TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/29 W266 2149980-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.09.2020
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Entscheidungsdatum

29.09.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W266 2149980-1/34E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Stephan WAGNER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, Außenstelle Linz, vom 20.2.2017, Zl. XXXX , wegen §§ 3, 8, 10 und 57 AsylG 2005 sowie §§ 46, 52 und 55 FPG 2005, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 22.5.2018 und am 12.11.2019, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein volljähriger Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, welcher der Volksgruppe der Tadschiken und der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam angehört, stellte am 11.8.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am selben Tag fand die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer an, er habe Afghanistan vor zehn Jahren verlassen, da er Angst gehabt habe, in den Krieg hineingezogen zu werden und sei in den Iran gegangen. Dort habe er versucht, seinen Aufenthalt zu legalisieren. Da er aber keine Aufenthaltsgenehmigung erhalten habe und Angst bekommen habe, wieder nach Afghanistan abgeschoben zu werden, habe er den Iran in Richtung Europa verlassen. Afghanistan sei durch die Taliban unsicher und nun seien auch IS Kämpfer im Land, weshalb der Beschwerdeführer Angst davor habe, wieder nach Afghanistan zurückzukehren.

Am 4.1.2017 fand eine niederschriftliche Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, Außenstelle Linz (im Folgenden: belangte Behörde oder BFA), statt in welcher der Beschwerdeführer im Wesentlichen angab, afghanischer Staatsangehöriger, Tadschike und sunnitischer Moslem zu sein. Er sei in Afghanistan in der Provinz Faryab, Distrikt XXXX , Dorf XXXX , geboren und aufgewachsen. Dort habe er keine Schule besucht und keinen Beruf erlernt, habe aber mit seinem Vater in dessen Landwirtschaft gearbeitet. Später sei er in den Iran gegangen und habe dort in XXXX und Teheran gelebt.

Zu seinen Familienverhältnissen gab der Beschwerdeführer an, seine Familie, bestehend aus seinem Vater, seiner Mutter einem Bruder und drei Schwestern, würde in Afghanistan im Heimatdorf leben. Ein weiter Bruder des Beschwerdeführers würde im Iran leben. Weiters würden noch jeweils eine Tante und ein Onkel mütterlicherseits und väterlicherseits in der Heimatprovinz leben. Zu seiner Familie bzw. zu seinen Verwandten bestehe kein Kontakt mehr.

Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, er sei ca. 18 Jahre alt gewesen und es habe in seinem Heimatdistrikt viele Taliban gegeben. Diese seien zwei- bis dreimal im Monat zur Familie des Beschwerdeführers gekommen um diese (die Männer) für den Dschihad zu rekrutieren. Aufgrund der Weigerung hätten sie den Vater des Beschwerdeführers gefragt, wieso niemand aus der Familie beim Dschihad mitmachen wollen würde. Der Vater des Beschwerdeführers habe gesagt, er sei zu alt, daraufhin hätten die Taliban auf die Söhne verwiesen. Daraufhin habe der Vater des Beschwerdeführers entschieden, dass die Söhne flüchten müssten. Wenn man nicht in den Dschihad ziehe, werde man von den Taliban nicht als Moslem angesehen. Dabei stehe in keinem Buch, dass man töten müsse. Da der Vater des Beschwerdeführers nicht mit seiner gesamten Familie fliehen habe können, habe er zuerst einem Bruder des Beschwerdeführers und dann dem Beschwerdeführer zur Flucht verholfen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG (Spruchpunkt II.) ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist von zwei Wochen für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt IV.).

Dagegen erhob der Beschwerdeführer durch seine amtswegig zugewiesene Rechtsvertretung, ARGE Rechtsberatung, Diakonie und Volkshilfe, fristgerecht Beschwerde.

Die Beschwerde samt dem dazugehörigen Verwaltungsakt langte am 14.3.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit Schreiben vom 31.3.2017 wurde ein Schreiben einer ehrenamtlichen Flüchtlingshelferin über ihre Eindrücke vom Beschwerdeführer übermittelt.

Mit Schreiben vom 18.7.2017 übermittelte der Beschwerdeführer diverse Integrationsunterlagen sowie medizinische Unterlagen.

Aufgrund der hinsichtlich des Gesundheitszustands des Beschwerdeführers vorgelegten Unterlagen bestellte das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 10.8.2018 einen Sachverständigen aus dem Fachgebiet Psychiatrie und Neurologie zur Erstattung eines Gutachtens zur psychischen Gesundheit des Beschwerdeführers und dessen Verhandlungsfähigkeit.

Am 20.11.2018 erstattete der bestellte Sachverständige sein schriftliches Gutachten in welchem im Wesentlichen ausgeführt wurde, dass beim Beschwerdeführer derzeit eine leichtgradige Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion vorliege, welche in Afghanistan noch nicht bestanden habe, und Verhandlungsfähigkeit gegeben sei.

Mit Schreiben vom 19.12.2018 brachte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde das Gutachten zur Kenntnis und räumte eine zweiwöchige Frist zur Abgabe einer Stellungnahme ein.

Mit Schreiben vom 3.1.2019 gab der Beschwerdeführer eine Stellungnahme zum Gutachten ab, die belangte Behörde hat innerhalb der Frist keine Stellungnahme abgegeben.

Mit Schreiben vom 24.10.2019 teilte die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers die Zurücklegung der Vollmacht mit.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 22.5.2018 und am 12.11.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Dem Beschwerdeführer wurde, im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari, nochmals die Möglichkeit gegeben, sich zu seinen Fluchtgründen, zur Situation in Afghanistan und zu jener in Österreich zu äußern und wurde er nochmals eingehend zu seinen persönlichen Verhältnissen in Afghanistan und Österreich sowie zu seinen Fluchtgründen befragt. Weiters wurde ihm die Möglichkeit gegeben, zu den mit der Ladung zur Verhandlung eingebrachten Länderinformationen Stellung zu nehmen, wovon durch die Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme in der Verhandlung Gebrauch gemacht wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage des durchgeführten Ermittlungsverfahrens, insbesondere der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Einvernahme des Beschwerdeführers durch die belangte Behörde, der Beschwerde gegen den nunmehr angefochtenen Bescheid, der im Verfahren vorgelegten Dokumente und der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt steht folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt fest:

Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Familienverhältnissen:

Der Beschwerdeführer führt den im Spruch genannten Namen sowie das dort genannte Geburtsdatum. Er ist afghanischer Staatsangehöriger, Tadschike und sunnitischer Moslem. Seine Identität steht fest.

Der Beschwerdeführer wurde in Afghanistan in der Provinz Faryab, Distrikt XXXX , Dorf XXXX , geboren und ist dort aufgewachsen. Dort hat er keine Schule besucht und keinen Beruf erlernt, hat aber mit seinem Vater in dessen Landwirtschaft gearbeitet. Später, im Rahmen seiner Flucht, hat er ein Jahr im Iran, in XXXX und Teheran gelebt und dort im Magistrat für Tunnelbau gearbeitet.

Die Familie des Beschwerdeführers, bestehend aus seinem Vater, seiner Mutter einem Bruder und drei Schwestern, leben in Afghanistan im Heimatdorf. Ein weiterer Bruder des Beschwerdeführers lebt im Iran. Weiters lebt noch jeweils eine Tante und ein Onkel mütterlicherseits und väterlicherseits in der Heimatprovinz Faryab. Zu seiner Familie bzw. zu seinen Verwandten besteht derzeit kein Kontakt.

Der Beschwerdeführer ist ein junger, grundsätzlich gesunder und arbeitsfähiger Mann. Beim Beschwerdeführer wurde eine leichtgradige Anpassungsstörung mit längerer depressiver Episode diagnostiziert, weiters leidet er an Schmerzen aufgrund eines Verkehrsunfalls. Der Beschwerdeführer nimmt deshalb Antidepressiva sowie Schmerzmittel, welche ihm sein Hausarzt verschreibt. Zwischen 16.3.2017 bis 25.3.2017 befand sich der Beschwerdeführer in stationärer Behandlung an der psychiatrischen Abteilung des XXXX aufgrund des Zufügens von Selbstverletzungen in suizidaler Absicht. Die medikamentöse Therapie brachte eine Besserung und der Beschwerdeführer befindet sich derzeit nicht mehr in psychiatrischer Behandlung.

Der Beschwerdeführer spricht Dari/Farsi, eine der Landessprachen Afghanistans, auf muttersprachlichem Niveau, hat keine Schule besucht, kann aber in seiner Muttersprache ein wenig lesen und schreiben, verfügt über mehrjährige Arbeitserfahrung in der Landwirtschaft und kennt die Sitten und Gebräuche seines Herkunftsstaates.

Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Dem Beschwerdeführer droht in Afghanistan keine Verfolgung in asylrelevanter Intensität durch die Taliban (aufgrund der Weigerung des Beschwerdeführers, mit ihnen in den Dschihad zu ziehen) oder sonstige Gruppierungen.

Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan weder vorbestraft noch wurde er dort jemals inhaftiert und hatte auch mit den Behörden des Herkunftsstaates keine Probleme. Er war auch nie politisch tätig und gehörte keiner politischen Partei an.

Dem Beschwerdeführer droht wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Tadschiken oder zur sunnitischen Religion keine konkrete und individuell physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass jeder Angehörige der Volksgruppe der Tadschiken oder der sunnitischen Religion in Afghanistan physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt ist.

Dder Beschwerdeführer wäre im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan, aufgrund der Tatsache, dass er zumindest ein Jahr im Iran gelebt sowie sich zuletzt in Europa aufgehalten hat, keiner psychischen und/oder physischen Gewalt oder anderen erheblichen Eingriffen ausgesetzt. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass jeder aus dem Iran oder Europa nach Afghanistan zurückkehrende Afghane aus diesem Grund physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt ist.

Eine Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Herkunftsprovinz Faryab ist nicht möglich bzw. nicht zumutbar, da es sich dabei um eine der relativ volatilen Provinzen in Afghanistan handelt.

Jedenfalls ist aber eine Rückkehr des Beschwerdeführers in die Städte Kabul, Mazar-e Sharif und Herat möglich und zumutbar.

Es kann nicht festgestellt werden, dass in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat das Leben des Beschwerdeführers mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit gefährdet wäre oder er dort mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung ausgesetzt wäre.

Insgesamt kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer, in Kabul, Mazar-e Sharif bzw. Herat eine konkret gegen ihn gerichtete Gefahr psychischer und/oder physischer Gewalt drohen würde. Der Beschwerdeführer wird weder aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung noch aus anderen Gründen verfolgt.

Auch wäre das Leben des Beschwerdeführers in Kabul oder Mazar-e Sharif bzw. Herat nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit gefährdet oder er dort mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung ausgesetzt. Der Beschwerdeführer wird in der Lage sein, sich in der dortigen Gesellschaft zurecht zu finden.

Der Beschwerdeführer ist ein junger, grundsätzlich gesunder, arbeitsfähiger und arbeitswilliger Mann, der bereits über Arbeitserfahrung verfügt und bereits in der Lage war, für seinen Lebensunterhalt aufzukommen. Der Beschwerdeführer hat zwar keine Schule besucht, aber in der Landwirtschaft seines Vaters gearbeitet und spricht Dari/Farsi, eine der Landessprachen auf muttersprachlichem Niveau. Der Beschwerdeführer kennt auch die Sitten und Gebräuche seines Heimatstaats. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan kann eine neuerliche Verschlechterung der Anpassungsstörung bis hin zu einer depressiven Episode mit möglicher Suizidalität nicht ausgeschlossen werden. Dies kann jedoch auch in Afghanistan behandelt werden.

Der Beschwerdeführer wird auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine nachhaltige existenzielle Notlage geraten, da er in der ersten Zeit auf Programme für Rückkehrer zurückgreifen kann, in deren Rahmen auch eine Unterkunft zur Verfügung gestellt wird. Im Übrigen kann er seinen Lebensunterhalt zunächst, bis er eine Arbeit findet, mit Gelegenheitsarbeiten finanzieren.

Zu den bezogen auf den Iran vorgebrachten Fluchtgründen (illegaler Aufenthalt, Angst vor Abschiebung nach Afghanistan) ist auf die rechtliche Beurteilung zu verweisen.

Zur maßgeblichen Situation des Beschwerdeführers in Österreich:

Der Beschwerdeführer reiste spätestens am 11.8.2015 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Er hält sich somit bereits über fünf Jahre in Österreich auf. Er besucht Deutschkurse und bisher Zertifikate bis Niveau A2 erreicht. Auch Kurse zum Niveau B1 wurden besucht, aber noch keine Prüfung absolviert. Weiters hat er die Übergangsstufe einer AHS absolviert.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich gemeinnützige Tätigkeiten ausgeübt, aber noch nicht erwerbsmäßig gearbeitet und lebt von der Grundversorgung. Er wünscht sich, in Österreich den Beruf des Elektrikers zu erlernen.

Er ist in Österreich nicht vorbestraft.

Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über keine Familienangehörigen, hat aktuell auch keine Lebensgefährtin, verfügt jedoch über einen Freundeskreis, zu dem auch Österreicher zählen. Von diesen kennt er aber nur die Vornamen. Größtenteils besteht sein Freundeskreis aber auch in Österreich aus Afghanen.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich nicht Mitglied in einem Verein, einer politischen Partei oder einer sonstigen Organisation.

Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Das Bundesverwaltungsgericht trifft folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019, in der Fassung vom 21.7.2020 [Schreibfehler teilweise korrigiert]:

Aktueller Stand der COVID-19-Krise in Afghanistan:

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt.

Berichten zufolge, haben sich in Afghanistan mehr als 35.000 Menschen mit COVID-19 angesteckt (WHO 20.7.2020; vgl. JHU 20.7.2020, OCHA 16.7.2020), mehr als 1.280 sind daran gestorben. Aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt zu wenig gemeldet (OCHA 16.7.2020; vgl. DS 19.7.2020). 10 Prozent der insgesamt bestätigten COVID-19-Fälle entfallen auf das Gesundheitspersonal. Kabul ist hinsichtlich der bestätigten Fälle nach wie vor der am stärksten betroffene Teil des Landes, gefolgt von den Provinzen Herat, Balkh, Nangarhar und Kandahar (OCHA 15.7.2020). Beamte in der Provinz Herat sagten, dass der Strom afghanischer Flüchtlinge, die aus dem Iran zurückkehren, und die Nachlässigkeit der Menschen, die Gesundheitsrichtlinien zu befolgen, die Möglichkeit einer neuen Welle des Virus erhöht haben, und dass diese in einigen Gebieten bereits begonnen hätte (TN 14.7.2020). Am 18.7.2020 wurde mit 60 neuen COVID-19 Fällen der niedrigste tägliche Anstieg seit drei Monaten verzeichnet – wobei an diesem Tag landesweit nur 194 Tests durchgeführt wurden (AnA 18.7.2020).

Krankenhäuser und Kliniken berichten weiterhin über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19. Diese Herausforderungen stehen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA), Testkits und medizinischem Material sowie mit der begrenzten Anzahl geschulter Mitarbeiter - noch verschärft durch die Zahl des erkrankten Gesundheitspersonals. Es besteht nach wie vor ein dringender Bedarf an mehr Laborequipment sowie an der Stärkung der personellen Kapazitäten und der operativen Unterstützung (OCHA 16.7.2020, vgl. BBC-News 30.6.2020).

Maßnahmen der afghanischen Regierung und internationale Hilfe

Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Universitäten und Schulen bleiben weiterhin geschlossen (OCHA 8.7.2020; vgl. RA KBL 16.7.2020). Die Regierung Afghanistans gab am 6.6.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Darüber hinaus hat die Regierung die Schließung von Schulen um weitere drei Monate bis Ende August verlängert (OCHA 8.7.2020).

Berichten zufolge werden die Vorgaben der Regierung nicht befolgt, und die Durchsetzung war nachsichtig (OCHA 16.7.2020, vgl. TN 12.7.2020). Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. Zwar behindern die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin periodisch die Bewegung der humanitären Helfer, doch hat sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verbessert, und es wurden weniger Behinderungen gemeldet (OCHA 15.7.2020).

Einwohner Kabuls und eine Reihe von Ärzten stellten am 18.7.2020 die Art und Weise in Frage, wie das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) mit der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie im Land umgegangen ist, und sagten, das Gesundheitsministerium habe es trotz massiver internationaler Gelder versäumt, richtig auf die Pandemie zu reagieren (TN 18.7.2020). Es gibt Berichte wonach die Bürger angeben, dass sie ihr Vertrauen in öffentliche Krankenhäuser verloren haben und niemand mehr in öffentliche Krankenhäuser geht, um Tests oder Behandlungen durchzuführen (TN 12.7.2020).

Beamte des afghanischen Gesundheitsministeriums erklärten, dass die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 in den Städten zurückgegangen ist, die Pandemie in den Dörfern und in den abgelegenen Regionen des Landes jedoch zunimmt. Der Gesundheitsminister gab an, dass 500 Beatmungsgeräte aus Deutschland angekauft wurden und 106 davon in den Provinzen verteilt werden würden (TN 18.7.2020).

Am Samstag den 18.7.2020 kündete die afghanische Regierung den Start des Dastarkhan-e-Milli-Programms als Teil ihrer Bemühungen an, Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie zu helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken (TN 18.7.2020; vgl. Mangalorean 19.7.2020).

Die Weltbank genehmigte am 15.7.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten (WB 10.7.2020; vgl. AN 10.7.2020).

Auszugsweise Lage in den Provinzen Afghanistans

Dieselben Maßnahmen – nämlich Einschränkungen und Begrenzungen der täglichen Aktivitäten, des Geschäftslebens und des gesellschaftlichen Lebens – werden in allen folgend angeführten Provinzen durchgeführt. Die Regierung hat eine Reihe verbindlicher gesundheitlicher und sozialer Distanzierungsmaßnahmen eingeführt, wie z.B. das obligatorische Tragen von Gesichtsmasken an öffentlichen Orten, das Einhalten eines Sicherheitsabstandes von zwei Metern in der Öffentlichkeit und ein Verbot von Versammlungen mit mehr als zehn Personen. Öffentliche und touristische Plätze, Parks, Sportanlagen, Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen sind geschlossen; die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor sind auf 6 Stunden pro Tag beschränkt und die Beschäftigten werden in zwei ungerade und gerade Tagesschichten eingeteilt (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).

Die meisten Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte sind aufgrund der COVID-19 Maßnahmen geschlossen, es sei denn, sie wurden geheim und unbemerkt von staatlichen Stellen geöffnet (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).

In der Provinz Kabul gibt es zwei öffentliche Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln mit 200 bzw. 100 Betten. Aufgrund der hohen Anzahl von COVID-19-Fällen im Land und der unzureichenden Kapazität der öffentlichen Krankenhäuser hat die Regierung kürzlich auch privaten Krankenhäusern die Behandlung von COVID-19-Patienten gestattet. Kabul sieht sich aufgrund von Regen- und Schneemangel, einer boomenden Bevölkerung und verschwenderischem Wasserverbrauch mit Wasserknappheit konfrontiert. Außerdem leben immer noch rund 12 Prozent der Menschen in Kabul unter der Armutsgrenze, was bedeutet, dass oftmals ein erschwerter Zugang zu Wasser besteht (RA KBL 16.7.2020; WHO o.D).

In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Es gibt Berichte, dass die Bewohner einiger Distrikte der Provinz mit Wasserknappheit zu kämpfen hatten. Darüber hinaus hatten die Menschen in einigen Distrikten Schwierigkeiten mit dem Zugang zu ausreichender Nahrung, insbesondere im Zuge der COVID-19-Pandemie (RA KBL 16.7.2020).

In der Provinz Herat gibt es zwei Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln. Ein staatliches öffentliches Krankenhaus mit 100 Betten, das vor kurzem speziell für COVID-19-Patienten gebaut wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 19.3.2020) und ein Krankenhaus mit 300 Betten, das von einem örtlichen Geschäftsmann in einem umgebauten Hotel zur Behandlung von COVID-19-Patienten eingerichtet wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 4.5.2020). Es gibt Berichte, dass 47,6 Prozent der Menschen in Herat unter der Armutsgrenze leben, was bedeutet, dass oft ein erschwerter Zugang zu sauberem Trinkwasser und Nahrung haben, insbesondere im Zuge der Quarantäne aufgrund von COVID-19, durch die die meisten Tagelöhner arbeitslos blieben (RA KBL 16.7.2020; vgl. UNICEF 19.4.2020).

Wirtschaftliche Lage in Afghanistan

Verschiedene COVID-19-Modelle zeigen, dass der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet wird, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung haben wird (OCHA 16.7.2020). Es herrscht weiterhin Besorgnis seitens humanitärer Helfer, über die Auswirkungen ausgedehnter Sperrmaßnahmen auf die am stärksten gefährdeten Menschen – insbesondere auf Menschen mit Behinderungen und Familien – die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen (OCHA 15.7.2020). Der Marktbeobachtung des World Food Programme (WFP) zufolge ist der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 – 31 Prozent gestiegen sind (WFP 15.7.2020, OCHA 15.7.2020). Einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) und des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht (MAIL) zufolge sind über 20 Prozent der befragten Bauern nicht in der Lage, ihre nächste Ernte anzubauen, wobei der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die COVID-19-Beschränkungen als Schlüsselfaktoren genannt werden. Darüber hinaus sind die meisten Weizen-, Obst-, Gemüse- und Milchverarbeitungsbetriebe derzeit nur teilweise oder gar nicht ausgelastet, wobei die COVID-19-Beschränkungen als ein Hauptgrund für die Reduzierung der Betriebe genannt werden. Die große Mehrheit der Händler berichtete von gestiegenen Preisen für Weizen, frische Lebensmittel, Schafe/Ziegen, Rinder und Transport im Vergleich zur gleichen Zeit des Vorjahres. Frischwarenhändler auf Provinz- und nationaler Ebene sahen sich im Vergleich zu Händlern auf Distriktebene mit mehr Einschränkungen konfrontiert, während die große Mehrheit der Händler laut dem Bericht von teilweisen Marktschließungen aufgrund von COVID-19 berichtete (FAO 16.4.2020; vgl. OCHA 16.7.2020; vgl. WB 10.7.2020).

Am 19.7.2020 erfolgte die erste Lieferung afghanischer Waren in zwei Lastwagen nach Indien, nachdem Pakistan die Wiederaufnahme afghanischer Exporte nach Indien angekündigt hatte um den Transithandel zu erleichtern. Am 12.7.2020 öffnete Pakistan auch die Grenzübergänge Angor Ada und Dand-e-Patan in den Provinzen Paktia und Paktika für afghanische Waren, fast zwei Wochen nachdem es die Grenzübergänge Spin Boldak, Torkham und Ghulam Khan geöffnet hatte (TN 20.7.2020).

Einreise und Bewegungsfreiheit

Die Türkei hat, nachdem internationale Flüge ab 11.6.2020 wieder nach und nach aufgenommen wurden, am 19.7.2020 wegen der COVID-19-Pandemie Flüge in den Iran und nach Afghanistan bis auf weiteres ausgesetzt, wie das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur mitteilte (TN 20.7.2020; vgl. AnA 19.7.2020, DS 19.7.2020).

Bestimmte öffentliche Verkehrsmittel wie Busse, die mehr als vier Passagiere befördern, dürfen nicht verkehren. Obwohl sich die Regierung nicht dazu geäußert hat, die Reisebeschränkungen für die Bürger aufzuheben, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern, hat sich der Verkehr in den Städten wieder normalisiert, und Restaurants und Parks sind wieder geöffnet (TN 12.7.2020).

Zu Kabul:

Bei Kabul handelt es sich um eine für Normalbürger, die nicht mit Ausländern zusammenarbeiten, über den Flughafen gut und sicher erreichbare, sichere und relativ stabile Stadt, auch wenn es dort in jüngster Zeit vermehrt zu vereinzelten öffentlichkeitswirksamen Anschlägen kommt. Diese richten sich weiterhin größtenteils gegen ausländische Organisationen bzw. Einrichtungen oder solche der Regierung. Die Situation am Arbeits- und Wohnungsmarkt sowie hinsichtlich der Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern ist zwar sehr angespannt, jedoch ist die Versorgung der Bevölkerung mit diesen grundlegend gesichert. Der Beschwerdeführer ist, aufgrund seiner Schulausbildung und seiner Berufserfahrung, in der Lage sich in Kabul eine Existenz aufzubauen, auch wenn er seinen Lebensunterhalt in der ersten Zeit mit Gelegenheitsjobs finanzieren wird müssen. Es kann nicht festgestellt werden, dass er in Kabul in eine, seine Existenz gefährdende, exzeptionelle Notlage geraten würde.

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans (PAJ o.D.) und grenzt an Parwan und Kapisa im Norden, Laghman im Osten, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden sowie Wardak im Westen. Provinzhauptstadt ist Kabul-Stadt (NPS o.D.). Die Provinz besteht aus den folgenden Distrikten: Bagrami, Chahar Asyab, Dehsabz, Estalef, Farza, Guldara, Kabul, Kalakan, Khak-e-Jabar, Mir Bacha Kot, Musahi, Paghman, Qara Bagh, Shakar Dara und Surubi/Surobi/Sarobi (CSO 2019; vgl. IEC 2018).

Laut dem UNODC Opium Survey 2018 verzeichnete die Provinz Kabul 2018 eine Zunahme der Schlafmohnanbaufläche um 11% gegenüber 2017. Der Schlafmohnanbau beschränkte sich auf das Uzbin-Tal im Distrikt Surubi (UNODC/MCN 11.2018).

Kabul-Stadt – Geographie und Demographie

Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Es ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 5.029.850 Personen für den Zeitraum 2019-20 (CSO 2019). Die Bevölkerungszahl ist jedoch umstritten. Einige Quellen behaupten, dass sie fast 6 Millionen beträgt (AAN 19.3.2019). Laut einem Bericht, expandierte die Stadt, die vor 2001 zwölf Stadtteile – auch Police Distrikts (USIP 4.2017), PDs oder Nahia genannt (AAN 19.3.2019) – zählte, aufgrund ihres signifikanten demographischen Wachstums und ihrer horizontalen Expansion auf 22 PDs (USIP 4.2017). Die afghanische zentrale Statistikorganisation (Central Statistics Organization, CSO) schätzt die Bevölkerung der Provinz Kabul für den Zeitraum 2019-20 auf 5.029.850 Personen (CSO 2019). Sie besteht aus Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.).

Hauptstraßen verbinden die afghanische Hauptstadt mit dem Rest des Landes (UNOCHA 4.2014). In Kabul-Stadt gibt es einen Flughafen, der mit internationalen und nationalen Passagierflügen bedient wird (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).

Die Stadt besteht aus drei konzentrischen Kreisen: Der erste umfasst Shahr-e Kohna, die Altstadt, Shahr-e Naw, die neue Stadt, sowie Shash Darak und Wazir Akbar Khan, wo sich viele ausländische Botschaften, ausländische Organisationen und Büros befinden. Der zweite Kreis besteht aus Stadtvierteln, die zwischen den 1950er und 1980er Jahren für die wachsende städtische Bevölkerung gebaut wurden, wie Taimani, Qala-e Fatullah, Karte Se, Karte Chahar, Karte Naw und die Microraions (sowjetische Wohngebiete). Schließlich wird der dritte Kreis, der nach 2001 entstanden ist, hauptsächlich von den „jüngsten Einwanderern“ (USIP 4.2017) (afghanische Einwanderer aus den Provinzen) bevölkert (AAN 19.3.2019), mit Ausnahme einiger hochkarätiger Wohnanlagen für VIPs (USIP 4.2017).

Was die ethnische Verteilung der Stadtbevölkerung betrifft, so ist Kabul Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt, je nach der geografischen Lage ihrer Heimatprovinzen: Dies gilt für die Altstadt ebenso wie für weiter entfernte Stadtviertel, und sie wird in den ungeplanten Gebieten immer deutlicher (Noori 11.2010). In den zuletzt besiedelten Gebieten sind die Bewohner vor allem auf Qawmi-Netzwerke angewiesen, um Schutz und Arbeitsplätze zu finden sowie ihre Siedlungsbedingungen gemeinsam zu verbessern. Andererseits ist in den zentralen Bereichen der Stadt die Mobilität der Bewohner höher und Wohnsitzwechsel sind häufiger. Dies hat eine disruptive Wirkung auf die sozialen Netzwerke, die sich in der oft gehörten Beschwerde manifestiert, dass man „seine Nachbarn nicht mehr kenne“ (AAN 19.3.2019).

Nichtsdestotrotz, ist in den Stadtvierteln, die von neu eingewanderten Menschen mit gleichem regionalen oder ethnischen Hintergrund dicht besiedelt sind, eine Art „Dorfgesellschaft“ entstanden, deren Bewohner sich kennen und direktere Verbindungen zu ihrer Herkunftsregion haben als zum Zentrum Kabuls (USIP 4.2017). Einige Beispiele für die ethnische Verteilung der Kabuler Bevölkerung sind die folgenden: Hazara haben sich hauptsächlich im westlichen Viertel Chandawal in der Innenstadt von Kabul und in Dasht-e-Barchi sowie in Karte Se am Stadtrand niedergelassen; Tadschiken bevölkern Payan Chawk, Bala Chawk und Ali Mordan in der Altstadt und nördliche Teile der Peripherie wie Khairkhana; Paschtunen sind vor allem im östlichen Teil der Innenstadt Kabuls, Bala Hisar und weiter östlich und südlich der Peripherie wie in Karte Naw und Binihisar (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017), aber auch in den westlichen Stadtteilen Kota-e-Sangi und Bazaar-e-Company (auch Company) ansässig (Noori 11.2010); Hindus und Sikhs leben im Herzen der Stadt in der Hindu-Gozar-Straße (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018).

Aufgrund eben dieser öffentlichkeitswirksamen Angriffe auf Kabul-Stadt kündigte die afghanische Regierung bereits im August 2017 die Entwicklung eines neuen Sicherheitsplans für Kabul an (AAN 25.9.2017). So wurde unter anderem das Green Village errichtet, ein stark gesichertes Gelände im Osten der Stadt, in dem unter anderem, Hilfsorganisationen und internationale Organisationen (RFERL 2.9.2019; vgl. FAZ 2.9.2019) sowie ein Wohngelände für Ausländer untergebracht sind (FAZ 2.9.2019). Die Anlage wird stark von afghanischen Sicherheitskräften und privaten Sicherheitsmännern gesichert (AJ 3.9.2019). Die Green Zone hingegen ist ein separater Teil, der nicht unweit des Green Villages liegt. Die Green Zone ist ein stark gesicherter Teil Kabuls, in dem sich mehrere Botschaften befinden – so z.B. auch die US-amerikanische Botschaft und andere britische Einrichtungen (RFERL 2.9.2019).

In Bezug auf die Anwesenheit von staatlichen Sicherheitskräften liegt die Provinz Kabul mit Ausnahme des Distrikts Surubi im Verantwortungsbereich der 111. ANA Capital Division, die unter der Leitung von türkischen Truppen und mit Kontingenten anderer Nationen der NATO-Mission Train, Advise and Assist Command – Capital (TAAC-C) untersteht. Der Distrikt Surubi fällt in die Zuständigkeit des 201. ANA Corps (USDOD 6.2019). Darüber hinaus wurde eine spezielle Krisenreaktionseinheit (Crisis Response Unit) innerhalb der afghanischen Polizei, um Angriffe zu verhindern und auf Anschläge zu reagieren (LI 5.9.2018).

Im Distrikt Surubi wird von der Präsenz von Taliban-Kämpfern berichtet (TN 26.3.2019; vgl. SAS 26.3.2019). Aufgrund seiner Nähe zur Stadt Kabul und zum Salang-Pass hat der Distrikt große strategische Bedeutung (WOR 10.9.2018).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 1.563 zivile Opfer (261 Tote und 1.302 Verletzte) in der Provinz Kabul. Dies entspricht einem Rückgang von 16% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmordangriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (UNAMA 2.2020).

Die afghanischen Sicherheitskräfte führten insbesondere im Distrikt Surubi militärische Operationen aus der Luft und am Boden durch, bei denen Aufständische getötet wurden (KP 27.3.2019; vgl. TN 26.3.2019, SAS 26.3.2019, TN 23.10.2018,. KP 23.10.2018, KP 9.7.2018). Dabei kam es unter anderem zu zivilen Opfern (TN 26.3.2019; vgl. SAS 26.3.2019). Außerdem führten NDS-Einheiten Operationen in und um Kabul-Stadt durch (TN 7.8.2019; vgl. PAJ 7.7.2019, TN 9.6.2019, PAJ 28.5.2019). Dabei wurden unter anderem Aufständische getötet (TN 7.8.2019) und verhaftet (TN 7.8.2019; PAJ 7.7.2019; vgl TN 9.6.2019, PAJ 28.5.2019), sowie Waffen und Sprengsätze konfisziert (TN 9.6.2019; vgl. PAJ 28.5.2019).

Zu Mazar-e Sharif:

Die Stadt Mazar-e Sharif ist genauso wie Kabul über einen Flughafen sicher erreichbar und wird der Beschwerdeführer auch dort in der Lage sein, sich eine Existenz aufzubauen. Zwar gilt auch für Mazar-e Sharif, dass die Lage am Arbeitsmarkt und Wohnungsmarkt extrem angespannt ist und trifft dies auch auf die Versorgungslage mit den lebensnotwendigsten Gütern zu, jedoch ist auch hier die Versorgung der Bevölkerung grundlegend gesichert und wird der Beschwerdeführer zumindest mit Gelegenheitsjobs sein Leben finanzieren können.

Die Provinz Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Usbekistan, im Nordosten an Tadschikistan, im Osten an Kunduz und Baghlan, im Südosten an Samangan, im Südwesten an Sar-e Pul, im Westen an Jawzjan und im Nordwesten an Turkmenistan (UNOCHA 13.4.2014; vgl. GADM 2018). Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Balkh, Char Bolak, Char Kent, Chimtal, Dawlat Abad, Dehdadi, Kaldar, Kishindeh, Khulm, Marmul, Mazar-e Sharif, Nahri Shahi, Sholgara, Shortepa und Zari (CSO 2019; vgl. IEC 2018).

Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistan (CSO) für den Zeitraum 2019-20 leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif (CSO 2019). Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.).

Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum (SH 16.1.2017). Die Autobahn, welche zum usbekischen Grenzübergang Hairatan-Termiz führt, zweigt ca. 40 km östlich von Mazar-e Sharif von der Ringstraße ab. (TD 5.12.2017). In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen (BFA Staatendokumentation 25.3.2019). Im Januar 2019 wurde ein Luftkorridor für Warentransporte eröffnet, der Mazar-e Sharif und Europa über die Türkei verbindet (PAJ 9.1.2019).

Laut dem Opium Survey von UNODC für das Jahr 2018 belegt Balkh den 7. Platz unter den zehn größten Schlafmohn produzierenden Provinzen Afghanistans. Aufgrund der Dürre sank der Mohnanbau in der Provinz 2018 um 30% gegenüber 2017 (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Balkh zählt zu den relativ stabilen (TN 1.9.2019) und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten (AN 6.5.2019). Die vergleichsweise ruhige Sicherheitslage war vor allem auf das Machtmonopol des ehemaligen Kriegsherrn und späteren Gouverneurs von Balkh, Atta Mohammed Noor, zurückzuführen (RFE/RL o.D.; RFE/RL 23.3.2018). In den letzten Monaten versuchen Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Taliban überrannten keines dieser Gebiete (TN 22.8.2019). Einem UN-Bericht zufolge, gibt es eine Gruppe von rund 50 Kämpfern in der Provinz Balkh, welche mit dem Islamischen Staat (IS) sympathisiert (UNSC 1.2.2019). Bei einer Militäroperation im Februar 2019 wurden unter anderem in Balkh IS-Kämpfer getötet (BAMF 11.2.2019).

Das Hauptquartier des 209. ANA Shaheen Corps befindet sich im Distrikt Dehdadi (TN 22.4.2018). Es ist für die Sicherheit in den Provinzen Balkh, Jawzjan, Faryab, Sar-e-Pul und Samangan zuständig und untersteht der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - North (TAAC-N), welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019). Deutsche Bundeswehrsoldaten sind in Camp Marmal in Mazar-e Sharif stationiert (TS 22.9.2018).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 277 zivile Opfer (108 Tote und 169 Verletzte) in der Provinz Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 22% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen. (UNAMA 2.2020).

Im Winter 2018/2019 (UNGASC 28.2.2019) und Frühjahr 2019 wurden ANDSF-Operationen in der Provinz Balkh durchgeführt (UNGASC 14.6.2019). Die ANDSF führen auch weiterhin regelmäig Operationen in der Provinz (RFERL 22.9.2019; vgl KP 29.8.2019, KP 31.8.2019, KP 9.9.2019) unter anderem mit Unterstützung der US-amerikanischen Luftwaffe durch (BAMF 14.1.2019; vgl. KP 9.9.2019). Taliban-Kämpfer griffen Einheiten der ALP, Mitglieder regierungsfreundlicher Milizen und Sicherheitsposten beispielsweise in den Distrikten Chahrbulak (TN 9.1.2019; vgl. TN 10.1.2019), Chemtal (TN 11.9.2018; vgl. TN 6.7.2018), Dawlatabad (PAJ 3.9.2018; vgl. RFE/RL 4.9.2018) und Nahri Shahi (ACCORD 30.4.2019) an.

Berichten zufolge, errichten die Taliban auf wichtigen Verbindungsstraßen, die unterschiedliche Provinzen miteinander verbinden, immer wieder Kontrollpunkte. Dadurch wird das Pendeln für Regierungsangestellte erschwert (TN 22.8.2019; vgl. 10.8.2019). Insbesondere der Abschnitt zwischen den Provinzen Balkh und Jawjzan ist von dieser Unsicherheit betroffen (TN 10.8.2019).

IDPs – Binnenvertriebene

UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 1.218 aus der Provinz Balkh vertriebene Personen, die hauptsächlich in der Provinz selbst in den Distrikten Nahri Shahi und Kishindeh Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 4.361 konfliktbedingt Vertriebene aus Balkh, die allesamt in der Provinz selbst verblieben (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 15.313 Vertriebene in die Provinz Balkh, darunter 1.218 aus der Provinz selbst, 10.749 aus Faryab und 1.610 aus Sar-e-Pul (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 14.301 Vertriebene nach Mazar-e-Sharif und Nahri Shahi, die aus der Provinz Faryab, sowie aus Balkh, Jawzjan, Samangan und Sar-e-Pul stammten (UNOCHA 18.8.2019).

Zu Herat

Herat ist ebenso über einen Flughafen sicher erreichbar und auch an das hochrangige Straßennetz angeschlossen. Der Beschwerdeführer wird auch in Herat in der Lage sein, sich dort eine Existenz aufbauen zu können. Auch in Herat ist die Lage am Wohnungs- und Arbeitsmarkt sowie die Versorgungslage mit den lebensnotwendigsten Gütern extrem angespannt, aber nach den herangezogenen Länderberichten nicht als katastrophal anzusehen. Auch in Herat wird es dem Beschwerdeführer möglich sein, trotz anfänglicher Schwierigkeiten, zumindest mit Gelegenheitsjobs seinen Lebensunterhalt sichern zu können.

Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und teilt eine internationale Grenze mit dem Iran im Westen und Turkmenistan im Norden. Weiters grenzt Herat an die Provinzen Badghis im Nordosten, Ghor im Osten und Farah im Süden (UNOCHA 4.2014). Herat ist in 16 Distrikte unterteilt: Adraskan, Chishti Sharif, Fersi, Ghoryan, Gulran, Guzera (Nizam-i-Shahid), Herat, Enjil, Karrukh, Kohsan, Kushk (Rubat-i-Sangi), Kushk-i-Kohna, Obe/Awba/Obah/Obeh (AAN 9.12.2018; vgl. PAJ o.D., PAJ 13.6.2019), Pashtun Zarghun, Shindand, Zendahjan. Zudem bestehen vier weitere „temporäre“ Distrikte – Poshtko, Koh-e-Zore (Koh-e Zawar), Zawol und Zerko (CSO 2019; vgl. IEC 2018) –, die zum Zweck einer zielgerichteteren Mittelverteilung aus dem Distrikt Shindand herausgelöst wurden (AAN 3.7.2015; vgl. PAJ 1.3.2015). Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (CSO 2019). Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans (PAJ o.D.).

Die CSO schätzt die Bevölkerung der Provinz für den Zeitraum 2019-20 auf 2.095.117 Einwohner, 556.205 davon in der Provinzhauptstadt (CSO 2019). Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen (PAJ o.D.). Herat-Stadt war historisch gesehen eine tadschikisch dominierte Enklave in einer paschtunischen Mehrheits-Provinz, die beträchtliche Hazara- und Aimaq-Minderheiten umfasst (USIP 2015). Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert. Der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 besonders gestiegen, da viele aus dem Iran rückgeführt oder aus den Provinzen Zentralafghanistans vertrieben wurden (AAN 3.2.2019). Der Grad an ethnischer Segregation ist in Herat heute ausgeprägt (USIP 2015; vgl. BFA Staatendokumentation 13.6.2019).

Die Provinz ist durch die Ring Road mit anderen Großstädten verbunden (TD 5.12.2017). Eine Hauptstraße führt von Herat ostwärts nach Ghor und Bamyan und weiter nach Kabul. Andere Autobahn verbinden die Provinzhauptstadt mit dem afghanisch-turkmenischen Grenzübergang bei Torghundi sowie mit der afghanisch-iranischen Grenzüberquerung bei Islam Qala (iMMAP 19.9.2017). Ein Flughafen mit Linienflugbetrieb zu internationalen und nationalen Destinationen liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft von Herat-Stadt (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).

Laut UNODC Opium Survey 2018 gehörte Herat 2018 nicht zu den zehn wichtigsten Schlafmohn anbauenden Provinzen Afghanistans. 2018 sank der Schlafmohnanbau in Herat im Vergleich zu 2017 um 46%. Die wichtigsten Anbaugebiete für Schlafmohn waren im Jahr 2018 die Distrikte Kushk und Shindand (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen (KP 19.5.2019; vgl. KP 17.12.2018). Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als „sehr sicher“ gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).

Auch im Vergleich zu Kabul gilt Herat-Stadt einem Mitarbeiter von IOM-Kabul zufolge zwar als sicherere Stadt, doch gleichzeitig wird ein Anstieg der Gesetzlosigkeit und Kriminalität verzeichnet: Raubüberfälle nahmen zu und ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen wurde beispielsweise überfallen und ausgeraubt. Entführungen finden gelegentlich statt, wenn auch in Herat nicht in solch einem Ausmaß wie in Kabul (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).

Der Distrikt mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen ist der an Farah angrenzende Distrikt Shindand, wo die Taliban zahlreiche Gebiete kontrollieren. Wegen der großen US-Basis, die in Shindand noch immer operativ ist, kontrollieren die Taliban jedoch nicht den gesamten Distrikt. Aufgrund der ganz Afghanistan betreffenden territorialen Expansion der Taliban in den vergangenen Jahren sah sich jedoch auch die Provinz Herat zunehmend von Kampfhandlungen betroffen. Dennoch ist das Ausmaß der Gewalt im Vergleich zu einigen Gebieten des Ostens, Südostens, Südens und Nordens Afghanistans deutlich niedriger (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).

Innerhalb der Taliban kam es nach der Bekanntmachung des Todes von Taliban-Führer Mullah Omar im Jahr 2015 zu Friktionen (AAN 11.1.2017; vgl. RUSI 16.3.2016; SAS 2.11.2018). Mullah Rasoul, der eine versöhnlichere Haltung gegenüber der Regierung in Kabul einnahm, spaltete sich zusammen mit rund 1.000 Kämpfern von der Taliban-Hauptgruppe ab. Die Regierungstruppen kämpfen in Herat angeblich nicht gegen die Rasoul-Gruppe, die sich für Friedensgespräche und den Schutz eines großen Pipeline-Projekts der Regierung in der Region einsetzt (SAS 2.11.2018). Innerhalb der Taliban-Hauptfraktion wurde der Schattengouverneur von Herat nach dem Waffenstillstand mit den Regierungstruppen zum Eid al-Fitr-Fest im Juni 2018 durch einen als Hardliner bekannten Taliban aus Kandahar ersetzt (UNSC 13.6.2019).

Auf Seiten der Regierung ist das 207. Zafar-Corps der ANA für die Sicherheit in der Provinz Herat verantwortlich (USDOD 6.2019; vgl. PAJ 2.1.2019), das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - West (TAAC-W) untersteht, welche von italienischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019; vgl. KP 16.12.2018).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 400 zivile Opfer (144 Tote und 256 Verletzte) in der Provinz Herat. Dies entspricht einer Steigerung von 54% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierte Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (UNAMA 2.2020).

In der Provinz Herat kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen (KP 16.6.2019; vgl. KP 28.9.2019, KP 29.6.2019, KP 17.6.2019, 21.5.2019). Unter anderem kam es dabei auch zu Luftangriffen durch die afghanischen Sicherheitskräfte (KP 16.6.2019; vgl. AN 23.6.2019). In manchen Fällen wurden bei Drohnenangriffen Talibanaufständische und ihre Führer getötet (AN 23.6.2019; vgl. KP 17.12.2018; KP 25.12.2018). Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand. Dort kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban-Fraktionen, wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften (NYTM 12.12.2018; AJ 7.12.2018; AN 30.11.2018; KP 28.4.2018; VoA 13.4.2018). Regierungskräfte führten beispielsweise im Dezember 2018 (KP 17.12.2018) und Januar 2019 Operationen in Shindand durch (KP 26.1.2019). Obe ist neben Shindand ein weiterer unsicherer Distrikt in Herat (TN 8.9.2018). Im Dezember 2018 wurde berichtet, dass die Kontrolle über Obe derzeit nicht statisch ist, sondern sich täglich ändert und sich in einer Pattsituation befindet (AAN 9.12.2018). Im Juni 2019 griffen die Aufständischen beispielsweise mehrere Posten der Polizei im Distrikt an (AT 2.6.2019; vgl. PAJ 13.6.2019) und die Sicherheitskräfte führten zum Beispiel Anfang Juli 2019 in Obe Operationen durch (XI 11.7.2019). Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (KP 5.7.2019; vgl. PAJ 30.6.2019) wie z.B in den Distrikten Adraskan, Fersi, Kushk-i-Kohna, Obe, Rabat Sangi, Shindand und Zawol (PAJ 30.6.2019).

Auf der Autobahn zwischen Kabul und Herat sowie Herat und Farah werden Reisende immer wieder von Taliban angehalten; diese fordern von Händlern und anderen Reisenden Schutzgelder (ST 14.12.2018).

Faryab

Die Provinz Faryab grenzt im Westen und Norden an Turkmenistan, im Osten an Jawzjan und Sar-e Pul, im Süden an Ghor und im Südwesten an Badghis und liegt im Nordwesten Afghanistans (UNOCHA 4.2014). Die Provinzhauptstadt ist Maimana. Die Provinz umfasst die folgenden Distrikte: Almar, Andkhoy, Bilchiragh, Dawlat Abad, Gurziwan, Khani Charbagh, Khwaja Sabz Posh-i Wali, Kohistan, Maimana, Pashtun Kot, Qaram Qul, Qaisar, Qurghan, Shirin Tagab (CSO 2019; vgl. IEC 2018).

Die Zugehörigkeit des Distrikts Ghormach ist umstritten: Während UNODC den Distrikt seit 2017 als Teil von Faryab führt (UNODC/MCN 11.2018), wurde im August 2018 berichtet, dass die Verwaltungsangelegenheiten von Ghormach aus Sicherheitsgründen zurück nach Badghis transferiert würden (FRP 28.8.2018). Auch für die Bevölkerungsschätzungen der CSO und die Parlamentswahlen wurde Ghormach Badghis zugeschrieben (CSO 2019; vgl. IEC 2018).

Die CSO schätzt die Bevölkerung von Faryab für den Zeitraum 2019-20 auf 1.089.228 Personen (CSO 2019). Zusammen mit Sar-e Pul ist Faryab eine der beiden Provinzen mit usbekischer Mehrheit in Afghanistan. Darüber hinaus leben in der Provinz Tadschiken/Aimaqs, Paschtunen, Hazara, Moghol und andere kleinere Ethnien (AAN 17.3.2017; vgl. PAJ o.D.).

Ein Teil der Ring Road führt durch Faryab und verbindet die Provinz mit der Nachbarprovinz Jawzjan und schließlich Mazar-e Sharif in Balkh (TD 5.12.2017). Trotz erheblicher Finanzierung seit 2005 waren im September 2017 nur rund 15% eines geplanten 233 Kilometer langen Abschnitts der Ring Road zwischen dem Distrikt Qaisar in Faryab und dem Ort Laman in Badghis fertiggestellt. SIGAR führte das Projektversagen hauptsächlich auf Sicherheitsprobleme zurück und schätzte die Aussichten auf eine zeitnahe Fertigstellung aufgrund zunehmender Unsicherheit in der Region als düster ein (SIGAR 6.2018).

Gemäß dem UNODC Opium Survey 2018 gehörte Faryab 2018 zu den zehn wichtigsten Schlafmohn anbauenden Provinzen Afghanistans – allerdings befand es sich im untersten Drittel dieser zehn größten Anbauprovinzen. Im Vergleich zu 2017 sank die Größe der Mohnanbaufläche in Faryab 2018 um 64%, obwohl UNODC Ghormach – einen Distrikt mit großen Anbauflächen – 2018 erstmals als Teil von Faryab zählte. UNODC führt den Rückgang hauptsächlich auf die Wetterbedingungen des Jahres zurück, da Faryab von einer Dürre betroffen war (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Im Januar 2019 wurde berichtet, dass Faryab zu den relativ volatilen Provinzen im Norden Afghanistans gehört, in denen Taliban-Kämpfer in einigen Distrikten aktiv sind und oft versuchen, Angriffe auf Regierungsinstitutionen und Sicherheitseinrichtungen durchzuführen (KP 14.1.2019). Die Gewalt nahm in der vormals friedlichen nördlichen Region in den vergangenen Jahren zu, nachdem die afghanischen Sicherheitskräfte gegen die Aufständischen im Süden und Osten des Landes vorgingen (XI 21.7.2019). Faryab hat strategische Bedeutung, da es die westlichen Teile Afghanistans mit dem Norden verbindet (AAN 17.3.2017).

Einem Bericht zufolge wurden die Taliban in der Provinz zunehmend erfolgreicher, nachdem sie begannen auf lokale Kämpfer zurückzugreifen. Dies ist eine Strategieänderung gegenüber ihrer Vorgehensweise vor 2001 (AAN 3.7.2015; vgl. AAN 17.3.2017). Neben lokalen Taliban-Aufständischen gibt es angeblich Kämpfer des zentralasiatischen Islamic Movement of Uzbekistan (IMU) in Faryab und Jawzjan. Die UN schätzt die Truppenstärke der IMU in ganz Afghanistan auf höchstens 100 Personen, wobei die Hälfte davon Familienmitglieder der Kämpfer sein sollen (UNSC 13.6.2019).

Einem UN-Bericht zufolge gibt es eine Gruppe von rund 170 Kämpfern in der Provinz Faryab, die mit dem IS sympathisiert (UNSC 1.2.2019). Im August 2018 wurde von Kämpfen zwischen Taliban und IS-Sympathisanten in den Provinzen Jawzjan und Faryab berichtet (JF 10.8.2018).

Aufseiten der Regierungskräfte liegt Faryab im Verantwortungsbereich des 209. ANA Shaheen Corps (USDOD 6.2019; vgl. NYT 14.8.2019), das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - North (TAAC-N) untersteht, welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019). Neben den regulären Regierungstruppen gibt es in Faryab eine Miliz oder „popular uprising group“, welche Abdul Rashid Dostum nahe steht (NYT 4.7.2018; vgl. TN 2.7.2018).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 665 zivile Opfer (199 Tote und 466 Verletzte) in der Provinz Faryab. Dies entspricht einer Steigerung von 3% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von Luftangriffen und nicht explodierten Kampfmitteln (unexploded ordnance, UXO)/Landminen. (UNAMA 2.2020).

Faryab befand sich im Jahr 2018 unter den acht Provinzen mit der höchsten Anzahl an Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte (SIGAR 30.4.2019). Auch zu Beginn des Jahres 2019 zählte Faryab zu den Provinzen mit der höchsten Konzentration an Kämpfen (BAAG 2.2019; vgl. ACLED 29.1.2019). Im April 2019 fanden dort nach Nangarhar und Ghazni die meisten Angriffe in ganz Afghanistan statt (PAJ 2.5.2019).

Berichten zufolge, standen im Herbst 2018 die meisten Distrikte von Faryab unter Taliban-Kontrolle (PAJ 28.11.2018). Die RS-Mission verzeichnete im Oktober 2018 in sieben der 14 Distrikte von Faryab Aktivitäten von Aufständischen, in einem Distrikt – Bilchiragh – wurden die Aktivitäten als „hoch“ eingeschätzt. Fünf Distrikte standen unter Regierungseinfluss, zwei Distrikte – Dawlat Abad und Khwaja Sabz Posh i Wali – galten als umkämpft (SIGAR 30.1.2019). Im Juni 2019 konnten die Regierungstruppen den Distrikt Bilcheragh wieder von den Taliban zurückerobern (TN 25.6.2019). Zehn Distrikte in Faryab werden von der Provinzhauptstadt aus regiert, wobei ein Distriktgouverneur die unsichere Lage als Grund für seine Abwesenheit im Distrikt nannte (SW 24.6.2019).

Die Regierungskräfte haben ihre Luftangriffe zumindest seit Jänner 2018 intensiviert (AAN 12.3.2018). Luftangriffe der Afghan Air Force (AAF) sowie Zusammenstöße zwischen Taliban und Regierungstruppen setzten sich auch 2019 fort. Einem UN-Bericht von Februar 2019 zufolge, gehörte Faryab im Zeitraum 7.12.2018 bis 28.2.2019 zu den sechs Provinzen mit der größten Anzahl an Luftangriffen in Afghanistan. Die Winteroffensive der ANDSF fokussierte unter anderem auf Faryab (UNGASC 28.2.2019).

Zur aktuellen Sicherheitslage im Allgemeinen, zur Lage der Tadschiken und Rückkehrer, zur Menschenrechts-, Wirtschafts- und Versorgungslage, zur Erreichbarkeit und weiteren einschlägigen Themen:

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2019). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Nichtsdestotrotz, hat die afghanische Regierung wichtige Transitrouten verloren (USDOD 12.2019).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten (BBC 1.4.2020). Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020).

Für den Berichtszeitraum 8.11.2019-6.2.2020 verzeichnete die UNAMA 4.907 sicherheitsrelevante Vorfälle – ähnlich dem Vorjahreswert. Die Sicherheitslage blieb nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurden in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die alle samt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen waren in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gingen die Kämpfe in den Wintermonaten – Ende 2019 und Anfang 2020 – zurück (UNGASC 17.3.2020).

Die Sicherheitslage im Jahr 2019

Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans weiterhin schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Der Resolute Support (RS) Mision (seit 2015 die Unterstützungsmission der NATO in Afghanistan) zufolge, waren für das Jahr 2019 29.083 feindlich-initiierte Angriffe landesweit zu verzeichnen. Im Gegensatz waren es im Jahr 2018 27.417 (SIGAR 30.1.2020). Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen – speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen – blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Die UNAMA (Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan) registrierte für das gesamte Jahr 2019 10.392 zivile Opfer, was einem Rückgang von 5% gegenüber 2018 entspricht (UNGASC 17.3.2020).

Seit Ende des Jahres 2019 haben Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente erheblich zugenommen. Im September 2019 fanden die afghanischen Präsidentschaftswahlen statt, in diesem Monat wurde auch die höchste Anzahl feindlicher Angriffe eines einzelnen Monats seit Juni 2012 und die höchste Anzahl effektiver feindlicher Angriffe seit Beginn der Aufzeichnung der RS-Mission im Januar 2010 registriert. Dieses Ausmaß an Gewalt setzte sich auch nach den Präsidentschaftswahlen fort, denn im Oktober 2019 wurde die zweithöchste Anzahl feindlicher Angriffe in einem Monat seit Juli 2013 dokumentiert. Betrachtet man jedoch das Jahr 2019 in dessen Gesamtheit, so waren scheinbar feindliche Angriffe, seit Anfang des Jahres, im Zuge der laufenden Fr

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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