TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/24 W260 2211318-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.09.2020
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Entscheidungsdatum

24.09.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W260 2211318-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Markus BELFIN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, Außenstelle Wien, vom 12.11.2018, Zahl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.05.2020 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. XXXX (im Folgenden „Beschwerdeführer“), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 19.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Bei der Erstbefragung am 20.11.2015 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari an, dass er aus der Provinz Helmand in Afghanistan stammen, der Volksgruppe der Hazara angehören würde und schiitischer Moslem wäre.

Seine Eltern, vier Brüder und eine Schwester würden in Afghanistan leben.

Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Beschwerdeführer an, er hätte vor ungefähr drei Monaten einen Drohbrief der Taliban erhalten, weil er als Polizeioffizier für die afghanischen Behörden gearbeitet hätte. Er hätte Angst gehabt getötet zu werden, deshalb habe er Afghanistan verlassen.

3. Mit Schreiben vom 06.02.2017 legte der Beschwerdeführer Integrationsunterlagen vor.

4. Der Beschwerdeführer gab mit Schreiben vom 12.10.2017 bekannt, dass er den MigrantInnenverein St. Marx mit seiner Vertretung beauftragt habe.

5. Am 09.05.2018 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge „belangte Behörde“) im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari.

Der Beschwerdeführer legte ein Konvolut an Beweismitteln zu seiner polizeilichen Tätigkeit in Afghanistan und Integrationsunterlagen vor.

Er gab zusammengefasst an, er hätte in Afghanistan zwölf Jahre lang die Schule und zwei Jahre lang die Universität besucht. Ab 2012 hätte er als Staatsbediensteter gearbeitet, zunächst als Grenzpolizist, dann für den Geheimdienst.

Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass sein Hauptgrund Probleme mit den Taliban wären. Weiters würden ernstzunehmende Probleme bestehen, die mit seiner beruflichen Tätigkeit zusammenhängen. Er hätte Probleme mit Bataillonsführern im Bereich von Drogen gehabt. Die Bataillonsführer hätten zahlreiche Schlepper getötet und Drogen und Waffen für ihren eigenen Nutzen eingezogen. Er hätte auch Probleme mit der logistischen Zone wegen Korruption. An den Grenzposten hätten sie hunderte Millionen Afghani in ihre eigenen Taschen gesteckt. Das Geld wäre für den Ausbau der Posten gedacht gewesen. Die korrupten Kollegen hätten teilweisen Zelte aufgestellt und nur minimale Summen in den Ausbau investiert. Der Beschwerdeführer hätte auch Probleme wegen seiner Volksgruppe und Religionszugehörigkeit gehabt. Er wäre wegen einer verbalen Auseinandersetzung zwei Wochen lang vom Zonenleiter eingesperrt worden. Eigentlich wäre er aber wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit in Haft gewesen.

Im April/ Mai 2015 wäre der Beschwerdeführer an einer Militäroperation in der Provinz Helmand beteiligt gewesen. Nach Ende der Operation hätten sie Kontrollen durchgeführt, um Plünderungen zu verhindern. Dabei wären sie umzingelt und beschossen worden. Es hätte Tote und Verwundete gegeben. Nachdem sie Hilfe erhalten hätten, hätte der Beschwerdeführer geholfen, Verwundete wegzubringen. Dabei wäre ihm sein Handy aus der Westentasche gefallen. Auf dem Handy wären Fotos von seinem Waffenschein, seinem Identitätsausweis, Aufnahmen von festgenommenen Schleppern usw. gespeichert gewesen. Nach dem Verlust des Telefons hätte der Beschwerdeführer Problem mit den Taliban bekommen. Die Taliban hätten zwei Mal seinen Vater angerufen und ihn aufgefordert, dass sich der Beschwerdeführer ihnen anschließe.

Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte er direkt Probleme mit dem Geheimdienst zu bekommen, da er unerlaubt vom Dienst ferngeblieben wäre. Darüber hinaus würde er behördeninterne Dokumente und Informationen besitzen und das würde ihm „übel genommen“ werden. Er würde jahrelang im Gefängnis sitzen. Die Leiter und Mitarbeiter von Kompanien, vom Bataillon und vom Logistikbereich würden sich an ihm rächen. Die Taliban würden ihn auch nicht am Leben lassen.

6. Mit Schreiben vom 12.05.2018 gab der Beschwerdeführer eine Stellungnahme ab. Darin wiederholte er im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen und gab ergänzend an, er befürchte auch Verfolgung aufgrund seiner westlichen Lebenseinstellung und seiner tiefen Integration in Österreich.

7. Mit dem nunmehr angefochtenem Bescheid vom 12.11.2018 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß § 57 AsylG 2005 erteilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.) und erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.). Die belangte Behörde stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters sprach die belangte Behörde aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI).

Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates bzw. zu der Situation im Falle einer Rückkehr stellte die belangte Behörde insbesondere fest, der Beschwerdeführer habe einen umfangreichen Sachverhalt zu Protokoll gebracht. Er habe aber aufgrund von vagen, abstrakten und auch unterschiedliche Angaben nicht glaubhaft machen können, dass er als Grenzpolizist bzw. für die Geheimpolizei gearbeitet habe und Probleme mit korrupten Kollegen bekommen hätte und auch von den Taliban bedroht und verfolgt worden wäre. Zudem bestehe für den Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif.

8. Gegen den verfahrensgegenständlichen Bescheid brachte der Beschwerdeführer durch seine rechtsfreundliche Vertretung fristgerecht Beschwerde ein.

Der Beschwerdeführer wiederholte darin im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen. Es würde Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu seiner bestimmten sozialen Gruppe und Verfolgung aus politischen/ religiösen Gründen bestehen. Außerdem hätte er jeglichen Bezug zu seiner Heimat verloren, weshalb er im Falle einer Rückkehr der Gefahr ausgesetzt wäre, in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten. Die Beweiswürdigung der belangten Behörde würde fast ausschließlich aus selektiven Zitaten aus dem Protokoll der Einvernahme und aus Textbausteinen bestehen. Die belangte Behörde hätte einen großen Teil der Aussagen des Beschwerdeführers gar nicht zur Kenntnis genommen und die Beweismittel, die der Beschwerdeführer vorgelegt hat, nicht angemessen beurteilt. Der Vorwurf, der Beschwerdeführer hätte keine ausreichenden Informationen über die fluchtauslösenden Ereignisse gemacht, wäre nicht nachvollziehbar.

9. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 13.12.2018 wurde der Bezug habende Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht zur Vorlage gebracht und langte dieser am 17.12.2018 ebendort ein.

10. Mit Schreiben vom 21.02.2020 übermittelte der Beschwerdeführer ein Konvolut an Integrationsunterlagen.

11. Am 05.03.2020 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers beim Bundesverwaltungsgericht ein.

12. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.05.2020 wurde eine mündliche Verhandlung für den 25.05.2020 anberaumt.

13. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.05.2020 wurde den Verfahrensparteien im Rahmen des Parteiengehörs aktuelles Länderberichtsmaterial übermittelt. Weiters wurde der Beschwerdeführer aufgefordert etwaige aktuelle Integrationsunterlagen und Krankenunterlagen dem Bundesverwaltungsgericht zu übermitteln.

14. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 25.05.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Der Beschwerdeführer wurde im Beisein seines bevollmächtigten Rechtsvertreters, eines Dolmetschers für die Sprache Dari und in Anwesenheit von zwei Vertrauenspersonen zu seinen Fluchtgründen und zu seiner Situation in Österreich befragt.

Die Niederschrift wurde der unentschuldigt ferngebliebenen belangten Behörde übermittelt.

Der Beschwerdeführer legte Integrationsunterlagen und Beweismittel vor, die als Beilagen ./I und ./II zum Akt genommen wurden.

15. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26.05.2020 wurde der belangten Behörde die Verhandlungsschrift samt Beilagen übermittelt und eine Stellungnahmefrist von zwei Wochen eingeräumt.

Die belangte Behörde gab keine Stellungnahme ab.

16. Der Beschwerdeführer übermittelte durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter mit Schreiben vom 04.06.2020 eine DVD mit zwei Videos, welche die Operationen des Beschwerdeführers und seiner Einheit zeigen würden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und ist am XXXX geboren.

Er ist afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam.

Der Beschwerdeführer ist in der Provinz Helmand in Afghanistan geboren und aufgewachsen und hielt sich bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan überwiegend in dieser Provinz auf. Die Familie des Beschwerdeführers besaß im Zeitpunkt der Ausreise dort ein Haus.

Die Familie des Beschwerdeführers besteht aus seinen Eltern, vier Brüdern und einer Schwester. Der Familie des Beschwerdeführers lebt derzeit illegal in Pakistan.

Der Beschwerdeführer besuchte zwölf Jahre lang die Schule und zwei Jahre lang die Universität.

Von 23.10.2012 bis 01.07.2013 arbeitete der Beschwerdeführer für die Grenzpolizei in Afghanistan. Am 01.07.2013 wurde er beim Geheimdienst aufgenommen, arbeitete aber de facto noch bis Jänner 2014 als Grenzpolizist. Von 27.01.2014 bis 13.10.2015 war er für den afghanischen Geheimdienst tätig.

Der Beschwerdeführer befindet sich seit seiner Antragstellung im November 2015 aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2015 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet.

Der Beschwerdeführer weist Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2 auf. Er arbeitet ehrenamtlich und pflegt soziale Kontakte, auch zu österreichischen Bekannten.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan droht dem Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gewalt durch die Taliban aufgrund seiner politischen Gesinnung, weil er als Grenzpolizist und Geheimpolizist für die afghanische Armee gearbeitet hat und sich – indirekt durch seine Flucht – geweigert hat, für die Taliban zu arbeiten.

Die Echtheit der vorgelegten Drohbriefe sowie der vorgelegten Militärausweise und Beweismittel in Zusammenhang mit der militärischen Tätigkeit des Beschwerdeführers kann nicht festgestellt werden.

Die staatlichen Behörden in Afghanistan können dem Beschwerdeführer weder in seiner Heimatregion noch in einem anderen Teil Afghanistans Schutz vor Verfolgung durch die Taliban bieten. Dem Beschwerdeführer steht eine zumutbare innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative nicht zur Verfügung.

Es liegen keine Gründe vor, nach denen ein Ausschluss des Beschwerdeführers hinsichtlich der Asylgewährung zu erfolgen hat. Solche Gründe sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Zur Lage in Afghanistan werden die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019, letzte Information vom 18.05.2020, in den UNHCR Richtlinien vom August 2018, den EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2018 sowie den EASO Country Guidance Afghanistan 2019 (in englischer Sprache) enthaltenen folgenden Informationen als entscheidungsrelevant festgestellt:

1.3.1. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. In einigen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischen Gruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren.

1.3.1.1. Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin „high-profile“-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu. Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten.

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US- Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren.

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert; auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen. Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant.

1.3.1.2. Herkunftsprovinz Helmand

Die Provinz Helmand liegt im Süden Afghanistans und grenzt an die Provinzen Nimroz und Farah im Westen, Ghor und Daikundi im Norden sowie Uruzgan und Kandahar im Osten. Im Süden teilt sich Helmand eine 162 Kilometer lange Grenze mit Pakistan entlang der Durandlinie. Helmand ist die größte Provinz Afghanistans und gliedert sich in die Distrikte Baghran, Dishu, Garm Ser, Kajaki, Lashkargah, Musa Qala, Nad Ali, Marja (ehemals Teil von Nad Ali, Nahr-i-Saraj (Nawa-i-Barikzayi, Nawamish, Nawzad, Reg-i-Khan Nishin, Sangin und Washer. Die Provinzhauptstadt von Helmand ist Lashkargah. Nach Angaben der afghanischen zentralen Statistikorganisation (CSO) sind Marja und Nawamish sogenannte „temporäre“ Distrikte, da sie nach Verabschiedung der Verfassung von 2004 durch den Präsidenten aus Sicherheits- oder anderen Gründen genehmigt, aber (noch) nicht vom Parlament bestätigt wurden.

Der von Hazara dominierte Distrikt Nawamish wurde auf Anordnung des Präsidenten im März 2016 vom mehrheitlich paschtunischen Distrikt Baghran in der Provinz Helmand abgespalten. Im Juni 2017 wurden die administrativen Angelegenheiten von Nawamish Daikundi zugeordnet, bzw. beschloss die Regierung 2018, dass Nawamish Teil von Daikundi werden würde. 2018 wurden die Parlamentswahlen in Nawamish jedoch von Lashkargah aus durchgeführt, was Proteste im Distrikt hervorrief. Zeitungsberichte vom Mai und Juli 2019 zählten Nawamish wieder zu Daikundi. Eine Quelle berichtet, dass es sich hierbei um einen Konflikt entlang ethnischer Grenzen handelt: Während Paschtunen fordern, dass Nawamish Teil von Daikundi sein soll, sprechen sich Hazara für eine Zugehörigkeit zu Helmand aus.

Die CSO schätzt die Bevölkerungsanzahl von Helmand im Zeitraum 2019-20 auf 1.420.682 Personen. Die Mehrheit der Einwohner von Helmand sind Paschtunen, mit einer belutschischen Minderheit im Süden an der Grenze zur pakistanischen Provinz Belutschistan und Hazara in Nawamish im Norden. Während die nördlichen Distrikte von Helmand – Baghran, Kajaki und Musa Qala – hauptsächlich von Mitgliedern des Alizai-Stammes bevölkert werden, sind die Distrikte Marja und Nad Ali in ihrer Zusammensetzung heterogener. Dort leben Angehörige der Nurzai, Ishaqzai, Alizai, Alekozai sowie mehrerer kleinerer Stämme. Die Ishaqzai sind angeblich einer der religiös-konservativsten Stämme in ganz Afghanistan. Der verstorbene Taliban-Führer Mullah Akhtar Muhammad Mansur gehörte diesem Stamm an.

Helmand ist von geostrategischer Bedeutung, da ein Abschnitt der Ring Road durch die Distrikte Nahr-i-Saraj, Sangin und Washer verläuft, welcher das Bevölkerungszentrum Herat im Westen mit Kandahar im Osten und schließlich der Hauptstadt Kabul verbindet. In Lashkargah gibt es einen Regionalflughafen mit Linienflugbetrieb.

Laut dem UNODC Opium Survey 2018 blieb Helmand 2018 die mit Abstand größte Anbauprovinz für Schlafmohn in Afghanistan und beherbergte 52% der gesamten Anbaufläche des Landes, wenngleich der Schlafmohnanbau in Helmand im Jahr 2018 gegenüber dem Vorjahr um 5% sank. Die zentrale Rolle der Provinz als Schlafmohnanbaugebiet trägt erheblich zu ihrer strategischen Bedeutung für die Taliban bei: Wer Helmand kontrolliert, wird mit umfangreichen Einnahmen belohnt.

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Helmand zählt zu den volatilen Provinzen Afghanistans. Ein Großteil der Gewalt in Helmand ist auf die Drogenwirtschaft zurückzuführen. Aufständische der Taliban sind in gewissen unruhigen Distrikten aktiv, in denen sie versuchen terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitsinstitutionen durchzuführen.

Die Taliban können auf eine große Anzahl an Unterstützern aus der Bevölkerung zurückgreifen. Neben den Taliban soll auch Al-Qaida in Helmand präsent sein. Im August 2018 töteten afghanische Sicherheitskräfte sieben Al-Qaida-Mitglieder in Helmand. Einer Quelle zufolge sind keine Kämpfer des Islamischen Staats (IS) in Helmand aktiv.

Neben den regulären afghanischen Streitkräften wie der ANP, der ALP, der ANA sowie regierungsfreundlichen Milizen und den US-Streitkräften, soll eine spezielle Abteilung namens Sangorian auf Seite der Regierung in Helmand aktiv sein. Die Sangorian wurde im Januar 2016 vom Einsatzkommandanten der afghanischen Streitkräfte in Helmand als verdeckte anti-Taliban Miliz mit dem Ziel gegründet, die Taliban zu infiltrieren und von innen zu schwächen. Die Sangorian-Kämpfer sind Einheimische, Taliban-Dissidenten und ehemalige Taliban-Aufständische. Helmand befindet sich im Verantwortungsbereich des 215. ANA Corps, das der Task Force Southwest untersteht, welche von US-amerikanischen Streitkräften geleitet wird. Seit dem Jahr 2017 sind US-Marines wieder in Helmand stationiert, um afghanischen Regierungstruppen von Militärstützpunkten aus zu beraten und um Luftangriffe zu verstärken.

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 675 zivile Opfer (284 Tote und 391 Verletzte) in der Provinz Helmand. Dies entspricht einem Rückgang von 23% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierte Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Luftangriffen und Kämpfen am Boden.

Laut einem Bericht des UN-Generalsekretärs war Helmand im Frühjahr 2019 eine der aktivsten Konfliktzonen Afghanistans. Während des Jahres 2018 und im ersten Halbjahr 2019 führten die US-amerikanischen und afghanischen Streitkräfte Operationen in der Provinz fort, einschließlich Luftangriffen, die Berichten zufolge Schäden unter der Zivilbevölkerung verursachten. Im Zeitraum von November 2018 bis Februar 2019 haben rund ein Drittel aller Luftangriffe in Afghanistan in der Provinz Helmand stattgefunden. Im Berichtszeitraum Februar bis Juni 2019 fand die Hälfte aller Luftangriffe in den Provinzen Helmand und Ghazni statt. Auch werden seit Juni 2018 Offensiven verstärkt in den strategisch wichtigen Distrikten Nad Ali, Nawa, Garm Ser, Nahr-i-Saraj, Sangin und Washer durchgeführt. Die Taliban wurden so zurückgedrängt und der Druck auf die Provinzhauptstadt konnte vermindert werden.

In der Provinz werden regelmäßig Sicherheitsoperationen durchgeführt, dabei wurden hochrangige Taliban getötet und Gefangene aus Taliban-Gefängnissen befreit. Die Taliban griffen wiederholt Sicherheitskontrollposten und Sicherheitskräfte an.

Aktivisten einer 2018 gegründeten Friedensbewegung, deren Mitglieder Männer als auch Frauen sind, waren auch im ersten Halbjahr 2019 aktiv und riefen die Konfliktparteien zu einer Beendigung ihrer Frühjahrsoffensiven auf.

1.3.2. Wirtschafts- und Versorgungslage

Zur Wirtschafts- und Versorgungslage ist festzuhalten, dass Afghanistan weiterhin ein Land mit hoher Armutsrate und Arbeitslosigkeit ist. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut auch im Jahr 2018 weiterhin zu.

In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten im Jahr 2018 als arbeitslos oder unterbeschäftigt. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können.

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant.

1.3.3. Rechtsschutz/ Justiz

Gemäß Artikel 116 der Verfassung ist die Justiz ein unabhängiges Organ der Islamischen Republik Afghanistan. Die Judikative besteht aus dem Obersten Gerichtshof, den Berufungsgerichten und den Hauptgerichten, deren Gewalten gesetzlich geregelt sind. Die wichtigste religiöse Institution des Landes ist der Ulema-Rat, eine nationale Versammlung von Religionsgelehrten, die u.a. den Präsidenten in islamrechtlichen Angelegenheiten berät und Einfluss auf die Rechtsformulierung und die Auslegung des existierenden Rechts hat.

Das afghanische Justizwesen beruht sowohl auf dem islamischen [Anm.: Scharia] als auch auf dem nationalen Recht. Die rechtliche Praxis in Afghanistan ist komplex: Einerseits sieht die Verfassung das Gesetzlichkeitsprinzip und die Wahrung der völkerrechtlichen Abkommen, einschließlich Menschenrechtsverträge, vor, andererseits formuliert sie einen unwiderruflichen Scharia-Vorbehalt.

Das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren ist in der Verfassung verankert, wird aber in der Praxis selten umgesetzt. Die Umsetzung der rechtlichen Bestimmungen ist innerhalb des Landes uneinheitlich.

Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan üblicherweise akzeptiert wird, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang; oft werden die Bestimmungen des islamischen Rechts zugunsten des Gewohnheitsrechts missachtet, welches den Konsens innerhalb der Gemeinschaft aufrechterhalten soll. Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tiefgreifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht. Dazu zählen unter anderem das Frauenrecht, Strafrecht und –verfahren, die Verbindlichkeit von Rechten gemäß internationalem Recht und der gesamte Bereich der Grundrechte.

Laut dem allgemeinen Islamvorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Trotz großer legislativer Fortschritte in den vergangenen 14 Jahren gibt es keine einheitliche und korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (kodifiziertes Recht, Scharia, Gewohnheits-/Stammesrecht). Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, so ist nicht festgelegt, welches Gesetz im Fall eines Konflikts zwischen dem traditionellen islamischen Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und eine fehlende Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen.

Die mangelnde Präsenz eines formellen Rechtssystems in ruralen Gebieten führt zur Nutzung lokaler Schlichtungsmechanismen. Das formale Justizsystem ist in den städtischen Zentren relativ stark verankert, da die Zentralregierung dort am stärksten ist, während es in den ländlichen Gebieten - wo ungefähr 76% der Bevölkerung leben - schwächer ausgeprägt ist. In einigen Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle setzen die Taliban ein paralleles auf der Scharia basierendes Rechtssystem um.

Die Unabhängigkeit des Justizwesens ist gesetzlich festgelegt; jedoch wird die afghanische Judikative durch Unterfinanzierung, Unterbesetzung, inadäquate Ausbildung, Unwirksamkeit und Korruption unterminiert. Rechtsstaatliche (Verfahrens-)Prinzipien werden nicht konsequent angewandt.

Korruption stellt weiterhin ein Problem innerhalb des Gerichtswesens dar.

1.3.4. Sicherheitsbehörden

In Afghanistan gibt es drei Ministerien, die mit der Wahrung der öffentlichen Ordnung betraut sind: das Innenministerium (MoI), das Verteidigungsministerium (MoD) und das National Directorate for Security (NDS). Das MoD beaufsichtigt die Einheiten der afghanischen Nationalarmee (ANA), während das MoI für die Streitkräfte der afghanischen Nationalpolizei (ANP) zuständig ist.

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte (CIA 2018). Bestandteile der ANDSF sind die afghanische Nationalarmee (ANA), die afghanische Nationalpolizei (ANP) und die afghanischen Spezialsicherheitskräfte (ASSF). Die ANA beaufsichtigt alle afghanischen Boden- und Luftstreitkräfte inklusive der konventionellen ANA-Truppen, der Luftwaffe (AAF), des ANA- Kommandos für Spezialoperationen (ANASOC) des Spezialmissionsflügels (SMW) und der afghanischen Grenzpolizei (ABP) (die ABP seit November 2017, Anm.). Die ANP besteht aus der uniformierten afghanischen Polizei (AUP), der afghanischen Nationalpolizei für zivile Ordnung (ANCOP), der afghanischen Kriminalpolizei (AACP), der afghanischen Lokalpolizei (ALP), den afghanischen Kräften zum Schutz der Öffentlichkeit (APPF) und der afghanischen Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA). Auch das NDS ist Teil der ANDSF.

Die afghanische Nationalarmee (ANA) überwacht und kommandiert alle afghanischen Boden- und Luftstreitkräfte. Die ANA ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen.

Mit Stand 31. Jänner 2018 betrug der Personalstand der ANA 184.572 Mann. Im Vergleich zum Jänner 2017 ist die Anzahl der ANA-Streitkräfte um 6.861 Mann gestiegen. Die monatlichen Ausfälle der ANA im vorhergehenden Quartal betrugen mit Stand 26. Februar 2018 im Durchschnitt 2%. Im letzten Jahr blieben sie relativ stabil unter 2%.

1.3.5. Wehrpflicht

In Afghanistan gibt es keine Wehrpflicht. Das vorgeschriebene Mindestalter für die freiwillige Meldung beträgt 18 Jahre. Da die Tätigkeit als Soldat oder Polizist für den großen Teil der jungen männlichen Bevölkerung eine der wenigen Verdienstmöglichkeiten darstellt, besteht grundsätzlich kein Anlass für Zwangsrekrutierungen zu staatlichen Sicherheitskräften. Soldaten oder Polizisten, die ihre Truppe vorübergehend unerlaubt verlassen, um zu ihren Familien zurückzukehren, werden schon aufgrund ihrer sehr hohen Zahl nach Rückkehr zu ihrem ursprünglichen Standort wieder in die ANDSF aufgenommen.

Gemäß dem afghanischen Militärstrafgesetzbuch (Afghanistan Penal Code on Military Crimes) von 2008 wird eine Abwesenheit von mehr als 24 Stunden als unerlaubt definiert (absent without official leave, AWOL). In der Praxis werden Fälle von Desertion in Afghanistan nicht strafrechtlich verfolgt, insbesondere wenn die desertierten Personen innerhalb Afghanistans ausgebildet wurden. Unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst, bzw. Desertion wird gemäß Artikel 10 Anhang 1 des Militärstrafgesetzbuchs nicht bestraft, wenn die Abwesenheit weniger als ein Jahr dauert. Eine Abwesenheit von mehr als einem Jahr kann mit sechs Monaten Freiheitsentzug oder einer Geldstrafe von 20,000 AFN (ca. 237 Euro) bestraft werden. Die permanente Desertion ist mit einer Haftstrafe von zwei bis fünf Jahren bedroht. Bei Desertionen während einer Sondermission beträgt die maximale Haftstrafe zwischen fünf und fünfzehn Jahren.

Für Offiziere, in deren Ausbildung der Staat mehr Ressourcen investiert hat, gelten bei unerlaubter Abwesenheit oder Desertion strengere Regeln. Gemäß Artikel 52 des Dienstrechts für Offiziere, Leutnante und Wachtmeister werden unerlaubte Abwesenheiten von weniger als 30 Tagen geringfügig bestraft, beispielsweise durch Lohnabzug oder andere Disziplinierungsmaßnahmen. Eine unerlaubte Abwesenheit von mehr als 30 Tagen wird gemäß dieser Bestimmung strafrechtlich verfolgt. So müssen Offiziere, die zur Ausbildung ins Ausland entsandt wurden und dort verbleiben, mit Strafmaßnahmen rechnen. Die Bestimmungen sehen Kompensationszahlungen nach der Rückkehr oder durch einen Bürgen vor.

Fahnenflucht kann gemäß Gesetz mit bis zu fünf Jahren Haft, in besonders schweren Fällen mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden. Dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle bekannt, in denen es zu einer strafrechtlichen Verurteilung oder disziplinarischen Maßnahmen allein wegen Fahnenflucht gekommen ist. Im Jahr 2016 wurde ein Soldat wegen Desertion in erster Instanz zu fünfzehn Jahren Haft verurteilt; Berichten zufolge wurde dies zu einem Medienfall, was u.a. auf die Seltenheit solcher Verurteilungen hinweist und auf die Absicht schließen lässt, ein Exempel zu statuieren.

1.3.6. Terroristische und aufständische Gruppierungen

Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach "fehlverhalten", unter anderem Kollaborateure der afghanischen Regierung – praktisch jeder, der der Regierung in irgendeiner Weise hilft.

Die Taliban bieten diesen Personen grundsätzlich die Möglichkeit an, Reue und den Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen. Im Grunde steht jeder auf der schwarzen Liste, der (aus Sicht der Taliban) ein "Übeltäter" ist, und dessen Identität und Anschrift die Taliban ausfindig machen können.

Die Taliban haben ein Netzwerk an Spitzeln in Afghanistan, allein in der Stadt Kabul sind drei verschiedene Taliban Nachrichtendienste nebeneinander aktiv. Es heißt, dass die verschiedenen Nachrichtendienste der Taliban in Kabul über 1.500 Spione in allen 17 Stadtteilen haben. Selbst die, die umsiedeln, laufen Gefahr, auf dem Weg an den Straßensperren der Taliban festgehalten zu werden. Die Taliban behaupten, dass sie, dank ihrer Spione bei der Grenzpolizei am Flughafen Kabul und auch an vielen anderen Stellen, überwachen können, wer in das Land einreist. Sie geben an, regelmäßig Berichte darüber zu erhalten, wer neu ins Land einreist.

Die Taliban beobachten alle Fremden, die in den Dörfern und Kleinstädten unter ihrer Kontrolle ankommen genau, genauso wie die Dorfbewohner, die in Gebiete unter Regierungskontrolle reisen. Sie fürchten offensichtlich, ausspioniert zu werden und versuchen, die Rekrutierung von Informanten durch die Regierung zu beschränken. Wer in die Taliban-Gebiete ein- oder ausreist sollte die Reise überzeugend begründen können, möglichst belegt mit Nachweisen über Geschäftsabschlüsse, medizinische Behandlung etc. Wenn die Taliban einen Schuldigen suchen, der für die Regierung spioniert haben soll, ist jeder, der verdächtigt wird, sich an die Behörden gewandt zu haben, in großer Gefahr.

Die Mehrheit der Taliban sind Paschtunen.

Die Rekrutierung aus anderen ethnischen Gruppen ist weniger üblich. Um eine breitere Außenwirkung zu bekommen, möchte die Talibanführung eine stärkere multiethnische Bewegung entwickeln.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellung zum Namen und Geburtsdatum des Beschwerdeführers ergibt sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, in der Beschwerde, in den im Verfahren erstatteten Stellungnahmen und in den mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften Angaben; das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen – im gesamten Verfahren gleich gebliebenen und sich mit den Länderberichten zu Afghanistan deckenden – Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Geburtsort, seinen Aufenthaltsorten, seinem schulischen und beruflichen Werdegang, seinen Familienangehörigen und seinen Lebensumständen in Afghanistan waren im Wesentlichen gleichbleibend und widerspruchsfrei, weitgehend chronologisch stringent und vor dem Hintergrund der bestehenden sozioökonomischen Strukturen in Afghanistan plausibel.

Die Feststellungen zum Sprachniveau und den Integrationsschritten des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus den im gesamten Verfahren vorgelegten Unterlagen.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

2.2.1. Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers lautet auf das Wesentliche zusammengefasst, dass er für die afghanische Polizei gearbeitet hätte. Zunächst wäre er als Grenzpolizist tätig gewesen. Dann wäre er beim Geheimdienst gewesen. Im Zuge seiner Tätigkeit hätte er immer wieder mit Korruption in den eigenen Reihen zu tun gehabt. Kollegen hätten konfiszierte Drogen einbehalten. Gelder für den Ausbau von Polizeiposten wären nicht richtig verwendet worden. Der Beschwerdeführer hätte zum Beweis von Korruption diverse Beweismittel kopiert und auch auf seinem Handy gespeichert. Bei einem Angriff der Taliban auf die Einheit des Beschwerdeführers wären Kollegen verwundet und getötet worden und der Beschwerdeführer hätte sein privates Handy mit sensiblen beruflichen Daten verloren. Das Handy wäre in die Hände der Taliban gefallen und hätten die Taliban ihn bzw. seinen Vater telefonisch und per Drohbrief bedroht. Der Beschwerdeführer hätte daraufhin, ohne seinen Dienst bei der afghanischen Polizei offiziell zu quittieren, Afghanistan verlassen. Bei einer Rückkehr befürchte er Verfolgung durch die Taliban, aber auch Repressalien und Strafverfolgung durch die afghanischen Behörden, da er „desertiert“ wäre und durch sein Verschulden Behördendokumente an die Taliban gelangt wären.

Das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers im Verlauf des Verfahrens ist im Wesentlichen schlüssig, vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Strukturen in Afghanistan plausibel, weitgehend widerspruchsfrei, substantiiert und angereichert mit lebensnahen Details sowie im Einklang mit den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten.

Der Beschwerdeführer zeichnete insbesondere in der mündlichen Verhandlung in seinen Aussagen und seinem Antwortverhalten ein glaubwürdiges Bild der geschilderten Vorfälle, präsentierte keine einstudierte lineare Fluchtgeschichte und vermittelte so den Eindruck, die dargestellten Ereignisse tatsächlich erlebt zu haben.

2.2.2. An dieser Stelle wird beweiswürdigend folgendes hervorgehoben:

2.2.2.1. Der Beschwerdeführer brachte sowohl in der Erstbefragung, als auch in der Einvernahme bei der belangten Behörde und im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung beim Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen gleichbleibend, widerspruchsfrei und auf Nachfragen detailliert vor, dass er für die afghanischen Polizeibehörden gearbeitet hat und deshalb Probleme mit den Taliban bekommen hat.

Hinsichtlich seines schulischen und beruflichen Werdeganges gab er gleichbleibend an, dass er zwölf Jahre lang die Grundschule und zwei Jahre lang die Universität besucht hat. Er schilderte sowohl in der Einvernahme bei der belangten Behörde (vgl. AS 101ff) als auch in der Beschwerdeverhandlung (vgl. S 10f der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 25.05.2020), dass er zunächst als Grenzpolizist und dann für die Geheimpolizei gearbeitet hat.

Zudem legte er nachvollziehbar dar, dass er während seiner Tätigkeit als Grenzpolizist abends Kurse an der Universität absolviert hat.

Auch die zeitlichen Angaben sind im Wesentlichen übereinstimmend. Er schilderte, dass er von ungefähr Oktober 2012 bis Juli 2013 als Grenzpolizist und von Jänner 2014 bis Oktober 2015 für den Geheimdienst gearbeitet hat. Er wurde zwar bereits im Juli 2013 beim Geheimdienst aufgenommen, hat aber noch bis Jänner 2014 für die Grenzpolizei gearbeitet, da sein Kommandant zunächst den Wechsel zum Geheimdienst verhindert hat (vgl. S 10 und 12 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 25.05.2020).

Der Beschwerdeführer legte zum Beweis seiner beruflichen Tätigkeit auch einen Militärausweis für einen Waffenschein (vgl. AS 269) vor und gab in der Verhandlung dazu übereinstimmend an, dass er als Dienstwaffe bei der Geheimpolizei eine „Smith and Wesson 9mm“ gehabt hat (vgl. S 12 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 25.05.2020).

Zudem legte der Beschwerdeführer diverse Kopien von Fotos vor, die ihn im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit zeigen (vgl. AS 175ff). Die belangte Behörde hielt dem Beschwerdeführer diesbezüglich vor, dass er auf diesen Fotos teilweise nicht in Uniform zu sehen ist. Dazu befragt gab der Beschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung nachvollziehbar an, dass man als Mitarbeiter des Geheimdienstes nicht in Uniform unterwegs sein muss (vgl. S 22 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 25.05.2020).

Insgesamt konnte der Beschwerdeführer in Zusammenschau mit seinem Vorbringen und den vorgelegten Beweismitteln glaubhaft machen, dass er in Afghanistan als Grenzpolizist und Geheimpolizist tätig gewesen ist.

2.2.2.2. Sowohl in der Einvernahme bei belangten Behörde (vgl. AS 101f) als auch in der Beschwerdeverhandlung (vgl. S 19 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 25.05.2020) gab der Beschwerdeführer übereinstimmend an, dass sein „Hauptproblem“ die Bedrohung durch die Taliban ist. In der Einvernahme bei der belangten Behörde erzählte er, dass die Probleme in Zusammenhang mit einer militärischen Operation stehen.

Im April/ Mai 2015 wäre der Beschwerdeführer an einer Militäroperation in der Provinz Helmand beteiligt gewesen. Nach Ende der Operation hätten sie Kontrollen durchgeführt, um Plünderungen zu verhindern. Dabei wären sie von den Taliban umzingelt und beschossen worden. Es hätte Tote und Verwundete gegeben. Nachdem sie Hilfe erhalten hätten, hätte der Beschwerdeführer geholfen, Verwundete wegzubringen. Dabei wäre ihm sein Handy aus der Westentasche gefallen. Auf dem Handy wären Fotos von seinem Waffenschein, seinem Identitätsausweis, Aufnahmen von festgenommenen Schleppern usw. gespeichert gewesen. Nach dem Verlust des Telefons hätte der Beschwerdeführer Probleme mit den Taliban bekommen. Die Taliban hätten zwei Mal seinen Vater angerufen und ihn aufgefordert, dass sich der Beschwerdeführer ihnen anschließe (vgl. AS 102f).

Auch in der Beschwerdeverhandlung bestätigte er dieses Vorbringen und gab an, dass er bzw. seine Eltern am 28.07.2015 einen Drohbrief der Taliban erhalten hätten und auch zwei Drohanrufe.

Dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Drohbrief (vgl. AS 109) ist zu entnehmen, dass das Handy des Beschwerdeführers samt Inhalt gefunden worden sei. Man wisse, dass er Grenzpolizist sei. Der Beschwerdeführer soll sich innerhalb einer Woche selbst ausliefern, dann würde es keine weitere Bedrohung geben. Die nächste Bedrohung wäre dann der Tod (vgl. S 21 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 25.05.2020). In der Beschwerdeverhandlung schilderte der Beschwerdeführer noch einmal ausführlich die erste telefonische Bedrohung am 28.07.2015. Er gab auch an, dass der Anrufer zu seinem Vater gesagt habe, wenn der Beschwerdeführer sich den Taliban anschließe, werde er am Leben bleiben. Beim zweiten Anruf am 03.08.2015 habe ihnen der Vater gesagt, dass der Beschwerdeführer in den Iran gegangen sei. Die Taliban haben gesagt, dass sie dem Beschwerdeführer die Zunge herausschneiden, wenn er noch in Afghanistan sei. Der Beschwerdeführer gab auch nachvollziehbar an, dass er dies so nicht bereits vor der belangten Behörde gesagt habe, weil ihm dort gesagt worden sei, dass das nicht interessant sei und sie alles haben was sie brauchen (vgl. S 27 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 25.05.2020).

Dem Beschwerdeführer wurde in der Beschwerdeverhandlung vorgehalten, dass man im Falle der Aufgabe seines Dienstes für das Militär von den Taliban nicht mehr bedroht werde. Der Beschwerdeführer wurde befragt, was er dazu sage und ob er glaube, dass er weiterhin von den Taliban verfolgt werde. Er antwortete, dass jeder seine eigene Meinung habe. Er glaube nicht, dass es so sei, da ihm eine Woche Frist gegeben worden sei. Ihm sei auch gesagt worden, dass es keine weiteren Drohungen geben werde, sondern sie ihn töten werden (vgl. S 23 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 25.05.2020).

Dazu ist auszuführen, dass zwar grundsätzlich und in vielen ähnlich gelagerten Fällen davon ausgegangen wird, dass Mitarbeiter von Polizei und Militär in Afghanistan nach Beendigung ihres aktiven Dienstes nicht mehr Gefahr laufen, von den Taliban bedroht zu werden und daher keinem Risikoprofil mehr angehören.

Im gegenständlichen Fall hat der Beschwerdeführer seinen Dienst bei den afghanischen Polizeibehörden aber offiziell nicht beendet. Er ist also – jedenfalls aus Sicht der Taliban – nach wie vor Angehöriger der afghanischen Polizeibehörden und ist daher nicht auszuschließen, dass er als solcher auch bei einer Rückkehr nach Afghanistan nach wie vor im Fokus der Taliban steht.

Auf Vorhalt, wieso die Taliban wissen sollten, dass er wieder in seinen Herkunftsstaat zurückgekehrt ist, wenn er dort ankommen würde, sagte der Beschwerdeführer, es sei ganz leicht. Als die Taliban Kunduz erobert haben, haben sie viele biometrische Geräte mitgenommen und dort seien Fingerabdrücke gespeichert. Es sei auch bestätigt worden, dass die Taliban diese Geräte haben (vgl. S 23 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 25.05.2020). Dass die Taliban in den letzten Jahren mehrmals Kunduz bzw. Teile davon zumindest zeitweise zurückerobert haben, ist gerichtsnotorisch.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers ist daher durchaus nachvollziehbar.

Hinsichtlich der vom Beschwerdeführer vorgelegten Beweismittel (Drohbriefe, Fotos, Urkunden und Ausweise betreffend seine Ausbildung und berufliche Tätigkeit) ist Folgendes auszuführen:

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt bei diesen Beweisanboten nicht, dass in zahlreichen Verfahren vor der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht die Echtheit von Unterlagen aus Afghanistan zweifelhaft ist.

Im vorliegenden Beschwerdeverfahren gilt es dazu auszuführen, dass der Beschwerdeführer in seinen Aussagen und seinem Antwortverhalten ein glaubwürdiges Bild der geschilderten Vorfälle mitsamt den angeführten Beweisanboten präsentierte und sein Aussageverhalten aus Sicht des erkennenden Richters keine einstudierte, sondern eine lineare Fluchtgeschichte ist.

Er vermittelte den Eindruck, dass der Beschwerdeführer tatsächlich für die Polizei in Afghanistan tätig war und sich daraus auch die weiterführenden Probleme mit den Taliban ergeben haben.

2.2.2.3. Das Vorbringen des Beschwerdeführers ist auch im Lichte der in den Feststellungen zu Afghanistan enthaltenen Ausführungen, insbesondere zum Vorgehen der Taliban gegen Mitarbeiter von Armee und Polizei bzw. regierungsnahen (ausländischen) Firmen sowie zu den Rekrutierungsversuchen der Taliban, plausibel.

Den Feststellungen ist zu nämlich zu entnehmen, dass Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung prioritäre Ziele der Aufständischen sind. Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert. Der Beschwerdeführer, der zunächst als Grenzpolizist, dann für die Geheimpolizei tätig war, fällt in diese Risikogruppe. Weiters ist den Feststellungen zu entnehmen, dass die Mehrheit der Taliban zwar Paschtunen sind, die Taliban aber bemüht sind, eine stärkere multiethnische Bewegung zu entwickeln und daher auch Angehörige anderer Volksgruppen, z.B. Hazara, wie es der Beschwerdeführer ist, anzuwerben.

2.2.2.4. Dass das Fluchtvorbringen der Wahrheit entspricht, ergibt sich für den erkennenden Richter auch aus den persönlichen Umständen des Beschwerdeführers bzw. seiner Familienangehörigen im Herkunftsstaat.

Der Beschwerdeführer gab an, dass er in Afghanistan zwölf Jahre lang die Schule besucht hat, zwei Jahre lang studiert hat und als Grenzpolizist und für die Geheimpolizei gearbeitet hat. Der Familie des Beschwerdeführers wäre es finanziell gut gegangen. Die Familie hätte ein Eigentumshaus besessen. (vgl. S 9, 11, 13 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 26.03.2018). Mittlerweile musste fast die gesamte Familie aus Afghanistan ausreisen und lebt in Pakistan.

Ein derart wirtschaftlich und sozial stabiles Umfeld grundlos aufzugeben, erscheint nicht nachvollziehbar. Die Bedrohung durch die Taliban ist daher auch deshalb sehr wahrscheinlich.

2.2.2.5. Die durch die Länderberichte belegte, über einen langen Zeitraum äußerst volatile Sicherheitslage in der Heimatregion des Beschwerdeführers, Helmand, die hohe Präsenz der Taliban und die Vielzahl von sicherheitsrelevanten Vorfälle zeigen, dass derzeit nicht davon ausgegangen werden kann, dass die staatlichen Sicherheitsbehörden im Hinblick auf die dortige Verfolgung durch die Taliban den Beschwerdeführer hinreichend schützen können.

Dem Beschwerdeführer steht auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung, da die Taliban in ganz Afghanistan ein Netzwerk an Spitzeln und Nachrichtendiensten haben, wie aus den Länderfeststellungen hervorgeht.

Es ist daher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es den Taliban gelingen wird, den Beschwerdeführer, der für die afghanische Polizei gearbeitet hat und selbst glaubhaft von den Taliban zu einer Mitarbeit aufgefordert wurde, sich dieser aber durch seine Flucht entzogen hat, im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan zu finden und sich herumsprechen würde, dass er von seiner Flucht zurückgekehrt ist und ihm bei einer Rückkehr in weiterer Folge Gewalt von Seiten der Taliban droht. Dass der afghanische Staat derzeit landesweit nicht in der Lage ist, den Beschwerdeführer vor dieser Bedrohung hinreichend zu schützen, zeigt sich aus den Länderberichten, wonach die Taliban im gesamten Staatsgebiet wieder an Einfluss gewinnen und viele Teile des Landes unter ihrer Kontrolle haben.

2.2.2.6. Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers wird daher insgesamt als glaubhaft erachtet und wird eine weitere beweiswürdigende Auseinandersetzung mit den vorgebrachten Fluchtgründen nicht vorgenommen.

2.2.2.7. Ergänzend wird dennoch Folgendes festgehalten:

Der Beschwerdeführer gab als weiteren Fluchtgrund im Rahmen der Einvernahme bei der belangten Behörde Probleme, die mit seiner beruflichen Tätigkeit zusammenhängen, an. Er hätte Probleme mit Bataillonsführern im Bereich von Drogen gehabt. Die Bataillonsführer hätten zahlreiche Schlepper getötet und Drogen und Waffen für ihren eigenen Nutzen eingezogen. Er hätte auch Probleme mit der logistischen Zone wegen Korruption gehabt. An den Grenzposten hätten sie hunderte Millionen Afghani in ihre eigenen Taschen gesteckt. Das Geld wäre für den Ausbau der Posten gedacht gewesen. Die korrupten Kollegen hätten teilweise Zelte aufgestellt und nur minimale Summen in den Ausbau investiert. Er würde auch behördeninterne Dokumente und Informationen besitzen und das würde ihm „übel genommen“ werden. Er würde jahrelang im Gefängnis sitzen. Die Leiter und Mitarbeiter von Kompanien, vom Bataillon und vom Logistikbereich würden sich an ihm rächen.

In der Beschwerdeverhandlung gab er zu den geheimen Informationen, die er besitzt, an, dass es sich dabei um Adressen der Polizeistation handle, die keiner wissen dürfe. Beispielswiese wären die vorgelegten Schreiben auf AS 233 Aufstellungen, wo wer im Jahr 2013 bis 2014 stationiert gewesen wäre. Er möchte damit beweisen, dass es Korruption gäbe. Dort stehe auch, wie viel Geld für diese Stützpunkte ausgegeben wurden. Er hätte diese Unterlagen bekommen, an die Zentrale weitergeleitet und sich eine Kopie davon behalten. Auf Nachfrage, ob er nicht einen Geheimhaltungseid ablegen hätte müsse, sagte der Beschwerdeführer, das stimme. Er habe sich aber irgendwelche Dokumente speichern müssen für den Fall, dass er jemanden anzeigen müsse. Damit er etwas habe. 2015 hätte er die Dokumente nach Kabul weitergeleitet. Es hätte sich aber deshalb niemand von der Zentrale an ihn gewandt. Der Beschwerdeführer gab auch an, dass zu seinen Aufgaben bei der Geheimpolizei die Bekämpfung von Korruption gehört hätte. Es würde ein paar Videos geben, als sie den Taliban Waffen abgenommen hättem, als Zivilpersonen von der Grenzpolizei geschlagen worden seien und als Polizisten diesen Zivilpersonen Gegenstände abgenommen hätten. Dieses Video sei relevant, weil der Beschwerdeführer von diesen Personen im Falle seiner Rückkehr geschlagen oder getötet werden würde, weil diese Personen wegen ihm Probleme bekommen haben. Auf Nachfrage gab der Beschwerdeführer an, dass diese Personen bereits suspendiert worden seien oder im Gefängnis seien (vgl. S 23ff der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 25.05.2020).

Zu diesem Vorbringen gilt es beweiswürdigend auszuführen, dass daraus kein asylrelevantes Vorbringen erkennbar ist.

Der Beschwerdeführer hat festgestelltermaßen bei der Geheimpolizei in Afghanistan gearbeitet hat. Dass er im Zuge dieser Tätigkeit auch mit der Ermittlung zu Korruptionsfällen in den eigenen Reihen befasst war ist ebenso nachvollziehbar. Es ist aber nicht erkennbar, dass er deshalb bei einer Rückkehr konkrete Probleme mit bestimmten Kollegen bekommen könnte.

Er hat selbst angegeben, die Berichte bereits an die Zentrale geschickt zu haben, die korrupten Kollegen seien suspendiert worden oder in Gefängnis gekommen.

Eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt der mit Schreiben vom 04.06.2020 vorgelegten DVD ist aus Sicht des erkennenden Richters nicht erforderlich.

Dabei handelt es sich um Videos, die die polizeilichen Operationen des Beschwerdeführers und seiner Einheit zeigen. Es ist aber bereits ohne diesen Videobeweis glaubhaft, dass der Beschwerdeführer für die afghanischen Polizeibehörden gearbeitet hat und dass er deshalb Verfolgung durch die Taliban zu befürchten hat. Dass aus den Videos ein weiter besonderer Bedrohungsgehalt hervorgeht, konnte der Beschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung nicht glaubhaft darlegen.

Durchaus nachvollziehbar ist, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines Verhaltens im Zuge seiner Flucht Probleme mit den afghanischen Behörden bekommen könnte. In diesem Zusammenhang ist besonders zu erwähnen, dass der Beschwerdeführer – wie bereits dargelegt – berufliche Unterlagen auf seinem Handy (das in die Hände der Taliban fiel) und auch auf einer Festplatte gespeichert hatte.

Dieses unerlaubte Verhalten, das gegen seine Geheimhaltungspflicht, die er als Geheimpolizist einzuhalten hat, spricht und die Tatsache, dass den Taliban durch sein Verschulden vertrauliche staatliche Dokumente zugekommen sind, lässt darauf schließen, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan strafrechtliche Konsequenzen zu befürchten hat. Auch der Umstand, dass er seine Dienstwaffe nicht ordnungsgemäß zurückgegeben hat (vgl. S 12 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 25.05.2020) und seinen Dienst nicht vorschriftsmäßig quittiert hat, spricht dafür, dass er zumindest dienstrechtliche Konsequenzen zu erwarten hat. Es ist darauf hinzuweisen, dass eine befürchtete strafrechtliche oder dienstrechtliche Verfolgung im Herkunftsstaat nicht automatisch eine asylrelevante Verfolgung bedeutet. Im gegenständlichen Fall des Beschwerdeführers ist nicht auszuschließen, dass ihm in Afghanistan kein faires Verfahren erwartet. Folgt man den Länderfeststellungen, dann ist in Afghanistan das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren in der Verfassung verankert, wird aber in der Praxis selten umgesetzt. Die Unabhängigkeit des Justizwesens ist gesetzlich festgelegt; jedoch wird die afghanische Judikative durch Unterfinanzierung, Unterbesetzung, inadäquate Ausbildung, Unwirksamkeit und Korruption unterminiert. Rechtsstaatliche (Verfahrens-)Prinzipien werden nicht konsequent angewandt. Korruption stellt weiterhin ein Problem innerhalb des Gerichtswesens dar.

Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr kein faires Verfahren erhält und daher asylrelevante Verfolgung zu vergegenwärtigen hat.

Da dem Beschwerdeführer aber bereits aufgrund der glaubhaft gemachten drohenden Verfolgung durch die Taliban der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, kann eine nähere beweiswürdigende Auseinandersetzung mit den weiteren Fluchtgründen, nämlich der vorgebrachten Probleme in Zusammenhang mit seinem unerlaubten Fernbleiben vom Polizeidienst unterbleiben.

Dies gilt auch für die im Rahmen der Einvernahme bei der belangten Behörde geschilderten Probleme wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit und Religionszugehörigkeit (vgl. AS 102) und der mit Schreiben vom 12.05.2018 vorgebrachten Verfolgung aufgrund seiner westlichen Lebenseinstellung und seiner tiefen Integration in Österreich.

2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen.

Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln. Insbesondere wurde auch mit den Ausführungen in den Stellungnahmen des Beschwerdeführers den verwendeten Berichten nicht substantiiert entgegengetreten.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu A) Stattgabe der – zulässigen – Beschwerde:

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtig

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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