TE Vfgh Erkenntnis 1995/10/11 B1843/95

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Veröffentlicht am 11.10.1995
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art8
AufenthaltsG §5

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Abweisung eines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung mangels Vorliegen einer ortsüblichen Unterkunft; Unterlassen der gebotenen Interessenabwägung

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines bevollmächtigten Vertreters die mit 18.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer (ein bereits seit längerer Zeit rechtmäßig in Österreich lebender Staatsangehöriger der Republik Jugoslawien) beantragte am 19. Jänner 1994 die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Dieser Antrag wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. April 1995 unter Berufung auf §5 Abs1 AufG mit folgender Begründung abgewiesen:

"Gerade die Notwendigkeit, in einem ohnedies sensiblen Wohnbereich die weitere Zuwanderung sorgfältig zu steuern, macht es erforderlich, strenge Maßstäbe an die Beurteilung der Ortsüblichkeit von Wohnverhältnissen von Zuwanderern anzulegen. Ist eine für Inländer ortsübliche Unterkunft für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert, so darf gemäß §5 Abs1 des Aufenthaltsgesetzes eine Bewilligung nicht erteilt werden.

Nach der Judikatur des VwGH liegt eine ortsübliche Unterkunft jedenfalls dann vor, wenn bei Familien mit Kindern ein vom Wohnraum getrennter Schlafraum vorhanden ist.

Diese Beurteilung zeigt in ihrem Fall, daß Ihre Wohnung aus 30 m2 Gesamtnutzfläche besteht. Ein vom Wohnraum getrennter Schlafraum ist nicht vorhanden."

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird.

Der belangte Bundesminister für Inneres hat die Verwaltungsakten vorgelegt und die Abweisung der Beschwerde begehrt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der angefochtene Bescheid greift in das den Beschwerdeführer gemäß Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ein.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist ein Eingriff in dieses verfassungsgesetzlich garantierte - und unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht dann verfassungswidrig, wenn der ihm verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage erging, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsgrundlage beruht oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise anwendete; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen zu schweren Fehler beging, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellte (vgl. VfSlg. 11638/1988).

Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfGH 16.3.1995, B2259/94, mit näherer Begründung dargelegt hat, ist die Behörde auch bei Anwendung der in §5 Abs1 AufG besonders hervorgehobenen Versagungstatbestände der für die Dauer der Bewilligung nicht gesicherten ortsüblichen Unterkunft oder des nicht gesicherten Lebensunterhaltes in Fällen, in denen durch die Versagung der Bewilligung (weil etwa eine Familienzusammenführung verhindert wird), in das durch Art8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingegriffen wird, verhalten, die Notwendigkeit der Versagung der Bewilligung aus den in Art8 Abs2 EMRK umschriebenen öffentlichen Interessen zu prüfen und dabei auch auf die familiären und sonstigen privaten Interessen des Bewilligungswerbers Bedacht zu nehmen.

2. Die belangte Behörde hat im vorliegenden Fall eines seit mehreren Jahren mit seiner Familien in Österreich lebenden Fremden die iS des Art8 ERMK gebotene Interessenabwägung nicht vorgenommen.

Der angefochtene Bescheid war aus diesem Grund aufzuheben.

III.        Die Kostenentscheidung

gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer von 3.000 S enthalten.

IV.                                 Diese Entscheidung konnte

gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht, Privat- und Familienleben, Interessenabwägung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:B1843.1995

Dokumentnummer

JFT_10048989_95B01843_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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