Entscheidungsdatum
01.10.2020Norm
AlVG §14Spruch
I416 2232989-1/5E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Alexander BERTIGNOL als Vorsitzenden und die fachkundigen Laienrichter Franz OPBACHER und Stefan ORTNER MSc als Beisitzer über die Beschwerde des XXXX , geb. am XXXX , gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice XXXX vom 22.04.2020 in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:
A)
Der Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer beantragte am 15.04.2020, beim Arbeitsmarktservice XXXX (im Folgenden: belangte Behörde) eingelangt am 20.04.2020, die erstmalige Zuerkennung von Arbeitslosengeld, dies unter Anschluss zweier Arbeitsbescheinigungen der JVA XXXX , Deutschland.
2. Mit Bescheid vom 22.04.2020 sprach die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer mangels Erfüllung der Anwartschaft keinen Anspruch auf Zuerkennung des Arbeitslosengeldes habe. Begründend hielt die belangte Behörde fest, der Beschwerdeführer könne in der gesetzlichen Rahmenfrist lediglich 206 Tage einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung bzw. anwartschaftsbegründende Zeiten nachweisen.
3. Die gegen diesen Bescheid rechtzeitig und zulässig erhobene Beschwerde vom 05.05.2020 begründete der Beschwerdeführer im Wesentlichen damit, dass er bereits am Tag seiner behördlichen Meldung am 21.01.2019 die PD U1 und U2, ausgestellt von der Agentur für Arbeit XXXX , bei der belangten Behörde hinterlegt habe. Die belangte Behörde habe die in Deutschland geleisteten 295 Tage einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung im Zeitraum 18.08.2017 bis 10.01.2019 in ihre Berechnung der Anwartschaft jedoch nicht einkalkuliert. Darüber hinaus sei er bereits seit 29.04.2020 wieder erwerbstätig.
4. Mit Schreiben vom 14.07.2020 legte die belangte Behörde die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor. In einer ergänzenden Stellungnahme brachte die belangte Behörde vor, dass der Beschwerdeführer mit seinen inländischen Versicherungszeiten die Anwartschaft gemäß § 14 AlVG nicht erfüllen könne. Aufgrund der im Rahmen der gegenständlichen Antragstellung vorgelegten Arbeitsbescheinigungen der JVA XXXX sei es jedoch möglich, dass der Beschwerdeführer durch eine Hinzurechnung dieser ausländischen Versicherungszeiten die Anwartschaft auf Arbeitslosengeld erfüllen werde. Insoweit fehle jedoch - trotz diesbezüglicher Anforderung der belangten Behörde am 12.05.2020 und Urgenz am 14.07.2020 - eine Bestätigung der Agentur für Arbeit XXXX , dass die angeführten Zeiten als Versicherungszeiten zu werten sind. Im bestätigenden Fall lägen insgesamt 462 anwartschaftsbegründende Tage vor und wäre die Anwartschaft somit erfüllt. Auf die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung werde überdies verzichtet.
5. Am 11.08.2020 wurde beim Bundesverwaltungsgericht eine Nachreichung zur Beschwerdevorlage eingebracht, in welcher ein Aktenvermerk der belangten Behörde sowie das Formular U1 der Bundesagentur für Arbeit XXXX vom 05.08.2020 unter Anschluss zweier Arbeitsbescheinigungen der JVA XXXX beigelegt wurden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der relevante Sachverhalt ergibt sich aus den unter Punkt I. getroffenen Ausführungen. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:
In Österreich ging der Beschwerdeführer in den Zeiträumen 18.03.2019 bis 15.04.2019, 29.07.2019 bis 30.07.2019, 01.08.2019 bis 10.09.2019, 18.09.2019 bis 20.09.2019, 24.09.2019 bis 27.09.2019, 31.10.2019 bis 21.11.2019, 17.12.2019 bis 21.02.2020 und 02.03.2020 bis 03.04.2020 einer Beschäftigung als Arbeiter in unterschiedlichen Betrieben nach.
Der Beschwerdeführer meldete der belangten Behörde am 07.04.2020 seine Arbeitslosigkeit und stellte am 15.04.2020 einen Antrag auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld, nachdem am 03.04.2020 seine Beschäftigung geendet hatte. Zugleich legte er zwei Arbeitsbescheinigungen der JVA XXXX bei, aus welchen ersichtlich ist, dass er in einem Zeitraum zwischen 18.08.2017 und 10.01.2019 in der JVA XXXX erwerbstätig war.
In Deutschland kann der Beschwerdeführer als Versicherungszeiten die Zeiträume 18.08.2017 bis 02.02.2018 und 02.07.2018 bis 02.01.2019 vorweisen.
In Österreich hat der Beschwerdeführer von 06.05.2020 bis 08.05.2020 sowie seit 15.06.2020 wieder eine die Arbeitslosigkeit ausschließende Beschäftigung aufgenommen.
Die belangte Behörde forderte am 12.05.2020, somit erst nach der gegenständlichen Bescheiderlassung, eine Versicherungsbestätigung des Beschwerdeführers bei der Agentur für Arbeit XXXX an und urgierte eine solche am 14.07.2020. Mit Beschwerdenachreichung vom 11.08.2020 langte die entsprechende Bestätigung beim Bundesverwaltungsgericht ein.
Im bisherigen Ermittlungsverfahren wurden seitens der belangten Behörde notwendige Sachverhaltsermittlungen bezüglich der (Nicht-)Erfüllung der Anwartschaft unterlassen und reichen die vorliegenden Ergebnisse jedenfalls nicht zur Fällung einer umfassenden Entscheidung in der Sache aus. Trotz des Vorliegens von Arbeitsbescheinigungen hat es die belangte Behörde unterlassen rechtszeitig dahingehende Nachforschungen, wie insbesondere die Stellung einer Anfrage an die Agentur für Arbeit in Deutschland, anzustellen. Vielmehr hat sie anstelle der ihr zukommenden Möglichkeit der Entscheidungsfindung innerhalb eines sechsmonatigen Zeitraums bereits zwei Tage nach der Antragstellung des Beschwerdeführers den gegenständlichen negativen Bescheid erlassen und notwendige Ermittlungen erst nach Einlangen der Beschwerde veranlasst.
Überdies wurden von der belangten Behörde keinerlei Ermittlungen hinsichtlich der weiteren Voraussetzungen für eine allfällige Zuerkennung von Arbeitslosengeld vorgenommen und erfolgte keine Berechnung der Höhe eines allfälligen Anspruchs.
2. Beweiswürdigung:
Die Meldung der Arbeitslosigkeit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem entsprechenden E-Mail des Beschwerdeführers im Akt und gründet die Feststellung zur Antragstellung des Beschwerdeführers auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld auf seinem im Behördenakt befindlichen Antrag, welcher mit 15.04.2020 datiert ist.
Die Feststellungen hinsichtlich seinen Beschäftigungszeiten in Österreich und Deutschland ergeben sich einerseits aus dem aktuellen Auszug der österreichischen Sozialversicherungsträger, andererseits aus den zwei vorliegenden glaubhaften Arbeitsbescheinigungen der JVA XXXX , welche mit 06.04.2020 datiert und mit Unterschrift und Dienstsiegel der JVA XXXX versehen sind. Zudem langte am 11.08.2020 ein Schreiben der belangten Behörde ein, in welchem eine PD U1, von der Bundesagentur für Arbeit unterfertigt am 16.06.2020, beigelegt wurde. Daraus ergeben sich die in Deutschland erworbenen Versicherungszeiten des Beschwerdeführers.
Dass die belangte Behörde erst nach der negativen Bescheiderlassung eine Versicherungsbestätigung anforderte, ergibt sich aus der im Behördenakt einliegenden Anforderung des Versicherungsverlaufs mit Sendedatum 12.05.2020 und lässt sich zusätzlich der Stellungnahme vom 14.07.2020 entnehmen. Des Weiteren schilderte die belangte Behörde darin, dass die deutsche Arbeitsmarktverwaltung zum Zeitpunkt der Beschwerdevorlage an das erkennende Gericht keine entsprechende Bestätigung ausgestellt habe, eine Urgenz sei jedoch am 14.07.2020 erfolgt.
Die Feststellungen zur unzureichenden Ermittlungstätigkeit der belangten Behörde ergeben sich aus dem Umstand, dass die belangte Behörde - wie zuvor angeführt - erst nach Erhebung der Beschwerde ein Auskunftsersuchen an die deutschen Behörden richtete. Da eine entsprechende Beantwortung noch ausständig war, lag zum Zeitpunkt der Beschwerdevorlage ebenfalls noch kein tragfähiges Ermittlungsergebnis vor. Insbesondere führte die belangte Behörde in ihrer Stellungnahme vom 14.07.2020 an, dass bei behördlicher Bestätigung der angegebenen ausländischen Versicherungszeiten in Zusammenschau mit seinen inländischen Versicherungszeiten die Anwartschaft gemäß § 14 AlVG erfüllt wäre.
Da sich die belangte Behörde in ihrer Bescheidbegründung auf das Aufzeigen der Nichterfüllung der Anwartschaft beschränkte, waren aus dem Behördenakt keine Ermittlungstätigkeiten hinsichtlich der weiteren Voraussetzungen für die Zuerkennung von Arbeitslosigkeit oder der Höhe eines allfälligen Anspruchs ersichtlich. Auch fehlte eine diesbezügliche Feststellung im angefochtenen Bescheid, sodass mit den bisherigen Ermittlungen der belangten Behörde kein Auslangen gefunden werden konnte.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
§ 56 Abs. 2 AlVG lautet wie folgt: „Über Beschwerden gegen Bescheide einer Geschäftsstelle entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch einen Senat, dem zwei fachkundige Laienrichter angehören, je einer aus dem Kreis der Arbeitgeber und aus dem Kreis der Arbeitnehmer. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung durch die Geschäftsstelle beträgt zehn Wochen.“
Im gegenständlichen Fall liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Die §§ 1, 14 Abs. 1, 17, 28 Abs. 1 bis Abs. 3 VwGVG lauten wie folgt:
§ 1. Dieses Bundesgesetz regelt das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes.
§ 14. (1) Im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG steht es der Behörde frei, den angefochtenen Bescheid innerhalb von zwei Monaten aufzuheben, abzuändern oder die Beschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen (Beschwerdevorentscheidung). § 27 ist sinngemäß anzuwenden.
§ 17. Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Zu A) Aufhebung und Zurückverweisung:
3.1. Rechtslage:
Die maßgeblichen Bestimmungen des AlVG lauten wie folgt:
Voraussetzungen des Anspruches
§ 7. (1) Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, wer
1. der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht,
2. die Anwartschaft erfüllt und
3. die Bezugsdauer noch nicht erschöpft hat. …
Anwartschaft
§ 14. (1) Bei der erstmaligen Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld ist die Anwartschaft erfüllt, wenn der Arbeitslose in den letzten 24 Monaten vor Geltendmachung des Anspruches (Rahmenfrist) insgesamt 52 Wochen im Inland arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war. Handelt es sich jedoch um einen Arbeitslosen, der das Arbeitslosengeld vor Vollendung des 25. Lebensjahres beantragt, ist die Anwartschaft auf Arbeitslosengeld auch dann erfüllt, wenn der Arbeitslose in den letzten zwölf Monaten vor Geltendmachung des Anspruches (Rahmenfrist) insgesamt 26 Wochen im Inland arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war. …
(4) Auf die Anwartschaft sind folgende im Inland zurückgelegte oder auf Grund inländischer Rechtsvorschriften erworbene Zeiten anzurechnen:
a) Zeiten, die der Arbeitslosenversicherungspflicht unterlagen, sowie sonstige Zeiten der Versicherung in der Arbeitslosenversicherung;
b) die Zeit des Präsenz- oder Ausbildungs- oder Zivildienstes oder Bezuges von Kinderbetreuungsgeld, wenn innerhalb der für die Anwartschaft maßgeblichen Rahmenfrist mindestens 14 Wochen sonstige Anwartschaftszeiten liegen;
c) Zeiten des Bezuges von Wochengeld oder Krankengeld aus einer Krankenversicherung auf Grund eines arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses;
d) Zeiten einer krankenversicherungspflichtigen Beschäftigung als Lehrling;
e) Zeiten, für die ein Sicherungsbeitrag gemäß § 5d AMPFG in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 148/1998 entrichtet wurde;
f) Zeiten einer gemäß § 1 Abs. 2 lit. e von der Arbeitslosenversicherungspflicht ausgenommenen krankenversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit;
g) Zeiten der Teilnahme an beruflichen Maßnahmen der Rehabilitation, wenn diese nicht ungerechtfertigt vorzeitig beendet wurden, nach Beendigung dieser Maßnahmen.
(5) Ausländische Beschäftigungs- oder Versicherungszeiten sind auf die Anwartschaft anzurechnen, soweit dies durch zwischenstaatliche Abkommen oder internationale Verträge geregelt ist. …
Gemäß Art. 6 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit berücksichtigt der zuständige Träger eines Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften den Erwerb, die Aufrechterhaltung, die Dauer oder das Wiederaufleben des Leistungsanspruchs, die Anwendung bestimmter Rechtsvorschriften oder den Zugang zu bzw. die Befreiung von der Pflichtversicherung, der freiwilligen Versicherung oder der freiwilligen Weiterversicherung von der Zurücklegung von Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten, Zeiten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit oder Wohnzeiten abhängig machen, soweit erforderlich die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegten Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten, Zeiten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit oder Wohnzeiten, als ob es sich um Zeiten handeln würde, die nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften zurückgelegt worden sind.
Gemäß Artikel 12 Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des europäischen Parlaments und des Rates vom 16.09.2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (Durchführungsverordnung) wendet sich der zuständige Träger bei der Anwendung von Art. 6 der Grundverordnung an die Träger der Mitgliedstaaten, deren Rechtsvorschriften für die betroffene Person ebenfalls gegolten haben, um sämtliche Zeiten zu bestimmen, die der Versicherte nach deren Rechtsvorschriften zurückgelegt hat.
3.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:
Im gegenständlichen Fall wurde der angefochtene negative Bescheid damit begründet, dass der Beschwerdeführer nicht genügend anwartschaftsbegründende Zeiten nachweisen konnte, sodass seinem Antrag auf Zuerkennung des Arbeitslosengeldes keine Folge gegeben wird. Die belangte Behörde ging dabei lediglich von 206 arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigungstagen in Österreich aus, ohne auf die im Antrag des Beschwerdeführers behaupteten und durch Arbeitsbescheinigungen belegten Zeiten in Deutschland einzugehen, obwohl in § 14 Abs. 5 AlVG eine diesbezügliche Anrechnung explizit vorgesehen ist.
Die belangte Behörde hätte somit nicht ohne jegliche Ermittlungen hinsichtlich der Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers in Deutschland einen negativen Bescheid erlassen dürfen, sondern hätte sich sogleich an die deutsche Agentur für Arbeit wenden müssen, und zwar um feststellen zu können, ob die Anwartschaft des Beschwerdeführers erfüllt ist.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Voraussetzungen, unter denen das Verwaltungsgericht von der in § 28 Abs. 3 VwGVG festgelegten Befugnis zur Aufhebung und Zurückverweisung Gebrauch machen darf, im Erkenntnis vom 27.01.2016, Ra 2015/08/0171, näher präzisiert:
Danach hat die meritorische Entscheidungspflicht des Verwaltungsgerichts Vorrang und bildet die Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme, deren Inanspruchnahme begründungspflichtig ist und die strikt auf den ihr gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist. Zur Aufhebung und Zurückverweisung ist das Verwaltungsgericht bei "krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken" befugt, was insbesondere dann der Fall ist, wenn die Verwaltungsbehörde "jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen", "lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt" oder "bloß ansatzweise ermittelt" hat oder wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Behörde "Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer ‚Delegierung' der Entscheidung). … Da das AMS die fallbezogen erforderlichen Ermittlungen nicht schon vor Erlassung seiner Bescheide durchgeführt hat und sodann innerhalb der für die Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung offen stehenden Frist nur mehr ansatzweise nachholen konnte, ist das Bundesverwaltungsgericht in jedenfalls nicht unvertretbarer Weise vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGG ausgegangen (vgl. zu diesem bei der einzelfallbezogenen Anwendung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG anzulegenden Maßstab etwa VwGH 8.11.2018, Ra 2018/22/0232, mwN) (vgl. VwGH 21.02.2019, Ra 2019/08/0026).
Die belangte Behörde hat somit nur ansatzweise ermittelt, indem sie lediglich auf die in Österreich erworbenen Versicherungszeiten näher eingegangen ist. Insbesondere ist drauf hinzuweisen, dass die belangte Behörde lange vor Ablauf ihrer sechsmonatigen Entscheidungsfrist entschieden hat. Es lag jedoch sowohl zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung als auch zum Zeitpunkt der Beschwerdevorlage kein ordnungsgemäß überprüfbares Ermittlungsergebnis für die Beurteilung der Anwartschaft vor.
Die Versicherungsbestätigung der deutschen Arbeitsmarktverwaltung ist mittlerweile eingelangt, sodass anhand der nunmehr vorgelegten Unterlagen zu prüfen sein wird, ob die Anwartschaft des Beschwerdeführers erfüllt ist. Für das erkennende Gericht liegt nichtsdestotrotz ein mangelhafter Sachverhalt vor, da im bejahenden Fall zudem die weiteren Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 AlVG geprüft werden müssen und festzustellen sein wird, in welcher Höhe dem Beschwerdeführer ein allfälliger Anspruch zukommt.
Abschließend ist festzuhalten, dass eine weitere Behandlung und anschließende Feststellung des Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit liegt, da bezogen auf die Zurückverweisung an die belangte Behörde und dortige Feststellung der notwendigen Sachverhaltselemente keine Zeitverzögerung oder -ersparnis ersichtlich ist. Des Weiteren haben sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass mit einer Sachentscheidung durch das erkennende Gericht eine erhebliche Kostenersparnis verbunden wäre.
Aufgrund sämtlicher getätigter Schilderungen geht das Bundesverwaltungsgericht von einer unvollständigen Sachverhaltsermittlung aus, sodass der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Rechtssache zur Erlassung eines neuerlichen Bescheides an die belangte Behörde zurückverwiesen wird.
4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung
Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist, oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist.
Da bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben war, konnte die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung sohin gemäß § 24 VwGVG unterbleiben.
Zu B) Zur Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
Schlagworte
Anwartschaft Arbeitslosengeld Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung VersicherungszeitenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:I416.2232989.1.00Im RIS seit
30.11.2020Zuletzt aktualisiert am
30.11.2020