TE Bvwg Beschluss 2019/12/19 W202 2223267-1

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Veröffentlicht am 19.12.2019
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Entscheidungsdatum

19.12.2019

Norm

AsylG 2005 §5 Abs1
B-VG Art133 Abs4
FPG §61 Abs1
FPG §61 Abs2
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W202 2223267-2/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Bernhard Schlaffer als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.07.2019, Zahl 1195691509 - 180575525 / BMI-BFA_NOE_AST_02, beschlossen:

A)

Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang und Feststellungen:

Der Beschwerdeführer stellte am 19.06.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dabei gab er an, chinesischer Staatsangehöriger der tibetischen Volksgruppe zu sein und unter Zuhilfenahme eines gefälschten nepalesischen Reisepasses ein Visum eines dem Beschwerdeführer nicht bekannten Landes erlangt zu haben.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) erließ nach negativ verlaufenen Dublinkonsultationen mit dem Königreich Schweden und einer auf Tibetisch durchgeführten Einvernahme des Beschwerdeführers zunächst einen Bescheid, mit dem es den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gem. § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückwies und Schweden für die Prüfung des Antrags des Beschwerdeführers für zulässig erklärte (Spruchpunkt I.) und gem. § 61 Abs. 1 FPG gegen den Beschwerdeführer die Außerlandesbringung anordnete und gem. § 61 Abs. 2 FPG die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Schweden für zulässig erklärte (Spruchpunkt II.).

Einer dagegen erhobenen Beschwerde gab das BFA mit Beschwerdevorentscheidung vom 29.10.2018 statt. Diese begründete das BFA mit der mangelnden Zustimmung Schwedens im Dublinverfahren und mit der bereits abgelaufenen Remonstrationsfrist.

Am 01.04.2019 wurde der Beschwerdeführer vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Im Rahmen der Einvernahme gab er an, chinesischer Staatsangehöriger zu sein, aus Tibet zu stammen und am 15.03.2018 Tibet in Richtung Nepal verlassen zu haben. Dem Beschwerdeführer wurde ein nepalesischer Reisepass (in Kopie?) vorgehalten, worauf der BF angab, dass dieser eine Fälschung sei, für die er 100.000 Rupies bezahlt habe. Der Beschwerdeführer erstattete ein ausschließlich auf Tibet bezogenes Fluchtvorbringen.

Die Reisepasskopie liegt nicht im Akt, Ermittlungsschritte des BFA, die sich mit der Aussage des BF, wonach es sich bei dem vom BF verwendeten Reisepass um ein gefälschtes Dokument handle und er tatsächlich chinesischer Staatsangehöriger sei, auseinandersetzten, erfolgten nicht. Der Beschwerdeführer wurde nicht zu den örtlichen Gegebenheiten in Tibet befragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Zu A:

§ 28 VwGVG lautet:

"(1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist."

Nach der Rechtsprechung des VwGH stellt die genannte Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlich meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzlich meritorische Entscheidungskompetenz. Vielmehr verlangt das in § 28 leg. cit. normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063; 06.07.2016, Ra 2015/01/0123).

Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als grob mangelhaft:

Die Behörde hat keinerlei Ermittlungen zur Frage der Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers durchgeführt, sondern ist aufgrund des vom BF verwendeten Reisepasses, der lediglich laut dem angefochtenen Bescheid in Kopie vorliegt, ohne weiteres von einer nepalesischer Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers ausgegangen. Ermittlungsschritte, ob der Reisepass, wie vom BF behauptet, gefälscht sein könnte, lassen sich dem Akt nicht entnehmen. Auch hat das BFA den Beschwerdeführer nicht zu seinen Ortskenntnissen in Tibet befragt.

Das BFA wäre auf Basis der dargestellten Umstände aber verpflichtet gewesen, zunächst gehörige Ermittlungen dahingehend zu tätigen, ob es sich beim Beschwerdeführer tatsächlich um einen Staatsangehörigen von Nepal handelt, weil es sich gerade bei der Feststellung der Staatsangehörigkeit bzw. des Herkunftsstaates zweifellos um eine zentrale Frage im Asylverfahren handelt (vgl etwa VwGH 16.04.2009, 2008/19/0706; 20.02.2009, 2007/19/0535), welche grundsätzlich vom BFA zu tätigen ist, weil ansonsten im Fall der Klärung des Herkunftsstaates durch das Bundesverwaltungsgericht das gesamte sich an die Feststellung knüpfende Ermittlungsverfahren zum Herkunftsstaat vor das Bundesverwaltungsgericht verlagert wäre.

Im vorliegenden Fall sind jedenfalls Anhaltspunkte dafür hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer nicht zwangsläufig nepalesischer Staatsangehöriger ist. So nannte er verschiedene Orte in Tibet (AS 276), welche Anknüpfungspunkte der Überprüfung der Orts(un)kundigkeit des Beschwerdeführers sein können, und legte Urkunden vor, die ihm seine tibetische Herkunft bescheinigen. Trotz Hinweisen, dass der BF ein aus Tibet stammender chinesischer Staatsangehöriger sein könnte, ist das BFA jedoch ohne weitere Ermittlungen zu diesen Aspekten nur aufgrund des Vorliegens einer Reisepasskopie von einer nepalesischen Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers ausgegangen. Es hat es entgegen seiner amtswegigen Ermittlungspflicht unterlassen, die für das Verfahren wesentliche Frage der Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers zu prüfen und sich in der Begründung des am Tag der niederschriftlichen Einvernahme des Beschwerdeführers ausgefertigten Bescheids auf die Aussage beschränkt, dass die Identität des Beschwerdeführers "aufgrund des im Rahmen der Visumsbeantragung vorgelegten Reisepasses" feststehe (AS 333). Es ist aber nicht erkennbar, warum trotz der Aussagen des BF bloß anhand der vorliegenden Reisepasskopie ohne jeglicher Ermittlungstätigkeit zur Authentizität derselben davon ausgegangen werden konnte, dass der vom BF verwendete Reisepass echt und damit der BF nepalesischer Staatsangehöriger sei.

Da die Staatsangehörigkeit idR den Herkunftsstaat iSd § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG definiert bzw. diese die Voraussetzung einer ordnungsgemäßen Prüfung einer allfälligen Verfolgung im Herkunftsstaat iSd § 3 Abs. 1 AsylG darstellt, ist die Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführer aufgrund geeigneter und nachvollziehbarer Quellen festzustellen und weist daher die Vorgehensweise des BFA aufgrund mangelnder diesbezüglicher Ermittlungen gravierende Ermittlungslücken im Sinne der Erkenntnisse des VwGH, Ra 2014/03/0054 vom 30.06.2015 sowie VwGH, Ra 2015/01/0123 vom 06.07.2016, auf bzw. hat die belangte Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt auch lediglich ansatzweise ermittelt (VwGH 27. Jänner 2015, Ra 2014/22/0087, VwGH 12. November 2014, Ra 2014/20/0029, mwN). Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 7.11.2008, Zl. U 67/08-9, ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes.

Das BFA wird demnach im fortgesetzten Verfahren zunächst die Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers zu klären haben, um das Vorbringen im Hinblick auf den tatsächlichen Sachverhalt abzuklären. Dazu erscheint es einerseits notwendig festzustellen, ob es sich bei dem vom BF verwendeten Reisepass um eine Fälschung handelte, wie vom Beschwerdeführer behauptet, oder nicht. Sollte nicht ausreichend sicher feststellbar sein, ob der vom BF verwendete Reisepass echt ist oder nicht, wird es sich für die Beurteilung der tatsächlichen Herkunft des Beschwerdeführers als sinnvoll erweisen zu überprüfen, ob der Beschwerdeführer in Tibet ortskundig ist.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Ausgehend von diesen Überlegungen war im vorliegenden Fall eine kassatorische Entscheidung zu treffen. Besondere Gesichtspunkte, die aus der Sicht des Beschwerdeführers gegen eine Kassation des angefochtenen Bescheides sprechen würden, sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar. Die Rechtssache war daher spruchgemäß an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Im vorliegenden Fall konnte die Verhandlung im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG entfallen, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben war.

2. Zu B:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Staatsangehörigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W202.2223267.1.00

Im RIS seit

27.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

27.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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