TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/24 W228 2169766-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.09.2020
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Entscheidungsdatum

24.09.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W228 2169766-1/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald WÖGERBAUER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX 1986, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.08.2017,
Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG, sowie §§ 46, 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, 55 Abs. 1 bis 3 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, hat sein Heimatland verlassen, ist illegal in das Bundesgebiet eingereist und hat am 08.07.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 08.07.2015 gab der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund an, dass er aufgrund eines Arbeitsunfalles beim Hausbauen, im Zuge dessen der Sohn des Bauherren verunglückt sei, beschuldigt worden sei, dass er an dessen Tod schuld sei. Auf Angst vor Blutrache sei er geflohen.

Der Beschwerdeführer wurde am 11.04.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, dass er aus der Provinz Ghazni stamme. Seine Eltern seien bereits verstorben. Er sei verheiratet. Seine Frau und seine drei Kinder würden nach wie vor in Ghazni leben. Zu seinem Fluchtgrund befragt, führte der Beschwerdeführer aus, dass er für eine Person namens XXXX auf einer Baustelle gearbeitet habe. Der Sohn des XXXX habe dem Beschwerdeführer einmal geholfen, eine Wand fertigzustellen und sei dabei hinabgestürzt und habe eine blutende Wunde am Kopf gehabt. XXXX habe den Beschwerdeführer geschlagen und bedroht, dass er den Beschwerdeführer töte, für den Fall, dass sein Sohn sterben sollte. Als XXXX mit seinem Sohn zum Arzt gefahren sei, sei der Beschwerdeführer zu seinem Schwager gegangen und habe ihm alles erzählt. Dann habe er seine Frau angerufen und seine Frau habe ihm erzählt, dass XXXX bei ihr zuhause gewesen sei und geschrien habe, dass sein Sohn verstorben sei. Daraufhin habe der Beschwerdeführer Angst bekommen und habe direkt von seinem Schwager aus das Land verlassen. XXXX arbeite für die Polizei und denke, dass der Beschwerdeführer seinen Sohn getötet habe. Aus Angst, selbst beschuldigt zu werden, hätten die Arbeitskollegen des Beschwerdeführers den Beschwerdeführer XXXX gegenüber belastet und würde ihm niemand glauben, dass er mit dem Tod des Sohnes des XXXX nichts zu tun habe. Deshalb sei er ausgereist.

Mit angefochtenem Bescheid vom 11.08.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs.1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu seinem Fluchtgrund, zur Situation im Falle seiner Rückkehr und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Es habe keine glaubhafte Gefährdungslage festgestellt werden können. Der Beschwerdeführer habe keine Verfolgung glaubhaft machen können. Dem Beschwerdeführer könne eine Rückkehr nach Afghanistan zugemutet werden.

Gegen verfahrensgegenständlich angefochtenen Bescheid wurde mit Schreiben der damaligen Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vom 29.08.2017 fristgerecht Beschwerde erhoben. Darin wurde zunächst das vom Beschwerdeführer erstattete Vorbringen wiederholt und wurde ausgeführt, dass gerade seine überstürzte Flucht für die Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers spreche. Seit der Flucht des Beschwerdeführers sei XXXX bereits mehrmals bei der Frau des Beschwerdeführers gewesen um den Beschwerdeführer zu suchen und zu töten. Soweit dem Beschwerdeführer vorgehalten werde, dass er sich nicht um staatlichen Schutz bemüht habe, werde sein Vorbringen ignoriert, dass XXXX ein einflussreicher Polizist in der Gegend sei. In weiterer Folge wurde auf Berichte zur allgemeinen Lage in Afghanistan verwiesen und wurde ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer Asyl, zumindest jedoch subsidiärer Schutz zu gewähren sei.

Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 05.09.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Am 19.12.2018 wurde eine Beschäftigungsbewilligung betreffend den Beschwerdeführer an das Bundesverwaltungsgericht übermittelt.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde in der gegenständlichen Rechtssache am 17.10.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein des Beschwerdeführers und seiner Rechtsvertretung sowie eines Dolmetschers für die Sprache Dari durchgeführt.

Am 24.01.2020 übermittelte die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers eine Bestätigung des Landes Salzburg, Bezirkshauptmannschaft Zell am See, in welcher bestätigt wird, dass der Beschwerdeführer mit 06.08.2019 rechtswirksam den Austritt aus der islamischen Kirche erklärt hat.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde in der gegenständlichen Rechtssache am 03.09.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein des Beschwerdeführers und seiner Rechtsvertretung, einer Vertreterin der belangten Behörde sowie eines Dolmetschers für die Sprache Dari durchgeführt. Im Zuge der Verhandlung wurden drei Zeugen einvernommen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsbürger, geboren XXXX 1986. Er stammt aus der Provinz Ghazni, Distrikt Jaghuri und hat dort bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan gelebt.

Die Eltern des Beschwerdeführers sind bereits verstorben. Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat drei Kinder. Zum Zeitpunkt der Ausreise des Beschwerdeführers aus Afghanistan lebten die Ehefrau und die drei Kinder des Beschwerdeführers nach wie vor im Heimatdorf in der Provinz Ghazni; sie sind in der Folge jedoch in den Iran und schließlich weiter nach Pakistan gereist, wo sie nunmehr leben. Die Schwiegermutter sowie die Schwägerin des Beschwerdeführers leben nach wie vor in Afghanistan.

Der Beschwerdeführer ist volljährig und arbeitsfähig. Er ist Hazara und spricht Dari. Der Beschwerdeführer hat in Jaghuri sechs Jahre lang die Schule besucht. Danach hat er als Landwirt auf dem familieneigenen Grundstück sowie als Bauarbeiter gearbeitet.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich mit 06.08.2019 rechtswirksam den Austritt aus der islamischen Kirche erklärt.

Der Beschwerdeführer war im März 2018 wegen Oberbauchschmerzen in ärztlicher Behandlung. Im November 2019 und Jänner 2020 wurde er wegen Schlafstörungen und Befindlichkeitsstörungen ärztlich behandelt. Aktuell liegen keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen beim Beschwerdeführer vor und steht der Beschwerdeführer nicht in ärztlicher Behandlung.

Der Beschwerdeführer befindet sich seit spätestens 08.07.2015 in Österreich. Er ist illegal in das Bundesgebiet eingereist. Es halten sich keine Familienangehörigen oder Verwandten des Beschwerdeführers in Österreich auf. Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer hat mehrere Deutschkurse besucht und eine Deutschprüfung auf dem Niveau A2 bestanden. Er hat einen Werte- und Orientierungskurs besucht. Der Beschwerdeführer war/ist laufend in der Betreuung der Parkanlagen und des Friedhofsbereichs für die Gemeinde Neukirchen am Großvenediger freiwillig tätig. Er war von 21.12.2017 bis 31.03.2018 beim Dienstgeber XXXX GmbH tätig und in der Wintersaison 2018/19 sowie in der Sommersaison 2019 als Abwäscher/Hausmeister beim Dienstgeber „ XXXX “ beschäftigt.

1.2. Zum Fluchtgrund

Der Beschwerdeführer war in Afghanistan keiner konkreten individuellen Verfolgung ausgesetzt und wurden von ihm keine asylrelevanten Gründe für das Verlassen seines Heimatstaates dargetan. Es wird festgestellt, dass dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Afghanistan keine Verfolgungsgefahr durch die Person des XXXX droht.

Der Beschwerdeführer, der als schiitischer Moslem erzogen wurde, hat mit 06.08.2019 rechtswirksam den Austritt aus der islamischen Kirche erklärt. Der Beschwerdeführer hat jedoch nicht aus innerer Überzeugung und als identitätsstiftendes Merkmal seine Religionszugehörigkeit aufgegeben und abgelegt. Er glaubt an Gott. Ihm droht in Afghanistan, jedenfalls in Mazar-e Sharif, nicht die Gefahr, auf Grund eines (allenfalls unterstellten) Abfalls vom Islam physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt zu sein.

Der Beschwerdeführer hat zwar bereits ein paar Mal an christlichen Gottesdiensten teilgenommen, es liegt jedoch kein weitergehendes Interesse des Beschwerdeführers am Christentum vor.

Weiters wird festgestellt, dass dem Beschwerdeführer wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara keine Verfolgung in Afghanistan droht.

Dem Beschwerdeführer droht in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung keine Verfolgung.


1.3. Zur Situation im Falle der Rückkehr:

Bei einer Rückkehr in die Provinz Ghazni kann eine Verletzung körperlichen Unversehrtheit des Beschwerdeführers aufgrund der instabilen Sicherheitslage sowie der schlechten Erreichbarkeit dieser Provinz nicht ausgeschlossen werden.

Der Beschwerdeführer kann sich stattdessen im Rückkehrfall in Mazar-e Sharif niederlassen und mittelfristig dort eine Existenz aufbauen. Er ist mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates und einer in Afghanistan gesprochenen Sprache vertraut und wuchs in einem afghanischen Familienverband auf. Der Beschwerdeführer lebte zwar nie in Mazar-e Sharif und verfügt dort auch über keine familiären Anknüpfungspunkte. Angesichts des mehrjährigen Schulbesuchs, seiner Schreib- und Lesekompetenz, seiner Sprachkenntnisse (Dari), seiner in Afghanistan gesammelten Berufserfahrung als Bauarbeiter, seiner in Österreich gesammelten Berufserfahrung in der Gastronomie sowie seiner Arbeitsfähigkeit könnte sich der Beschwerdeführer dennoch in Mazar-e Sharif eine Existenz aufbauen und diese zumindest anfänglich mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Ihm wäre der Aufbau einer Existenzgrundlage in Mazar-e Sharif möglich. Er ist in der Lage, in Mazar-e Sharif eine einfache Unterkunft zu finden. Er hat weiters die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen.

Der Beschwerdeführer leidet an keiner schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankung. Während seines Aufenthalts in Österreich wurde er zwar wegen Oberbauchschmerzen, Schlafstörungen und Befindlichkeitsstörungen behandelt, seine Arbeitsfähigkeit wurde jedoch nicht eingeschränkt. Der Beschwerdeführer ist in der Lage, alle seine Angelegenheiten des täglichen Lebens ohne Gefahr eines Nachteiles für sich selbst zu erledigen. Der Beschwerdeführer ist in der Lage, sich ohne fremde Hilfe selbständig Arbeit, Unterkunft, Verpflegung zu verschaffen oder sich in einer fremden Stadt zu orientieren.

Es ist daher anzunehmen, dass der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat auch ohne familiäre Anknüpfungspunkte in Mazar-e Sharif in der Lage sein wird, sich notfalls mit Hilfstätigkeiten ein ausreichendes Einkommen zu sichern.

Festgestellt wird, dass die aktuell vorherrschende Pandemie aufgrund des Corona-Virus kein Rückkehrhindernis darstellt. Der Beschwerdeführer gehört mit Blick auf sein Alter und das Fehlen physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde.

Im Falle einer Verbringung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat droht diesem kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in der Folge EMRK).

1.4. Zur Lage im Herkunftsstaat/ maßgebliche Situation in Afghanistan:

Ghazni:

Einem Bericht vom Dezember 2018 zufolge steht die Ghazni-Paktika-Autobahn unter Taliban-Kontrolle und ist für Zivil- und Regierungsfahrzeuge gesperrt, wobei die Aufständischen weiterhin Druck auf die Kabul-Kandahar-Autobahn ausüben, bzw. Straßenkontrollen durchführen. Im Mai 2019 war die Ghazni-Paktika-Autobahn seit einem Jahr geschlossen. Auch die Ghazni-Paktia-Autobahn war Anfang März 2019 trotz einer 20-tägigen Militäroperation gegen die Taliban immer noch gesperrt. Im Mai 2019 führten die Regierungskräfte an den Rändern von Ghazni-Stadt Räumungsoperationen zur Befreiung der Verkehrswege durch. Die Kontrolle über die Straße nach Gardez, der Provinzhauptstadt von Paktia ist bedeutsam für die Verteidigung von Ghazni, da sich die Militärbasis des für die Provinz zuständigen Corps dort befindet.

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Ghazni gehörte im Mai 2019 zu den relativ volatilen Provinzen im Südosten Afghanistans. Taliban-Kämpfer sind in einigen der unruhigen Distrikte der Provinz aktiv, wo sie oft versuchen, terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitseinrichtungen durchzuführen. Gleichzeitig führen die Regierungskräfte regelmäßig Operationen in Ghazni durch, um die Aufständischen aus der Provinz zu vertreiben.

Aufgrund der Präsenz von Taliban-Aufständischen in manchen Regionen der Provinz, gilt Ghazni als relativ unruhig, so standen beispielsweise Ende 2018, einem Bericht zufolge, acht Distrikte der Provinz unter Kontrolle der Taliban gestanden haben, fünf weitere Distrikte waren stark umkämpft. Im Jänner 2019 wurde berichtet, dass die administrativen Angelegenheiten der Distrikte Andar, Deh Yak, Zanakhan, Khwaja Omari, Rashidan, Jaghatu, Waghaz und Khugyani aufgrund der Sicherheitslage bzw. Präsenz der Taliban nach Ghazni-Stadt oder in die Nähe der Provinzhauptstadt verlegt wurden. Aufgrund der Sicherheitslage sei es für die Bewohner schwierig, zu den neuen administrativen Zentren zu gelangen. Dem Verteidigungsminister zufolge, sind in der Provinz mehr Taliban und Al-Qaida-Kämpfer aktiv, als in anderen Provinzen. Dem Innenminister zufolge, hat sich die Sicherheitslage in der Provinz verschlechtert und die Taliban erlitten bei jüngsten Zusammenstößen schwere Verluste.

In Ergänzung zur Afghan National Police (ANP), der Afghan Local Police (ALP) und der paramilitärischen Kräfte des National Directorate of Security (NDS) entsteht im Distrikt Jaghuri im Rahmen eines Pilotprojekts eine neu eingerichtete Afghan National Army Territorial Force (ANA TF). Diese lokale Einheit soll die Bevölkerung schützen und Territorium halten, ohne von lokalen Machthabern oder Gruppeninteressen vereinnahmt zu werden. Während des Angriffs auf Ghazni-Stadt im August 2018 wurden die afghanischen Regierungskräfte von US-amerikanischen Streitkräften unterstützt – laut einer Quelle nicht nur durch Luftangriffe, sondern auch von US-Spezialeinheiten am Boden. Ghazni liegt im Verantwortungsbereich des 203. ANA Tandar Corps das der Task Force Southeast untersteht, die von US-amerikanischen Streitkräften geleitet wird.

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 673 zivile Opfer (213 Tote und 460 Verletzte) in der Provinz Ghazni. Dies entspricht einer Steigerung von 3% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmordattentate, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und Kämpfen am Boden.

Einem UN-Bericht zufolge, war Ghazni neben Helmand und Farah zwischen Februar und Juni 2019 eines der aktivsten Konfliktgebiete Afghanistans. Mehr als die Hälfte aller Luftangriffe fanden in diesem Zeitraum in den Provinzen Helmand und Ghazni statt. Anfang April 2019 beschloss die Regierung die „Operation Khalid“, welche unter anderem auf Ghazni fokussiert. Auch die Winteroperationen 2018/2019 der ANDSF konzentrierten sich unter anderem auf diese Provinz. In der Provinz kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen; ebenso werden Luftangriffe in der Provinz durchgeführt. Bei manchen militärischen Operationen werden beispielsweise Taliban getötet. Außerdem kommt es immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften. Auch verlautbarte die Regierung im September 2019 nach wie vor Offensiven gegen die Aufständischen in der Provinz zu führen, um das Territorium der Taliban zu verkleinern.

Mitte August 2018 eroberten die Taliban große Teile der Stadt Ghazni, was zu heftigen Kämpfen zwischen den Aufständischen und den Regierungskräften führte. Nach fünf Tagen erlangte die Regierung wieder die Kontrolle über die Provinzhauptstadt. Die dabei durchgeführten Luftangriffe führten zu zivilen Opfern und zerstörten Häuser von Zivilisten. UNAMA verzeichnete 262 zivile Opfer (79 Tote, 183 Verletzte) im Zusammenhang mit dem Talibanangriff im August 2018. Zeitgleich mit dem Angriff auf die Stadt Ghazni eroberten die Taliban den Distrikt Ajristan westlich der Provinzhauptstadt. Im November 2018 starteten die Taliban eine Großoffensive gegen die von Hazara dominierten Distrikte Jaghuri und Malistan, nachdem die Aufständischen bereits Ende Oktober das benachbarte Khas Uruzgan in der Provinz Uruzgan angegriffen hatten. Bis Ende November 2018 wurden die Taliban aus Jaghuri und Malistan vertrieben.

Die Parlamentswahlen, die im Oktober 2018 hätten stattfinden sollen, wurden in Ghazni aufgrund der volatilen Sicherheitslage zunächst auf April 2019 verschoben (AAN 16.8.2018). Ende Dezember 2018 kündigte die Unabhängige Wahlkommission (independent election commission, IEC) an, dass die Parlamentswahlen in Ghazni sowie die Präsidentschaftswahlen in ganz Afghanistan im Juli 2019 mit dreimonatiger Verspätung stattfinden würden. Neben der Sicherheitslage nannte ein Bericht des UN-Generalsekretärs auch Proteste, welche die Provinzzentrale der IEC blockierten, als einen Grund für die Verschiebung der Wahl in Ghazni.

Mazar-e Sharif:

Mazar-e Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana und Pul-e-Khumri und ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst.

In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt sicher zu erreichen ist.

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften.

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt.

Apostasie, Blasphemie, Konversion

Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan de facto nur eingeschränkt. Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht.

Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Missionierung illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung „religionsbeleidigende Verbrechen“ verboten ist.

Es gibt keine Berichte über die Verhängung der Todesstrafe aufgrund von Apostasie; auch auf höchster Ebene scheint die afghanische Regierung kein Interesse zu haben, negative Reaktionen oder Druck hervorzurufen – weder vom konservativen Teil der afghanischen Gesellschaft, noch von den liberalen internationalen Kräften, die solche Fälle verfolgt haben und auch zur Strafverfolgung von Blasphemie existieren keine Berichte.

Es kann jedoch einzelne Lokalpolitiker geben, die streng gegen mutmaßliche Apostaten vorgehen und es kann auch im Interesse einzelner Politiker sein, Fälle von Konversion oder Blasphemie für ihre eigenen Ziele auszunutzen.

Gefahr bis hin zur Ermordung droht Konvertiten hingegen oft aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld. Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden. Obwohl es auch säkulare Bevölkerungsgruppen gibt, sind Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt, aber eher nicht von staatlichen Akteuren. Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung.

Abtrünnige haben Zugang zu staatlichen Leistungen; es existiert kein Gesetz, Präzedenzfall oder Gewohnheiten, die Leistungen für Abtrünnige durch den Staat aufheben oder einschränken. Sofern sie nicht verurteilt und frei sind, können sie Leistungen der Behörden in Anspruch nehmen.


Hazara:

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9 bis 10% der Bevölkerung aus. Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt; der Hazaradjat [zentrales Hochland] umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz (Maidan) Wardak sowie Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul. Jahrzehntelange Kriege und schwierige Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben.

Die Stadt Kabul ist in den letzten Jahrzehnten rasant gewachsen und ethnisch gesehen vielfältig. Neuankömmlinge aus den Provinzen tendieren dazu, sich in Gegenden niederzulassen, wo sie ein gewisses Maß an Unterstützung ihrer Gemeinschaft erwarten können (sofern sie solche Kontakte haben) oder sich in jenem Stadtteil niederzulassen, der für sie am praktischen sie ist, da viele von ihnen – zumindest anfangs – regelmäßig zurück in ihre Heimatprovinzen pendeln. Die Auswirkungen neuer Bewohner auf die Stadt sind schwer zu evaluieren. Bewohner der zentralen Stadtbereiche neigen zu öfteren Wohnortwechseln, um näher bei ihrer Arbeitsstätte zu wohnen oder um wirtschaftlichen Möglichkeiten und sicherheitsrelevanten Trends zu folgen. Diese ständigen Wohnortwechsel haben einen störenden Effekt auf soziale Netzwerke, was sich oftmals in der Beschwerde bemerkbar macht „man kenne seine Nachbarn nicht mehr“. Viele Hazara leben unter anderem in Stadtvierteln im Westen der Stadt, insbesondere in Kart-e Se, Dasht-e Barchi sowie in den Stadtteilen Kart-e Chahar, Deh Buri , Afshar und Kart-e Mamurin.

Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild. Ethnische Hazara sind mehrheitlich Zwölfer-Schiiten, auch bekannt als Jafari Schiiten. Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradjat lebt, ist ismailitisch. Ismailische Muslime, die vor allem, aber nicht ausschließlich, Hazara sind (GS 21.8.2012), leben hauptsächlich in Kabul sowie den zentralen und nördlichen Provinzen Afghanistans.

Die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, hat sich grundsätzlich verbessert und Hazara bekleiden inzwischen auch prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind jedoch in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert. Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung. Nichtsdestotrotz, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen.

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Kernfamilie bzw. dem Klan. Sollte der Haushalts vorstehende Mann versterben, wird die Witwe Haushaltsvorständin, bis der älteste Sohn volljährig ist. Es bestehen keine sozialen und politischen Stammesstrukturen.

Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, was im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter steht. Berichten zufolge halten Angriffe durch den ISKP und andere aufständische Gruppierungen auf spezifische religiöse und ethno-religiöse Gruppen – inklusive der schiitischen Hazara – an.

Im Laufe des Jahres 2109 setzte der ISKP Angriffe gegen schiitische, vorwiegend aus der Hazara Gemeinschaften, fort. Beispielsweise griff der ISKP einen Hochzeitssaal in einem vorwiegend schiitischen Hazara-Viertel in Kabul an; dabei wurden 91 Personen getötet, darunter 15 Kinder und weitere 143 Personen verletzt wurden. Zwar waren unter den Getöteten auch Hazara, die meisten Opfer waren Nicht-Hazara-Schiiten und Sunniten. Der ISKP nannte ein sektiererisches Motiv für den Angriff. Das von schiitischen Hazara bewohnte Gebiet Dasht-e Barchi in Westkabul ist immer wieder Ziel von Angriffen. Die Regierung hat Pläne zur Verstärkung der Präsenz der afghanischen Sicherheitskräfte verlautbart. Angriffe werden auch als Vergeltung gegen mutmaßliche schiitische Unterstützung der iranischen Aktivitäten in Syrien durchgeführt.

In Randgebieten des Hazaradjat kommt es immer wieder zu Spannungen und teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Nomaden und sesshaften Landwirten, oftmals Hazara.

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert. NGOs berichten, dass Polizeibeamte, die der Hazara-Gemeinschaft angehören, öfter als andere Ethnien in unsicheren Gebieten eingesetzt werden oder im Innenministerium an symbolische Positionen ohne Kompetenzen befördert werden.

Aktueller Stand der COVID-19 Krise in Afghanistan

Berichten zufolge, haben sich in Afghanistan mehr als 35.000 Menschen mit COVID-19 angesteckt (WHO 20.7.2020; vgl. JHU 20.7.2020, OCHA 16.7.2020), mehr als 1.280 sind daran gestorben. Aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt zu wenig gemeldet (OCHA 16.7.2020; vgl. DS 19.7.2020). 10 Prozent der insgesamt bestätigten COVID-19-Fälle entfallen auf das Gesundheitspersonal. Kabul ist hinsichtlich der bestätigten Fälle nach wie vor der am stärksten betroffene Teil des Landes, gefolgt von den Provinzen Herat, Balkh, Nangarhar und Kandahar (OCHA 15.7.2020). Beamte in der Provinz Herat sagten, dass der Strom afghanischer Flüchtlinge, die aus dem Iran zurückkehren, und die Nachlässigkeit der Menschen, die Gesundheitsrichtlinien zu befolgen, die Möglichkeit einer neuen Welle des Virus erhöht haben, und dass diese in einigen Gebieten bereits begonnen hätte (TN 14.7.2020). Am 18.7.2020 wurde mit 60 neuen COVID-19 Fällen der niedrigste tägliche Anstieg seit drei Monaten verzeichnet – wobei an diesem Tag landesweit nur 194 Tests durchgeführt wurden (AnA 18.7.2020).

Krankenhäuser und Kliniken berichten weiterhin über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19. Diese Herausforderungen stehen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA), Testkits und medizinischem Material sowie mit der begrenzten Anzahl geschulter Mitarbeiter - noch verschärft durch die Zahl des erkrankten Gesundheitspersonals. Es besteht nach wie vor ein dringender Bedarf an mehr Laborequipment sowie an der Stärkung der personellen Kapazitäten und der operativen Unterstützung (OCHA 16.7.2020, vgl. BBC-News 30.6.2020).

Maßnahmen der afghanischen Regierung und internationale Hilfe

Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Universitäten und Schulen bleiben weiterhin geschlossen (OCHA 8.7.2020; vgl. RA KBL 16.7.2020). Die Regierung Afghanistans gab am 6.6.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Darüber hinaus hat die Regierung die Schließung von Schulen um weitere drei Monate bis Ende August verlängert (OCHA 8.7.2020).

Berichten zufolge werden die Vorgaben der Regierung nicht befolgt, und die Durchsetzung war nachsichtig (OCHA 16.7.2020, vgl. TN 12.7.2020). Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. Zwar behindern die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin periodisch die Bewegung der humanitären Helfer, doch hat sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verbessert, und es wurden weniger Behinderungen gemeldet (OCHA 15.7.2020).

Einwohner Kabuls und eine Reihe von Ärzten stellten am 18.7.2020 die Art und Weise in Frage, wie das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) mit der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie im Land umgegangen ist, und sagten, das Gesundheitsministerium habe es trotz massiver internationaler Gelder versäumt, richtig auf die Pandemie zu reagieren (TN 18.7.2020). Es gibt Berichte wonach die Bürger angeben, dass sie ihr Vertrauen in öffentliche Krankenhäuser verloren haben und niemand mehr in öffentliche Krankenhäuser geht, um Tests oder Behandlungen durchzuführen (TN 12.7.2020).

Beamte des afghanischen Gesundheitsministeriums erklärten, dass die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 in den Städten zurückgegangen ist, die Pandemie in den Dörfern und in den abgelegenen Regionen des Landes jedoch zunimmt. Der Gesundheitsminister gab an, dass 500 Beatmungsgeräte aus Deutschland angekauft wurden und 106 davon in den Provinzen verteilt werden würden (TN 18.7.2020).

Am Samstag den 18.7.2020 kündete die afghanische Regierung den Start des Dastarkhan-e-Milli-Programms als Teil ihrer Bemühungen an, Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie zu helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken (TN 18.7.2020; vgl. Mangalorean 19.7.2020).

Die Weltbank genehmigte am 15.7.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten (WB 10.7.2020; vgl. AN 10.7.2020).

Auszugsweise Lage in den Provinzen Afghanistans

Dieselben Maßnahmen – nämlich Einschränkungen und Begrenzungen der täglichen Aktivitäten, des Geschäftslebens und des gesellschaftlichen Lebens – werden in allen folgend angeführten Provinzen durchgeführt. Die Regierung hat eine Reihe verbindlicher gesundheitlicher und sozialer Distanzierungsmaßnahmen eingeführt, wie z.B. das obligatorische Tragen von Gesichtsmasken an öffentlichen Orten, das Einhalten eines Sicherheitsabstandes von zwei Metern in der Öffentlichkeit und ein Verbot von Versammlungen mit mehr als zehn Personen. Öffentliche und touristische Plätze, Parks, Sportanlagen, Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen sind geschlossen; die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor sind auf 6 Stunden pro Tag beschränkt und die Beschäftigten werden in zwei ungerade und gerade Tagesschichten eingeteilt (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).

Die meisten Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte sind aufgrund der COVID-19 Maßnahmen geschlossen, es sei denn, sie wurden geheim und unbemerkt von staatlichen Stellen geöffnet (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).

In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Es gibt Berichte, dass die Bewohner einiger Distrikte der Provinz mit Wasserknappheit zu kämpfen hatten. Darüber hinaus hatten die Menschen in einigen Distrikten Schwierigkeiten mit dem Zugang zu ausreichender Nahrung, insbesondere im Zuge der COVID-19-Pandemie (RA KBL 16.7.2020).

Wirtschaftliche Lage in Afghanistan

Verschiedene COVID-19-Modelle zeigen, dass der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet wird, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung haben wird (OCHA 16.7.2020). Es herrscht weiterhin Besorgnis seitens humanitärer Helfer, über die Auswirkungen ausgedehnter Sperrmaßnahmen auf die am stärksten gefährdeten Menschen – insbesondere auf Menschen mit Behinderungen und Familien – die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen (OCHA 15.7.2020). Der Marktbeobachtung des World Food Programme (WFP) zufolge ist der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 – 31 Prozent gestiegen sind (WFP 15.7.2020, OCHA 15.7.2020). Einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) und des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht (MAIL) zufolge sind über 20 Prozent der befragten Bauern nicht in der Lage, ihre nächste Ernte anzubauen, wobei der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die COVID-19-Beschränkungen als Schlüsselfaktoren genannt werden. Darüber hinaus sind die meisten Weizen-, Obst-, Gemüse- und Milchverarbeitungsbetriebe derzeit nur teilweise oder gar nicht ausgelastet, wobei die COVID-19-Beschränkungen als ein Hauptgrund für die Reduzierung der Betriebe genannt werden. Die große Mehrheit der Händler berichtete von gestiegenen Preisen für Weizen, frische Lebensmittel, Schafe/Ziegen, Rinder und Transport im Vergleich zur gleichen Zeit des Vorjahres. Frischwarenhändler auf Provinz- und nationaler Ebene sahen sich im Vergleich zu Händlern auf Distriktebene mit mehr Einschränkungen konfrontiert, während die große Mehrheit der Händler laut dem Bericht von teilweisen Marktschließungen aufgrund von COVID-19 berichtete (FAO 16.4.2020; vgl. OCHA 16.7.2020; vgl. WB 10.7.2020).

Am 19.7.2020 erfolgte die erste Lieferung afghanischer Waren in zwei Lastwagen nach Indien, nachdem Pakistan die Wiederaufnahme afghanischer Exporte nach Indien angekündigt hatte um den Transithandel zu erleichtern. Am 12.7.2020 öffnete Pakistan auch die Grenzübergänge Angor Ada und Dand-e-Patan in den Provinzen Paktia und Paktika für afghanische Waren, fast zwei Wochen nachdem es die Grenzübergänge Spin Boldak, Torkham und Ghulam Khan geöffnet hatte (TN 20.7.2020).

Einreise und Bewegungsfreiheit

Die Türkei hat, nachdem internationale Flüge ab 11.6.2020 wieder nach und nach aufgenommen wurden, am 19.7.2020 wegen der COVID-19-Pandemie Flüge in den Iran und nach Afghanistan bis auf weiteres ausgesetzt, wie das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur mitteilte (TN 20.7.2020; vgl. AnA 19.7.2020, DS 19.7.2020).

Bestimmte öffentliche Verkehrsmittel wie Busse, die mehr als vier Passagiere befördern, dürfen nicht verkehren. Obwohl sich die Regierung nicht dazu geäußert hat, die Reisebeschränkungen für die Bürger aufzuheben, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern, hat sich der Verkehr in den Städten wieder normalisiert, und Restaurants und Parks sind wieder geöffnet (TN 12.7.2020).

2. Beweiswürdigung

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die getroffenen Feststellungen zur Person ergeben sich aus dem diesbezüglichen Vorbringen des Beschwerdeführers. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Volksgruppenzugehörigkeit, zur Abstammung aus der Provinz Ghazni sowie zum nunmehrigen Aufenthaltsort seiner Angehörigen stützen sich auf die Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren vor dem BFA, in der Beschwerde, sowie in den Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht und auf die Kenntnis und Verwendung der Sprache Dari.

Die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer mit 06.08.2019 rechtswirksam den Austritt aus der islamischen Kirche erklärt hat, ergibt sich aus der Bestätigung der Bezirkshauptmannschaft Zell am See vom 20.08.2019.

Die Feststellung, wonach kein weitergehendes Interesse des Beschwerdeführers am Christentum besteht, ergibt sich aus seinen Angaben in den Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht. So führte er in der Verhandlung am 17.10.2019 aus, dass er von einer Lehrerin ein paar Mal in die Kirche mitgenommen worden sei und ihm der Gottesdienst gefallen habe, er sich jedoch bislang noch nicht dazu entschieden habe, zu konvertieren, sondern er sich noch besser darüber informieren müsse. In der Verhandlung am 03.09.2020, sohin fast ein Jahr später, gab er auf die Frage, ob er sich zwischenzeitlich über eine mögliche Konversion näher informiert habe, an, dass er dies nicht getan habe. Wörtlich führte er aus: „Nein. Meine Religion ist die Freiheit, Menschlichkeit. Ich bin zufrieden mit dieser Religion, die ich habe.“ Er hat nicht vorgebracht, dass er sich weiter mit dem Christentum beschäftigt hätte bzw. er eine Konversion anstrebe und liegt ein Interesse des Beschwerdeführers am Christentum sohin nicht vor.

Die Feststellungen zu den ärztlichen Behandlungen ergeben sich aus den vorgelegten medizinischen Unterlagen/Befunden.

Die Feststellungen zu der Deutschprüfung, zum Werte- und Orientierungskurs, zur freiwilligen Tätigkeit sowie zu seinen Dienstverhältnissen ergeben sich aus den vorgelegten Nachweisen/Bestätigungen.

2.2. Zum vorgebrachten Fluchtgrund:

Die Feststellungen zu den Gründen des Beschwerdeführers für das Verlassen seines Heimatstaates stützen sich auf die vom Beschwerdeführer vor dem BFA, in der Beschwerde sowie in den mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht getroffenen Aussagen.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach er im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer Verfolgung durch XXXX ausgesetzt wäre, ist, aus folgenden Erwägungen, nicht glaubwürdig:

XXXX ist laut Aussage des Beschwerdeführers vermögend. Der Sohn des XXXX soll auf der Baustelle mitgearbeitet haben und zwar mit Wissen des vermögenden Vaters. Dass XXXX als vermögender Vater die Mitarbeit seines Sohnes auf einer Baustelle wahrgenommen hat und diese mit Blick auf die vielen, auf Baustellen latent vorhandenen, Gefahren von Verletzungen bis hin zum Tod, nicht untersagte, wird vom erkennenden Richter für völlig unplausibel angesehen. Die Begründung, XXXX hatte eine schnelle Fertigstellung des Hauses im Sinn und deshalb hatte dieser nichts gegen die Mithilfe des Sohnes, überzeugt nicht, da XXXX als vermögendem Bauherren eine weniger riskante Alternative, nämlich die Anwerbung weiterer Bauarbeiter zwecks rascherer Fertigstellung der Baustelle offen stand. Daher hält der erkennende Richter die Fluchtgeschichte für unglaubwürdig.

Weiters ist festzuhalten, dass nicht nachvollziehbar erscheint, wie XXXX von einer Rückkehr des Beschwerdeführers in die Stadt Mazar- e Sharif erfahren sollte. XXXX war den Angaben des Beschwerdeführers zufolge im Heimatdorf des Beschwerdeführers in der Provinz Ghazni wohnhaft und erscheint es unplausibel, dass er von einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Mazar-e Sharif – mehr als fünf Jahre nach dessen Ausreise aus Afghanistan – Kenntnis erlangen sollte. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach XXXX Kriminalpolizist „in gehobener Position“ sei, vermag an dieser Beurteilung nichts zu ändern, da sich daraus kein erhöhter Wirkungsradius über den Herkunftsort des Beschwerdeführers ablesen lässt und ein solch erhöhter Wirkungsradius bis zum Schluss des Ermittlungsverfahrens nicht konkret behauptet wurde.

Des Weiteren ergibt sich aus den Ausführungen des Beschwerdeführers, unter der Annahme man schenke der vorgetragenen Fluchtgeschichte betreffend XXXX glauben, dass XXXX versuchte über die Familie des Beschwerdeführers Druck auf den Beschwerdeführer auszuüben, sich zu stellen bzw. seiner habhaft zu werden. Durch die Ausreise der Familie des Beschwerdeführers in den Iran und später Pakistan, hat XXXX nunmehr kein Druckmittel mehr, um Kontakt zum Beschwerdeführer aufzubauen oder ihn gar dazu zu bringen, sich zu stellen.

In einer Gesamtschau konnte der Beschwerdeführer eine ihm im Falle der Rückkehr nach Afghanistan drohende Verfolgungsgefahr durch die Person des XXXX nicht glaubhaft machen.

Zum behaupteten Abfall vom Islam ist beweiswürdigend wie folgt auszuführen:

Vorweg ist festzuhalten, dass sich der Beschwerdeführer sowohl in der Erstbefragung als auch in der Einvernahme vor dem BFA als auch in der Beschwerde explizit als Schiite bezeichnete. Ausführungen, wonach er diesen Glauben nicht mehr ausüben, ihn zumindest kritisch hinterfragen würde oder sich für einen anderen Glauben interessiere, traf der Beschwerdeführer nicht. In der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 17.10.2019 gab der Beschwerdeführer erstmals an, dass er sich, als er Afghanistan verlassen habe, vom Islam getrennt habe. Es kann nicht nachvollzogen werden, warum der Beschwerdeführer diesen Umstand nicht bereits im Verfahren vor der belangten Behörde erwähnt hat. Auf entsprechenden Vorhalt in der Verhandlung am 17.10.2019 gab der Beschwerdeführer an, dass er beim BFA nicht so viel gefragt worden sei. Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass der Beschwerdeführer auch vor dem BFA mittels einer offen gestellten Frage, welche in freier Erzählung zu beantworten war, zu seinen Fluchtgründen befragt wurde und er dennoch seinen Abfall vom Islam mit keinem Wort erwähnte.

Weiters ist auszuführen, dass die Ausführungen des Beschwerdeführers in den beiden Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht zu seinem angeblichen Abfall vom Islam teilweise widersprüchlich und unstimmig waren. So gab er in der Verhandlung am 17.10.2019 an, dass sein Vater in Afghanistan ihn zum Beten gezwungen habe. Danach habe er, wenn Freunde ihn in den Trauermonaten angesprochen hätten, Ausreden gefunden, warum er nicht zum Beten gehe. In der Verhandlung am 03.09.2020 führte einer der befragten Zeugen aus, dass der Beschwerdeführer, als er neu nach Österreich gekommen sei, noch an den Feierlichkeiten zu den Trauermonaten teilgenommen habe und bestätigte auch der Beschwerdeführer, dass er im Jahr 2016 in Österreich an den Trauermonaten teilgenommen habe, danach allerdings nicht mehr. Diese wechselnde Abfolge, in Afghanistan Ausreden zu finden um nicht an den Trauermonaten teilzunehmen, in Österreich jedoch sehr wohl wieder daran teilzunehmen, erscheint nicht nachvollziehbar. Auf entsprechenden Vorhalt konnte der Beschwerdeführer diese Unstimmigkeit nicht aufklären, sondern verstrickte sich in weitere Widersprüche insbesondere dahingehend, ob er nunmehr in Afghanistan an den Trauermonaten teilgenommen hat oder nicht.

Der Beschwerdeführer konnte in den Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht den Eindruck vermitteln, dass er sich tatsächlich vom islamischen Glauben distanziert hat, zumal seine Antworten äußerst vage und unkonkret blieben. Eine Abkehr vom Islam aus innerer Überzeugung vermochte das erkennende Gericht beim Beschwerdeführer nicht zu erkennen. Nach dem unmittelbaren Eindruck in den Verhandlungen ist eine tatsächlich ablehnende oder feindliche Haltung des Beschwerdeführers gegenüber dem Islam nicht hervorgekommen. Auch seinen sonstigen Aussagen war nicht zu entnehmen, dass er, abgesehen vom Nichtpraktizieren der Glaubensregeln, gegen den Islam gerichtete Aktivitäten setzt. Angesichts der Aussagen des Beschwerdeführers ergibt sich somit insgesamt das Bild eines im Islam aufgewachsenen und sozialisierten, derzeit aber religiös nicht engagierten bzw. eher desinteressierten Menschen. Mit der, in der Verhandlung vom 17.10.2019 getätigten Aussage, dass der Beschwerdeführer an einen Gott glaube, wird schließlich der Eindruck vermittelt, dass beim Beschwerdeführer keine endgültige Abkehr vom Glauben stattfand. Es kann daher nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aus besonderen Gründen ideeller Überzeugung seine Religionszugehörigkeit aufgegeben und abgelegt hat. Vielmehr ist er eher als Fall eines Religionszugehörigen einzustufen, der den Islam derzeit nicht praktiziert und ihm gegenüber eher gleichgültig eingestuft ist.

Die drei in der Verhandlung am 03.09.2020 vor dem Bundesverwaltungsgericht befragten, vom Beschwerdeführer namhaft gemachten Zeugen, konnten einen tatsächlichen Abfall des Beschwerdeführers vom Islam nicht bestätigen. So gab XXXX an, dass er zwar die Austrittserklärung des Beschwerdeführers gesehen habe, aber abgesehen davon nichts über den Abfall des Beschwerdeführers vom Islam wisse. Er habe kein Gespräch mit dem Beschwerdeführer über den Glaubensabfall gehabt. Auf die Frage, ob er eine Veränderung im Verhalten des Beschwerdeführers gemerkt habe, antwortete er: „Ich kann nichts sagen, weil ich lebe nicht mit ihm in einem Haus. Ich kann nicht sagen, ob er sich verändert hat oder nicht.“ XXXX brachte auf die Frage, was er zum Glaubensabfall des Beschwerdeführers erzählen könne, vor: „Über sein privates Leben kann ich nichts sagen, ich weiß es nicht.“ Auf die Frage, ob er eine Veränderung in der Persönlichkeit des Beschwerdeführers seit dessen Abfall vom Islam bemerkt habe, gab er an: „Ich kann nichts sagen, das ist eine private Sache. Ich besuche ihn einmal in der Woche, ich habe aber keine Veränderung bemerkt.“ Der dritte Zeuge, XXXX , war in seinem eigenen Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zu Zl. W175 2185098-1 hinsichtlich seines eigenen angeblichen Glaubensabfalls unglaubwürdig und spricht dies jedenfalls gegen die Glaubwürdigkeit dieses Zeugen. Abgesehen davon ist festzuhalten, dass auch XXXX keine substantiierten Aussagen zum Glaubensabfalls des Beschwerdeführers tätigte und auch angab, dass er die Gründe für den Glaubensabfall des Beschwerdeführers nicht kenne.

In einer Gesamtschau konnte vom Beschwerdeführer nicht glaubhaft gemacht werden, dass er schon alleine wegen des bloßen Desinteresses an der Einhaltung der islamischen Gebräuche im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer Verfolgung ausgesetzt wäre.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara keiner Gefahr einer Verfolgung im Herkunftsstaat unterliegt, beruht einerseits darauf, dass der Beschwerdeführer eine solche Bedrohung im Verfahren nicht substantiiert behauptet hat (er führte lediglich unsubstantiiert und ohne Bezug zu seiner Person aus, dass Hazara aus Taxis und Bussen gezerrt, geschlagen und umgebracht würden), sowie andererseits auf den Feststellungen über die Situation der Volksgruppe der Hazara im Herkunftsstaat. Dazu ist auch auf das aktuelle Urteil des EGMR vom 05.07.2016 (EGMR AM/NL, 05.07.2016, 29.094/09) zu verweisen, das insbesondere feststellt, dass auch die Angehörigkeit zur Minderheit der Hazara nicht dazu führt, dass im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan eine unmenschliche Behandlung drohen würde (in diesem Sinne auch die Revisionszurückweisungen des Verwaltungsgerichtshofs vom 10.08.2017, Ra 2017/20/0041, vom 23.01.2018, Ra 2017/18/0377-6, sowie vom 30.01.2018, Ra 2017/20/0406).

2.3. Zur Situation im Falle der Rückkehr:

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat ergeben sich aufgrund des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation (Gesamtaktualisierung am 13.11.2019), den EASO-Richtlinien (Country Guidance Afghanistan) von Juni 2019 und der UNHCR-RL vom 30.08.2018.

Die Feststellungen zu den Folgen einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Mazar-e Sharif ergeben sich aus den oben angeführten Länderberichten in Zusammenschau mit den persönlichen Umständen des Beschwerdeführers:

Es ist nicht zu übersehen, dass die wirtschaftliche Lage sowie Versorgungslage in Afghanistan im Allgemeinen sowie speziell in Mazar-e Sharif - insbesondere auch aufgrund der großen Anzahl sonstiger Binnenvertriebener und anderer Rückkehrer, die einströmen - jedenfalls insbesondere im Hinblick auf die Wohnressourcen als angespannt betrachtet werden muss und die Arbeitslosigkeit auch dort hoch ist. Hinsichtlich der Versorgungslage und der allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung in Mazar-e Sharif ist in Hinblick auf die oben angeführten Länderfeststellungen allerdings auszuführen, dass dort auch allgemein der Zugang zu Unterkunft, grundlegender Versorgung wie sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsdiensten, Bildung und zu Erwerbsmöglichkeiten gegeben ist, wenn auch die Gesamtsituation angespannt ist.

Den getroffenen Feststellungen ist zu entnehmen, dass die Stadt Mazar-e Sharif ein regionales Handelszentrum sowie ein wichtiger Wirtschaftsknotenpunkt des Landes ist und eine höhere Industrialisierung als andere Städte in Afghanistan aufweist. Zudem hat Mazar-e Sharif grundsätzlich bessere Arbeitsmöglichkeiten aufgrund einer größeren Anzahl an Unternehmen, sodass insgesamt Erwerbsmöglichkeiten gegeben sind.

Hinsichtlich der Wohnsituation ist auszuführen, dass die Lage in den genannten Städten angespannt ist, jedoch den amtswegig eingeholten Berichten nicht entnommen werden kann, dass es keine realistische Möglichkeit für alleinstehende Rückkehrer ohne familiäre Anknüpfungspunkte gäbe, Wohnraum zu finden.

Der Beschwerdeführer ist ein arbeitsfähiger junger Mann. Er ist im afghanischen Familienverband in seiner Heimatprovinz Ghazni aufgewachsen und sozialisiert worden und spricht Dari als Erstsprache. Mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates ist er sohin ausreichend vertraut. In Mazar-e Sharif verfügt der Beschwerdeführer über keine familiären oder sozialen Anknüpfungspunkte. Der Beschwerdeführer ist aber arbeits- und leistungsfähig und verfügt über Berufserfahrung als Bauarbeiter. Diese Umstände führen zu der Feststellung, dass der Beschwerdeführer trotz einer angespannten Situation am Wohnungs- und Arbeitsmarkt (allenfalls nach anfänglichen Schwierigkeiten) auch ohne familiäre und soziale Anknüpfungspunkte eigenständig eine Existenz im Herkunftsstaat aufbauen und sichern kann.

Vor dem Hintergrund der Sicherheits- und Versorgunglage in Mazar-e Sharif war auf Basis dieser persönlichen Merkmale des Beschwerdeführer in einer Gesamtschau festzustellen, dass in dieser Stadt weder ein solcher Grad an willkürlicher Gewalt herrscht, dass er allein durch seine Anwesenheit tatsächlich einer ernsthaften, individuellen Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt ist, noch dass er Gefahr läuft, dort grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Dass der Beschwerdeführer mit Blick auf sein Alter und das Fehlen physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 angehört, ergibt sich aus den – auf Basis allgemein zugänglicher Informationen der WHO getroffenen – Feststellungen zu dieser Erkrankung. Es ist demnach auch keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit dafür zutage getreten, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 9 Abs. 2 FPG und § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Asylantrag gestellt hat, soweit der Antrag nicht gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2004 Nr. L 304/12 [Statusrichtlinie] verweist). Damit will der Gesetzgeber an die Gesamtheit der aufeinander bezogenen Elemente des Flüchtlingsbegriffs der GFK anknüpfen (VwGH 24.3.2011, 2008/23/1443). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren." (vgl. VfSlg. 19.086/2010; VfGH 12.6.2010, U 613/10).

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011; 17.3.2009, 2007/19/0459; 28.5.2009, 2008/19/1031). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771; 17.3.2009, 2007/19/0459; 28.5.2009, 2008/19/1031; 6.11.2009, 2008/19/0012). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011; 28.5.2009, 2008/19/1031. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 9.9.1993, 93/01/0284; 15.3.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.3.1995, 95/19/0041; 27.6.1995, 94/20/0836; 23.7.1999, 99/20/0208; 21.9.2000, 99/20/0373; 26.2.2002, 99/20/0509 mwN; 12.9.2002, 99/20/0505; 17.9.2003, 2001/20/0177; 28.10.2009, 2006/01/0793; 23.2.2011, 2011/23/0064) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 mwN).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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