TE Vwgh Erkenntnis 1988/5/3 88/11/0008

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.05.1988
beobachten
merken

Index

Verwaltungsverfahren - ZustellG
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §13 Abs3
AVG §37
AVG §71 Abs1
ZustG §17 Abs3

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des SD in W, vertreten durch Dr. Michael Stern, Rechtsanwalt in Wien I, Seilerstätte 22, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 18. November 1987, Zl. MA 70-8/376/87, betreffend Zurückweisung einer Vorstellung in einer Angelegenheit des Kraftfahrwesens, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.690,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Mandatsbescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 17. Juni 1987 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung entzogen. Die diesen Bescheid enthaltende Sendung wurde am 23. Juni 1987 beim zuständigen Postamt hinterlegt. Am 9. Juli 1987 überreichte der Beschwerdeführer persönlich eine als „Einspruch“ bezeichnete Eingabe, die sich nach ihrem Inhalt als Vorstellung gegen den eingangs genannten Mandatsbescheid darstellt. Diese Eingabe enthält eingangs folgende Sätze: „Bitte die versäumte Einspruchsfrist entschuldigen zu wollen. Das Versäumnis kann mit einem unaufschiebbaren Aufenthalt in Jugoslawien (Mutter schwer erkrankt) begründet werden.“

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 15. Juli 1987 wurde diese als Vorstellung gewertete Eingabe gemäß § 57 Abs. 2 AVG 1950 als verspätet zurückgewiesen. Dagegen erhob der Beschwerdeführer eine wiederum als „Einspruch“ bezeichnete Berufung. Mit Note der belangten Behörde vom 21. August 1987 wurde die Erstbehörde aufgefordert, über den in der Vorstellung gegen den Mandatsbescheid vom 17. Juni 1987 enthaltenen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abzusprechen. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 8. September 1987 wurde diesem Auftrag Rechnung getragen und der am 9. Juli 1987 bei der Erstbehörde eingelangte Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 71 Abs. 1 und 2 AVG 1950 als verspätet zurückgewiesen. Dieser Bescheid blieb unbekämpft.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 15. Juli 1987 erhobenen Berufung keine Folge gegebenen und der erstinstanzliche Bescheid, soweit er die Zurückweisung der Vorstellung betrifft, bestätigt.

In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die zitierte, die Vorstellung gegen den Mandatsbescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 17. Juni 1987 einleitende Wendung kann entgegen der Ansicht der Behörden des Verwaltungsverfahrens nicht nur so verstanden werden, daß der Beschwerdeführer damit tatsächlich einen Wiedereinsetzungsgrund wegen Versäumung der Vorstellungsfrist geltend machen wollte. Diese Wendung läßt auch die Deutung zu, daß er damit seine Ortsabwesenheit zum Zeitpunkt der Hinterlegung des Mandatsbescheides und die Rechtsunwirksamkeit der Hinterlegung geltend machen wollte und daß er damit die Behauptung der Rechtzeitigkeit der Einbringung dieses Rechtsmittels aufgestellt hat. In der Berufung gegen den Erstbescheid vom 15. Juli 1987 führte er dazu aus: „Betreffend der zu spät eingebrachten Vorstellung habe ich mich bereits in dem Schreiben gerechtfertigt. Ich habe mich vorher sogar noch telefonisch im Verkehrsamt diesbezüglich erkundigt, und mir wurde mitgeteilt, daß die Vorstellung auch noch kurz nachher anerkannt wird, ich diese ihr doch persönlich vorbeibringen müsse“.

Diese Darstellung legt den Schluß nahe, daß ihm seitens der Erstbehörde mitgeteilt wurde, daß die am 9. Juli 1987 erfolgte persönliche Überreichung der Vorstellung noch als rechtzeitig anerkannt werde; dies wäre nur dann zutreffend, wenn der Beschwerdeführer zum Hinterlegungszeitpunkt ortsabwesend gewesen wäre (§ 17 Abs. 3 des Zustellgesetzes).

Es wäre der Behörde oblegen, zu klären, ob die eine oder die andere Deutung seines Vorbringens vorzunehmen gewesen wäre. So hätte sie insbesondere ermitteln müssen, wann der Bfr die den Mandatsbescheid vom 17. Juni 1987 enthaltende Sendung behoben hat. Sie hätte dem sprachlich mehrdeutigen Anliegen des Beschwerdeführers - eines rechtsunkundigen und unvertretenen ausländischen Staatsangehörigen - nicht nur die mögliche Deutung beimessen dürfen.

Bei dem - lediglich in der Sachverhaltsdarstellung enthaltenen, aber doch Inhalt der Beschwerdeausführungen bildenden - Vorbringen über die Ortsabwesenheit zum Hinterlegungszeitpunkt handelt es sich demnach nicht um eine unzulässige Neuerung, wie es die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift vermeint.

Da der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedarf und die belangte Behörde Verfahrensvorschriften außer acht gelassen hat, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.

Wien, 3. Mai 1988

Schlagworte

Pflichten bei Erteilung des Verbesserungsauftrages Erforschung des Parteiwillens Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Parteivorbringen Erforschung des Parteiwillens

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1988:1988110008.X00

Im RIS seit

27.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

27.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten