TE Vfgh Erkenntnis 1995/10/11 B1578/95, B1579/95, B1580/95, B1581/95, B1582/95

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.10.1995
beobachten
merken

Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht

Norm

EMRK Art8
EMRK Art8 Abs2
AufenthaltsG
AufenthaltsG §5 Abs1
FremdenG §10 Abs1 Z2
FremdenG §10 Abs1 Z3

Leitsatz

Verletzung des Beschwerdeführers im Recht auf Privat- und Familienleben durch die Versagung einer Aufenthaltsbewilligung mangels einer für Inländer ortsüblichen Unterkunft wegen Unterlassung der bei verfassungskonformer Auslegung des §5 Abs1 AufenthaltsG gebotenen Interessenabwägung; keine Bedenken gegen §5 Abs1 AufenthaltsG

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide in dem durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit je 18.000,- S bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Mit den angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden des Bundesministers für Inneres wurden die Anträge einer seit ihrer Geburt im Jahre 1972 rechtmäßig in Österreich aufhältigen ehemals jugoslawischen Staatsangehörigen (Beschwerdeführerin zu B1578/95) sowie ihrer ebenfalls in Österreich geborenen minderjährigen Kinder (Beschwerdeführer zu B1579/95, B1580/95, B1581/95 und B1582/95) auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung unter Berufung auf §5 Abs1 des Aufenthaltsgesetzes - AufG, BGBl. 466/1992, idF vor der Novelle BGBl. 351/1995, abgewiesen. Die Behörde begründete die Versagung der Aufenthaltsbewilligungen im wesentlichen damit, daß das Einkommen der Karenzgeld beziehenden Beschwerdeführerin zu B1578/95 nicht ausreiche, um den Unterhalt der Familie für die angestrebte Aufenthaltsdauer zu gewährleisten und die finanzielle Unterstützung des Lebensgefährten und Kindesvaters "aktenmäßig nicht belegt" sei. Zur weiteren Begründung des Vorliegens des Versagungstatbestandes des für die Dauer der Bewilligung nicht gesicherten Lebensunterhaltes im Sinne des §5 Abs1 AufG wird in den angefochtenen Bescheiden - übereinstimmend - wie folgt ausgeführt:

"Gerade die Notwendigkeit, in einem ohnedies sensiblen Bereich die weitere Zuwanderung sorgfältig zu steuern, macht es erforderlich, strenge Maßstäbe an die Beurteilung der gesicherten Unterhaltsmittel von Zuwanderern anzulegen. Ist der Unterhalt für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert, so darf gemäß §5 Abs1 des Aufenthaltsgesetzes eine Bewilligung nicht erteilt werden."

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden, auf Art144 Abs1 B-VG gestützten Beschwerden, mit denen die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide begehrt wird.

Der Bundesminister für Inneres als jene Behörde, die die angefochtenen Bescheide erlassen hat, legte die Verwaltungsakten vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen - Beschwerden erwogen:

1.a) Die angefochtenen, Aufenthaltsbewilligungen nach dem AufG versagenden Bescheide greifen in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens der Beschwerdeführer, die sich seit ihrer Geburt rechtmäßig in Österreich aufhalten, ein.

b) Ein Eingriff in dieses verfassungsgesetzlich gewährleistete - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht ist dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage erging, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise anwendete. Ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler beging, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellte (vgl. VfSlg. 11638/1988).

c) Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 16.3.1995, B2259/94, mit näherer Begründung dargelegt hat, ist die Behörde auch bei Anwendung der in §5 Abs1 AufG besonders hervorgehobenen Versagungstatbestände der für die Dauer der Bewilligung nicht gesicherten ortsüblichen Unterkunft oder des nicht gesicherten Lebensunterhaltes in Fällen, in denen durch die Versagung der Bewilligung in das durch Art8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingegriffen wird, verhalten, die Notwendigkeit der Versagung der Bewilligung aus den in Art8 Abs2 EMRK umschriebenen öffentlichen Interessen zu prüfen und dabei auch auf die familiären und sonstigen privaten Interessen des Bewilligungswerbers Bedacht zu nehmen.

d) Die belangte Behörde hat in den Beschwerdefällen, denen Anträge auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung von Fremden zugrundelagen, die sich bereits seit ihrer Geburt rechtmäßig in Österreich aufgehalten haben, die Versagung der Aufenthaltsbewilligung auf den in §5 Abs1 AufG normierten Versagungstatbestand des für die angestrebte Aufenthaltsdauer nicht gesicherten Lebensunterhaltes gestützt und die Versagung - in offensichtlicher Verkennung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes - ausschließlich mit einem Hinweis auf die Notwendigkeit der sorgfältigen Steuerung der weiteren Zuwanderung von Fremden begründet. Sie hat damit die im Sinne des Art8 EMRK gebotene Interessenabwägung in Wahrheit nicht vorgenommen.

Die angefochtenen Bescheide waren daher schon aus diesem Grund aufzuheben, ohne daß zu prüfen war, ob die belangte Behörde angesichts der Einkommensverhältnisse der Beschwerdeführerin zu B1578/95 sowie ihres für die minderjährigen Kinder unterhaltspflichtigen Lebensgefährten in denkmöglicher Weise davon ausgehen konnte, daß der Lebensunterhalt der Beschwerdeführer für die angestrebte Aufenthaltsdauer nicht gesichert sei.

2. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer von je 3.000,-- S enthalten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht, Privat- und Familienleben, Fremdenrecht, Interessenabwägung, Auslegung verfassungskonforme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:B1578.1995

Dokumentnummer

JFT_10048989_95B01578_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten