TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/27 L504 2141615-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.03.2020
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Entscheidungsdatum

27.03.2020

Norm

AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4

Spruch

L504 2141615-1/43E
L504 2141622-1/41E
L504 2141619-1/42E
L504 2141612-1/42E
L504 2141610-1/42E
L504 2141606-1/42E
L504 2141602-1/42E

L504 2206972-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerden von

1.        XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.11.2016, Zl. 1097914704-151928136,

2.        XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.11.2016, Zl. 1097914900-151928144,

3.        XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch die Mutter XXXX , diese vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.11.2016, Zl. 1097915505-151928195,

4.        XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch die Mutter XXXX , diese vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.11.2016, Zl. 1097916110-151928217,

5.        XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch die Mutter XXXX , diese vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.11.2016, Zl. 1097915309-151928165,

6.        XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch die Mutter XXXX , diese vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.11.2016, Zl. 1097915407-151928179,

7.        XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch die Mutter XXXX , diese vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.11.2016, Zl. 1097924504-151928152,

8.        XXXX , geb. XXXX , StA Irak, vertreten durch den Vater XXXX , diese vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.08.2018, Zl.1201448807-180729714

zu Recht erkannt:

A)

Ad 1-7. Den Beschwerden wird hinsichtlich der Spruchpunkte II., III., IV., stattgegeben und gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG der Status eines/einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt.

In einem wird diesen gemäß § 8 Abs 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte bis 27.03.2021 erteilt.

Ad 8. Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte II., IV., V., VI., stattgegeben und gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt.

In einem wird diesem gemäß § 8 Abs 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte bis 27.03.2021 erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

Die erst- bis siebtbeschwerdeführenden Parteien [bP1 – bP7] gaben an Staatsangehörige des Irak, sowie Angehörige der arabischen Volksgruppe und schiitischen Glaubens zu sein. Sie reisten illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 02.12.2015 Anträge auf internationalen Schutz. Bei den bP3 – bP8 handelt es sich um die minderjährigen Kinder der verheirateten bP1 und bP2.

Am 04.12.2015 wurden die bP1 und bP2 von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt.

Dabei gab die bP1 an, dass im Juli 2015 ihr jüngster Sohn, die bP7, entführt und nach der Bezahlung von Lösegeld iHv USD 5.000,- wieder freigelassen worden sei. Die bP1 habe Angst um ihr Leben und um das ihrer Familie, weswegen sie ausgereist sei. Sonst gebe es keine weiteren Fluchtgründe.

Die bP2 bestätigte diese Angaben und gab an, dass sie für das Lösegeld ihr Haus verkauft hätten. Sie habe Angst um ihr Leben und das ihrer Familie, weswegen sie ihr Heimatland verlassen hätten. Dieselben Gründe würden auch für die bP3-bP7 gelten.

Am 02.11.2016 wurden die bP1 und bP2 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [BFA], Regionaldirektion Niederösterreich, niederschriftlich einvernommen.

Dabei führte die bP1 eingangs aus, dass ihr Bruder in Österreich asylberechtigt sei.

Im Irak habe die bP1 gemeinsam mit den bP2 – bP7 und ihren Eltern bzw. einem Teil ihrer Geschwister in einem Haushalt gewohnt. Den Lebensunterhalt habe sie durch Taxifahren bzw. zuvor durch eine Tätigkeit als Maler bestritten.

Der bP7 sei entführt worden, als sie zu einem Geschäft gegangen sei. Die bP1 sei dann von den Entführern angerufen worden, dass sie ihren Sohn hätten und ihn töten würden, wenn nicht bezahlt werde. Als Lösegeld seien 5 Einheiten verlangt worden, wobei jede Einheit 100 Scheine seien und jeder Schein USD 100. Sie habe 10 Tage gebraucht, um das Haus zu verkaufen und sei sie von den Entführern zudem gewarnt worden, die Polizei zu verständigen. Als sie das Geld am vereinbarten Ort abgelegt hätten, sei in der Nacht plötzlich der Sohn wieder vor der Tür gestanden, von den Entführern sei nichts zu sehen gewesen. Die bP7 sei zehn Tage bei den Entführern gewesen. Zur Polizei seien sie wegen der Entführung nicht gegangen.

Bei einer Rückkehr in den Irak habe die bP1 Angst um ihr Leben und das ihrer Kinder bzw. um deren Zukunft. Hier müsse sie keine Angst um sie haben und könnten sie zur Schule gehen.

Die bP2 gab eingangs an, dass ihr Schwager, der Bruder der bP1, in Österreich Asyl bekommen habe.

Die bP7 sei entführt worden, als sie habe einkaufen gehen wollen. Die bP2 habe zu diesem Zeitpunkt geschlafen und als sie munter geworden sei, habe sie ihren Sohn nicht finden können. Als die bP1 von der Arbeit gekommen sei, hätten sie die bP7 gemeinsam gesucht und anschließend ihr Foto bei der Polizei abgegeben. Acht Tage später habe sie einen Brief erhalten, in dem Lösegeld verlangt worden sei. Die bP2 sei ohnmächtig geworden und im Krankenhaus gewesen. Die bP hätten dann ihr Haus verkaufen müssen, um das Lösegeld zu bezahlen. Das Haus hätten sie über ein Immobilienbüro verkauft. Die Geldübergabe sei dann um zwei Uhr in der Nacht erfolgt. Die bP1 habe sich um diese Sache gekümmert, da sie selbst im Krankenhaus gewesen sei. Das Geld sei vor die Haustüre gestellt worden und hätten die Entführer, als sie das Geld geholt hätten, die bP7 wieder beim Haus abgesetzt.

Die bP würden nicht wissen, um wen es sich bei den Entführern handle. Im Irak herrsche Anarchie, die Menschen würden einfach getötet.

Mit den im Spruch genannten Bescheiden vom 16.11.2016 hat das BFA die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gem. § 3 AsylG Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde den bP der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Weiters wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG nicht erteilt und gem. § 10 Abs. 1 Z 3 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen sowie gem. § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gem. § 46 FPG in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

In der Begründung wurde vom BFA zusammengefasst ausgeführt, dass wesentliche Details der behaupteten Entführung zu widersprüchlich geschildert worden seien, um nur ansatzweise einen glaubhaften Kern dahinter vermuten zu können. Die bP seien nicht in der Lage gewesen, glaubhaft zu machen, dass sie den Irak aufgrund einer konkreten Verfolgung oder Gefahr einer solchen verlassen hätten.

Weiters könne nicht glaubhaft davon ausgegangen werden, dass im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat Irak den bP dort die notwendige Lebensgrundlage entzogen wäre.

Ebenso sei den bP kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen und werde gegen die bP eine Rückkehrentscheidung erlassen bzw. sei ihre Abschiebung in den Irak zulässig.

Gegen diese Bescheide wurden von den bP1-bP7 innerhalb offener Frist vollumfängliche Beschwerden erhoben.

Das BVwG hat die Beschwerden der bP1-7 in den angeführten Verfahren mit Erkenntnis vom 26.01.2017 als unbegründet abgewiesen. Insbesondere wurde darin die vorgebrachte sicherheitsrelevante Bedrohungslage bzw. die diesbezüglichen Erlebnisse als nicht glaubhaft erachtet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 23.03.2017, Ra 2017/18/0089 die angefochtenen Erkenntnisse der bP 1-7 vom 26. Jänner 2017, Zlen. L504 2141602-1/5E (zu 1.), L504 2141606-1/5E (zu 2.), L504 2141610-1/5E (zu 3.), L504 2141612-1/5E (zu 4.), L504 2141615-1/5E (zu 5.), L504 2141619-1/5E (zu 6.) und L504 2141622-1/5E (zu 7.), insoweit behoben, als damit die Beschwerde der revisionswerbenden Parteien gegen die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung von Aufenthaltstitel nach § 57 Asylgesetz 2005, gegen die Erlassung von Rückkehrentscheidungen und die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Festlegung der Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen worden ist, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben wurde.

Im Übrigen wurde die Revision als unbegründet abgewiesen.

Im Wesentlichen wurde durch den VwGH beanstandet, das BVwG habe sich nicht hinreichend mit den Gründen für die Zuerkennung des Status eines subsidiären Schutzes auseinandergesetzt.

Die Entscheidung des BVwG zu § 3 AsylG in den Verfahren der bP1-7 erwuchs somit in Rechtskraft und waren daher bei diesen nicht mehr Gegenstand für das fortgesetzte Verfahren.

Während des beim BVwG wieder anhängigen Beschwerdeverfahrens wurde die bP8 in Österreich geboren und wurde für diese durch die die bP1 und bP2 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Das Kind habe keine eigenen Fluchtgründe bzw. Rückkehrbefürchtungen und der Antrag beziehe sich ausschließlich auf die Gründe des Vaters bzw. der Mutter.

Der Antrag auf internationalen Schutz wurde hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 AsylG Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde der bP der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Weiters wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gem. § 10 Abs. 1 Z 3 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie gem. § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gem. § 46 FPG in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt V..). Gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status einer Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten argumentierte das Bundesamt im Wesentlichen damit, dass für das Kind keine eigenen Gefährdungsgründe dargelegt worden seien und sich jene der Eltern als nicht glaubhaft erwiesen hätten.

Gegen Spruchpunkt I., II., IV. V. und VI. wurde binnen offener Frist Beschwerde erhoben. Spruchpunkt III. erwuchs somit bei der bP8 in Rechtskraft. Eingewendet werden in der Beschwerde im Wesentlichen eine schlechte humanitäre Versorgung und schlechte.Sicherheitslage. Die Grundversorgung sei für die bP bzw. die Familie nicht gewährleistet.

Mit Schreiben vom 14.02.2020 machten die bP1-8 über Aufforderung des BVwG Angaben zu verfahrensgegenständlichen persönlichen Umständen.

Mit Schriftsatz vom 25.02.2020 hat das BVwG den Verfahrensparteien zur Wahrung des Parteiengehörs aktuelle Berichte zur entscheidungsrelevanten Lage im Irak übermittelt und binnen 2 Wochen zur Stellungnahme aufgefordert. Die Parteien brachten dazu keine Stellungnahme ein.

Mit Schreiben vom 10.03.2020 legte die bP1 ihre Person betreffende medizinische Bescheinigungsmittel vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zu den Personen der beschwerdeführenden Parteien:

Die bP1 – bP8 sind Staatsangehörige des Irak, gehören der Volksgruppe der Araber an und sind schiitischen Glaubens. Die bP1 und bP2 sind verheiratet und Eltern der minderjährigen bP3 – bP8. Ihre Identität steht fest. Die bP 8 wurde in Österreich geboren.

Vor ihrer Ausreise aus dem Irak lebten die bP1-7 in Basrah und verdiente die bP1 den Lebensunterhalt für die Familie (bP1-bP7) als Taxifahrer. Im Irak leben Geschwister der bP1 und auch der bP2. Vor der Ausreise verkauften die bP ihr Haus im Irak.

Die bP1 wurde am 01.03.2020 aus stationärem Krankenhausaufenthalt wegen operativer Gallenblasenentfernung auf Grund eines Gallensteinleidens entlassen. Sie konnte beschwerdefrei entlassen werden und erhielt Schmerzmittel verordnet, die bei Bedarf eingenommen werden können.

1.2. Zu den behaupteten ausreisekausalen Geschehnissen / Erlebnissen im Zusammenhang mit staatlichen bzw. nichtstaatlichen Akteuren und der zu erwartenden Rückkehrsituation

Im ersten Verfahrensgang hat das BVwG das als ausreisekausal dargelegte Gefährdungsvorbringen im Hinblick auf die bP1-bP7 als nicht glaubhaft und nicht asylrelevant erachtet und hat der Verwaltungsgerichtshof dies bei seiner Überprüfung auch nicht beanstandet. Diese Feststellung bzw. Entscheidung ist somit in Rechtskraft erwachsen und unterliegt keiner neuerlichen Überprüfung. Es war somit hinsichtlich der bP1-bP7 darüber nicht mehr zu entscheiden.

In Bezug auf die bP 8 wurde im Antrag konkret auf das Gefährdungsvorbringen der Eltern verwiesen und angegeben, dass das in Österreich geborene Kind keine eigenen Gründe hat. Aus dem schon bei den bP1-7 im ersten Verfahrensgang dargelegten Gefährdungsvorbringen, welches rechtskräftig als nicht glaubhaft erachtet worden ist, ergibt sich somit auch für die bP8 kein glaubhafter asylrelevanter Sachverhalt.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die bP vor ihrer Ausreise aus ihrem Herkunftsstaat einer unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung bzw. Bedrohung ausgesetzt waren bzw. im Falle einer Rückkehr ausgesetzt wären.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die bP im Falle einer Rückkehr in ihre Heimatstadt bzw. Heimatregion Basrah, die sich unter der Kontrolle der irakischen Regierung befindet, auf Grund der allgemeinen Sicherheitslage einer realen Gefahr von Leib und/oder Leben ausgesetzt wären.

Es handelt sich hier um ein Ehepaar mit 6 minderjährigen Kindern. Auf Grund der Größe der Familie, den persönlichen Verhältnissen und in Zusammenschau mit der Berichtslage zum Irak, ergibt sich die reale Gefahr, dass aktuell nicht das zum Leben erforderliche erlangt werden kann und sie in eine ausweglose Lage geraten würden.

1.3. Asyl- und abschiebungsrelevante Lage

Quellen:

Anfragebeantwortung d. Staatendokumentation v. 02.12.2019 – Irak Sicherheits- u. Versorgungslage in Nadschaf u. Basra v. 02.02.2019

Accord – Themendossier zum Irak: Schiitische Milizen v. 11.12.2019

Joel Wing – Overview of the State of Iraq – spring 2019, vom 28.03.2019

Musings on Iraq – Security in Iraq, Oct 1-14 2019

Accord – ecoi.net themendossier Irak – Aktuelle pol. Entwicklungen – Protestlage v. 19.02.2020

ACLED Kurzübersicht Irak, 1. Halbjahr 2019 v. 19.12.2019

Länderinformationsblatt Irak Stand 30.10.2019

Zusammengefasst ergibt sich für diesen Fall aus den Quellen folgendes Lagebild bzw. Schlussfolgerungen und Feststellungen:

Politik / Zusammensetzung der Bevölkerung

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert. Gemäß der Verfassung ist der Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat, der aus 18 Provinzen besteht. Die Autonome Region Kurdistan ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaymaniya. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung, verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte.

Die konfessionell/ethnische Verteilung der politischen Spitzenposten ist nicht in der irakischen Verfassung festgeschrieben, aber seit 2005 üblich. So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde. Die meisten religiös-ethnischen Gruppen sind im Parlament vertreten.

Der Irak hat ca. 40 Millionen Einwohner. Etwa 75–80 % der heute im Irak lebenden Bevölkerung sind Araber, 15–20 % sind Kurden und 5 % sind Turkomanen, rund 600.000 Assyrer/Aramäer, etwa 10.000 Armenier oder Angehörige anderer ethnischer Gruppen. Weiterhin sollen im Südosten 20.000 bis 50.000 Marsch-Araber leben. Von turkomanischen Quellen wird der Anteil der eigenen ethnischen Gruppe auf etwa 10 % geschätzt.

Etwa 97 % der Bevölkerung sind muslimisch. Über 60 % sind Schiiten und zwischen 32 und 37 % Sunniten; die große Mehrheit der muslimischen Kurden ist sunnitisch. Ca. 17-22 %, also ca. 6,5 bis 8,4 Millionen der Gesamtbevölkerung sind arabische Sunniten (vorwiegend im Zentral- und Westirak), ca. 15-20 % der Gesamtbevölkerung sind kurdische Sunniten.

Sicherheitskräfte – Milizen - Rechtschutz

Die irakischen Sicherheitskräfte ISF:

Im ganzen Land sind zahlreiche innerstaatliche Sicherheitskräfte tätig. Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF, Iraqi Security Forces) bestehen aus Sicherheitskräften, die vom Innenministerium verwaltet werden, Sicherheitskräften, die vom Verteidigungsministerien verwaltet werden, den Volksmobilisierungseinheiten (PMF, Popular Mobilization Forces), und dem Counter-Terrorism Service (CTS). Das Innenministerium ist für die innerstaatliche Strafverfolgung und die Aufrechterhaltung der Ordnung zuständig; es beaufsichtigt die Bundespolizei, die Provinzpolizei, den Dienst für den Objektschutz, den Zivilschutz und das Ministerium für den Grenzschutz. Die Energiepolizei, die dem Ölministerium unterstellt ist, ist für den Schutz von kritischer Infrastruktur in diesem Bereich verantwortlich. Konventionelle Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die Verteidigung des Landes zuständig, führen aber in Zusammenarbeit mit Einheiten des Innenministeriums auch Einsätze zur Terrorismusbekämpfung sowie interne Sicherheitseinsätze durch. Der Counter-Terrorism Service (CTS) ist direkt dem Premierminister unterstellt und überwacht das Counter-Terrorism Command (CTC), eine Organisation, zu der drei Brigaden von Spezialeinsatzkräften gehören. Die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 100.000 Armee-Angehörige (ohne PMF und Peshmerga) und über 100.000 Polizisten umfassen.

Volksmobilsierungseinheiten (PMF):

Der Name bezeichnet eine Dachorganisation für etwa vierzig bis siebzig Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen. Die PMF werden vom Staat unterstützt und sind landesweit tätig. Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist schiitisch, was die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere „Minderheiten-Einheiten“ der PMF sind in ihren Heimatregionen tätig. Es gibt große, gut ausgerüstete Milizen, quasi militärische Verbände, wie die Badr-Organisation, mit eigenen Vertretern im Parlament, aber auch kleine improvisierte Einheiten mit wenigen Hundert Mitgliedern, wie die Miliz der Schabak. Viele Milizen werden von Nachbarstaaten wie dem Iran oder Saudi-Arabien unterstützt. Die Türkei unterhält in Baschika nördlich von Mosul ein eigenes Ausbildungslager für sunnitische Milizen. Die Milizen haben eine ambivalente Rolle. Einerseits wäre die irakische Armee ohne sie nicht in der Lage gewesen, den IS zu besiegen und Großveranstaltungen wie die Pilgerfahrten nach Kerbala mit jährlich bis zu 20 Millionen Pilgern zu schützen. Andererseits stellen die Milizen einen enormen Machtfaktor mit Eigeninteressen dar, was sich in der gesamten Gesellschaft, der Verwaltung und in der Politik widerspiegelt und zu einem allgemeinen Klima der Korruption und des Nepotismus beiträgt. Die PMF unterstehen seit 2017 formal dem Oberbefehl des irakischen Ministerpräsidenten. Alle PMF-Einheiten sind offiziell dem Nationalen Sicherheitsberater unterstellt. Die Bemühungen der Regierung, die PMF als staatliche Sicherheitsbehörde zu formalisieren, werden fortgesetzt, aber Teile der PMF bleiben „iranisch“ ausgerichtet. Das Handeln dieser unterschiedlichen Einheiten stellt zeitweise eine zusätzliche Herausforderungen in Bezug auf die Sicherheitslage dar, insbesondere - aber nicht nur - in ethnisch und religiös gemischten Gebieten des Landes.

Rechtschutz

Das reguläre Strafjustizsystem besteht aus Ermittlungsgerichten, Gerichten der ersten Instanz, Berufungsgerichten, dem Kassationsgerichtshof und der Staatsanwaltschaft. Das Oberste Bundesgericht erfüllt die Funktion eines Verfassungsgerichts. Die Verfassung garantiert die Unabhängigkeit der Justiz. Jedoch schränken bestimmte gesetzliche Bestimmungen und Einflussnahmen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz ein. Personal- und Kompetenzmangel wird zuweilen beklagt.

Die Verfassung gibt allen Bürgern das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess. Dennoch verabsäumen es Beamte vereinzelt, Angeklagte unverzüglich oder detailliert über die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu informieren. Beobachter berichteten, dass Verfahren nicht den internationalen Standards entsprechen. Obwohl Ermittlungs-, Prozess- und Berufungsrichter im Allgemeinen versuchen, das Recht auf ein faires Verfahren durchzusetzen, gibt es diesbezüglich Mängel im Verfahren. Urteile ergehen vereinzelt mit überschießend hohen Strafen.

Aufgrund von Misstrauen gegenüber Gerichten oder fehlendem Zugang wenden sich Iraker vereinzelt auch an Stammesinstitutionen, um Streitigkeiten beizulegen, selbst wenn es sich um schwere Verbrechen handelt.

Die Rechtsprechung ist in der Praxis von einem Mangel an kompetenten Richtern, Staatsanwälten sowie Justizbeamten gekennzeichnet. Eine Reihe von Urteilen lassen auf politische Einflussnahme schließen. Hohe Richter werden oftmals auch unter politischen Gesichtspunkten ausgewählt.

Basrah

Basra ( auch Basrah oder Bassora) ist eine Stadt im Süden des Irak. Sie liegt am Schatt al-Arab etwa 100 Kilometer entfernt von dessen Mündung in den Persischen Golf und ist die wichtigste Hafenstadt des Landes. Basra ist Hauptstadt der an die iranische Provinz Chuzestan grenzenden Provinz Basra und nicht zuletzt wegen der Erdölindustrie die bedeutendste Stadt im mehrheitlich von Schiiten bewohnten Südirak.. Mit 1.914.205 Einwohnern (Berechnung 2010)[1] ist sie nach Bagdad und Mosul die drittgrößte Stadt des Irak. Nahezu alle Einwohner sind Araber. Über 95 % der Einwohner sind Muslime, davon über 86 % Schiiten und 9 % Sunniten und kleinere Minderheiten wie Christen und Mandäern 5 %.

Zuletzt gab es auch in Basra Opfer (Todesfälle und Verletzte) an Demonstrationsorten bei Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten, idR junge irakische Männer, und Sicherheitskräften. Demonstriert wurde bzw. wird im Wesentlichen gegen die Regierung wegen Korruption, hohe Arbeitslosigkeit und schlechte Stromversorgung. Der Ärger der jungen Iraker richtet sich aber auch gegen die USA. Zahlreiche Demonstrationsteilnehmer wendeten dabei Gewalt gegen Sachen und Sicherheitskräften an, wobei diese ebenso auch mit Gewalt reagierten. Schiiten und Sunniten vereinen sich bei diesen Protesten bzw. Demonstrationen über konfessionelle Grenzen hinweg.

Kinder

Ca. 39 % der rund 40 Millionen Einwohner des Irak sind im Alter zw. 0 und 14 Jahren (https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html).

Kinder können uU (vgl.UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen v. Mai 2019) auch Opfer von Straftaten sein, jedoch gibt es keine Berichte über Ereignisse bzw. nachvollziehbare Referenzfälle das Jahr 2019 betreffend, die zum Entscheidungszeitpunkt eine reale oder mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende Gefährdung von Leib und/oder Leben eines Kindes in Basra darlegen würden.

Allg. Sicherheitslage

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen Sieg über den Islamischen Staat. Die Sicherheitslage hat sich, seitdem die territoriale Kontrolle des IS gebrochen wurde, verbessert. Vereinzelte, untergetauchte IS-Kämpfer sind jedoch weiterhin in manchen Gebieten für Verbrechen verantwortlich. Ebenso werden vereinzelt Übergriffe seitens schiitischer Milizen verzeichnet. Die allgemeine Kriminalitätsrate ist hoch. Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet grds. nicht statt. In der Autonomen Region Kurdistan sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt.

Wenngleich es zum Teil erhebliche Mängel im Sicherheits- und Rechtschutzsystem gibt, kann nicht davon gesprochen werden, dass für die Bevölkerung generell keine wirksamen Schutzmechanismen vorhanden wären oder, dass dazu kein Zugang möglich wäre. Ansätze zur Abhilfe und zur Professionalisierung entstehen durch internationale Unterstützung: Die Sicherheitssektorreform wird aktiv und umfassend von der internationalen Gemeinschaft unterstützt.

Es ergibt sich auf Grund der aktuellen Berichtslage nicht, dass in der Herkunftsregion der beschwerdeführenden Partei oder im gesamten Irak aktuell eine Lage herrschen würde, die für eine Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit (infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes) mit sich bringen würde.

Es kann auf Grund der aktuellen Berichtslage nicht festgestellt werden, dass derzeit quasi jede Person mit dem Persönlichkeitsprofil der beschwerdeführenden Partei (insbes. ethnische, konfessionelle Zugehörigkeit) im Irak bzw. in der Herkunftsregion einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohenden Verfolgung aus asylrelevanten Motiven unterliegen würde.

Es kann ebenso nicht festgestellt werden, dass für diese Personen im Irak bzw. in der Herkunftsregion eine allgemeine Sicherheitslage herrschen würde, wonach sie einer realen Gefahr einer Gefährdung der persönlichen Unversehrtheit ausgesetzt wären

Aktuelle Versorgungslage

Auf Grund klimatischer Verhältnisse (Wasserknappheit) und zum Teil veralteter Infrastruktur kann die Versorgung mit sauberem Wasser nicht überall gleich gut gewährleistet sein. Berichte, dass das Mindestmaß an lebensnotwendiger Versorgung mit Trinkwasser (zB auch durch Kauf von Trinkwasserflaschen in Geschäften) im Irak nicht möglich oder zugänglich wäre, liegen nicht vor.

Schätzungen des Welternährungsprogramms zufolge benötigen ca. 700.000 Iraker Nahrungsmittelhilfe. Das Sozialsystem wird vom sog. „Public Distribution System“ (PDS) dominiert, einem Programm, bei dem die Regierung importierte Lebensmittel kauft, um sie an die Öffentlichkeit zu verteilen. Das PDS ist das wichtigste Sozialhilfeprogramm im Irak, in Bezug auf Flächendeckung und Armutsbekämpfung. Es ist das wichtigste Sicherheitsnetz für Arme. Es sind alle Bürger berechtigt, Lebensmittel im Rahmen von PDS zu erhalten. An der Umsetzung kann es zu Mängeln kommen.

Medizinische Versorgung

Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können, haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert.

Bewegungsfreiheit

Die irakische Verfassung und andere nationale Rechtsinstrumente erkennen das Recht aller Bürger auf Freizügigkeit, Reise- und Aufenthaltsfreiheit im ganzen Land an. Die Bewegungsfreiheit verbesserte sich, nachdem die vom IS kontrollierten Gebiete wieder unter staatliche Kontrolle gebracht wurden.

In einigen Fällen beschränken die Behörden die Bewegungsfreiheit von Vertriebenen und verbieten Bewohnern von IDP-Lagern, ohne eine Genehmigung das Lager zu verlassen. Das Gesetz erlaubt es den Sicherheitskräften aus Sicherheitsgründen die Bewegungsfreiheit im Land einzuschränken, Ausgangssperren zu verhängen, Gebiete abzuriegeln und zu durchsuchen. Es gab Berichte, dass Sicherheitskräfte (ISF, Peshmerga, PMF) Bestimmungen, die Aufenthaltsgenehmigungen vorschreiben, um die Einreise von Personen in befreite Gebiete unter ihrer Kontrolle zu beschränken, in der Vergangenheit selektiv umgesetzt haben.

Eine Kontrolle der eigenen Staatsangehörigen findet bei der Ausreise statt. Iraker mit gültigem Reisepass genießen Reisefreiheit und können die Landesgrenzen problemlos passieren.

Die kurdische Autonomieregierung schränkt die Bewegungsfreiheit in den von ihr verwalteten Gebieten ein. Innerirakische Migration aus dem Zentralirak in die Autonome Region Kurdistan ist grundsätzlich möglich. Durch ein Registrierungsverfahren wird der Zuzug jedoch kontrolliert. Wer dauerhaft bleiben möchte, muss sich bei der Asayish-Behörde des jeweiligen Bezirks anmelden. Informationen über die Anzahl der Anträge und Ablehnungen werden nicht veröffentlicht. Die Behörden verlangen von Nicht-Ortsansässigen, Genehmigungen einzuholen, die einen befristeten Aufenthalt in der Autonomieregion erlauben. Diese Genehmigungen waren in der Regel erneuerbar. Bürger, die eine Aufenthaltserlaubnis für die Autonome Region Kurdistan bzw. die von ihr kontrollierten Gebiete einholen wollen, benötigen idR einen in der Region ansässigen Bürgen. Bürger, die aus dem Zentral- oder Südirak in die Autonome Region Kurdistan einreisen (egal welcher ethno-religiösen Gruppe sie angehörten, auch Kurden) müssen aus Sicherheitsgründen Checkpoints passieren und Personen- und Fahrzeugkontrollen werden idR durchgeführt. Die Behörden der Autonomen Region Kurdistan wenden Beschränkungen zuweilen unterschiedlich streng an. Die Wiedereinreise von IDPs und Flüchtlingen wird - je nach ethno-religiösem Hintergrund und Rückkehrgebiet - mehr oder weniger restriktiv gehandhabt. Beamte hindern Personen, die ihrer Meinung nach ein Sicherheitsrisiko darstellen könnten, an der Einreise in die Region. Die Einreise kann für Männer oft schwieriger, insbesondere für arabische Männer, die ohne Familie reisen.

2. Beweiswürdigung:

Das Bundesverwaltungsgericht hat Beweis erhoben durch die Verwaltungsakte des Bundesamtes einschließlich der Beschwerde sowie durch die Ergebnisse des ergänzenden Ermittlungsverfahrens.

Zu den bP:

Die Feststellungen zu den bP ergeben sich aus den in diesen Punkten stimmigen Angaben der bP und vorgelegten Bescheinigungsmitteln.

Zur Lage im Herkunftsstaat:

Die verfahrensgegenständlichen Berichte wurden den bP mit einer Stellungnahmemöglichkeit zu Gehör gebracht. Weder die bP noch das Bundesamt brachten eine Stellungnahme ein.

Bei den bP handelt es sich um schiitische Moslems und hat das Ermittlungsverfahren nicht glaubhaft ergeben, dass sich die bP durch ihr bisheriges Verhalten im Irak exponiert hätten und dadurch besonders in das Blickfeld von Milizen oder irakischen Sicherheitskräften gelangt wären.

Dass eine Rückkehr auf Grund der Sicherheitslage im Irak für die bP unzumutbar ist, ergibt sich aus der aktuellen Lage nicht.

Soweit Demonstrationen mit beiderseitigen Gewaltausschreitungen stattfinden, so sind diese örtlich und zeitlich sehr beschränkt und ergibt sich daraus im Regelfall keine reale Gefahr von Leib und Leben für Personen, welche sich nicht dergestalt daran beteiligen.

Resümierend ergibt sich somit aus der Berichtslage keine derart prekäre Sicherheitslage, dass die bP bei einer Rückkehr nach Basra mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer relevanten Gefährdung unterliegen würden.

Auf Grund der persönlichen Umstände in Zusammenschau mit der sich aus den Berichten ergebenden aktuellen Versorgungslage ergibt sich in diesem Fall jedoch eine reale Gefährdung für die 8köpfige Familie.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (bP8)

Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten

1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK), droht.

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht – diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann –, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. „inländische Fluchtalternative“ vor. Der Begriff „inländische Fluchtalternative“ trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).

Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße – möglicherweise vorübergehende – Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände iSd. Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH 21.01.1999, Zl. 98/20/0399; 03.05.2000, Zl. 99/01/0359).

2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht der bP, in ihrem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet ist:

Im gegenständlichen Fall sind nach Ansicht des erkennenden Richters die dargestellten Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status von Asylberechtigten, nämlich eine glaubhafte Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat aus einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK angeführten Grund nicht gegeben.

Wie sich aus den Erwägungen ergibt, wurden in Bezug auf die bP8 keine eigenen Gründe vorgebracht sondern wurden auf jene der Eltern verwiesen, die schon rechtskräftig als nicht glaubhaft bzw. als nicht asylrelevant erkannt wurden. Auch aus der allgemeinen Lage im Irak ergibt sich aktuell für die bP keine Situation wonach für sie im Falle der Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgungsgefahr bestünde.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide (bP1-8)

Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten

1. § 8 AsylG

(1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,
1.         der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder
2.         dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK [Recht auf Leben], Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.

(3a) Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

(4) Einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, ist vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

(5) In einem Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 1 Z 2 gilt Abs. 4 mit der Maßgabe, dass die zu erteilende Aufenthaltsberechtigung gleichzeitig mit der des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wird, endet.

(6) Kann der Herkunftsstaat des Asylwerbers nicht festgestellt werden, ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen. Diesfalls ist eine Rückkehrentscheidung zu verfügen, wenn diese gemäß § 9 Abs. 1 und 2 BFA-VG nicht unzulässig ist.

(7) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten erlischt, wenn dem Fremden der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird.

Art. 2 EMRK lautet:

„(1) Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden.

(2) Die Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie sich aus einer unbedingt erforderlichen Gewaltanwendung ergibt: a) um die Verteidigung eines Menschen gegenüber rechtswidriger Gewaltanwendung sicherzustellen; b) um eine ordnungsgemäße Festnahme durchzuführen oder das Entkommen einer ordnungsgemäß festgehaltenen Person zu verhindern; c) um im Rahmen der Gesetze einen Aufruhr oder einen Aufstand zu unterdrücken.“

Während das 6. ZPEMRK die Todesstrafe weitestgehend abgeschafft wurde, erklärt das 13. ZPEMRK die Todesstrafe als vollständig abgeschafft.

Art. 3 EMRK lautet:

„Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“

Folter bezeichnet jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen, um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind (Art. 1 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984).

Unter unmenschlicher Behandlung ist die vorsätzliche Verursachung intensiven Leides unterhalb der Stufe der Folter zu verstehen (Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht 10. Aufl. (2007), RZ 1394).

Unter einer erniedrigenden Behandlung ist die Zufügung einer Demütigung oder Entwürdigung von besonderem Grad zu verstehen (Näher Tomasovsky, FS Funk (2003) 579; Grabenwarter, Menschenrechtskonvention 134f).

Art. 3 EMRK enthält keinen Gesetzesvorbehalt und umfasst jede physische Person (auch Fremde), welche sich im Bundesgebiet aufhält.

Der EGMR geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass die EMRK kein Recht auf politisches Asyl garantiert. Die Rückkehrentscheidung eines Fremden kann jedoch eine Verantwortlichkeit des ausweisenden Staates nach Art. 3 EMRK begründen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass der betroffene Person im Falle seiner Rückkehrentscheidung einem realen Risiko ausgesetzt würde, im Empfangsstaat einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06).

Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme verletzt Art. 3 EMRK auch dann, wenn begründete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Fremde im Zielland gefoltert oder unmenschlich behandelt wird (für viele: VfSlg 13.314; EGMR 7.7.1989, Soering, EuGRZ 1989, 314). Die Asylbehörde hat daher auch Umstände im Herkunftsstaat der bP zu berücksichtigen, auch wenn diese nicht in die unmittelbare Verantwortlichkeit Österreichs fallen. Als Ausgleich für diesen weiten Prüfungsansatz und der absoluten Geltung dieses Grundrechts reduziert der EGMR jedoch die Verantwortlichkeit des Staates (hier: Österreich) dahingehend, dass er für ein „ausreichend reales Risiko“ für eine Verletzung des Art. 3 EMRK eingedenk des hohen Eingriffschwellenwertes („high threshold“) dieser Fundamentalnorm strenge Kriterien heranzieht, wenn dem Beschwerdefall nicht die unmittelbare Verantwortung des Vertragstaates für einen möglichen Schaden des Betroffenen zu Grunde liegt (vgl. Karl Premissl in Migralex „Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in „Dublin-Verfahren““, derselbe in Migralex: „Abschiebeschutz von Traumatisieren“; EGMR: Ovidenko vs. Finnland; Hukic vs. Scheden, Karim, vs. Schweden, 4.7.2006, Appilic 24171/05, Goncharova & Alekseytev vs. Schweden, 3.5.2007, Appilic 31246/06.

Der EGMR geht weiters allgemein davon aus, dass aus Art. 3 EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische od. sonst. unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet. Nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen (vgl für mehrere. z. B. Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 [„St. Kitts-Fall“], oder auch Application no. 7702/04 by SALKIC and Others against Sweden oder S.C.C. against Sweden v. 15.2.2000, 46553 / 99).

Voraussetzung für das Vorliegen einer relevanten Bedrohung ist auch in diesem Fall, dass eine von staatlichen Stellen zumindest gebilligte oder nicht effektiv verhinderbare Bedrohung der relevanten Rechtsgüter vorliegt oder dass im Heimatstaat des Asylwerbers keine ausreichend funktionierende Ordnungsmacht (mehr) vorhanden ist und damit zu rechnen wäre, dass jeder dorthin abgeschobene Fremde mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der in [nunmehr] § 8 Abs. 1 AsylG umschriebenen Gefahr unmittelbar ausgesetzt wäre (vgl. VwGH 26.6.1997, 95/21/0294).

Der VwGH geht davon aus, dass der Beschwerdeführer vernünftiger Weise (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380) damit rechnen muss, in dessen Herkunftsstaat (Abschiebestaat) mit einer über die bloße Möglichkeit (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262) hinausgehenden maßgeblichen Wahrscheinlichkeit von einer aktuellen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194) Gefahr betroffen zu sein. Wird dieses Wahrscheinlichkeitskalkül nicht erreicht, scheidet die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten somit aus.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder nicht effektiv verhinderbaren Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH 26.6.1997, Zl. 95/18/1293, 17.7.1997, Zl. 97/18/0336). So auch der EGMR in stRsp, welcher anführt, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller „Beweise“ zu beschaffen, es dennoch ihm obliegt - so weit als möglich - Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht ( zB EGMR Said gg. die Niederlande, 5.7.2005).

2. Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:

Im gegenständlichen Fall handelt es sich um Ehegatten mit 6 minderjährigen, versorgungspflichtigen Kindern, wobei das jüngste Kind erst etwas älter als eineinhalb Jahre ist. Die Familie wäre im Wesentlichen auf Einkünfte der bP1 aus Erwerbstätigkeit angewiesen. Die älteren Kinder sind 9, 13, 14 und 15 Jahre alt. Sie befinden sich zwar zum Teil in einem Alter in dem etwa auch in Österreich eine Erwerbstätigkeit – und damit eine grds. Möglichkeit zum Familieneinkommen beizusteuern - zulässig ist (zB ho als Lehrling), jedoch ergibt sich etwa plakativ gerade aus den jüngsten Demonstrationen der vergangenen Monate, dass gerade die hohe Arbeitslosigkeitsquote eines der zentralen sozialen Themen im Irak ist. Realistischerweise wäre somit davon auszugehen, dass höchstens die bP1 erwerbstätig wäre und erscheint hier angeischts der gegebenen nicht unproblematischen wirtschaftlichen Lage im Irak die Gefahr hoch, dass er nicht das zum Leben für die große Familie unbedingt Erforderliche erwirtschaften könnte. Dass es im Falle der Rückkehr aktuell ein soziales Versorgungssystem durch Staat oder Hilfsorganisationen geben würde, die dies mit hinreichender Sicherheit ausreichend durch kostenlose Zuwendungen substituieren könnte, kam nicht konkret hervor.

Es besteht somit im Falle der Rückkehr für die Familie die reale Gefahr, dass sie hinsichtlich der Vesorgung mit Lebensnotwendigen nicht das Hinreichende erlangen können und dadurch in eine aussichtslose Lage geraten würden, die die hohe Schwelle des Art 3 EMRK überschreitet.

Es war somit festzustellen, dass den bP1-8 wegen drohender Verletzung des Art 3 EMRK gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG der Status eines/r subsidiär Schutzberechtigten zukommt und folglich gem. § 8 Abs 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr zu erteilen ist.

Absehen von einer mündlichen Beschwerdeverhandlung

Gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung vor dem BVwG unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gegenständlich hat das Bundesamt keinen Antrag auf eine Verhandlung gestellt und im Falle einer solchen auf eine Verhandlungsteilnahme verzichtet. Der für diese Entscheidung maßgebliche Sachverhalt stand auf Grund der Aktenlage bzw. Ermittlungsergebnisse fest und wurde dem Antrag der bP1-7 auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten auch stattgegeben. In Bezug auf die bP 8 war ebenso von einem hinreichend geklärten Sachverhalt auszugehen.

Auf Grund gegebener Deutschkenntnisse durch die bP konnte eine Übersetzung von Spruch und Rechtsmittelbelehrung entfallen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

befristete Aufenthaltsberechtigung familiäre Situation Familienverfahren reale Gefahr Rechtsanschauung des VwGH soziale Verhältnisse subsidiärer Schutz Versorgungslage

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L504.2141615.1.00

Im RIS seit

27.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

27.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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