Entscheidungsdatum
07.09.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs3Spruch
W278 1421235-3/33E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HABITZL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX Rechtsanwälte OG in XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.02.2020, Zl. 567663305/181137670, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.06.2020, zu Recht:
A) I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis III. und V. des angefochtenen Bescheides wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass die Dauer des Einreiseverbots mit drei Jahren befristet wird.
II. Gemäß § 55 Abs. 2 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Enthaftung.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
1. Verfahrensgang:
1.1. Zum Vorverfahren:
Der Beschwerdeführer (infolge: BF), ein afghanischer Staatsangehöriger stellte im Jahr 2005 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 29.11.2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wurde. Gleichzeitig wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt, die letztlich bis 17.10.2011 verlängert wurde.
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 25.08.2011, Zl. 04 07.889 – BAG, wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt. In Erledigung der dagegen eingebrachten Beschwerde hob das Bundesverwaltungsgericht (infolge: BVwG) den Bescheid mit Erkenntnis vom 16.09.2014, Zl. W228 1421235-1/12E, auf.
In der Folge wurde dem BF vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (infolge: BFA) neuerlich eine bis zum 19.09.2016 befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt und stellte der BF am 16.11.2016 einen weiteren Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung.
Mit Bescheid vom 30.11.2016, Zl. 13-567663305-161569508, wurde der dem BF mit Bescheid vom 29.11.2005 zuerkannte Status des subsidia?r Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.), die erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidia?r Schutzberechtigter entzogen (Spruchpunkt II.) und die Zuru?ckweisung, Zuru?ckschiebung oder Abschiebung des BF aus dem o?sterreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan fu?r unzula?ssig erkla?rt (Spruchpunkt III). Unter Spruchpunkt IV. wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus beru?cksichtigungswu?rdigen Gru?nden gema?ß § 57 AsylG nicht erteilt.
Der im Bescheid getroffene Ausspruch über die Unzulässigkeit der Abschiebung erwuchs in Rechtskraft, die gegen die übrigen Spruchpunkte eingebrachte Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 19.09.2017, Zl. W169 1421235-2/5E, rechtskräftig als unbegründet abgewiesen.
Über Antrag des BF stellte ihm das BFA am 28.03.2018 eine bis 27.03.2019 befristete Duldungskarte aus.
1.2. Zum gegenständlichen Verfahren:
Am 27.11.2018 stellte der BF einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 56 Abs. 1 AsylG.
Mit Verfahrensanordnung vom 28.11.2018 wurde er aufgefordert, nähere Ausführungen zu seinem Antrag zu erstatten und zum Nachweis seines Vorbringens Unterlagen vorzulegen.
Mit Schriftsatz vom 20.12.2018 übermittelte der rechtsfreundliche Vertreter des BF mehrere Integrationsunterlagen sowie ein handschriftliches Schreiben des BF vom 12.12.2018, in welchem er vorbrachte, er wolle in Österreich leben, seine Fehler wieder gut machen und eine Familie gründen. In Zukunft wolle er eine Ausbildung absolvieren oder eine gute Arbeitsstelle finden.
Mit Schreiben vom 28.05.2019 teilte das BFA dem BF mit, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag abzuweisen, weil aufgrund der im Strafregister zum damaligen Zeitpunkt aufscheinenden elf rechtskräftigen Verurteilungen sowie eines aktuell eingebrachten Strafantrages anzunehmen sei, dass sein weiterer Aufenthalt den öffentlichen Interessen widerstreite und räumte dem BF dazu eine Stellungnahmefrist von zwei Wochen ein.
In seiner Stellungnahme vom 19.06.2019 führte der BF aus, dass er das Unrecht seiner Tathandlungen einsehe und die gegen ihn verhängten Strafen verbüßt habe. Seit der letzten Straftat sei einige Zeit verstrichen und habe er sich während dieses Zeitraumes wohlverhalten und aufgezeigt, dass er aus seinen in der Vergangenheit begangenen Fehlern gelernt habe. Der aktuell eingebrachte Strafantrag sei nicht zu berücksichtigen, weil das Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sei und daher die Unschuldsvermutung gelte. Zur Beurteilung der Zukunftsprognose werde die Einholung eines kriminalpsychologischen Sachverständigengutachtens beantragt.
Über Aufforderung des BFA vom 28.06.2019 übermittelte der BF mit Schriftsatz vom 26.07.2019 Kopien seines Reisepasses und seiner Geburtsurkunde. Nach neuerlicher Aufforderung zur Vorlage der Originale mit E-Mail vom 30.07.2019 wurden diese mit Schriftsatz vom 21.08.2019 übermittelt.
Am 03.09.2019 wurde der BF im Rahmen einer routinemäßigen polizeilichen Kontrolle angehalten, wobei er sich mit der am 27.03.2019 abgelaufenen Duldungskarte auswies, die ihm in der Folge entzogen und mit Schreiben vom 04.09.2019 an das BFA weitergeleitet wurde.
Mit Verbesserungsauftrag vom 03.10.2019 wurde der BF zur Vervollständigung und Unterfertigung seines Antragsformulars vom 27.11.2018 sowie zur Vorlage weiterer Unterlagen aufgefordert.
Während seiner Einvernahme vor dem BFA am 21.10.2019 führte der BF aus, dass er in Afghanistan keine engeren Verwandten habe. Derzeit arbeite er Vollzeit als Küchenhilfe in einem Gasthaus und verdiene EUR 1.100,00 bis EUR 1.200,00 netto im Monat. Wegen seiner Drogenprobleme sei er sechs Monate stationär und anschließend ambulant betreut worden, wobei er wöchentlich ein Gespräch gehabt habe und alle zwei Wochen einen Harntest habe machen müssen. Die Behandlung sei nun abgeschlossen. In Österreich habe er seine Eltern und zwei Schwestern, die österreichische Staatsbürger seien, zudem würden seine Nichte und sein Neffe in Österreich leben. Er sei in keinem Verein und übe keine ehrenamtlichen Tätigkeiten aus. Es tue ihm leid, dass er kriminell gewesen sei. Seit seiner letzten Verurteilung sei er nicht mehr straffällig geworden und wisse zu schätzen, dass er in Österreich Chancen erhalten habe.
Mit Verständigung des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom 04.11.2019 wurde das BFA von einer neuerlichen rechtskräftigen Verurteilung des BF in Kenntnis gesetzt.
Mit Stellungnahme vom selben Tag brachte der BF vor, dass die erlittene Strafe für ihn erzieherisch prägend und wirksam gewesen sei. Die stationäre Therapie und die anschließende Betreuung seien positiv verlaufen, weshalb jene Umstände, die im Kausalzusammenhang mit der strafbaren Handlung stehen würden, offensichtlich weggefallen seien. Das Wohlverhalten nach der Anlasstat über einen längeren Zeitraum dokumentiere, dass sich beim BF ein Unrechtsbewusstsein entwickelt habe und von einer günstigen Zukunftsprognose ausgegangen werden könne. Der BF habe seinen Lebensmittelpunkt seit Jahren in Österreich, wo auch seine Familie lebe, zu der er einen starken Bezug habe. Im Übrigen wiederholte der BF seinen Antrag auf Einholung eines kriminalpsychologischen Sachverständigengutachtens.
Der BF wurde in Österreich zwischen 15.01.2007 und 21.03.2019 insgesamt dreizehnmal rechtskräftig verurteilt.
Am 12.11.2019 verständigte die Justizanstalt XXXX das BFA vom Strafantritt des BF zu den letzten beiden Verurteilungen.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 56 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und gegen ihn gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.) und gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den BF ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt V.) und einer Beschwerde gegen die Entscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.).
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF aufgrund seiner zahlreichen Straftaten eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle, weshalb ein Aufenthaltstitel gemäß § 56 AsylG nicht erteilt werden könne. Der BF habe sich nicht nachhaltig am Arbeitsmarkt integrieren können und seien die Deutschkenntnisse des BF auf A2-Niveau in Anbetracht der langen Verfahrensdauer nicht als besonderes Integrationsmerkmal zu werten. Zudem sei die wiederholte Straffälligkeit zu berücksichtigen, weshalb das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung die privaten Interessen des BF am Verbleib in Österreich überwiegen würden und die Rückkehrentscheidung zulässig sei. Da der BF in Österreich im Familienverband nach afghanischer Tradition und Wertehaltung sozialisiert worden sei, die Landessprache auf muttersprachlichem Niveau beherrsche, in Österreich die Pflichtschule abgeschlossen und Berufserfahrung im Gastgewerbe erworben habe und ihn seine Eltern auch von Österreich aus finanziell unterstützen können, sei eine Ansiedelung in den Städten Mazar-e Sharif und Herat zumutbar und die Abschiebung nach Afghanistan zulässig. Der BF sei trotz stationärer Behandlung erneut straffällig geworden und hätten ihn die verbüßten Haftstrafen nicht von der Begehung weiterer Straftaten abgehalten, weshalb die Erlassung des Einreiseverbots dringend geboten sei.
Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde und brachte ergänzend vor, der BF habe lediglich seine Kindheit in Afghanistan verbracht. Demgegenüber habe er in Österreich seine Schulbildung absolviert und sei erwerbstätig gewesen, weshalb die Bindung zu Österreich stärker sei als zum Herkunftsstaat. Die Familie des BF sei in Österreich hervorragend integriert und habe bereits die Staatsbürgerschaft erworben, weshalb sich auch deren Bindung zum Herkunftsstaat als äußerst schwach erweise. Vor Haftantritt habe der BF mit seinen Eltern im gemeinsamen Haushalt zusammengelebt, weshalb ein schützenswertes Familienleben vorliege. Schließlich verwies der BF auf zahlreiche Länderberichte in Zusammenhang mit der Situation von Rückkehrern sowie die allgemein in Afghanistan herrschende Sicherheitslage.
Mit Teilerkenntnis vom 24.03.2020, W278 1421235-3/3Z, wurde der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Mit Schreiben vom 29.05.2020 verständigte die Staatsanwaltschaft Graz das BFA von einer weiteren Anklageerhebung gegen den BF wegen, Sachbeschädigung (§ 125 StGB), Betrug (§ 146 StGB) und Körperverletzung (§ 83 StGB).
Am 18.06.2020 fand vor dem BVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in welcher der BF ausführlich zu seinem Leben in Afghanistan und im Iran, seinen Verurteilungen und seiner Integration in Österreich befragt wurde. Zudem wurden die Eltern und Schwestern des BF zu ihrem Leben in Afghanistan bzw. im Iran und ihrer Beziehung zum BF einvernommen.
Am selben Tag wurde dem BF Gelegenheit gegeben, binnen zwei Wochen zu den EASO Country Guidance Notes Afghanistan von Juni 2019 und den länderspezifischen Anmerkungen zu COVID-19 in Afghanistan vom 18.05.2020 binnen zwei Wochen Stellung zu nehmen.
Mit Schreiben vom 03.07.2020 wurden dem BF die aktualisieren länderspezifischen Anmerkungen zu COVID-19 vom 29.06.2020 übermittelt und die Stellungnahmefrist bis 17.07.2020 verlängert.
Mit Schriftsatz vom 15.07.2020 legte der BF Integrationsunterlagen vor und führte aus, dass seine Abschiebung aufgrund seines langen Aufenthaltes außerhalb Afghanistan kaum denkbar sei und durch die aktuelle Krise völlig ausgeschlossen sei, dass er ohne soziales Umfeld erträgliche Lebensbedingungen erwarten könne.
Mit Schreiben vom 12.08.2020 teilte der BF mit, dass er vom Vorwurf der Sachbeschädigung, des Betrugs und der Körperverletzung rechtskräftig freigesprochen worden sei.
Mit Schreiben vom 24.08.2020 wurde dem BF Gelegenheit gegeben, sich bis 02.09.2020 zu den länderspezifischen Anmerkungen zu Covid 19 vom 21.07.2020 zu äußern.
Mit Stellungnahme vom 31.08.2020 brachte der BF vor, dass eine Abschiebung wegen der Pandemie unmöglich sei und jedenfalls einen Eingriff nach Art. 3 EMRK darstelle.
2. Feststellungen:
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der BF heißt XXXX , ist am XXXX in der Provinz Uruzgan in Afghanistan geboren und afghanischer Staatsangehöriger. Seine Muttersprache ist Dari, zudem beherrscht er Farsi, Deutsch und Englisch. Seine Identität steht fest.
Der BF ist in Urzugan geboren, lebte etwa bis zum Jahr 2004 gemeinsam mit seiner Mutter und seinen beiden Schwestern bei den Eltern seines Vaters in Herat. Anschließend übersiedelte der BF mit seiner Familie in den Iran, wo er als Erntearbeiter den Lebensunterhalt der Familie mitfinanzierte und bis zu seiner Ausreise nach Europa lebte. Sein Vater reiste bereits im Jahr 2001 nach Österreich.
Der BF ist gesund und arbeitsfähig.
2.2. Zum (Privat-)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:
Im Jahr 2005 reiste der BF mit seiner Mutter und seinen beiden Schwestern nach Österreich und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz.
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 29.11.2005, Zl. 04 07.889 – BAG, wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und die erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung über mehrere Anträge bis 19.09.2016 verlängert.
Mit Bescheid vom 30.11.2016, Zl. 13-567663305-161569508, erkannte das BFA dem BF den Status als subsidiär Schutzberechtigter ab und erklärte seine Abschiebung nach Afghanistan für unzulässig. Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Abschiebung erwuchs in Rechtskraft, die Beschwerde gegen die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde mit Erkenntnis des BVwG, Zl. XXXX , vom 19.09.2017 rechtskräftig abgewiesen.
Am 28.03.2018 stellte das BFA dem BF eine bis zum 27.03.2019 befristete Duldungskarte aus.
Am 27.11.2018 stellte der BF gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 56 AsylG.
Der BF hält sich seit seiner Einreise im Jahr 2005 überwiegend im Bundesgebiet auf und verbüßt seit 12.11.2019 eine Haftstrafe in der Justizanstalt XXXX . Das errechnete Strafende ist der 12.09.2020. Vor seinem Haftantritt lebte der BF bei seinen Eltern.
Der BF legte am 14.12.2018 die ÖIF-Integrationsprüfung auf dem Sprachniveau B1 ab, erreichte dabei aber lediglich das Sprachniveau A2 und absolvierte von 12.11.2012 bis 03.06.2013 ein Anti-Gewalt-Training. Von Februar bis März und August bis November 2007, fünf Tage im Jänner 2008, von 28.02.2008 bis 15.03.2008, von 15.06.2009 bis 06.07.2009, von 31.01.2011 bis 11.02.2011, von 25.04.2012 bis 28.09.2012, von 30.11.2012 bis 06.01.2013 sowie von 11.12.2018 bis 11.11.2019 war der BF erwerbstätig. Zuletzt war er als Geschirrreiniger in einem Gastronomiebetrieb beschäftigt. Sein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen betrug dabei etwa EUR 1.200,00. Der BF konnte seinen Lebensunterhalt selbständig bestreiten. Außerhalb seiner Beschäftigungszeiten bezog der BF immer wieder Arbeitslosengeld.
Von 28.11.2016 bis 27.05.2017 unterzog sich der BF aufgrund seiner Drogenabhängigkeit einer stationären Behandlung, die er anschließend in einer ambulanten Betreuungseinrichtung fortsetzte. Von 05.09.2018 bis 06.02.2019 nahm der BF erneut eine Therapie in Anspruch, die er erfolgreich abschloss. Anschließend wurde der BF wieder rückfällig und absolviert derzeit eine Therapie in der Justizanstalt.
In Österreich leben die Eltern, zwei Schwestern, eine Nichte und ein Neffe des BF. Die Eltern des BF sind in Österreich asylberechtigt, die Schwestern sind österreichische Staatsbürgerinnen. Die jüngere der beiden Schwestern des BF besuchte ihn bis zumindest Jänner 2020 regelmäßig in der Justizanstalt, wobei die Besuche anschließend lediglich aufgrund der durch die COVID-19-Pandemie bedingten Einschränkungen unterbrochen wurden. Zu seiner anderen Schwester hat der BF telefonischen Kontakt. Mit seiner Mutter telefoniert der BF nur ab und zu, wenn sie zufällig während eines Gesprächs mit seiner Schwester anwesend ist. Zu seinem Vater hat der BF kaum Kontakt. Ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem BF und seinen Eltern und Geschwistern besteht nicht.
Eine besondere Integrationsverfestigung des BF in Österreich liegt nicht vor.
Der BF wurde in Österreich insgesamt dreizehnmal wie folgt rechtskräftig verurteilt:
- Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom 15.01.2007, Zl. XXXX , wurde gegen den BF wegen des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung (§ 202 Abs. 1 StGB) eine Freiheitsstrafe von fünf Monaten verhängt, wobei die Strafe unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde und er die zugrundeliegende Straftat als Jugendlicher beging.
- Mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom 24.09.2008, Zl. XXXX , wurde gegen den BF wegen des Vergehens des Missbrauchs von Notzeichen (§ 1 NotzeichenG) eine Geldstrafe von 80 Tagessätzen à EUR 4,00, insgesamt sohin EUR 320,00, verhängt.
Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF am 26.02.2008 in einer Polytechnischen Schule durch eine falsche Notmeldung den Dienst der Freiwilligen Feuerwehr in Anspruch nahm.
Als mildernd berücksichtigte das Gericht die geständige Verantwortung und die Tatbegehung vor Vollendung des 21. Lebensjahres, als erschwerend keinen Umstand.
- Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom 08.04.2010, Zl. XXXX , wurde gegen den BF wegen der Vergehen der Nötigung (§§ 15, 105 Abs. 1 StGB), der Sachbeschädigung (§ 125 StGB), des Diebstahls (§ 127 StGB) und der falschen Beweisaussage (§ 288 Abs. 1 StGB) eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten verhängt, wobei die Strafe unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Gleichzeitig verlängerte das Gericht die Probezeit zu XXXX auf fünf Jahre.
Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF am 07.07.2009 in einer Hauptverhandlung falsch ausgesagt hatte, indem er angab: „Die Polizeibeamtin hat dann dem Angeklagten eine Watsche gegen das Gesicht gegeben. Sie hat ihn konkret an der Wange erwischt. (…) Es gab dann noch eine weitere Watsche gegen das Gesicht rechtsseitig“, am 31.10.2009 eine Frau zur Angabe, wem eine ihm unbekannte Telefonnummer in der Telefonliste auf deren Handy gehöre, zu nötigen versuchte, indem er ihr mehrere Schläge mit der flachen Hand gegen den Oberkörper versetzte sowie zwei Spiegel und fünf Fliesen im Bad eines Hotelzimmers beschädigte, indem er eine leere Bierflasche und ein Trinkglas in das Waschbecken warf und am 29.03.2010 einer Person Bargeld in Höhe von EUR 20,00 wegnahm.
Als mildernd berücksichtigte das Gericht das Alter unter 21 Jahren, das teilweise Geständnis, den Versuch im Hinblick auf die Nötigung sowie die Sicherstellung des Diebesgutes, als erschwerend das Zusammentreffen von vier Vergehen und die weitere Tatbegehung während anhängigen Strafverfahrens.
- Mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom 22.07.2010, Zl. XXXX , wurde gegen den BF wegen des Vergehens des Diebstahls (§§ 15, 127 StGB) eine Freiheitsstrafe von zwei Monaten verhängt. Gleichzeitig verlängerte das Gericht die Probezeit zu XXXX auf fünf Jahre.
Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF am 08.04.2010 versuchte, Verfügungsberechtigten einer Drogerie ein Parfum im Wert von EUR 27,90 wegzunehmen.
Als mildernd wertete das Gericht das Versuchsstadium, als erschwerend drei Vorverurteilungen sowie den Umstand, dass die Tat nur wenige Stunden nach der zuletzt erfolgten Verurteilung gesetzt wurde.
- Mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom 20.01.2011, Zl. XXXX , wurde gegen den BF wegen der Vergehen der Körperverletzung (§ 83 Abs. 1 StGB) und der dauernden Sachentziehung (§ 135 Abs. 1 StGB) unter Bedachtnahme auf die Verurteilung zu XXXX eine Zusatzfreiheitsstrafe von einem Monat verhängt.
Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF am 06.07.2010 einer Person mehrere Schläge und Fußtritte versetzte, sodass diese eine Verletzung am rechten Ellbogen, eine Kratzwunde im Halsbereich sowie Schwellungen im Stirnbereich erlitt und ihr im Zuge dieser Tätlichkeit eine Silberkette im Wert von EUR 100,00 wegnahm, ohne die Kette sich oder einem Dritten zuzueignen.
Als mildernd berücksichtigte das Gericht das reumütige Geständnis, als erschwerend die zwei Vergehen sowie zwei einschlägige Vorverurteilungen.
- Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom 16.05.2011, Zl. XXXX , wurde gegen den BF wegen der Vergehen der Körperverletzung (§ 83 Abs. 1 StGB), der gefährlichen Drohung (§ 107 Abs. 1 StGB) und des Widerstandes gegen die Staatsgewalt (§§ 15,269 Abs. 1 erster Fall StGB) eine Freiheitsstrafe von einem Jahr verhängt.
Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF am 24.01.2011 eine Frau mit der Faust ins Gesicht schlug und sie würgte, wodurch diese eine Schwellung auf Höhe des linken Jochbeines sowie Würgemale links und rechts am Hals erlitt, am 25.01.2010 versuchte, drei Beamte daran zu hindern, ihn in einen Einzelhaftraum zu verbringen, indem er wild um sich schlug und trat, , am 08.03.2011 einer Frau mit der Hand ins Gesicht schlug, wodurch diese eine Perforation des linken Trommelfells, einen Bluterguss der linken Ohrmuschel und des linken Unterkieferbereiches und Kratzspuren im Gesicht erlitt sowie am selben Tag dieser Frau sowie zwei weiteren Personen mit einer Körperverletzung drohte, indem er gegenüber einer dieser Personen in mehreren Telefonaten äußerte: „Du bist eine Scheißmutter, ich bringe dich um.“, „Ich bringe dich und XXXX und XXXX um.“ und „Wenn ich XXXX sehe, mache ich ihr Gesicht kaputt.“
Als mildernd berücksichtigte das Gericht das Teilgeständnis sowie den Umstand, dass der BF teilweise unter 21 war, als erschwerend vier einschlägige Vorstrafen, das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen und die Tatwiederholung bei der Körperverletzung.
- Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom 20.10.2011, Zl. XXXX , wurde gegen den BF wegen der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften (§§ 27 Abs. 1 Z 1 erster, zweiter und achter Fall, 27 Abs. 4 Z 1 SMG) unter Bedachtnahme auf die Verurteilung zu XXXX eine Zusatzfreiheitsstrafe von fünf Monaten verhängt, wobei der BF am 19.04.2012 unter Anordnung der Bewährungshilfe und Festlegung einer Probezeit von fünf Jahren aus der dazu sowie aus den zu XXXX , XXXX und XXXX verbüßten Freiheitsstrafen bedingt entlassen wurde.
- Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom 19.11.2013, Zl. XXXX , wurde gegen den BF wegen der Vergehen der Nötigung (§§ 15, 105 Abs. 1 StGB) und der gefährlichen Drohung (§ 107 Abs. 1 StGB) eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten verhängt. Gleichzeitig widerrief das Gericht die zu XXXX gewährte bedingte Strafnachsicht.
Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF am 11.10.2013 einem Taxifahrer mit einer Körperverletzung drohte, indem er die Fahrertür des von diesem gelenkten Taxis aufriss und ihn mit den Worten „Ich mach die fertig! Steig aus, ich bring dich um!“, anschrie, am 22.10.2013 eine andere Person zur Abstandnahme vom weiteren Kontakt zu seiner Freundin zu nötigen versuchte, indem er telefonisch äußerte: „Lass die Finger von meiner Freundin XXXX, sonst passiert was! Ich ficke dich. Ich ficke deine Familie. Ich ficke deine Mutter und deine Schwester. Ich bringe euch alle um. Ich bringe deine Mutter und deine Schwester um. Ich komme jetzt ins Lokal!“ und diese Person wenige Minuten nach diesem Telefonat erneut anrief und ihr mit den Worten „Willst du ein Problem mit mir? Hast du dich mit XXXX getroffen? Mein Freund, ein Afghane hat euch heute gesehen. Wenn du ein Mann bist, wartest du im Lokal und ich werde mit meinen Leuten vorbeikommen!“ drohte.
Als mildernd berücksichtigte das Gericht das teilweise Geständnis sowie den Umstand, dass es teilweise beim Versuch blieb, als erschwerend die vier einschlägigen Vorverurteilungen, das Zusammentreffen von zwei Vergehen und die Bedrohung von mehreren Personen.
- Mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom 15.10.2014, Zl. XXXX , wurde der BF wegen des Vergehens der Körperverletzung (§ 83 Abs. 1 StGB) schuldig gesprochen, unter Bedachtnahme auf die Verurteilung zu XXXX sah das Gericht allerdings von der Verhängung einer Zusatzstrafe ab.
Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF am 14.08.2012 einem Fahrscheinkontrolleur einen Faustschlag ins Gesicht versetzte, wodurch dieser eine Prellung des Kiefergelenks erlitt.
Als mildernd berücksichtigte das Gericht keinen Umstand, als erschwerend drei einschlägige Vorstrafen.
- Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom 19.05.2016, Zl. XXXX , wurde gegen den BF wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften (§ 27 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall, Abs. 2 SMG) sowie des Verbrechens des Suchtgifthandels (§ 28a Abs. 1 fünfter Fall SMG, § 12 dritter Fall StGB) eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten verhängt. Gleichzeitig widerrief das Gericht die zu XXXX , XXXX , XXXX und XXXX gewährte bedingte Entlassung aus der Strafhaft.
- Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom 07.03.2017, Zl. XXXX , wurde gegen den BF wegen der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften (§§ 27 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall und Abs. 2, 27 Abs. 2a zweiter Fall, 27 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall SMG) eine Freiheitsstrafe von acht Monaten verhängt.
- Mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom 04.02.2019, Zl. XXXX , wurde gegen den BF wegen des Vergehens der Körperverletzung (§ 83 Abs. 1 StGB) eine Freiheitsstrafe von drei Monaten verhängt, die mit Berufungsurteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom 22.07.2019, Zl. XXXX , auf sechs Monate angehoben wurde.
Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF am 24.02.2018 einer Frau einen Faustschlag gegen den linken Unterarm versetzte, wodurch diese eine Prellung samt Hämatom erlitt.
Als mildernd berücksichtigte das Gericht keinen Umstand, als erschwerend die neun einschlägigen Vorverurteilungen und die Tatsache, dass sich der BF im Rückfall gemäß § 39 StGB befand.
- Schließlich setzte der BF am 15.12.2018 eine weitere strafrechtswidrige Handlung, weshalb er mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom 21.03.2019, Zl. XXXX , wegen des Vergehens des unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen (§ 136 Abs. 1 und 2 StGB) unter Bedachtnahme auf die Verurteilung zu XXXX zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt wurde.
Festgestellt wird, dass der weitere Aufenthalt des BF im Bundesgebiet eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt.
2.3. Zur Rückkehr des BF nach Afghanistan:
Seit rechtskräftiger Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung mit Erkenntnis des BVwG vom 19.09.2017 haben sich die persönlichen Verhältnisse des BF insofern geändert, als er nunmehr auf finanzielle Unterstützung seiner Angehörigen zurückgreifen kann.
Der BF läuft im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nicht Gefahr, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe, oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden. Es besteht auch keine Gefahr, dass der BF im Falle seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat in eine existenzgefährdende Notlage geraten würde und ihm die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.
Der BF ist im afghanischen Familienverband aufgewachsen und hielt sich bis zumindest 2004 – sohin bis zu seinem 15. Lebensjahr – in Afghanistan auf. Er spricht die Landessprache auf muttersprachlichem Niveau, hat Berufserfahrung als Erntearbeiter und im Gastgewerbe und kann sowohl auf die Unterstützung seiner Eltern als auch auf von Internationalen Organisationen zur Verfügung stehende Rückkehrprogramme zurückgreifen.
Eine Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Urzugan in Afghanistan scheidet zwar aus, bei Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif kann der BF allerdings grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.
Die Stadt Mazar-e Sharif ist über den dort vorhandenen internationalen Flughafen sicher erreichbar.
2.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Im Folgenden werden die vom BFA ins Verfahren eingebrachten und dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten wesentlichen Feststellungen aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019, letzte Kurzinformation eingefügt am 21.07.2020, (gekürzt und bereinigt) wiedergegeben:
Länderspezifische Anmerkungen
COVID-19:
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Berichten zufolge, haben sich in Afghanistan mehr als 35.000 Menschen mit COVID-19 angesteckt (WHO 20.7.2020; vgl. JHU 20.7.2020, OCHA 16.7.2020), mehr als 1.280 sind daran gestorben. Aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt zu wenig gemeldet (OCHA 16.7.2020; vgl. DS 19.7.2020). 10 Prozent der insgesamt bestätigten COVID-19-Fälle entfallen auf das Gesundheitspersonal. Kabul ist hinsichtlich der bestätigten Fälle nach wie vor der am stärksten betroffene Teil des Landes, gefolgt von den Provinzen Herat, Balkh, Nangarhar und Kandahar (OCHA 15.7.2020). Beamte in der Provinz Herat sagten, dass der Strom afghanischer Flüchtlinge, die aus dem Iran zurückkehren, und die Nachlässigkeit der Menschen, die Gesundheitsrichtlinien zu befolgen, die Möglichkeit einer neuen Welle des Virus erhöht haben, und dass diese in einigen Gebieten bereits begonnen hätte (TN 14.7.2020). Am 18.7.2020 wurde mit 60 neuen COVID-19 Fällen der niedrigste tägliche Anstieg seit drei Monaten verzeichnet – wobei an diesem Tag landesweit nur 194 Tests durchgeführt wurden (AnA 18.7.2020).
Krankenhäuser und Kliniken berichten weiterhin über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19. Diese Herausforderungen stehen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA), Testkits und medizinischem Material sowie mit der begrenzten Anzahl geschulter Mitarbeiter - noch verschärft durch die Zahl des erkrankten Gesundheitspersonals. Es besteht nach wie vor ein dringender Bedarf an mehr Laborequipment sowie an der Stärkung der personellen Kapazitäten und der operativen Unterstützung (OCHA 16.7.2020, vgl. BBC-News 30.6.2020).
Maßnahmen der afghanischen Regierung und internationale Hilfe
Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Universitäten und Schulen bleiben weiterhin geschlossen (OCHA 8.7.2020; vgl. RA KBL 16.7.2020). Die Regierung Afghanistans gab am 6.6.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Darüber hinaus hat die Regierung die Schließung von Schulen um weitere drei Monate bis Ende August verlängert (OCHA 8.7.2020).
Berichten zufolge werden die Vorgaben der Regierung nicht befolgt, und die Durchsetzung war nachsichtig (OCHA 16.7.2020, vgl. TN 12.7.2020). Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. Zwar behindern die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin periodisch die Bewegung der humanitären Helfer, doch hat sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verbessert, und es wurden weniger Behinderungen gemeldet (OCHA 15.7.2020).
Einwohner Kabuls und eine Reihe von Ärzten stellten am 18.7.2020 die Art und Weise in Frage, wie das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) mit der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie im Land umgegangen ist, und sagten, das Gesundheitsministerium habe es trotz massiver internationaler Gelder versäumt, richtig auf die Pandemie zu reagieren (TN 18.7.2020). Es gibt Berichte wonach die Bürger angeben, dass sie ihr Vertrauen in öffentliche Krankenhäuser verloren haben und niemand mehr in öffentliche Krankenhäuser geht, um Tests oder Behandlungen durchzuführen (TN 12.7.2020).
Beamte des afghanischen Gesundheitsministeriums erklärten, dass die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 in den Städten zurückgegangen ist, die Pandemie in den Dörfern und in den abgelegenen Regionen des Landes jedoch zunimmt. Der Gesundheitsminister gab an, dass 500 Beatmungsgeräte aus Deutschland angekauft wurden und 106 davon in den Provinzen verteilt werden würden (TN 18.7.2020).
Am Samstag den 18.7.2020 kündete die afghanische Regierung den Start des Dastarkhan-e-Milli-Programms als Teil ihrer Bemühungen an, Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie zu helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken (TN 18.7.2020; vgl. Mangalorean 19.7.2020).
Die Weltbank genehmigte am 15.7.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten (WB 10.7.2020; vgl. AN 10.7.2020).
Auszugsweise Lage in den Provinzen Afghanistans
Dieselben Maßnahmen – nämlich Einschränkungen und Begrenzungen der täglichen Aktivitäten, des Geschäftslebens und des gesellschaftlichen Lebens – werden in allen folgend angeführten Provinzen durchgeführt. Die Regierung hat eine Reihe verbindlicher gesundheitlicher und sozialer Distanzierungsmaßnahmen eingeführt, wie z.B. das obligatorische Tragen von Gesichtsmasken an öffentlichen Orten, das Einhalten eines Sicherheitsabstandes von zwei Metern in der Öffentlichkeit und ein Verbot von Versammlungen mit mehr als zehn Personen. Öffentliche und touristische Plätze, Parks, Sportanlagen, Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen sind geschlossen; die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor sind auf 6 Stunden pro Tag beschränkt und die Beschäftigten werden in zwei ungerade und gerade Tagesschichten eingeteilt (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).
Die meisten Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte sind aufgrund der COVID-19 Maßnahmen geschlossen, es sei denn, sie wurden geheim und unbemerkt von staatlichen Stellen geöffnet (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).
In der Provinz Kabul gibt es zwei öffentliche Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln mit 200 bzw. 100 Betten. Aufgrund der hohen Anzahl von COVID-19-Fällen im Land und der unzureichenden Kapazität der öffentlichen Krankenhäuser hat die Regierung kürzlich auch privaten Krankenhäusern die Behandlung von COVID-19-Patienten gestattet. Kabul sieht sich aufgrund von Regen- und Schneemangel, einer boomenden Bevölkerung und verschwenderischem Wasserverbrauch mit Wasserknappheit konfrontiert. Außerdem leben immer noch rund 12 Prozent der Menschen in Kabul unter der Armutsgrenze, was bedeutet, dass oftmals ein erschwerter Zugang zu Wasser besteht (RA KBL 16.7.2020; WHO o.D).
In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Es gibt Berichte, dass die Bewohner einiger Distrikte der Provinz mit Wasserknappheit zu kämpfen hatten. Darüber hinaus hatten die Menschen in einigen Distrikten Schwierigkeiten mit dem Zugang zu ausreichender Nahrung, insbesondere im Zuge der COVID-19-Pandemie (RA KBL 16.7.2020).
In der Provinz Herat gibt es zwei Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln. Ein staatliches öffentliches Krankenhaus mit 100 Betten, das vor kurzem speziell für COVID-19-Patienten gebaut wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 19.3.2020) und ein Krankenhaus mit 300 Betten, das von einem örtlichen Geschäftsmann in einem umgebauten Hotel zur Behandlung von COVID-19-Patienten eingerichtet wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 4.5.2020). Es gibt Berichte, dass 47,6 Prozent der Menschen in Herat unter der Armutsgrenze leben, was bedeutet, dass oft ein erschwerter Zugang zu sauberem Trinkwasser und Nahrung haben, insbesondere im Zuge der Quarantäne aufgrund von COVID-19, durch die die meisten Tagelöhner arbeitslos blieben (RA KBL 16.7.2020; vgl. UNICEF 19.4.2020).
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Wirtschaftliche Lage in Afghanistan
Verschiedene COVID-19-Modelle zeigen, dass der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet wird, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung haben wird (OCHA 16.7.2020). Es herrscht weiterhin Besorgnis seitens humanitärer Helfer, über die Auswirkungen ausgedehnter Sperrmaßnahmen auf die am stärksten gefährdeten Menschen – insbesondere auf Menschen mit Behinderungen und Familien – die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen (OCHA 15.7.2020). Der Marktbeobachtung des World Food Programme (WFP) zufolge ist der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 – 31 Prozent gestiegen sind (WFP 15.7.2020, OCHA 15.7.2020). Einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) und des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht (MAIL) zufolge sind über 20 Prozent der befragten Bauern nicht in der Lage, ihre nächste Ernte anzubauen, wobei der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die COVID-19-Beschränkungen als Schlüsselfaktoren genannt werden. Darüber hinaus sind die meisten Weizen-, Obst-, Gemüse- und Milchverarbeitungsbetriebe derzeit nur teilweise oder gar nicht ausgelastet, wobei die COVID-19-Beschränkungen als ein Hauptgrund für die Reduzierung der Betriebe genannt werden. Die große Mehrheit der Händler berichtete von gestiegenen Preisen für Weizen, frische Lebensmittel, Schafe/Ziegen, Rinder und Transport im Vergleich zur gleichen Zeit des Vorjahres. Frischwarenhändler auf Provinz- und nationaler Ebene sahen sich im Vergleich zu Händlern auf Distriktebene mit mehr Einschränkungen konfrontiert, während die große Mehrheit der Händler laut dem Bericht von teilweisen Marktschließungen aufgrund von COVID-19 berichtete (FAO 16.4.2020; vgl. OCHA 16.7.2020; vgl. WB 10.7.2020).
Am 19.7.2020 erfolgte die erste Lieferung afghanischer Waren in zwei Lastwagen nach Indien, nachdem Pakistan die Wiederaufnahme afghanischer Exporte nach Indien angekündigt hatte um den Transithandel zu erleichtern. Am 12.7.2020 öffnete Pakistan auch die Grenzübergänge Angor Ada und Dand-e-Patan in den Provinzen Paktia und Paktika für afghanische Waren, fast zwei Wochen nachdem es die Grenzübergänge Spin Boldak, Torkham und Ghulam Khan geöffnet hatte (TN 20.7.2020).
Einreise und Bewegungsfreiheit
Die Türkei hat, nachdem internationale Flüge ab 11.6.2020 wieder nach und nach aufgenommen wurden, am 19.7.2020 wegen der COVID-19-Pandemie Flüge in den Iran und nach Afghanistan bis auf weiteres ausgesetzt, wie das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur mitteilte (TN 20.7.2020; vgl. AnA 19.7.2020, DS 19.7.2020).
Bestimmte öffentliche Verkehrsmittel wie Busse, die mehr als vier Passagiere befördern, dürfen nicht verkehren. Obwohl sich die Regierung nicht dazu geäußert hat, die Reisebeschränkungen für die Bürger aufzuheben, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern, hat sich der Verkehr in den Städten wieder normalisiert, und Restaurants und Parks sind wieder geöffnet (TN 12.7.2020).
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Stand 29.6.2020
Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt (WP 25.5.2020; vgl. JHU 26.6.2020), mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (WP 25.6.2020).
In vier der 34 Provinzen Afghanistans – Nangahar, Ghazni, Logar und Kunduz – hat sich unter den Sicherheitskräften COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90% vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (WP 25.6.2020).
In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden (RA KBL 19.6.2020). In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (AJ 8.6.2020).
Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge, lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt (AF 24.6.2020). Dem Lockdown Folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (AJ 8.6.2020).
Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen
In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (AF 24.6.2020).
Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei dem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden (AF 24.6.2020). In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes (TN 15.6.2020). Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern (AF 24.6.2020; vgl. TN 15.6.2020). Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (TN 20.5.2020).
Weitere Maßnahmen der afghanischen Regierung
Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen (AJ 8.6.2020; vgl. RA KBL 19.6.2020). Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden (AJ 8.6.2020). Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafür benötigten Geräte leisten und zum anderem schränkt eine hohe Analphabetenzahl unter den Eltern in Afghanistan diese dabei ein, ihren Kindern beim Lernen behilflich sein zu können (HRW 18.6.2020).
Die großen Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen (RA KBL 19.6.2020). Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wieder aufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird (AnA 24.6.2020). Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020; vgl. GN 9.6.2020). Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020). Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich (RA KBL 19.6.2020). Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (RA KBL 19.6.2020).
Seit 1.1.2020 beträgt die Anzahl zurückgekehrter Personen aus dem Iran und Pakistan: 339.742; 337.871 Personen aus dem Iran (247.082 spontane Rückkehrer/innen und 90.789 wurden abgeschoben) und 1.871 Personen aus Pakistan (1.805 spontane Rückkehrer/innen und 66 Personen wurden abgeschoben) (UNHCR 20.6.2020).
Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus Pakistan
Die Grenze zu Pakistan war fast drei Monate lang aufgrund der COVID-19-Pandemie gesperrt. Mit 22.6.2020 erhielt Pakistan an drei Grenzübergängen erste Exporte aus Afghanistan: frisches Obst und Gemüse wurde über die Grenzübergänge Torkham, Chaman und Ghulam Khan nach Pakistan exportiert. Im Hinblick auf COVID-19 wurden Standardarbeitsanweisungen (SOPs – standard operating procedures) für den grenzüberschreitenden Handel angewandt (XI 23.6.2020). Der bilaterale Handel soll an sechs Tagen der Woche betrieben werden, während an Samstagen diese Grenzübergänge für Fußgänger reserviert sind (XI 23.6.2020; vgl. UNHCR 20.6.2020); in der Praxis wurde der Fußgängerverkehr jedoch häufiger zugelassen (UNHCR 20.6.2020).
Pakistanischen Behörden zufolge waren die zwei Grenzübergänge Torkham und Chaman auf Ansuchen Afghanistans und aus humanitären Gründen bereits früher für den Transithandel sowie Exporte nach Afghanistan geöffnet worden (XI 23.6.2020).
Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus dem Iran
Die Anzahl aus dem Iran abgeschobener Afghanen ist im Vergleich zum Monat Mai stark gestiegen. Berichten zufolge haben die Lockerungen der Mobilitätsmaßnahmen dazu geführt, dass viele Afghanen mithilfe von Schmugglern in den Iran ausreisen. UNHCR zufolge, gaben Interviewpartner/innen an, kürzlich in den Iran eingereist zu sein, aber von der Polizei verhaftet und sofort nach Afghanistan abgeschoben worden zu sein (UNHCR 20.6.2020).
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Stand: 18.5.2020
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In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.4.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.4.2020). COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblemen bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.4.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (DW 22.4.2020).
Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.4.2020). Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen (WP 20.4.2020). Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar (TN 30.3.2020) und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (TN 7.4.2020a).
Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.4.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil (AnA 21.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei (ARZ KBL 7.5.2020). Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung (AnA 21.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten (BBC 9.4.2020) und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung (TN 8.4.2020; vgl. DW 22.4.2020; QA 16.4.2020). 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten (DW 22.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (ARZ KBL 7.5.2020).
Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen (TN 7.4.2020b). Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden (NYT 22.4.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert (TN 7.4.2020b). In Herat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (BBC 9.4.2020; vgl. TN 8.4.2020).
Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung
Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt (WP 20.4.2020), wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar (TG 1.4.2020a). Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt (WP 20.4.2020). Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (TN 9.4.2020a).
Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (WP 22.4.2020): Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen (TG 1.4.2020). Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.4.2020).
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH) (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise (WHO MIT 10.5.2020): 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020).
Taliban und COVID-19
Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte (TN 2.4.2020; vgl. TD 2.4.2020). In der nördlichen Provinz Kunduz, hätten die Taliban eine Gesundheitskommision gegründet, die direkt in den Gemeinden das öffentliche Bewusstsein hinsichtlich des Virus stärkt. Auch sollen Quarantänezentren eingerichtet worden sein, in denen COVID-19-Verdachtsfälle untergebracht wurden. Die Taliban hätten sowohl Schutzhandschuhe, als auch Masken und Broschüren verteilt; auch würden sie jene, die aus anderen Gebieten kommen, auf COVID-19 testen (TD 2.4.2020). Auch in anderen Gebieten des Landes, wie in Baghlan, wird die Bevölkerung im Rahmen einer Informationsveranstaltung in der Moschee über COVID-19 informiert. Wie in der Provinz Kunduz, versorgen die Taliban die Menschen mit (Schutz)material, helfen Entwicklungshelfern dabei zu jenen zu gelangen, die in Taliban kontrollierten Gebieten leben und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen, an (UD 13.3.2020).
Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (NZZ 7.4.2020).
Aktuelle Informationen zu Rückkehrprojekten
IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (IOM AUT 18.5.2020).
IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:
• Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)
• Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten) (IOM AUT 18.5.2020).
Das Projekt RESTART III – Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan“ wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden (IOM AUT 18.5.2020)
Mit Stand 18.5.2020, sind im laufenden Jahr bereits 19 Projektteilnehmer/innen nach Afghanistan zurückgekehrt. Mit ihnen, als auch mit potenziellen Projektteilnehmer/innen, welche sich noch in Österreich befinden, steht IOM Österreich in Kontakt und bietet Beratung/Information über virtuelle Kommunikationswege an (IOM AUT 18.5.2020).
Informationen von IOM Kabul zufolge, sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 13.5.2020 auch weiterhin in Afghanistan operativ (IOM KBL 13.5.2020).
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Politische Lage
Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).
Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).
Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).
Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. D