit dem Zugang zu ausreichender Nahrung, insbesondere im Zuge der COVID-19-Pandemie (RA KBL 16.7.2020).

In der Provinz Herat gibt es zwei Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln. Ein staatliches öffentliches Krankenhaus mit 100 Betten, das vor kurzem speziell für COVID-19-Patienten gebaut wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 19.3.2020) und ein Krankenhaus mit 300 Betten, das von einem örtlichen Geschäftsmann in einem umgebauten Hotel zur Behandlung von COVID-19-Patienten eingerichtet wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 4.5.2020). Es gibt Berichte, dass 47,6 Prozent der Menschen in Herat unter der Armutsgrenze leben, was bedeutet, dass oft ein erschwerter Zugang zu sauberem Trinkwasser und Nahrung haben, insbesondere im Zuge der Quarantäne aufgrund von COVID-19, durch die die meisten Tagelöhner arbeitslos blieben (RA KBL 16.7.2020; vgl. UNICEF 19.4.2020).

In der Provinz Daikundi gibt es ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Es gibt jedoch keine Auswertungsmöglichkeiten für COVID-19-Tests – es werden Proben entnommen und zur Laboruntersuchung nach Kabul gebracht. Es dauert Tage, bis ihre Ergebnisse von Kabul nach Daikundi gebracht werden. Es gibt Berichte, dass 90 Prozent der Menschen in Daikundi unter der Armutsgrenze leben und dass etwa 60 Prozent der Menschen in der Provinz stark von Ernährungsunsicherheit betroffen sind (RA KBL 16.7.2020).

In der Provinz Samangan gibt es ebenso ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Wie auch in der Provinz Daikundi müssen Proben nach Kabul zur Testung geschickt werden. Eine unzureichende Wasserversorgung ist eine der größten Herausforderungen für die Bevölkerung. Nur 20 Prozent der Haushalte haben Zugang zu sauberem Trinkwasser (RA KBL 16.7.2020).

Wirtschaftliche Lage in Afghanistan

Verschiedene COVID-19-Modelle zeigen, dass der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet wird, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung haben wird (OCHA 16.7.2020). Es herrscht weiterhin Besorgnis seitens humanitärer Helfer, über die Auswirkungen ausgedehnter Sperrmaßnahmen auf die am stärksten gefährdeten Menschen – insbesondere auf Menschen mit Behinderungen und Familien – die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen (OCHA 15.7.2020). Der Marktbeobachtung des World Food Programme (WFP) zufolge ist der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 – 31 Prozent gestiegen sind (WFP 15.7.2020, OCHA 15.7.2020). Einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) und des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht (MAIL) zufolge sind über 20 Prozent der befragten Bauern nicht in der Lage, ihre nächste Ernte anzubauen, wobei der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die COVID-19-Beschränkungen als Schlüsselfaktoren genannt werden. Darüber hinaus sind die meisten Weizen-, Obst-, Gemüse- und Milchverarbeitungsbetriebe derzeit nur teilweise oder gar nicht ausgelastet, wobei die COVID-19-Beschränkungen als ein Hauptgrund für die Reduzierung der Betriebe genannt werden. Die große Mehrheit der Händler berichtete von gestiegenen Preisen für Weizen, frische Lebensmittel, Schafe/Ziegen, Rinder und Transport im Vergleich zur gleichen Zeit des Vorjahres. Frischwarenhändler auf Provinz- und nationaler Ebene sahen sich im Vergleich zu Händlern auf Distriktebene mit mehr Einschränkungen konfrontiert, während die große Mehrheit der Händler laut dem Bericht von teilweisen Marktschließungen aufgrund von COVID-19 berichtete (FAO 16.4.2020; vgl. OCHA 16.7.2020; vgl. WB 10.7.2020).

Am 19.7.2020 erfolgte die erste Lieferung afghanischer Waren in zwei Lastwagen nach Indien, nachdem Pakistan die Wiederaufnahme afghanischer Exporte nach Indien angekündigt hatte um den Transithandel zu erleichtern. Am 12.7.2020 öffnete Pakistan auch die Grenzübergänge Angor Ada und Dand-e-Patan in den Provinzen Paktia und Paktika für afghanische Waren, fast zwei Wochen nachdem es die Grenzübergänge Spin Boldak, Torkham und Ghulam Khan geöffnet hatte (TN 20.7.2020).

Einreise und Bewegungsfreiheit

Die Türkei hat, nachdem internationale Flüge ab 11.6.2020 wieder nach und nach aufgenommen wurden, am 19.7.2020 wegen der COVID-19-Pandemie Flüge in den Iran und nach Afghanistan bis auf weiteres ausgesetzt, wie das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur mitteilte (TN 20.7.2020; vgl. AnA 19.7.2020, DS 19.7.2020).

Bestimmte öffentliche Verkehrsmittel wie Busse, die mehr als vier Passagiere befördern, dürfen nicht verkehren. Obwohl sich die Regierung nicht dazu geäußert hat, die Reisebeschränkungen für die Bürger aufzuheben, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern, hat sich der Verkehr in den Städten wieder normalisiert, und Restaurants und Parks sind wieder geöffnet (TN 12.7.2020).

Quellen:

-        AnA – Andolu Agency (19.7.2020): Turkey suspends Iran and Afghanistan flights, https://www.aa.com.tr/en/middle-east/turkey-suspends-iran-and-afghanistan-flights-/1915627, Zugriff 20.7.2020

-        AnA – Andolu Agency (18.7.2020): Afghanistan: Virus cases hit low as testing declines, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/afghanistan-virus-cases-hit-low-as-testing-declines/1914895, Zugriff 20.7.2020

-        Arab News (10.7.2020): Coronavirus-hit Afghanistan gets $200 million World Bank grant, https://www.arabnews.com/node/1702656/world, Zugriff 20.7.2020

-        BBC – News (30.6.2020): Coronavirus overwhelms hospitals in war-ravaged Afghanistan, https://www.bbc.com/news/world-asia-53198785, Zugriff 20.7.2020

-        DS – Daily Sabah (19.7.2020): Turkey suspends flights to Iran, Afghanistan amid COVID-19 outbreak, https://www.dailysabah.com/business/transportation/turkey-suspends-flights-to-iran-afghanistan-amid-covid-19-outbreak, Zugriff 20.7.2020

-        FAO - Food and Agriculture Organization of the United Nations (16.7.2020): Afghanistan Revised humanitarian response Coronavirus disease 2019 (COVID-19) May–December 2020, https://reliefweb.int/report/afghanistan/afghanistan-revised-humanitarian-response-coronavirus-disease-2019-covid-19-may, Zugriff 20.7.2020

-        JHU - John Hopkins Universität (20.7.2020): COVID-19 Dashboard by the Center for Systems Science and Engineering (CSSE) at Johns Hopkins University (JHU), https://coronavirus.jhu.edu/map.html, Zugriff 20.7.2020

-        Mangalorean (19.7.2020): Afghanistan launches new COVID-19 relief package, https://www.mangalorean.com/afghanistan-launches-new-covid-19-relief-package/, Zugriff 20.7.2020

-        OCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (16.7.2020): Strategic Situation Report COVID-19, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Afghanistan%20-%20Strategic%20Situation%20Report%20-%20COVID-19%2C%20No.%2062%20%2816%20July%202020%29.pdf, Zugriff 20.7.2020

-        OCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (15.7.2020): COVID-19 Multi-Sectoral Response Operational Situation Report, 15 July 2020, https://www.humanitarianresponse.info/sites/www.humanitarianresponse.info/files/documents/files/operational_sitrep_covid-19_15_july_2020.pdf, Zugriff 20.7.2020

-        OCHA – United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (8.7.2020): Afghanistan: COVID-19 Multi-Sectoral Response Operational Situation Report, 8 July 2020, https://reliefweb.int/report/afghanistan/afghanistan-covid-19-multi-sectoral-response-operational-situation-report-8-july, Zugriff 20.7.2020

-        PT – Pakistan Today (17.9.2020): Trade with Afghanistan increased 25pc despite Covid-19, NA told, https://profit.pakistantoday.com.pk/2020/07/17/trade-with-afghanistan-increased-25pc-despite-covid-19-na-told/, Zugriff 20.7.2020

-        RA KBL – Rechtsanwalt in Kabul (16.7.2020): Antwortschreiben, per Mail

-        TN – Tolonews (19.7.2020): Afghan Goods Enter India Through Wagah Border, https://tolonews.com/business/afghan-goods-enter-india-through-wagah-border, Zugriff 20.7.2020

-        TN – Tolonews (18.7.2020a): Afghan Govt Launches New COVID-19 Relief Package, https://tolonews.com/afghanistan/afghan-govt-launches-new-covid-19-relief-package, Zugriff 20.7.2020

-        TN – Tolonews (18.7.2020b): Health Ministry’s COVID-19 Strategy Questioned, https://tolonews.com/health/health-ministry%E2%80%99s-covid-19-strategy-questioned, Zugriff 20.7.2020

-        TN – Tolonews (12.7.2020): Afghanistan Faces Catastrophe if Health Measures Not Heeded: AIMA, https://tolonews.com/health/afghanistan-faces-catastrophe-if-health-measures-not-heeded-aima, Zugriff 20.7.2020

-        TN – Tolonews (14.7.2020): Herat Health Dept Warns of Second Wave of COVID-19, https://tolonews.com/afghanistan/herat-health-dept-warns-second-wave-covid-19, Zugriff 20.7.2020

-        TN – Tolonews (20.7.2020): Turkey Suspends Flights to Afghanistan and Iran, https://tolonews.com/business/turkey-suspends-flights-afghanistan-and-iran, Zugriff 20.7.2020

-        TN – Tolo News (5.4.2020): 300-Bed Hospital Opened for COVID-19 Patients in Herat, https://tolonews.com/health/300-bed-hospital-opened-covid-19-patients-herat, Zugriff 20.7.2020

-        TN – Tolo News (19.3.2020): Govt Builds 100-Bed Hospital in Herat for COVID-19 Patients, https://tolonews.com/health/govt-builds-100-bed-hospital-herat-covid-19-patients, Zugriff 20.7.2020

-        WB – World Bank (10.7.2020): World Bank: $200 Million for Afghanistan to Protect People, Support Businesses Amid COVID-19, https://reliefweb.int/report/afghanistan/world-bank-200-million-afghanistan-protect-people-support-businesses-amid-covid, Zugriff 20.7.2020

-        WFP – World Food Programme (15.7.2020): Afghanistan: Countrywide Weekly Market Price Bulletin, Issue 9 (Covering 2nd week of July 2020), https://reliefweb.int/report/afghanistan/afghanistan-countrywide-weekly-market-price-bulletin-issue-9-covering-2nd-week, Zugriff 15.7.2020

-        WFP – World Food Programme (5.2020): WFP Afghanistan Country Brief May 2020, https://docs.wfp.org/api/documents/WFP-0000116792/download/, Zugriff 20.7.2020

-        WHO – World Health Organization (20.7.2020): Coronavirus disease (COVID-19) Dashboard, https://covid19.who.int/?gclid=EAIaIQobChMIjryr5qHb6gIVkakYCh3mbwOQEAAYASABEgIpyPD_BwE, Zugriff 20.7.2020

-        WHO – World Health Organization (o.D.): Afghanistan - Hospital and laboratory services http://www.emro.who.int/afg/programmes/hospital-and-laboratory-services.html, Zugriff 20.7.2020

-        UNICEF (19.4.2020): Female-headed households bear the brunt of Covid-19 as livelihood gaps increase, https://www.unicef.org/afghanistan/stories/female-headed-households-bear-brunt-covid-19-livelihood-gaps-increase, Zugriff 20.7.2020.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Herkunft, ethnischen und religiösen Zugehörigkeit und Schulbildung des Beschwerdeführers beruhen auf seinen diesbezüglich plausiblen und im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben im Laufe des Asylverfahrens.

Hinsichtlich der Aufenthaltsorte von Familienangehörigen im Iran haben sich teilweise Ungereimtheiten ergeben, in der Gesamtbetrachtung konnte dem diesbezüglichen Vorbringen des Beschwerdeführers allerdings im Ausmaß der Feststellungen gefolgt werden.

Das genaue Alter des Beschwerdeführers konnte mangels persönlicher Dokumente nicht festgestellt werden; unter Zugrundelegung des medizinischen Gutachtens vom 28.12.2017 ergibt sich als spätmöglichstes Geburtsdatum der XXXX . Die Volljährigkeit wurde daher spätestens am 12.04.2018 erreicht.

Die Feststellungen zur Einreise, Antragstellung und dem Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus dem Inhalt des Verwaltungsaktes und dem damit in Einklang stehenden Vorbringen des Beschwerdeführers.

Dass der Beschwerdeführer ledig ist und keine Kinder hat, ergibt sich aus seinen diesbezüglich glaubhaften Aussagen während des Verfahrens.

Hinsichtlich des Gesundheitszustandes und des aktuellen Privat- und Familienlebens sowie insbesondere der Integration des Beschwerdeführers in Österreich wurden die Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung sowie die vorgelegten Unterlagen den Feststellungen zugrunde gelegt. Der Bezug von Leistungen aus der Grundversorgung geht aus einem seitens des Bundesverwaltungsgerichtes eingeholten Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem (GVS) hervor. Die Feststellung der Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer aktuellen Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich. Zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers ist festzuhalten, dass dieser zwischenzeitlich im Jahr 2018 an Tuberkulose erkrankt war, welche allerdings behandelt wurde. Der im Rahmen der Beschwerde beigelegte Ambulanzbericht vom 18.07.2018 spricht „klinisch betrachtet“ von einem „zufriedenstellenden Zustand“. Deshalb geht das erkennende Gericht derzeit – mangels anderer Angaben seitens des Beschwerdeführers – auch von einem Gesundheitszustand aus, der die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers nicht beeinträchtigt, zumal dieser auch in der mündlichen Verhandlung seinen grundsätzlichen Arbeitswillen bekundete und ausführte, „viel“ ins Fitnessstudio zu gehen und gelegentlich Fußball zu spielen.

2.2. Zum Fluchtvorbringen und zur Rückkehrsituation:

Bereits das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wertete das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend eine asylrelevante Verfolgungsgefahr aufgrund unplausibler und widersprüchlicher Angaben als unglaubhaft. Das Bundesverwaltungsgericht kommt aus den folgenden Gründen zum selben Ergebnis:

In der Beschwerde wurde zunächst vorgebracht, dass die Versagung der Glaubwürdigkeit aufgrund der Nicht-Nennung des Namens des Mädchens „völlig unschlüssig“ sei. Während dieses Vorbringen noch nachvollzogen werden kann, ist dennoch nicht verständlich, warum der Beschwerdeführer keinerlei nähere Angaben über die Familie des Mädchens machen konnte – weder in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. In Anbetracht der Tatsache, dass er laut eigenen Angaben eine zwei- bis dreimonatige Beziehung mit ihr geführt und dabei regelmäßig mit ihr in Kontakt gestanden haben soll – nebst den geschilderten Treffen bestand zuvor auch schriftlicher Kontakt mittels SMS –, ist es nicht plausibel, dass beispielsweise kein Wissen über etwaige Geschwister vorhanden ist. Hinzu kommt noch, dass gerade bei einer vermeintlichen Bedrohung im Falle des Bekanntwerdens der Beziehung durch ebendiese Familie das Mädchen mit großer Wahrscheinlichkeit die Familienmitglieder näher genannt hätte (zum Beispiel Vater, Bruder, Onkel), von denen konkret eine Bedrohung ausgehe. Außerdem soll auch die strenge Religiosität der Familie des Mädchens des Öfteren besprochen worden sein. Aufgrund dieser Umstände wäre ein genaueres Wissen über die Familienangehörigen zu erwarten gewesen, weswegen bereits aus diesem Grund Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens aufkamen.

Das weitere Vorbringen des Beschwerdeführers, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe sein jugendliches Alter im Rahmen der Beweiswürdigung nicht ausreichend bedacht, denn ein „riskantes Verhalten“ sei alterstypisch und spreche gerade deshalb für die Glaubwürdigkeit, teilt das Bundesverwaltungsgericht ebenso nicht. Der Beschwerdeführer gab einerseits an, er habe nicht mit größeren Schwierigkeiten im Falle des Bekanntwerdens der Beziehung, sondern „maximal“ mit „Streit“ zwischen den Familien gerechnet. Andererseits habe er aufgrund des außerehelichen Geschlechtsverkehrs Tod und Gewalt durch den Staat und die Familie des Mädchens befürchtet. Selbst unter besonderer Berücksichtigung des zum damaligen Zeitpunkt jugendlichen Alters des Beschwerdeführers ist dieser Widerspruch nicht erklärbar. Denn hierbei handelt es sich nicht um ein vernachlässigbares Detail, sondern um einen zentralen Aspekt seines Fluchtvorbringens. In der mündlichen Verhandlung führte der Beschwerdeführer zu diesem Widerspruch aus, dass aufgrund des gemeinsamen Spazierengehens noch nichts Gröberes zu erwarten gewesen wäre, weil dies noch als Freundschaft hätte begründet werden können. Erst wenn man sie beim Geschlechtsverkehr gesehen hätte, wäre die Hinrichtung die Folge gewesen. Dies vermag allerdings nicht zu überzeugen. Der Beschwerdeführer ist in der Provinz Herat nach eigenen Angaben geboren und aufgewachsen, weshalb davon auszugehen ist, dass er im Alter von 15 Jahren mit den kulturellen und religiösen Vorstellungen seiner Region bereits vertraut war. Dass dort wie auch generell in Afghanistan Freundschaften zwischen Männern und Frauen gesellschaftlich akzeptiert werden bzw. diese lediglich in Streitereien münden, ist nicht anzunehmen.

Des Weiteren ist unschlüssig, dass die Familie einerseits am religiös-moralischen Konzept der „zina“ festhalte und diese auch mit Gewalt gegen ihre eigene Tochter – die laut den Aussagen des Beschwerdeführers deshalb geschlagen worden sei – ahnde, andererseits ihre Tochter trotz dieser streng konservativen Einstellung unbegleitet außer Haus gelassen haben sollen. Die Aussage des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung, wonach die Tochter großes Vertrauen ihrer Familie genossen habe und daher für eine gewisse Zeit alleine das Haus habe verlassen dürfen, ist vor dem Hintergrund einer streng gläubigen Familie nicht plausibel.

Weiters ist nicht glaubwürdig, dass die Familie des Mädchens lediglich, um den Beschwerdeführer habhaft zu werden, auf eine Eheschließung gedrängt habe. Vielmehr ist – bei einer Wahrunterstellung des Vorbringens – davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer das Mädchen nicht habe heiraten wollen und deshalb geflüchtet sei.

Des Weiteren zeigten sich in der mündlichen Verhandlung auch noch weitere kleine Widersprüche wie beispielsweise bezüglich des Austausches der Telefonnummern.

Inwieweit der afghanische Staat und dessen Behörden von der angegebenen Beziehung hätten erfahren und ihn dafür verfolgen sollen, ist nicht nachvollziehbar. Der Beschwerdeführer sprach zwar von einem Eintrag in seinen Akt in seiner Ortschaft und vermutete, dass dieser weitergeleitet worden sei. Nähere Ausführungen hiezu machte der Beschwerdeführer jedoch nicht und findet eine derartige Vorgangsweise auch keine Deckung in den allgemeinen Länderberichten.

Zum Vorbringen der Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Glaubensgemeinschaft gab der Beschwerdeführer in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl selbst an, dass er persönlich diesbezüglich keine Probleme hatte. Es habe Vorfälle der Gewalt durch Lehrer der Schule, die vom Beschwerdeführer besucht wurde, gegeben, allerdings seien Regelverstöße (wie beispielsweise Verspätungen) unabhängig von der ethnischen Zugehörigkeit („egal ob Tadschike oder Hazara“) körperlich geahndet worden. In der mündlichen Verhandlung brachte der Beschwerdeführer diese Erlebnisse nicht vor. Im Zusammenhang mit den Informationen aus den Länderberichten ist daher von keiner Verfolgung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit bzw. der Religionszugehörigkeit auszugehen.

Erstmals in der mündlichen Verhandlung brachte der Beschwerdeführer aufgrund einer diesbezüglichen Frage seines Vertreters, ob er befürchte, zum Kampf im Bürgerkrieg gezwungen zu werden, vor, dass es „gut möglich“ sei, dass er in den „Krieg geschickt“ werde. Eine Gefahr der Zwangsrekrutierung ist allerdings aus der Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht zu erkennen. Dabei ist auf die Länderfeststellungen zu verweisen: der afghanische Staat sieht gesetzlich keine Wehrpflicht vor und hat diesbezüglich angesichts ausreichender freiwilliger Meldungen auch keinen Bedarf. Des Weiteren rekrutieren auch die Taliban im Großen und Ganzen nur Bereitwillige, Zwangsrekrutierungen sind nur vereinzelt bekannt und zudem nicht in staatlich kontrollierten Gebieten, wie es die Provinz Herat grundsätzlich ist.

Im Gesamtzusammenhang betrachtet weisen die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Fluchtgrund sohin Widersprüche und Ungereimtheiten in zentralen Teilen des Vorbringens auf, welche der Beschwerdeführer nicht nachvollziehbar zu klären vermochte. Im Zuge des Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht hat sich der Eindruck verstärkt, dass der Beschwerdeführer lediglich eine konstruierte Geschichte wiedergegeben hat und es war daher sein gesamtes fluchtbezogenes Vorbringen als unglaubhaft zu werten.

Nachdem der Beschwerdeführer in der Provinz Herat geboren und aufgewachsen ist sowie dort acht Jahre lang die Schule besucht hat, kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die Orts- und Sprachkenntnisse in einem solchen Ausmaß vorhanden sind, dass im Normalfall bei einer Rückkehr in sichere Provinz bzw Stadt wie Herat Stadt keine existenzielle Notlage zu befürchten wäre. Der EASO-Bericht geht insbesondere bei alleinstehenden, arbeitsfähigen Männern („single able-bodied man“, vgl. „Country Guidance: Afghanistan“ aus Juni 2019, S. 137) davon aus, dass sich diese in der Regel in Kabul, Masar-e Scharif oder Herat niederlassen können.

Die medizinische Versorgung im Falle einer Wiedererkrankung an Tuberkulose ist laut der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Afghanistan vom 18.01.2017 betreffend Behandelbarkeit von Tuberkulose im Normallfall gewährleistet. Es besteht in jeder größeren Stadt eine Klinik des nationalen Tuberkuloseinstituts, welches die Krankheit kostenlos behandelt. Die Medikamente sind ebenso kostenlos.

Auch wenn Tuberkulose nicht als Risikoerkrankung im Sinne der (österreichischen) Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz über die Definition der allgemeinen COVID-19-Risikogruppe (COVID-19-Risikogruppe-Verordnung), BGBl. II Nr. 203/2020, gilt, kann dem Beschwerdeführer aufgrund der derzeitigen medizinischen Situation und Wirtschafts- und Versorgungslage in Afghanistan und unter Berücksichtigung seiner zwar behandelten, aber noch im Kontrollstadium befindlichen Vorerkrankung der Aufbau einer zumindest die Grundbedürfnisse deckende Existenz nicht zugemutet werden. Wie festgestellt hat die afghanische Regierung in zahlreichen Großstädten „Lockdown“-Maßnahmen verfügt, die angespannte Situation bezieht sich auf das gesamte Staatsgebiet Afghanistans. Hinzuzufügen ist, dass sich die Familie des Beschwerdeführers außerhalb Afghanistans befindet und dieser daher nicht durch sie aufgenommen und versorgt werden kann. Über sonstige soziale Anknüpfungspunkte in Afghanistan verfügt der Beschwerdeführer nicht.

2.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Die Länderfeststellungen beruhen auf den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten, insbesondere dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, das basierend auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger unbedenklicher Quellen einen in den Kernaussagen schlüssigen Überblick über die aktuelle Lage in Afghanistan gewährleistet.

Angesichts der Seriosität der genannten Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zugrunde gelegt werden konnten. Die Situation in Afghanistan stellt sich seit Jahren diesbezüglich im Wesentlichen unverändert dar, wie sich das erkennende Gericht durch ständige Beachtung der aktuellen Quellenlage versichert hat.

Der Beschwerdeführer bzw. seine Vertreterin legten in ihrer Stellungnahme vom 10.12.2019 zu den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderberichten andere Berichte vor, deren zufolge die Sicherheitslage derart schlecht ist, dass im Falle einer Rückkehr das Risiko einer Verletzung der Artikel 2 und 3 EMRK sowie Protokoll Nr. 6 und 13 zur EMRK droht und eine innerstaatliche Fluchtalternative ausgeschlossen ist.

Das erkennende Gericht sieht eine solche Gefahr bei einer Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Heimatprovinz einschließlich der Hauptstadt Herat als nicht gegeben an. Es verkennt nicht, dass die Lage zwar an sich eine prekäre ist, doch trifft dies wie in den Feststellungen angeführt nicht auf alle Provinzen gleichermaßen zu. Den Länderberichten kann entnommen werden, dass Herat eine vergleichsweise ruhige und stabile Provinz ist. Insbesondere gilt die Provinzhauptstadt Herat Stadt als „sehr sicher“ (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 13.11.2019, S. 105; vgl weiters EASO-Bericht „Country Guidance: Afghanistan“ aus Juni 2019, S. 100).

In der Stellungnahme vom 20.07.2020 wies der Beschwerdeführer bzw. seine Vertretung unter anderem auf die durch Covid-19 beeinträchtigte Wirtschafts- und Versorgungslage hin sowie dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Tuberkulose-Vorerkrankung zur Covid-19-Risikogruppe zähle. Diese Umstände wurden durch das Bundesverwaltungsgericht – wie den Feststellungen und der Beweiswürdigung zu entnehmen ist – berücksichtigt.

Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation am 21.07.2020 eine neue Kurzinformation hinzugefügt wurde. Dies betraf allerdings nur die aktuelle Lage in Zusammenhang mit Covid-19, welche sich im Vergleich zur Kurzinformation vom 29.06.2020 nicht merklich veränderte; wie befürchtet schreitet die Ausbreitung der Krankheit voran, weswegen die Maßnahmen der Regierung nach wie vor aufrecht sind.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zur Zuständigkeit und Kognitionsbefugnis:

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl das Bundesverwaltungsgericht.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.

Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen (§ 28 Abs. 1 VwGVG).

Zu A)

3.2. Zu Spruchpunkt I.:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Artikel 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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