TE Vwgh Erkenntnis 1997/9/16 95/08/0167

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.09.1997
beobachten
merken

Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

ASVG §229 Abs1 Z2 lita;
ASVG §502 Abs4;
AVG §37;
GSVG 1938 §223 Abs1 litd;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der G in L, vertreten durch Böhm-Fädler-Furgler, Rechtsanwältinnen in 1080 Wien, Josefstädter Straße 76, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 13. April 1995, Zl. MA 15-II-B 18/93, betreffend Begünstigung gemäß §§ 500 ff ASVG (mitbeteiligte Partei: Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hinsichtlich der Darstellung des Sachverhaltes auf die Entscheidungsgründe des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 1993, Zl. 91/08/0123, verwiesen. Mit diesem Erkenntnis wurde der Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 3. Juli 1991 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben, da die belangte Behörde zwar das Vorliegen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses der Beschwerdeführerin verneint, konkrete Feststellungen diesbezüglich aber nicht getroffen habe. Die belangte Behörde hätte die Beschwerdeführerin konkret zu den in der Stellungnahme der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt vom 22. Jänner 1990 enthaltenen Behauptungen befragen müssen, damit diese im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht hätte darlegen können, worin die von ihr behaupteten Tätigkeiten konkret bestanden hätten.

Mit dem nunmehr angefochtenen (Ersatz)Bescheid vom 13. April 1995 hat die belangte Behörde den Einspruch der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt vom 13. Juli 1989 betreffend Begünstigung nach den §§ 500 ff ASVG neuerlich als unbegründet abgewiesen und den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt unter Berufung auf § 502 ASVG bestätigt.

Nach der Begründung habe die belangte Behörde die Beschwerdeführerin im Hinblick auf die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofes im Erkenntnis vom 27. April 1993 durch das Österreichische Generalkonsulat in Los Angeles zu den behaupteten Beschäftigungsverhältnissen befragen lassen. Dabei habe die Beschwerdeführerin angegeben, bei Helene Pessl im Dianabad nie voll tätig gewesen zu sein; sie sei nur ca. zwei Tage vor dem Anschluß probeweise beschäftigt gewesen. Sie habe jedoch zwischen 1935 und 1938 im Fleischladen von Salomon Schabes & Sohn gearbeitet. Dabei sei sie aufgrund einer mündlichen Vereinbarung verpflichtet gewesen, während der Öffnungszeiten des Fleischladens anwesend zu sein. Sie sei in erster Linie David Schabes gegenüber weisungsgebunden gewesen, aber auch dessen Bruder Isidor habe Weisungen erteilt. Die Art der Weisungen habe ihre Tätigkeit im Geschäft betroffen und in welcher Art diese zu verrichten gewesen sei, also Verpackung der Ware, Entgegennahme der Bezahlung, Aufräum- und Reinigungsarbeiten etc. Ihre Arbeit sei ständig kontrolliert worden. Bei einem ungenügenden Ergebnis hätte sie ihre Arbeit wiederholen müssen. Sie sei "Mädchen für alles" gewesen. Für ihre Tätigkeit habe sie einen wöchentlichen Lohn von ca. 25 S erhalten.

Nach Wiedergabe der angewendeten gesetzlichen Bestimmungen vertrat die belangte Behörde im wesentlichen die Auffassung, daß es sich bei der von der Beschwerdeführerin geschilderten Tätigkeit als "Ladnerin in einem Fleischladen" unter Berücksichtigung der Bestimmungen des GSVG 1938 nicht um eine Angestelltentätigkeit, sondern um eine Arbeitertätigkeit gehandelt habe. Damit falle aber eine allfällige begünstigte Anrechnung von Versicherungszeiten gemäß § 502 Abs. 1 und 4 ASVG nicht in die Zuständigkeit der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, sondern in die Zuständigkeit der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter. Diese habe jedoch bereits mit Bescheid vom 29. Jänner 1988 die Begünstigung der Beschwerdeführerin mangels Vorliegens einer Vorversicherungszeit rechtskräftig abgelehnt. Dem Einwand der Beschwerdeführerin, sie habe den Bescheid vom 29. Jänner 1988 nicht erhalten, sei entgegenzuhalten, daß der damalige Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 15. November 1988 um neuerliche Zustellung dieses Bescheides ersucht habe. Diesem Ersuchen sei mit Schreiben der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter vom 14. März 1989 entsprochen worden. Mit neuerlichem Schreiben vom 30. Mai 1989 habe der damalige Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin daraufhin die Rechtskraft des (ablehnenden) Begünstigungsbescheides bestätigt. Daraus lasse sich ableiten, daß dem damaligen Rechtsvertreter der Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter vom 29. Jänner 1988 spätestens im April 1989 zugestellt worden sei. Dieser Bescheid sei sohin in Rechtskraft erwachsen. Die Beschwerdeführerin habe in der Pensionsversicherung der Angestellten keinen begünstigungsfähigen Tatbestand aufzuweisen. § 502 Abs. 6 ASVG sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil die Beschwerdeführerin nicht aus Gründen, auf die sie keinen Einfluß gehabt habe, am Erwerb von Beitrags- oder Ersatzzeiten der im § 502 Abs. 6 genannten Art in der Zeit vor der verfolgungsbedingten Auswanderung gehindert gewesen sei, sondern derartige Zeiten nach Vollendung des 15. Lebensjahres am 16. März 1936 hätte zurücklegen können. Sohin sei der Einspruch der Beschwerdeführerin als unbegründet abzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - ebenso wie die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt - eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist ausschließlich die Frage strittig, ob die von der Beschwerdeführerin behauptete Tätigkeit im Fleischgeschäft Salomon Schabes & Sohn als Ersatzzeit gemäß § 229 Abs. 1 Z. 2 ASVG zu beurteilen ist. Die belangte Behörde hat dabei im wesentlichen die Auffassung vertreten, daß es sich bei der geschilderten Tätigkeit um die einer "Ladnerin" in einem Fleischladen gehandelt habe, was unter Berücksichtigung der Bestimmungen des GSVG 1938 keine Angestelltentätigkeit darstelle.

Gemäß § 229 Abs. 1 Z. 2 ASVG gelten als Ersatzzeiten in der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten die vor dem 1. Jänner 1939 und nach Vollendung des 15. Lebensjahres gelegenen Zeiten einer Beschäftigung als Angestellter, während derer nach dem Stande der Vorschriften vom 31. Dezember 1938, abgesehen von der Vorschrift über das Mindestalter von 17 Jahren und der Ausnahme der Lehrlinge von der Versicherungspflicht, die Pflichtversicherung in der Angestellten(Pensions)Versicherung begründet wurde, soweit sie nicht schon als Beitragszeiten zählen.

Nach § 223 Abs. 1 lit. d GSVG 1938, BGBl. Nr. 1, war nach den für die Angestelltenversicherung geltenden Vorschriften dieses Gesetzes versicherungspflichtig (angestelltenversicherungspflichtig) und für die Fälle der Krankheit, der Berufungsunfähigkeit, des Alters und des Todes sowie für die Folgen eines Dienstunfalles versichert (angestelltenversichert), u.a. wer im Inland bei einem oder mehreren Dienstgebern vorwiegend zu Einkaufs-, Verkaufs- und Lagerdiensten, die eine durch das Wesen des Warenumsatzes bedingte Schulung und Wertung voraussetzen, angestellt war.

Die Beschwerdeführerin hat in diesem Zusammenhang auf die Frage 4 ("Waren Sie einem Vorgesetzten gegenüber weisungsgebunden, wem gegenüber; und welcher konkreten Art waren die Ihnen erteilten Weisungen?") vor dem Österreichischen Generalkonsulat folgendes geantwortet: "Ich war in erster Linie David Schabes weisungsgebunden; aber auch sein Bruder, Isidor Schabes, erteilte Weisungen. Die Art der Weisungen betraf meine Tätigkeit im Geschäft und in welcher Art sie zu verrichten sei, also Verpackung der Ware, Entgegennahme der Bezahlung, Aufräum- und Reinigungsarbeiten etc."

Auf die Frage 7 ("Wo hatten Sie bei Ihrer Beschäftigung im Fleischladen von Salomon Schabes & Sohn Ihren Arbeitsplatz und welche Tätigkeiten haben Sie konkret verrichtet?") hat die Beschwerdeführerin folgende Antwort gegeben: "Mädchen für alles, siehe auch Antwort zu Frage 4."

Ob die von der Beschwerdeführerin geschilderte Tätigkeit der Angestelltenversicherungspflicht in der genannten Hinsicht entspricht, kann allerdings nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes aufgrund der wiedergegebenen Angaben nicht eindeutig beurteilt werden. Dazu wäre nämlich eine weitere Befragung der Beschwerdeführerin zur näheren Art und zum Ausmaß ihrer Tätigkeit im genannten Fleischladen erforderlich gewesen, insbesondere darüber, ob von ihr bzw.

- bejahendenfalls - in welchem Ausmaß auch eine Verkaufstätigkeit erfolgt ist und diese gegenüber nichtkaufmännischen Tätigkeiten (wie etwa Verpackung von Waren, Aufräum- und Reinigungsarbeiten) überwogen hat. Nur dadurch hätte in einer der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung zugänglichen Weise geklärt werden können, ob die Verkaufstätigkeit bzw. Kundenbedienung die Höhe kaufmännischer Dienste im Sinne der Lehre und Rechtsprechung zum GSVG erreicht hat (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 20. Dezember 1994, Zl. 94/08/0204, mit Hinweis auf Kerber, Die gewerbliche Sozialversicherung, S. 345 ff).

Abgsehen davon, daß die Beschwerdeführerin in der mit ihr aufgenommenen Niederschrift vor dem Österreichischen Generalkonsulat nie behauptet hat, als "Ladnerin" im Fleischladen von Salomon Schabes & Sohn in Wien gearbeitet zu haben, ist darauf zu verweisen, daß für die Frage der Angestelltenversicherungspflicht nicht etwa die für das Dienstverhältnis gewählte Bezeichnung maßgebend ist, sondern die Art der Dienstleistung (vgl. auch dazu Kerber, aaO, S. 346).

Aufgrund dieser Erwägungen ist das vorliegende Verwaltungsverfahren in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig geblieben, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

Aus Gründen der Verfahrensökonomie wird auf folgendes hingewiesen:

Die Beschwerdeführerin hat im verwaltungsgerichtlichen Verfahren verschiedene Unterlagen vorgelegt, aus denen sich u. a. ergibt, daß sie in dem angeführten Fleischgeschäft (auch) als "Kassierin" tätig gewesen ist (vgl. ihre eidesstaatliche Erklärung gegenüber der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter vom 7. April 1987, ferner die Bestätigung der Edith Witrofsky vom 6. August 1993 sowie die Bestätigung der Vally Eisenlohr vom 6. Juli 1993).

Da im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof die Prüfung des angefochtenen Bescheides gemäß § 41 VwGG ausschließlich aufgrund des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes zu erfolgen hat (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 9. Juni 1982, Zl. 1300/79), durfte der Verwaltungsgerichtshof auf dieses Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht eingehen. Die belangte Behörde wird dieses jedoch im fortzusetzenden Verfahren entsprechend den §§ 37, 39 Abs. 2, 45 Abs. 2, 60 AVG zu berücksichtigen haben. In rechtlicher Hinsicht ist dazu zu bemerken, daß nach der Rechtsprechung der damaligen Gewerbegerichte Dienstleistungen einer Kassierin in einer Fleischhauerei bzw. Fleischbank als unter das Angestelltengesetz fallend beurteilt worden sind (vgl. Arb 3267 und 4487). Nach § 223 Abs. 1 (Schlußsatz) GSVG waren jedenfalls Personen angestelltenversicherungspflichtig und für die angeführten Fälle angestelltenversichert, deren Dienstverhältnis durch das Angestelltengesetz, BGBl. Nr. 292/1921, geregelt war.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Kostenersatz konnte nur in Höhe des pauschalierten Schriftsatzaufwandes (S 12.500,--) zugesprochen werden. Wegen der sachlichen Abgabenfreiheit (vgl. § 110 ASVG) gebührte auch kein Stempelgebührenersatz.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995080167.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten