TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/29 W274 2233430-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.09.2020
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Entscheidungsdatum

29.09.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs5

Spruch

W274 2233430-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch Mag. LUGHOFER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , iranischer Staatsbürger, XXXX , vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, Wattgasse 48/3, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, vom 24.06.2020, Zl. 1089745003-190642055, zu Recht:

Der Beschwerde wird Folge gegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Der Beschwerdeführer (BF) stellte im österreichischen Bundesgebiet erstmals am 03.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz und gab in der Erstbefragung am selben Tag an, er sei in Kreise gekommen, bei denen Dokumente (ua. Führerscheine) gegen Entgelt illegal ausgefolgt worden seien. Er sei Ausbildner gewesen und gezwungen worden, verschiedene Dokumente zu bestätigen. In diese Geschichte seien auch hohe Offiziere verwickelt gewesen.

Am 21.02.2017 wurde der BF beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA; belangte Behörde) niederschriftlich einvernommen, gab an muslimisch schiitischen Glaubens zu sein und führte zum Fluchtgrund aus, er habe als Fahrschullehrer gearbeitet und Bestätigungen für Leute ausstellen sollen, obwohl sie die Fahrschule gar nicht besucht hätten. Er habe dies abgelehnt und sei daraufhin als Dienstverweigerer hingestellt worden und es sei ein Strafantrag gegen ihn erstattet worden. Es habe mehrere Gerichtsverhandlungen gegeben und er sei nur gegen Kaution freigesprochen worden, weshalb er den Iran verlassen habe.

Mit (erstem) Bescheid des BFA vom 07.06.2017, Zl. 1089745003-151481921/BMI-BFA_STM_RD, wies die Behörde den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich Asyl und Subsidiärschutz ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte (zusammengefasst unter Spruchpunkt III.) keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung in den Iran zulässig sei. Das BFA setzte auch eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise des BF (Spruchpunkt IV.). Begründend führte die Behörde an, dass der BF aufgrund seiner allgemeinen Unzufriedenheit mit den Lebensumständen den Iran verlassen habe. Hingegen sei weder sein Vorbringen, dass er als Fahrschullehrer vom Geheimdienst wegen Dienstverweigerung verhört worden und gegen ihn ein Strafantrag erhoben worden sei, noch, dass er als Studienanfänger auf der Universität einen Prediger kritisiert habe und deswegen verfolgt werde, glaubwürdig.

Die gegen diesen Bescheid vom 07.06.2017 erhobene Beschwerde wurde mit hg. Erkenntnis vom 08.01.2018, Zl. L519 2163036-1/25 E, als unbegründet abgewiesen.

Dieses Erkenntnis erwuchs in Rechtskraft.

Der BF kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach, sondern stellte am 26.06.2019 einen Folgeantrag, wobei er im Wesentlichen ausführte, er habe er seine Religion gewechselt, was im Iran nicht akzeptiert werde.

Am 11.07.2019 und am 04.06.2020 wurde der BF niederschriftlich einvernommen und gab vor dem BFA an, nun sei er zum Christentum, protestantischer Zweig, konvertiert. Er sei getauft und seit 27.11.2018 Christ. Vor ca. 19 bis 20 Monaten sei er mit Freunden unterwegs gewesen und zur Kirche gegangen, wo die Leute so lieb gewesen seien.

Weiters wurde vom BFA am 11.07.2019 XXXX , Internationale Baptistengemeinde XXXX , zeugenschaftlich einvernommen.

Mit dem nunmehr bekämpften (zweiten) Bescheid vom 24.06.2020 wurde lediglich der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich Asyl abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. erkannte die Behörde dem BF den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt III.). Begründend stellte die Behörde fest, dass der BF „aufgrund der nachträglich in Österreich erlangten, innerlichen Überzeugung zum Christentum“, welche er mittlerweile aktiv lebe, und welche die Behörde als glaubwürdig zugrunde legte, „im Iran bei einer derzeitigen Rückkehr der Gefahr einer individuellen, konkret gegen ihn gerichteten Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion oder Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der zumindest unterstellten politischen Gesinnung ausgesetzt“ sei (AS 314). Es sei daher im Falle des BF von asylrelevanter Verfolgung auszugehen, jedoch liege ein Fall des § 3 Abs 2 AsylG vor, wonach bei Folgeanträgen die Verfolgungsgefahr unter den vorliegenden Umständen lediglich zur Zuerkennung von subsidiärem Schutz führe.

Lediglich gegen Spruchpunkt I. richtet sich die Beschwerde des BF. Darin wird ausgeführt, einem Fremden, der einen Folgeantrag stelle, werde lediglich „in der Regel“ nicht der Status eines Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgung auf Umständen beruhe, die der Fremde nach Verlassen des Herkunftsstaates selbst geschaffen habe, es sei denn, es handle sich um Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung seien. Da der BF aber aus tiefster innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert sei, hätte ihm nicht bloß der Status des subsidiär Schutzberechtigten, sondern vielmehr jener des Asylberechtigten zuerkannt werden müssen. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung werde beantragt.

Die Beschwerde ist im Ergebnis berechtigt:

Aufgrund des gesamten Akteninhalts steht folgender Sachverhalt fest:

Die für den Fall derzeit relevante Situation im Iran stellt sich wie folgt dar:

Todesstrafe

Die Todesstrafe steht auf Mord (wobei die Familie des Opfers gegen Zahlung von Blutgeld auf die Hinrichtung verzichten kann), Sexualdelikte, gemeinschaftlichen Raub, wiederholten schweren Diebstahl, Drogenschmuggel (nur mehr bei besonders schweren Vergehen), schwerwiegende Verbrechen gegen die Staatssicherheit, „Moharebeh“ („Waffenaufnahme gegen Gott“) und homosexuelle bzw. außereheliche Handlungen (ÖB Teheran 10.2019; vgl. HRW 14.4.2020, AA 26.2.2020). Des weiteren terroristische Aktivitäten, Waffenbeschaffung, Hoch- und Landesverrat, Veruntreuung und Unterschlagung öffentlicher Gelder, Bandenbildung, Beleidigung oder Entweihung von heiligen Institutionen des Islams oder heiligen Personen (z.B. durch Missionstätigkeit), Vergewaltigung und Geschlechtsverkehr eines Nicht-Muslimen mit einer Muslimin (AA 26.2.2020). Auch der Abfall vom Islam (Apostasie) kann mit der Todesstrafe geahndet werden (AA 26.2.2020; vgl. ÖB Teheran 10.2019). In den letzten 20 Jahren ist es jedoch zu keiner Hinrichtung aus diesem Grund gekommen (AA 26.2.2020).

Der größte Anteil der Hinrichtungen entfällt mittlerweile auf Verurteilungen wegen Mord (ÖB Teheran 10.2019; vgl. AA 26.2.2020) und Sexualdelikten. Die Hinrichtungen werden regelmäßig durch Erhängen, selten durch Erschießen, z.T. öffentlich durchgeführt (ÖB Teheran 10.2019) und auch (selten) gegen zum Tatzeitpunkt Minderjährige (ÖB Teheran 10.2019; vgl. AA 26.2.2020, HRW 14.4.2020, FH 4.3.2020, HRC 28.1.2020, AI 18.2.2020). Das Alter der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Buben liegt bei 15 und für Mädchen bei 9 Jahren (ÖB Teheran 12.2018; vgl. AA 26.2.2020) und kann bei Eintritt der Volljährigkeit vollstreckt werden. 2018 wurden mindestens vier zur Tatzeit minderjährige Täter/innen hingerichtet. Mehreren weiteren zur Tatzeit Minderjährigen droht aktuell die Hinrichtung. 2019 wurden erstmals auch zwei zum Zeitpunkt der Hinrichtung Minderjährige verzeichnet (AA 26.2.2020). In der Vergangenheit konnten einige Hinrichtungen von Jugendlichen aufgrund von großem internationalen Druck (meist in letzter Minute) verhindert werden (ÖB Teheran 10.2019). Hinrichtungen erfolgen weiterhin regelmäßig ohne rechtlich vorgeschriebene vorherige Unterrichtung der Familienangehörigen, die Herausgabe des Leichnams wird teilweise verweigert oder verzögert (AA 26.2.2020). In Bezug auf die Anzahl der jährlichen Hinrichtungen befindet sich Iran nach China weltweit an zweiter Stelle (FH 4.3.2020).

Im Jänner 2018 trat eine Gesetzesänderung zur Todesstrafe bei Drogendelikten in Kraft. Wer Drogenstraftaten aufgrund von Armut oder Arbeitslosigkeit begeht, wird nicht mehr zum Tode verurteilt. Über gewalttätige Drogenstraftäter und solche, die mehr als 100 Kilo Opium oder zwei Kilo industrielle Rauschgifte produzieren oder verbreiten, wird weiterhin die Todesstrafe verhängt (ÖB Teheran 10.2019). Diese Gesetzesänderungen führten zu einer Überprüfung der Todesstrafe für Tausende von Häftlingen (FH 4.3.2020) und die Anzahl der bekannt gewordenen Hinrichtungen sank (AI 10.4.2019; vgl. HRW 14.1.2020, FH 4.3.2020, HRC 8.2.2019). Das neue Gesetz gilt rückwirkend, sodass dadurch etwa 2.000 bis 5.000 bereits zum Tode Verurteilte von der Todesstrafe verschont bleiben könnten (AA 26.2.2020). Nichtsdestotrotz hat Iran im Laufe des Jahres 2019 fast 300 Menschen hingerichtet, darunter mindestens zwei jugendliche Straftäter (FH 4.3.2020).

Viele Todesurteile werden nach internationalen Verfahrensstandards widersprechenden Strafverfahren gefällt: Es wird immer wieder von durch Folter erzwungenen Geständnissen oder fehlenden Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Verteidiger bzw. fehlender freier Wahl eines Verteidigers berichtet, insbesondere bei „politischen“ oder die „nationale Sicherheit“ betreffenden Fällen. Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen (auf welche vom „Geschädigten“ gegen eine Abstandsgeldzahlung verzichtet werden kann). Zwar wurde im Jahr 2002 ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, jedoch wurde dies im Jahr 2009 vom damaligen Justizsprecher für nicht bindend erklärt. Es befinden sich noch mehrere Personen beiderlei Geschlechts auf der „Steinigungsliste“. Seit 2009 sind jedoch keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 10.2019).

Religionsfreiheit

In Iran leben ca. 82 Millionen Menschen, von denen ungefähr 99% dem Islam angehören. Etwa 90% der Bevölkerung sind Schiiten, ca. 9% sind Sunniten und der Rest verteilt sich auf Christen, Juden, Zoroastrier, Baha‘i, Sufis, Ahl-e Haqq und nicht weiter spezifizierte religiöse Gruppierungen (BFA Analyse 23.5.2018). Der Islam schiitischer Prägung ist in Iran Staatsreligion. Gleichwohl dürfen die in Art. 13 der iranischen Verfassung anerkannten „Buchreligionen“ (Christen, Juden, Zoroastrier) ihren Glauben im Land relativ frei ausüben. In Fragen des Ehe- und Familienrechts genießen sie verfassungsrechtlich Autonomie. Jegliche Missionstätigkeit kann jedoch als „mohareb“ (Krieg gegen Gott) verfolgt und mit dem Tod bestraft werden. Auch unterliegen Vertreter religiöser Minderheiten Beschränkungen beim Zugang zu höheren Staatsämtern. Nichtmuslime sehen sich darüber hinaus im Familien- und Erbrecht nachteiliger Behandlung ausgesetzt, sobald ein Muslim Teil der relevanten Personengruppe ist (AA 26.2.2020; vgl. ÖB Teheran 10.2019).

Anerkannte religiöse Minderheiten – Zoroastrier, Juden, (v.a. armenische und assyrische) Christen

–        werden diskriminiert. Nicht anerkannte religiöse Gruppen – Baha‘i, konvertierte evangelikale Christen, Sufi (Derwisch-Orden), Atheisten – werden in unterschiedlichem Ausmaß verfolgt. Sunniten werden v.a. beim beruflichen Aufstieg im öffentlichen Dienst diskriminiert. Vertreter von anerkannten religiösen Minderheiten betonen immer wieder, wenig oder kaum Repressalien ausgesetzt zu sein. Sie sind in ihrer Religionsausübung – im Vergleich mit anderen Ländern der Region – nur relativ geringen Einschränkungen unterworfen. Darüber hinaus haben sie gewisse anerkannte Minderheitenrechte, etwa – unabhängig von ihrer zahlenmäßigen Stärke – eigene Vertreter im Parlament (ÖB Teheran 10.2019). Fünf von 290 Plätzen im iranischen Parlament sind Vertretern von religiösen Minderheiten vorbehalten (BFA Analyse 23.5.2018; vgl. FH 4.3.2020). Zwei dieser fünf Sitze sind für armenische Christen reserviert, einer für chaldäische und assyrische Christen und jeweils ein Sitz für Juden und Zoroastrier. Nichtmuslimische Abgeordnete dürfen jedoch nicht in Vertretungsorgane, oder in leitende Positionen in der Regierung, beim Geheimdienst oder beim Militär gewählt werden (BFA Analyse 23.5.2018; vgl. FH 4.3.2020) und ihre politische Vertretung bleibt schwach (FH 4.3.2020).

Auch in einzelnen Aspekten im Straf-, Familien- und Erbrecht kommen Minderheiten nicht dieselben Rechte zu wie Muslimen. Es gibt Berichte von Diskriminierung von Nichtschiiten aufgrund ihrer Religion, welche von der Gesellschaft/Familien ausgeht und eine bedrohliche Atmosphäre kreiert. Diskriminierung geht jedoch hauptsächlich auf staatliche Akteure zurück (ÖB Teheran 10.2019).

Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit wird sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben systematisch verletzt. Die Behörden zwingen weiterhin Personen aller Glaubensrichtungen einen Kodex für Verhalten in der Öffentlichkeit auf, der auf einer strikten Auslegung des schiitischen Islams gründet. Wichtige politische Ämter stehen ausschließlich schiitischen Muslimen offen. Das Recht, eine Religion zu wechseln oder aufzugeben, wird weiterhin verletzt (AI 18.2.2020).

Anerkannten ethnisch christlichen Gemeinden ist es untersagt, konvertierte Christen zu unterstützen. Gottesdienste in der Landessprache Farsi sind verboten, ebenso die Verbreitung christlicher Schriften. Teilweise werden einzelne Gemeindemitglieder vorgeladen und befragt. Unter besonderer Beobachtung stehen insbesondere auch hauskirchliche Vereinigungen, deren Versammlungen regelmäßig aufgelöst und deren Angehörige gelegentlich festgenommen werden (AA 26.2.2020).

Laut der in den USA ansässigen NGO „United for Iran“ waren 2018 mindestens 272 Angehörige religiöser Minderheitengruppen aufgrund des Praktizierens ihrer Religion inhaftiert, 165 Gefangene wegen „Feindschaft gegen Gott“, 34 wegen „Beleidigung des Obersten Führers und Ayatollah Khomeini“ und 20 wegen „Korruption auf Erden“ (US DOS 21.6.2019).

Personen, die sich zum Atheismus bekennen, können willkürlich festgenommen, inhaftiert, gefoltert und anderweitig misshandelt werden. Sie laufen Gefahr, wegen "Apostasie" (Abfall vom Glauben) zum Tode verurteilt zu werden (AI 18.2.2020). In der Praxis sind Verurteilungen wegen Apostasie jedoch sehr selten (wenn überhaupt noch vorhanden), bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gab es Hinweise darauf, dass Apostasie einer bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war (ÖB Teheran 10.2019).

Christen

Glaubwürdige Schätzungen sprechen von 100.000 bis 300.000 Christen in Iran, von denen der Großteil den armenischen Christen angehört. Diese leben hauptsächlich in Teheran und Isfahan. Die armenischen Christen gehören zu den anerkannten religiösen Minderheiten, die in der Verfassung genannt werden. Ihnen stehen zwei der 290 Sitze im iranischen Parlament zu. Laut den konsultierten Quellen können armenische Christen – solange sie sich an die Gesetze der Islamischen Republik Iran halten – ihren Glauben relativ frei ausüben. Es gibt Kirchen, die auch von außen als solche erkennbar sind. Sie haben das Recht, religiöse Riten und Zeremonien abzuhalten, Ehen nach den eigenen religiösen Gesetzen zu schließen und auch Privatschulen zu betreiben. Persönliche Angelegenheiten und religiöse Erziehung können dem eigenen religiösen Kanon nach geregelt werden. Es gibt aber auch Einschränkungen, mit denen auch anerkannte religiöse Minderheiten zu leben haben, beispielsweise Nachteile bei der Arbeitssuche, islamische Bekleidungsvorschriften und Benachteiligungen insbesondere im Familien- und Erbrecht. Eine wichtige Einschränkung ist das Proselytismusverbot, das für alle religiösen Minderheiten gilt. Missionierung kann im Extremfall mit dem Tod bestraft werden (BFA Analyse 23.5.2018). Nicht einmal Zeugen Jehovas missionieren in Iran (DIS/DRC 23.2.2018).

Das Christentum ist in der iranischen Verfassung als Religion anerkannt. Den historisch ansässigen Kirchen, die vorwiegend ethnische Gruppierungen abbilden (die armenische, assyrische und chaldäische Kirche) wird eine besondere Stellung zuerkannt. Religiöse Aktivitäten sind nur in den jeweiligen Gotteshäusern und Gemeindezentren erlaubt; christliche Gottesdienste auf Farsi sowie missionarische Tätigkeiten sind generell verboten (ÖB Teheran 10.2019; vgl. AA 26.2.2020), ebenso die Verbreitung christlicher Schriften (AA 26.2.2020). Sonstige zahlenmäßig bedeutende Gruppen stellen Katholiken und Protestanten, die ihren Ursprung in der Zeit des Schah-Regimes haben. Die Mitglieder sind meist Konvertiten aus dem Islam. Grundrechtlich besteht „Kultusfreiheit“ innerhalb der Mauern der Gemeindezentren und der Kirchen. Jedoch haben Nichtmuslime weder Religionsfreiheit in der Öffentlichkeit, noch Meinungsfreiheit oder Versammlungsfreiheit. Jegliche missionarische Tätigkeit inklusive des öffentlichen Verkaufs von werbenden Publikationen und der Anwerbung Andersgläubiger ist verboten (Proselytismusverbot) und wird streng bestraft. Das Strafgesetz sieht für Proselytismus die Todesstrafe vor, wobei es in den letzten Jahren zu keinem derartigen Urteil kam. Infolge des Proselytismusverbots wird gegen evangelikale Gruppen („Hauskirchen“) oft hart vorgegangen (Verhaftungen, Beschlagnahmungen, vor ein paar Jahren auch angeblich vollstreckte Todesurteile). Autochthone Kirchen halten sich meist penibel an das Verbot (ÖB Teheran 10.2019).

Da Konversion vom Islam zu einer anderen Religion verboten ist, erkennt die Regierung nur armenische oder assyrische Christen an [abgesehen von Juden und Zoroastriern], da diese Gruppen schon vor dem Islam im Land waren, bzw. es sich um Staatsbürger handelt, die beweisen können, dass ihre Familien schon vor 1979 [Islamische Revolution] Christen waren. Sabäer-Mandäer werden auch als Christen geführt, obwohl sie sich selbst nicht als Christen bezeichnen. Staatsbürger, die nicht den anerkannten Religionsgemeinschaften angehören, oder die nicht beweisen können, dass ihre Familien schon vor der Islamischen Revolution Christen waren, werden als Muslime angesehen. Mitglieder der anerkannten Minderheiten müssen sich registrieren lassen (US DOS 21.6.2019).

Im Weltverfolgungsindex 2020 von Christen von Open Doors befindet sich Iran, wie im letzten Jahr, auf dem neunten Platz. Im Beobachtungszeitraum (November 2018 – Oktober 2019) wurden 169 Christen verhaftet, 114 von ihnen in einer einzigen Woche Ende 2018 (Open Doors 2020).

Apostasie, Konversion zum Christentum, Proselytismus, Hauskirchen

Apostasie (d.h. Religionswechsel weg vom Islam) ist im Iran zwar nicht im Strafgesetzbuch, aber aufgrund der verfassungsrechtlich verankerten islamischen Jurisprudenz verboten und mit langen Haftstrafen (bis hin zur Todesstrafe) bedroht (ÖB Teheran 10.2019). Konvertierte werden jedoch zumeist nicht wegen Apostasie bestraft, sondern aufgrund anderer Delikte, wie zum Beispiel „mohareb“ („Waffenaufnahme gegen Gott“), „mofsid-fil-arz/fisad-al-arz“ („Verdorbenheit auf Erden“), oder „Handlungen gegen die nationale Sicherheit“. In der Praxis sind Verurteilungen wegen Apostasie sehr selten, wenn überhaupt noch vorhanden. Bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gibt es Hinweise darauf, dass Apostasie ein bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war. Hingegen gab es mehrere Exekutionen wegen „mohareb“ (ÖB Teheran 10.2019; vgl. DIS/DRC 23.2.2018). Die Todesstrafe ist bei Fällen, die mit Konversion zusammenhängen, keine geläufige Bestrafung. Allein wegen Konversion werden keine Gerichtsverfahren geführt (DIS/DRC 23.2.2018). Schon seit vielen Jahren wurde kein Christ mehr vom Regime getötet, wahrscheinlich aus Angst vor den daraus resultierenden internationalen Folgen (Open Doors 2020; vgl. AA 26.2.2020). Anklagen lauten meist auf „Gefährdung der nationalen Sicherheit“, „Organisation von Hauskirchen“ und „Beleidigung des Heiligen“, wohl um die Anwendung des Scharia-Rechts und damit die Todesstrafe wegen Apostasie zu vermeiden (AA 26.2.2020). Konversion wird als politische Aktivität angesehen. Fälle von Konversion gelten daher als Angelegenheiten der nationalen Sicherheit und werden vor den Revolutionsgerichten verhandelt. Nach anderen Quellen wurden im Jahr 2017 gegen mehrere christliche Konvertiten hohe Haftstrafen (zehn und mehr Jahre) verhängt [Anmerkung der Staatendokumentation: Verurteilungsgrund unklar] (AA 12.1.2019). Laut Weltverfolgungsindex 2020 wurden im Berichtszeitraum viele Christen, besonders solche mit muslimischem Hintergrund, vor Gericht gestellt und zu langen Gefängnisstrafen verurteilt bzw. warten noch auf ihren Prozess. Ihre Familien sind während dieser Zeit öffentlichen Demütigungen ausgesetzt (Open Doors 2020).

Missionstätigkeit unter Muslimen kann eine Anklage wegen Apostasie und Sanktionen bis zur Todesstrafe nach sich ziehen. Muslime dürfen daher nicht an Gottesdiensten anderer Religionen teilnehmen. Trotz des Verbots nimmt die Konversion weiter zu. Unter den Christen in Iran stellen Konvertiten aus dem Islam mit schätzungsweise mehreren Hunderttausend inzwischen die größte Gruppe dar, noch vor den Angehörigen traditioneller Kirchen (AA 26.2.2020). In Iran Konvertierte nehmen von öffentlichen Bezeugungen ihrer Konversion naturgemäß Abstand, behalten ihren muslimischen Namen und treten in Schulen, Universitäten und am Arbeitsplatz als Muslime auf. Wer zum Islam zurückkehrt, tut dies ohne besondere religiöse Zeremonie, um Aufsehen zu vermeiden. Es genügt, wenn die betreffende Person glaubhaft versichert, weiterhin oder wieder dem islamischen Glauben zu folgen. Es gibt hier für den Rückkehrer bestimmte religiöse Formeln, die dem Beitritt zum Islam ähneln bzw. nahezu identisch sind (ÖB Teheran 10.2019).

Einige Geistliche, die in der Vergangenheit in Iran verfolgt oder ermordet wurden, waren im Ausland zum Christentum konvertiert. Die Tragweite der Konsequenzen für jene Christen, die im Ausland konvertiert sind und nach Iran zurückkehren, hängt von der religiösen und konservativen Einstellung ihres Umfeldes ab. Jedoch wird von familiärer Ausgrenzung berichtet, sowie von Problemen, sich in der islamischen Struktur des Staates zurechtzufinden (z.B. Eheschließung, soziales Leben) (ÖB Teheran 10.2019).

Die Schließungen der „Assembly of God“-Kirchen im Jahr 2013 führten zu einer Ausbreitung der Hauskirchen. Dieser Anstieg bei den Hauskirchen zeigt, dass sie – obwohl sie verboten sind – trotzdem die Möglichkeit haben, zu agieren. Obwohl die Behörden die Ausbreitung der Hauskirchen fürchten, ist es schwierig, diese zu kontrollieren, da sie verstreut, unstrukturiert und ihre Örtlichkeiten meist nicht bekannt sind. Nichtsdestotrotz werden sie teils überwacht. Die Behörden nutzen Informanten, die die Hauskirchen infiltrieren, deshalb organisieren sich die Hauskirchen in kleinen und mobilen Gruppen. Wenn Behörden Informationen bezüglich einer Hauskirche bekommen, wird ein Überwachungsprozess in Gang gesetzt. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Behörden sofort reagieren, da man zuerst Informationen über die Mitglieder sammeln und wissen will, wer in der Gemeinschaft welche Aufgaben hat. Ob die Behörden eingreifen, hängt von den Aktivitäten und der Größe der Hauskirche ab. Die Überwachung von Telekommunikation, Social Media und Online- Aktivitäten ist weit verbreitet. Es kann jedoch nicht klargestellt werden, wie hoch die Kapazitäten zur Überwachung sind. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018).

In den letzten Jahren gab es mehrere Razzien in Hauskirchen und Anführer und Mitglieder wurden verhaftet (FH 4.3.2020; vgl. AI 18.2.2020). Eine Hauskirche kann beispielsweise durch Nachbarn aufgedeckt werden, die abnormale Aktivitäten um ein Haus bemerken und dies den Behörden melden. Ansonsten haben die Behörden eigentlich keine Möglichkeit eine Hauskirche zu entdecken, da die Mitglieder in der Regel sehr diskret sind (DIS/DRC 23.2.2018).

Organisatoren von Hauskirchen können sich dem Risiko ausgesetzt sehen, wegen „Verbrechen gegen Gott“ angeklagt zu werden, worauf die Todesstrafe steht. Es ist aber kein Fall bekannt, bei dem diese Beschuldigung auch tatsächlich zu einer Exekution geführt hätte. In Bezug auf die Strafverfolgung von Mitgliedern von Hauskirchen besagt eine Quelle, dass eher nur die Anführer von Hauskirchen gerichtlich verfolgt würden, während eine andere Quelle meint, dass auch „low- profile“ Mitglieder davon betroffen sein können. Manchmal werden inhaftierte Anführer von Hauskirchen oder Mitglieder auf Kaution entlassen und wenn es ein prominenter Fall ist, werden diese Personen von den Behörden gedrängt, das Land zu verlassen. Ein Hauskirchenmitglied, das zum ersten Mal festgenommen wird, wird normalerweise nach 24 Stunden wieder freigelassen, mit der Bedingung, dass sie sich vom Missionieren fernhalten. Eine Vorgehensweise gegen Hauskirchen wäre, dass die Anführer verhaftet und dann wieder freigelassen werden, um die Gemeinschaft anzugreifen und zu schwächen. Wenn sie das Missionieren stoppen, werden die Behörden in der Regel aufhören, Informationen über sie zu sammeln. Es soll auch die Möglichkeit geben, sich den Weg aus der Haft zu erkaufen (DIS/DRC 23.2.2018).

Bei Razzien in Hauskirchen werden meist die religiösen Führer zur Verantwortung gezogen, vor allem aus politischen Gründen. Aufgrund der häufigen Unterstützung ausländischer Kirchen für Kirchen in Iran und der Rückkehr von Christen aus dem Ausland lautet das Urteil oft Verdacht auf Spionage und Verbindung zu ausländischen Staaten und Feinden des Islam (z.B. Zionisten), oder Bedrohung für die nationale Sicherheit. Diese Urteile sind absichtlich vage formuliert, um ein größtmögliches Tätigkeitsspektrum abdecken zu können. Darüber hinaus beinhalten die Urteile auch den Konsum von Alkohol während der Messe (obwohl der Alkoholkonsum im Rahmen der religiösen Riten einer registrierten Gemeinschaft erlaubt ist), illegale Versammlung, Respektlosigkeit vor dem Regime und Beleidigung des islamischen Glaubens. Den verhafteten Christen werden teilweise nicht die vollen Prozessrechte gewährt – oft werden sie ohne Anwaltsberatung oder ohne formelle Verurteilung festgehalten bzw. ihre Haft über das Strafmaß hinaus verlängert. Berichten zufolge sollen auch Kautionszahlungen absichtlich sehr hoch angesetzt werden, um den Familien von Konvertiten wirtschaftlich zu schaden. Im Anschluss an die Freilassung wird Konvertiten das Leben erschwert, indem sie oft ihren Job verlieren bzw. es ihnen verwehrt wird, ein Bankkonto zu eröffnen oder ein Haus zu kaufen (ÖB Teheran 10.2019). Die Regierung nutzt unverhältnismäßig hohe Kautionszahlungen, um verurteilte Christen vorsätzlich verarmen zu lassen (Open Doors 2020).

Ob ein Mitglied einer Hauskirche im Visier der Behörden ist, hängt auch von seinen durchgeführten Aktivitäten, und ob er/sie auch im Ausland bekannt ist, ab. Normale Mitglieder von Hauskirchen riskieren, zu regelmäßigen Befragungen vorgeladen zu werden, da die Behörden diese Personen schikanieren und einschüchtern wollen. Eine Konversion und ein anonymes Leben als konvertierter Christ allein führen nicht zu einer Verhaftung. Wenn der Konversion aber andere Aktivitäten nachfolgen, wie zum Beispiel Missionierung oder das Unterrichten von anderen Personen im Glauben, dann kann dies zu einem Problem werden. Wenn ein Konvertit nicht missioniert oder eine Hauskirche bewirbt, werden die Behörden i.d.R. nicht über ihn Bescheid wissen (DIS/DRC 23.2.2018).

Konvertierte Rückkehrer, die keine Aktivitäten in Bezug auf das Christentum setzen, werden für die Behörden nicht von Interesse sein. Wenn ein Konvertit schon vor seiner Ausreise den Behörden bekannt war, könnte dies anders sein. Wenn er den Behörden nicht bekannt war, dann wäre eine Rückkehr nach Iran kein Problem. Konvertiten, die ihre Konversion aber öffentlich machen, können sich Problemen gegenübersehen. Wenn ein zurückgekehrter Konvertit sehr freimütig über seine Konversion in den Social Media-Kanälen, einschließlich Facebook berichtet, können die Behörden auf ihn aufmerksam werden und ihn bei der Rückkehr verhaften und befragen. Der weitere Vorgang würde davon abhängen, was der Konvertit den Behörden erzählt. Wenn der Konvertit kein „high- profile“-Fall ist und nicht missionarisch tätig ist bzw. keine anderen Aktivitäten setzt, die als Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen werden, wird der Konvertit wohl keine harsche Strafe bekommen. Eine Bekanntgabe der Konversion auf Facebook allein würde nicht zu einer Verfolgung führen, aber es kann durchaus dazu führen, dass man beobachtet wird. Ein gepostetes Foto im Internet kann von den Behörden ausgewertet werden, gemeinsam mit einem Profil und den Aktivitäten der konvertierten Person. Wenn die Person vor dem Verlassen des Landes keine Verbindung mit dem Christentum hatte, würde er/sie nicht verfolgt werden. Wenn eine konvertierte Person die Religion in politischer Weise heranzieht, um zum Beispiel Nachteile des Islam mit Vorteilen des Christentums auf sozialen Netzwerken zu vergleichen, kann das zu einem Problem werden (DIS/DRC 23.2.2018).

Ob eine Taufe für die iranischen Behörden Bedeutung hat, kann nicht zweifelsfrei gesagt werden. Während Amnesty International und eine anonyme Quelle vor Ort aussagen, dass eine Taufe keine Bedeutung habe, ist sich ein Ausländer mit Kontakt zu Christen in Iran darüber unsicher; Middle East Concern, eine Organisation, die sich um die Bedürfnisse von Christen im Mittleren Osten und Nordafrika kümmert, ist der Meinung, dass eine dokumentierte Taufe die Behörden alarmieren und problematisch sein könnte (DIS/DRC 23.2.2018).

Die Regierung schränkt die Veröffentlichung von religiösem Material ein und christliche Bibeln werden häufig konfisziert. Auch Publikationen, die sich mit dem Christentum beschäftigen und schon auf dem Markt waren, wurden konfisziert, obwohl es von der Regierung genehmigte Übersetzungen der Bibel gibt. Verlage werden unter Druck gesetzt, Bibeln oder nicht genehmigtes nicht- muslimisches Material nicht zu drucken (US DOS 21.6.2019).

(auszugsweise, fallbezogene Wiedergabe des LIB der Staatendokumentation Iran, Stand Juni 2020).

Es ist glaubhaft, dass der BF innerhalb einer mit etwa Februar 2018 beginnenden Entwicklung innerlich überzeugter Christ wurde, das Christentum mittlerweile in Österreich aktiv lebt und hiedurch im Falle einer Rückkehr in den Iran bei – zuzubilligender - Fortsetzung diesbezüglicher Glaubensaktivitäten einer Verfolgung aus dem Konventionsgrund der Religion ausgesetzt ist.

Beweiswürdigung:

Das BFA stellte die oben festgestellten Umstände ausdrücklich fest (Bescheid S 22) und begründete dies kurz, aber in der Weise, dass die belangte Behörde die Glaubhaftigkeit der festgestellten Umstände annahm. Der BF habe nicht nur eine Taufbestätigung vorlegen können, sondern habe auch die inhaltlichen Fragen einwandfrei beantworten können und mehrfach glaubhaft gemacht, im Christentum einen neuen Lebensinhalt gefunden zu haben. Er sei auch aktiv in kirchlichen Gemeinden tätig (Bescheid S 46).

Das Verwaltungsgericht sieht keine Veranlassung, diese von der belangten Behörde begründeten und als glaubhaft angenommenen Umstände in Zweifel zu ziehen bzw zum Gegenstand weiterer Erhebungen (etwa im Rahmen einer mündlichen Verhandlung) zu machen.

Rechtlich folgt:

Gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Gemäß Abs 2 kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Heimatstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).

Gemäß Abs 3 ist der Antrag abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative offen- steht oder ein Asylausschlussgrund gesetzt wurde.

Gemäß § 2 Abs 1 Z 11 und 12 ist Verfolgung jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art 9 Statusrichtline, Verfolgungsgrund ein in Art 10 Statusrichtlinie genannter Grund.

Nach Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Nach Art 9 der Statusrichtlinie (2011/95/EU) muss eine Verfolgungshandlung iSd Genfer Flüchtlingskonvention aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt oder in einer Kulminierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend sind, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist.

Unter anderem können als Verfolgung folgende Handlungen gelten:

Anwendung physischer oder psychischer, einschließlich sexueller Gewalt, gesetzliche, administrative, polizeiliche und/oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder diskriminierend angewandt werden, unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich des Art 12 Abs 2 fallen und Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

Der Begriff der Religion umfasst nach Art 10 insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob der Antragsteller tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

Nach Ansicht des VfGH erfordert die Beachtung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Glaubens- und Gewissensfreiheit im Asylverfahren im konkreten Fall die Widerlegung, dass ein Religionswechsel aus innerer Überzeugung erfolgt ist. Sobald auf Grund äußerer Tatsachen ein Wechsel der Religion aus innerer Überzeugung nicht unwahrscheinlich ist, muß sich auf Grund der Persönlichkeit, aller Umstände der persönlichen Glaubwürdigkeit sowie darauf aufbauend einer ins Einzelne gehenden Beweiswürdigung und allenfalls der Einvernahme von Personen, die Auskunft über den Glaubenswechsel und die diesem zugrunde liegenden Überzeugungen geben können, ein detaillierter Eindruck darüber verschafft werden, inwieweit der Religionswechsel auf einer persönlichen Glaubensentscheidung beruht (zB VfSlg. 19.837/2013 und VfGH 22.9.2014, U 2193/2013).

Der VwGH hat sich mehrfach mit drohender Verfolgung von zum christlichen Glauben konvertierten Muslimen im Iran befasst (zB Erkenntnis vom 19.12.2001, 2000/20/0369; Ra 2014/01/0117). Danach kommt es darauf an, ob der Asylwerber bei weiterer Ausführung des inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, aus diesem Grund mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion belegt zu werden. Feststellungen zu behaupteten aktuell bestehenden Glaubensüberzeugung sind im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von – allfälligen – Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln (Erkenntnis des VwGH vom 23.6.2015, Ra 2014/01/0117 mwN).

Der Verwaltungsgerichtshof betont in ständiger Rechtsprechung, dass bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer allfälligen Scheinkonversion es auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten ankommt, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten ermitteln ist (VwGH 22.02.2018, Ra 2017/18/0426 u.a.). Ob der Religionswechsel bereits durch die Taufe erfolgt oder bloß beabsichtigt ist, ist nach der Rechtsprechung des VwGH in Bezug auf die asylrechtliche Relevanz einer Konversion nicht entscheidend (VwGH 20.06.2017, Ra 217/01/0076 mwN). Sobald aufgrund äußerer Tatsachen ein Wechsel der Religion aus innerer Überzeugung nicht unwahrscheinlich ist, muss sich das Gericht einen detaillierten Eindruck darüber verschaffen, inwieweit der Religionswechsel auf einer persönlichen Glaubensentscheidung beruht (VfGH 26.02.2019, E4695/2018).

Gemäß § 3 Abs 2 2. Satz AsylG wird einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Z 23) stellt, in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

Gem. § 2 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 gilt als Folgeantrag jeder einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag nachfolgender weiterer Antrag.

Art 5 Abs. 3 Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über die Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl L 337/9 vom 20.12.2011, (Statusrichtlinie) lautet:

"Unbeschadet der Genfer Flüchtlingskonvention können die Mitgliedstaaten festlegen, dass ein Antragsteller, der einen Folgeantrag stellt, in der Regel nicht als Flüchtling anerkannt wird, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Antragsteller nach Verlassen des Herkunftslandes selbst geschaffen hat."

Rechtlich führt die belangte Behörde zu Spruchpunkt I. (Asyl) fallbezogen aus, nach den Feststellungen sei (gemeint: beim BF) von Verfolgung in asylrelevanter Intensität iSd Genfer Flüchtlingskonvention „aus Gründen der Religion und/oder einer unterstellten politischen Gesinnung“ auszugehen (Bescheid S 50). Jedoch „trete im Fall des BF gemäß § 3 Abs 2 AslyG folgende Rechtsanwendung ein:“ Das BFA hielt nun den gesamten Wortlaut des § 3 Abs 2 AsylG fest und folgerte, aufgrund der oben angeführten Bestimmungen wäre gemäß § 3 AsylG der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen. Im Fall des BF werde dezidiert auf § 3 Abs 2 verwiesen, „insofern dieser bei einem Folgeantrag regle, dass, wenn die Verfolgungsgefahr unter den vorliegenden Umständen lediglich zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes führe.“ (!)

Zu Spruchpunkt II. führte die belangte Behörde aus, im Fall des BF gehe sie von einer realen Gefahr einer Bedrohung aus. Der BF habe mehrfach im Folgeantrag glaubhaft machen können, nach rechtskräftigem Abschluß im Erstverfahren zum Christentum konvertiert zu sein und dies seit seiner Taufe im November 2018 verinnerlicht zu haben. Dies sei aber kein Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung. Der BF habe diese Umstände erst nach rechtskräftig negativer Entscheidung geschaffen. Daher sei dem BF Subsidiärschutz zu erteilen.

Der BF vewies in seiner Beschwerde auf den Charakter der Regelung des § 3 Abs 2 2. Satz AsylG als Regel mit Ausnahmen, wobei eine solche Ausnahme hier darin bestehe, dass der BF, wie vom BFA festgestellt, „aus tiefster innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert sei, weswegen er asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt sei.“ Ihm hätte daher Asyl zuerkannt werden müssen.

Eine ausdrückliche inhaltliche Auseinandersetzung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts mit § 3 Abs 2 2. Satz AsylG ist nicht ersichtlich. Der VwGH betont aber, dass bei Prüfungen von Folgeanträgen und entsprechenden Anhaltspunkten (dort behauptete Abkehr vom Islam) bei der Prüfung, ob der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen ist, auf § 3 Abs 2 2. Satz AsylG 2005 Bedacht zu nehmen sei (VwGH 27.5.2019, Ra 2018/14/0292; 28.8.2019 Ra 2019/14/0299).

Nach der Statusrichtlinie können die Mitgliedstaaten festlegen, dass ein Antragsteller, der einen Folgeantrag stellt, in der Regel nicht als Asylberechtigter anerkannt wird, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die die der Antragsteller nach Verlassen seines Heimatstaates selbst herbeigeführt hat (Benndorf/Hudsky/Taucher/Völker/Wiener, Fremdenrecht, 6. Auflage, S 318).

Da solche selbst geschaffenen Nachfluchtgründe eine Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nur „in der Regel“ ausschließen, sind durchaus Fälle denkbar, in denen es – auch wenn die Überzeugung neu gereift ist – zu einer Zuerkennung kommen kann. Die Kommission hat in dem diesbezüglichen Entwurf zur Statusrichtlinie festgehalten, dass die Kontinuität nicht unbedingt eine Voraussetzung für das Vorliegen eines subjektiven Nachfluchtgrundes darstellt, jedoch ein Indiz für die Glaubwürdigkeit des Antrages sei. Bezugnehmend auf die Mißbrauchsthematik wurde ausgeführt, dass die Tatsache, dass die Furcht davor, Verfolgung zu leiden, durch eigenes Zutun erzeugt wurde, nicht unbedingt bedeute, dass sie unbegründet sei (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, Stand 15.1.2016, S 485).

Putzer gelangt in Asylrecht² zu den interpretatorischen Grundsätzen hinsichtlich § 3 Abs 2 2. Fall AsylG 2005, diese Bestimmung sei nur anzuwenden, wenn der ASt „nur zum Schein“ den entsprechenden Nachfluchtgrund gesetzt habe und der in Frage stehende Sachverhalt im Heimatstaat nicht bekannt geworden sei, sodass im Ergebnis zum Entscheidungszeitpunkt kein Schutzbedürfnis des ASt iSd GFK vorliege (Rz 39).

Das deutsche Bundesverwaltungsgericht beschäftigte sich unter Zugrundelegung des in Deutschland geltenden vergleichbaren § 28 Abs 2 AsylVerfG mit der Frage der mit Folgeantrag geltend gemachten Nachfluchtgründe und kam zum Ergebnis, dass eine Flüchtlingsanerkennung in derart gelagerten Fällen nur dann in Betracht komme, wenn der Kläger (ASt) zur Wiederlegung dieser (Mißbrauchs-) Vermutung „gute Gründe“ anführen könne, warum er seine Aktivitäten nach Abschluß des vorangegangenen Verfahrens ausgeweitet habe (BVerwG 18.12.2008 10 C 27.07).

Insgesamt wird man bei Auslegung des § 3 Abs 2 2. Satz AsylG den Mißbrauchs- bzw Glaubhaftigkeitsaspekt des Nachfluchtgrundes nicht außer Acht lassen können.

Unter Zugrundelegung der genannten Überlegungen und der offenbar gegebenen Überzeugung der belangten Behörde, dass die Konversion des BF, wenngleich erst nach rechtskräftigem Abschluß des Erstverfahrens erfolgt, innerlich und glaubhaft war, kann allein der Umstand, dass sich keine Anhaltspunkte finden, dass diese Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung war, eine Asylberechtigung nicht ausschließen. Anhaltspunkte für einen Mißbrauchscharakter des von der belangten Behörde angenommenen Nachfluchtgrundes sind der Begründung des Bescheides gerade nicht zu entnehmen.

Im Ergebnis zeigt die Beschwerde daher zutreffend auf, dass unter Zugrundelgung der Feststellungen und der Beweiswürdigung der belangten Behörde, die durch das angerufene Verwaltungsgericht nicht in Zweifel gezogen wird, dem BF iSd der obigen Rechtsprechung zu Konversion unter Bezugnahme auf die Verhältnisse im Iran Asyl zukommt.

Da weder eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht (die belangte Behörde erkannte dem BF im angefochtenen Bescheid auch den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu) noch ein in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannter Endigungs- und Asylausschlussgrund hervorgekommen ist, war der Beschwerde des BF stattzugeben und ihm gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen.

Da lediglich Rechtsfragen gegenständlich waren, konnte eine mündliche Verhandlung entfallen.

Zur Zulässigkeit der Revision:

Der Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision gründet auf Art 133 Abs 4 B-VG, wobei, wie ausgeführt, ausdrückliche höchstgerichtliche Rechtsprechung, unter welchen Umständen bei grundsätzlicher Anwendbarkeit von § 3 Abs 2 2. Satz AsylG (bei zulässigen Folgeanträgen) eine Asyl-, und unter welchen lediglich eine Subsidiärschutzberechtigung besteht, offenbar bislang nicht vorliegt.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung Konversion Nachfluchtgründe Rechtsanschauung des VwGH Religion Revision zulässig staatliche Verfolgung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W274.2233430.1.00

Im RIS seit

30.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

30.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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