TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/8 W220 1244609-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.09.2020
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Entscheidungsdatum

08.09.2020

Norm

AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs10
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W220 1244609-3/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Daniela UNTERER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.04.2018, ZI.: 731796402-171306423, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte nach illegaler Einreise am 15.06.2003 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, welcher mit Bescheid des vormals zuständigen Bundesasylamtes vom 13.11.2003 abgewiesen wurde; die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des vormals zuständigen Asylgerichtshofes vom 27.04.2010 abgewiesen.

Mit Bescheid der vormals zuständigen Bundespolizeidirektion Wien vom 11.03.2009 wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Rückkehrverbot erlassen; der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wurde mit Bescheid der vormals zuständigen Sicherheitsdirektion Wien vom 22.06.2009 keine Folge gegeben.

Mit Bescheid der vormals zuständigen Bundespolizeidirektion Wien vom 26.07.2010 wurde der Beschwerdeführer ausgewiesen; der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wurde mit Bescheid der vormals zuständigen Sicherheitsdirektion Wien vom 31.08.2010 keine Folge gegeben.

Mit Schreiben vom 14.03.2011 ersuchte die vormals zuständige Bundespolizeidirektion Wien die indische Botschaft in Österreich um die Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den Beschwerdeführer; die Ausstellung eines Heimreisezertifikates wurde in weiterer Folge regelmäßig urgiert.

Am 30.08.2012 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck der „Rot-Weiß-Rot Karte plus“, welcher mit Bescheid des Amtes der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 35, vom 13.11.2012 abgewiesen wurde.

Mit Bescheid der Landespolizeidirektion Wien vom 22.08.2013 wurden gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung sowie ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen; der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wurde mit Berufungsbescheid des vormals zuständigen Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 18.11.2013 keine Folge gegeben.

Am 08.07.2014 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „in besonderes berücksichtigungswürdigen Fällen“ gemäß § 56 Abs. 1 AsylG 2005. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.01.2015 abgewiesen und gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien für zulässig erklärt. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 31.10.2017 abgewiesen, sofern mit dem angefochtenen Bescheid der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen vom 08.07.2014 abgewiesen wurde; die mit dem angefochtenen Bescheid erlassene Rückkehrentscheidung wurde ersatzlos behoben, da die mit Bescheid der Landespolizeidirektion Wien vom 22.08.2013 gegen den Beschwerdeführer erlassene und mit einem Einreiseverbot verbundene Rückkehrentscheidung noch aufrecht sei.

Am 21.11.2017 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 und legte seinem Antrag eine schriftliche Antragsbegründung, eine indische Geburtsurkunde in Kopie, Nachweise seines Einkommens aus Zeitungszustelltätigkeiten, ein Prüfungszeugnis des Österreichischen Integrationsfonds auf dem Niveau B1, ein Sprachzertifikat des Österreichischen Integrationsfonds auf dem Niveau A2, einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag, seine österreichische e-Card, mehrere Empfehlungsschreiben, einen Wohnungsmietvertrag in Kopie sowie einen Auszug aus dem Zentralen Melderegister bei.

Mit Verbesserungsauftrag vom 21.11.2017 wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, binnen vier Wochen ein gültiges Reisedokument im Original und in Kopie samt Übersetzung und eine Geburtsurkunde im Original oder ein dieser gleichzuhaltendes Dokument im Original und in Kopie samt Übersetzung, vorzulegen. Der Beschwerdeführer wurde darauf hingewiesen, dass im Fall der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder Nachweise ein begründeter Antrag auf Heilung nach § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV eingebracht werden könne, wobei nachzuweisen sei, dass deren Beschaffung nicht möglich oder nicht zumutbar sei. Der Beschwerdeführer wurde weiters belehrt, dass er gemäß § 58 Abs. 11 AsylG 2005 verpflichtet sei, am anhängigen Verfahren mitzuwirken und dass für den Fall, dass er dem Verbesserungsauftrag nicht nachkomme, sein Antrag gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 zurückzuweisen sei. Dieser Verbesserungsauftrag wurde dem ausgewiesen rechtsvertretenen Beschwerdeführer persönlich übergeben; der Beschwerdeführer kam diesem in weiterer Folge nicht nach.

Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 06.04.2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vom 21.11.2017 gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 zurück. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass gegen den Beschwerdeführer eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vom 22.08.2013 bestehe und sich die privaten und familiären Umstände des Beschwerdeführers seit Erlassung der Ausweisung, geschweige denn dem letzten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK, nicht derart geändert hätten, dass eine neuerliche Abwägung des Art. 8 EMRK geboten sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seinen ausgewiesenen Rechtsvertreter fristgerecht Beschwerde und führte zusammengefasst aus, dass er seit fünfzehn Jahren in Österreich aufhältig sei, die Deutschprüfung auf dem Niveau B1 positiv absolviert habe sowie durch die Vorlage des Mietvertrages und einer Einstellungszusage dokumentiert habe, in Österreich aus eigener Kraft seinen Lebensunterhalt erwirtschaften zu können.

Mit Stellungnahme vom 01.04.2019 übermittelte der Beschwerdeführer weitere Integrationsunterlagen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Indiens und reiste im Juni 2003 in das österreichische Bundesgebiet ein; seitdem hält sich der Beschwerdeführer durchgehend in Österreich auf.

Mit Bescheid der Landespolizeidirektion Wien vom 22.08.2013 wurden gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung sowie ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen; der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wurde mit Berufungsbescheid des vormals zuständigen Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 18.11.2013 keine Folge gegeben. Im Bescheid vom 22.08.2013 wurde begründend im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer illegal in das Bundesgebiet eingereist sei, gegen ihn ein Rückkehrverbot (umgewandelt in ein Aufenthaltsverbot) erlassen worden sei und der Beschwerdeführer seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen bzw. bereits wegen illegalen Aufenthaltes zur Anzeige gebracht worden sei. Familiäre Bindungen zu Österreich bestünden nicht. Der Arbeitgeber des Beschwerdeführers sei angezeigt worden, weil er den Beschwerdeführer beschäftigt habe, obwohl dieser über kein arbeitsmarktrechtliches Dokument verfüge, welches zur Arbeitsaufnahme berechtigen würde, und hätten anhand eines Versicherungsdatenauszuges zwei weitere, als illegal anzusehende Beschäftigungsverhältnisse festgestellt werden können. Zu Österreich bestünden keine familiären und keine legalen beruflichen Verbindungen und sei für die Behörde keinerlei Integration festzustellen.

Am 08.07.2014 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „in besonderes berücksichtigungswürdigen Fällen“ gemäß § 56 Abs. 1 AsylG 2005, welcher mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.01.2015 abgewiesen wurde; weiters wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen und die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien für zulässig erklärt. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 31.10.2017 abgewiesen, sofern mit dem angefochtenen Bescheid der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen vom 08.07.2014 abgewiesen wurde, da gegen den Beschwerdeführer eine aufrechte Rückkehrentscheidung bestehe und bereits die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nicht gegeben seien; eine Beurteilung des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers in Österreich erfolgte aufgrund der Abweisung aus diesem Grund nicht. Die mit dem angefochtenen Bescheid erlassene Rückkehrentscheidung wurde ersatzlos behoben, da die mit Bescheid der Landespolizeidirektion Wien vom 22.08.2013 gegen den Beschwerdeführer erlassene und mit einem Einreiseverbot verbundene Rückkehrentscheidung noch aufrecht sei.

Am 21.11.2017 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 und legte seinem Antrag unter anderem eine schriftliche Antragsbegründung, Nachweise seines Einkommens aus Zeitungszustelltätigkeiten im Jahr 2017, ein Prüfungszeugnis des Österreichischen Integrationsfonds auf dem Niveau B1 vom 27.02.2016, einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag vom 27.06.2017 für eine Tätigkeit als Lenker bei einem Transportunternehmen mit einem Beschäftigungsausmaß von vierzig Stunden pro Woche und einer Entlohnung von 1.450,00 Euro brutto pro Monat, seine österreichische e-Card und einen Wohnungsmietvertrag in Kopie vom 01.10.2016 bei. In der schriftlichen Antragsbegründung wurde insbesondere ausgeführt, dass sich der Beschwerdeführer seit über vierzehn Jahren im Bundesgebiet befinde, sich gute Deutschkenntnisse angeeignet habe, krankenversichert sei und über eine ortsübliche Unterkunft verfüge sowie als Zeitungszusteller tätig und selbsterhaltungsfähig sei.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Einreise bzw. dem seitdem durchgehenden Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus dem Akteninhalt in Verbindung mit einer Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister.

Die Feststellungen zum Bescheid der Landespolizeidirektion Wien vom 22.08.2013 sowie zum Berufungsbescheid des vormals zuständigen Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 18.11.2013 ergeben sich aus den jeweiligen, im Verwaltungsakt einliegenden Entscheidungen (AS 266ff und 288ff).

Die Feststellungen zur Stellung eines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „in besonderes berücksichtigungswürdigen Fällen“ gemäß § 56 Abs. 1 AsylG 2005 vom 08.07.2014, dessen Abweisung mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.01.2015 sowie der diesbezüglichen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 31.10.2017 ergeben sich aus dem im Verwaltungsakt einliegenden Antrag bzw. den im Verwaltungsakt einliegenden Entscheidungen (AS 305ff, 355ff und 426ff).

Die Feststellungen zur Stellung des gegenständlichen Antrages samt Vorlage der genannten Unterlagen ergeben sich aus dem im Verwaltungsakt einliegenden Antrag selbst (AS 433ff).

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Die Beschwerde ist zulässig und rechtzeitig.

3.2. Zu A) Abweisung der Beschwerde:

3.2.2. Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erreicht wird (Z 2). Liegt nur die Voraussetzung des § 55 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 vor, ist gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.

Gemäß § 58 Abs. 10 erster Satz AsylG 2005 sind Anträge gemäß § 55 AsylG 2005 als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht.

Gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Sache des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht und äußerster Rahmen seiner Prüfbefugnis ist nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des bei ihm angefochtenen Bescheides gebildet hat (vgl. etwa VwGH 29.01.2020, Ra 2018/08/0234, Rn 23, mwN). Hat die Behörde einen Antrag zurückgewiesen, ist Sache eines Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht ausschließlich die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung (vgl. in diesem Sinn etwa VwGH 04.07.2019, Ra 2017/06/0210, Rn 17, mwN).

„Sache“ im Sinne des § 28 Abs. 2 VwGVG und demnach Gegenstand des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht ist daher im vorliegenden Fall die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung des Antrages vom 21.11.2017 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG.

3.2.3. Im gegenständlichen Fall hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im angefochtenen Bescheid das Vorliegen der Voraussetzungen der Zurückweisung des gegenständlichen Antrags auf Grund des § 58 Abs. 10 erster Satz AsylG 2005 bejaht, da gegen den Beschwerdeführer eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vom 22.08.2013 bestehe und sich die familiären Verhältnisse des Beschwerdeführers nicht sowie die privaten Verhältnisse des Beschwerdeführers sich nur gering geändert hätten und nicht geeignet seien, einen geänderten Sachverhalt herbeizuführen, wodurch eine neuerliche Prüfung des Art. 8 EMRK zu unterbleiben habe.

Dieser Ansicht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ist nicht beizutreten:

Der Verwaltungsgerichtshof hat ausgesprochen, dass § 58 Abs. 10 AsylG 2005 bestimme, dass Anträge gemäß § 55 AsylG 2005 als unzulässig zurückzuweisen seien, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen worden sei und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG 2014 ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art 8 EMRK erforderlich mache, nicht hervorgehe. Nach dieser Judikatur liege ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht erst dann vor, wenn der vorgebrachte Sachverhalt auch konkret dazu führe, dass nunmehr der begehrte Aufenthaltstitel erteilt werden müsste. Vielmehr läge ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nur dann nicht vor, wenn die geltend gemachten Umstände von vornherein keine solche Bedeutung aufgewiesen hätten, die eine Neubeurteilung aus dem Blickwinkel des Art 8 EMRK geboten hätte. Nur in einem solchen Fall sei eine – der Sache nach der Zurückweisung wegen entschiedener Sache nachgebildete – Zurückweisung gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 zulässig (VwGH vom 12.11.2015, Ra 2015/21/0101). In der zuletzt zitierten Entscheidung hat der Verwaltungsgerichtshof unter anderem betont, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl schon wegen der zusätzlichen Aufenthaltsdauer von etwa dreieinhalb Jahren und wegen der in dieser Zeit erlangten integrationsbegründenden Umstände am Maßstab der ständigen Rechtsprechung im Ergebnis zu Recht vom Vorliegen von einer eine neue Abwägung gemäß Art 8 EMRK erforderlich machenden Sachverhaltsänderung ausgegangen sei.

Im vorliegenden Fall sind seit Erlass der vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ins Treffen geführten, gegen den Beschwerdeführer bestehenden, rechtskräftigen Rückkehrentscheidung vom 22.08.2013 bis zur Entscheidung über den gegenständlichen Antrag des Beschwerdeführers vom 21.11.2017 mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.04.2018 über vier Jahre vergangen. Der Beschwerdeführer hat seinem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005 zudem eine schriftliche Begründung sowie zahlreiche, zu diesem Zeitpunkt aktuelle und nach dem Zeitpunkt der Erlassung der gegen ihn bestehenden, rechtskräftigen Rückkehrentscheidung vom 22.08.2013 gesetzte Integrationsschritte betreffende Unterlagen in Vorlage gebracht (siehe oben; insbesondere Nachweise seines Einkommens aus Zeitungszustelltätigkeiten im Jahr 2017, ein Prüfungszeugnis des Österreichischen Integrationsfonds auf dem Niveau B1 vom 27.02.2016, einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag vom 27.06.2017 für eine Tätigkeit als Lenker bei einem Transportunternehmen mit einem Beschäftigungsausmaß von vierzig Stunden pro Woche und einer Entlohnung von 1.450,00 Euro brutto pro Monat, seine österreichische e-Card und einen Wohnungsmietvertrag in Kopie vom 01.10.2016). Diese Umstände wurden im Vorverfahren in der nach Art. 8 EMRK vorzunehmenden Interessenabwägung noch nicht berücksichtigt und ist aufgrund dieser Umstände sowie unter Einbeziehung des Zeitraumes von über vier Jahren zwischen der vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ins Treffen geführten Rückkehrentscheidung vom 22.08.2013 und der Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers vom 21.11.2017 mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.04.2018 (auch in Anbetracht des nunmehr deutlich mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthaltes des Beschwerdeführers) eine zu Gunsten des Beschwerdeführers vorzunehmende Interessenabwägung nach Art 8 EMRK nicht von vornherein ausgeschlossen.

Entgegen der Ansicht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl liegt somit ein maßgeblich geänderter Sachverhalt vor, der eine Neubeurteilung aus dem Blickwinkel des Art 8 EMRK erforderlich macht (vgl. dazu die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

Bei einer Gesamtbetrachtung der dargestellten Umstände ist eine abweichende Beurteilung nach Art 8 EMRK im vorliegenden Fall nicht jedenfalls ausgeschlossen und erwies sich eine Zurückweisung nach § 58 Abs. 10 AsylG 2005 daher als unzulässig.

Für das vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in weiterer Folge fortzusetzende Verfahren ergibt sich, dass durch die im vorliegenden Fall gebotene Aufhebung des angefochtenen Bescheides der verfahrensgegenständliche Antrag des Beschwerdeführers wieder unerledigt ist; über diesen Antrag wird das Bundesamt diesmal in der Sache selbst abzusprechen haben.

3.3. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn (Z 1) der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder (Z 2) die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist. Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt ist und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die für die gegenständliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorliegen.

3.4. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl. dazu die jeweils in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur, (insb. zur gewichtigen Gefährdung öffentlicher Interessen durch beharrliches illegales Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens VwGH 31.10.2002, Zl. 2002/18/0190). Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgekommen.

Schlagworte

Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK geänderte Verhältnisse Integration Interessenabwägung Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W220.1244609.3.00

Im RIS seit

27.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

27.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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