Entscheidungsdatum
23.07.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W241 2193426-1/11E
W241 2193423-1/10E
W241 2193425-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HAFNER als Einzelrichter über die Beschwerde von 1.) XXXX , geboren am XXXX , 2.) mj. XXXX geboren am XXXX , gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , 3.) mj. XXXX , geboren am XXXX , gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , alle Staatsangehörigkeit Pakistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.03.2018, Zahlen 1.) 1095084308/151793460, 2.) 1095084602/151793524, 3.) 1095084406/1151783545, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.04.2019, zu Recht:
A)
I. Die Beschwerden gegen Spruchpunkte I. und II. werden gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
II. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG und § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm § 52 Abs. 2 FPG wird den Beschwerden gegen Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide stattgegeben, eine Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan gemäß § 9 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt und XXXX , XXXX und XXXX gemäß §§ 54, 55 und 58 Abs. 2 AsylG der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" erteilt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
1. Verfahrensgang:
1.1. Die Erstbeschwerdeführerin (in der Folge BF1) ist die Mutter der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin (BF2) und des minderjährigen Drittbeschwerdeführers (BF3). Alle sind pakistanische Staatsangehörige. Sie reisten irregulär in Österreich ein und stellten am 17.11.2015 Anträge auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).
1.2. In ihrer Erstbefragung am 17.11.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab die BF1 im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Urdu im Wesentlichen Folgendes an:
Sie stamme aus XXXX in Pakistan, sei sunnitische Muslima und verheiratet. Sie sei mit dem Flugzeug in die Türkei gereist und von dort mit PKWs über ihr unbekannte Länder nach Österreich gelangt.
Als Fluchtgrund gab die BF1 an, dass sie in Pakistan nicht in Sicherheit sei, weder vor ihren Schwiegereltern noch vor ihren Eltern. Ihr Ehemann sei nach der Ehe geflüchtet, sie wisse nicht wohin. Von den Verwandten habe, auch wegen dem Erbe, Gefahr gedroht, es habe auch Drohungen mit dem Entführen der Kinder gegeben. Ihre Geschwister hätten sie auch nicht mehr geduldet und sie sei geschlagen worden. Sie habe aufgrund der Drohungen nicht hinausgehen können. Ihre Kinder seien ständig unter Druck und krank gewesen.
1.3. Bei ihrer Einvernahme am 19.03.2018 vor dem BFA, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Urdu, gab die BF1 betreffend ihr Fluchtvorbringen Folgendes an (Auszug aus dem Einvernahmeprotokoll, Schreibfehler teilweise korrigiert):
"F: Beschreiben Sie bitte ihre Lebensverhältnisse in der Heimat?
A: Als ich von Italien zurückkam nach Pakistan aus Italien die letzten 4 Jahre waren sehr sehr schlimm für mich. Meine Kinder und ich durften nicht aus dem Haus raus denn wir wurden bedroht. Meine Schwiegereltern beschimpften mich und die Kinder auch. Meine Geschwister waren bereits verheiratet, so hatte ich auch nicht sehr viel Unterstützung von meinen Geschwistern.
F: Wann kehrten sie aus Italien zurück nach Pakistan zurück?
A: Ich weiß es nicht genau 20111 bis 2013 anfänglich lebte ich bei meinem Vater im Haus des Vaters. Vater ist schon älter und meine Geschwister wollten mich auch nicht mehr haben. Die Gefahren wurden immer mehr
(...)
Aufforderung: Führen Sie alle Gründe und Vorfälle an, welche Sie zum Verlassen Ihres Heimatlandes veranlasst haben! Sie werden darauf hingewiesen, dass falsche Angaben die Glaubwürdigkeit Ihres Vorbringens beeinträchtigen können. Sollten Sie zu irgendeinem Zeitpunkt vor österreichischen Behörden falsche Angaben gemacht haben oder sollte es zu sonstigen Ungereimtheiten gekommen sein, so werden Sie aufgefordert, dies jetzt bekannt zu geben.
Soweit Sie auf Ereignisse Bezug nehmen, werden Sie auch aufgefordert, den Ort und die Zeit zu nennen, wann diese stattfanden und die Personen zu benennen, die daran beteiligt waren. Warum verließen Sie Ihr Heimatland? Erzählen Sie unter Anführung von Fakten, Daten und Ihnen wichtig scheinenden Ereignissen.
A: Wie ich schon zuvor die Lage erklärt habe, die war sehr sehr schwierig ich und meine Kinder wir wurden immer wieder bedroht. In Pakistan ist es so da kannst du jemanden 10 pakistanische Rupien geben und jemanden anderen umbringen lassen deshalb aus Angst konnten meine Kinder auch nicht regelmäßig zur Schule gehen. Dadurch hatte ich physischen und psychischen Druck.
F: Haben Sie alle Gründe genannt
A: Von den Geschwistern und Eltern meines Ehemannes kamen nicht nur Drohungen, ich wurden auch geschlagen und als wir hier in Europa waren hat mein Mann die Kinder auch geschlagen und sie nicht einmal zum Arzt genommen.
F: Gab es ein fluchtauslösendes Ereignis?
A: Ich bekam immer wieder telefonische Drohungen und eines Tages kam ein Fremder und wollte die Kinder mitnehmen. Er bestand darauf die Kinder mitzunehmen, ich habe meine Kinder nicht mitgeschickt und meine Angst wurde immer größer und größer. Meine Geschwister konnten und wollten auch nicht mehr helfen. Mein Vater hätte uns auch nicht mehr schützen können
F: Wie oft wurden sie bedroht?
A: Sehr oft
F: Wer genau hat sie bedroht?
A: von den Schwiegereltern, Es waren immer verschiedene Stimmern. Meine Geschwister haben es auch nicht mehr ausgehalten.
F: An welchem Datum sollten die Kinder mitgenommen werden bzw. kamen die Fremden Personen?
A: Das Datum kann ich hier nicht genau nennen und die Drohungen haben begonnen als ich ca. 1 Jahr wieder in Pakistan war.
F: Haben Sie Dokumente oder Beweismittel zu ihren Fluchtgründen bzw. Problemen?
A: Nein ich wurde ja immer mit verschiedenen Telefonnummern angerufen und auch mit Privatnummer.
F: Haben Sie alle Fluchtgründe genannt?
A: Ja
F: Hatten Sie ausreichend Zeit ihr Vorbringen dazulegen?
A: Ja
F: Haben Ihre Kinder eigene Fluchtgründe?
A: Die Fluchtgründe meiner Kinder sind, dass der Vater meiner Kinder sich nicht um unsere Kinder gesorgt hat und immer wieder für 1 Monat oder auch manchmal für mehrere Monate untergetaucht ist. Die Kinder sind geschlagen worden. Wo er ist weiß ich nicht, wir sind zwar nicht geschieden aber getrennt. Er hat die Kinder psychisch unter Druck gesetzt, ließ sie nicht zur Schule gehen und auch nicht zum Arzt. Die Kinder hatten auch keine ärztliche Versorgung. In Italien war es sehr sehr schwierig für uns mein Mann hat in Italien die Stromrechnungen und die Miete nicht bezahlt. Der Vermieter ist immer wieder gekommen. Mein Mann hat in der Illegalität gelebt und auch die Nachbarn kamen. Dann hat er auch mit den Nachbarn gestritten, weil sie die Kinder unterstützten.
F: Haben Sie noch Kontakt zum Gatten?
A: Nein er sagt auch wenn ich die Kinder verkaufen will hat er kein Problem damit.
F: Wann war der letzte Kontakt zum Gatten?
A: Damals als er uns zurück nach Pakistan gebracht hat es muss zwischen 2011 und 2013 gewesen sein.
F: Hatten Sie wegen Ihrer Religion in Ihrem Herkunftsstaat je Probleme?
A: Nein, obwohl meine Schwiegereltern Schiiten sind
F: Hatten Sie in Ihrem Herkunftsstaat wegen Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit Probleme?
A: Nein
F: Waren Sie politisch aktiv, oder Parteimitglied?
A: Nein
F: Waren sie jemals in Haft, bzw. gibt es einen Haftbefehl?
A: Nein
F: Gab es jemals ein Strafverfahren gegen Sie? Wenn ja, wann und warum?
A: Nein
F: Hatten Sie je Probleme mit der Polizei oder Behörden, Institutionen, Organisationen, Privatpersonen, Ihres Heimatlandes? Ausgenommen das nunmehr Gesagte!
A: Nein
F: Hätten sie im Falle der Rückkehr die Todesstrafe oder unmenschliche Bestrafung zu befürchten?
A: Nein"
Die BF1 legte folgende Unterlagen vor:
- Deutschzertifikate A1 und A2
- Bestätigungen über die Teilnahme an Deutschkursen
- Vereinbarungen über gemeinnützige Beschäftigung der BF1, Juli und Oktober 2016
. Befund vom 24.10.2016
- Teilnahmebestätigung Tanzkurs BF1
- Bestätigung über freiwillige Mitarbeit beim Roten Kreuz
- Unterlagen zum Schulbesuch der BF2 und des BF3
- medizinische Unterlagen BF3
1.4. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheiden vom 21.03.2018 die Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkte I.), erkannte ihnen gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan nicht zu (Spruchpunkte II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung der BF nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkte III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).
In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person der BF und zur Lage im Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor, das Vorbringen der BF1 sei unglaubhaft. Sie habe keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht und es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Abschiebung der BF nach Pakistan. Im Falle der Rückkehr drohe ihnen keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde.
Die BF erfüllten nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe ihr Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung der BF nach Pakistan. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die die BF bei der Regelung ihrer persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen haben, nicht gegeben seien.
Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass die BF1 bezüglich ihrer behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund ihrer Sprach- und Lokalkenntnisse - im Gegensatz zu ihrem Fluchtvorbringen - glaubwürdig wäre. Die Feststellungen zur Situation in Pakistan wären glaubhaft, weil sie verlässlichen, seriösen, aktuellen und unbedenklichen Quellen entstammten, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei sei.
Ihre Fluchtgeschichte habe die BF1 aufgrund der unsubstantiierten und emotionslosen Schilderung nicht glaubhaft machen können.
Subsidiärer Schutz wurde ihnen nicht zuerkannt, da im Falle einer Rückkehr der BF in ihren Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur GFK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt oder im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes aufgrund der derzeitigen, allgemeinen Lage in Pakistan nicht drohe. Die BF könnten nach ihrer Rückkehr wieder bei ihrer Familie wohnen.
Für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) wurde den BF mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG die ARGE-Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig als Rechtsberater zur Seite gestellt.
1.5. Gegen diesen Bescheid brachten die BF mit Schreiben vom 18.04.2018 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim BVwG ein und beantragten die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung. Begründend wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass der Behörde ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren, eine mangelhafte Beweiswürdigung und inhaltliche Rechtswidrigkeit vorzuwerfen seien.
1.6. Die Beschwerden samt Verwaltungsakten langten am 24.04.2018 beim BVwG ein.
1.7. Das BVwG führte am 08.04.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Urdu durch, zu der die BF im Beisein ihrer gewillkürten Vertreterin und einer Vertrauensperson persönlich erschienen. Die belangte Behörde nahm an der Verhandlung teil.
Dabei legten die BF vor:
? Bestätigung der Wohnsitzgemeinde der BF
? Bestätigung über freiwillige Tätigkeit der BF1 beim Roten Kreuz
? Bestätigungen über die Tätigkeit der BF1 als Reinigungskraft
? diverse Empfehlungsschreiben
? Vereinbarung über gemeinnützige Tätigkeit der BF1, Oktober 2018
? Vereinbarung über gemeinnützige Tätigkeit der BF2, Oktober 2018
? Vereinbarung über gemeinnützige Tätigkeit des BF3, Oktober 2018
? MRT-Befund BF1 vom 25.01.2019
? Schulbesuchsbestätigung BF2
? Schulnachricht BF2
? Schulnachricht BF3
? Jahreszeugnis BF3
Daraufhin gaben die BF auf richterliche Befragung im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus der Verhandlungsschrift):
"RI: Nennen Sie jetzt bitte abschließend und möglichst umfassend alle Gründe, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben bzw. warum Sie nicht mehr in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren können (Fluchtgründe). Nehmen Sie sich dafür nun bitte ausreichend Zeit, alles vorzubringen.
BF1: In meinem Leben ist es nicht sicher in Pakistan. In Italien war es nicht möglich weiterzuleben. Mein Vater hatte nicht genug Geld gehabt, um mich in Italien zu unterstützten, trotzdem hat mein Mann mich immer gestört. Die Polizei hat ihm ein Verbot gegeben, aber er ist trotzdem gekommen und hat meine Ruhe gestört, deswegen bin ich zurück nach Pakistan. Ich dachte in Pakistan könnte ich besser leben, aber es war noch schwieriger. Ich bin eine alleinstehende Frau mit zwei Kindern, meine Schwiegereltern und die Geschwister meines Mannes haben immer unnötige Sachen gegen mich gesagt, es war eine große Schande für mich, ich wurde beschimpft. Sie haben verschiedene Leute zu uns geschickt und die wollten mir meine Kinder wegnehmen.
RI: Wie haben Sie verhindert, dass Ihnen die Kinder weggenommen werden?
BF1: Ich habe nicht ganze Zeit bei meinem Vater gewohnt und habe auch teilweise bei meinen Brüdern und Schwestern gelebt und so konnte ich dem entgehen.
RI: Wenn Sie in der gleichen Stadt bei Ihren Angehörigen leben, kamen diese Leute dann nicht bei Ihren Verwandten nachfragen?
BF1: Sie haben immer Auskunft bei den Nachbarn über mich und meine Kinder eingeholt.
RI: Haben Sie das persönlich miterlebt, haben Sie die Leute gesehen und wenn ja, was haben sie gesagt?
BF1: Sie haben einigen Dorfbewohnern Geld bezahlt, die sind dann zu uns gekommen und wollten die Kinder mitnehmen.
RI: Wie haben Sie das verhindert?
BF1: Ich habe die Kinder versteckt. Sie sind gekommen und haben nach den Kindern gefragt und sind wieder weggegangen. Meine Geschwister und meine Schwägerin haben immer die Tür aufgemacht und diese Leute haben nachgefragt. Sie haben dann gesagt, dass die Kinder nicht hier sind und diese Leute sind dann gegangen.
RI: Haben Sie den Kindern auch gesagt, dass Sie sich verstecken müssen und das Gefahr besteht?
BF1: Ja, ich habe ihnen auch ein Verbot gegeben, das Haus zu verlassen.
RI: Haben Sie während Ihres Aufenthaltes in Pakistan Probleme mit den staatlichen Behörden gehabt?
BF1: Nein.
RI: Hat es außer diesen Belästigungen und Beschimpfungen auch Drohungen gegen Ihr Leben oder Ähnliches gegeben?
BF1: Ja, ich habe einige Male Anrufe bekommen und wurde bedroht, dass sie alle entführen und umbringen werden.
RI: Waren die Angehörigen des Mannes persönlich bei Ihnen, wurden Sie persönlich bedroht?
BF1: Nein.
RI: Warum wollten die Schwiegereltern Ihre Kinder?
BF1: Mein Mann hat mich damals bedroht, dass er die Kinder nicht bei mir lassen werde. Er werde sie verkaufen und er ist eine Art Schlepper in Italien und wurde auch einmal deswegen verhaftet. Er war sechs Monate in Frankreich im Gefängnis.
RI: Was hätten die Schwiegereltern mit den Kindern machen wollen?
BF1: Die Brüder machen auch "linke Sachen" dort für meinen Mann.
RI: Aber wollten die Schwiegereltern die Kinder nur bei sich behalten oder den Kindern auch etwas antun?
BF1: Ja, sie wollten mit den Kindern in Pakistan "linke Sachen" machen.
RI: Waren Sie wegen dieser Drohungen jemals bei der Polizei?
BF1: Nein, die Polizei ist korrupt. Wer mehr Geld zahlt, den unterstützt sie.
RI: Sie haben es also nicht einmal versucht?
BF1: Nein.
RI: Waren diese Bedrohungen durchgehend in diesen vier Jahren?
BF1: Ja.
RI: Hat es ein zeitnahes, ausschlaggebendes Ereignis gegeben oder sind Sie dann einfach auf Grund der vielen Drohungen ausgereist?
BF1: Ich habe oft fremde Leute gesehen, die uns nachgegangen sind, wenn ich die Kinder zur Schule gebracht habe und ich hatte Angst, dort weiter zu leben.
BehV: Ist es nicht in Ihrer Religion so, dass die Ehe automatisch aufgelöst wird, wenn man sechs Monate lang getrennt voneinander lebt?
BF1: Ja, es ist so.
RI: Warum sind Sie dann nicht geschieden?
BF1: Die echte Heiratsurkunde hat mein Mann mitgenommen, nicht ich. Ich habe dort einen Anwalt gehabt und hatte nur eine Kopie der Urkunde, er hat gesagt, er braucht eine echte.
BFV: Sind Sie nach muslimischen Ritus verheiratet oder auch standesamtlich?
BF1: Nur rituell.
BehV: Wie konnten Sie im Jahr 2012 die Reise von Italien nach Pakistan finanzieren?
BF1: Einen Teil hat mir mein Vater gegeben und den zweiten Teil eine Gemeinde dort.
BehV: Warum haben Sie sich nicht woanders in Pakistan niedergelassen?
BF1: Es ist woanders auch nicht sicher, ich habe Angst gehabt.
BehV: Warum haben Sie in Pakistan nicht die Möglichkeit ergriffen, in ein Frauenhaus zu gehen?
BF1: Es ist nicht sicher dort. Das Leben ist nicht sicher dort. Im Frauenhaus hat man große Probleme, ich kann dort als Frau nichts arbeiten.
BFV: Warum sind die Kinder in Italien nicht regelmäßig in die Schule bzw. in den Kindergarten gegangen?
BF1: Mein Mann wollte nicht, dass sie dort in die Schule gehen.
BFV: Könnten Sie Ihre Verwandten bei einer Rückkehr nach Pakistan unterstützen?
BF1: Nein, sie haben mir so lange geholfen, das geht nicht mehr.
RI: Wer hat Ihre Reise für Sie und Ihre Kinder von Pakistan nach Österreich finanziert?
BF1: Ich habe meinen Schmuck verkauft, einen Teil hat der Bruder bezahlt und einen Teil der Vater.
RI: Was würde Ihnen konkret passieren, wenn Sie jetzt wieder in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?
BF1: Mein Leben ist in Gefahr.
Zur Identität und Herkunft sowie zu den persönlichen Lebensumständen:
RI: Lebt ihr in einer dauernden Lebensgemeinschaft?
BF2 und BF3: Nein.
Habt ihr Kontakt zu Angehörigen in Pakistan?
BF2: Ja, mit unserem Großvater und mit unseren Cousins und Cousinen per Internet und Telefon.
RI: Ihr seid in Italien geboren?
BF2 und BF3: Ja, wir haben damals auch Italienisch gelernt, jetzt sprechen wir es nicht mehr so gut.
RI: Habt ihr in Italien eine Schul- oder Berufsausbildung absolviert?
BF2: Wenn unser Vater zuhause war, hat er oft mit unserer Mutter gestritten und sie geschlagen. Manchmal wollte er, dass wir nicht in die Schule gehen, wir sind aber dann doch gegangen.
RI: Wie hat sich der Vater gegenüber euch verhalten?
BF2: Er hat uns geschlagen.
RI: Wann seid ihr nach Pakistan zurückgekehrt?
BF2: Wir waren in der zweiten Klasse Volksschule. Ich war ca. acht oder neun Jahre alt.
BF3: Ich war ca. sechs bis sieben Jahre
RI: Wie war das Leben in Pakistan für euch?
BF2: Wir konnten nur Italienisch Lesen und Schreiben. Urdu konnten wir nur sprechen. Wir haben dort die Schule besucht.
BF3: Wir haben die Schule aber auch nicht regelmäßig besucht. Die Angehörigen unseres Vaters haben uns angerufen und haben uns telefonisch bedroht. Wir sind dann ein oder zwei Wochen nicht in die Schule gegangen.
RI: Könnt ihr jetzt Urdu Lesen und Schreiben?
BF2 und BF3: Nein, nur sprechen.
RI: Wie hat der Alltag in Pakistan ausgesehen?
BF2: Wir waren in der Schule und haben Lesen und Schreiben gelernt.
BF3: Wir haben auch in der Moschee Koran lesen gelernt. Es war aber nicht wirklich eine Moschee, wir haben bei Nachbarn privat den Koran gelesen.
RI: Wer hat für euch gesorgt?
BF2: Unser Großvater.
RI: Wie stellte sich eure finanzielle Situation bzw. die eurer Familie dar?
BF2 und BF3: Wir haben alles bekommen, was wir brauchten.
Zur derzeitigen Situation in Österreich:
RI: Habt ihr in Österreich lebende Familienangehörige oder Verwandte?
BF2 und BF3: Wir haben einen weitschichtigen Verwandten.
RI: Hattet ihr jemals wieder Kontakt mit eurem Vater?
BF2 und BF3: Nein.
RI: Besucht ihr hier eine Schule?
BF2: Ich gehe in eine polytechnische Schule. Ich will nächstes Jahr eine Lehre beginnen, aber ich kann das nicht, deswegen werde ich weiter die Schule besuchen. Ich würde gerne Gastronomiefachfrau oder Friseurin lernen.
BF3: Ich gehe jetzt in die NMS und nächstes Jahr werde ich die polytechnische Schule besuchen, dann fange ich in der Gastronomie eine Lehre an.
RI: Sprecht ihr untereinander nur Urdu?
BF2 und BF3: Wir sprechen gemischt Urdu und Deutsch miteinander. Manchmal auch Englisch.
RI: Habt ihr Freunde und Freundinnen?
BF2 und BF3: Ja, viele in der Schule und auch Nachbarskinder. Wir gehen mit ihnen schwimmen oder in einen Kletterpark.
RI: Besucht ihr in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule, oder seid ihr aktive Mitglieder in einem Verein? Geht ihr sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach?
BF2: Ich spiele in der Schule Volleyball.
BF3: Ich habe Faustball gespielt.
RI: Wurdet ihr in Österreich jemals von einem Gericht wegen einer Straftat verurteilt oder von einer Behörde mit einem Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot belegt?
BF2 und BF3: Nein.
Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:
RI: Habt ihr etwas von den Bedrohungen mitbekommen?
BF3: Ich habe nur einmal den Bruder meines Vaters in Pakistan zufällig gesehen. Er hat in Italien auch bei uns im Haus gewohnt. Er hat mich gesehen, ist dann aber weggegangen. Mit den anderen Verwandten unseres Vaters hatten wir nie Kontakt, wir haben sie auch noch nie gesehen.
RI: Musstet ihr euch verstecken oder wollten euch Leute mitnehmen?
BF3: Ja, unsere Mutter hat uns erzählt, dass einmal zwei Leute geklingelt haben und nach uns gefragt haben und uns mitnehmen wollen. Sie waren von der Familie meines Vaters.
BF2: Ich habe das Gleiche mitbekommen.
RI: Was würde euch konkret passieren, wenn ihr jetzt wieder in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müsstet?
BF3: Wir müssten die Sprache wieder lernen. Am Anfang hatte ich auch Probleme mit der Luft und hatte oft Fieber. Die Verwandten wissen auch, wo wir vorher in Pakistan gewohnt haben und wo anders können wir nicht wohnen. Es ist auch schwer, wenn unsere Mutter alleine in Pakistan mit uns beiden ist. Meine Schwester ist jetzt auch schon groß.
BFV: Was meinst du damit, wenn du sagst, dass deine Schwester "jetzt schon groß" ist?
BF3: Wenn ich in Pakistan lebe und ich alleine mit ihnen bin, werden die Leute schauen kommen.
BFV: Habt ihr noch Freunde in Pakistan?
BF3: Wir hatten in der Schule damals ein paar Freunde, aber mit denen haben wir jetzt auch keinen Kontakt.
BFV: Habt ihr in Pakistan auch so viele Freizeitaktivitäten gemacht wie hier?
BF2: Nein, wir mussten zuhause bleiben und hatten Angst vor unserem Vater.
BehV: In welcher Sprache wurde in Pakistan in der Schule unterrichtet?
BF3: Auf Englisch und Urdu. In Pakistan war ich zwei Klassen hinten, weil wir nicht Lesen und Schreiben konnten."
2. Beweisaufnahme:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:
* Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragung am 01.03.2016 und der Einvernahme vor dem BFA am 23.03.2017 sowie die Beschwerden vom 26.03.2018
* Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat der BF (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation)
* Einvernahme der BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 08.04.2019
* Einsicht in die von den BF vorgelegten Schriftstücke.
3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):
Folgende Feststellungen werden aufgrund des glaubhaft gemachten Sachverhaltes getroffen:
3.1. Zur Person der BF:
3.1.1. Die BF führen die Namen XXXX , geboren am XXXX , XXXX , geboren am XXXX , und XXXX , geboren am XXXX . Sie sind Staatsangehörige von Pakistan und bekennen sich zum sunnitischen Islam. Die BF1 ist die Mutter der minderjährigen BF2 und BF3. Die Muttersprache der BF1 ist Punjabi, der BF2 und BF3 Urdu.
Die BF stammen aus XXXX in der Provinz Punjab in Pakistan. Dort leben weiterhin der Vater, zwei Brüder, zwei Schwestern, ein Onkel und mehrere Cousins der BF1. Der Aufenthaltsort des Ehemannes der BF1 und Vater der BF2 und des BF3 ist unbekannt.
Die BF1 hat in Pakistan zehn Jahre die Schule besucht und die Matura abgelegt. Sie besuchte zwei Jahre ein Kolleg, verließ es aber ohne Abschluss.
Die BF1 lebte ab dem Jahr 2001 mit ihrem Mann in Italien, die BF2 und der BF3 wurden in Italien geboren. Die BF verließen Italien 2011 oder 2012 und kehrten nach Pakistan zurück. Die BF2 und der BF3 besuchten in Italien und in Pakistan, teilweise unregelmäßig, die Schule.
3.1.2. Die BF sind gesund, Hinweise auf lebensbedrohende oder schwerwiegende Krankheiten haben sich keine ergeben.
3.1.3. Die BF reisten über die Türkei und unbekannte Länder nach Österreich, wo sie am 17.11.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz stellten.
3.1.4. Die BF halten sich seit November 2015 in Österreich auf und haben keine nahen Familienangehörigen im Bundesgebiet. Die BF1 verfügt über Deutschkenntnisse auf zumindest dem Niveau A2. Sie war in ihrer Gemeinde ehrenamtlich tätig, ist freiwillige Mitarbeiterin beim Roten Kreuz und geringfügig als Reinigungskraft beschäftigt. Die BF2 besuchte im Schuljahr 2018/19 eine polytechnische Schule, der BF3 eine Neue Mittelschule. Die BF2 und der BF3 verfügen über gute Deutschkenntnisse und haben sich in Österreich einen Freundeskreis aufgebaut. Beide gingen auch gemeinnützigen Beschäftigungen nach und besuchten Kurse des Roten Kreuzes.
Die BF beziehen Grundversorgung und sind strafrechtlich unbescholten.
3.2. Zu den Fluchtgründen der BF:
3.2.1. Die BF haben ihr Vorbringen, von der Familie des Mannes der BF1 und Vater der BF2 und des BF3 verfolgt zu werden, nicht glaubhaft gemacht. Den BF droht im Fall einer Rückkehr nach Pakistan keine Verfolgung aus politischen Gründen, religiösen Gründen, aus Gründen der Rasse, der Nationalität oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe.
3.2.2. Die BF wurden in ihrem Herkunftsstaat niemals inhaftiert, sind nicht vorbestraft und hatten mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder auf Grund ihres Religionsbekenntnisses oder ihrer Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme.
3.3. Zu einer möglichen Rückkehr der BF in den Herkunftsstaat:
3.3.1. Die BF1 und die BF2 sind im erwerbsfähigen Alter. Dass ihr allgemeiner Gesundheitszustand erheblich beeinträchtigt wäre, haben die BF im Verfahren weder behauptet, noch ist es dem erkennenden Gericht sonst bekannt geworden.
3.3.3. Den BF ist es möglich und zumutbar, sich wieder in ihrem Heimatort XXXX niederzulassen und von ihren Familienmitgliedern, wie auch schon vor der Ausreise, finanziell unterstützt zu werden. Die BF liefen daher auch nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.
3.3.3. Eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung der BF nach Pakistan würde keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten oder für die BF als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen Konflikts mit sich bringen.
3.3.4. Die BF können die Hauptstadt Islamabad von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.
3.3.4. Zur Lage im Herkunftsstaat der BF:
Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Stand 06.03.2019:
Politische Lage
Pakistan ist ein Bundesstaat der sich aus den vier Provinzen Punjab, Sindh, Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa zusammensetzt. Das Hauptstadtterritorium Islamabad ("Islamabad Capital Territory") ist eine eigene Verwaltungseinheit unter Bundesverwaltung. Für die "Federally Administered Tribal Areas" (FATA, Stammesgebiete unter Bundesverwaltung) bestimmte bis 28.5.2018 die pakistanische Verfassung, dass die vom Parlament beschlossenen Gesetze nur dann gelten, wenn dies der Präsident explizit anordnet (AA 10.2017a). Am 28.5.2018 unterzeichnete Präsident Mamnoon Hussain die FATA Interim Governance Regulation 2018, die etwa zwei Jahre lang gültig sein wird (NHT 28.5.2018). Am 31.5.2018 wurden die FATA mit Khyber Pakhtunhkhwa vereinigt und die ehemaligen Stammesgebiete werden mittels der FATA Interim Governance Regulation durch die Provinz Khyber Pakhtunkhwa verwaltet (Geo.tv 31.5.2018).
Daneben kontrolliert Pakistan die Gebiete von Gilgit-Baltistan und Azad Jammu & Kashmir (AJK - "freies Kaschmir"), dem auf der pakistanischen Seite der Demarkationslinie ("Line of Control") zwischen Indien und Pakistan liegenden Teil Kaschmirs. Beide Gebiete werden offiziell nicht zum pakistanischen Staatsgebiet gerechnet. Gilgit-Baltistan hat im September 2009 eine Teilautonomie erhalten. Es war bis dahin von Islamabad aus regiert worden. AJK genießt ebenfalls Autonomie, ist aber finanziell und politisch von der Regierung in Islamabad abhängig (AA 10.2017a).
Das Ergebnis der Volkszählung 2017 ergab für Pakistan 207.774.520 Einwohner (PBS 2017a) ohne Berücksichtigung von Azad Jammu & Kashmir und Gilgit Baltistan (TET 25.7.2018). Das Land ist laut CIA World Factbook der sechstbevölkerungsreichste Staat der Welt (CIA 23.2.2018).
Im April 2010 wurde eine weitreichende Verfassungsreform ("Eighteenth Amendment of the Constitution of Pakistan") verabschiedet, die von einem parteiübergreifenden Parlamentsausschuss seit Juni 2009 vorbereitet worden war. Ziel war es, zur Grundgestalt der unter Präsident Zulfikar A. Bhutto 1973 verabschiedeten Verfassung zurückzukehren, die nach zahlreichen Eingriffen der Militärherrscher Zia-ul Haq und Musharraf fast bis zur Unkenntlichkeit verändert worden war. Kernelemente der vorgenommenen Verfassungsänderungen sind eine Stärkung der Position des Ministerpräsidenten bei gleichzeitiger Einschränkung der Machtbefugnisse des Präsidenten, eine Stärkung des Föderalismus durch eine deutliche Ausweitung der Kompetenzen der Provinzen gegenüber der Zentralregierung, eine Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz durch ein neues Ernennungsverfahren für die obersten Richter und die Einführung zweier neuer Grundrechte: des Rechts auf Information und des Rechts auf Erziehung (AA 10.2017a).
Die gesetzgebende Gewalt in Pakistan liegt beim Parlament. Das Parlament besteht aus zwei Kammern, der Nationalversammlung und dem Senat. Daneben werden in den Provinzen Pakistans Provinzversammlungen gewählt. Die Nationalversammlung umfasst 342 Abgeordnete, von denen 272 vom Volk direkt gewählt werden. Es gilt das Mehrheitswahlrecht. 60 Sitze sind für Frauen, zehn weitere für Vertreter religiöser Minderheiten reserviert. Die reservierten Sitze werden auf die in der Nationalversammlung vertretenen Parteien entsprechend deren Stimmenanteil verteilt. Die Legislaturperiode dauert fünf Jahre (AA 10.2017a).
Seit 1.8.2017 ist der bisherige Ölminister Shahid Khaqan Abbasi (von der Regierungspartei PML-N) neuer Ministerpräsident. Der bisherige Ministerpräsident Nawaz Sharif war am 28.8.2017 vorzeitig zurückgetreten, nachdem Pakistans Oberster Gerichtshof Sharifs Amtsenthebung angeordnet hatte. Grundlage für die Amtsenthebung ist das Verschweigen von Einkommen aus einer ausländischen Firmenbeteiligung, die Sharif der Wahlkommission bei seiner Registrierung als Kandidat 2013 hätte anzeigen müssen. Die Korruptionsvorwürfe gegen Sharif und seine Familie sind mit der "Panama-Papers-Affäre" verbunden (AA 10.2017a). Im April 2018 wurde Nawaz Sharif von einem fünfköpfigen Anti-Korruptionsgericht auf Lebenszeit von der Übernahme eines öffentlichen Amtes gesperrt (AJ 13.4.2018).
Die letzten Parlamentswahlen fanden am 11.5.2013 statt. Damals löste die Pakistan Muslim League-N (PML-N) unter Parteichef Nawaz Sharif eine von der Pakistan Peoples Party (PPP) geführte Regierung ab. Es war das erste Mal in der Geschichte Pakistans, dass eine zivile Regierung eine volle Legislaturperiode (2008 bis 2013) regieren konnte und dass der demokratische Wechsel verfassungsgemäß ablief. Die PML-N erreichte bei den Wahlen eine absolute Mehrheit der Mandate. Dieses deutliche Ergebnis ist auch auf das in Pakistan geltende Mehrheitswahlrecht zurückzuführen. Landesweit stimmten ca. ein Drittel der Wähler für die PML-N. Zweitstärkste Partei in der Nationalversammlung wurde die PPP, gefolgt von der Pakistan Tehreek-e-Insaf (Pakistanische Bewegung für Gerechtigkeit, PTI) des ehemaligen Cricket-Stars Imran Khan. Die MQM (Muttahida Quami Movement), mit ihren Hochburgen in den beiden Großstädten der Provinz Sindh, Karatschi und Hyderabad, stellt die viertstärkste Fraktion. Am 5.6.2013 wurde Nawaz Sharif vom Parlament zum Ministerpräsidenten gewählt. Für ihn war es, nach 1990 und 1999, die dritte Amtszeit als pakistanischer Regierungschef (AA 10.2017a).
Ebenfalls am 11.5.2013 fanden die Wahlen zu den vier Provinzversammlungen statt. In Punjab, der bevölkerungsreichsten Provinz (ca. 50 % der Bevölkerung Pakistans), errang die PML-N mehr als zwei Drittel der Mandate, der Bruder von Nawaz Sharif, Shahbaz Sharif, wurde in seinem Amt als Chief Minister bestätigt. In Sindh konnte die PPP ihre Vormachtstellung verteidigen, in Khyber Pakhtunkhwa errang die PTI die meisten Mandate und führt dort nun eine Koalitionsregierung. Die Regierung von Belutschistan wird von einem Chief Minister der belutschischen Nationalistenpartei (NP) geführt, die eine Koalition mit der PML-N und weiteren Parteien eingegangen ist (AA 10.2017a).
Am 30.7.2013 wählten beide Kammern des Parlaments und Abgeordnete der Provinzparlamente den PML-N Politiker Mamnoon Hussain zum neuen pakistanischen Staatsoberhaupt, der am 9.9.2013 vereidigt wurde. Hussain löst Asif Ali Zardari als Staatspräsidenten ab, der als erstes Staatsoberhaupt in der Geschichte Pakistans seine Amtszeit geordnet beenden konnte. Der verfassungsmäßige Machtübergang sowohl in der Regierung als auch im Amt des Staatsoberhaupts wurde als wichtiger Beitrag zur Stabilisierung der Demokratie in Pakistan gewürdigt (AA 10.2017a). Die nächsten Parlamentswahlen finden am 15.7.2018 statt (Samaa 20.12.2017).
Im November 2017 blockierten Demonstranten - Mitglieder religiöser Parteien wie Tehreek Labbaik Ya Rasool Allah (TLY), Tehreek-i-Khatm-i-Nabuwwat und Sunni Tehreek Pakistan (ST) 20 Tage lang den Autobahnknoten Fayzabad Interchange in Islamabad. Anlass der Proteste war eine Zeile in der Novelle des Wahlgesetzes (Elections Act 2017), die nach Meinung der Demonstranten den Khatm-i-Nabuwwat-Eid [Anm.: legt die Endgültigkeit des Prophetentums Mohammads fest] veränderte (Dawn 28.11.2017). Nach diesen Änderungen wäre es Ahmadis etwas erleichtert worden, aktiv und passiv an Wahlen teilzunehmen (Nation 19.11.2017). Die Änderung am Eid wurde durch einen Parlamentsbeschluss rückgängig gemacht. Dennoch forderten die Demonstranten den Rücktritt von Justizminister Zahid Hamid. Nachdem der Islamabad High Court (IHC), der Supreme Court sowie verschiedene religiöse Parteiführer aufgefordert hatten, die Proteste zu beenden, hat der IHC letztlich die Distriktverwaltung aufgefordert, die Demonstranten "mit allen nötigen Mitteln" vom Autobahnknoten zu entfernen. Nach mehreren vergeblichen Verhandlungsrunden wurde Innenminister Ahsan Iqbal vom IHC verwarnt, er könne wegen Missachtung eines Gerichtsentscheides angeklagt werden. Weiters stellte der IHC fest, dass die Demonstranten aufgrund der wiederholten Missachtung der Gerichtsanordnung zur Auflösung der Proteste einen "terroristischen Akt" begangen hätten. Nach einem verstrichenen Ultimatum begann die Regierung am 25.11.2017 mit der gewaltsamen Auflösung der Proteste, bei der sechs Personen getötet wurden. Die zur Unterstützung gerufene Armee verweigerte ihr Eingreifen, wodurch weitere Verhandlungen mit den Demonstranten notwendig wurden. Die Blockade wurde aufgelöst, nachdem einigen Forderungen der Demonstranten nachgegeben wurde, Zahid Hamid musste als Justizminister zurücktreten (Dawn 28.11.2017).
Mit der Vereinigung der FATA mit der Provinz Khyber Pakhtunkhwa am 31.5.2018 (Geo.tv 31.5.2018) wurde die Zahl der Abgeordneten in der Provinzversammlung von Khyber Pakhtunkhwa von 124 auf 145 erhöht. Insgesamt wird die ehemalige FATA von 21 Abgeordneten im kommenden Provinzparlament vertreten, davon sind vier Mandate für Frauen und einer für Nicht-Muslime reserviert. Die neue Provinzversammlung von Khyber Pakhtunkhwa wird innerhalb eines Jahres nach den Parlamentswahlen von 2018 erfolgen (Nation 27.5.2018). Die zwölf Sitze der [ehem.] FATA in der Nationalversammlung werden Khyber Pakhtunkhwa zugeschlagen; die Provinz verfügt in der kommenden Legislaturperiode über 60 statt bisher 48 Abgeordnetensitze (Geo.tv 16.5.2018). Politische Parteien durften in den [ehem.] Stammesgebieten (FATA) seit 2011 aktiv werden (USDOS 20.4.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (10.2017a): Pakistan - Staatsaufbau und Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/pakistan-node/-/205010, Zugriff 8.3.2018
- AJ - Al Jazeera (13.4.2018): Pakistani court bans ex-PM Nawaz Sharif from parliament for life, https://www.aljazeera.com/news/2018/04/pakistani-court-bans-pm-nawaz-sharif-parliament-life-180413072707795.html, Zugriff 14.5.2018
- CIA - Central Intelligence Agency (23.2.2018): World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/pk.html, Zugriff 8.3.2017
- Dawn (28.11.2017): An overview of the crisis that forced the government to capitulate, https://www.dawn.com/news/1373200/an-overview-of-the-crisis-that-forced-the-government-to-capitulate, Zugriff 26.4.2018
- Geo.tv (16.5.2018): KP Assembly seats to increase to 147 after FATA merger: draft bill, https://www.geo.tv/latest/195723-kp-assembly-seats-to-increase-to-147-after-fata-merger-reveals-draft-bill, Zugriff 1.6.2018
- Geo.tv (31.5.2018): President signs amendment bill, merging FATA with KP, https://www.geo.tv/latest/197519-fata-official-merged-with-kp-as-president-mamnoon-signs, Zugriff 1.6.2018
- Nation, The (19.11.2017): Understanding the Faizabad sit-in, https://nation.com.pk/19-Nov-2017/understanding-the-faizabad-sit-in, Zugriff 16.5.2018
- Nation, the (27.5.2018): KP Assembly approves Fata merger bill, https://nation.com.pk/27-May-2018/kp-assembly-approves-fata-merger-bill, Zugriff 1.6.2018
- NHT - National Herald Tribune (28.5.2018): Mamnoon signs FATA Interim Governance Regulation, 2018, http://dailynht.com/story/43730, Zugriff 29.5.2018
- PBS - Pakistan Bureau of Statistics (2017a): PROVINCE WISE PROVISIONAL RESULTS OF CENSUS - 2017, http://www.pbs.gov.pk/sites/default/files/PAKISTAN%20TEHSIL%20WISE%20FOR%20WEB%20CENSUS_2017.pdf, Zugriff 8.5.2018
- Samaa (20.12.2017): Govt to complete its term; elections to be held in July 2018: PM, https://www.samaa.tv/pakistan/2017/12/govt-complete-term-elections-held-july-2018-pm/, Zugriff 26.4.2018
- TET - The Express Tribune (25.7.2017): 6th census findings: 207 million and counting, https://tribune.com.pk/story/1490674/57-increase-pakistans-population-19-years-shows-new-census/, Zugriff 9.5.2018
- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Reports on Human Rights Practices for 2017 - Pakistan, https://www.state.gov/documents/organization/277535.pdf, Zugriff 23.4.2018
Sicherheitslage
Zentrales Problem für die innere Sicherheit Pakistans bleibt die Bedrohung durch Terrorismus und Extremismus. Seit Jahren verüben die Taliban und andere terroristische Organisationen schwere Terroranschläge, von denen vor allem die Provinzen Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan, aber auch pakistanische Großstädte wie Karatschi, Lahore und Rawalpindi betroffen sind. Die Terroranschläge richten sich vor allem gegen Einrichtungen des Militärs und der Polizei. Opfer sind aber auch politische Gegner der Taliban, Medienvertreter, religiöse Minderheiten, Schiiten sowie Muslime, die nicht der strikt konservativen Islam-Auslegung der Taliban folgen, wie z. B. die Sufis (AA 10.2017a). Landesweit ist die Zahl der terroristischen Angriffe seit 2013 kontinuierlich zurückgegangen, wobei der Rückgang 2017 nicht so deutlich ausfiel wie im Jahr zuvor und auch nicht alle Landesteile gleich betraf. In Belutschistan und Punjab stieg 2017 die Zahl terroristischer Anschläge, die Opferzahlen gingen jedoch im Vergleich zum Vorjahr auch in diesen Provinzen zurück (PIPS 1.2018 S 21f).
Die pakistanischen Taliban hatten in einigen Regionen an der Grenze zu Afghanistan über Jahre eigene Herrschaftsstrukturen etabliert und versucht, ihre extrem konservative Interpretation der Scharia durchzusetzen (AA 20.10.2017). Seit Ende April 2009, als die Armee die vorübergehende Herrschaft der Taliban über das im Norden Pakistans gelegene Swat-Tal mit einer Militäraktion beendete, haben sich die Auseinandersetzungen zwischen dem pakistanischen Militär und den pakistanischen Taliban verschärft. Von Oktober bis Dezember 2009 wurden die Taliban aus Süd-Wasiristan (ehem. Federally Administered Tribal Areas - FATA) vertrieben, einer Region, die von ihnen jahrelang kontrolliert worden war. 2013 lag der Schwerpunkt der Auseinandersetzungen auf dem Tirah-Tal unweit Peshawar, wo die Taliban zunächst die Kontrolle übernehmen konnten, bevor sie vom Militär wieder vertrieben wurden (AA 10.2017a).
Die Regierung von Ministerpräsident Nawaz Sharif hatte sich zunächst, mandatiert durch eine Allparteienkonferenz, um eine Verständigung mit den pakistanischen Taliban auf dem Verhandlungsweg bemüht. Da sich ungeachtet der von der Regierung demonstrierten Dialogbereitschaft die schweren Terrorakte im ganzen Land fortsetzten, wurde der Dialogprozess im Juni 2014, nach Beginn einer umfassenden Militäroperation in Nord-Wasiristan abgebrochen. Die Militäroperation begann am 15.4.2014 in der bis dahin weitgehend von militanten und terroristischen Organisationen kontrollierten Region Nord-Wasiristan, in deren Verlauf inzwischen die Rückzugsräume und Infrastruktur der aufständischen Gruppen in der Region weitgehend zerstört werden konnten (AA 10.2017a). Durch verschiedene Operationen der Sicherheitskräfte gegen Terrorgruppen in den [ehem.] Stammesgebieten (Federally Administered Tribal Areas - FATA) konnte dort das staatliche Gewaltmonopol überwiegend wiederhergestellt werden. Viele militante Gruppen, insbesondere die pakistanischen Taliban, zogen sich auf die afghanische Seite der Grenze zurück und agitieren von dort gegen den pakistanischen Staat (AA 20.10.2017).
Durch die Militäroperation wurden ca. 1,5 Millionen Menschen vertrieben. Die geordnete Rückführung der Binnenvertriebenen in die betroffenen Regionen der Stammesgebiete, die Beseitigung der Schäden an der Infrastruktur und an privatem Eigentum ebenso wie der Wiederaufbau in den Bereichen zivile Sicherheitsorgane, Wirtschaft, Verwaltung und Justiz stellen Regierung, Behörden und Militär vor große Herausforderungen (AA 20.10.2017).
Im Gefolge des schweren Terrorangriffs auf eine Armeeschule in Peshawar am 16.12.2014, bei dem über 150 Menschen, darunter über 130 Schulkinder, ums Leben kamen und für den die pakistanischen Taliban die Verantwortung übernahmen, haben Regierung und Militär mit Zustimmung aller politischen Kräfte des Landes ein weitreichendes Maßnahmenpaket zur Bekämpfung von Terror und Extremismus beschlossen. Es umfasst u. a. die Aufhebung des seit 2008 geltenden Todesstrafen-Moratoriums für Terrorismus-Straftaten, die Einführung von Militärgerichten zur Aburteilung ziviler Terrorismus verdächtiger und Maßnahmen gegen Hassprediger, Terrorfinanzierung, etc. Ferner sind Ansätze erkennbar, konsequenter als bisher gegen extremistische Organisationen unterschiedlicher Couleur im ganzen Land vorzugehen und die staatliche Kontrolle über die zahlreichen Koranschulen (Madrassen) zu verstärken (AA 10.2017a).
2016 wurden weiterhin Anti-Terroroperationen in den Agencies Khyber und Nord-Wasiristan durchgeführt, um aufständische Feinde des Staates zu eliminieren. Militärische, paramilitärische und zivile Sicherheitskräfte führten landesweit Operationen durch. Sicherheitskräfte, inklusive der paramilitärischen Sindh Rangers, verhafteten Verdächtige und vereitelten Anschlagspläne in Großstädten wie Karatschi. Operationen der paramilitärischen Rangers gegen Terrorismus und Kriminalität führten zu geringeren Ausmaßen an Gewalt und in Karatschi, jedoch wurden in den Medien Vorwürfe veröffentlicht, dass die Rangers gegen bestimmte politische Parteien auch aus politischen Gründen vorgingen (USDOS 7.2017).
Spezialisierte Einheiten der Exekutive leiden unter einem Mangel an Ausrüstung und Training, um die weitreichenden Möglichkeiten der Anti-Terrorismus-Gesetzgebung durchzusetzen. Die Informationsweitergabe zwischen den unterschiedlichen Behörden funktioniert nur schleppend. Anti-Terror-Gerichte sind langsam bei der Abarbeitung von Terrorfällen, da die Terrorismusdelikte sehr breit definiert sind. In Terrorismusprozessen gibt es eine hohe Rate an Freisprüchen. Dies liegt auch daran, dass Staatsanwälte in Terrorismusfällen eine untergeordnete Rolle spielen und die Rechtsabteilungen von militärischen und zivilen Einrichtungen Ermittlungen behindern. Ebenso werden Zeugen, Polizei, Opfer, Ankläger, Anwälte und Richter von terroristischen Gruppen eingeschüchtert (USDOS 7.2017).
Für das erste Quartal 2018 (1.1. bis 31.3.) registrierte PIPS landesweit 76 terroristische Angriffe, bei denen 105 Personen ums Leben kamen und 171 Personen verletzt wurden. Unter den Todesopfern befanden sich 44 Zivilisten, 28 Polizisten, 31 Mitglieder von Grenzschutz oder Rangers, zwei Steuereintreiber sowie zehn Aufständische (Aggregat aus: PIPS 6.4.2018; PIPS 6.3.2018; PIPS 5.2.2018).
Die verschiedenen militanten, nationalistisch-aufständischen und gewalttätigen religiös-sektiererischen Gruppierungen führten 2017 370 terroristische Angriffe in 64 Distrikten Pakistans durch. Dabei kamen 815 Menschen ums Leben und weitere 1.736 wurden verletzt. Unter den Todesopfern waren 563 Zivilisten, 217 Angehörige der Sicherheitskräfte und 35 Aufständische. 160 (43 %) Angriffe zielten auf staatliche Sicherheitskräfte, 86 (23 %) auf Zivilisten, 22 waren religös-sektiererisch motiviert, 16 Angriffe zielten auf staatliche Einrichtungen, 13 waren gezielte Angriffe auf politische Persönlichkeiten oder Parteien, zwölf waren Angriffe auf regierungsfreundliche Stammesälteste, zehn Angriffe betrafen nicht-belutschische Arbeiter oder Siedler in Belutschistan und neun betrafen Journalisten oder Medienvertreter (PIPS 1.2018 S 17f).
2015 gab es 625 Terrorakte in 76 Distrikten/Regionen in Pakistan, 48 % weniger als 2014. Mindestens 1.069 Menschen verloren dabei ihr Leben, 38 % weniger als 2014, 1443 Personen wurden verletzt, 54 % weniger als 2014. Unter den Todesopfern waren 630 Zivilisten, 318 Angehörige der Sicherheits- und Rechtsdurchsetzungsbehörden und 121 Aufständische (PIPS 3.1.2016). Im Jahr 2016 ging die Zahl der Terroranschläge um weitere 28 % auf 441 zurück, betroffen waren 57 Distrikte. Getötet wurden dabei 908 Personen. Der Umstand, dass ein Rückgang von 28 % bei der Zahl der Anschläge nur einen leichten Rückgang von 12 % bei den Todesopfern mit sich brachte, zeigt auch, dass den Aufständischen einige größere Anschläge gelingen konnten. Zu Tode kamen 545 Zivilisten, 302 Angehörige der Sicherheitskräfte und 61 Aufständische (PIPS 1.2017).
Die Situation verbesserte sich kontinuierlich seit 2013 und der Trend setzte sich auch 2017 fort. Dies lässt sich Großteils auf landesweite, umfassende Operationen gegen Aufständische durch die Sicherheitsbehörden als Teil des National Action Plan (NAP) zurückführen, beispielsweise von den Militäroperationen in den [ehem.] FATA zu den von den Rangers angeführten gezielten Operationen in Karatschi (PIPS 1.2018 S 17ff).
Etwa 58 % (213 von 370) aller Anschläge mit 604 Toten und 1374 Verletzten wurden von Tehreek-e-Taliban Pakistan (TTP) und ihren Splittergruppen bzw. Gruppen mit ähnlichen Zielen in den [ehem.] FATA und Khyber Pakhtunkhwa wie die Lashkar-e-Islam sowie von IS-Unterstützern durchgeführt. Nationalistische Gruppierungen führten 138 Anschläge durch, vorwiegend in Belutschistan, und einige wenige in Sindh, dabei kamen 140 Menschen ums Leben und 265 Menschen wurden verletzt. 19 Anschläge mit 71 Toten und 97 Verletzten wurden durch religiös-sektiererische Gruppen durchgeführt (PIPS 1.2018 S 17).
Insgesamt gab es im Jahr 2017 in Pakistan, inklusive der Anschläge, 713 Vorfälle von für die Sicherheitslage relevanter Gewalt (2016: 749; -5 %), darunter 75 operative Schläge der Sicherheitskräfte (2016: 95), 68 Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen (2016: 105), 171 Auseinandersetzungen an den Grenzen mit Indien, Afghanistan und Iran (2016: 74) und vier Vorfälle von ethnischer oder politischer Gewalt (2016: zwölf) (PIPS 1.2018 S 20; Zahlen für 2016: PIPS 1.2017). Die Zahl der bei diesen Vorfällen getöteten Personen sank um 15 % auf 1.611 von 1.887 im Jahr 2016, die Zahl der verletzten Personen stieg jedoch im selben Zeitraum um 13 % von 1.956 auf 2.212 (PIPS 1.2018 S 20). Im Jahr 2016 gab es im Vergleich zu 2015 32 % weniger Vorfälle und 46 % weniger Todesopfer (PIPS 1.2017).
Im Jahr 2017 wurden 75 operative Schläge und Razzien (2016: 95; -21 %) in 28 Distrikten oder Regionen Pakistans durchgeführt (2016: 35), davon 39 in Belutschistan (2016: 38), 18 in den [ehem.] FATA (2016: 24), acht in Khyber Pakhtunkhwa (2016: fünf), sieben im Punjab (2016: 13) und drei in Karatschi (2016: 15). 296 Menschen wurden dabei getötet (2016: 492), davon 281 Aufständische (2016: 481) (PIPS 1.2018 S 23; Zahlen für 2016: PIPS 1.2017). Im Jahr 2015 wurden 143 Sicherheitsoperationen in 31 Distrikten mit 1.545 Todesopfern durchgeführt (PIPS 1.2017).
Es scheint, dass sich nun erfolgreich eine Null-Toleranz-Sicht in Staat und Gesellschaft gegenüber Terror durchsetzt. Die Sicherheitseinrichtungen sind weiterhin mit vielschichtigen Herausforderungen konfrontiert. Die wichtigsten davon sind Kapazitätslücken in der Bekämpfung städtischer Terrorbedrohungen und die mangelhafte Kooperation zwischen den verschiedenen Gesetzesdurchsetzungsbehörden (PIPS 3.1.2016).
Die Regierung unterhält Deradikalisierungszentren, die "korrigierende religiöse Bildung", Berufsausbildung, Beratung und Therapie anbieten (USDOS 7.2017). Zentren befinden sich in Swat, Khyber Agency, Bajaur Agency und Khyber Pakhtunkhwa. Es existieren separate Programme für Frauen und Jugendliche (BFA 9.2015). Weithin gelobt ist das Sabaoon Rehabilitation Center einer NGO im Swat-Tal, das gemeinsam mit dem Militär gegründet wurde und sich an jugendliche ehemalige Extremisten richtet (USDOS 7.2017).
Die Asia Pacific Group on Money Laundering konnte in Pakistan Fortschritte bei der Behebung von strategischen Mängeln erzielen, die diese in Bezug auf die Bekämpfung der Finanzierung von Terrorismus zuvor festgestellt hatte. Maßnahmen umfassen z.B. die Überwachung von grenzüberschreitenden Geldtransfers, NGO-Finanzierungen, das Einfrieren von Geldern, die rechtliche Meldepflicht von Banken über verdächtige Transaktionen sowie deren Verpflichtung, regelmäßig die Liste der von der UN als Terrororganisationen Eingestuften zu kontrollieren. Dennoch werden bestimmte Gruppen, insbesondere Lashkar e-Tayyiba, nicht effektiv daran gehindert, in Pakistan Spenden zu lukrieren oder auf ihre finanziellen Mittel zuzugreifen (USDOS 7.2017).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (10.2017a): Pakistan - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Pakistan/Innenpolitik_node.html, Zugriff 13.3.2018
- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (20.10.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik PAKISTAN.BFA Staatendokumentation (9.2015): Fact Finding Mission Report Pakistan, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1453713783_bfa-sd-pakistan-ffm-report-2015-09-v2.pdf, Zugriff 18.3.2017
- PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (1.2017): PIPS Research Journal - Conflict & Peace Studies, Vol.9, No.1, Special Report 2016 - Pakistan Security Report.
- PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (1.2018): PIPS Research Journal - Conflict & Peace Studies, Vol.10, No.1, Special Report 2017 - Pakistan Security Report.
- PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (3.1.2016): Pakistan Security Report 2015.
- PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (5.2.2018): Monthly Security Report: January 2018, http://pakpips.com/app/reports/65, Zugriff 14.5.2018
- PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (6.3.2018): Monthly Security Report: February 2018, http://pakpips.com/app/reports/169, Zugriff 14.5.2018
- PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (6.4.2018): Monthly Security Report: March 2018, http://pakpips.com/app/reports/199, Zugriff 14.5.2018
- USDOS - US Department of State (7.2017): Country Report on Terrorism 2016 - Chapter 2 - Pakistan (S 261-265), https://www.state.gov/documents/organization/272488.pdf, Zugriff 8.5.2018
Punjab und Islamabad
Im Punjab gibt es im Landesvergleich weniger Fälle von organisierten, bewaffneten gewalttätigen Übergriffen aber eine große Zahl von Protesten. In großen Städten wie Lahore und Islamabad-Rawalpindi gibt es gelegentlich Anschläge mit einer hohen Zahl von Opfern, durchgeführt von Gruppen wie den Tehreek-i-Taliban Pakistan, Al Qaeda oder deren Verbündeten (ACLED 7.2.2017). Die Bevölkerung der Provinz beträgt laut Zensus 2017 110 Millionen (PBS 2017a). Provinzhauptstadt ist Lahore, nach Karatschi die zweitgrößte Stadt Pakistans (EASO 7.2016) mit 11,1 Millionen Einwohnern (PBS 2017a). Islamabad, die Hauptstadt Pakistans, ist verwaltungstechnisch nicht Teil der Provinz Punjab, sondern ist ein Territorium unter Bundesverwaltung (ICTA o.D.). Die Bevölkerung des Hauptstadtterritoriums beträgt laut Zensus 2017 ca. zwei Millionen Menschen (PBS 2017a).
Für das erste Quartal 2018 (1.1. bis 31.3.) registrierte PIPS für das Hauptstadtterritorium Islamabad keinen und für den Punjab zwei terroristische Angriffe mit zwölf Toten und 23 Verletzten (Aggregat aus: PIPS 6.4.2018; PIPS 6.3.2018; PIPS 5.2.2018). Sämtliche Todesopfer stammen aus einem Selbstmordattentat vom 14.3. auf einen Polizeiposten vor einer religiösen Versammlung in Lahore. Die Tehrik-e-Taliban Pakistan (TTP) haben sich zu dem Anschlag bekannt (Reuters 14.3.2018; vgl. PIPS 6.4.2018).
Im Jahr 2017 hat sich die Zahl der terroristischen Angriffe im Punjab im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Bei 14 Anschlägen kamen 61 Personen ums Leben, davon fanden sechs Vorfälle mit 54 Toten in Lahore statt. Die Todesopfer umfassten 35 Zivilisten, 18 Polizisten, sechs Armeemitarbeiter und zwei Aufständische. Es gab drei Selbstmordanschläge in Lahore mit insgesamt 50 Toten, die sich gegen Sicherheitskräfte und Zensusmitarbeiter richteten, darunter einen Sprengstoffanschlag auf einen Polizeieinsatz b