TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/2 W232 2211838-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.10.2020
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Entscheidungsdatum

02.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W232 2211838-1/23E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Simone BÖCKMANN-WINKLER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Mag. Georg BÜRSTMAYR, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.11.2018, Zl. 1098479804-151968626, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 10.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am Tag der Antragstellung fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers nach dem AsylG 2005 statt. Der Beschwerdeführer gab an, am XXXX geboren zu sein. Er gehöre der Volksgruppe der Hazara und der Glaubensrichtung des Islam an. Zu seinem Fluchtgrund befragt, führte der Beschwerdeführer zusammengefasst aus, Afghanistan wegen des Krieges und der Probleme mit ihren landwirtschaftlichen Grundflächen, die sie schon immer gehabt hätten, verlassen zu haben. Die Pashtu hätten wegen der landwirtschaftlichen Grundflächen auf sie geschossen und hätten den Beschwerdeführer ins Bein getroffen, woraufhin er geflohen sei. Wären sie nicht geflohen, wären sie mit Sicherheit getötet worden. Im Falle einer Rückkehr fürchte er getötet zu werden.

3. Am 19.09.2016 langte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Abschlussbericht der Landespolizeidirektion ein. Darin wurde der Beschwerdeführer der Körperverletzung beschuldigt.

4. Bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 15.05.2018 gab der Beschwerdeführer zu seinem Lebenslauf befragt an, dass er in der Provinz Urzugan, Afghanistan, geboren, jedoch seit seinem ca. siebten Lebensjahr im Iran aufhältig gewesen sei. Er sei geschieden und habe einen Sohn. Er sei afghanischer Staatsangehöriger, schiitischer Moslem und gehöre der Volksgruppe der Hazara an. Seine Muttersprache sei Dari und spreche er auch Farsi. Im Iran habe er als Hilfsarbeiter am Bau gearbeitet und habe er auch als Landwirt gearbeitet. Seine wirtschaftliche Situation sei gut gewesen. In Afghanistan hätten sie Besitztümer, Ackerländer, Mandelbäume und ein Haus, das jedoch zur Hälfte zerstört sei. Seine Mutter sei bereits vor zehn Jahren an einer Krankheit verstorben. Sein Vater lebe, ebenso wie seine Geschwister, im Iran. Befragt, ob der Beschwerdeführer jemals in Besitz eines Reisepasses oder einer Tazkira gewesen sei, gab er an, eine Tazkira besessen zu haben, die ihm von den iranischen Behörden jedoch abgenommen worden sei. Über Nachfrage gab er an, dass ihm die Tazkira abgenommen worden sei, da er von der iranischen militärischen Einheit namens „Sepah Quds“ aufgefordert worden sei, in den syrischen Krieg zu ziehen. Nachdem er abgelehnt habe, in den Krieg zu ziehen, hätten sie eine zweiwöchige Frist bekommen, um den Iran zu verlassen und wären sie von den iranischen Behörden nach Afghanistan abgeschoben worden. Im Jahr 2015 sei er 20 Tage lang in Afghanistan aufhältig gewesen, eine Woche habe er in Kabul und die restliche Zeit in seinem Heimatdorf in der Provinz Urzugan verbracht.

Nach Erläuterung des Einvernahmeleiters betreffend Asylausschlussgründe, brachte der Beschwerdeführer vor, einen solchen gesetzt zu haben. Er habe einen Monat lang einer bewaffneten schiitischen Gruppe namens „ XXXX “ im Ort XXXX , in der Provinz Daikundi, unter Zwang dienen müssen. Dazu führte der Beschwerdeführer aus, dass sie, der Beschwerdeführer, sein Vater und sein Bruder, nach Afghanistan zurückgekehrt seien, da ein Nachbar erzählt habe, dass „ XXXX “ und seine Truppe nicht mehr in deren Dorf aufhältig seien und es nunmehr sicher wäre. Sein Vater habe beschlossen, dies zu überprüfen und sei deswegen nach Afghanistan gereist. Dabei sei sein Vater aufgegriffen, als Geisel genommen und für dessen Freilassung 100 Millionen Toman gefordert worden. Nachdem sein Vater nach Bezahlung des Lösegeldes freigekommen sei, wären sie nach XXXX zum Dorfältesten gegangen und hätten diesem den Vorfall mit seinem Vater erzählt. Danach sei die schiitische Gruppe „ XXXX “, die dort aufhältig sei, gekommen. Sein Bruder habe sich noch verstecken können, jedoch hätten sie den Beschwerdeführer und dessen Vater gesehen. Sie hätten dem Beschwerdeführer gesagt, dass er mit ihnen mitkommen müsste und dies nicht seine Entscheidung sei. Er sei drei oder viermal mit einem Kolben eines Gewehres in den Rücken geschlagen und zu deren Lager gebracht worden. Sie hätten gesagt, dass er als Soldat dienen müsste. Im Lager habe er das Hantieren mit einer Waffe gelernt und sei er mit 50 anderen Soldaten nach XXXX geschickt worden, um zu kämpfen. Sie hätten die Schlacht verloren und wären sie wieder in das Lager zurückgekehrt. Der Beschwerdeführer wäre gemeinsam mit einem Freund aus dem Lager geflohen, wobei sie nicht verfolgt worden seien. Sie wären in XXXX angekommen, hätten dort ein Taxi angehalten, das sie nach Kabul gebracht habe. Im Gegenzug hätten sie dem Taxifahrer deren Waffen gegeben.

Dezidiert zum Fluchtgrund befragt, gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass sie in Afghanistan sehr viele Ackerländer hätten. Ein gewisser „ XXXX “, der ein sunnitischer Rebellenführer gewesen sei, sei zu ihnen gekommen und habe zu ihnen gesagt, dass die Ackerländer ihm gehören würden und wäre es zu einer Auseinandersetzung gekommen, weshalb sie Afghanistan verlassen hätten. Zu diesem Zeitpunkt sei der Beschwerdeführer ungefähr sieben Jahre alt gewesen. Im Iran habe er als Hilfsarbeiter am Bau und als Landwirt gearbeitet und sei er, sein Vater, sein Bruder und dessen Familie nach 23-jährigem Aufenthalt im Iran nach Afghanistan abgeschoben worden. Bei der Beschaffung der Dokumente sei er in seinem Dorf von Männern der Truppe des „ XXXX “ angegriffen und am Bein verletzt worden. Daraufhin sei er wieder in den Iran zurückgekehrt und in einem Krankenhaus in Teheran behandelt worden. Im Krankenhaus wäre er von der militärischen Einheit „ XXXX “ besucht worden und habe er sich dazu verpflichten sollen, für den Iran in Syrien zu kämpfen. Im Gegenzug habe man ihm die Kostenübernahme für seine Operation in Aussicht gestellt. Er habe zugestimmt, sei im Krankenhaus in Teheran operiert worden und habe folglich einen grünen Passierschein erhalten. Letztlich habe der Beschwerdeführer festgestellt, dass es besser wäre, wenn er nach Finnland zu seinem Freund gehen würden. Seine damalige Ehefrau wäre nicht abgeneigt gewesen nach Europa mitzukommen, jedoch sei der Schwiegervater dagegen gewesen und habe es nicht erlaubt. Der Beschwerdeführer habe sich zehn Tage vor seiner Ausreise aus dem Iran scheiden lassen. Seine Ex-Frau und sein Sohn würden nach wie vor im Iran leben.

Der Beschwerdeführer legte Unterlagen zur Integration in Österreich, darunter diverse Kurs- und Teilnahmebestätigungen, Empfehlungsschreiben sowie die Übersetzung eines Schriftstückes aus dem Persischen eines iranischen Passierscheines, wonach dem Beschwerdeführer eine Genehmigung erteilt wurde zur Zurücklegung einer innerstaatlichen Strecke für ausländische Staatsangehörige, ausgestellt durch den Generaldirektor des Büros für Angelegenheiten von ausländischen Staatsangehörigen und Migranten der Provinz, vor.

5. Aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl betreffend seinen Aufenthalt bei der bewaffneten schiitischen Gruppierung „ XXXX bzw. XXXX “, wurde gegen den Beschwerdeführer ein Ermittlungsverfahren wegen der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung gem. § 278b ff StGB eingeleitet und der Beschwerdeführer am 19.07.2018 vor dem Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung als Beschuldigter vernommen.

6. Mit Eingabe vom 22.10.2018 wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen darüber informiert, dass sich der Tatverdacht nicht erhärtet habe. Betreffend „ XXXX “ liege laut UN-Liste keine Einstufung als terroristische Vereinigung vor. Auch „ XXXX “ könne nicht als terroristische Gruppe bezeichnet werden. Die Staatsanwaltschaft XXXX habe das Ermittlungsverfahren wegen § 278b StGB eingestellt und würden die Ermittlungen als abgeschlossen gelten.

7. Mit Verständigung der Staatsanwaltschaft XXXX vom 09.11.2018 wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl über die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen den Beschwerdeführer gemäß § 278b StGB informiert.

8. Mit Bescheid vom 28.11.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt III.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt V.).

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zusammengefasst aus, dass nicht habe festgestellt werden können, dass dem Beschwerdeführer unter Zugrundelegung seines Vorbringens in Afghanistan Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten drohen würde. Der Beschwerdeführer habe Afghanistan gemeinsam mit seinen Eltern und seinen Geschwistern im Alter von ca. sieben Jahren verlassen und ab diesem Zeitpunkt im Iran gelebt. Der Grund dafür sei, dass, laut den Angaben des Vaters des Beschwerdeführers, der Dorfbewohner „ XXXX “ die Ackerländer seiner Familie für sich beanspruchen habe wollen. Im Iran habe der Beschwerdeführer als Hilfsarbeiter am Bau und als Landwirt gearbeitet. Im Jahr 2015 sei er von den iranischen Behörden nach Afghanistan abgeschoben worden, wo er ca. 20 Tage in seinem Heimatland gelebt habe, um in weiterer Folge wiederum in den Iran zu reisen. Während seines zwanzigtägigen Aufenthaltes in Afghanistan und der Beschaffung seiner Dokumente sei der Beschwerdeführer in seinem Dorf von Männern der Truppe des „ XXXX “ angegriffen und am Bein verletzt worden. Er sei wieder in den Iran zurück und in einem Krankenhaus in Teheran behandelt worden. Im Krankenhaus sei er von der militärischen Einheit „ XXXX “ besucht worden und hätte sich der Beschwerdeführer dazu verpflichten sollen für den Iran in Syrien zu kämpfen, da ihm ansonsten wieder die Abschiebung nach Afghanistan drohen würde. Dort habe er ungefähr weitere eineinhalb Monate verbracht, um danach nach Europa zu reisen. Sein Vater und seine Geschwister würden nach wie vor im Iran leben und drohe ihnen die Abschiebung nach Afghanistan. Seine Mutter sei verstorben. Dieses Vorbringen und auch die vom Beschwerdeführer geltend gemachten fluchtbegründenden Umstände, die sich vor ca. sechs oder sieben Jahren in Afghanistan ereignet hätten, seine „widerwillige Einziehung“ zu einer bewaffneten schiitischen Gruppe und deren Kampf gegen die Taliban, seien nicht fähig, eine asylrelevante Bedrohung in Afghanistan zu begründen, da das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in seinem Fall weder eine Verfolgung, die von einer staatlichen Behörde ausgehe, noch eine dem Herkunftsstaat zurechenbare Verfolgung erkennen könne, zumal der Beschwerdeführer selbst die Frage, ob er mit irgendeiner staatlichen Seite Afghanistans Probleme gehabt habe, verneint habe. Bei der vom Beschwerdeführer geltend gemachten Bedrohung seitens krimineller Drittpersonen könne die Behörde nur von einer Verfolgung durch Privatpersonen ausgehen. Die Vorkommnisse im Iran seien insofern nicht entscheidungsmaßgeblich, als bei der Prüfung des Vorliegens einer asylrechtlich relevanten wohlbegründeten Furcht auf den Herkunftsstaat Afghanistan abzustellen sei. Der Beschwerdeführer habe nie einer politischen Partei oder einer parteiähnlichen Organisation angehört, keine Probleme mit den staatlichen Behörden, der Polizei, dem Militär, Gericht oder der Polizei gehabt. Er habe keine Verfolgung, unmenschliche Behandlung oder die Todesstrafe durch seinen Herkunftsstaat geltend gemacht. Eine staatliche Verfolgung habe er bei seiner Einvernahme definitiv ausgeschlossen. Im Verfahren gebe es selbst bei Wahrunterstellung keinen konkreten Anhaltspunkt dahingehend, warum der Beschwerdeführer nicht durch die Begründung eines Wohnsitzes in einem anderen Teil Afghanistans der behaupteten Verfolgung hätte entgehen können. Das Vorliegen einer subjektiven Furcht von kriminellen Drittpersonen auch in einem anderen Teil Afghanistans gefunden zu werden, reiche unter Berücksichtigung der derzeitigen Lage in Afghanistan und den konkreten Lebensumständen des Beschwerdeführers jedenfalls nicht aus, um eine innerstaatliche Fluchtalternative von vornherein gänzlich auszuschließen. Es wäre ihm die Möglichkeit offen gestanden, in einer der zahlreichen Millionenstädte Afghanistans, in denen seine Anonymität gewährt bleiben würde, Aufenthalt zu nehmen, um seinen behaupteten Problemen zu entgehen. Daher sei davon auszugehen, dass im Fall der Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen drohe. Bei einer Gesamtschau könne beim Beschwerdeführer nicht davon ausgegangen werden, dass er im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan gegenwärtig einer spürbar stärkeren, besonderen Gefährdung in Afghanistan ausgesetzt wäre. Somit könne unter Gesamtbetrachtung aller angeführten Umstände nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan Gefahr in einem derartigen Ausmaß drohe, dass diese die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würde. Es sei nicht davon auszugehen, dass er in eine ausweglose Lage geraten werde.

9. Gegen den genannten Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seinen Vertreter mit Schriftsatz, eingelangt am 20.12.2018, Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. In der Beschwerde wurde zunächst der Sachverhalt wiederholt. Im Wesentlichen wurde ausgeführt, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers asylrelevant sei. Weiters wurde das mangelhafte Ermittlungsverfahren gerügt und hinsichtlich der Länderfeststellungen bemängelt, dass die Behörde ohne weitere Überprüfung der allgemein prekären Sicherheitslage die Ansicht vertrete, dass eine Ansiedelung in den Städten Kabul, Mazar-e Sharif, Jalalabad und Herat, unter Hinweis auf die in diesen Städten vorhandenen zivilen internationalen Flughäfen, möglich wäre. Zudem wurde auf seine bereits getätigten Ausführungen, dass er moslemisch-schiitische Glaubens sei und der Volkgruppe der Hazara angehöre, hingewiesen und ins Treffen geführt, dass nicht auszuschließen sei, dass er als Schiite und Hazara in Afghanistan konfessionell motivierter Gewalt von militanten Islamisten ausgesetzt sei. Entgegen der Ansicht der Behörde sei der afghanische Staat nicht in der Lage und unter Umständen auch nicht gewillt, seine Staatsbürger entsprechend zu schützen. Nicht nachvollziehbar sei der Schluss der Behörde, dass ein Leben in Afghanistan trotz der angespannten Sicherheitslage möglich wäre. Ferner verfüge der Beschwerdeführer in Afghanistan über keinerlei familiäre Anknüpfungspunkte, da er im Alter von sechs oder sieben Jahren in den Iran geflohen sei. Seine gesamte Familie lebe nach wie vor im Iran und habe der Beschwerdeführer keinen Bezug zu Afghanistan, weshalb er mangels Familienanschluss und der Selbsterhaltungskosten bezüglich Lebenserhaltungskosten und Wohnungsmiete in eine massive existenzielle Notlage gebracht würde. Falls seinem Vorbringen nicht Asylrelevanz zugebilligt werden könne, hätte ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werden müssen, weil im Fall einer Abschiebung nach Afghanistan aufgrund der geschilderten Gefahr und der bekannten prekären Lage eine reale Verletzung gem. Art 2 und Art 3 EMRK drohen würde. Im Rahmen der Beschwerde übermittelte der Beschwerdeführer eine Chronologie seines Lebenslaufes.

10. Mit Eingabe vom 14.06.2019 wurde durch den Beschwerdeführervertreter eine Beschwerdeergänzung sowie Unterlagen darunter die Kopie einer Heiratsurkunde, einer Scheidungsurkunde und der Geburtsurkunde des Sohnes des Beschwerdeführers in Vorlage gebracht. Zudem wurde darauf hingewiesen, dass es im Jahr 2015 im Zuge seiner Abschiebung vom Iran nach Afghanistan während seines zwanzigtätigen Aufenthaltes in Afghanistan zu einem Zusammenstoß mit den bewaffneten Kämpfern von „ XXXX “ gekommen sei. Bei „ XXXX “ handle es sich um einen sunnitischen Rebellenführer und Widersacher der Familie des Beschwerdeführers, der mit den Taliban zusammenarbeiten würde und der für die ursprüngliche Ausreise des Beschwerdeführers und seiner Familie verantwortlich gewesen sei. Bei dem bewaffneten Zusammenstoß mit den Kämpfern von „ XXXX “, der sich kurz vor der Flucht des Beschwerdeführers ereignet habe, sei der Beschwerdeführer am Oberschenkel angeschossen worden. Dabei sei durch die Behörde außer Acht gelassen worden, dass der „ XXXX “ die Taliban unterstütze bzw. mit diesen assoziiert werde. Die vom Beschwerdeführer behaupteten Nähe des „ XXXX “ zu den Taliban komme für die Frage der Asylgewährung eine wesentliche Bedeutung zu und wurde in dies Zusammenhang die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt. Zum Ermittlungsverfahren des Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung wurde darauf hingewiesen, dass dieses eingestellt wurde, da der Sachverständige abschließend zur Einschätzung gekommen sei, dass es sich bei der Gruppe „ XXXX “ um eine regierungstreue Miliz handle, weshalb man nicht von einer terroristischen Gruppe ausgehen könne. Des Weiteren würde das Protokoll der Einvernahme nicht alle Umstände der Befragung widergeben. So wäre es während der Befragung zu regelmäßigen Unterbrechungen gekommen und der Beschwerdeführer bei seinen Ausführungen unterbrochen worden. Aufgrund der groben Mängel bei der Protokollierung und aufgrund der Tatsache, dass der Beschwerdeführer vom Organwalter unter Druck gesetzt worden sei, das Protokoll zu unterfertigen, obwohl er den Organwalter auf bestehende Unrichtigkeiten hingewiesen habe, liefere diese Niederschrift nicht den vollen Beweis im Sinne des § 15 AVG. Im Zuge der Stellungnahme wurde Unterlagen, darunter Kopien ohne Übersetzung, sowie ein Zeugnis zur Integrationsprüfung A2 und eine Benachrichtigung der Staatsanwaltschaft XXXX vom 09.11.2018 in Vorlage gebracht.

11. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 08.01.2020 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Dari eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen, seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat sowie zu seiner Integration befragt wurde. Zu den ins Verfahren genommenen Länderberichten merkte die rechtsfreundliche Vertretung des Beschwerdeführers an, dass das erstattete Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers vor dem Hintergrund der Länderberichte plausibel sei und sich mit diesen Informationen decke. Zudem wurde auf den aktuellen EASO-Sicherheitsbericht von 2019 verwiesen, in welchem zur Herkunftsprovinz Uruzgan ausgeführt werde, dass der Konflikt zwischen den Paschtunen und den Hazara seit mehreren Jahrzenten bestehe, es immer wieder aber zu mehr oder weniger stabilen Waffenstillständen gekommen sei und die Hazara teilweise in Selbstverwaltung leben könnten. Weiters wurde vorgebracht, dass der Konflikt mit „ XXXX “ einen ethnischen und religiösen Hintergrund habe, wobei es, wie so oft in Afghanistan, auch um Land gehe. Zwischen der ursprünglichen Flucht der Familie und dem letzten Vorfall im Jahr 2015 seien mehr als 20 Jahre vergangen. Es könne als notorisch vorausgesetzt werden, dass Konflikte innerhalb der Volksgruppen oft über Generationen hinweggeführt würden, wie etwa bei Blutrache. Es sei daher keineswegs unplausibel, dass der Beschwerdeführer und seine Familie nach wie vor von Verfolgung betroffen seien. Dass der Beschwerdeführer 2015 erneut attackiert worden sei, zeige auch auf, dass ein erhebliches Interesse an seiner Verfolgung bestehe.

Vorgelegt vom Beschwerdeführer und als Beilagen ./A-./D zum Akt genommen wurden Unterlagen zu seiner Integration sowie zwei Schreiben betreffend die Gruppierung „ XXXX “ und ein Bericht von European Asylum Support Office von April 2019 „Afghanistan Key socio-economic indicators“.

12. Am 09.01.2020 wurden weitere Unterlagen, darunter ein Zeugnis zur Integrationsprüfung A2 sowie medizinische Befunde in Vorlage gebracht.

13. In der Stellungnahme vom 06.05.2020 wurde durch den Beschwerdeführervertreter vorgebracht, dass sich die Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers seit der mündlichen Verhandlung wesentlich verändert habe. Hierzu wurde insbesondere auf das Truppenabzugsabkommen zwischen Taliban und den USA vom 28.02.2020 hingewiesen und dazu ausgeführt, dass auf absehbare Zeit davon auszugehen sei, dass die Taliban in Afghanistan nicht nur weitere militärische Erfolge erzielen, sondern eine Beteiligung an den Regierungsgeschäften durchsetzen würden, womit aber die Grundlage für die oben erwähnte Annahme „sicherer Gebiete“ für Rückkehrer wegfiele, insbesondere für jene wie der Beschwerdeführer, die Afghanistan aufgrund einer Verfolgung durch die Taliban verlassen hätten müssen. Des Weiteren wurde die Ausbreitung des sogenannten Corona-Virus im Hinblick auf die Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative ins Treffen geführt und gefolgert, dass deren Existenz, unabhängig von der Relevanz – etwa im Fall einer angenommenen Verfolgung durch die Taliban – von der Corona Pandemie, betroffen sei. Aufgrund der Covid-19 Pandemie könne nicht ohne weiteres prognostiziert werden, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr nach Herat oder Mazar-e Sharif in der Lage sei seine Existenz durch Erwerbsarbeit zu bestreiten.

14. Mit Parteiengehör vom 12.05.2020 wurde der Beschwerdeführervertreter vom Ergebnis der von Seiten des Bundesverwaltungsgerichtes eingeholten Anfrage an die Staatendokumentation informiert. Zu der übermittelten Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 30.01.2020 wurde dem Beschwerdeführer die Möglichkeit eine diesbezügliche Stellungnahme abzugeben, eingeräumt.

15. Mit Parteiengehör vom 25.05.2020 wurde der Beschwerdeführervertreter vom Ergebnis der weiteren Beweisaufnahme zur aktuellen Lage in Afghanistan, wonach die Erkenntnisquellen zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers mit dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Afghanistan mit 18.05.2020 teilaktualisiert worden seien, verständigt. Dem Beschwerdeführer wurde die Möglichkeit eine diesbezügliche Stellungnahme innerhalb von zwei Wochen abzugeben, eingeräumt.

16. In der Stellungnahme des Beschwerdeführervertreters vom 08.06.2020 verwies dieser im Hinblick auf die Anfragebeantwortung vom 30.01.2020 auf die Stellungnahme vom 14.06.2019 und die vorgelegte Benachrichtigung der Staatsanwaltschaft XXXX . Des Weiteren wurde ein Schriftstück als Beweis in Vorlage gebracht, wonach die Gruppe „ XXXX “ weiterhin aktiv sein soll. Da es im Operationsgebiet dieser Gruppe keine Regierungspräsenz gebe, sei die Gruppe allerdings in der Zwischenzeit als „illegale bewaffnete Gruppe“ einzustufen. Darüber hinaus wurde zum Länderinformationsblatt Stellung genommen und vorgebracht, dass aufgrund von COVID-19 eine Rückkehr sowie die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative aufgrund der dadurch eingeschränkten Bewegungsfreiheit die Möglichkeit, sich durch eigene Erwerbsarbeit die Existenz zu sichern und eine adäquate Behausung zu finden aufgrund der hohen Zahl an Covid-19 bedingten Rückkehrern und der drastischen Einschränkungen im öffentlichen Leben, nicht mehr gegeben sei. Der Beschwerdeführer wäre sohin für den Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan nicht nur von einem lebensbedrohlichen Virus akut bedroht, sondern auch davon, nicht nur in relative Armut, sondern in absolutes Elend zu gelangen, und zwar ohne mittelfristige Möglichkeit, sich durch eigenes Handeln daraus zu befreien.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten, der eingebrachten Stellungnahmen, der eingeholten Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister und Strafregister werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person und zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und ist am XXXX geboren. Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Hazara an und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam.

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellte am 10.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan geboren. Er stammt aus der Provinz Urzugan und ist im Alter von etwa sieben Jahren gemeinsam mit seiner Familie in den Iran verzogen. Der Beschwerdeführer ist geschieden und hat einen Sohn, der gemeinsam mit seiner Ex-Ehefrau im Iran lebt. Sein Vater sowie seine Geschwister, zwei Brüder und vier Schwestern sind ebenfalls im Iran aufhältig. Der Beschwerdeführer steht mit seinem Sohn in Kontakt.

Der Beschwerdeführer spricht Dari und ein wenig Deutsch. Er verfügt über Arbeitserfahrung, er war als Bauarbeiter und in der Ladwirtschaft tätig und hat sein eigenes Einkommen erwirtschaftet. Auch seine Geschwister und sein Vater sind allesamt berufstätig. In Afghanistan verfügt die Familie des Beschwerdeführers über landwirtschaftliche Besitztümer und ein Haus, das zur Hälfte zerstört, jedoch bewohnbar ist.

Der Beschwerdeführer ist gesund.

Der Beschwerdeführer befindet sich in der Grundversorgung, er ist nicht erwerbstätig. Der Beschwerdeführer hat während seines Aufenthaltes Deutschkurse, darunter A1, A2, besucht und die Integrationsprüfung Sprachkompetenz, Werte- und Orientierungswissen A2 positiv absolviert. Zudem wurden ihm die Teilnahme an kulturellen, integrativen und Weiterbildungsveranstaltungen bestätigt. Der Beschwerdeführer war gelegentlich beim Roten Kreuz, als Reinigungskraft im Zuge verschiedener Veranstaltungen aktiv. Derzeit leistet er ehrenamtliche Tätigkeiten in einem Altersheim. Der Beschwerdeführer ist weder Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation. In Österreich verfügt er über einen Bekanntenkreis. Er hat bis auf einen Neffen, der Sohn seiner Halbschwester, keine Verwandten im Bundesgebiet.

Mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 21.02.2017, rechtskräftig seit 27.02.2017, GZ 026 HV 3/2017x, wurde der Beschwerdeführer wegen § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 60 Tagen zu je 8,00 EUR (400,00 EUR) verurteilt.

Es kann in Bezug auf das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden, dass dieser in Afghanistan aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt wurde. Im Fall der Rückkehr nach Afghanistan ist der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie immer gearteten Verfolgung ausgesetzt.

Es kann nicht festgestellt werden, dass konkret der Beschwerdeführer als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara bzw. dass jeder Angehörige der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan psychischer und/oder physischer Gewalt aus asylrelevanten Gründen ausgesetzt wäre bzw. eine solche im Falle seiner Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten hätte.

Weiters kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer auf Grund der Tatsache, dass er sich zuletzt in Europa aufgehalten hat bzw. dass er als afghanischer Staatsangehöriger, der aus Europa nach Afghanistan zurückkehrt, deshalb in Afghanistan Verfolgung ausgesetzt wäre. Die kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates sind dem Beschwerdeführer bekannt.

Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Urzugan in Afghanistan ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in der Stadt Mazar-e Sharif bestünde für den Beschwerdeführer nicht ein so hohes Maß an willkürlicher Gewalt, dass er allein durch seine Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften, individuellen Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt zu sein.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Aufgrund der im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen:

1.2.1.  Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019, zuletzt aktualisiert am 18.05.2020 (Schreibfehler teilweise korrigiert):

Länderspezifische Anmerkungen

COVID-19:

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wie-dergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.4.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.4.2020). COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.4.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (DW 22.4.2020).

Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.4.2020). Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen (WP 20.4.2020). Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar (TN 30.3.2020) und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (TN 7.4.2020a).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.4.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil (AnA 21.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an CO-VID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei (ARZ KBL 7.5.2020). Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung (AnA 21.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten (BBC 9.4.2020) und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung (TN 8.4.2020; vgl. DW 22.4.2020; QA 16.4.2020). 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten (DW 22.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (ARZ KBL 7.5.2020).

Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Be-schaffungsprozessen (TN 7.4.2020b). Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medi-kamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden (NYT 22.4.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert (TN 7.4.2020b). In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (BBC 9.4.2020; vgl. TN 8.4.2020).

Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung

Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt (WP 20.4.2020), wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar (TG 1.4.2020a). Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt (WP 20.4.2020). Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (TN 9.4.2020a).

Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (WP 22.4.2020): Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen (TG 1.4.2020). Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.4.2020).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH) (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise (WHO MIT 10.5.2020): 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020).

Taliban und COVID-19

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte (TN 2.4.2020; vgl. TD 2.4.2020). In der nördlichen Provinz Kunduz, hätten die Taliban eine Gesundheitskommision gegründet, die direkt in den Gemeinden das öffentliche Bewusstsein hinsichtlich des Virus stärkt. Auch sollen Quarantänezentren eingerichtet worden sein, in denen COVID-19-Verdachtsfälle untergebracht wurden. Die Taliban hätten sowohl Schutzhandschuhe, als auch Masken und Broschüren verteilt; auch würden sie jene, die aus anderen Gebieten kommen, auf COVID-19 testen (TD 2.4.2020). Auch in anderen Gebieten des Landes, wie in Baghlan, wird die Bevölkerung im Rahmen einer Informationsveranstaltung in der Moschee über COVID-19 informiert. Wie in der Provinz Kunduz, versorgen die Taliban die Menschen mit (Schutz)material, helfen Entwicklungshelfern dabei zu jenen zu gelangen, die in Taliban kontrollierten Gebieten leben und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen, an (UD 13.3.2020).

Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (NZZ 7.4.2020).

Aktuelle Informationen zu Rückkehrprojekten

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Län-der tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (IOM AUT 18.5.2020).

IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:

•        Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)

•        Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten) (IOM AUT 18.5.2020).

Das Projekt RESTART III – Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan“ wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden (IOM AUT 18.5.2020)

Mit Stand 18.5.2020, sind im laufenden Jahr bereits 19 Projektteilnehmer/innen nach Afghanistan zurückgekehrt. Mit ihnen, als auch mit potenziellen Projektteilnehmer/innen, welche sich noch in Österreich befinden, steht IOM Österreich in Kontakt und bietet Beratung/Information über virtuelle Kommunikationswege an (IOM AUT 18.5.2020).

Informationen von IOM Kabul zufolge, sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 13.5.2020 auch weiter-hin in Afghanistan operativ (IOM KBL 13.5.2020).

Politische Lage Letzte Änderung: 18.5.2020

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019). Die unabhängige afghanische Wahlkommission (Afghanistan’s Independent Election Commission) hat mehr als vier Monate nach der Präsidentschaftswahl in Afghanistan Mohammed Ashraf Ghani zum Sieger erklärt (DW 18.2.2020). Der amtierende Präsident erhielt 50,64% der Stimmen, wie die Kommission verlautbarte (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020; UNGASC 17.3.2020). Da Ghani im ersten Durchgang die Präsidentschaftswahl bereits gewonnen hat, ist keine Stichwahl mehr notwendig (DW 18.2.2020). CEO bzw. Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, kam den Resultaten zufolge auf 39,52% (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020). Die Präsidentenwahl hatte am 28. September stattgefunden. Nach monatelangem, erbittertem Streit um die Richtigkeit von Hunderttausenden von Stimmen waren nur noch 1,8 Millionen Wahlzettel berücksichtigt worden. Hingegen lag die Zahl der registrierten Wähler bei 9,6 Millionen. Afghanistan hat eine geschätzte Bevölkerung von 35 Millionen Einwohnern (DW 18.2.2020).

Wochenlang stritten der amtierende Präsident Ashraf Ghani und sein ehemaliger Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah um die Macht in Kabul und darum wer die Präsidentschaftswahl im vergangenen September gewonnen hatte. Abdullah Abdullah beschuldigte die Wahlbehörden, Ghani begünstigt zu haben, und anerkannte das Resultat nicht (NZZ 20.4.2020). Am 9.3.2020 ließen sich sowohl Ghani als auch Abdullah als Präsident vereidigen (NZZ 20.4.2020; vgl. TN 16.4.2020). Nach monatelanger politischer Krise (DP 17.5.2020; vgl. TN 11.5.2020), einigten sich der afghanische Präsident Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah auf eine Machtteilung: Abdullah wird die Friedensgespräche mit den Taliban leiten und Mitglieder seines Wahlkampfteams werden ins Regierungskabinett aufgenommen (DP 17.5.2020; vgl. BBC 17.5.2020; DW 17.5.2020).

Anm.: Weitere Details zur Machtteilungsvereinbarung sind zum Zeitpunkt der Aktualisierung noch nicht bekannt (Stand: 18.5.2020) und werden zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gegeben (BBC 17.5.2020).

Präsidentschafts- und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).

Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 – mit Ausnahme der Provinz Ghazni – Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt (RFE/RL 20.10.2019).

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen (USDOS 13.3.2019).

Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als „Katastrophe“ und die beiden Wahlkommissionen als „ineffizient“ (AAN 17.5.2019).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004; USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politischprogrammatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Die afghanischen Regierungskräfte und die Amerikaner können die Taliban, die über rund 60 000 Mann verfügen, nicht besiegen. Auch die Islamisten sind nicht stark genug, um die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des TalibanRegimes durch die USA eine Pattsituation (NZZ 20.4.2020). Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet (AJ 7.5.2020; vgl. NPR 6.5.2020) – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Diesem Abkommen zufolge hätten noch vor den für 10.03.2020 angesetzten inneren Friedensgesprächen, von den Taliban bis zu 1.000 Gefangene und von der Regierung 5.000 gefangene Taliban freigelassen werden sollen. Zum einen, verzögern die Unstimmigkeiten zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung über Umfang und Umsetzungstempo des Austauschs, die Gespräche (AJ 7.5.2020) [ Anm.: 800 Taliban-Gefangene entließ die afghanische Regierung, während die Taliban 100 der vereinbarten 1.000 Sicherheitskräfte frei ließen – (NPR 6.5.2020)], Andererseits stocken die Verhandlungen auch aufgrund des innerpolitischen Disputes zwischen Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah, die beide die Präsidentschaft für sich beanspruchten. Die Taliban haben seit dem unterzeichneten Abkommen im Februar mehr als 4.500 Angriffe verübt. Die von dieser Gewalt am stärksten betroffenen Provinzen sind auch jene Provinzen, die am stärksten von COVID-19-Fällen betroffen sind (AJ 7.5.2020). In den innerafghanischen Gesprächen wird es um die künftige Staatsordnung, eine Machtteilung und die Integration der Aufständischen gehen (NZZ 20.4.2020).

Das Abkommen mit den US-Amerikanern

Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen (Stand Ende 2019: rund 6.700 Mann) sollen abgezogen werden. In den ersten 135 Tagen nach der Unterzeichnung werden die US-Amerikaner ihre Truppen in Afghanistan auf 8.600 Mann reduzieren. Der Abzug der ausländischen Truppenangehörigen, von denen die meisten Beratungs- und Ausbildungsfunktionen wahrnehmen, ist abhängig davon, ob die Taliban ihren Teil der Abmachung einhalten. Sie haben im Abkommen zugesichert, terroristischen Gruppierungen wie etwa al-Qaida keine Zuflucht zu gewähren. Die Taliban verpflichteten sich weiter, innerhalb von zehn Tagen nach Unterzeichnung, Gespräche mit einer afghanischen Delegation aufzunehmen (NZZ 20.4.2020; vgl. USDOS 29.2.2020).

Sicherheitslage Letzte Änderung: 22.4.2020

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2019). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Nichtsdestotrotz, hat die afghanische Regierung wichtige Transitrouten verloren (USDOD 12.2019).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten (BBC 1.4.2020). Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und USAmerikanern unterzeichneten Abkommens ist (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020).

Für den Berichtszeitraum 8.11.2019-6.2.2020 verzeichnete die UNAMA 4.907 sicherheitsrelevante Vorfälle – ähnlich dem Vorjahreswert. Die Sicherheitslage blieb nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurden in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die alle samt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen waren in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gingen die Kämpfe in den Wintermonaten – Ende 2019 und Anfang 2020 – zurück (UNGASC 17.3.2020).

Die Sicherheitslage im Jahr 2019 Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans weiterhin schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Der Resolute Support (RS) Mision (seit 2015 die Unterstützungsmission der NATO in Afghanistan) zufolge, waren für das Jahr 2019 29.083 feindlich-initiierte Angriffe landesweit zu verzeichnen. Im Gegensatz waren es im Jahr 2018 27.417 (SIGAR 30.1.2020). Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen – speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen – blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Die UNAMA (Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan) registrierte für das gesamte Jahr 2019 10.392 zivile Opfer, was einem Rückgang von 5% gegenüber 2018 entspricht (UNGASC 17.3.2020). Seit Ende des Jahres 2019 haben Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente erheblich zugenommen. Im September 2019 fanden die afghanischen Präsidentschaftswahlen statt, in diesem Monat wurde auch die höchste Anzahl feindlicher Angriffe eines einzelnen Monats seit Juni 2012 und die höchste Anzahl effektiver feindlicher Angriffe seit Beginn der Aufzeichnung der RSMission im Januar 2010 registriert. Dieses Ausmaß an Gewalt setzte sich auch nach den Präsidentschaftswahlen fort, denn im Oktober 2019 wurde die zweithöchste Anzahl feindlicher Angriffe in einem Monat seit Juli 2013 dokumentiert. Betrachtet man jedoch das Jahr 2019 in dessen Gesamtheit, so waren scheinbar feindliche Angriffe, seit Anfang des Jahres, im Zuge der laufenden Friedensgespräche zurückgegangen. Nichtsdestotrotz führte ein turbulentes letztes Halbjahr zu verstärkten Angriffen feindlicher Elemente von insgesamt 6% und effektiver Angriffe von 4% im Jahr 2019 im Vergleich zu den bereits hohen Werten des Jahres 2018 (SIGAR 30.1.2020).

Zivile Opfer Für das Jahr 2019 registrierte die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) als Folge des bewaffneten Konflikts 10.392 zivile Opfer (3.403 Tote und 6.989 Verletzte), was einen Rückgang um 5% gegenüber dem Vorjahr, aber auch die niedrigste Anzahl an zivilen Opfern seit dem Jahr 2013 bedeutet. Nachdem die Anzahl der durch ISKP verursachten zivilen Opfer zurückgegangen war, konnte ein Rückgang aller zivilen Opfer registriert werden, wenngleich die Anzahl ziviler Opfer speziell durch Taliban und internationale Streitkräfte zugenommen hatte. Im Laufe des Jahres 2019 war das Gewaltniveau erheblichen Schwankungen unterworfen, was auf Erfolge und Misserfolge im Rahmen der Friedensverhandlungen zwischen Taliban und den USAmerikanern zurückzuführen war. In der ersten Jahreshälfte 2019 kam es zu intensiven Luftangriffen durch die internationalen Streitkräfte und Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte – insbesondere der Spezialkräfte des afghanischen Geheimdienstes NDS (National Directorate of Security Special Forces) (UNAMA 2.2020).

Aufgrund der Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte, gab es zur Jahresmitte mehr zivile Opfer durch regierungsfreundliche Truppen als durch regierungsfeindliche Truppen. Das dritte Quartal des Jahres 2019 registrierte die höchste Anzahl an zivilen Opfern seit 2009, was hauptsächlich auf verstärkte Anzahl von Angriffen durch Selbstmordattentäter und IEDs (improvisierte Sprengsätze) der regierungsfeindlichen Seite – insbesondere der Taliban – sowie auf Gewalt in Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen zurückzuführen ist. Das vierte Quartal 2019 verzeichnete, im Vergleich zum Jahr 2018, eine geringere Anzahl an zivilen Opfern; wenngleich sich deren Anzahl durch Luftangriffe, Suchoperationen und IEDs seit dem Jahr 2015 auf einem Rekordniveau befand (UNAMA 2.2020).

(UNAMA 2.2020) Die RS-Mission sammelt ebenfalls Informationen zu zivilen Opfern in Afghanistan, die sich gegenüber der Datensammlung der UNAMA unterscheiden, da die RS-Mission Zugang zu einem breiteren Spektrum an forensischen Daten und Quellen hat. Der RS-Mission zufolge, ist im Jahr 2019 die Anzahl ziviler Opfer in den meisten Provinzen (19 von 34) im Vergleich zum Jahr 2018 gestiegen; auch haben sich die Schwerpunkte verschoben. So verzeichneten die Provinzen Kabul und Nangarhar weiterhin die höchste Anzahl ziviler Opfer. Im letzten Quartal schrieb die RSMission 91% ziviler Opfer regierungsfeindlichen Kräften zu (29% wurden den Taliban zugeschrieben, 11% ISKP, 4% dem Haqqani-Netzwerk und 47% unbekannten Aufständischen). 4% wurden regierungsnahen/-freundlichen Kräften zugeschrieben (3% der ANDSF und 1% den Koalitionskräften), während 5% anderen oder unbekannten Kräften zugeschrieben wurden. Diese Prozentsätze entsprechen in etwa den RS-Opferzahlen für Anfang 2019. Als Hauptursache für zivile Opfer waren weiterhin improvisierte Sprengsätze (43%), gefolgt von direkten (25%) und indirekten Beschüssen (5%) verantwortlich – dies war auch schon zu Beginn des Jahres 2019 der Fall (SIGAR 30.1.2020).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl in den ersten fünf Monaten 2019, als auch im letzten Halbjahr 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 12.2019; vgl. USDOD 6.2019). Das HaqqaniNetzwerk führte von September bis zum Ende des Berichtszeitraums keine HPA in der Hauptstadtregion durch. Die Gesamtzahl der öffentlichkeitswirksamen Angriffe ist sowohl in Kabul als auch im ganzen Land in den letzten anderthalb Jahren stetig zurückgegangen (USDOD 12.2019). Zwischen 1.6.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17) (USDOD 12.2019), landesweit betrug die Zahl 88 (USDOD 12.2019).

Öffentlichkeitswirksame Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente setzten sich im Berichtszeitraum (8.11.2019-6.2.2020) fort: 8 Selbstmordanschläge wurden verzeichnet; im Berichtszeitraum davor (9.8.-7.11.2019) wurden 31 und im Vergleichszeitraum des Vorjahres 12 Selbstmordanschläge verzeichnet. Der Großteil der Anschläge richtetet sich gegen die ANDSF (afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte) und die internationalen Streitkräfte; dazu zählte ein komplexer Angriff der Taliban auf den Militärflughafen Bagram im Dezember 2019. Im Februar 2020 kam es in Provinz Nangarhar zu einem sogenannten „green-on-blue-attack“: der Angreifer trug die Uniform der afghanischen Nationalarmee und eröffnete das Feuer auf internationale Streitkräfte, dabei wurden zwei US-Soldaten und ein Soldat der afghanischen Nationalarmee getötet. Zu einem weiteren Selbstmordanschlag auf eine Militärakademie kam es ebenso im Februar in der Stadt Kabul; bei diesem Angriff wurden mindestens 6 Personen getötet und mehr als 10 verwundet (UNGASC 17.3.2020). Dieser Großangriff beendete mehrere Monate relativer Ruhe in der afghanischen Hauptstadt (DS 11.2.2020; vgl. UNGASC 17.3.2020). Die Taliban setzten auß

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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