TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/2 L507 2140037-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.04.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

02.04.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §57 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L507 2140037-3/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Habersack über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten den Migrantinnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.02.2020, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsbürger, stellte am 08.02.2016, nachdem er zuvor illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist ist, einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 27.10.2016,
Zl. 1104722607-160196142, wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß
§ 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt. Gemäß
§ 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak nicht zuerkannt. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß
§ 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde festgestellt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.10.2018 mit mündlich verkündetem Erkenntnis, Zl. L519 2140037-1/15Z, gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3 und 57 AsylG und §§ 46, 52 und 55 FPG als unbegründet abgewiesen. Mit der mündlichen Verkündung erwuchs die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes in Rechtskraft. Die am 23.10.2018 mündlich verkündete Entscheidung wurde am 26.11.2019 vom Bundesverwaltungsgericht schriftlich ausgefertigt (Zl. L519 2140037-1/20E).

2. Mit Mandatsbescheid des BFA vom 09.01.2020, Zl. XXXX , wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 Abs. 1 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG aufgetragen, binnen drei Tagen seine Unterkunft in der Betreuungseinrichtung XXXX , durchgängig bis zu seiner Ausreise zu nehmen.

Dieser Mandatsbescheid wurde dem Beschwerdeführer am 13.01.2020 zugestellt.

Mit im Wege der Vertretung des Beschwerdeführers am 23.01.2020 eingebrachtem und fälschlicherweise als Beschwerde bezeichnetem Schreiben erhob der Beschwerdeführer das Rechtsmittel der Vorstellung.

3. Nach Eingang der Vorstellung wurde am 30.01.2020 vom BFA ein Ermittlungsverfahren gemäß § 37 AVG eingeleitet.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA vom 03.02.2020, Zl. XXXX , wurde dem Beschwerdeführer aufgetragen, bis zu seiner Ausreise durchgängig Unterkunft in der Betreuungseinrichtung XXXX , zu nehmen, dieser Verpflichtung habe der Beschwerdeführer unverzüglich nachzukommen (Spruchpunkt I.). Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG ausgeschlossen (Spruchpunkt II.).

5. Gegen diesen der Vertretung des Beschwerdeführers am 05.02.2020 zugestellten Bescheid wurde mit Schreiben vom 03.03.2020 Beschwerde erhoben.

6. Die gegenständliche Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 12.03.2020 vom BFA vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1 Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Irak.

Der Beschwerdeführer ist verheiratet und stammt aus Bagdad. Die Ehegattin des Beschwerdeführers sowie seine beiden Kinder leben in Bagdad.

1.2. Der Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 27.10.2016, Zl. 1104722607-160196142, gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak nicht zuerkannt. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß
§ 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde festgestellt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.10.2018 mit mündlich verkündetem Erkenntnis, Zl. L519 2140037-1/15Z, gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3 und 57 AsylG und §§ 46, 52 und 55 FPG als unbegründet abgewiesen. Mit der mündlichen Verkündung erwuchs die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes in Rechtskraft.

Die am 23.10.2018 mündlich verkündete Entscheidung wurde am 26.11.2019 vom Bundesverwaltungsgericht schriftlich ausgefertigt (Zl. L519 2140037-1/20E).

Nach Abweisung der Beschwerde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23.10.2018 besteht gegen den Beschwerdeführer eine rechtskräftige und durchsetzbare Rückkehrentscheidung und Ausreiseverpflichtung.

Der Beschwerdeführer kam seiner Ausreiseverpflichtung bislang nicht nach. Die 14-tägige Frist zur freiwilligen Ausreise ist verstrichen.

1.3. Der Beschwerdeführer ist aktuell in der Gemeinde XXXX wohnhaft und auch aufrecht gemeldet.

Im Zuge der Maßnahmen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie wurde die Gemeinde XXXX am 31.03.2020 bis einschließlich 13.04.2020 unter Quarantäne gestellt. Mit dieser Maßnahme wurde die Bewegungsfreiheit der Bewohner der Gemeinde XXXX insofern eingeschränkt, sodass die Bewohner nur noch für die nötigsten Besorgungen das Haus verlassen dürfen, beispielsweise um Lebensmittel, Treibstoff, Heizmaterial und Medikamente zu besorgen.

Infolgedessen ist es dem Beschwerdeführer zur Zeit nicht möglich seinen Wohnsitz in der Gemeinde XXXX zu verlassen und unverzüglich Unterkunft in der im angefochtenen Bescheid genannten Betreuungseinrichtung zu nehmen.

2. Beweiswürdigung

Die Feststellungen stützen sich auf den Akteninhalt.

Die Feststellungen zum Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich, zum Ausgang des Verfahrens über seinen Antrag auf internationalen Schutz, zum Bestehen einer Rückkehrentscheidung sowie einer Ausreiseverpflichtung und zum Verbleib des Beschwerdeführers in Österreich nach Ablauf der Frist für die freiwillige Ausreise ergeben sich unstrittig aus dem Akteninhalt.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer in der Gemeinde XXXX wohnhaft ist, war aufgrund einer Auskunft aus dem zentralen Melderegister vom 01.04.2020 zu treffen.

Die Feststellungen zu den Maßnahmen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie betreffend die Gemeinde XXXX stützen sich auf die aktuelle Berichterstattung in diversen allgemein zugänglichen Medien (Wiener Zeitung vom 31.03.2020; Salzburger Nachrichten vom 31.03.2020).

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zur anzuwendenden Rechtslage:

Die maßgeblichen Bestimmungen des § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG lauten:

"Erkenntnisse

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.“

Die maßgebliche Bestimmung des § 57 FPG lautet:

„Wohnsitzauflage

§ 57. (1) Einem Drittstaatsangehörigen, gegen den eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und dessen Aufenthalt im Bundesgebiet nicht geduldet (§ 46a) ist, kann aufgetragen werden, bis zur Ausreise in vom Bundesamt bestimmten Quartieren des Bundes Unterkunft zu nehmen, wenn

1. keine Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß § 55 gewährt wurde oder

2. nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß § 55 bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Drittstaatsangehörige seiner Ausreiseverpflichtung weiterhin nicht nachkommen wird.

(2) Bei der Beurteilung, ob bestimmte Tatsachen gemäß Abs. 1 Z 2 vorliegen, ist insbesondere zu berücksichtigen, ob der Drittstaatsangehörige

1. entgegen einer Anordnung des Bundesamtes oder trotz eines nachweislichen Angebotes der Rückkehrberatungsstelle ein Rückkehrberatungsgespräch (§ 52a Abs. 2 BFA-VG) nicht in Anspruch genommen hat;

2. nach Ablauf der Frist für die freiwillige Ausreise seinen Wohnsitz oder den Ort seines gewöhnlichen Aufenthalts gewechselt und das Bundesamt davon nicht in Kenntnis gesetzt hat;

3. an den zur Erlangung einer Bewilligung oder eines Reisedokumentes notwendigen Handlungen im Sinne der § 46 Abs. 2 und 2a nicht mitwirkt;

4. im Rahmen des Asylverfahrens, des Verfahrens zur Erlassung der Rückkehrentscheidung oder des Rückkehrberatungsgesprächs erklärt hat, seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen zu wollen;

5. im Asylverfahren oder im Verfahren zur Erlassung der Rückkehrentscheidung über seinen Herkunftsstaat oder seine Identität getäuscht oder zu täuschen versucht hat.

(3) - (5) ...

(6) Die Wohnsitzauflage gemäß Abs. 1 oder Abs. 3 ist mit Mandatsbescheid (§ 57 AVG) anzuordnen. In diesem sind dem Drittstaatsangehörigen auch die Folgen einer allfälligen Missachtung zur Kenntnis zu bringen.“

3.2. Zu A) Behebung des Bescheides:

3.2.1. Die Wohnsitzauflage gemäß § 57 kann in zeitlicher Hinsicht als Anschlussstück zur Anordnung der Unterkunftnahme nach § 15b AsylG sowie als Ergänzung zur Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 FPG und allfällig damit verbundene Auflagen gemäß § 56 gesehen werden.

In Abs. 2 werden jene Tatsachen näher definiert und demonstrativ aufgezählt, welche im Sinne des Abs. 1 Z 2 die Annahme rechtfertigen, dass der Drittstaatsangehörige seiner Ausreiseverpflichtung weiterhin nicht nachkommen wird. Ein Hinweis auf die mangelnde Bereitschaft zur Ausreise ist naturgemäß dann gegeben, wenn der Drittstaatsangehörige selbst angibt, dass er nicht bereit ist, seiner Ausreiseverpflichtung nachzukommen. Es kann des Weiteren davon ausgegangen werden, dass er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wird, wenn er ein ihm angebotenes oder angeordnetes Rückkehrberatungsgespräch zum Zweck der freiwilligen Ausreise nicht wahrnimmt. Ebenso wird davon auszugehen sein, dass der Drittstaatsangehörige nicht bereit ist auszureisen, wenn er während einer gewährten Frist zur freiwilligen Ausreise nicht ausgereist ist und anschließend seinen Wohnsitz bzw. den Ort seines gewöhnlichen Aufenthalts ändert, ohne das Bundesamt hiervon in Kenntnis zu setzen. Ferner kann von mangelhafter Bereitschaft zur Ausreise ausgegangen werden, wenn der betreffende Drittstaatsangehörige es unterlässt, an der Beschaffung von für die Ausreise erforderlichen Dokumenten mitzuwirken oder ein vorhandenes Reisedokument vernichtet oder sich dessen auf sonstige Weise entledigt. Hat der Drittstaatsangehörige bereits im Verfahren über seine Identität getäuscht oder zu täuschen versucht und damit die Beschaffung von für die Ausreise erforderlichen Dokumenten erschwert bzw. verhindert, wird ebenfalls von einer mangelnden Bereitschaft zur Ausreise auszugehen sein.

Hinsichtlich der zweiten Fallkonstellation nach Abs. 1 Z 2 liegt eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit vor, wenn anzunehmen ist, dass der Drittstaatsangehörige weiterhin nicht ausreisen wird (zumal er dies bereits während der Frist für die freiwillige Ausreise nicht getan hat). Das bloße unrechtmäßige Verbleiben im Bundesgebiet sowie ein länger andauernder unrechtmäßiger Aufenthalt, ohne dass bereits eine entsprechende Entscheidung vorliegt, die eine Ausreiseverpflichtung auferlegt oder feststellt, und unabhängig davon, ob die Einreise bereits unrechtmäßig oder rechtmäßig erfolgte, stellt nach ständiger Rechtsprechung des VwGH eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar (VwGH 02.06.2000, 2000/19/0081; 23.03.200 I, 2000/19/0042; 02.06.2000, 2000/19/0081; 23.03.2001, 2000/19/0042). Dies muss umso mehr gelten, wenn bereits eine im Wege eines rechtsstaatlichen Verfahrens getroffene Entscheidung vorliegt, die eine Ausreiseverpflichtung feststellt oder auferlegt, und der Drittstaatsangehörige dieser Verpflichtung auch nach Ablauf einer ihm eingeräumten Frist für die freiwillige Ausreise nicht nachkommt bzw. die Annahme gerechtfertigt ist, dass er ihr weiterhin nicht nachkommen wird. Weiters ergibt sich aus dieser Rechtsprechung, dass das beharrliche unrechtmäßige Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger andauernder unrechtmäßiger Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellt und der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch geordnete Abwicklung des Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zukommt (VwGH 31.10.2002, 2002/18/0190; 15.12.2015, Ra 2015/19/0247). Daher ist in diesen Fällen von einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit auszugehen, wodurch die Erlassung der Wohnsitzauflage mittels Mandatsbescheides gerechtfertigt ist.

Die Erlassung einer Wohnsitzauflage soll jedoch nicht systematisch erfolgen, sondern hat jedenfalls abhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls zu ergehen. Dabei sind insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie Art. 8 EMRK – insbesondere im Hinblick auf das Bestehen familiärer Strukturen, die Wahrung der Familieneinheit und die besonderen Bedürfnisse von Minderjährigen auch im Sinne der Jugendwohlfahrt – zu berücksichtigen. Die Wohnsitzauflage soll daher als ultima ratio nur dann angeordnet werden, wenn der Drittstaatsangehörige seiner Verpflichtung zur Ausreise bislang nicht nachgekommen ist und aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls anzunehmen ist, dass er auch weiterhin seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wird.

3.2.2. Die belangte Behörde weist im angefochtenen Bescheid wiederholt darauf hin, dass gegen den Beschwerdeführer eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung besteht, er die Frist zur freiwilligen Ausreise ungenützt ließ und sich unrechtmäßig im Bundesgebiet befindet. Dass dieses Verhalten alleine ausreicht, eine Wohnsitzauflage zu erlassen ergibt sich weder aus dem Gesetzestext noch aus den oben dargestellten Erläuterungen zum FRÄG 2017 betreffend
§ 57 FPG. Zur Erlassung einer Wohnsitzauflage als ultima ratio bedarf es konkreter Umstände des Einzelfalles, die zur Annahme führen, dass der Drittstaatsangehörige weiterhin seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wird.

Eine Begründung für die Erlassung einer Wohnsitzauflage und eine Darstellung der konkreten Umstände ist dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen. Die belangte Behörde beschränkt sich darauf, unter dem Punkt "Feststellungen", Unterpunkt "Voraussetzungen für die Erlassung der Wohnsitzauflage", die Feststellungen zum unrechtmäßigen Aufenthalt und der unterbliebenen Ausreise des Beschwerdeführers zu wiederholen.

Die belangte Behörde legt im angefochtenen Bescheid nicht dar, zu welchem Ermittlungsergebnis sie gelangt sei, worauf sich dieses stütze und welche bestimmten Tatsachen im Sinne des § 57 FPG die Annahme rechtfertigen, der Beschwerdeführer werde seiner Ausreiseverpflichtung weiterhin nicht nachkommen. Die Ziffer 4 des Gesetzestextes fett zu setzen und von den übrigen zitierten Ziffern damit optisch abzugrenzen, vermag eine Begründung nicht zu ersetzen.

Unter der Annahme, dass die belangte Behörde die fett gesetzten Tatbestandsmerkmale des § 57 Abs. 2 FPG als erfüllt sieht, ist zu Ziffer 4 leg. cit. festzuhalten, dass die belangte Behörde nicht einmal ansatzweise darlegt und dem Akt auch diesbezüglich nicht zu entnehmen ist, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Form der Beschwerdeführer – mit Ausnahme einer Erklärung im Rahmen eines Rückkehrberatungsgespräches gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG am 27.10.2016, dem Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides des BFA, mit dem der Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers abgewiesen wurde und somit noch vor Einbringung einer Beschwerde bzw. der Entscheidung über diese Beschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht am 23.10.2018 – erklärt habe, dass er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen werde.

3.2.3. Im gegenständlichen Verfahren hat sich die belangte Behörde bei Ihrer Entscheidung auf das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23.10.2018, gestützt, laut welchem eine aufrechte Rückkehrentscheidung besteht. Zu betonen ist diesbezüglich auch, dass die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid davon ausgegangen ist, dass die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes am 23.10.2019 erlassen wurde, was aber nicht dem Akteninhalt entspricht.

Unter Berücksichtigung der zeitlichen Dauer zwischen Erlassung der Rückkehrentscheidung und Wohnsitzauflage von nicht ganz eineinhalb Jahren, kann jedoch von einer Aktualität der getroffenen Feststellungen in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom Oktober 2018 – insbesondere vor dem Hintergrund des Art. 8 EMRK – nicht mehr ausgegangen werden. Geht man davon aus, dass die Wohnsitzauflage die ultima ratio darstellt, so hätte sich die belangte Behörde mit den gegenwärtigen privaten und familiären Verhältnissen des Beschwerdeführers auseinandersetzen müssen.

Auch wenn der Aufenthalt des Beschwerdeführers seit Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23.10.2018 weiter unrechtmäßig ist, kann daraus nicht geschlossen werden, dass dem allenfalls seither entwickelten Privatleben des Beschwerdeführers keine Bedeutung zukommt. Die belangte Behörde hat hier den Sachverhalt nicht ermittelt und es insbesondere verabsäumt, in einer Einvernahme einen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer zu gewinnen, um seine tatsächlichen Lebensverhältnisse aktuell beurteilen zu können.

Diesbezüglich darf im gegenständlichen Fall auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich die belangte Behörde bei der Beurteilung, ob die Erlassung einer Wohnsitzauflage zulässig ist, letztlich nur auf den Akteninhalt stützt und die Einräumung von Parteiengehör an den Beschwerdeführer gänzlich unterblieben ist. Ebenso erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens. Wenn die Behörde darüber hinaus ausführt, dass im Bescheid zur Rückkehrentscheidung bereits eingehend auf den Kriterienkatalog des Art. 9 Abs. 2 BFA-VG eingegangen worden ist und seit der Rechtskraft dieser Entscheidung keine Änderungen bekannt geworden sind, so stellt diese Beurteilung lediglich eine Vermutung dar und hat die belangte Behörde damit ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit behaftet.

Hätte die belangte Behörde eine entsprechende aktuelle Interessensabwägung durchgeführt, wäre sie im gegenständlichen Fall zum Ergebnis gelangt, dass eine Wohnsitzauflage im gegenständlichen Fall überschießend ist und keine Notwendigkeit dafür besteht. Der Beschwerdeführer hat seinen derzeitigen Lebensmittelpunkt in XXXX an seiner Wohnsitzadresse, verfügt über soziale Kontakte, war zu keinem Zeitpunkt untergetaucht oder hat sich seiner Mitwirkungspflicht entzogen.

Der angefochtene Bescheid war daher, neben der inhaltlichen Rechtswidrigkeit, wegen des gänzlichen Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens zu beheben.

3.2.4. Die ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheides ist eine Entscheidung in der Sache selbst (vgl. E 25. März 2015, Ro 2015/12/0003). Als verfahrensrechtliche Grundlage für eine solche Entscheidung ist im Spruch daher § 28 Abs. 1 und Abs. 2 (bzw. Abs. 3 Satz 1) VwGVG 2014 zu nennen. § 28 Abs. 5 VwGVG 2014 regelt hingegen nur die Rechtsfolgen von Bescheidaufhebungen durch das VwG und bietet keine eigenständige Rechtsgrundlage für die Aufhebung selbst, sei es nach § 28 Abs. 3 Satz 2 und 3 (oder Abs. 4) VwGVG 2014, sei es nach § 28 Abs. 1 und 2 oder Abs. 3 Satz 1 VwGVG 2014 (VwGH 04.08.2016 2016/21/0162).

Die ersatzlose Behebung eines Bescheides setzt voraus, dass dieser nicht hätte ergehen dürfen und der dem materiellen Recht entsprechende Zustand nur durch die Kassation hergestellt werden kann. Dabei handelt es sich um eine "negative" Sachentscheidung (vgl zB Hengstschläger/Leeb, AVG III, § 66 AVG, Rz 97, mwN). Eine solche Entscheidung ist eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts in der Sache selbst, welche eine neuerliche Entscheidung über den Verfahrensgegenstand durch die Verwaltungsbehörde grundsätzlich ausschließt (vgl VwGH vom 25. März 2015, Ro 2015/12/0003 sowie Hengstschläger/Leeb, AVG III, § 66 AVG, Rz 108 f), (VwGH Ra 2015/17/0082 vom 28.06.2016).

Da es kein Ermittlungsergebnis und damit keinen festgestellten Sachverhalt gibt, aufgrund dessen das Vorliegen der Voraussetzungen für den Erlass einer Wohnsitzauflage als gegeben angenommen werden kann sowie ferner die Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme und die Interessenabwägung zum Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte beurteilt werden kann, war der angefochtene Bescheid zu beheben.

3.2.5. Im gegenständlichen Fall hat die belangte Behörde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG ausgeschlossen und dies mit einem überwiegenden öffentlichen Interesse am sofortigen Vollzug des Bescheides begründet. Das öffentliche Interesse sei bereits durch die Regelung der Wohnsitzauflage mittels sofort durchsetzbaren Mandatsbescheides indiziert, zudem würden diese Interessen in Hinblick auf die Ausreise in Erfüllung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme überwiegen.

Gemäß § 22 Abs. 3 1. Fall VwGVG kann das Verwaltungsgericht Bescheide gemäß § 13 VwGVG – ein solcher liegt in Hinblick auf Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides vor – auf Antrag einer Partei – ein solcher wurde in der Beschwerde gestellt – aufheben oder abändern, wenn es die Voraussetzungen der Zuerkennung bzw. des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung anders beurteilt oder wenn sich die Voraussetzungen, die für die Entscheidung über den Ausschluss bzw. die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde maßgebend waren, wesentlich geändert haben.

Der Vollständigkeit halber ist diesbezüglich auszuführen, dass infolge der Maßnahmen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie die Gemeinde XXXX am 31.03.2020 bis einschließlich 13.04.2020 unter Quarantäne gestellt wurde. Mit dieser Maßnahme wurde die Bewegungsfreiheit der Bewohner der Gemeinde XXXX insofern eingeschränkt, sodass die Bewohner nur noch für die nötigsten Besorgungen das Haus verlassen dürfen, beispielsweise um Lebensmittel, Treibstoff, Heizmaterial und Medikamente zu besorgen.

Infolgedessen ist es dem Beschwerdeführer aus faktischen und rechtlichen Gründen zur Zeit nicht möglich seinen Wohnsitz in der Gemeinde XXXX zu verlassen und unverzüglich Unterkunft in der im angefochtenen Bescheid genannten Betreuungseinrichtung zu nehmen, weshalb von einer immanenten "Gefahr im Verzug" zum jetzigen Zeitpunkt nicht auszugehen war.

Mangels festgestellter Verwirklichung der Voraussetzungen für die Wohnsitzauflage und der dieser immanenten "Gefahr im Verzug" war der angefochtene Bescheid auch im Umfang der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt II.) zu beheben.

3.3. Entfall der mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Im gegenständlichen Verfahren konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, da das Bundesverwaltungsgericht die Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 Z 1 Halbsatz VwGVG als gegeben erachtet, zumal bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben war.

3.4. Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen sind aufgrund der klaren Rechtslage nicht hervorgekommen.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht ersatzlose Behebung Pandemie Parteiengehör Rechtswidrigkeit Unterkunft Voraussetzungen Wohnsitzauflage

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L507.2140037.3.00

Im RIS seit

27.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

27.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten