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40/01 Verwaltungsverfahrensgesetze außer Finanz- und DienstrechtsverfahrenNorm
B-VG Art18 Abs1Leitsatz
Keine Verfassungswidrigkeit des Wortes "rechtzeitig" in einer Bestimmung des ZustellG betreffend die Hinterlegung eines Dokuments bei Abwesenheit; Möglichkeit, rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis zu erlangen, hinreichend klar bestimmtRechtssatz
Abweisung eines - zulässigen - Eventualantrags des Verwaltungsgerichtes Wien (VGW - LVwG - Gerichtsantrag) auf Aufhebung des Wortes "rechtzeitig" in §17 Abs3 letzter Satz ZustellG idF BGBl I 5/2008.
Zulässigkeit des Eventualantrags, da die behauptete Verfassungswidrigkeit durch die Aufhebung des Begriffs "rechtzeitig" beseitigt würde. Diesfalls würde die Zustellung bei mangelnder Kenntnis vom Zustellvorgang wegen Abwesenheit von der Abgabestelle erst an dem auf die Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte. Da das antragstellende Gericht Bedenken in erster Linie dahingehend hegt, dass nicht klar bestimmbar sei, wann im Fall der Hinterlegung gemäß §17 ZustellG "rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangt" werden konnte und nicht dagegen, dass der Beginn der Beschwerdefrist an den Tag der Zustellung anknüpft, besteht keine untrennbare Einheit zwischen §17 Abs3 letzter Satz ZustellG und §7 Abs4 Z1 VwGVG. Zurückweisung des Hauptantrags auf Aufhebung einer näher bezeichneten Wortfolge in §17 Abs3 letzter Satz ZustellG als zu eng gefasst: Es verbliebe lediglich die ohne den ersten Satzteil sinnentleerte Wendung "doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte." und damit ein sprachlich unverständlicher Torso.
Kein Verstoß gegen Art18 Abs1 B-VG iVm Art83 Abs2 B-VG:
Der VwGH und der OGH haben sich bereits eingehend mit der Frage auseinandergesetzt, unter welchen Voraussetzungen ein Empfänger gemäß §17 Abs3 letzter Satz ZustellG "nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte", und dabei im Wesentlichen zwei Judikaturlinien entwickelt. Dass diese beiden unterschiedlichen Judikaturlinien einander nicht widersprechen, hat der VwGH in VwSlg 19.150 A/2015 dargelegt: Demnach lag in den Fällen, in denen bei bis zu vier Tagen nach Beginn der Abholfrist noch von einer rechtzeitigen Kenntnisnahme von der Hinterlegung ausgegangen wurde, ein Wochenende zwischen Hinterlegungszeitpunkt und Abholung. Hier besteht kein signifikanter Unterschied zu jenem Teil der berufstätigen Bevölkerung, der am Tag der Hinterlegung selbst von der Hinterlegung erfährt und die Sendung - bedingt durch die Berufstätigkeit - erst einige Tage später behebt. Bei einer angenommenen Abholung von bis zu vier Tagen nach Beginn der Abholfrist verblieb in der Regel auch eine angemessene Frist, ein Rechtsmittel einzubringen; in vielen Erkenntnissen wurden und werden daher auch beide Argumentationslinien des VwGH gemeinsam wiedergegeben und dann einzelfallbezogen entschieden, ob die Kenntnisnahme vom Zustellvorgang noch rechtzeitig iSd §17 Abs3 ZustellG erfolgt ist oder nicht.
Um eine umfassende Einzelfallbetrachtung zu ermöglichen, eröffnet die angefochtene Bestimmung einen Spielraum und weist dadurch zwangsläufig gewisse Unschärfen auf - das macht sie, anders als das antragstellende Gericht vermeint, jedoch noch nicht zu unbestimmt. In Anbetracht der angeführten Judikatur vermag der VfGH nicht zu erkennen, dass es dem Einzelnen nicht möglich wäre, sein Verhalten am Gesetz zu orientieren; es ist sohin hinreichend klar geregelt, wann die Zustellung iSd §17 Abs3 letzter Satz ZustellG wirksam wird.
Schlagworte
Zustellung, Rechtsbegriffe unbestimmte, Determinierungsgebot, VfGH / Prüfungsgegenstand, VfGH / Verwerfungsumfang, LegalitätsprinzipEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2020:G222.2020Zuletzt aktualisiert am
06.04.2022