TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/27 W109 2180428-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.07.2020
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Entscheidungsdatum

27.07.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4

Spruch

W109 2180428-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. BÜCHELE über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Mag. Alexander FUCHS, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, vom 22.11.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.09.2019 zu Recht:

A)       

I.       Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II.      Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte II. bis VI. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III.    Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt.

B)       

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I.       Verfahrensgang:

1.       Am 07.09.2015 stellte der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Usbeken, nach Einreise unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 07.09.2015 gab der Beschwerdeführer im Rahmen der Erstbefragung im Wesentlichen an, er sei afghanischer Staatsangehöriger und stamme aus Faryab. Er sei verheiratet und habe zwölf Jahre die Schule besucht. Zum Fluchtgrund gab er an, er sei vom Schwiegervater des Bruders mit dem Tode bedroht worden, weil der Bruder dessen Tochter nach Österreich entführt habe. Der Schwiegervater habe verlangt, dass der Beschwerdeführer den Bruder ausfindig mache, der Beschwerdeführer habe dies verweigert, weil er gewusst habe, der Schwiegervater wolle den Bruder töten. Weil er den Bruder nicht verraten habe, sei auch er mit dem Tod bedroht. Diese Familie sei streng religiös.

Am 15.11.2017 führte der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu seinen Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst aus, der Bruder sei mit seiner Frau nach Österreich geflüchtet und der Schwiegervater sei damit nicht einverstanden gewesen. Der Schwiegervater habe zum Beschwerdeführer gesagt, er solle seinen Bruder finden und ihn ausliefern, ansonsten würde er ihn umbringen. Der Bruder sei vor der Ausreise nach Herat gegangen, dort sei er von einem Auto überfahren worden. Danach sei der Bruder ausgereist.

2.       Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 22.11.2017, zugestellt am 29.11.2017, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Begründend führte die belangte Behörde aus, die Schilderungen seien nachvollziehbar und mit keinen Widersprüchen behaftet. Die Bedrohung durch den Schwiegervater weise keinen Staatenbezug auf. Im Hinblick auf die Herkunftsprovinz ergebe sich eine relevante Gefährdungslage, es komme jedoch eine innerstaatliche Fluchtalternative in Herat, Mazar-e Sharif oder Kabul in Betracht.

3.       Am 19.12.2017 langte die vollumfängliche Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl bei der belangten Behörde ein in der im Wesentlichen ausgeführt wird, die belangte Behörde gehe zwar vom vorgebrachten Sachverhalt aus, gehe jedoch rechtlich fehl. Die Behörde hätte einen Bezug zum GFK-Grund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie erkennen und in Zusammenschau mit einer mangelnden innerstaatlichen Fluchtalternative zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft kommen müssen.

Am 02.09.2019 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers am Bundesverwaltungsgericht ein, in der ausgeführt wird, der Beschwerdeführer erfülle die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus den Gründen des Art. 8 EMRK, er verfüge über das Zertifikat Deutsch Österreich B1, gehe einer erlaubten Erwerbstätigkeit nach und verfüge über ein Privat- als auch Familienleben in Österreich.

Am 17.09.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, sein bevollmächtigter Rechtsvertreter und ein Dolmetscher für die Sprache Dari teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme.

In der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt und hielt sein Vorbringen, er werde im Herkunftsstaat verfolgt, weil er vom Schwiegervater des Bruders bedroht worden sei, aufrecht.

Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

?        „Birth Certificate“ des Beschwerdeführers

?        Beschäftigungsbewilligungen des Beschwerdeführers

?        Lohn/Gehaltsabrechnungen

?        ÖSD Zertifikat A2 vom 31.01.2017

?        Bestätigung der Meldung

?        Arbeitszeugnis

?        „Beschäftigungsgarantien“

?        Mietvertrag

?        Teilnahmebestätigungen für Deutschkurse

?        Diverse Medienberichte

?        Antrag auf Saisonbewilligung

?        ÖSD Zertifikat B1 vom 13.02.2018

?        Österreichischer Führerschein des Beschwerdeführers

?        Integrationsprüfungszeugnis B1

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1.    Zu Person und Lebensumständen Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, wurde am im Jahr XXXX geboren und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Usbeken. Er bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Usbekisch. Er spricht auch Dari und Deutsch auf dem Niveau B1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

Der Beschwerdeführer ist gesund und in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer stammt aus Maimana, Provinz Faryab. Er wuchs dort auf und lebte im Haus des Vaters. Dieser hatte auch einen Obstgarten. Der Beschwerdeführer hat im Herkunftsstaat zehn Jahre die Schule besucht und als Schweißer gearbeitet.

Die Ehefrau des Beschwerdeführers lebt in Saudi-Arabien, die Eltern sind in der Türkei aufhältig. Die fünf Schwestern des Beschwerdeführers, drei davon verheiratet, leben ebenso in der Türkei. Zu Ehefrau und Eltern steht der Beschwerdeführer in Kontakt.

Der Bruder des Beschwerdeführers ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt mit seiner Familie in Österreich. Ihnen wurde der Status der/des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

Im Bundesgebiet hat der Beschwerdeführer Deutschkurse besucht und arbeitet seit dem Jahr 2017 mit Unterbrechungen als Gärtner. Er wohnt in einer Mietwohnung.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Es wird nicht festgestellt, dass der Beschwerdeführer vom Schwiegervater seines Bruders bedroht und aufgefordert wurde, seinen Bruder auszuliefern.

Im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat drohen dem Beschwerdeführer keine Übergriffe oder Misshandlungen von Seiten des Schwiegervaters wegen einer Entführung von dessen Tochter durch den Bruder.

1. 3.   Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.

Faryab gehört zu den volatilen Provinzen, Taliban-Kämpfer sind aktiv. Faryab befand sich zuletzt unter den Provinzen mit der höchsten Konzentration an Kämpfen, die meisten Distrikte stehen unter Taliban-Kontrolle. Es kommt zu Luftangriffen und Zusammenstößen zwischen Taliban und Regierungstruppen und zu Vertreibungen. Die Taliban betreiben Checkpoints entlang der Autobahnen. Der Distrikt Maimana ist umkämpft, die Taliban „belagern“ die Provinzhauptstadt.

Im Fall der Rückkehr des Beschwerdeführers in die Herkunftsprovinz droht ihm die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen zwischen Aufständischen und Regierungstruppen oder durch Übergriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Kabul, Herat und Balkh zählen zu den am stärksten von der COVID-19-Pandemie betroffenen Teilen Afghanistans. Die Krankheit breitet sich im ganzen Land aus. Zur Bekämpfung des Virus wurden landesweit Sperrmaßnahmen verhängt. Öffentliche und touristische Plätze, Parks, Sportanlagen, Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen sind geschlossen, die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor sind eingeschränkt, Hotels, Teehäuser und ähnliche Einrichtungen sind ebenso geschlossen. Öffentliche Verkehrsmittel, die mehr als vier Passagiere befördern, dürfen nicht verkehren. Es ist mit schwerwiegenden Auswirkungen der Pandemie auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen seiner Bevölkerung zu rechnen. Insbesondere Menschen, die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind, sind betroffen. Die Lebensmittelpreise sind stark gestiegen, unter anderem die COVID-19-Beschränkungen behindern den landwirtschaftlichen Anbau.

Die Wirtschafts- und Versorgungslage in Afghanistan war bereits zuvor schlecht. Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Armutsrate und Arbeitslosigkeit sind hoch. Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptschlich auf den informellen Sektor, der 80 bis 90 % der Wirtschaftsleistung ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt.

Finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit existiert in Afghanistan nicht. Sozialleistungen gibt es – abseits von Pensionen in sehr wenigen Fällen, kostenloser Bildung und Gesundheitsversorgung – nicht.

Dem Beschwerdeführer wäre es im Fall einer Niederlassung in Herat (Stadt), Mazar-e Sharif oder Kabul (Stadt) nicht möglich, seinen Lebensunterhalt aus eigenem Einkommen zu bestreiten und seine Lebensgrundlage zu erwirtschaften. Ihm wäre es im Fall einer Niederlassung in Herat (Stadt), Mazar-e Sharif oder Kabul (Stadt) nicht möglich, Fuß zu fassen. Er liefe Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Unterkunft und Kleidung nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten.

2.       Beweiswürdigung:

2.1.    Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers, seiner Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Herkunft, sowie seiner Muttersprache und seinen Sprachkenntnissen ergeben sich aus den gleichbleibenden plausiblen Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und dem Bundesverwaltungsgericht. Zu seinen Deutschkenntnissen hat der Beschwerdeführer am 20.12.2019 (OZ 16) ein Integrationsprüfungszeugnis für das Sprachniveau B1 vorgelegt. Zum Geburtsdatum ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 17.09.2019 plausibel darlegt, er habe dieses erstmals für Facebook verwendet, weil er eines angebe habe müssen und dieses dann einfach weiterverwendet. Sein richtiges Geburtsdatum kenne er nicht, er wisse nur, wie alt er sei (OZ 13, S. 4). Daher behält das Bundesverwaltungsgericht das bisher verwendete Geburtsdatum – so wie es sich im Übrigen auch aus dem vom Beschwerdeführer vorgelegten „Birth Certificate“ ergibt – im Hinblick auf die Verfahrensidentität bei, stellt jedoch lediglich das Geburtsjahr des Beschwerdeführers fest.

Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem im Akt einliegenden aktuellen Strafregisterauszug.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer gesund ist, ergibt sich daraus, dass im Lauf des Verfahrens kein anderslautendes Vorbringen erstattet und auch keine medizinischen Unterlagen vorgelegt wurden, die eine gesundheitliche Beeinträchtigung oder Erkrankung des Beschwerdeführers nachweisen würden.

Seinen Lebenswandel und seine Lebensverhältnisse im Herkunftsstaat hat der Beschwerdeführer im Lauf des Verfahrens gleichbleibend und plausibel geschildert und legte auch die belangte Behörde diese Angaben des Beschwerdeführers ihrer Entscheidung zugrunde.

Im Hinblick auf der Verbleib der Angehörigen des Beschwerdeführers ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer bereits in der Erstbefragung am 07.09.2015 angab, die meisten seiner Angehörigen seien nicht mehr im Herkunftsstaat aufhältig (AS 7) und im weiteren Verfahrensverlauf die Reisebewegungen seiner Angehörigen nachvollziehbar darstellt. Zudem erscheint deren Ausreise vor dem Hintergrund der Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz – siehe hierzu noch unter 2.3. – auch plausibel.

Dass sein Bruder mit seiner Familie im Bundesgebiet aufhältig ist, hat der Beschwerdeführer gleichbleibend angegeben.

Zu seinen Deutschkursen hat der Beschwerdeführer Teilnahmebestätigungen und Zertifikate (AS 169 ff., OZ 10) vorgelegt, zu seinem Arbeitsverhältnis mehrere Beschäftigungsbewilligungsbescheide des AMS (AS 91, OZ 5, OZ 7, OZ 10), Lohn/Gehaltsabrechnungen (AS 93, AS 145 ff., OZ 10), sowie Arbeitszeugnisse bzw. Empfehlungsschreiben (AS 137 ff.) und „Beschäftigungsgarantien“ (AS 143, OZ 10). Zu seiner Wohnung hat der Beschwerdeführer einen Mietvertrag vorgelegt (AS 161 ff.).

2.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Im Hinblick auf das Fluchtvorbringen einer vom Schwiegervater des Bruders ausgehenden Gefahr teilt das Bundesverwaltungsgericht die Erwägungen der belangten Behörde, denen zufolge die Schilderungen des Beschwerdeführers nachvollziehbar sei und keine Widersprüche beinhalte (AS 335), nicht.

Der Beschwerdeführer gibt durchgehend und gleichbleiben in der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 07.09.2015, in der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 15.11.2017, sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 17.09.2019 im Wesentlichen an, er sei vom Schwiegervater des Bruders bedroht worden, dass er ihm seinen Bruder ausliefern solle, sowie, dass der Schwiegervater dem Bruder die Entführung seiner Tochter vorwerfe. Zwar ergibt sich etwa aus den vom Bundesverwaltungsgericht mit Ladung vom 26.08.2019 (OZ 9) in das Verfahren eingebrachten UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfes afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (in der Folge: UNHCR-Richtlinien), dass unter anderem aus der Entführung von Frauen Blutfehden entstehen können. Die Blutfehde sei in erster Linie eine Tradition der Paschtunen und im paschtunischen Gewohnheitsrechtssystem „Paschtunwali“ verwurzelt, komme jedoch auch unter anderen ethnischen Gruppen vor. Die Rache habe sich grundsätzlich gegen den Täter selbst zu richten, könne aber unter bestimmten Umständen auch am Bruder des Täters oder einem anderen Verwandten aus der väterlichen Linie verübt werden (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 14. In Blutfehden verwickelte Personen, S. 110-112). Auch aus der ebenso vom Bundesverwaltungsgericht mit Ladung vom 26.08.2019 (OZ 9) in das Verfahren eingebrachten EASO Country Guidance Afghanistan von Juni 2019 (in der Folge: EASO Country Guidance) ergibt sich, dass Blutfehden zu Zwecken der Rache aus Ehrverletzungen und familiären Konflikten und Beziehungen entstehen können. Auch hier wird berichtet, üblicherweise würden die Brüder oder andere unmittelbare männliche Verwandte des Täters zum Ziel (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 18. Individuals involved in blood feuds and land disputes, Buchstabe a. Blood feuds, S. 71-72).

Der Beschwerdeführer schildert die behauptete Bedrohung jedoch lediglich vage und unkonkret. So verwendet der Beschwerdeführer in seiner freien Erzählung der Fluchtgründe in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht lediglich allgemeine Floskeln, schildert jedoch keinen konkreten Handlungsablauf. Das gleiche Aussageverhalten legt der Beschwerdeführer auch bereits in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde an den Tag, wo er befragt zu den Details der Bedrohungen des Schwiegervaters ebenso lediglich allgemeine Formulierungen wählt, ohne, dass sich ein Handlungsverlauf ergäbe. Weiter ergänzte der Beschwerdeführer erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 17.09.2019, dass auch seine Eltern nach seiner Flucht vom Schwiegervater unter Druck gesetzt worden seien und deshalb nach Saudi-Arabien geflüchtet seien (OZ 13, S. 6). Dieser Zusammenhang findet in der niederschriftlichen Einvernahme am 15.11.2017 keinerlei Erwähnung und muss sich der Beschwerdeführer daher den Vorwurf einer Steigerung des Fluchtvorbringens gefallen lassen. Zudem trug der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht völlig emotionslos und unbeteiligt vor und vermochte auch darum nicht zu überzeugen. Insgesamt kommt das Bundesverwaltungsgericht zu dem Schluss, dass die behauptete vom Schwiegervater des Beschwerdeführers ausgehende Bedrohung nicht glaubhaft ist und dass dem Beschwerdeführer daher im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat auch keine Übergriffe oder Misshandlungen von Seiten des Schwiegervaters drohen. Weitere Fluchtgründe hat der Beschwerdeführer nicht vorgebracht und waren solche auch nicht ersichtlich.

2.3.    Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Die Feststellung zum innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in Afghanistan beruht auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 21.07.2020 (in der Folge: Länderinformationsblatt), der EASO Country Guidance und dem auch deren Grundlage bildenden EASO COI Report. Afghanistan. Security situation von Juni 2019 sowie den UNHCR-Richtlinien.

Die Feststellungen zur Sicherheitslage in Faryab ergeben sich aus dem Länderinformationsblatt, Kaptel 2. Sicherheitslage, Unterkapitel 2.9. Faryab, sowie aus der EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel III. Subsidiary protection, Unterkapitel Article 15 (c) QD, Abschnitt Faryab, S. 95-96), sowie auf dem EASO COI Report: Afghanistan, Security situation von Juni 2019, Kapitel 2.9. Faryab, aus dem insbesondere hervorgeht, dass der Distrikt Maimana umkämpft ist (Kapitel 2.9.2 Conflict background and actors in Faryab, insbesondere Tabelle S. 121-122) und die Taliban im Jahr 2017 die Kontrolle über die meisten Distrikte der Provinz erlangt haben und die Provinzhauptstadt Maimana „praktisch“ belagern. In Sorge vor einer allfälligen Einnahme der Hauptstadt durch die Taliban seien Truppen verlegt und die Luftangriffe intensiviert worden (Kapitel 2.9.3 Recent security trends and impact on the civilian population, Unterkapitel 2.9.3.1. General, S. 124-125). Auf dieser Berichtslage hinsichtlich der Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz und der Bedrohung ihrer Hauptstadt durch die Taliban beruht auch die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in die Herkunftsprovinz die Gefahr droht, im Zuge von Kampfhandlungen zwischen Aufständischen und Regierungstruppen oder durch Übergriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Die Feststellungen zur COVID-19-Pandemie im Herkunftsstaat beruhen auf der Kurzinformation der Staatendokumentation, COVID-19 Afghanistan; Stand: 21.7.2020.

Die Feststellungen zur Wirtschafts- und Versorgungslage beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 20. Grundversorgung. Dort wird auch berichtet, dass es finanzielle oder sonstige Unterstützung in Afghanistan nicht existiert.

Die Feststellung zu den Folgen einer Niederlassung des Beschwerdeführers in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat ergibt sich insbesondere aus einer Zusammenschau der individuellen Umstände und Merkmale, die der Beschwerdeführer in seiner Person vereint.

Maßgebliche Faktoren für die Frage, ob sich der Beschwerdeführer im Fall einer Rückführung nach Herat (Stadt) oder Mazar-e Sharif eine Lebensgrundlage wird aufbauen können, sind insbesondere Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, ethnischer und sprachlicher Hintergrund, Religion, das Vorhandensein von Identitätsdokumenten, Kenntnisse der lokalen Gegebenheiten, sozialer und ökonomischer Hintergrund, Bildungshintergrund, Zugang zu einem sozialen Unterstützungsnetzwerk und Religion (EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel V. Internal protection alternative, Unterabschnitt Reasonableness to settle, S. 135 ff.). Damit übereinstimmend stellen nach den UNHCR-Richtlinien insbesondere Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Behinderungen, Verwandtschaftsverhältnisse sowie Bildungs- und Berufshintergrund (UNHCR-Richtlinien, Kapitel III. Internationaler Schutzbedarf, Unterkapitel C. Interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative, Unterkapitel 2. Analyse der Zumutbarkeit, Buchstabe a) Die persönlichen Umstände des Antragstellers, S. 122) relevante Faktoren dar, wobei neben der Berücksichtigung dieser spezifischen persönlichen Umstände den UNHCR-Richtlinien zufolge auch darauf Bedacht zu nehmen ist, ob der Betreffende seine grundlegenden Menschenrechte wird ausüben können sowie ob er im für die Neuansiedelung in Betracht gezogenen Gebiet Möglichkeiten für ein wirtschaftliches Überleben (Zugang zu Unterkunft, Verfügbarkeit grundlegender Infrastruktur [Trinkwasser, sanitäre Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung], Lebensgrundlage) unter würdigen Bedingungen vorfindet (UNHCR-Richtlinien, Kapitel III. Internationaler Schutzbedarf, Unterkapitel C. Interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative, Unterkapitel 2. Analyse der Zumutbarkeit, Buchstabe c) Achtung der Menschenrechte und wirtschaftliches Überleben, S. 123 f.).

Der Beschwerdeführer ist jung, gesund und arbeitsfähig, spricht mit Dari eine der im Herkunftsstaat verbreitetsten Sprachen und verfügt über im Herkunftsstaat erworbene Schulbildung und Berufserfahrung als Schweißer. Zudem konnte der Beschwerdeführer auch im Bundesgebiet Berufserfahrung als Gärtner sammeln. Er gehört als Angehöriger der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam zur im Herkunftsstaat mit 80 bis 89,7 % der Gesamtbevölkerung mehrheitlich vertretenen Religionsgemeinschaft (Länderinformationsblatt, Kapitel 15. Religionsfreiheit). Als Angehöriger der Volksgruppe der Usbeken gehört der Beschwerdeführer zwar zu einer Minderheit, allerdings wird von spezifischen Diskriminierungen oder einer Gefährdung dieser Volksgruppe nicht berichtet (Länderinformationsblatt, Kapitel 16. Relevante ethnische Minderheiten, Unterkapitel 16.4. Usbeken) und hat der Beschwerdeführer auch kein diesbezügliches Vorbringen erstattet. Insbesondere berichtet auch die EASO Country Guidance hinsichtlich Herat (Stadt), Mazar-e Sharif und Kabul (Stadt), in den Städten seien verschiedene Ethnien präsent. Kenntnisse der Sprachen Dari oder Paschtu würden generell ausreichen (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel V. Internal protection alternative, Abschnitt Reasonableness to settle, S. 135-136). An körperlichen Vorerkrankungen leidet der Beschwerdeführer nicht, weswegen er hinsichtlich COVID-19 nicht zur Risikogruppe gehört.

Der Beschwerdeführer verfügt jedoch in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif nicht über Familienangehörige oder sonstige soziale Anknüpfungspunkte. Damit verfügt der Beschwerdeführer nicht über ein soziales Netzwerk, dass dem Länderinformationsblatt zufolge für das Überleben in Afghanistan wichtig und für Rückkehrer bei der Anpassung an das Leben in Afghanistan besonders ausschlaggebend ist. Insbesondere stelle ein Mangel an Netzwerken eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar (Kapitel 22. Rückkehr). Auch EASO schätzt ein Unterstützungsnetzwerk per se als essentiell für die Ansiedelung ein (EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel V. Internal protection alternative, Abschnitt Reasonableness to settle, Unterabschnitt Individual circumstances, S. 136). Aktuell ist das wirtschaftliche Leben in den drei Städten zudem bedingt durch Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie eingeschränkt, insbesondere Tagelöhner sind hiervon betroffen. Der ACCORD, Afghanistan: Covid-19 (allgemeine Informationen; Lockdown-Maßnahmen; Proteste; Auswirkungen auf Gesundheitssystem, Versorgungslage, Lage von Frauen und RückkehrerInnen; Reaktionen der Taliban, Stigmatisierung) von 05.06.2020 zufolge gibt es aufgrund der landesweiten COVID-19-Beschränkungen weniger Gelegenheitsarbeit. Dies treffe insbesondere den informellen Arbeitsmarkt, auf den ein großer Teil der afghanischen Arbeitskräfte angewiesen sei. Bei Arbeitsmangel biete dieser kein Sicherheitsnetz. Dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in der Lage ist, Arbeit zu finden, um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren, erscheint unter diesen Bedingungen – insbesondere nachdem Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher bewerten, als formelle Qualifikation (Kapitel 20. Grundversorgung, Abschnitt Arbeitsmarkt), über die der Beschwerdeführer im Übrigen nicht verfügt – als nicht wahrscheinlich. Zudem ist dem Bericht, Risiken der Verbreitung von SARS-CoV-2 und schweren Erkrankung an Covid-19 in Afghanistan, besondere Lage Abgeschobener von Friederike Stahlmann vom 27.03.2020 zu entnehmen, dass insbesondere Rückkehrer stigmatisiert werden, weil sie primär für die Gefahr durch Corona verantwortlich gemacht werden. Das Stigma, Seuchenüberträger zu sein, treffe auch aus Europa Eingereiste (S. 2). Dadurch würde die Niederlassung des Beschwerdeführers zusätzlich erschwert. Hierdurch würde eine Suche des Beschwerdeführers nach Arbeit und Unterkunft zweifellos weiter behindert.

Angesichts dessen, dass Hotels, Teehäuser und vergleichbare Einrichtungen geschlossen sind, es auch keine staatliche Unterbringung von Rückkehrer gibt (Länderinformationsblatt, Kapitel 22. Rückkehr) wäre der Beschwerdeführer, nachdem er in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif nicht über soziale Anknüpfungspunkte verfügt, durch die ihm allenfalls Unterkunft gewährt werden könnte, im Fall der Rückkehr unmittelbar von Obdachlosigkeit bedroht.

Hinsichtlich einer allfälligen Unterstützung durch die Familie ist anzumerken, dass diese unter den aktuellen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung nicht hinreichend gesichert erscheint. So ist dem Bericht ACCORD, Afghanistan: Covid-19 (allgemeine Informationen; Lockdown-Maßnahmen; Proteste; Auswirkungen auf Gesundheitssystem, Versorgungslage, Lage von Frauen und RückkehrerInnen; Reaktionen der Taliban, Stigmatisierung) vom 05.06.2020 zu entnehmen, dass teilweise zahlreiche Geschäfte und Büros geschlossen wurden. Auch dem Länderinformationsblatt ist zu entnehmen, dass unter anderem geschäftliche Aktivitäten eingeschränkt sind. Zudem resultiert dem Länderinformationsblatt zufolge aus der bereits schlechten wirtschaftlichen Lage im Herkunftsstaat – wobei sich diese Informationen auf einen Zeitpunkt vor Ausbrechen der Pandemie beziehen – und individuellen Faktoren, dass Unterstützung durch die Familie nur temporär und nicht immer gesichert erfolgt (Kapitel 24. Rückkehr). Staatliche Unterstützung existiert dagegen nicht und wird hinsichtlich Rückkehrunterstützung berichtet, dass ein koordinierter Mechanismus nicht existiert. Insbesondere wird Rückkehrhilfe nur temporär und kurzfristig gewährt und funktioniert eine allfällige Anschlussunterstützung nicht lückenlos (Länderinformationsblatt, Kapitel 22. Rückkehr).

Insgesamt ist daher davon auszugehen, dass es dem Beschwerdeführer im Fall einer Niederlassung in Herat (Stadt), Mazar-e Sharif oder Kabul (Stadt) nicht möglich ist, seinen Lebensunterhalt aus eigenem Einkommen zu bestreiten und seine Lebensgrundlage zu erwirtschaften und insbesondere, dass es ihm nicht möglich wäre, Fuß zu fassen und er Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Unterkunft und Kleidung nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten.

Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass die im Länderinformationsblatt zitierten Unterlagen von angesehen Einrichtungen stammen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 5 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, gesammelte Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren. Auch das European Asylum Support Office (EASO) ist nach Art. 4 lit. a Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen bei seiner Berichterstattung über Herkunftsländer zur transparent und unparteiisch erfolgende Sammlung von relevanten, zuverlässigen, genauen und aktuellen Informationen verpflichtet. Damit durchlaufen die länderkundlichen Informationen, die diese Einrichtungen zur Verfügung stellen, einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Den UNHCR-Richtlinien ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung"), wobei diese Verpflichtung ihr Fundament auch im einschlägigen Unionsrecht findet (Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie] und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU [Statusrichtlinie]; VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114) und der Verwaltungsgerichtshof auch hinsichtlich der Einschätzung von EASO von einer besonderen Bedeutung ausgeht und eine Auseinandersetzung mit den „EASO-Richtlinien“ verlangt (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0405). Parteiengehör bezüglich der in dieser Entscheidung hinsichtlich Punkt 2.3. der Beweiswürdigung neben den in das Verfahren eingebrachten herangezogenen Länderberichte konnte entfallen. Die belangte Behörde hat aufgrund ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Abfassung von Länderberichten sowie als spezialisierte Fachbehörde Kenntnisse über ebendiese Länderberichte; weiter wurden diese ausschließlich zugunsten des Beschwerdeführers verwendet, weshalb auch diesbezüglich eine Notwendigkeit zur Gewährung von Parteiengehör nicht gegeben war. Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich daher auf die angeführten Länderberichte, wobei eine beweiswürdigende Auseinandersetzung im Detail oben erfolgt ist.

3.       Rechtliche Beurteilung:

3.1.    Zur Prüfbefugnis des Bundesverwaltungsgerichts

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde zu überprüfen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gibt es im Beschwerdeverfahren nach dem VwGVG kein Verbot der „reformation in peius“ (Verschlechterungsverbot; zuletzt VwGH 06.05.2020, Ra 2019/08/0114). Daher verbietet sich eine Auslegung des § 27 VwGVG dahingehend, dass die Prüfbefugnis der Verwaltungsgerichte zu stark eingeschränkt zu verstehen wäre. Auch ist in den der grundsätzlich meritorischen Entscheidungspflicht unterliegenden Fällen im Rahmen des zu führenden Ermittlungsverfahrens das Amtswegigkeitsprinzip des § 39 Abs. 2 AVG iVm § 17 VwGVG zu beachten. Das Verwaltungsgericht ist daher in seiner Prüfung der Sache auf Grund der Beschwerde in seiner rechtlichen Beurteilung an das Beschwerdevorbringen nicht gebunden und darf und muss seiner Entscheidung sämtliche aktenkundige bzw. im Beschwerdeverfahren hervorgekommene Sachverhaltselemente zugrunde legen (VwGH 27.01.2016, Ra 2014/10/0038). Es ist im Rahmen der der jeweiligen beschwerdeführenden Partei subjektivöffentlichen Rechte befugt, nachzuprüfen, ob überhaupt die Voraussetzungen für die Erteilung einer Berechtigung vorliegen und verbietet sich eine Auslegung des § 27 VwGVG dahingehend, dass bezüglich einer nicht trennbaren Sache die Prüfbefugnis des Verwaltungsgerichts lediglich auf einen Teil dieser Sache eingeschränkt wäre (VwGH 06.03.2019, Ro 2018/03/0031).

Damit ist das Bundesverwaltungsgericht ungeachtet dessen, dass die belangte Behörde eine vom Schwiegervater des Bruders ausgehende Gefährdung für glaubhaft befunden (AS 334-335) und dies vom Beschwerdeführer nicht in Zweifel gezogen wurde, nicht an diese Beurteilung der Behörde gebunden, sondern viel mehr zur Nachprüfung des Fluchtvorbringens auf beweiswürdigender und rechtlicher Ebene berufen.

3.2.    Zur Abweisung der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Asyl)

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht, dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat.

Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht einer Person, wenn sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierung ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010 mwN).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (VwGH 30.08.2018, Ra 2017/18/0119 mwN).

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung den Familienverband als „soziale Gruppe“ gemäß Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anerkannt. Verfolgung kann daher schon dann Asylrelevanz zukommen, wenn ihr Grund in der bloßen Angehörigeneigenschaft des Asylwerbers, somit in seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe iSd Art. 1 Z 2 GFK, etwa jener der Familie liegt (Vgl. VwGH vom 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 mwN).

Der Verwaltungsgerichtshof bejaht in seiner ständigen Rechtsprechung grundsätzlich die Asylrelevanz einer Verfolgung wegen Blutrache unter dem GFK-Anknüpfungspunkt der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der „von Blutrache bedrohten Angehörigen der Großfamilie“, sofern sich die Verfolgungshandlungen gegen Personen richten, die in die Rache gegen den unmittelbar Betroffenen bloß aufgrund ihrer familiären Verbindungen zu diesem einbezogen werden (Vgl. etwa Ra 2014/18/0011, 13.11.2014).

Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt konnte der Beschwerdeführer jedoch nicht glaubhaft machen, dass er vom Schwiegervater bedroht und aufgefordert wurde, seinen Bruder auszuliefern sowie, dass ihm im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Übergriffe oder Misshandlungen von Seiten des Schwiegervaters wegen einer Entführung von dessen Tochter durch den Bruder drohen.

Der Beschwerdeführer konnte damit eine asylrelevante Verfolgungsgefahr im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung nicht glaubhaft machen und war die Beschwerde im Ergebnis hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

3.3.    Zur Stattgebung der Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte II. bis VI. des angefochtenen Bescheides (Subsidiärer Schutz)

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Mit Erkenntnis vom 06.11.2018, Ra 2018/01/0106 hat der Verwaltungsgerichtshof sich mit der Rechtsprechung des EuGH zu den Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auseinandergesetzt. Danach sei subsidiärer Schutz nur in jenen Fällen zu gewähren, in denen die reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK auf einen ernsthaften Schaden iSd Art. 15 Statusrichtlinie zurückzuführen ist, der vom Verhalten eines Akteurs iSd Art. 6 Statusrichtlinie verursacht wird (Art. 15 lit a. und b.), bzw. auf eine Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt (Art. 15 lit. c) zurückzuführen ist. Nicht umfasst sei dagegen die reale Gefahr jeglicher etwa auf allgemeine Unzulänglichkeiten im Heimatland zurückzuführende Verletzungen von Art. 3 EMRK. Insofern habe der nationale Gesetzgeber die Bestimmungen der Statusrichtlinie fehlerhaft umgesetzt, weil nach dem Wortlaut des § 8 Abs. 1 AsylG jegliche reale Gefahr (real risk) einer Verletzung von Art 2. Art. EMRK, 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zur Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führe (VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106).

An diese Judikatur anschließend spricht der der Verwaltungsgerichthof in seinem Erkenntnis vom 21.05.2019, Ro 2019/19/0006 aus, dass die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht ausschließlich anhand Art. 15 Statusrichtlinie geprüft werden könne. Die Bestimmung sei – obgleich fehlerhaft in das nationale Recht umgesetzt – nicht unmittelbar anwendbar, weil dies zulasten eines bzw. zur Vorenthaltung von Rechten des Einzelnen nicht in Frage komme. Die nationale Regelung des § 8 Abs. 1 AsylG sei günstiger. Deren unionsrechtskonforme bzw. richtlinienkonforme Auslegung finde ihre Schranke jedoch in einer Auslegung contra legem des nationalen Rechtes. Eine einschränkende Auslegung des Wortlautes des § 8 Abs. 1 AsylG im Sinne einer teleologischen Reduktion sei vor dem Hintergrund des klaren gesetzgeberischen Willens – den der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung herausarbeitet – nicht zu rechtfertigen. Daher halte der Verwaltungsgerichtshof an seiner Rechtsprechung, wonach eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK durch eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat – auch wenn diese Gefahr nicht durch das Verhalten eines Dritten (Akteurs) bzw. die Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt verursacht wird – die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 8 Abs. 1 AsylG begründen kann (VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006 m.w.N.).

Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes reicht es, um von der realen Gefahr („real risk“) einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf viel mehr einer darüberhinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (VwGH 18.10.2018, Ra 2017/19/0109 m.w.N.). Es obliegt dabei der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines solchen Risikos nachzuweisen. Es reicht nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan zu berufen (VwGH 03.05.2018, Ra 2018/20/0191).

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein – im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen – höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 MRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. In diesem Fall kann das reale Risiko der Verletzung von Art. 2 oder 3 MRK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bereits in der Kombination der prekären Sicherheitslage und der besonderen Gefährdungsmomente für die einzelne Person begründet liegen (VwGH 23.01.2019, Ra 2018/14/0196).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz bezogen auf den Einzelfall nicht gedeckt werden können. Unter Berufung auf die Rechtsprechung des EGMR ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingte Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Es muss viel mehr detailliert und konkret dargelegt werden, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006).

Ebenso ist in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Hinblick auf den anzuwendenden Prüfungsmaßstab des Art. 3 MRK anerkannt, dass es unter Berücksichtigung der Judikatur des EGMR Ausnahmefälle geben kann, in denen durch eine schwere Erkrankung bzw. einen fehlenden tatsächlichen Zugang zur erforderlichen Behandlung im Herkunftsstaat die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründet wird (VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006).

3.3.1.  Zur Rückkehr in die Herkunftsprovinz

Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt besteht im Fall der Rückkehr des Beschwerdeführers in die Herkunftsprovinz die Gefahr, dass dieser im Zuge von Kampfhandlungen zwischen Aufständischen und Regierungsstreitkräften oder durch Übergriffe Aufständischer misshandelt oder verletzt wird bzw. zu Tode zu kommt.

Demnach droht dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr die reale Gefahr einer Verletzung seiner durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte im Sinne der oben zitierten Judikatur.

3.3.2.  Zur Nichtverfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht.

Gemäß § 11 Abs. 1 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen, wenn Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann.

Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind nach dem klaren Wortlaut des § 11 AsylG zwei getrennte und selbstständig zu prüfende Voraussetzungen der innerstaatlichen Fluchtalternative zu unterscheiden. Einerseits muss geprüft werden, ob in dem als innerstaatliche Fluchtalternative ins Auge gefasste Gebiet Schutz vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, gegeben ist. Die zweite Voraussetzung für das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative bildet nach der Judikatur des VwGH die Frage, ob dem Asylwerber der Aufenthalt in diesem Gebiet zugemutet werden kann. Die Zumutbarkeit des Aufenthalts ist von der Frage der Schutzgewährung in diesem Gebiet zu trennen (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001 mwN). Selbst wenn in dem betreffenden Gebiet also keine Verhältnisse herrschen, die die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten rechtfertigen, wäre die innerstaatliche Fluchtalternative bei Unzumutbarkeit des Aufenthalts in diesem Gebiet zu verneinen.

Das Kriterium der Zumutbarkeit ist in unionsrechtskonformer Auslegung gleichbedeutend mit dem Erfordernis nach Art. 8 Abs. 1 Statusrichtlinie, nämlich, dass vom Asylwerber vernünftigerweise erwartet werden kann, sich im betreffenden Gebiet seines Herkunftslandes niederzulassen (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss es dem Asylwerber im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten möglich sein, Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (Zuletzt VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533).

Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt wäre es dem Beschwerdeführer im Fall einer Niederlassung in Herat (Stadt), Mazar-e Sharif oder Kabul (Stadt) nicht möglich, seinen Lebensunterhalt aus eigenem Einkommen zu bestreiten und seine Lebensgrundlage zu erwirtschaften. Zudem liefe er – insbesondere aufgrund der wirtschaftlichen Folgen der Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie – Gefahr, notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Unterkunft und Kleidung nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten. Insbesondere verfügt der Beschwerdeführer nicht über soziale Anknüpfungspunkte in einer der genannten Städte. Dabei ist anzumerken, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung anhand der Definition des § 2 Abs. 1 Z 16 AsylG und des in diesem Sinne inhaltliche Festlegungen vornehmenden § 8 Abs. 4 AsylG bereits dargelegt hat, dass es sich beim Status des subsidiär Schutzberechtigten um ein dem Fremden stets nur vorübergehendes (wenn auch verlängerbares) gewährtes Einreise- und Aufenthaltsrecht handelt (VwGH 27.05.20.19, Ra 2019/14/0153). Dem dem Status des subsidiär Schutzberechtigten demzufolge immanenten Schutzgedanken entspricht es damit, den entsprechenden Status auch im Falle allenfalls vorübergehender Gefährdungen zu gewähren. Insbesondere lassen sich allfällige langfristige Folgen der Pandemie und der Maßnahmen zu ihrer Eindämmung im Augenblick noch nicht absehen.

Hinweise auf das Vorliegen eines Ausschlussgrundes iSd § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG sind im Lauf des Verfahrens nicht hervorgekommen.

Hinsichtlich der Spruchpunkte II. bis VI. des angefochtenen Bescheides war der Beschwerde damit stattzugeben und dem Beschwerdeführer spruchgemäß der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zu erteilen.

3.3.3.  Zur befristeten Aufenthaltsberechtigung

Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unterscheidet § 8 Abs. 4 AsylG zwischen dem Status des subsidiär Schutzberechtigten und der zu erteilenden Aufenthaltsberechtigung, die Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung ist zusätzlich zur Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten vorgesehen (VwGH 30.10.2019, Ro 2019/14/0007). Sie erfolgt demnach konstitutiv.

Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem jüngst klargestellt, dass gemäß § 8 Abs. 4 AsylG die Gültigkeitsdauer nicht nur aus Anlass der erstmaligen Erteilung der Aufenthaltsberechtigung, sondern auch bei der Erteilung der verlängerten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG ausgehend vom Entscheidungszeitpunkt festzulegen ist (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0281).

Den Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 27.04.2016, Ra 2015/05/0069 dahingehend präzisiert, dass bei Kollegialorganen der Zeitpunkt der Willensbildung (Beschlussfassung) und bei monokratischen Organen jener der Erlassung (Zustellung oder mündliche Verkündung) der Entscheidung maßgeblich ist (siehe auch Leeb in Hengstschläger/Leeb, AVG § 29 VwGVG [Stand 15.2.2017, rdb.at], Rz 17). Darauf, dass die rechtlichen Wirkungen eines Erkenntnisses (des Einzelrichters) erst mit dessen Zustellung eintreten, hat der Verwaltungsgerichthof auch jüngst im Zusammenhang mit der Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG hingewiesen (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0281).

Auch gegenständlich entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, weswegen datumsmäßige Festlegung der einjährigen Gültigkeitsdauer der dem Beschwerdeführer erteilten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter ausgehend vom Zeitpunkt der Zustellung des gegenständlichen Erkenntnisses zu erfolgen hat.

Das Bundesverwaltungsgericht erkannte dem Beschwerdeführer mit vorliegendem Erkenntnis den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu. Folglich war spruchgemäß eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für ein Jahr zu erteilen.

Die befristete Aufenthaltsberechtigung gilt damit ein Jahr ab Zustellung des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts an den Beschwerdeführer.

4.        Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG abhängt. Das Bundesverwaltungsgericht folgt der unter 3. zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wobei gegenständlich insbesondere beweiswürdigende Erwägungen maßgeblich waren.

Schlagworte

befristete Aufenthaltsberechtigung Menschenrechtsverletzungen subsidiäre Schutzgründe subsidiärer Schutz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W109.2180428.1.00

Im RIS seit

27.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

27.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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