Entscheidungsdatum
20.08.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W195 2224857-1/16E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Vizepräsidenten Dr. Michael SACHS als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Bangladesch, vertreten durch den XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.07.2019, XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.08.2020 zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Gemäß §§ 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am 27.09.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Im Rahmen einer am Tag der Antragstellung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erfolgten niederschriftlichen Erstbefragung gab der BF zu seinen Fluchtgründen an, er sei von klein an schon rechtskonservativ gewesen und sei seit 2014 bereits politisch aktiv. Er habe dem Islam Wichtigkeit zugesprochen und sei der Bangadesh Nationalist Party (im Folgenden: BNP) angehörig. Der BF habe immer online Postings gemacht. Er habe beispielsweise Sachen über das „22Punkte Programm“ zwischen Bharat und Bangladesch oder den Todesstrafen von den „Amirs“, den politischen Führern der BNP gepostet. Auch gegen das Informationsstrafgesetz und der unrechtmäßigen Machtübernahme der derzeitigen Regierung habe er sich geäußert. Der BF habe auch immer gegen die Verschleppungen und Tötungen der Führer der BNP durch die derzeitige Regierung der Awami League (im Folgenden: AL) demonstriert. Nachdem der BF „dies“ auf Facebook gepostet habe, sei sein Account durch die „BTRC“ geschlossen worden. Nach zwei Tagen seien dann zwei „D.B. Polizisten“ in Zivil zum BF nachhause gekommen und hätten seinen Eltern das Facebook-Profilfoto des BF gezeigt. Sie hätten seinen Eltern gesagt, dass der BF nun zur Polizeistation XXXX mitgehen müsse. Der BF sei nicht zuhause gewesen, aber er sei im Nachhinein zur Polizeistation gegangen. In der Zelle der Polizeistation sei der BF die ganze Nacht geschlagen worden. Seine Eltern hätten ihn mit 20.000 Taka freikaufen müssen. Der BF habe aufgrund der Belästigungen der AL schließlich nach Dhaka ziehen müssen, wo er in einem Schuhgeschäft tätig gewesen sei. Selbst dort sei es immer wieder zu Schutzgelderpressungen seitens der AL gekommen, weil der BF Funktionär der BNP Jubo Dal sei. Der BF sei dann auch von diesen Anhängern ausgeraubt worden. Der BF habe bei der örtlichen Polizei Anzeige erstatten wollen, allerdings sei er stattdessen selbst eingesperrt worden. Der BF sei auch noch weitere Male misshandelt und bedroht worden. Gegen ihn liege eine Anzeige in der Polizeistation XXXX mit der Nummer 37 vor, der BF werde als Täter 34 geführt. Das seien alle Fluchtgründe des BF.
I.2. Am 29.03.2019 wurde der BF vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen.
Dabei aufgefordert, seine persönlichen Fluchtgründe darzulegen, führte der BF aus, nachdem er von der Polizei gefoltert worden sei, sei er in Krankenhäusern XXXX und XXXX behandelt worden.
In Bangladesch sei er zwei Tage in Haft gewesen. Dies könne er auch beweisen. Er sei in der Polizeistation XXXX im Distrikt XXXX gewesen. Er sei im Februar 2015 festgenommen worden. Außerdem sei er auch am 17.08.2014, zwei Tage nachdem sein Account von der „BTRC“ gesperrt worden sei, ebenfalls für eine Nacht inhaftiert und gefoltert worden, das sei in der Polizeistation XXXX , im Polizeiverwaltungsbezirk XXXX gewesen.
I.3. Das Verfahren wurde am 29.03.2019 zugelassen.
I.4. Mit Schreiben vom 23.04.2019 wurde der BF für den 07.05.2019 zu einer weiteren Einvernahme vor dem BFA geladen. Der BF entsprach dieser Ladung unentschuldigt trotz aufrechter Meldung nicht.
I.5. Mit Ladungsbescheid vom 07.05.2019, XXXX , lud das BFA den BF für den 28.05.2019 und wies ihm im Falle seines Fernbleibens auf die Möglichkeit seiner zwangsweisen Vorführung hin. Der Ladungsbescheid wurde dem BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 09.05.2019 durch persönliche Übernahme zugestellt.
I.6. Am 28.05.2019 wurde der BF vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Dabei legte er Dokumente, darunter angebliche Anzeigen, zum Unterstreichen seiner Fluchtgründe vor und führte dazu aus, hier werde ihm Sachbeschädigung, Körperverletzung, illegale und unrechtmäßige Betretung und dass Verbrecher mit Motorrädern einen Anschlag verübt hätte, vorgeworfen. Zu einer anderen Anzeige brachte der BF vor, hier stünde, dass der BF und seine „Verbrecherfreunde“ sich unrechtmäßig versammelt hätten und das AL-Büro zerstört hätten und eine Sachbeschädigung mit unrechtmäßigem Betreten durchgeführt hätten. Sie seien angeblich mit Motorrädern und CNG (Motordreirädern) unterwegs gewesen. Weiters hätten sie Saiful Islam geschlagen, und dessen Vater Gazi Mohi Uddin, der 75 Jahre alt sei, hätte die Anzeige gegen „uns“ eingebracht. Dem BF wurde vorgehalten, dass er in dieser Anzeige auch der Brandstiftung beschuldigt würde und er gab dazu an, dass er das „eh“ gesagt habe. Der Dolmetscher bestätigte, dass die Brandstiftung nicht angeführt wurde. Der BF sei der unrechtmäßigen Versammlung, weil sie das AL-Büro unrechtmäßig betreten hätten, Sachbeschädigung und Brandstiftung und mit Motorrädern und CNG-Fahrzeugen hingekommen seien und Saiful Islam, der bei der AL, der Hauptpartei, sei, von ihnen geschlagen worden wäre, beschuldigt worden. Es wäre zu einer Schlägerei gekommen, die Polizei habe im Zuge der Ermittlungen, Bruchstücke als Beweismittel gefunden und sichergestellt hätte und somit Spuren von dem BF und seinen Leuten zu sehen seien. Es sei ein „Möbelholzstück“ gefunden worden, er kenne nicht alle Beweismittel auswendig, aber es seien viele verschiedene Beweise sichergestellt worden. Mit „Möbelholzstück“ meine er, dass ein Holzstück gefunden worden sei, mit dessen Hilfe ein Brand gelegt worden sei. Das sei ein Bambusrohrstück, das einen Fuß groß sein solle.
Die Anzeigen habe sich der BF per E-Mail schicken lassen.
Der BF wurde konkret zu der Haftstrafe, die er in Bangladesch verbüßt hätte, befragt und er gab dazu folgendes an: „Ich war auf dem Weg zum Basar Gauzia Supermarket, um für unser Geschäft Sachen und Schuhe zu kaufen. Einige Leute haben mich auf dem Weg dorthin angehalten und verlangten von mir Geld. Ich hatte auf dem Weg dorthin sehr viel Geld bei mir. Ich war nicht einverstanden damit, den vier bis fünf Personen einfach so Geld zu geben und fragte wer sie wären. Danach wurde ich zusammengeschlagen. Nachdem ich zusammengeschlagen wurde und mir Geld abgenommen wurde, habe ich die Leute aus der Ortschaft dort gefragt, wer das war. Sie sagten es sind AL – Führungsmitarbeiter. Dann bin ich zur Polizeistation gegangen ein G.D. (Antrag auf Eintrag in das polizeiliche Tagesjournal), darauf haben sie mich in der Zelle eingesperrt, weil ich gegen die machthabenden Parteimitglieder eine Anzeige erstatten wollte. Ich war bis zu zwei Tagen in der Zelle eingesperrt. Mein Vater konnte von mir gerufen werden, und mich durch eine Geldablöse befreien. Ich habe den dortigen Beamten noch gesagt gehabt, ich bin ja auch ein Parteimitglied aber von der BNP, wieso soll ich andere Regeln bekommen als die anderen. Er sagte ich solle still sein und verpasste mir eine Ohrfeige. Seitdem bin ich ein ‚Markierter‘ für die Beamten geworden. Seitdem war ich ja immer auch ein Ziel für sie. Zuletzt hängten sie mir diese politisch motivierte Anzeige an. Ein Parlamentsmitglied von dort namens XXXX ist der derzeitige Minister XXXX . Ich möchte damit sagen, dass dieser Minister die dortigen AL- Aktivisten züchtet und füttert. Diese Aktivisten sind ja, keine Menschen mehr sondern Hundekinder. Über das ganze Jahr führen die AL- Leute Verbrechen durch und bekommen keine Strafen. Die unschuldigen Menschen sitzen falsche Strafen ab. Die Arschlöcher beheben Schutzgeld von armen Rikscha – Fahrern, Auto – Fahrern und sogar von den hungernden Teeverkäufern im Basar. Es gibt Menschen die durch Verhungern sterben. Es wird regelmäßig Schutzgeld behoben und die Polizei unterstützt diese Sache und wenn man wie ich eine Anzeige erstatten möchten, sagt die Polizei gegen die nicht, lauf weg, sonst bekommst du eine Anzeige. Aufforderung Sie erstatten bloß ein abstraktes Vorbringen. Im Asylverfahren ist das Aufstellen von allgemeinen Behauptungen nicht ausreichend. Sie müssen Ihr Vorbringen glaubhaft machen. Glaubhaft können Sie Ihr Vorbringen nur machen, indem Sie in allen Einzelheiten und konkret von den Vorfällen berichten. Machen Sie konkrete Angaben zu den Geschehnissen (Vorfallszeiten, Vorfallsörtlichkeiten, Personendaten, etwaig beteiligte Personen, Umstände und Ihre höchstpersönliche Betroffenheit). Was ist am 14.02.2015 vorgefallen!!!!???? A: Ich hatte eine verbale Auseinandersetzung mit den Beamten, die meinten die Anzeige könne nicht erstattet werden, da die Angezeigten AL – Mitglieder sind. Daraufhin wurde ich in der Zelle für zwei Tage eingesperrt. Ich konnte erst frei kommen als mein Vater den Polzisten 20000 Taka bezahlte. In dieser Zelle war ich eingesperrt und auf den Wänden war mit Blut geschrieben ‚wie viele Tage noch‘ oder die Namen der Insassen. Die Toilette war in einem sehr schlechten Zustand. Ich hatte ja verbale Auseinandersetzungen mit den Beamten und mein Vater bekam mich ja mit dem Geld frei. Als ich hinausging sagte der Beamte noch: ‚Ich schau mir dich genau an‘. Später bezüglich der Anzeige am 06.11.2018, welche die Polizei nach Hause brachte, hat man mir gedroht, dass falls ich weiter für die BNP werbe, diese Anzeige mir angehängt wird. Vorhalt: Sie schweifen unentwegt ab! Machen Sie konkrete Angaben bezüglich der Haftstrafe am 14.02.2015! A: Ich wurde am Rücken geschlagen und mit einem Stock am Kreuz verletzt. Man hat mich sehr misshandelt und gefoltert, das kann ich Ihnen nicht mit Worten sagen! Ich ging deshalb auch zum Arzt. Vorhalt: Sie sind vollkommen emotionslos! Es ist nicht glaubhaft, dass Sie derartige Erlebnisse gehabt haben und dies ohne jedwede Gefühlsregung schildern! Was sagen Sie dazu? A: Ich hatte danach so viele Schmerzen, deswegen ich sogar heute noch manchmal glaube, dass ich die Schmerzen habe. Ich musste eine lange Zeit Medikamente nehmen. Wie soll ich Ihnen das erklären? F: Was ist nun mit dem Tag im Gefängnis am 17.08.2014? A: Ja, da war ich einen Tag in der Polizeistation XXXX am 17.08.2014 eingesperrt. Es ist so, dass ich von klein auf rechtskonservativ bin und für die BNP war. Ich habe online immer vieles geworben und kundgetan. Wie zB. über das 22 Punkte – Programm zwischen Indien und Bangladesch. Über die unrechtmäßige Wahl und unrechtmäßige Regierung. Über den Pilkhana – Skandal mit der BDR sowie den Preisanstieg des Reises. Und zB. hat man unseren Zia international Airport auf Shah Jalal Airport umbenannt. Und Jamuna Shetu hat man auf den Namen vom Vater von Sheikh Hasina umbenannt, als würde das ganze Land nur Ihrem Vater gehören. Vorhalt: Sie weichen erneut meinen Fragen aus!!! Sie geben ein politisches Statement, Sie machen keine konkreten Angaben zu den Vorfällen am 17.08.2014!!!! Was sagen Sie dazu? A: Ich wollte es Ihnen nur erklären, wegen den ganzen Posts im Internet dieser Themen, wurde mein Face Book Account, wo ich mein Foto oben hatte, gesperrt. Am 17.08.2014 sind dann zwei D.B. Polizisten (Detectiv Brance) zu uns nach Hause gekommen und sagten ich solle am nächsten Tag zur Polizeistation kommen. Ich bin dann am nächsten Tag dorthin gegangen und wurde eingesperrt. Ich wurde dann so geschlagen, dass ich gefoltert wurde. Mein Vater musste dann Geld bezahlen und bekam mich dann frei. Die Polizei macht nichts ohne Geld.“ Der BF werde von den bengalischen Behörden gesucht, weil ein Strafverfahren gegen ihn anhängig sei. Der BF wisse aktuell nicht, ob ein Haftbefehl gegen ihn bestünde, aber es habe schon einen Ladungstermin gegeben und weil er nicht gekommen sei, suche die Polizei verstärkt nach ihm. Wenn er wieder nicht erscheine, werde er ausgestellt. Dem BF wurde vorgehalten, dass er dem BFA glaubhaft machen wolle, die Polizei würde das Telefon des Vaters abhören, sie käme regelmäßig zum Vater nachhause, um den BF zu suchen, der BF müsse geheimdienstliche Methoden anwenden, um unerkannt seinen Vater zu kontaktieren, er wäre in Bangladesch mit Peilung gesucht worden und es sei gegen ihn Anklage erhoben worden aber es bestünde kein Haftbefehl. Der BF sei persönlich Unglaubwürdig und was er dazu sage, dazu gab er an: „A: Die Polizei arbeitet ja nicht so wie sie arbeiten müsste. Vor kurzem hat man eine Person in XXXX nicht einmal eine Polizeianzeige wegen Mordes aufnehmen lassen, obwohl ganz deutlich ein Mord passiert ist, ich musste fliehen, man hat mich gefoltert und wenn ich ein G.D (Anzeige) machen wollte, hat man mich gleich in der Zelle eingesperrt. Sie arbeitet nicht so wie sie müsste. Nachgefragt gebe ich an, dass der Vorfall in XXXX vor zwei Monaten passiert ist.“ Der BF wisse das, weil das ja veröffentlicht worden sei. Die Polizei mache alles Mögliche und töte Leute im angeblichen Kreuzfeuer.
Konkret zu seinen Fluchtgründen befragt führte der BF aus, als er noch in der achten Klasse gewesen sei, im Jahre 2009, sei er noch 14 Jahre alt gewesen. Am 14.02.2009 habe es einen Vorfall gegeben. An diesem Tag habe der BF in die Klasse sein Jausengeld nicht mitgenommen. Seine Klassenkollegen XXXX hätten den BF deswegen beschimpft. Sein Vater habe dem BF immer Jausengeld mitgegeben, aber an diesem Tag habe er es nicht mitgenommen. Deswegen hätten sie das Jausengeld des BF nicht stehlen können. Sie hätten ihn beschimpft und in die Toilette gezerrt und sein weißes Hemd zerrissen. XXXX hätten seine Arme festgehalten und XXXX hätte dem BF auf die linke Wange eine Ohrfeige verpasst. XXXX hätte gesagt, der BF wäre Angehöriger der „Penisvolksgruppe“ (sic), ein Kuthi, er wäre eines Menschen nicht würdig und er würde eine zweite Beschneidung bekommen. Man habe dem BF die Kleidung ausgezogen und seinen Penis mit einem Feuerzeug anbrennen lassen. Der BF habe um Hilfe geschrien. Von nebenan sei dann XXXX gekommen und habe die Angreifer beschimpft und vertrieben. Er habe den BF aufgefordert, sich wieder anzuziehen. Der BF habe das Ansinnen geäußert, den Vorfall zur Anzeige zu bringen, XXXX habe entgenet, „vergiss das, lauf einfach nach Hause“. Außerdem hätten ihn die Burschen sexuell misshandelt. Der BF sei dann am Nachmittag nach Hause gekommen. Sein Vater sei darauf mit dem BF zur Polizeistation gegangen. Der verantwortliche Beamte hätte dann gesagt, die Eltern der Leute, die sie anzeigen wollten, wären Parteiführungsmitarbeiter, das würde nicht funktionieren. Sie hätten gesagt, sie sollten besser nach Hause gehen. Sie seien dann nachhause gegangen. Derzeitig sei dieser XXXX von der CL der Vorsitzende. Am 30.05.2009 habe es zum Todestag von Ziaur Rahman eine Veranstaltung im Gedenken an ihn gegeben. Es habe dort kostenlos Biryani zu essen gegeben und der BF sei hingegangen. Dort habe man über die politische Tätigkeit und die Karriere von Ziaur Rahman gesprochen. Nachdem der BF dies gehört habe, habe er begonnen, die BNP zu mögen. Seit 2012 habe er online viele Postings und Kundgebungen gemacht und auf Facebook viele Einträge erstellt. Am 15.08.2014 habe der BF aufgrund des Geburtstages von Begum Zia und gleichzeitig zum Todestag vom Bangabandhu Einträge gemacht. Daraufhin habe die BTRC (die Telekommunikationsbehörde) den Facebook-Account des BF gesperrt. Zuvor seien Polizisten zu seiner Familie nach Hause gekommen und hätten gefragt, ob das auf dem Profilfoto der BF sei. Sie hätten es gesperrt, weil er ja auch über das 22-Punkteprogramm gepostet habe. Es seien zwei Personen in zivil, D.B. Polizisten, zum BF nachhause gekommen und hätten sein Foto gezeigt. Sein Vater habe gesagt, dass der BF nicht zu Hause sei. Die Polizei habe gesagt, der BF müsse sich am folgenden Tag bei der Polizeistation melden. Am 17.08.2014 sei der BF in die XXXX Polizeistation gegangen und sei für zwei Tage eingesperrt worden. Er sei geschlagen und gefoltert worden. Nachdem er einen Tag dort gewesen sei, habe sein Vater 20.000 Taka bezahlt dann sei der BF freigekommen. Auf Vorhalt, dass der BF ständig andere Haftdauern angebe, legte er sich auf einen Tag fest.
In der Folge sei der BF nach XXXX gegangen und sei dort beschäftigt. Dann sei er am 14.02.2015 auf dem Weg in den XXXX Supermarket gewesen, um Schuhe zu kaufen. Vier bis fünf Personen hätten den BF angehalten und hätten von ihm Geld verlangt. Nachdem der BF kein Geld habe hergeben wollen, sei er zusammengeschlagen worden und man habe ihm das Geld weggenommen. Daraufhin habe er die Leute aus der Ortschaft befragt und diese hätten gesagt, dass es Führungsmitarbeiter der AL gewesen wären. Dann sei der BF zur Polizeistation XXXX gegangen, um eine Anzeige, G.D., zu machen. Man habe die Anzeige nicht entgegengenommen, sondern ganz im Gegenteil, der BF sei für zwei Tage in der Zelle eingesperrt worden. Sein Vater habe ihn dann nach zwei Tagen durch Bezahlung von 20.000 Taka freibekommen. Der BF sei gefoltert und „viel“ geschlagen worden. Er könne sich an die ganzen Sachen in der Zelle noch erinnern. Er hätte verbale Auseinandersetzungen mit den Beamten gehabt. Er habe gesagt, er wäre ja auch ein Parteifunktionär der BNP. Seitdem sei der BF für sie ein „Markierter“ gewesen. Am 06.11.2018 sei die Anzeige auch gegen unbekannte Täter eingebracht worden, die Polizei hätte dem BF gedroht, wenn er weiter für die BNP werben würde, würde ihm diese Anzeige angehängt werden. Am 16.12.2018 sei sogar eine Anzeige gegen den BF in der Polizeistation XXXX erstattet worden. Die Anzeigenummer sei 37 und der BF sei als die Nr. 34 aufgeführt worden. Zu dieser Zeit seien etliche BNP-Mitarbeiter festgenommen und verfolgt worden. Der BF sei in XXXX flüchtig gewesen und habe sich an vielen verschiedenen Orten aufgehalten. Zuletzt sei er in XXXX , in XXXX im sechsstöckigen XXXX sei er in der Unterkunft von XXXX versteckt gewesen. Er habe nicht mehr zu Hause bleiben können, weil die Polizei nach ihm gesucht habe. Am 05.01.2019 habe er beschlossen, das Land zu verlassen.
I.7. Nach der Einvernahme legte der BF dem BFA weitere Schriftstücke vor, welche das BFA einer Übersetzung zuführte.
I.8. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 04.07.2019, 1224108206 - 190314095 / BMI-BFA_WIEN_RD wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Darüber hinaus wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.), erkannte einer Beschwerde gegen diesen Bescheid gem. § 18 Abs. 1 Z 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VI.) und sprach aus, dass gem. § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise des BF bestünde (Spruchpunkt VII.).
Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich des Status eines Asylberechtigten begründete das BFA im Wesentlichen damit, der BF habe eine Verfolgung in Bangladesch nicht glaubhaft machen können, weswegen dem BF nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden, drohe. Unter Berücksichtigung der individuellen (persönlichen) Umstände des BF sei nicht davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland in eine ausweglose Situation gerate, weswegen auch keine Anhaltspunkte für die Gewährung subsidiären Schutzes vorliegen würden. Ebenso wenig lägen Anhaltspunkte für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ vor und zudem würden die öffentlichen Interessen an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens gegenüber den privaten Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen, weswegen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei. Die Abschiebung des BF sei als zulässig zu bewerten. Das Vorbringen des BF habe offensichtlich nicht den Tatsachen entsprochen, weshalb die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde abzuerkennen und auszusprechen sei, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe.
I.9. Mit Schriftsatz vom 01.08.2019 wurde dieser Bescheid des BFA seitens des – durch den Verein Menschenrechte Österreich vertretenen – BF wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Gänze angefochten.
Nach Wiedergabe des bisherigen Verfahrensverlaufes und der behaupteten Fluchtgründe wurde dabei zusammengefasst begründend ausgeführt, das substantiierte Vorbringen des BF stimme mit dem Länderinformationsblatt zu Bangladesch überein. Alle Fragen habe der BF „glaubwürdig“, nachvollziehbar und detailliert beantwortet. Nach Bemerkungen zur Plausibilität des Vorbringens des BF führt die Beschwerde aus, die vom BF vorgelegten Urkunden würden einer urkundentechnischen Überprüfung zu unterziehen sein und/oder würden weitere Ermittlungen zur Beweiskraft „afghanischer“ (sic) Urkunden anzustellen sein. Von einer Schutzwilligkeit der Behörden sei im Falle des BF nicht auszugehen. Es bestünde ein erhebliches Risiko des BF, in Bangladesch Verfolgungshandlungen ausgesetzt zu sein. Dem BFA werde eine näher konkretisierte Unterlassung der Vorgehensweise im Ermittlungsverfahren nach § 18 AsylG 2005 unterstellt.
Es wurden die Anträge gestellt, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, in der Sache selbst zu entscheiden und dem BF den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, in eventu, Spruchpunkt II. zu beheben und dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, in eventu, dem BF einen Aufenthaltstitel gem. § 57 AsylG 2005 zuzuerkennen, in eventu, die angeordnete Rückkehrentscheidung aufzuheben und festzustellen, dass diese gem. § 9 BFA-VG auf Dauer unzulässig sei, in eventu, den angefochtenen Bescheid gem. § 28 Abs. 3 VwGVG mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen.
I.10. Mit Schreiben vom 28.10.2019 legte das BFA die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
I.11. Mit hg. Beschluss vom 30.10.2019, L512 2224857-1/3Z, wurde der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG aufschiebende Wirkung zuerkannt (Spruchpunkt A) und die Revision gem. Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zugelassen (Spruchpunkt B).
I.12. Mit E-Mail vom 13.02.2020 legte das BFA eine in der Sprache Bengali handschriftlich verfasste Stellungnahme des BF vor.
I.13. Mit der Ladung zur Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dem BF auch das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Bangladesch zur allfälligen Stellungnahme bis längstens im Rahmen der für den 05.08.2020 angesetzten mündlichen Beschwerdeverhandlung, übermittelt.
I.14. Am 05.08.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Bengali und des ausgewiesenen Rechtsvertreters des BF eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, im Zuge derer der BF ausführlich u.a. zu seinen Fluchtgründen, seinen Rückkehrbefürchtungen, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensverhältnissen in Österreich befragt wurde.
Im Zuge der Verhandlung vor dem BVwG führte der BF aus, dass er mit seiner Familie in Bangladesch regelmäßigen Kontakt, alle zwei bis drei Tage pro Woche, habe. Seiner Familie ginge es finanziell durchschnittlich, sie habe viele landwirtschaftliche Grundstücke. Ein Bruder lebe in Dhaka und betreibe dort einen Schuhhandel.
In Österreich habe er keine Verwandten, keine Kinder und auch keine Beziehung.
Der BF stellte seine Deutschkenntnisse, welche sich zertifiziert auf A2 bewegen, im Rahmen der Verhandlung unter Beweis.
Er habe Freunde, mit denen er schwimmen gehe, Fahrrad fahre, Berg steige und des Nachts in Discotheken und Bars. Der BF sieht sich gerne Filme an.
Der BF arbeitet in der Hausbetreuung. Er legte diesbezüglich dem BVwG aktuelle Abrechnungen vor, die sich im Schnitt zwischen € 1.100 und € 1.300 (während des Corona-bedingten Lock down ca € 700) bewegen.
Zu seinem Fluchtgrund befragt führte der BF aus, dass er seit 2014 (als gewöhnliches Mitglied) politisch tätig war. Nachgefragt gab der BF an, dass er seit 01.11.2017 bei der „Cyber Dal“ gewesen sei und seit 20.06.2018 bei der „Jubo Dal“ (als stellvertretender Generalsekretär auf Gemeindeebene).
Am 16.12.2018 habe man gegen den BF eine Anzeige in der Polizeistation XXXX eingeleitet. Der BF würde verschiedener schwerer Straftaten beschuldigt. Er könne sich dies nicht erklären, außer, weil im Jahr 2015 ein Vorfall passiert sei, wo ihn die Polizei inhaftiert, geschlagen und Geld gestohlen habe. Seitdem wisse die Polizei, dass er für die BNP sei. Es sei in weiterer Folge eine Anklageschrift am 19.03.2019 erhoben worden und ein Haftbefehl am 29.06.2019 (später korrigiert auf 19.08.2019). Gegen das Verfahren habe sich der BF nicht gewehrt, weil er keinen Anwalt gefunden habe, der ihn vertreten würde.
Am 15.01.2019 habe der BF Bangladesch verlassen und sei am 27.03.2019 in Österreich illegal eingereist.
Die Unterlagen, nämlich die Anzeige und das Strafverfahren, habe der BF „im Februar, März herum erhalten. Zuvor habe ich im September nur lediglich per E-Mail erhalten. 2019 habe ich per E-Mail die Unterlagen erhalten und die Dokumente selbst habe ich 2020 erhalten.“
Ein weiteres Vorbringen zu den Fluchtgründen erstattete der BF nicht. Sein Bruder hätte ihn mit weinerlicher Stimme gewarnt, nicht nach Bangladesch zurückzukehren. Es würden Schutzgelderpressungen stattfinden und die Wahrscheinlichkeit, dass sie den BF tatsächlich umbringen würden, sei einfach zu hoch.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen:
II.1.1. Zur Person des BF, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensumständen in Österreich:
Der volljährige BF ist Staatsangehöriger von Bangladesch und der Volksgruppe der Kuthi/Kutti sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Seine Muttersprache ist Kuthi/Kutti, darüber hinaus spricht er Bengali (gleichlautende Angaben in der Erstbefragung AS 13 vor dem BFA AS 55, 226).
Der BF ist in der Ortschaft XXXX im Distrikt XXXX geboren und aufgewachsen (AS 13 ff., 57, 226) und hat zuletzt auch dort gelebt (AS 17); andere Angabe vor dem BVwG: „Von 2015 bis 2018 war ich in XXXX Ich habe am 15.01.2019 das Land verlassen, da war ich noch in XXXX Also seit 2015 war ich in Dhaka, bis zum 15.01.“
In Bangladesch hat der BF zehn Jahre die Schule besucht und im Schuhgeschäft seiner Familie mitgearbeitet (AS 13, 61).
Der BF ist ledig und hat keine Kinder (AS 226). In Bangladesch halten sich die Eltern, zwei Schwestern und zwei Brüder des BF auf (AS 17, 57). Zwischen dem BF und seinen Verwandten besteht aufrechter regelmäßiger Kontakt, dies mehrmals pro Woche.
Der BF ist im März 2019 illegal in das Bundesgebiet eingereist. Er war bis April 2019 in die staatliche Grundversorgung einbezogen. Der BF ist derzeit selbstständig in der Hausreinigung tätig und verdient monatlich zwischen € 1.200 und € 1.300. Der BF hat in Österreich keine Verwandten und er lebt nicht in Partnerschaft. Er ist in keinen Vereinen oder sonstigen Organisationen tätig und engagierte sich während seines bisherigen Aufenthaltes nicht ehrenamtlich.
Der BF verfügt über ausreichende Deutschkenntnisse. Er ist strafrechtlich unbescholten.
Der BF ist gesund und arbeitsfähig.
I.1.2. Zum Fluchtvorbringen des BF:
Festgestellt wird, dass der BF bereits in der Schule 2009 von Schülern, deren Eltern Anhänger der Awami League gewesen sein sollen, misshandelt worden zu sein.
Festgestellt wird, dass der BF behauptet, 2005 in einer Polizeistation geschlagen, inhaftiert und bestohlen worden zu sein.
Es wird festgestellt, dass sich der BF in seinen Fluchtgründen, insbesondere bei den Daten, widerspricht.
Es wird festgestellt, dass der BF behauptet, dass gegen ihn am 16.12.2018 eine Anzeige wegen schwerer Verbrechen eingebracht wurde. Es wird festgestellt, dass der BF Bangladesch am 15.01.2019 verlassen hat, die Unterlagen zu der Anzeige jedoch erst im September 2019 erhalten habe. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF überhaupt angezeigt wurde und aus diesem Grund Bangladesch verlassen hat. Ein „Polizeibesuch“ bei seinem Haus fand nach den Aussagen des BF am 06.11.21018 statt, betreffend eine Anzeige „gegen unbekannte Täter“, also vor der Anzeigenerhebung vom 16.12.2018 (AS 227). Ein „Polizeibesuch“ nach der Anzeige vom 16.12.2018 hat der BF nicht vorgebracht.
Der BF legte diverse Dokumente (darunter auch die Anzeige vom 17.12.2018 sowie die Anklageschrift vom 19.03.2019) bei der Einvernahme vor dem BFA am 28.05.2019 vor, welche im Rahmen der Verhandlung vom Dolmetscher (inhaltlich) durchgesehen wurden.
Der BF legte bei der Verhandlung am 05.08.2020 dem BVwG Dokumente in bengalischer Sprache vor, welche er „im Februar, März 2020“ erhalten habe; diese Dokumente bezögen sich auf das behauptete Strafverfahren.
Nicht festgestellt werden kann eine konkrete politische Verfolgung des BF in Bangladesch.
Es wird festgestellt, dass der BF im Falle einer Rückkehr in sein Herkunftsland auch keine Verfolgung durch Private zu gewärtigen hätte. Es wird festgestellt, dass der BF keine Probleme aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit hatte und im Falle einer Rückkehr haben wird.
Es wird festgestellt, dass sich der BF im Falle von allfälligen Behelligungen in Bangladesch unter behördlichen Schutz stellen kann und/oder sich solchen Behelligungen durch eine Niederlassung in anderen Landesteilen entziehen kann.
II.1.3. Zur maßgeblichen Lage in Bangladesch:
Politische Lage:
Bangladesch – offizielle Bezeichnung Volksrepublik Bangladesch (People' s Republic of Bangladesh / Ga?apraj?tantr? B??l?de?) ist seit 1991 eine parlamentarische Demokratie (GIZ 12.2018a). Das Land befindet sich größtenteils in der Deltaebene, die durch die Mündung der Flüsse Ganges und Brahmaputra in den Golf von Bengalen (Indischer Ozean) gebildet wird. Nachbarstaaten sind Indien (Westen, Norden und Osten) und Myanmar (Südosten). Die Hauptstadt ist Dhaka (ca. 20 Millionen Einwohner). Auf einer Fläche von ca. 148.000 km² (CIA 21.2.2019) leben etwa 159 bis 165 Millionen Einwohner (CIA 21.2.2019; vgl. GIZ 1.2019, AA 12.2018a). Bangladesch ist mit 1.127 Einwohnern pro Quadratkilometer der am dichtest besiedelte Flächenstaat der Welt (zum Vergleich: Österreich 104 Einwohner pro km²) (WPR o.D.; vgl. AA 12.2018a).
Das Staatsoberhaupt ist der Präsident, der vom Parlament alle fünf Jahre gewählt wird. Eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Er übt größtenteils zeremonielle Funktionen aus, während die Macht in den Händen des Premierministers als Regierungschef liegt. Dieser wird von der stärksten im Parlament vertretenen Partei nominiert und vom Präsidenten formell ernannt. Der Premierminister ernennt die Regierungsmitglieder, die vom Präsidenten bestätigt werden. Nach Ende der fünfjährigen Legislaturperiode bildet der Präsident unter seiner Führung eine unabhängige Übergangsregierung, deren verfassungsmäßige Aufgabe es ist, innerhalb von 90 Tagen die Voraussetzungen für Neuwahlen zu schaffen (ÖB 12.2018; vgl. GIZ 12.2018a). Zusätzlich obliegt dem Premierminister die Kontrolle der Geheimdienste, der Streitkräfte und der paramilitärischen Einheiten (GIZ 12.2018a).
Das Parlament (National Parliament oder Jatiya Sangsad) besteht aus einer Kammer mit 300, in Einzelwahlkreisen auf fünf Jahre direkt gewählten, Abgeordneten (ÖB 12.2018) mit zusätzlichen 50 Sitzen, die nur für Frauen reserviert sind (AA 27.10.2017; vgl. GIZ 12.2018). Diese werden nicht direkt durch eine Wahl vergeben, sondern die Parteien, die es ins Parlament schaffen, nominiert (GIZ 12.2018a). Das Parlament tagt nicht während der Amtszeit der Übergangsregierung. Das Mehrheitswahlrecht führt zu stabilen Mehrheiten im Parlament und hat die Herausbildung der Bangladesch Nationalist Party (BNP) und der Awami League (AL) als dominierende und konkurrierende Parteien begünstigt. Während die konservative BNP Verbündete bei den islamistischen Parteien wie der Jamaat-e-Islami (JI) hat, bekommt die AL traditionell Unterstützung von linken und säkularen Parteien, wie der Arbeiterpartei, der liberaldemokratischen Partei, der national-sozialen Partei Jatiyo Samajtantrik Dal und jüngst auch von der Jatiya Partei, unter dem ehemaligen Militärdiktator Hossain Mohammad Ershad (ÖB 12.2018).
Das politische Leben wird seit 1991 durch die beiden größten Parteien, die „Awami League“ (AL) und „Bangladesh Nationalist Party“ (BNP) bestimmt. Klientelismus und Korruption sind weit verbreitet. Gewerkschaften, Studentenorganisationen, Polizei und Verwaltung sind parteipolitisch durchdrungen (AA 12.2018). Beide Parteien haben keine demokratische interne Struktur und werden von Familien geführt, die Bangladesch seit der Unabhängigkeit geprägt haben (FH 1.2018).
Seit 2009 ist Sheikh Hasina von der Awami League (AL) Premierministerin (GIZ 12.2018a; vgl. ÖB 12.2018). Im Jänner 2019 wurde Sheikh Hasina für ihre vierte Amtszeit, die dritte Amtszeit in Folge, als Premierministerin angelobt. Im Februar 2019 gab sie bekannt, dass sie nach dieser Amtszeit an die „junge Generation“ übergeben wolle (DW 14.2.2019).
Bei den elften bangladeschischen Parlamentswahlen vom 30.12.2018 erzielte die „Große Allianz“ um die regierende AL einen Erdrutschsieg mit 96 % der Stimmen und 289 der 300 zur Wahl stehenden Parlamentssitze (Guardian 30.12.2018; vgl. BN24 31.12.2018, DT 27.1.2019, DS 10.1.2019), wobei in zwei Wahlkreisen aufgrund von Gewalt (DS 10.1.2019) bzw. dem Tod eines Kandidaten Nachwahlen notwendig waren (DT 27.1.2019).
Es gibt Berichte über Wahlmanipulation. Die Opposition verurteilte die Wahl als „Farce“ und fordert die Annullierung des Ergebnisses und Neuwahlen. Die Regierungspartei weist die Manipulationsvorwürfe und Neuwahlforderungen zurück und nennt die Wahl „völlig frei und unabhängig“ (BBC 31.12.2018). In einer vorläufigen Bewertung erklärten Wahlbeobachter der SAARC (South Asian Association for Regional Cooperation), dass die Wahl „viel freier und fairer“ ablief als die vorherigen (Hindu 1.1.2019). Bereits im Vorfeld der Wahl kam es zu Gewalt zwischen rivalisierenden Anhängern und zu harten Vorgehen der Regierung (BBC 31.12.2018; vgl. Hindu 1.1.2019). Von Oktober bis Anfang Dezember 2018 fanden wiederholt Fälle willkürlicher Verhaftungen und Inhaftierungen von Demonstranten und politischen Oppositionellen sowie von Gewalttaten und Einschüchterungen durch Mitglieder der Studenten- und Jugendabteilung der Regierungspartei statt. (HRW 13.12.2018). Am Wahltag waren rund 600.000 Sicherheitskräfte, darunter Armee und paramilitärische Truppen, im Einsatz, um die Gewalt einzudämmen (Guardian 30.12.2018). Am Wahltag wurden mindestens 17 Menschen bei Zusammenstößen zwischen Anhängern der regierenden Partei und der Opposition getötet (Reuters 1.1.2019).
2014 trat die BNP aus Protest gegen Verfahrensfehler bei der Organisation der Wahlen nicht zur Wahl an und forderte die Bevölkerung, ihre eigenen Parteimitglieder und Wähler zu einem Generalstreik (Hartal) auf. Eine der wichtigsten BNP-Vertreter der Opposition war und ist die ehemalige Premierministerin und amtierende BNP-Parteivorsitzende Khaleda Zia. Sie wurde im Februar 2018 wegen Veruntreuung zu einer Haftstrafe von fünf Jahren verurteilt (GIZ 12.2018a) und durfte bei den Parlamentswahlen am 30.12.2018 nicht als Kandidatin antreten (DT 8.12.2018). Die oppositionelle BNP hat aufgrund ihrer starken gesellschaftlichen Verankerung das Potential, durch Generalstreiks großen außerparlamentarischen Druck zu erzeugen (GIZ 12.2018a).
Infolge der Dominanz der AL und der fehlenden innerparteiischen Demokratie hat de facto die exekutive Spitze das ausschließliche Sagen bei Gesetzesentwürfen. Wie schon die Vorgängerregierungen baut auch die gegenwärtige AL-Regierung ihre Netzwerke in Verwaltung, Rechtswesen und Militär aus. Verschärfend kommt hinzu, dass die BNP als vormals größte Oppositionspartei nach ihrem Wahlboykott am 5.1.2014 überhaupt nicht mehr im Parlament vertreten war (GIZ 12.2018a) und bei den Parlamentswahlen am 30.12.2018 nur sechs Mandate erzielen konnte (BI 31.12.2018; vgl. DS 10.1.2019).
Durch Verfassungsänderung von Juni 1988 wurde der Islam zur Staatsreligion erklärt, bei gleichzeitiger verfassungsrechtlicher Verankerung des Rechts auf friedliche Ausübung anderer Religionen. Auch Säkularismus ist Staatsprinzip und genießt Verfassungsrang (AA 27.10.2017). Die verfassungsändernde Mehrheit der AL im Parlament führt zu einer enormen Machtkonzentration. Gesetzesinitiativen schränken den Spielraum der Zivilgesellschaft weiter ein. Die derzeitige Regierung hat es sich zum Ziel gemacht, Verbrechen des Unabhängigkeitskrieges von 1971 juristisch aufzuarbeiten. Angeklagt sind damalige Kollaborateure der pakistanischen Streitkräfte, von denen viele bis zur letzten innerparteilichen Wahl in führenden Positionen der islamistischen JI waren. Die Prozesse und (häufig Todes-) Urteile öffnen alte Wunden und führen zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen säkularen und islamistischen Kräften (AA 12.2018).
Bei den am 30.12.2015 in 234 Stadtbezirken durchgeführten Kommunalwahlen in Bangladesch ist die regierende AL in 176 Bezirken als Siegerin hervorgegangen (NETZ 2.1.2016). Die kommenden Kommunalwahlen werden an fünf verschiedenen Wahltagen zwischen 10.3. und 18.6.2019 stattfinden (bdnews24 3.2.2019). Am ersten Wahltermin wurden in den 78 Upazilas eine geringe Wahlbeteiligung beobachtet. Die Wahl wird von der BNP und einigen anderen Parteien boykottiert (DS 10.3.2019).
Der Verwaltungsaufbau von Bangladesch ist zentralstaatlich: Das Land ist in acht Regionen (Divisions), 64 Bezirke (Districts), 501 Landkreise bzw. Großstädte (Upazilas / City Corporations), 4.876 Gemeindeverbände (Union Councils / Municipalities) und circa 87.000 Dorfgemeinden gegliedert (AA 12.2018; vgl. ÖB 12.2018). Im Gebiet der Chittagong Hill Tracts gilt eine besondere Verwaltung, die der lokalen (indigenen), nicht-bengalischen Bevölkerung verstärkte Mitwirkungsmöglichkeiten einräumen soll (ÖB 12.2018).
Quellen:
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? BI - Bangla Insider (31.12.2018): final results of 11th parliamentary elction of Bangladesh 2018, https://en.banglainsider.com/bangladesh/4469/FINAL-RESULTS-OF-11th-PARLIAMENTARY-ELECTION-OF-BANGLADESH-2018, Zugriff 3.1.2019
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? DT – Dhaka Tribune (27.1.2019): Ruling party's Dr Younus Ali Sarker wins Gaibandha 3 by-polls,https://www.dhakatribune.com/bangladesh/election/2019/01/27/voting-in-gaibandha-3-by-polls-underway, Zugriff 11.3.2019
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Sicherheitslage:
Der Hass zwischen den politischen Parteien, insbesondere Awami League und die Bangladesch National Party, ist für den größten Teil an Gewalt im Land verantwortlich (ACLED 9.11.2018; vgl. FH 1.2018). Beide Parteien sind – gemeinsam mit unidentifizierten bewaffneten Gruppen – in Vandalismus und gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt und greifen auch friedliche Zivilisten an (ACLED 9.11.2018).
Von nichtstaatlichen Akteuren (insbesondere Opposition, Islamisten, Studenten) geht nach wie vor in vielen Fällen Gewalt aus. Die öffentliche Sicherheit ist fragil. Das staatliche Gewaltmonopol wird durchbrochen. Es kommt häufig zu Morden und gewalttätigen Auseinandersetzungen aufgrund politischer (auch innerparteilicher) oder krimineller Rivalitäten. Eine Aufklärung erfolgt selten. Politische Auseinandersetzungen werden von allen Lagern – mit einem teilweise massiven Aufgebot an Menschen und unter Rekrutierung von Studenten- und Jugendorganisationen - auf der Straße ausgetragen (AA 27.10.2017). Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden (BMEIA 14.12.2018; vgl. AA 25.2.2019), dabei können Kämpfe zwischen Sicherheitsbehörden und Demonstranten, Brandstiftung, Gewalt und Vandalismus unvorhergesehen auftreten (UKHO 28.2.2019).
Gewalt gegen Zivilisten oder staatliche Kräfte durch Rebellen macht einen relativ kleinen Anteil an allen Gewaltereignissen aus. Es gibt radikale islamistische Gruppen wie die Mujahideen Bangladesh (JMB) und Ansarullah Bangla Team (ABT). Sowohl der Islamische Staat (IS) und Al Qaeda in the Indian Subcontinent (AQIS) geben an, in Bangladesch aktiv zu sein, was von der Regierung jedoch dementiert wird (ACLED 9.11.2018). Im März 2017 kam es zu drei Selbstmordattentaten mit Todesfolge, zu denen sich der Islamische Staat bekannte (BMEIA 14.12.2018, vgl. USDOS 20.4.2018).
Extremistische Gruppen führen Angriffe auf Angehörige vulnerabler Gruppen durch (USDOS 20.4.2018; vgl. AI 22.2.2017; AA 27.10.2017). In vielen Fällen ist nicht eindeutig differenzierbar, ob religiöse Motive oder säkulare Interessen, wie z. B. Racheakte oder Landraub, Grund für die Vorfälle sind. In vielen Fällen wird den Sicherheitsbehörden vorgeworfen, nicht oder zu spät reagiert zu haben, vereinzelt sogar an Gewaltakten aktiv teilgenommen zu haben (AA 27.10.2017).
In der Division Chittagong, insbesondere im Gebiet der Chittagong Hill Tracts (Bezirke Rangamati, Khagrachari und Bandarban) kommt es zu bewaffneten Unruhen und kriminellen Übergriffen (BMEIA 14.12.2018; vgl. AA 25.2.2019; UKHO 28.2.2019). Im Juni 2017 griff eine aufgebrachte Menschenmenge indigene Bewohner der Stadt Langadu im Bezirk Rangamati Hill an und tötete dabei mindestens eine Person. Außerdem wurden Hunderte Häuser niedergebrannt. Berichten zufolge unternahmen Polizisten und Soldaten nichts, um die indigenen Bewohner zu schützen (AI 23.5.2018). Im südöstlichen Verwaltungsbezirk Cox’s Bazar der Division Chittagong, hat es zuletzt in bzw. in der Nähe von Flüchtlingslagern vereinzelt gewalttätige Zwischenfälle gegeben. Am 21. Februar 2019 wurden dabei auch ausländische Journalisten angegriffen (AA 25.2.2019).
An der Grenze zu Indien kommt es gelegentlich zu Schusswechseln zwischen indischen und bangladeschischen Grenzwächtern. Regelmäßig werden Menschen getötet, die versuchen, illegal die Grenze zu überqueren (UKHO 28.2.2019).
In der Monsunzeit von Mitte Juni bis Mitte Oktober muss mit Überschwemmungen gerechnet werden, im südlichen Landesdrittel von Oktober bis November und Mitte April bis Mitte Mai grundsätzlich auch mit Wirbelstürmen (AA 25.2.2019). Regelmäßig wiederkehrende Überschwemmungen sowie die Erosion von Flussufern führen zu einer umfangreichen Binnenmigration (AA 27.10.2017). Die Kriminalität hat ist hoch, insbesondere Raubüberfälle (BMEIA 14.12.2018).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (25.2.2019): Bangladesch: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bangladesch-node/bangladeschsicherheit/206292, Zugriff 27.2.2019
? AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (27.10.2017): Bericht über die asyl– und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Oktober 2017).
? ACLED – Armed Conflict Location & Event Data Project (9.11.2018): The Anatomy of Violence in Bangladesh, https://www.acleddata.com/2018/11/09/the-anatomy-of-violence-in-bangladesh/, Zugriff 6.3.2019
? AI – Amnesty International (23.5.2018): Bangladesch 2017/18, https://www.amnesty.de/jahresbericht/2018/bangladesch, Zugriff 5.3.2019
? BMEIA – Bundesministerium Europa, Integration und Äußeres (14.12.2018): Bangladesch – Reiseinformation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/bangladesch/, Zugriff 6.3.2019
? FH – Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/1442339.html, Zugriff 28.2.2019
? ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (12.2018): Asylländerbericht Bangladesch [Arbeitsversion].
? UKHO – UK Home Office (28.2.2019): Foreign travel advice Bangladesh - Safety and security, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/bangladesh/safety-and-security, Zugriff 6.3.2019
? USDOS – US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430114.html, Zugriff 27.2.2019
Rechtsschutz/Justizwesen:
Das Gerichtssystem besteht aus zwei Instanzen, den untergeordneten Gerichten (Magistrates, Session- und District Judges) und dem Obersten Gerichtshof. Beide verhandeln Zivil- und Strafrechtssachen. Das Rechtssystem beruht weitgehend auf dem englischen „Common Law“. Der Oberste Gerichtshof besteht aus zwei Abteilungen, dem „High Court“, der Verfassungsfragen verhandelt und als Berufungsinstanz zu den erstinstanzlichen Gerichten fungiert, sowie dem „Appellate Court“, dessen Entscheidungen für alle übrigen Gerichte bindend sind. Die Richter beider Abteilungen werden gemäß der Verfassung vom Präsidenten ernannt (ÖB 12.2018).
Die Unabhängigkeit der Richter wird von der Verfassung garantiert. In der Praxis unterstellt allerdings eine schon lange geltende temporäre Bestimmung der Verfassung die erstinstanzlichen Richter der Exekutive. Auch ihre Ernennung und Remuneration ist Sache der Exekutive. Demgegenüber haben die Richter des Obersten Gerichtshofs des Öfteren ihre Unabhängigkeit demonstriert und gegen die Regierung entschieden (ÖB 12.2018). Gemäß einer Verfassungsänderung hat das Parlament seit 2014 das Recht, oberste Richter abzusetzen (USDOS 20.4.2018).
Auf Grundlage mehrerer Gesetze („Public Safety Act“, „Law and Order Disruption Crimes Speedy Trial Act”, “Women and Children Repression Prevention Act”, „Special Powers Act“) wurden Sondertribunale errichtet, die Fälle innerhalb eines festgesetzten Zeitrahmens erledigen müssen. Es fehlen allerdings Vorschriften für den Fall, dass sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen. Diese „Speedy Trial“ Tribunale haben Medienberichten zufolge in den vergangenen Jahren ca. 200 Personen zum Tode verurteilt (ÖB 12.2018).
Wie die meisten Beobachter von Bangladesch übereinstimmend angeben, stellen Korruption, Ineffizienz der Justiz, gezielte Gewalt gegen Richter und ein gewaltiger Rückstau an offenen Fällen große Probleme dar (ÖB 12.2018). Gerichtsverfahren sind durch eine überlange Verfahrensdauer geprägt, was viele Angeklagten bei der Inanspruchnahme ihres Rechts auf ein faires Verfahren hindert. Weiters kommt es zu Zeugenbeeinflussung und Einschüchterung von Opfern (USDOS 20.4.2018; vgl. FH 1.2018). Strafanzeigen gegen Mitglieder der regierenden Partei werden regelmäßig zurückgezogen (FH 1.2018). Die schiere Zahl der gegen die politische Opposition eingeleiteten Klagen im Vorfeld zur 11. Parlamentswahl vom 30.12.2018, deutet auf ein ungehindertes Spielfeld und die Kontrolle der Regierungspartei über die Justiz- und Sicherheitsinstitutionen hin (FIDH 9.1.2019).
Zwei Drittel aller Streitfälle erreichen nicht das formelle Justizsystem, sondern werden von informellen Dorfgerichten oder bedeutenden Persönlichkeiten der lokalen Gemeinschaften entschieden. Diese behandeln meist Fälle betreffend Familienrecht, Unterhalt, Zweitehen, Mitgiftstreitigkeiten und Landeigentum. Obwohl diese „Gerichte“ eine durch Tradition legitimierte, schnellere und günstigere Alternative zu ordentlichen Gerichten darstellen, sind sie hinsichtlich der Einflussnahmemöglichkeiten durch lokal bedeutsame Persönlichkeiten sowie der gesellschaftliche Stellung von Frauen nicht unproblematisch. Die islamische Scharia ist zwar nicht formell als Gesetz eingeführt, spielt aber insbesondere in den Bereichen des Zivilrechts (Erbschaft, Grunderwerb, Heirat und Scheidung etc.) eine große Rolle (ÖB 12.2018).
Quellen:
? FH – Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/1442339.html, Zugriff 28.2.2019
? FIDH - International Federation for Human Rights (Hg.) (9.1.2019): Joint statement [by AHRC - Asian Human Rights Commission; ANFREL - Asian Network for Free Elections; GNDEM - Global Network of Domestic Election Monitors; FIDH - International Federation for Human Rights; CMEV - Centre for Monitoring Election Violence, Sri Lanka] on the undemocratic electoral environment in Bangladesh, https://www.fidh.org/en/region/asia/bangladesh/joint-statement-on-the-undemocratic-electoral-environment-in, Zugriff 6.3.2019
? ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (12.2018): Asylländerbericht Bangladesch [Arbeitsversion].
? USDOS – US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430114.html, Zugriff 27.2.2019
Sicherheitsbehörden:
Die Polizei ist beim Ministerium für Inneres angesiedelt und hat das Mandat die innere Sicherheit und Recht und Ordnung aufrecht zu erhalten. Die Armee, die dem Büro des Ministerpräsidenten untersteht, ist für die äußere Sicherheit zuständig, kann aber auch für innerstaatliche Sicherheitsaufgaben herangezogen werden. Zivile Stellen hatten weiterhin effektive Kontrolle über die Streitkräfte und andere Sicherheitsbehörden. Die Regierung verfügt über Mechanismen, Missbrauch und Korruption zu untersuchen und zu bestrafen; sie werden aber nicht immer angewandt (USDOS 20.4.2018).
Das Wirken der Polizei ist gekennzeichnet durch einen Mangel an Ressourcen inklusive mangelhafter Infrastruktur, Mangel an Personal, Ausbildung und Arbeitsmaterialien, Ineffizienz und Korruption (AA 27.10.2017). Misstrauen gegenüber der Polizei und anderen Sicherheitsdiensten hält viele Bürger davon ab, Unterstützung zu suchen oder Verbrechen anzuzeigen. Die Regierung unternahm Schritte, um in der Polizei Professionalität, Disziplin, Ausbildung und Reaktionsfähigkeit zu verbessern und die Korruption zu verringern. Die Polizei hat Regeln für angemessene Gewaltausübung in ihre Grundausbildung einbezogen, um bürgernahe Polizeiarbeit umsetzen zu können (USDOS 20.4.2018). Trotz dieser Bemühungen kommt es weiterhin zu Machtmissbrauch und unangebrachter Gewaltanwendung von Sicherheitskräften, insbesondere durch die Rapid Action Batallions (RAPs), die in weiterer Folge ungestraft bleiben (ÖB 12.2018).
Es gibt Hinweise auf willkürliche Festnahmen durch die Polizeikräfte, obwohl dies gesetzlich verboten ist, sowie auf willkürliche Nutzung der gesetzlich erlaubten präventiven Festnahmen. Die Festnahme ohne Angabe von Gründen ist für bis zu 30 Tagen zur Verhinderung von Taten, die die nationale Sicherheit, Verteidigung, Souveränität, öffentliche Ordnung oder auch wirtschaftliche Interessen des Landes gefährden, erlaubt. Die Arretierten haben kein Recht auf einen Verteidiger. Die hauptsächlich Betroffenen sind Aktivisten der politischen Parteien und NGO-Vertreter, die Kritik an der Regierung üben. Nach wie vor problematisch ist auch die in vielen Fällen unverhältnismäßig lange Untersuchungshaft. Als Gründe hierfür werden bürokratische Ineffizienz, limitierte Ressourcen und Korruption genannt. Gegenwärtig geht man von über 2 Millionen ausständigen Zivil- und Strafverfahren aus (ÖB 12.2018).
Die Sicherheitskräfte lassen Personen weiterhin routinemäßig „verschwinden“. Bei den Opfern handelte es sich zumeist um Anhänger der Opposition. Folter und andere Misshandlungen waren noch immer weit verbreitet, die Behörden gingen entsprechenden Anzeigen jedoch nur selten nach (AI 23.5.2018; siehe auch Abschnitt 6.). Betroffene sehen aus Angst vor Vergeltung in der Regel davon ab, Mitglieder der Sicherheitsbehörden wegen Menschenrechtsvergehen anzuzeigen, so dass diese straflos bleiben (AA 27.10.2017).
Die Sicherheitsbehörden bestehen zum Hauptteil aus der dem Innenministerium unterstellten „Bangladesch Police“, die ca. 116.000 Mann zählt. Zur Unterstützung der Polizei stehen weitere Einheiten zur Verfügung (ÖB 12.2018):
Rapid Action Batallions (RABs): Es gibt 14 RABs mit insgesamt ca. 8.500 Mann, die ebenfalls dem Innenministerium unterstellt sind. Ihre Aufgabe ist der Kampf gegen bewaffnete kriminelle Organisationen. Die RABs sind hauptsächlich in urbanen Zentren stationiert, rekrutieren sich hauptsächlich aus Polizei und Armee, sind gut ausgebildet und mit moderner Ausrüstung versehen (ÖB 12.2018; vgl. RAB o.D.). Ihnen werden schwere menschenrechtliche Verstöße wie z. B. extralegale Tötungen zugeschrieben (AA 27.10.2017). Die RABs verfolgen eine aggressive Strategie gegen bewaffnete „Gang“-Mitglieder, was zu zahlreichen Toten durch Schießereien führt. Sie werden auch bei Demonstrationen eingesetzt, wobei exzessive Gewalt, Gummigeschosse aber auch scharfe Munition gegen Demonstranten zum Einsatz kam, welche wiederholt Todesopfer forderten. Es kam trotz zahlreicher Verhaftungen noch zu keiner Verurteilung wegen außergerichtlicher Tötungen, Folter oder willkürlicher Verhaftungen gegen Mitglieder der RABs (ÖB 12.2018). Trotz Vorwürfen von Verstößen, einschließlich einer Audioaufzeichnung einer außergerichtlichen Hinrichtung durch Mitglieder des RAB, haben die Behörden es versäumt, die Verantwortlichen auszuforschen und zu verfolgen (HRW 17.1.2019).
Bangladesh Ansar: Gegründet im Jahr 1948 und ebenfalls dem Innenministerium unterstellt, gibt es aktuell ca. 23.000 leichtbewaffnete Ansars, die zur Unterstützung der Polizei im ländlichen Raum eingesetzt werden und auch Zivilschutz-Aufgaben übernehmen (ÖB 12.2018).
Bangladesh Rifles (BDRs): Diese ca. 40.000 Mann starke paramilitärische Truppe untersteht dem Home Ministry, wird aber hauptsächlich von Armee-Offizieren geführt und dient in erster Linie dem Grenzschutz. Die BDRs sind auch für die Verhinderung von Schmuggel und Menschenhandel zuständig (ÖB 12.2018).
Village Defence Parties (VDP): Gegründet 1976, sollte es in jedem Dorf des Landes je ein männliches und weibliches „Platoon“ à 32 Personen geben, die der Unterstützung der Polizei bei der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung sowie der Unterstützung der zivilen Behörden bei sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbauprogrammen und bei Naturkatastrophen dienen sollen. In Städten gibt es analog dazu sog. Town Defence Parties (ÖB 12.2018).
Special Branch of Police (SB) ist beauftragt, die nationale Sicherheit zu gewährleisten, erfüllt die Funktion, nachrichtendienstliche Informationen zu sammeln und ist mit der Spionageabwehr betraut. Die SB ist überall in Bangladesch vertreten und besitzt die Fähigkeit, innerhalb und außerhalb des Landes zu agieren (AA 27.10.2017).
Die Zivilbehörden haben eine effektive Kontrolle über das Militär und die Regierung verfügt über die notwendigen Mechanismen, um Missbrauch und Korruption zu ahnden. Allerdings macht sie hiervon immer weniger Gebrauch. Faktisch hat der Sicherheitsapparat ein Eigenleben entwickelt, das kaum mehr von der