TE Lvwg Erkenntnis 2020/11/23 LVwG-AV-1115/001-2020

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Veröffentlicht am 23.11.2020
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Entscheidungsdatum

23.11.2020

Norm

ASVG §735 Abs4
ASVG §735 Abs4a
ASVG §735 Abs6

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat durch die Richterin HR Dr. Hagmann über die Beschwerde der A GmbH, in ***, ***, gegen den Bescheid der NÖ Landesregierung vom 25. September 2020, Zl. ***, betreffend Verwaltungsverfahren nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG), zu Recht erkannt:

1.   Die Beschwerde wird abgewiesen. Der Spruch des angefochtenen Bescheides wird dahingehend abgeändert, dass die Anträge der A GmbH auf Erstattung des geleisteten Entgelts, der abzuführenden Steuern und Abgaben sowie der zu entrichtenden Sozialversicherungsbeiträge, Arbeitslosenversicherungsbeiträge und sonstigen Beiträge für die in den Spruchpunkten 2. und 3. genannten Dienstnehmer/innen abgewiesen werden.

2.   Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.

Rechtsgrundlagen:

§ 28 Abs 1 iVm Abs 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG)

§ 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 – VwGG

Entscheidungsgründe:

1. Aus dem vorgelegten Verwaltungsakt ergibt sich in Zusammenschau mit der Beschwerde nachstehender, entscheidungswesentlicher Sachverhalt:

1.1. Die Beschwerdeführerin stellte am 22. Juli 2020 als Dienstgeberin der – der NÖ Landarbeitsordnung unterliegenden – Dienstnehmer/innen B, C und D Anträge auf Erstattung des geleisteten Entgelts sowie der Steuern, Abgaben und Beiträge für COVID-19-Risiko-Freistellung gemäß § 735 Abs 4 ASVG unter Vorlage der entsprechenden Nachweise.

1.2. Mit Bescheid vom 25. September 2020 entschied die belangte Behörde über diese Anträge auf Rechtsgrundlage des § 735 ASVG iVm § 58 AVG 1991. Im Spruchpunkt 1. wurde dem Antrag teilweise stattgegeben und betreffend den Dienstnehmer B, welcher aufgrund eines COVID-19-Risiko-Attestes von der Arbeitsleistungspflicht befreit war, für den Zeitraum 6. Mai 2020 bis 1. Juli 2020 als Ersatz für das geleistete Entgelt, abzuführende Steuern und Abgaben sowie zu entrichtende Sozialversicherungsbeiträge, Arbeitslosenversicherungsbeiträge und sonstige Beiträge ein Betrag in der Höhe von € 1.510,14 gewährt, weiterhin der Antrag für den Zeitraum 16. März 2020 bis 5. Mai 2020 abgewiesen. In den Spruchpunkten 2. und 3. wurden die Anträge auf Erstattung des geleisteten Entgelts, der abzuführenden Steuern und Abgaben sowie der zu entrichtenden Sozialversicherungsbeiträge, Arbeitslosenversicherungsbeiträge und sonstigen Beiträge betreffend die Dienstnehmerin C und den Dienstnehmer D wegen Verspätung zurückgewiesen.

Begründend wurde unter Anführung der rechtlich relevanten Bestimmungen und Hinweis auf die den Anträgen beigefügten Dokumente (COVID-19-Risiko-Attest, Lohnabrechnung) im Wesentlichen zu Spruchpunkt 1. darauf hingewiesen, dass der beantragte Zeitraum 16. März 2020 bis 5. Mai 2020 nicht durch die COVID-19-Risikogruppe-Verordnung gedeckt sei, weshalb für diesen Zeitraum kein Ersatz gebühre. Zum Antrag für die Dienstnehmerin C (Spruchpunkt 2.) sei als Zeitraum der Freistellung, für den Erstattung beantragt werde, 1. April 2020 bis 1. Juni 2020 angegeben worden, für den Dienstnehmer D (Spruchpunkt 3.) 1. April 2020 bis 11. Mai 2020. Gemäß § 735 Abs 4 iVm Abs 4a ASVG sei der Antrag auf Ersatz spätestens sechs Wochen nach dem Ende der Freistellung unter Vorlage der entsprechenden Nachweise beim Land einzubringen. Die sechswöchige Frist für die Einbringung des Antrages für die Dienstnehmerin C habe somit am 13.7.2020 geendet, für den Dienstnehmer D am 22.6.2020. Im Rahmen des der Beschwerdeführerin im behördlichen Verfahren gewährten Parteiengehörs habe diese darauf hingewiesen, dass sie bis zum 10.7.2020 keine korrekte Auskunft darüber erhalten habe, wo sie ihren Antrag einbringen solle. In der Begründung des angefochtenen Bescheides ist weiters ausgeführt, dass, hätte die Beschwerdeführerin unverzüglich nach der korrekten Auskunft den Antrag beim Land eingebracht, dieser noch rechtzeitig eingebracht gewesen wäre. Dieser sei jedoch erst am 22.7.2020 per Mail eingebracht worden und somit nach der sechswöchigen Frist, weshalb die Anträge für die Dienstnehmer C und D zurückzuweisen gewesen wären.

1.3. In der fristgerecht erhobenen Beschwerde wird ausgeführt, die Verspätung der Anträge für die Mitarbeiterinnen C und D beruhe auf der Tatsache, dass die Zuständigkeiten für den Kostenersatz gemäß § 735 ASVG absolut nicht klar gewesen wären. Mit der Veröffentlichung der COVID-19-Risikogruppen Verordnung am 7.5.2020 sei nicht festgelegt worden, wie die Einreichung auf Ersatz vorgenommen werden müsse. Am 26. Juni habe die Beschwerdeführerin erstmals über einen Newsletter der Gesundheitskasse Mitteilung erhalten, dass man ab sofort Kostenrückerstattung für die COVID-19-Risikogruppen beantragen könne. Ende Juni sei der Kontakt mit der belangten Behörde aufgenommen worden. Da die Mitarbeiter/innen der Landarbeitsordnung unterliegen würden, hätte man bereits am Montag, 29.6.2020 eine Anfrage per Mail an das Land Niederösterreich, Abteilung ***, mit der Bitte um Information über eine korrekte Einbringung des Antrages auf Erstattung gestellt. Als Reaktion auf dieses Mail sei am 1.7. 2020 ein Anruf vom Land Niederösterreich, Abteilung ***, erfolgt, mit der Mitteilung, dass diese nicht zuständig sei und man sich an die Österreichische Gesundheitskasse wenden solle. Am 10.7.2020 habe man die Information über die korrekte Einreichung erhalten. Die Mitarbeiterin hätte am Montag, den 13.7. den Antrag einreichen müssen. Die Komplexität des Einreichens verlange, dass dies innerhalb des Unternehmens von einer einzigen Stelle erledigt werde. In einer wirtschaftlich angespannten Zeit, in welcher ein Betrieb so effizient und kostensparend wie möglich arbeiten müsse, werde verlangt, dass man de facto über das Wochenende den Antrag erledige, nachdem von der Veröffentlichung der Verordnung bis zur korrekten Auskunft über zwei Monate vergangen waren. Es werde gebeten, den Spruch nochmals zu überdenken. Zwei der drei Personen seien Lehrlinge mit besonderen Bedürfnissen, wovon einer bereits die Lehre abgeschlossen habe und sich blendend entwickle.

2. Rechtliche Erwägungen

2.1. In der Sache:

2.1.1. Rechtsgrundlagen:

§ 735 ASVG idF BGBl I Nr 31/2020 lautet samt Überschrift (auszugsweise)

„COVID-19-Risiko-Attest

(1) – (3)

[…]

(4) Der Dienstgeber hat Anspruch auf Erstattung des an den Dienstnehmer, die geringfügig beschäftigte Person bzw. den Lehrling zu leistenden Entgelts, der für diesen Zeitraum abzuführenden Steuern und Abgaben sowie der zu entrichtenden Sozialversicherungsbeiträge, Arbeitslosenversicherungsbeiträge und sonstigen Beiträge durch den Krankenversicherungsträger, unabhängig davon, von welcher Stelle diese einzuheben bzw. an welche Stelle diese abzuführen sind. Von diesem Erstattungsanspruch sind politische Parteien und sonstige juristische Personen öffentlichen Rechts, ausgenommen jene, die wesentliche Teile ihrer Kosten über Leistungsentgelte finanzieren und am Wirtschaftsleben teilnehmen, ausgeschlossen. Der Antrag auf Ersatz ist spätestens sechs Wochen nach dem Ende der Freistellung unter Vorlage der entsprechenden Nachweise beim Krankenversicherungsträger einzubringen. Der Bund hat dem Krankenversicherungsträger die daraus resultierenden Aufwendungen aus dem COVID-19 Krisenbewältigungsfonds zu ersetzen.

(4a) Für Dienstnehmer, die den Landarbeitsordnungen der Bundesländer und in Vorarlberg dem Land- und Forstarbeitsgesetz unterliegen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes in Kraft sind, ist Abs. 4 so anzuwenden, dass an die Stelle des Krankenversicherungsträgers das Land tritt.

(5) […]

(6) Mit der Vollziehung dieser Bestimmung ist in Bezug auf Abs. 3 die Bundesministerin für Arbeit, Familie und Jugend im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, im Übrigen der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz alleine betraut. Der Dachverband und der Krankenversicherungsträger sind im übertragenen Wirkungsbereich unter Bindung an die Weisungen dieser obersten Organe tätig. Soweit für Arbeitnehmer nach Art. 11 B-VG die Vollziehung dem Land zukommt, ist die Landesregierung betraut.

Diese gesetzliche Bestimmung ist am 6.5.2020 in Kraft getreten.

Ebenfalls am 6.5.2020 ist die Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz über die Definition der allgemeinen COVID-19-Risikogruppe (COVID-19-Risikogruppe-Verordnung), BGBl II Nr 203/2020 in Kraft getreten. Sie bestimmt in § 3, dass COVID-Risiko-Atteste erstmals mit Wirksamkeit ab diesem Zeitpunkt ausgestellt werden können.

2.1.2.

Das Beschwerdevorbringen richtet sich ausschließlich gegen die Spruchpunkte 2. und 3. des angefochtenen Bescheides. Sache des gegenständlichen Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht ist somit die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung der Anträge in den Spruchpunkten 2. und 3. Das erfordert zunächst eine Prüfung dahingehend, ob die hier versäumte sechswöchige Frist eine verfahrensrechtliche Frist ist oder ob sie dem materiellen Recht zuzurechnen ist.

Die Unterscheidung zwischen materiell- und verfahrensrechtlichen Fristen für Rechtshandlungen der Parteien wird in der Lehre danach getroffen, welcher Natur das dadurch eingeschränkte Recht ist, ob es sich dabei also um ein subjektives materielles oder um ein subjektives formelles Recht (Verfahrensrecht) handelt [vgl Hengstschläger/Leeb, AVG § 32 (Stand 1.1.2014, rdb.at)].

Die Unterscheidung wird auch in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung nicht uneinheitlich beantwortet. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichthofes ist eine materiellrechtliche Frist gegeben, wenn ein materiellrechtlicher Anspruch bei sonstigem Verlust des ihm zugrunde liegenden Rechts geltend gemacht werden muss (vgl VfGH 28.6.2013, B 324/2011). Die Judikatur des Verwaltungsgerichthofes qualifiziert eine für eine Rechtshandlung vorgesehene Zeitspanne als materiellrechtliche Frist, wenn diese Rechtshandlung auf den Eintritt materieller Rechtswirkungen gerichtet ist (vgl VwGH 95/19/0138; 2002/07/0061; 2008/22/0348; 2011/10/0179). Nach der Rechtsprechung des OGH hängt die Frage, ob eine bestimmte Frist dem Verfahrensrecht oder dem materiellen Recht zuzurechnen ist, nicht etwa davon ab, in welcher Rechtsvorschrift sie angeordnet ist, sondern ob an ihre Einhaltung verfahrens- oder materiellrechtliche Folgen geknüpft sind, und stellt auf die Frage ab, welcher Art das Recht ist, das innerhalb der Frist wahrzunehmen ist und bei deren ungenutztem Verstreichen verlorengeht oder schlechthin eine Änderung erfährt (vgl Aichlreiter in RDB Anwaltsblatt 1995, 865, mwH).

Für die Beurteilung der hier relevanten sechswöchigen Frist des § 735 Abs 4 ASVG folgt, dass diese nicht auf prozessuale Rechtswirkungen, sondern die innerhalb der Frist vorgesehene Handlung auf den Eintritt materieller Rechtswirkungen gerichtet ist.

Diese Unterscheidung ist fallbezogen insofern von Relevanz, als mit dieser Zuordnung der Frist die Rechtsfolge einhergeht, dass mit dem Ablauf der Frist der Anspruch verloren gegangen ist, wobei es auf die Gründe der späteren Antragstellung nicht ankommt (vgl VwGH 2008/08/0100), dies selbst im Fall des Fehlens eines Verschuldens an der (irrtümlich) unterlassenen rechtzeitigen Antragstellung (vgl VwGH 2008/08/0183), und verfahrensrechtliche Rechtsbehelfe nicht in Betracht kommen. Der Verwaltungsgerichtshof hat dies ebenfalls in seiner ständigen Rechtsprechung dokumentiert (vgl etwa VwGH 88/11/0157 ua, wonach eine Wiedereinsetzung gegen die Versäumung materiellrechtlicher Fristen nicht zulässig ist).

Fallbezogen bedeutet das daher, dass mit dem Ablauf der sechswöchigen Frist der Anspruch auf Ersatz erloschen ist, woran sämtliche der in der Beschwerde vorgebrachten Gründe nichts zu ändern vermögen. Dennoch sei darauf hingewiesen, dass die Rechtslage ab dem 6. Mai 2020 klar war, insbesondere aus § 735 Abs 4a iVm Abs 4 ASVG klar hervorgeht, dass hinsichtlich der Dienstnehmer, die der (jeweiligen) Landarbeitsordnung unterliegen, der Antrag auf Ersatz beim Land anstelle des Krankenversicherungsträgers einzubringen ist und es schon zu Folge der Eindeutigkeit und Klarheit der gesetzlichen Regelung auf eine – wo und wann immer eingeholte – Auskunft über die zuständige Stelle nicht ankommt. Schließlich kann auch das Vorbringen, den Spruch nochmals zu überdenken, da zwei der drei Personen Lehrlinge mit besonderen Bedürfnissen sind, nicht zum Erfolg führen, weil das Gesetz dazu kein Ermessen einräumt.

Da es sich bei der genannten Frist – wie umfangreich ausgeführt – um eine materiellrechtliche Frist handelt, war der Spruch zu korrigieren und waren die Anträge abzuweisen anstelle zurückzuweisen (vgl VwGH 2000/11/0061).

2.1.3. Zur Nichtdurchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung:

Der entscheidungswesentliche Sachverhalt ist unbestritten und Rechtsfragen sind durch die Rechtsprechung beantwortet. In der Beschwerde werden keine Rechts- oder Tatfragen aufgeworfen, deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte. Ein Antrag auf Durchführung der Verhandlung wurde im Übrigen auch nicht gestellt.

2.2. Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Verfahren keine

Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche

Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung nicht von der

Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche

Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen

Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Schlagworte

Sozialversicherungsrecht; Dienstnehmer; Landarbeitsordnung; Entgelt; Erstattung; COVID-19-Risikogruppe; Dienstgeber; Antrag; Frist;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2020:LVwG.AV.1115.001.2020

Zuletzt aktualisiert am

27.11.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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