TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/30 W187 2178080-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.09.2020
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Entscheidungsdatum

30.09.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W187 2178076-1/17E
W187 2178077-1/18E
W187 2178079-1/17E
W187 2178080-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Hubert REISNER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1. XXXX , geboren am XXXX , 2. XXXX , geboren am XXXX , 3. XXXX , geboren am XXXX und 4. der minderjährigen XXXX , geboren am XXXX , alle Staatsangehörigkeit Afghanistan, die Minderjährige vertreten durch ihre Mutter, XXXX , alle vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen die Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom jeweils XXXX , 1. XXXX , 2. XXXX , 3. XXXX und 4. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht:

A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und XXXX und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005esetz 2005, sowie XXXX und der minderjährigen XXXX gemäß § 3 Abs 1 iVm § 34 Abs 2 AsylG 2005esetz 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005esetz 2005 wird festgestellt, dass XXXX , XXXX , XXXX und der minderjährigen XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX , XXXX , wurde XXXX , dem Ehegatten von XXXX (in der Folge: Erstbeschwerdeführerin) bzw Vater von XXXX (in der Folge: Zweitbeschwerdeführer), XXXX (in der Folge: Drittbeschwerdeführerin) und XXXX (in der Folge: Viertbeschwerdeführerin), gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt und ihm eine Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum XXXX erteilt.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erhob gegen dieses Erkenntnis weder Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof noch außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof, weshalb das Erkenntnis vom XXXX , rechtskräftig ist.

2. Mit Verlängerungsbescheid vom XXXX , erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Ehegatten bzw Vater der Beschwerdeführer, XXXX , die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs 4 AsylG 2005 bis zum XXXX .

3. Die Erstbeschwerdeführerin und ihre zum damaligen Zeitpunkt minderjährigen Kinder, der Zweitbeschwerdeführer, die Drittbeschwerdeführerin und die Viertbeschwerdeführerin beantragten bei der österreichischen Botschaft in XXXX , die Minderjährigen vertreten durch ihre Mutter, die Erstbeschwerdeführerin, die Erteilung eines Visums zum Zweck der Familienzusammenführung mit ihrem Ehegatten bzw Vater, XXXX . Am XXXX wurde den Beschwerdeführern ein Visum Typ D mit einem Gültigkeitszeitraum von XXXX bis XXXX für die einfache Einreise ausgestellt.

4. Mit diesem Visum reisten die Erstbeschwerdeführerin und ihre zum damaligen Zeitpunkt minderjährigen Kinder, der Zweitbeschwerdeführer, die Drittbeschwerdeführerin und die Viertbeschwerdeführerin am XXXX gemeinsam legal über den Luftweg am Flughafen XXXX in das österreichische Bundesgebiet ein. Am XXXX stellten sie, die Minderjährigen vertreten durch ihre Mutter, die Erstbeschwerdeführerin, ihren Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren.

5. Die Erstbeschwerdeführerin, der Zweitbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin wurden im Rahmen ihrer jeweiligen Erstbefragungen am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari zu ihren Identitäten, ihrer Reiseroute und ihren Gründen für die Antragstellung einvernommen. Die Erstbeschwerdeführerin, der Zweitbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin gaben übereinstimmend an, afghanische Staatsangehörige zu sein. Die Erstbeschwerdeführerin sei mit XXXX verheiratet und Mutter des Zweitbeschwerdeführers, der Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführerin. Zu ihren Gründen für die Antragstellung gab die Erstbeschwerdeführerin in Überstimmung mit dem Zweitbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführerin an, sie und ihre Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe. Der Grund für die Stellung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz sei, dass ihr Gatte, XXXX , in Österreich den Status des subsidiär Schutzberechtigten erlangt habe. Die Erstbeschwerdeführerin und ihre Kinder würden denselben Schutz wie ihr Gatte bzw Vater beantragen.

6. Die Erstbeschwerdeführerin wurde am XXXX vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein ihres Rechtsvertreters und eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich zu ihrem Antrag auf internationalen Schutz sowie zum Antrag auf internationalen Schutz ihrer Kinder einvernommen. Hier gab die Erstbeschwerdeführerin zunächst an, sie gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an und sei sunnitische Muslima. Sie sei mit XXXX verheiratet und Mutter des Zweitbeschwerdeführers, der Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführerin. In Afghanistan habe sie fünf Jahre die Schule besucht und 17 Jahre als Schneiderin gearbeitet. Nach ihren Fluchtgründen gefragt, gab die Erstbeschwerdeführerin an, sie sei mit ihren Kindern wegen ihres Gatten in das österreichische Bundesgebiet eingereist. Die Erstbeschwerdeführerin und ihre Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe. Sie wolle jedoch anführen, dass sie sich in Österreich frei bewegen könne und keine Burka tragen müsse. Aufgrund der Sicherheitslage in Afghanistan habe die Erstbeschwerdeführerin Angst gehabt, ihren Kindern könne etwas geschehen. Wegen der Feinde ihres Gatten habe sie eine Burka tragen müssen, um nicht erkannt zu werden. In Afghanistan sei eine Frau nichts wert. Im Fall einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat befürchte die Erstbeschwerdeführerin, alle Grundrechte, die sie in Österreich besitze, zu verlieren. In Österreich wolle sie schnell anfangen zu arbeiten. Ihr größter Wunsch sei, dass die gesamte Familie die (deutsche) Sprache erlerne und ihre Kinder die Schule besuchen können. Die Erstbeschwerdeführerin fühle sich in Österreich sehr wohl. Frauen hätten hier die gleichen Rechte wie Männer. In Österreich fühle sich die Erstbeschwerdeführerin integriert, da sie sich frei bewegen könne und Freiheiten habe.

7. Mit den gegenständlich angefochtenen Bescheiden vom jeweils XXXX wurden die Anträge der Erstbeschwerdeführerin, des Zweitbeschwerdeführers, der Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) abgewiesen. Unter Spruchpunkt II. wurde den Beschwerdeführern gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 iVm § 34 Abs 3 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Unter Spruchpunkt III. wurde den Beschwerdeführern gemäß § 8 Abs 4 AsylG 2005 die befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum XXXX erteilt.

Für ein allfälliges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde den Beschwerdeführern amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

8. Gegen Spruchpunkt I. dieser Bescheide erhoben die Erstbeschwerdeführerin, der Zweitbeschwerdeführer, die Drittbeschwerdeführerin und die Viertbeschwerdeführerin, die Minderjährigen vertreten durch ihre Mutter, die Erstbeschwerdeführerin, alle vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, mit Schreiben vom XXXX gemeinsam fristgerecht Beschwerde wegen unrichtiger Feststellungen, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung.

9. Die Beschwerde und die zugehörigen Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Entscheidung vorgelegt. In einem verzichtete die belangte Behörde auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.

10. Mit Verlängerungsbescheiden vom jeweils XXXX erteilte die belangte Behörde den Beschwerdeführern die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs 4 AsylG 2005 bis zum XXXX .

11. Am XXXX übermittelte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Bundesverwaltungsgericht einen Abschlussbericht der Landespolizeidirektion Wien, Polizeiinspektion XXXX , vom XXXX betreffend den Zweitbeschwerdeführer. Der Zweitbeschwerdeführer habe gemeinsam mit zwei weiteren Beschuldigten am XXXX in einem Supermarkt Waren aus dem Regal genommen und mit diesen das Geschäft verlassen, ohne die Waren zu bezahlen. Nach dem Verlassen des Supermarkts seien der Zweitbeschwerdeführer und die beiden Mitbeschuldigten vom Filialleiter des Supermarktes angehalten und in das Lager des Geschäftes geführt worden. Der Zweitbeschwerdeführer habe zugegeben, die Lebensmittel genommen zu haben. Er habe dabei aus Not gehandelt, weil er zu wenig Geld bekomme.

12. Mit Schriftsätzen vom XXXX und XXXX übermittelten die Beschwerdeführer durch ihre Rechtsvertretung ein Konvolut an Integrationsunterlagen. In einem ersuchten sie um baldige Entscheidung bzw Durchführung einer Verhandlung, da die Ungewissheit ihres Aufenthaltes sehr belastend für sie sei.

13. Am XXXX langte ein neuerliches Ersuchen der Beschwerdeführer auf möglichst baldige Entscheidung bzw Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung beim erkennenden Gericht ein.

14. Mit Ladung vom XXXX beraumte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung für den XXXX an und übermittelte den Parteien einschlägige Länderinformationen zu Afghanistan.

15. Die belangte Behörde teilte dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom XXXX mit, dass die Teilnahme eines informierten Vertreters an der mündlichen Verhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei. Ungeachtet dessen werde die Abweisung der Beschwerden beantragt und um Übersendung des Verhandlungsprotokolls ersucht.

16. Mit Schreiben vom XXXX beraumte das Bundesverwaltungsgericht die für den XXXX anberaumte mündliche Verhandlung ab.

17. Mit Ladung vom XXXX beraumte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung für den XXXX an und übermittelte den Parteien einschlägige Länderinformationen zu Afghanistan.

18. Mit Schreiben vom XXXX teilte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht mit, dass die Teilnahme eines informierten Vertreters an der mündlichen Verhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei. Ungeachtet dessen werde die Abweisung der Beschwerden beantragt und um Übersendung des Verhandlungsprotokolls ersucht.

19. Mit Urkundenvorlage vom XXXX übermittelten die Beschwerdeführer durch ihre Rechtsvertretung ein Konvolut an Integrationsunterlagen.

20. Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer die Erstbeschwerdeführerin, der Zweitbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin im Beisein ihres ausgewiesenen Rechtsvertreters, der Viertbeschwerdeführerin und einem Dolmetscher für die Sprache Dari vom erkennenden Richter zu ihren Anträgen auf internationalen Schutz und ihren Beschwerdegründen im Familienverfahren einvernommen wurden. Die belangte Behörde blieb der mündlichen Verhandlung fern.

Die Verhandlungsschrift lautet auszugsweise:

„[…]

Richter: Verstehen Sie den Dolmetscher gut?

Beschwerdeführerin 1: Ja.

Beschwerdeführer 2: Ja.

Beschwerdeführerin 3: Ja.

Beschwerdeführerin 4: Ja.

Richter: Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen? Liegen Gründe vor, die Sie daran hindern?

Beschwerdeführerin 1: Nein.

Beschwerdeführer 2: Nein.

Beschwerdeführerin 3: Nein.

Beschwerdeführerin 4: Nein.

Richter: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, befinden Sie sich in medizinischer Behandlung?

Beschwerdeführerin 1: Nein.

Beschwerdeführer 2: Nein.

Beschwerdeführerin 3: Nein.

Beschwerdeführerin 4: Nein.

[…]

Richter: Haben Ihre Kinder eigene AsylG 2005ründe oder berufen sie sich auf Ihre AsylG 2005ründe?

Beschwerdeführerin 1: Die Kinder haben den gleichen AsylG 2005rund, wie ich.

Richter: Können Sie sich an Ihre Aussage vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erinnern? Waren diese richtig, vollständig und wahrheitsgetreu?

Beschwerdeführerin 1: Ja.

Richter: Geben Sie Ihr Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?

Beschwerdeführerin 1: Ich bin in XXXX am XXXX geboren.

Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?

Beschwerdeführerin 1: Ich kann lediglich Dari sehr gut sprechen. Schreiben und lesen kann ich nicht in Dari. Der Grund dafür ist, dass ich lediglich 5 Jahre lang zur Schule gegangen bin. Ich verstehe auch ein wenig Pashtu. Wenn man Pashtu spricht, verstehe ich. Außerdem verstehe ich auch die deutsche Sprache ansatzweise.

Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.

Beschwerdeführerin 1: Mein Familienstand ist verheiratet. Ich bin eine Sunnitin. Mein Mann ist aber ein Schiit. Ich gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an.

Richter: Sie haben drei Kinder, die heute mit sind?

Beschwerdeführerin 1: Ja, das stimmt.

Richter: Können Sie bitte soweit wie möglich chronologisch angeben, wann und wo Sie sich in Afghanistan aufgehalten haben.

Beschwerdeführerin 1: Wie gesagt, ich bin in Kabul geboren. Im Alter von XXXX Jahren habe ich meinen Mann geheiratet und lebte weiter mit der Familie meines Mannes im Stadtviertel der Stadt Kabul namens XXXX . An dieser Stelle muss ich erwähnen, dass ich damals meinen Mann wider Willen geheiratet habe. Eine Zeit lang nach der Heirat lebte ich im genannten Stadtviertel der Stadt Kabul und zog ich später von dort aus und lebte ich mit meinem Mann in einem Miethaus weiter im genannten Stadtviertel in der Nähe der Familie meiner Schwiegereltern.

Richter: Was haben Sie in Afghanistan gemacht, gearbeitet, gelernt oder etwas Anderes?

Beschwerdeführerin 1: Ich habe als Schneiderin draußen gearbeitet, weil meine Mutter sich damit auskannte. Außerdem habe ich nichts gelernt oder gemacht.

Richter: Welche Schulbildung haben Sie erhalten?

Beschwerdeführerin 1: 5 Jahre lang habe ich die Schule besucht.

Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

Beschwerdeführerin 1: Mein Vater ist bereits verstorben. Meine Mutter lebt mittlerweile bei der Familie meines Bruders im Iran. Sie zogen deswegen in den Iran, weil die Umstände in Afghanistan sich verschlechtert hatten.

Richter: Und weitere Verwandte?

Beschwerdeführerin 1: Ich habe insgesamt einen Bruder und eine Schwester. Meine Schwester lebt mittlerweile in Tadschikistan. Sie musste auch weggehen wegen den schlechten Umständen in Afghanistan.

Richter: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie (Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Onkel)?

Beschwerdeführerin 1: Ja, manchmal. Meine arme Mutter ist krank und am Corona-Virus gemeinsam mit der Familie meines Bruders infiziert.

Richter: Haben Sie in Afghanistan andere Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?

Beschwerdeführerin 1: Nein.

Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?

Beschwerdeführerin 1: Wir führen ein normales Leben hier in Österreich und sind hier sehr glücklich. Anfangs in Österreich ließ ich mich hier alphabetisieren, weil ich es in Afghanistan nicht richtig gelernt habe. Ich habe A1 erfolgreich abgeschlossen. Ich mache derzeit den A2-Kurs. Als ich damals den A1-Kurs besuchte, arbeitete ich bei der Firma/Organisation XXXX . Es handelte sich dabei um eine Reinigungsfirma. Gestern war ich bei einer Schneiderei-Firma. Ich hatte dort ein Praktikum/einen Schnuppertag gehabt. Ich arbeitete den ganzen Tag lang dort und bekam am Ende eine Einstellungszusage.

Richter: Ab wann?

Beschwerdeführerin 1: Sie haben mir die dafür notwendigen Unterlagen abgenommen und sagten, dass sie mich gleich nach der Anmeldung kontaktieren werden.

Richter: In Ihrer Freizeit, was machen Sie da?

Beschwerdeführerin 1: In meiner Freizeit habe ich Schutzmasken für die Nachbarn und Bekannten genäht.

Richter: Was haben Sie sonst noch gemacht?

Beschwerdeführerin 1: Ich besuche z.B. Sehenswürdigkeiten hier in Österreich, wir treffen uns mit unseren Freunden hier in Österreich, ich besuche ebenso eine finnische Freundin hier in Österreich namens XXXX (phonetisch). Ich habe auch heute bzgl. Meiner Integration ein paar Fotos mitgebracht.

Richter: Wie gestaltet sich das Zusammenleben mit Ihrem Mann hier, nachdem Sie angeführt haben, dass Sie ihn wider Willen geheiratet haben?

Beschwerdeführerin 1: Das Eheleben ist gut. Später bekamen wir Kinder und im Laufe der Zeit verbesserte sich meine Beziehung mit meinem Mann. Ich bin sehr glücklich, dass meine Kinder hier in Österreich leben. Meine Tochter hat hier in Österreich einen Freund und mein Sohn hat eine Freundin. Sie gehen zur Schule und lassen sich hier bilden derzeit.

Richter: Haben Sie Freunde in Österreich?

Beschwerdeführerin 1: Freunde!? Ja habe ich.

Richter: Sind Sie Mitglied in einem Verein?

Beschwerdeführerin 1: Nein.

Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?

Beschwerdeführerin 1: Weder noch.

Richter: Schildern Sie den Vorfall, der zu Ihrer Flucht geführt hat!

Beschwerdeführerin 1: Mein Mann war ein Lehrer. Nach der Arbeit kümmerte er sich um seine Arbeit im Immobiliengeschäft. Er war auch ein Makler. Ich bitte um Verzeihung. Ich muss mich korrigieren. Mein Mann war weder ein Immobilienmakler noch arbeitete er in einem Immobiliengeschäft, sondern war er ein Schuhmacher. Sein Geschäft war neben einem Immobiliengeschäft. Er hat einen Freund namens XXXX gehabt. Eines Tages sagte XXXX meinem Mann, ihn zu dem Haus seines Onkels im Stadtviertel der Stadt Kabul namens XXXX hinzubegleiten. Das war in der Regierungszeit der Taliban. Er sagte meinem Mann, dass er von dort das versteckte Geld abholen wolle, um das weiter der Familie seines Onkels in einem anderen Stadtviertel der Stadt Kabul zu überreichen. Die Onkel-Familie des genannten Freundes meines Mannes konnte damals nicht in XXXX in ihrem eigenen Haus leben, weil es dort sehr unsicher geworden war. Sie gingen endlich dorthin und holten das Geld von dort ab. Unterwegs wurden sie mit dem Geld erwischt und zwar von den Taliban. Mein Mann ergriff die Flucht und kam nicht an diesem Abend nach Hause. Er ging damals nach Hause zu seiner Tante väterlicherseits. Der genannte Freund, XXXX , wurde damals mitgenommen und tauchte nie wieder auf. Dieser Freund stammte aus der Provinz Pandscher. Mein Mann blieb weiter zu Hause bei seiner Tante, bis sein Vater für ihn einen Ausweg fand und schickte ihn außer Lande in den Iran. Ich war damals schwanger mit meinem ältesten Kind. Nach der Geburt meines ältesten Kindes zog ich ebenso in den Iran und zwar legal. Mein Bruder kaufte mir damals Flugtickets und organisierte die Ausreise in den Iran. Ich schloss mich meinen Mann in den Iran an und begann ich später mit der Arbeit als Schneiderin. Ich lebte weiter im Iran und bekam meine zwei weiteren Kinder dort. Wir waren im Iran aber illegal aufhältig. Meine Kinder konnten/durften nicht eine Schule im Iran besuchen. Das Leben war dort sehr hart. Eines Abends kam mein Mann nicht nach Hause zurück. Es stellte sich später heraus, dass man ihn aus dem Iran nach Afghanistan abgeschoben hatte. Eine Zeit lang blieb ich weiter, wartend auf meinen Mann, im Iran. Ich konnte aber nicht ewig im Iran in dem Zustand weiterbleiben. Da mein Mann in Afghanistan Feinde gehabt hatte, war er damals dazu gezwungen, Afghanistan zu verlassen. Nach seiner Abschiebung aus dem Iran nach Afghanistan ist es uns nicht gelungen, und zwar den Umständen entsprechend, Kontakt miteinander aufzunehmen. So lange mein Mann sich in Afghanistan damals aufhielt, kam es nie zu einer Kontaktaufnahme zwischen ihm und uns. Als er uns kontaktierte, sagte er uns, dass er sich in XXXX , in Österreich befinde. Wie bereits erwähnt, konnte ich nicht weiter im Iran ohne meinen Mann leben. Ich ging daher gemeinsam mit meiner Familie nach Afghanistan. In Afghanistan schlossen ich und meine Kinder uns der Familie meines Bruders an. Mein Bruder gab mir ein Zimmer zu leben bei sich und ich lebte mit meinen Kindern in diesem Zimmer. In Afghanistan war ich sehr verängstigt und lebte mit meiner Familie in Angst, weil die Leute aus der Provinz Pandscher mittlerweile an der Macht waren. Aus Angst konnte ich nachts nicht gut schlafen. Ich habe manchmal auch Albträume gehabt. Da meine Kinder bereits im Iran von ihrem Vater einigermaßen alphabetisiert wurden, konnten sie in der Schule aufgenommen werden. Ich habe Angst um meine Kinder gehabt, dass sie irgendwann entführt werden. Endlich gelang es uns aus Afghanistan auszureisen und uns meinem Mann hier in Österreich anzuschließen. Ich kann hier ohne Angst leben. Ich kann nachts aus dem Haus gehen, alleine einkaufen gehen und muss keine Sorge um die Sicherheit meiner Kinder haben.

Richter: Sind Sie jemals persönlich bedroht oder angegriffen worden?

Beschwerdeführerin 1: Nein.

Richter: Wodurch sind Sie in Afghanistan bedroht?

Beschwerdeführerin 1: Ich habe im Allgemeinen Angst vor den Anhängern der Kommandanten namens XXXX und XXXX gehabt, ebenso auch vor den Anhängern des derzeitigen Präsidenten der Friedenskommission XXXX . Der Grund für diese Angst war das, dass der genannte Freund meines Mannes, XXXX , damals aus der gleichen Provinz (Pandscher) stammte.

Richter: Was hat die Zugehörigkeit zur gleichen Provinz mit einer Gefährdung zu tun?

Beschwerdeführerin 1: Der genannte Freund gehörte diesen genannten Kommandanten an. Da er unterwegs von den Taliban gemeinsam mit meinem Mann aufgegriffen worden und nie wieder auftauchte, gingen die genannten Kommandanten und diese Partei davon aus, dass mein Mann für sein Verschwinden und für seinen eventuellen Tod verantwortlich wäre und vielleicht mit den Taliban irgendwie in dem Zusammenhang zusammengearbeitet hätte.

Richter: Wie sind Sie nach Österreich gekommen?

Beschwerdeführerin 1: Wir sind legal nach Österreich geflogen. Wir bekamen damals Einrei-sevisa bei der Österreichischen Botschaft in XXXX in Pakistan.

Richter: Wie haben Sie die Reise bezahlt?

Beschwerdeführerin 1: Einiges Geld borgte ich mir damals von meinem Bruder aus und Einiges schickte uns mein Mann von Österreich.

Richter: Schildern Sie bitte nochmals die Gründe Ihrer Beschwerde!

Beschwerdeführerin 1: Ich und meine Familie möchten uns hier ein Leben aufbauen. Wir möchten auf eigenen Beinen stehen. Ich bin aber sehr besorgt jedes Mal, wenn ich einen Antrag auf die Verlängerung des jetzigen Aufenthaltsstatus stelle. Ich bekomme Angst um die Verlängerung, ob das jetzt verlängert wird oder nicht, ob es jetzt zu einer Abschiebung kommt oder was weiß ich. Das ist der Grund meiner Beschwerde. Ich möchte für meine Familie und für mich einen weiteren Status bekommen, sodass ich und meine Kinder hier sorglos weiterleben können und sich um den Lebensaufbau kümmern können.

Richter: Was würde passieren, wenn Sie jetzt nach Afghanistan zurückkehren müssten?

Beschwerdeführerin 1: Erstens habe ich dort keine Verwandten, mit denen ich eine Blutsverwandtschaft habe. Ich und meine Kinder können nicht dort so frei und in Sicherheit leben, wie hier in Österreich. Dort gibt es tagtäglich Attentate, Diebstähle, Plünderung und weitere schlimme Sachen.

Richter: Wollen Sie ergänzend noch etwas vorbringen?

Rechtsvertreter: Ich verweise auf die Frauensituation in Afghanistan.

Richter: Haben Sie Fragen an die Beschwerdeführerin 1?

Rechtsvertreter: Seit wann tragen Sie kein Kopftuch mehr?

Beschwerdeführerin 1: Seit dem ersten Tag meines Aufenthaltes trage ich keinen Jador.

Rechtsvertreter: Sie haben gesagt, dass Sie Ihren Mann nicht selbst ausgewählt haben. Was war der Grund?

Beschwerdeführerin 1: Überwiegend und im Allgemeinen fragt man eine Frau/ein Mädchen diesbezüglich nicht. Hier sind wir aber frei. Meine Kinder können ihre zukünftigen Partner/in-nen selbst aussuchen. Meine Tochter möchte hier Richterin werden.

Rechtsvertreter: Ihre Mutter hat erzählt, dass Sie momentan einen Freund haben. Wo haben Sie ihn gefunden bzw. wie haben Sie ihn kennengelernt?

Beschwerdeführerin 3 auf Deutsch: Ich habe einen Deutschkurs besucht und habe meinen Freund dort gefunden und jetzt bin ich ein Jahr mit ihm befreundet. Meine Mutter und mein Vater haben kein Problem mit meinem Freund, ich auch nicht. Mein Freund lebt auch in XXXX

Rechtsvertreter: Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?

Beschwerdeführerin 3: Mein Freund ist ein liberaler Mensch und akzeptiert mich genau in der Art und Weise, wie ich jetzt mein Leben führe. Ich möchte in Zukunft mit ihm eine Familie gründen und mein Leben hier in Österreich aufbauen. Hoffentlich bekomme ich einen höheren Aufenthaltsstatus.

Rechtsvertreter: Falls Ihr Freund sagt, er möchte nicht mehr, dass Sie ohne Kopftuch rausgehen oder in die Schule gehen, was sagen Sie dann?

Beschwerdeführerin 3 (ohne Übersetzung der Frage des Rechtsvertreters durch den Dolmetscher): Dann würde ich auf keinen Fall mit ihm weiterleben. Ich würde ihn sofort verlassen. Ich glaube nicht, dass er in Zukunft Einschränkungen über mich verhängen würde. Wie gesagt ist er ein liberaler Mensch. Falls er das aber tut, würde ich nicht mehr mit ihm zusammen sein.

Rechtsvertreter: Können Sie sich ein Leben in Afghanistan noch vorstellen?

Beschwerdeführerin 3: Nein, das kann ich nicht. Damals, als ich mit meiner Mutter dort lebte, sah ich meine Mutter immer eine Burka tragen und zwar immer als sie mich aus dem Haus in die Schule begleiten musste (Beschwerdeführerin 3 weint). Hier kann ich alles machen und als ein freier Mensch in Österreich leben, mein Leben selbst gestalten und selbst für mich entscheiden. Das alles konnte ich in Afghanistan als Mädchen/Frau nicht machen.

Rechtsvertreter: Haben Sie eine Freundin?

Beschwerdeführer 2: Ja, sie heißt XXXX , ist XXXX Jahre alt und ist auch hier geboren.

Rechtsvertreter: Wie alt sind Sie?

Beschwerdeführer 2: XXXX .

Rechtsvertreter: Trinken Sie auch Alkohol?

Beschwerdeführer 2: Ja.

Rechtsvertreter: Essen Sie auch Schweinefleisch?

Beschwerdeführer 2: Ja, wenn ich bei Freunden bin, esse ich auch mit ihnen. Ich habe ein paar Freunde, die aus Österreich sind und wir gehen manchmal am Wochenende in ein Restaurant. Manchmal gehen wir in die Disco. Dort trinken wir Alkohol.

Rechtsvertreter: Sind Sie Muslim?

Beschwerdeführer 2: Ja.

Rechtsvertreter: Was ist Ihre persönliche Meinung über die anderen Religionen?

Beschwerdeführer 2: Ich meine, hier kann man wie ein freier Mensch leben. Jeder kann machen, was er will. Ich habe auch Freunde, die nicht Moslems sind. Wir gehen auch nach draußen. Ich bin mit denen glücklich und bleibe mit denen immer zusammen. Wir sind glücklich.

Rechtsvertreter: Ich habe keine Fragen mehr.

[…]

Richter: Haben Sie den Dolmetscher gut verstanden?

Beschwerdeführerin 1: Ja.

Beschwerdeführer 2: Ja.

Beschwerdeführerin 3: Ja.

Beschwerdeführerin 4: Ja.“

In der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurde dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführer eine Frist von zwei Wochen zur Einbringung einer schriftlichen Stellungnahme eingeräumt. Der Rechtsvertreter legte in der mündlichen Beschwerdeverhandlung ein Integrationsschreiben vom XXXX und Fotos vom Leben der Beschwerdeführer in Österreich vor. Diese Unterlagen wurden zum Akt der Erstbeschwerdeführerin ( XXXX ) genommen.

21. Am XXXX langte eine Stellungnahme der Rechtsvertretung der Beschwerdeführer zu den Länderberichten bei der belangten Behörde ein. In einem wurde ein Konvolut an Integrationsunterlagen betreffend die Beschwerdeführer vorgelegt.

22. Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte den Beschwerdeführern und der belangten Behörde mit Schreiben vom 20.8.2020 das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan (Stand 21.7.2020) zur Stellungnahme.

23. Die Beschwerdeführer äußerten sich dazu mit Schriftsatz vom 10.9.2020.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in die dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakten des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl und die Verfahrensakten des Bundesverwaltungsgerichts betreffend die Beschwerdeführer, insbesondere durch Einsicht in die vorgelegten Dokumente und Integrationsunterlagen, sowie durch Durchführung einer mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die ins Verfahren eingeführten Länderberichte.

1. Feststellungen

1.1 Zu den Personen der Beschwerdeführer und ihrem Leben in Afghanistan

Die Beschwerdeführer tragen den im Spruch angeführten Namen und sind Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan. Sie gehören der Volksgruppe der Tadschiken an und sind der sunnitischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Die Muttersprache der Beschwerdeführer ist Dari. Alle Beschwerdeführer sprechen Deutsch zumindest auf Niveau A1.

Die Erstbeschwerdeführerin und XXXX heirateten am XXXX in Afghanistan. Sie sind Eltern des Zweitbeschwerdeführers, der Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführerin. Die Erstbeschwerdeführerin und XXXX haben keine weiteren Kinder.

Die Erstbeschwerdeführerin, der Zweitbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin sind im Entscheidungszeitpunkt volljährig. Die Viertbeschwerdeführerin ist im Entscheidungszeitpunkt unmündige Minderjährige im Alter von XXXX Jahren. Der Zweitbeschwerdeführer, die Drittbeschwerdeführerin und die Viertbeschwerdeführerin sind ledig und kinderlos.

Die Erstbeschwerdeführerin wurde in der Stadt Kabul in Afghanistan geboren und wuchs dort im afghanischen Familienverband mit ihren Eltern, einem Bruder und einer Schwester auf. Die Erstbeschwerdeführerin lebte dort bis zu ihrer Hochzeit mit XXXX im Alter von XXXX Jahren. Nach ihrer Hochzeit mit ihrem Gatten übersiedelte die Erstbeschwerdeführerin zu ihrem Ehemann innerhalb der Stadt Kabul in den Stadtteil XXXX . Dort lebte sie mit ihrem Ehemann in einem Miethaus in der Nähe ihrer Schwiegereltern. Nach der Geburt der Drittbeschwerdeführerin im Jahr XXXX übersiedelte die Familie in den Iran. Im Jahr XXXX wurde der Zweitbeschwerdeführer und im Jahr XXXX die Viertbeschwerdeführerin geboren. Da sich die Familie im Iran illegal aufhielt, wurde XXXX schließlich nach Afghanistan abgeschoben und reiste in weiterer Folge nach Österreich. Nach der Abschiebung ihres Gatten lebte die Erstbeschwerdeführerin mit ihren Kindern zunächst alleine im Iran. Ungefähr im Jahr XXXX kehrte sie mit ihren Kindern nach Afghanistan zurück. Dort lebte die Erstbeschwerdeführerin mit den Zweit- bis Viertbeschwerdeführern bis zu ihrer Ausreise Richtung Österreich bei ihrem Bruder in Kabul.

Die Erstbeschwerdeführerin besuchte in Afghanistan fünf Jahre die Schule. Anschließend arbeitete sie in Afghanistan und im Iran über 17 Jahre als Schneiderin. Der Zweitbeschwerdeführer, die Drittbeschwerdeführerin und die Viertbeschwerdeführerin durften im Iran wegen des illegalen Aufenthalts der Familie keine Schule besuchen, wurden jedoch von ihrem Vater, einem Lehrer, alphabetisiert. Nach der Rückkehr der Familie im Jahr XXXX besuchten der Zweitbeschwerdeführer, die Drittbeschwerdeführerin und die Viertbeschwerdeführerin bis zu ihrer Ausreise Richtung Österreich am XXXX eine Schule in Kabul.

Der Vater der Erstbeschwerdeführerin ist bereits verstorben. Ihre Mutter lebt mit ihrem Bruder und dessen Familie im Iran. Sowohl die Mutter der Erstbeschwerdeführerin als auch ihr Bruder sind an COVID-19 erkrankt. Die Schwester der Erstbeschwerdeführerin lebt zwischenzeitlich in Tadschikistan. Die Erstbeschwerdeführerin steht in Kontakt mit ihrer Mutter, ihrem Bruder und ihrer Schwester. Es leben keine Verwandten oder enge Bezugspersonen der Beschwerdeführer in Afghanistan. Der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin, XXXX (= Vater der Zweit- bis Viertbeschwerdeführer), lebt gemeinsam mit den Beschwerdeführern in Österreich in XXXX

1.2 Zum Leben der Beschwerdeführer in Österreich

Die Erstbeschwerdeführerin, der zum damaligen Zeitpunkt minderjährige Zweitbeschwerdeführer, die zum damaligen Zeitpunkt minderjährige Drittbeschwerdeführerin und die minderjährige Viertbeschwerdeführerin reisten am XXXX legal mit einem Visum Typ D über den Luftweg am Flughafen XXXX in die Republik Österreich ein. Am XXXX stellten sie, die Minderjährigen vertreten durch ihre Mutter, die Erstbeschwerdeführerin, gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz. Seither halten sich die Beschwerdeführer durchgehend im Bundesgebiet auf.

Das Verfahren wird als Familienverfahren gemäß § 34 AsylG 2005 geführt.

Der Gatte der Erstbeschwerdeführerin bzw. Vater der Zweit- bis Viertbeschwerdeführer, XXXX ist im Bundesgebiet subsidiär schutzberechtigt und in Österreich aufhältig. Weitere Verwandten oder sonstige wichtige Bezugspersonen der Beschwerdeführer leben nicht in Österreich. Es besteht weder eine Lebensgemeinschaft der Beschwerdeführer in Österreich, noch gibt es in Österreich geborene Kinder der Beschwerdeführer.

Die Beschwerdeführer bewohnen gemeinsam mit XXXX eine Wohnung in XXXX . Die Erstbeschwerdeführerin und die Viertbeschwerdeführerin beziehen Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung, während der Zweitbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin keine Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung beziehen. Der Zweitbeschwerdeführer ist zudem erwerbstätig.

Die Erstbeschwerdeführerin war seit ihrer Einreise stets um ihre Integration und um die Integration ihrer Kinder bemüht. So besuchte sie zunächst einen Integrationskurs des XXXX und bestand den Abschlusstest bereits im XXXX mit voller Punktzahl. Weiter nahm die Erstbeschwerdeführerin an Integrationskursen des XXXX der AK und des ÖGB, darunter an der Kursmaßnahme „ XXXX “, teil. XXXX , Mitarbeiterin beim Verein XXXX , Beratungsstelle für Asylwerberinnen und Flüchtlinge in der Grundversorgung, beschreibt die Beschwerdeführer als offen und kontaktfreudig. Insbesondere die Erstbeschwerdeführerin sei sehr an ihrer Integration in die österreichische Gesellschaft interessiert. Weiter sei sie sehr bemüht, die deutsche Sprache zu erlernen. Seit ihrer Einreise besuchte die Erstbeschwerdeführerin laufend Deutsch-, Integrations- und Basisbildungskurse. Zunächst nahm sie an einem Alphabetisierungskurs des Flüchtlingsprojekts XXXX teil und legte schließlich am XXXX erfolgreich eine Prüfung zu ihren Deutschkenntnissen auf Niveau A1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen mit der Beurteilung „gut bestanden“ ab. Die Erstbeschwerdeführerin zeigt sich weiterhin bemüht, ihre Deutschkenntnisse zu verbessern und besucht derzeit einen Deutschkurs auf Niveau A2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen. Besonders wichtig ist es der Erstbeschwerdeführerin, in Österreich einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und auf eigenen Beinen zu stehen. Sie hat konkrete Berufsvorstellungen und möchte zukünftig als Schneiderin arbeiten. Ab XXXX war sie einige Monate bei der XXXX als Aushilfe beschäftigt. Nach dem Verlust ihrer Arbeitsstelle zeigte sich die Erstbeschwerdeführerin weiterhin um eine Arbeit bemüht. Am XXXX absolvierte sie ein Praktikum bzw einen Schnuppertag bei einer Schneiderei und erhielt eine Einstellungszusage.

An Afghanistan kritisiert die Erstbeschwerdeführerin insbesondere, dass Frauen dort nicht denselben Wert wie Männer hätten. Frauen würden nicht gefragt werden, welchen Mann sie heiraten wollen. Sie selbst sei damals gegen ihren Willen mit ihrem Gatten verheiratet worden. Zudem seien Frauen in Afghanistan gezwungen, eine Burka zu tragen. In Österreich legt die Erstbeschwerdeführerin großen Wert auf den Schulbesuch und die Ausbildung ihrer Kinder. Es ist ihr wichtig, die deutsche Sprache zu erlernen und auf eigenen Beinen zu stehen. Für ihre Kinder wünscht sich die Erstbeschwerdeführerin, dass sich diese ihre zukünftigen Ehepartner selbst aussuchen können. Die Erstbeschwerdeführerin schätzt an Österreich besonders, dass Frauen die gleichen Rechte wie Männer haben und diesen gleichgestellt sind. Sie genießt es, sich in Österreich frei bewegen zu können und besucht gerne ihre Freunde. Die Erstbeschwerdeführerin möchte über ihr Leben selbst bestimmen und schätzt die Freiheit, die sie in Österreich hat. Seit ihrer Ankunft in Österreich trägt die Erstbeschwerdeführerin kein Kopftuch, kleidet sich nach der westlichen Mode und schminkt sich.

Die Erstbeschwerdeführerin nimmt regen Anteil am sozialen Leben und hat schon einige soziale Kontakte in Österreich – auch zu österreichischen Staatsbürgern – geknüpft. Sie ist gut in Österreich integriert und trifft sich in ihrer Freizeit gerne mit Freunden. Weiter näht sie Schutzmasken für Nachbarn und Bekannte und besucht gerne Sehenswürdigkeiten in Österreich.

Der Zweitbeschwerdeführer besuchte nach seiner Einreise ebenfalls mehrere Deutsch-, Integrations- und Basisbildungskurse, legte am XXXX erfolgreich eine Deutschprüfung auf Niveau A2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen ab und erwarb ein ÖSD-Zertifikat A2. Anschließend nahm er am Projekt „ XXXX “ teil. Im Rahmen dieses Projektes erhielt der Zweitbeschwerdeführer Unterrichtsstunden in Deutsch als Zweitsprache, Mathematik, Kritische Partizipation, Berufsorientierung, Kreativität und Gestaltung. Am XXXX und am XXXX trat er erfolgreich zur Integrationsprüfung des ÖIF bestehend aus Inhalten zur Sprachkompetenz auf Niveau B1 und zu Werte- und Orientierungswissen an. Weiter absolvierte er im Jahr XXXX den Basisbildungskurs „Basisbildung Brückenkurs 320“ der XXXX und nahm von XXXX am Kurs „Basisbildung Brückenkurs 100 UE“ der XXXX teil. Seit XXXX arbeitet er als Fahrer bei der XXXX . Der Zweitbeschwerdeführer hat soziale Kontakte in Österreich – auch zu österreichischen Staatsbürgern geknüpft. Er hat eine feste österreichische Freundin. In seiner Freizeit geht er gerne mit Freunden ins Restaurant oder in die Disco.

Die Drittbeschwerdeführerin nahm unmittelbar nach ihrer Einreise an mehreren Deutsch-, Integrations- und Basisbildungskursen teil. Am XXXX legte sie erfolgreich eine Deutschprüfung auf Niveau A2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen ab und erwarb ein ÖSD-Zertifikat A2. Anschließend nahm sie am Projekt „ XXXX “ teil. Im Rahmen dieses Projektes besuchte sie Deutschkurse bis Niveau B1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen und erhielt zudem Unterricht in Mathematik, Englisch, Globalität und Transkulturalität sowie in Informations- und Kommunikationstechnologie / Medienkompetenz. Anschließend besuchte die Drittbeschwerdeführerin im Schuljahr XXXX von XXXX die Übergangsstufe einer Höheren Bundeslehranstalt für Tourismus und wirtschaftliche Berufe mit der Fachpraxis „Gastronomisches Praktikum“. Mit XXXX schloss die Erstbeschwerdeführerin die Übergangsstufe erfolgreich ab. Anschließend besuchte sie vom XXXX den Basisbildungskurs „ XXXX “ für Jugendliche und junge Erwachsene von XXXX zur Vorbereitung auf einen Pflichtschulabschlusskurs. Inhalt des Basisbildungskurses waren Unterrichtseinheiten in Mathematik, Deutsch und Englisch sowie Lern- und Bildungsberatung. Derzeit besucht die Drittbeschwerdeführerin seit XXXX einen Pflichtschulabschlusskurs der XXXX , der voraussichtlich bis XXXX laufen wird, und bereitet sich auf die Externistenprüfungen vor, um ihren Pflichtschulabschluss nachzuholen. Die Drittbeschwerdeführerin genießt ihre Freiheiten als junge Frau in Österreich und hat einen festen Freund. Einschränkungen ihrer Freiheit durch ihren Freund würde die Drittbeschwerdeführerin nicht dulden. Es ist ihr wichtig, in Österreich als freier Mensch zu leben, ihr Leben selbst zu gestalten und selbst für sich entscheiden zu können. Die Drittbeschwerdeführerin hat soziale Kontakte in Österreich – auch zu österreichischen Staatsbürgern geknüpft.

Die Viertbeschwerdeführerin besuchte im Schuljahr XXXX als außerordentliche Schülerin die dritte Klasse der Öffentlichen Volksschule XXXX . Im XXXX nahm sie an dem Projekt „ XXXX “ teil und erhielt Unterricht in Deutsch, Englisch und Mathematik. Im Schuljahr XXXX besuchte sie die vierte Klasse der Öffentlichen Volksschule XXXX und ist seit dem Schuljahr XXXX Schülerin an der XXXX . Sie hat soziale Kontakte in Österreich – auch zu österreichischen Staatsbürgern geknüpft.

Die Erstbeschwerdeführerin, die Drittbeschwerdeführerin und die Viertbeschwerdeführerin haben ihr Kopftuch nach ihrer Ankunft in Österreich abgelegt, tragen ihre Haare offen und kleiden sich nach westlicher Mode.

Die Beschwerdeführer sind im Wesentlichen gesund. Die Erstbeschwerdeführerin, der Zweitbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin sind arbeitsfähig. Der Viertbeschwerdeführerin ist aufgrund ihres jungen Alters nicht erlaubt, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.

Die Erstbeschwerdeführerin, der Zweitbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin sind strafgerichtlich unbescholten. Die minderjährige Viertbeschwerdeführerin ist aufgrund ihres Alters strafunmündig.

1.3 Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer

Die Erstbeschwerdeführerin, der (zum damaligen Zeitpunkt minderjährige) Zweitbeschwerdeführer, die (zum damaligen Zeitpunkt minderjährige) Drittbeschwerdeführerin und die minderjährige Viertbeschwerdeführerin reisten am XXXX gemeinsam mit dem Flugzeug aus ihrem Herkunftsstaat Afghanistan aus.

Die Erstbeschwerdeführerin und die Drittbeschwerdeführerin sind in ihrer Wertehaltung überwiegend an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als „westlich“ zu bezeichnenden Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert. In diesem Zusammenhang droht ihnen im Fall ihrer Rückkehr asylrelevante Verfolgung aus Gründen ihrer politischen Gesinnung bzw Religion sowie aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der westlich orientierten afghanischen Frauen bzw Mädchen. Von einer solchen Verfolgung ist im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan auszugehen.

Zu den Angaben der Erstbeschwerdeführerin über die weiteren Gründe, aus denen sie ihr Herkunftsland verlassen hat, werden keine Feststellungen getroffen. Der Zweitbeschwerdeführer und die Viertbeschwerdeführerin machten keine eigenen Fluchtgründe geltend.

1.4 Zur Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer

Es werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat der Beschwerdeführer getroffen:

1.4.1 Staatendokumentation (Stand 21.7.2020, außer wenn anders angegeben)

1.4.1.1 Länderspezifische Anmerkungen COVID-19

1.4.1.1.1 Stand 21.7.2020

Aktueller Stand der COVID-19 Krise in Afghanistan

Berichten zufolge, haben sich in Afghanistan mehr als 35.000 Menschen mit COVID-19 angesteckt (WHO 20.7.2020; vgl JHU 20.7.2020, OCHA 16.7.2020), mehr als 1.280 sind daran gestorben. Aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt zu wenig gemeldet (OCHA 16.7.2020; vgl DS 19.7.2020). 10 Prozent der insgesamt bestätigten COVID-19-Fälle entfallen auf das Gesundheitspersonal. Kabul ist hinsichtlich der bestätigten Fälle nach wie vor der am stärksten betroffene Teil des Landes, gefolgt von den Provinzen Herat, Balkh, Nangarhar und Kandahar (OCHA 15.7.2020). Beamte in der Provinz Herat sagten, dass der Strom afghanischer Flüchtlinge, die aus dem Iran zurückkehren, und die Nachlässigkeit der Menschen, die Gesundheitsrichtlinien zu befolgen, die Möglichkeit einer neuen Welle des Virus erhöht haben, und dass diese in einigen Gebieten bereits begonnen hätte (TN 14.7.2020). Am 18.7.2020 wurde mit 60 neuen COVID-19 Fällen der niedrigste tägliche Anstieg seit drei Monaten verzeichnet – wobei an diesem Tag landesweit nur 194 Tests durchgeführt wurden (AnA 18.7.2020).

Krankenhäuser und Kliniken berichten weiterhin über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19. Diese Herausforderungen stehen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA), Testkits und medizinischem Material sowie mit der begrenzten Anzahl geschulter Mitarbeiter – noch verschärft durch die Zahl des erkrankten Gesundheitspersonals. Es besteht nach wie vor ein dringender Bedarf an mehr Laborequipment sowie an der Stärkung der personellen Kapazitäten und der operativen Unterstützung (OCHA 16.7.2020, vgl BBC-News 30.6.2020).

Maßnahmen der afghanischen Regierung und internationale Hilfe

Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Universitäten und Schulen bleiben weiterhin geschlossen (OCHA 8.7.2020; vgl RA KBL 16.7.2020). Die Regierung Afghanistans gab am 6.6.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Darüber hinaus hat die Regierung die Schließung von Schulen um weitere drei Monate bis Ende August verlängert (OCHA 8.7.2020).

Berichten zufolge werden die Vorgaben der Regierung nicht befolgt, und die Durchsetzung war nachsichtig (OCHA 16.7.2020, vgl TN 12.7.2020). Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. Zwar behindern die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin periodisch die Bewegung der humanitären Helfer, doch hat sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verbessert, und es wurden weniger Behinderungen gemeldet (OCHA 15.7.2020).

Einwohner Kabuls und eine Reihe von Ärzten stellten am 18.7.2020 die Art und Weise in Frage, wie das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) mit der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie im Land umgegangen ist, und sagten, das Gesundheitsministerium habe es trotz massiver internationaler Gelder versäumt, richtig auf die Pandemie zu reagieren (TN 18.7.2020). Es gibt Berichte wonach die Bürger angeben, dass sie ihr Vertrauen in öffentliche Krankenhäuser verloren haben und niemand mehr in öffentliche Krankenhäuser geht, um Tests oder Behandlungen durchzuführen (TN 12.7.2020).

Beamte des afghanischen Gesundheitsministeriums erklärten, dass die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 in den Städten zurückgegangen ist, die Pandemie in den Dörfern und in den abgelegenen Regionen des Landes jedoch zunimmt. Der Gesundheitsminister gab an, dass 500 Beatmungsgeräte aus Deutschland angekauft wurden und 106 davon in den Provinzen verteilt werden würden (TN 18.7.2020).

Am Samstag den 18.7.2020 kündete die afghanische Regierung den Start des Dastarkhan-e-Milli-Programms als Teil ihrer Bemühungen an, Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie zu helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken (TN 18.7.2020; vgl Mangalorean 19.7.2020).

Die Weltbank genehmigte am 15.7.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten (WB 10.7.2020; vgl AN 10.7.2020).

Auszugsweise Lage in den Provinzen Afghanistans

Dieselben Maßnahmen – nämlich Einschränkungen und Begrenzungen der täglichen Aktivitäten, des Geschäftslebens und des gesellschaftlichen Lebens – werden in allen folgend angeführten Provinzen durchgeführt. Die Regierung hat eine Reihe verbindlicher gesundheitlicher und sozialer Distanzierungsmaßnahmen eingeführt, wie z.B. das obligatorische Tragen von Gesichtsmasken an öffentlichen Orten, das Einhalten eines Sicherheitsabstandes von zwei Metern in der Öffentlichkeit und ein Verbot von Versammlungen mit mehr als zehn Personen. Öffentliche und touristische Plätze, Parks, Sportanlagen, Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen sind geschlossen; die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor sind auf 6 Stunden pro Tag beschränkt und die Beschäftigten werden in zwei ungerade und gerade Tagesschichten eingeteilt (RA KBL 16.7.2020; vgl OCHA 8.7.2020).

Die meisten Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte sind aufgrund der COVID-19 Maßnahmen geschlossen, es sei denn, sie wurden geheim und unbemerkt von staatlichen Stellen geöffnet (RA KBL 16.7.2020; vgl OCHA 8.7.2020).

In der Provinz Kabul gibt es zwei öffentliche Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln mit 200 bzw. 100 Betten. Aufgrund der hohen Anzahl von COVID-19-Fällen im Land und der unzureichenden Kapazität der öffentlichen Krankenhäuser hat die Regierung kürzlich auch privaten Krankenhäusern die Behandlung von COVID-19-Patienten gestattet. Kabul sieht sich aufgrund von Regen- und Schneemangel, einer boomenden Bevölkerung und verschwenderischem Wasserverbrauch mit Wasserknappheit konfrontiert. Außerdem leben immer noch rund 12 Prozent der Menschen in Kabul unter der Armutsgrenze, was bedeutet, dass oftmals ein erschwerter Zugang zu Wasser besteht (RA KBL 16.7.2020; WHO o.D).

In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Es gibt Berichte, dass die Bewohner einiger Distrikte der Provinz mit Wasserknappheit zu kämpfen hatten. Darüber hinaus hatten die Menschen in einigen Distrikten Schwierigkeiten mit dem Zugang zu ausreichender Nahrung, insbesondere im Zuge der COVID-19-Pandemie (RA KBL 16.7.2020).

In der Provinz Herat gibt es zwei Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln. Ein staatliches öffentliches Krankenhaus mit 100 Betten, das vor kurzem speziell für COVID-19-Patienten gebaut wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl TN 19.3.2020) und ein Krankenhaus mit 300 Betten, das von einem örtlichen Geschäftsmann in einem umgebauten Hotel zur Behandlung von COVID-19-Patienten eingerichtet wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl TN 4.5.2020). Es gibt Berichte, dass 47,6 Prozent der Menschen in Herat unter der Armutsgrenze leben, was bedeutet, dass oft ein erschwerter Zugang zu sauberem Trinkwasser und Nahrung haben, insbesondere im Zuge der Quarantäne aufgrund von COVID-19, durch die die meisten Tagelöhner arbeitslos blieben (RA KBL 16.7.2020; vgl UNICEF 19.4.2020).

In der Provinz Daikundi gibt es ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Es gibt jedoch keine Auswertungsmöglichkeiten für COVID-19-Tests – es werden Proben entnommen und zur Laboruntersuchung nach Kabul gebracht. Es dauert Tage, bis ihre Ergebnisse von Kabul nach Daikundi gebracht werden. Es gibt Berichte, dass 90 Prozent der Menschen in Daikundi unter der Armutsgrenze leben und dass etwa 60 Prozent der Menschen in der Provinz stark von Ernährungsunsicherheit betroffen sind (RA KBL 16.7.2020).

In der Provinz Samangan gibt es ebenso ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Wie auch in der Provinz Daikundi müssen Proben nach Kabul zur Testung geschickt werden. Eine unzureichende Wasserversorgung ist eine der größten Herausforderungen für die Bevölkerung. Nur 20 Prozent der Haushalte haben Zugang zu sauberem Trinkwasser (RA KBL 16.7.2020).

Wirtschaftliche Lage in Afghanistan

Verschiedene COVID-19-Modelle zeigen, dass der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet wird, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung haben wird (OCHA 16.7.2020). Es herrscht weiterhin Besorgnis seitens humanitärer Helfer, über die Auswirkungen ausgedehnter Sperrmaßnahmen auf die am stärksten gefährdeten Menschen – insbesondere auf Menschen mit Behinderungen und Familien – die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen (OCHA 15.7.2020). Der Marktbeobachtung des World Food Programme (WFP) zufolge ist der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 – 31 Prozent gestiegen sind (WFP 15.7.2020, OCHA 15.7.2020). Einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) und des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht (MAIL) zufolge sind über 20 Prozent der befragten Bauern nicht in der Lage, ihre nächste Ernte anzubauen, wobei der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die COVID-19-Beschränkungen als Schlüsselfaktoren genannt werden. Darüber hinaus sind die meisten Weizen-, Obst-, Gemüse- und Milchverarbeitungsbetriebe derzeit nur teilweise oder gar nicht ausgelastet, wobei die COVID-19-Beschränkungen als ein Hauptgrund für die Reduzierung der Betriebe genannt werden. Die große Mehrheit der Händler berichtete von gestiegenen Preisen für Weizen, frische Lebensmittel, Schafe/Ziegen, Rinder und Transport im Vergleich zur gleichen Zeit des Vorjahres. Frischwarenhändler auf Provinz- und nationaler Ebene sahen sich im Vergleich zu Händlern auf Distriktebene mit mehr Einschränkungen konfrontiert, während die große Mehrheit der Händler laut dem Bericht von teilweisen Marktschließungen aufgrund von COVID-19 berichtete (FAO 16.4.2020; vgl OCHA 16.7.2020; vgl WB 10.7.2020).

Am 19.7.2020 erfolgte die erste Lieferung afghanischer Waren in zwei Lastwagen nach Indien, nachdem Pakistan die Wiederaufnahme afghanischer Exporte nach Indien angekündigt hatte um den Transithandel zu erleichtern. Am 12.7.2020 öffnete Pakistan auch die Grenzübergänge Angor Ada und Dand-e-Patan in den Provinzen Paktia und Paktika für afghanische Waren, fast zwei Wochen nachdem es die Grenzübergänge Spin Boldak, Torkham und Ghulam Khan geöffnet hatte (TN 20.7.2020).

Einreise und Bewegungsfreiheit

Die Türkei hat, nachdem internationale Flüge ab 11.6.2020 wieder nach und nach aufgenommen wurden, am 19.7.2020 wegen der COVID-19-Pandemie Flüge in den Iran und nach Afghanistan bis auf weiteres ausgesetzt, wie das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur mitteilte (TN 20.7.2020; vgl AnA 19.7.2020, DS 19.7.2020).

Bestimmte öffentliche Verkehrsmittel wie Busse, die mehr als vier Passagiere befördern, dürfen nicht verkehren. Obwohl sich die Regierung nicht dazu geäußert hat, die Reisebeschränkungen für die Bürger aufzuheben, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern, hat sich der Verkehr in den Städten wieder normalisiert, und Restaurants und Parks sind wieder geöffnet (TN 12.7.2020).

1.4.1.1.2 Stand 29.6.2020

Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt (WP 25.5.2020; vgl JHU 26.6.2020), mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (WP 25.6.2020).

In vier der 34 Provinzen Afghanistans – Nangahar, Ghazni, Logar und Kunduz – hat sich unter den Sicherheitskräften COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90% vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (WP 25.6.2020).

In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden (RA KBL 19.6.2020). In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (AJ 8.6.2020).

Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge, lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt (AF 24.6.2020). Dem Lockdown Folge zu leisten, „social distancing“ zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (AJ 8.6.2020).

Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein „Solidaritätsprogramm“ entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (AF 24.6.2020).

Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei dem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden (AF 24.6.2020). In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes (TN 15.6.2020). Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern (AF 24.6.2020; vgl TN 15.6.2020). Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (TN 20.5.2020).

Weitere Maßnahmen der afghanischen Regierung

Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen (AJ 8.6.2020; vgl RA KBL 19.6.2020). Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenz

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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