Entscheidungsdatum
04.09.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W233 2178291-2/4E
beschluss
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Andreas FELLNER als Einzelrichter über den Antrag des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehöriger von Afghanistan, auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.01.2020, Zl. W233 2178291-1/46E abgeschlossenen Asylverfahrens
A) Dem Antrag auf Wiederaufnahme wird gemäß § 32 Abs. 1 Z 3 VwGVG stattgegeben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1.1. Der Antragsteller auf Wiederaufnahme, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste am 21.07.2015 unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein, wurde mangels eines gültigen Aufenthaltstitels am 21.07.2015 in Wien vorläufig festgenommen und stellte in weiterer Folge einen Antrag auf internationalen Schutz.
1.2. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das Bundesamt mit Bescheid vom 24.10.2017 diesen Antrag auf internationalen Schutz vom 21.07.2015 hinsichtlich der Zuerkennung des Statuts des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), sowie gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem nunmehrigen Antragsteller gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig ist. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde festgestellt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).
Gegen diesen Bescheid erhob der nunmehrige Wiederaufnahmewerber mit Schriftsatz vom 23.11.2017 fristgerecht Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger Tatsachenfeststellungen und unrichtiger rechtlicher Beurteilung.
1.3. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung hat das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 17.04.2018, GZ: W233 217829-1/12E, die Beschwerde hinsichtlich Spruch-punkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt A) I.). Dem Beschwerdeführer bzw. nunmehrigen Wiederaufnahmewerber wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt (Spruchpunkt A) II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 17.04.2019 erteilt (Spruchpunkt A) III.).
Gegen die Spruchpunkte A) II. und A) III. erhob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 24.05.2018 außerordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 6 Z 2 B-VG, welcher mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 10.09.2018, Zl. Ra 2018/19/0312-6 stattgegeben und das Erkenntnis in den Spruchpunkten A) II. und A) III. wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben wurde.
1.4. Im fortgesetzten Verfahren hat das Bundesverwaltungsgericht mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 19.12.2018 (schriftlich ausgefertigtem am 23.01.2019) die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des subsidiären Schutzstatus als unbegründet abgewiesen und festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist und dem Beschwerdeführer und nunmehrigen Wiederaufnahmewerber gemäß § 54 Abs. 1 Z 1, § 58 Abs. 1 Z 2 iVm § 55 Abs. 1 AsylG 2005 den Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von 12 Monaten erteilt.
Aufgrund der dagegen eingebrachten Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl hat der Verwaltungsgerichtshof mit Entscheidung vom 10.04.2019, Ra 2019/18/0058, das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts betreffend den Ausspruch der Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und Erteilung eines Aufenthaltstitels wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1.5. Im Zuge des nun neuerlich beim Bundesverwaltungsgericht anhängigen Beschwerdeverfahren fand am 02.10.2019 eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt.
1.6. In der Folge hat der Wiederaufnahmewerber bei der Bezirkshauptmannschaft XXXX einen Antrag auf Erteilungen eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz gestellt und wurde ihm dieser Aufenthaltstitel mit der Gültigkeit von 19.12.2019 bis 19.12.2020 bewilligt. Eine Ablichtung dieses Aufenthaltstitels hat der Wiederaufnahmewerber mit Schriftsatz vom 08.01.2020 dem Bundesverwaltungsgericht zu seiner dort anhängigen Beschwerdesache übermittelt.
1.7. Auf Grund dieses Umstandes hat das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. und IV. dahingehend stattgegeben, dass die gegen den Beschwerdeführer bzw. nunmehrigen Wiederaufnahmewerber erlassene Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan und der Ausspruch über die Frist zur freiwilligen Ausreise ersatzlos behoben werden.
Begründet wurde diese Entscheidung unter Verweis auf § 60 FPG damit, dass einem Drittstaatsangehöriger der einen Aufenthaltsrecht erwirbt – etwa durch die Ausstellung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG -, dies der weiteren Existenz einer Rückkehrentscheidung, die an die Unrechtmäßigkeit des Aufenthaltsrechts anknüpft, entgegenstehe. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels begründe nämlich eine rechtliche Position, mit der eine Rückkehrentscheidung nicht länger kompatibel sei. Diese und die mit ihr im Zusammenhang stehenden Aussprüche müssen daher gegebenenfalls ex lege erlöschen, was der im § 60 Abs. 3 FPG normierten Gegenstandslosigkeit einer Rückkehrentscheidung gleichkomme.
1.8. Mit Bescheid vom 04.06.2020 hat die Bezirkshauptmannschaft XXXX , nachdem sie das Verfahren von Amts wegen wiederaufgenommen hat, den Antrag des Wiederaufnahmewerbers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ abgewiesen. Da dagegen eingebrachte Beschwerde hat das Landesverwaltungsgericht XXXX mit Erkenntnis vom 20.07.2020, XXXX als unbegründet abgewiesen.
1.9. Mit Schriftsatz vom 24.08.2020 stellte der stellte der Antragsteller einen auf § 32 VwGVG gestützten Antrag auf Wiederaufnahme des mit im Spruch genannten Erkenntnisses abgeschlossenen Verfahrens.
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.01.2020 von der Vorfrage im Sinne des § 32 Abs. 1 Z 3 VwGVG abhängig war, ob dem Wiederaufnahmewerber ein Aufenthaltstitel nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz erteilt wurde und diese Vorfrage nun durch das Landesverwaltungsgericht XXXX anders entschieden worden sei.
1.10. Mit Schriftsatz vom 25.08.2020 trat auch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit der Anregung auf Wiederaufnahme des Verfahrens des mit Erkenntnis vom 15.01.2020 rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens des Wiederaufnahmewerbers heran.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Feststellungen:
Die vom Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 15.01.2020, Zl: W233 2178291-1/46E als präjudizielle Vorfrage getroffene Feststellung, dass dem nunmehrigen Wiederaufnahmewerber von der Bezirkshauptmannschaft XXXX ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ mit der Gültigkeit von 19.12.2019 bis 19.12.2020 ausgestellt wurde, ist als Hauptfrage letztlich vom Landesverwaltungsgericht XXXX mit Erkenntnis vom 15.07.2020, XXXX in bindender Weise insofern anders entschieden worden, als dass der Wiederaufnahmewerber über einen solchen Aufenthaltstitel nicht verfügt.
Beweiswürdigung:
Die oben wiedergegebene Feststellung gründet sich darauf, dass sich das Bundesverwaltungsgericht anlässlich seiner Entscheidung vom 15.01.2020 maßgeblich darauf gestützt hat, dass der Wiederaufnahmewerber über einen gültigen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ verfügt, weshalb die dem Wiederaufnahmewerber vom Bundesamt gegenüber ausgesprochene Rückkehrentscheidung und die Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Afghanistan wie auch die ihm gegenüber gewährte Frist zur freiwilligen Ausreise ersatzlos behoben wurden.
Der Umstand, dass die Frage eines gültigen Aufenthaltstitels als Hauptfrage letztlich vom Landesverwaltungsgericht XXXX in bindender Weise anders entschieden worden ist, gründet sich auf das dem Antrag auf Wiederaufnahme angeschlossene Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts XXXX vom 15.07.2020.
Zu A) Zur Stattgabe des Wiederaufnahmeantrags:
§ 32 VwGVG lautet:
§ 32. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn
1. das Erkenntnis durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist oder
2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anderslautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten, oder
3. das Erkenntnis von Vorfragen (§ 38 AVG) abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde oder
4. nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt und die im Verfahren des Verwaltungsgerichtes die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.
(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.
(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.
(4) Das Verwaltungsgericht hat die Parteien des abgeschlossenen Verfahrens von der Wiederaufnahme des Verfahrens unverzüglich in Kenntnis zu setzen.
(5) Auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sind die für seine Erkenntnisse geltenden Bestimmungen dieses Paragraphen sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse."
In der Regierungsvorlage zum Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013 (2009 Blg NR, XXIV. GP) ist festgehalten, dass die Bestimmungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im VwGVG weitgehend den Bestimmungen der §§ 69 bis 72 AVG mit den entsprechenden Anpassungen auf Grund der Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz entsprechen. Durch den Ausschluss der Anwendung des IV. Teiles des AVG ist das AVG in diesem Bereich für unanwendbar erklärt worden, wobei aufgrund der inhaltlichen Übereinstimmung und ähnlichen Formulierung der Bestimmung des § 32 Abs. 1-3 VwGVG mit § 69 AVG die bisher ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidungen sinngemäß anzuwenden sind bzw. die bisherige Judikatur zu § 69 AVG herangezogen werden kann.
In diesem Sinne sprach der Verwaltungsgerichtshof zuletzt in seinem Beschluss vom 30.04.2019, Ra 2018/10/0064, aus, dass die Wiederaufnahmegründe des § 32 Abs. 1 VwGVG denjenigen des § 69 Abs. 1 AVG nachgebildet sind und daher auf das bisherige Verständnis dieser Wiederaufnahmegründe zurückgegriffen werden kann.
Voraussetzung für die Stellung eines Wiederaufnahmeantrages ist gemäß § 32 Abs. 1 VwGVG die Parteistellung im wiederaufzunehmenden Verfahren (vgl. VwGH 27.02.2019, Ra 2018/10/0095; ferner Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren2 § 32 VwGVG Anm. 4, Stand 1.10.2018, rdb.at). Der Antragsteller hatte als Beschwerdeführer im verwaltungsgerichtlichen Verfahren Parteistellung, sodass er grundsätzlich einen Wiederaufnahmeantrag stellen kann.
Zudem setzt ein Wiederaufnahmeantrag ein durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichts abgeschlossenes Verfahren voraus (vgl. VwGH 28.04.2015, Ro 2015/18/0001) und muss aus dem Antrag auch hervorgehen, dass die Wiederaufnahme eines näher bezeichneten Verfahrens begehrt wird. Zumindest muss aus dem Inhalt der Eingabe hervorgehen, auf welches abgeschlossene Verfahren sich der Antrag auf Wiederaufnahme bezieht (vgl. zu § 69 AVG VwGH 18.03.1993, 92/09/0212).
Der Antragsteller begehrt mit seiner Eingabe vom 24.08.2020 die Wiederaufnahme des mit Erkenntnis vom 15.01.2020, Zl. W233 2178291-1/46E abgeschlossenen Verfahrens.
Zur Begründung des Wiederaufnahmeantrages wird vorgebracht, dass das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.01.2020 von der Vorfrage im Sinne des § 32 Abs. 1 Z 3 VwGVG abhängig war, ob dem Wiederaufnahmewerber ein Aufenthaltstitel nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz erteilt wurde und diese Vorfrage als Hauptfrage nun durch das Landesverwaltungsgericht XXXX anders entschieden worden sei.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist unter einer Vorfrage im Sinne des § 38 AVG eine für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde präjudizielle Rechtsfrage zu verstehen, über die als Hauptfrage von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten oder auch von derselben Behörde, jedoch in einem anderen Verfahren, zu entscheiden ist (vgl. etwa VwGH 19.12.2012, 2012/06/0141, mwN). Präjudiziell - und damit Vorfragenentscheidung im verfahrensrechtlich relevanten Sinn - ist nur eine Entscheidung, die erstens eine Rechtsfrage betrifft, deren Beantwortung für die Hauptfragenentscheidung unabdingbar, das heißt eine notwendige Grundlage ist, und zweitens diese in einer die Verwaltungsbehörde bindenden Weise regelt (vgl. VwGH 28.11.2013, 2013/03/0070, mwN). Dass es sich bei der Vorfrage um eine Frage handeln muss, über die von der anderen Behörde als Hauptfrage zu entscheiden ist, ergibt sich daraus, dass der besondere prozessökonomische Sinn der Vorschrift des § 38 AVG nur dann erreicht werden kann, wenn die andere Entscheidung, deren Ergehen abgewartet wird, in der Folge die Behörde bindet, wobei eine solche Bindungswirkung jedoch immer nur eine Entscheidung über eine Hauptfrage entfaltet (vgl. VwGH 20.3.2014, 2012/08/0154, mwN).
Dazu halten Eder/Martschin/Schmid im Kommentar „Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte“, 2. überarbeitete Fassung, § 32, K 18 folgendes fest:
„Hat das VwG beispielsweise in seinem Verfahren angenommen, dass der Antragsteller über eine bestimmte Berechtigung verfügt und auf dieser Grundlage eine Bewilligung erteilt, und stellt die zuständige Behörde bzw. das zuständige Gericht nach dieser verwaltungsgerichtlichen Entscheidung rechtsverbindlich (dh. unanfechtbar) fest, dass der Antragsteller eine solche vom VwG angenommene Berechtigung nicht besessen hat, liegt ein Wiedereinsetzungsgrund nach § 32 Abs. 2 Z 3 VwGVG vor.“
Da ein solcher Fall auch dem Wiederaufnahmeantrag zugrunde liegt, war dieser Antrag bereits dem Grunde nach zu bewilligen.
Der Wiederaufnahmeantrag ist gemäß § 32 Abs. 2 VwGVG binnen zwei Wochen ab dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller vom Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst ab diesem Zeitpunkt schriftlich (§ 17 VwGVG iVm § 13 Abs. 1 AVG; vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren2 § 32 VwGVG Anm. 12, Stand 1.10.2018, rdb.at) beim Verwaltungsgericht einzubringen. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen (vgl. zu § 69 AVG VwGH 19.05.1993, 91/13/0099; 25.01.1996, 95/19/0003). Die in § 69 Abs. 2 AVG vorgesehene subjektive Frist beginnt bereits mit der Kenntnis des Antragstellers von dem Sachverhalt, der den Wiederaufnahmegrund bilden soll; entscheidend ist die Kenntnis von einem Sachverhalt, nicht aber die rechtliche Wertung dieses Sachverhalts. Für den Fristenlauf ist daher nicht maßgebend, ob dem Antragsteller die mögliche Qualifizierung eines Sachverhalts als Wiederaufnahmegrund bewusst ist (vgl. VwGH 01.07.2019, Ra 2019/14/0261).
Im gegenständlichen Fall bringt der Wiederaufnahmewerber vor, dass er am 10.08.2020 durch die Zustellung des Erkenntnisses des Landesverwaltungsgerichts XXXX an seine Vertretung erstmals Kenntnis von dem Wiederaufnahmegrund erlangt habe. Dies sei auch auf dem Eingangsstempel auf dem seiner Vertretung zugestellten Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts XXXX so dokumentiert. Das Bundesverwaltungsgericht hegt keine Zweifel an dieser Dokumentation und erweist sich der Antrag auf Wiederaufnahme somit als rechtzeitig.
Da die Sachlage aufgrund des vom Antragsteller in seinem Wiederaufnahmeantrag erstatteten Vorbringens in Verbindung mit dem von ihm vorgelegten Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts XXXX vom 15.07.2020 als geklärt erscheint, konnte eine mündliche Erörterung der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben.
Im Übrigen fällt ein Wiederaufnahmeantrag grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich von Art. 6 EMRK (vgl. VwGH 29.05.2017, Ra 2017/16/0070).
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Wie bereits oben ausgeführt, wurde § 32 Abs. 1 bis 3 VwGVG nach den Materialien der Bestimmung des § 69 AVG nachempfunden, weshalb auf die einheitliche Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 69 AVG zurückgegriffen werden kann. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen im Spruchteil A wiedergegeben.
Schlagworte
Aufenthaltstitel Bindungswirkung Rechtzeitigkeit Rot-Weiß-Rot-Karte plus Vorfrage Wiederaufnahme Wiederaufnahmeantrag WiederaufnahmegrundEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W233.2178291.2.00Im RIS seit
27.11.2020Zuletzt aktualisiert am
27.11.2020