Entscheidungsdatum
14.09.2020Norm
AlVG §33Spruch
W238 2230669-1/8E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Claudia MARIK als Vorsitzende sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Martin EGGER und Mag. Robert STEIER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Wien Esteplatz vom 15.01.2020, VN XXXX , nach Beschwerdevorentscheidung vom 27.03.2020, GZ XXXX , betreffend Abweisung des Antrags auf Zuerkennung von Notstandshilfe beschlossen:
A) Die Beschwerdevorentscheidung wird gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
1. Der nunmehrige Beschwerdeführer stellte am 07.01.2020 beim Arbeitsmarktservice Wien Esteplatz (im Folgenden: AMS) einen Antrag auf Notstandshilfe.
2. Mit Bescheid des AMS Wien Esteplatz vom 15.01.2020 wurde dem Antrag gemäß § 33 Abs. 2 iVm §§ 38, 7, 9 Abs. 1 AlVG mangels Arbeitswilligkeit keine Folge gegeben. Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seit 26.07.2019 (Einstellung der Leistung mit Bescheid vom 14.08.2019) keine nachhaltige Beschäftigung aufgenommen habe, weshalb Arbeitswilligkeit nach wie vor nicht bestehe.
3. In der gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobenen Beschwerde führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, dass keine Arbeitsunwilligkeit vorliege, zumal er schon seit längerem keine Stellenangebote vom AMS erhalten habe und sein Berater die Zusammenarbeit mit ihm verweigere. Ihm sei zuletzt im Zuge einer persönlichen Vorsprache am 07.01.2020 versichert worden, dass alles in Ordnung sei; er habe dann einen Kontrollmeldetermin für den 20.01.2020 erhalten, sei jedoch an diesem Tag von seinem Berater ohne ersichtlichen Grund abgewiesen worden.
4. Seitens des AMS Wien Esteplatz wurde mit Bescheid vom 27.03.2020 eine Beschwerdevorentscheidung erlassen, mit der die Beschwerde gemäß §§ 33 Abs. 2, 38, 7, 9 Abs. 1 iVm § 14 VwGVG und § 56 AlVG abgewiesen wurde. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seit 02.11.2011 mit kurzen Unterbrechungen im Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung stehe. Ihm seien im Zeitraum vom 28.06.2017 bis einschließlich 30.07.2019 34 Stellenvorschläge ausgefolgt worden, wobei es in keinem Fall zu einer Anstellung gekommen sei. Zudem sei es bereits zweimal zur rechtskräftigen Verhängung einer Sanktion nach § 10 AlVG gekommen (Bescheid vom 15.10.2018 in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 03.01.2018, Bescheid vom 08.05.2019 in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 13.06.2019). Zuletzt sei die Notstandshilfe nach einer unterbliebenen Bewerbung mit Bescheid vom 14.08.2019 in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 04.11.2019 mangels Arbeitswilligkeit ab 26.07.2019 eingestellt worden. Am 07.01.2020 sei der gegenständliche Antrag auf Zuerkennung der Notstandshilfe gestellt worden. Der Beschwerdeführer habe durch sein bisheriges Verhalten jedoch seine Arbeitsunwilligkeit unter Beweis gestellt. Um eine neuerlich vorliegende Arbeitswilligkeit nachzuweisen, müsste der Beschwerdeführer eine nachhaltige vollversicherte Beschäftigung aufnehmen, was bislang nicht erfolgt sei; die bloße Erklärung der Arbeitswilligkeit reiche nicht aus, weshalb der Antrag auf Zuerkennung der Notstandshilfe abzuweisen sei.
5. Der Beschwerdeführer brachte einen als Einspruch bezeichneten Vorlageantrag ein, in dem er ausführte, dass der dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegende Sachverhalt nicht der Wahrheit entspreche und von seinem bisherigen Berater, der mittlerweile offenbar aufgrund zahlreicher Beschwerden versetzt worden sei, erfunden sei. Der Beschwerdeführer sei nach wie vor bereit, jede ihm zumutbare Tätigkeit anzunehmen. Trotz zahlreicher Bewerbungen sei es bis dato leider noch zu keiner Anstellung gekommen.
6. Die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben des AMS vom 05.05.2020 vorgelegt.
7. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.05.2020 wurde die belangte Behörde zur Stellungnahme aufgefordert, ob und aus welchen Erwägungen das AMS davon ausgehe, dass der Bescheid vom 14.08.2019 in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 04.11.2019 betreffend Einstellung der Notstandshilfe ab 26.07.2019 Rechtswirkungen in Bezug auf den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Zuerkennung der Notstandshilfe vom 07.01.2020 auslöse. Hingewiesen wurde darauf, dass das diesbezügliche Beschwerdeverfahren seit 13.12.2019 beim Bundesverwaltungsgericht zu Zahl W121 2226608-1 anhängig sei. Soweit ersichtlich, sei der diesbezüglichen Beschwerde die aufschiebende Wirkung nicht aberkannt worden. Der Bescheid vom 14.08.2019 in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 04.11.2019 sei derzeit sohin weder rechtskräftig noch durchsetzbar.
8. Die belangte Behörde erstattete am 15.06.2020 eine Stellungnahme, in der auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Arbeitsunwilligkeit Bezug genommen sowie (erneut) auf die bislang erfolglos gebliebenen Vermittlungsvorschläge und die gegen den Beschwerdeführer verhängten Sanktionen hingewiesen wurde.
9. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.06.2020 wurde die belangte Behörde erneut zur Stellungnahme aufgefordert, dies vor dem Hintergrund, dass die Fragen des Bundesverwaltungsgerichtes nicht bzw. nicht hinreichend beantwortet wurden.
10. Mit Eingabe der belangten Behörde vom 03.07.2020 wurde lediglich auf die Stellungnahme vom 15.06.2020 verwiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer stand nach einer Beschäftigung vom 24.06.2011 bis 31.10.2011 vom 05.11.2011 bis 31.07.2018 sowie nach einer Beschäftigung vom 01.08.2018 bis 13.09.2018 im Bezug der Notstandshilfe.
Mit Bescheid vom 15.10.2018 in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 03.01.2018 sprach das AMS Wien Esteplatz gemäß § 10 iVm § 38 AlVG den Verlust des Anspruchs der Notstandshilfe für den Zeitraum vom 12.10.2018 bis 06.12.2018 aus. Begründet wurde dies damit, dass der Beschwerdeführer nicht im erforderlichen Ausmaß Eigeninitiative zur Beendigung der Arbeitslosigkeit gezeigt habe. Der vom Beschwerdeführer eingebrachte Vorlageantrag wurde von der Behörde mit Bescheid vom 04.04.2019 gemäß § 15 Abs. 1 VwGVG als verspätet zurückgewiesen.
Mit Bescheid vom 08.05.2019 in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 13.06.2019 sprach das AMS Wien Esteplatz gemäß § 10 iVm § 38 AlVG den Verlust des Anspruchs der Notstandshilfe für den Zeitraum vom 17.04.2019 bis 11.06.2019 aus. Begründet wurde dies damit, dass sich der Beschwerdeführer nicht für die ihm zugewiesene Stelle als Plakatierer beworben habe. Die vom Beschwerdeführer erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.02.2020, W198 2220742-1/8E, als unbegründet abgewiesen.
Mit Bescheid vom 14.08.2019 in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 04.11.2019 stellte das AMS Wien Esteplatz gemäß §§ 33 Abs. 2, 24 Abs. 1, 7, 9 Abs. 1 iVm § 38 AlVG die Notstandshilfe mangels Arbeitswilligkeit ab 26.07.2019 ein. Begründet wurde dies damit, dass sich der Beschwerdeführer nicht nachweislich für eine Stelle als Küchengehilfe beworben habe. Da es sich um die dritte gleichgelagerte Sanktion innerhalb eines Jahres handle, sei der Leistungsbezug einzustellen. Die dagegen erhobene Beschwerde ist beim Bundesverwaltungsgericht zu Zahl W121 2226608-1 anhängig. Die aufschiebende Wirkung der Beschwerde wurde nicht ausgeschlossen. XXXX .
Bis zum 06.01.2020 wurde dem Beschwerdeführer die Notstandshilfe in Folge der aufschiebenden Wirkung seiner Beschwerde (bis zum Erreichen des Höchstausmaßes) weiter ausbezahlt.
Am 07.01.2020 stellte der Beschwerdeführer den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Zuerkennung der Notstandshilfe, dem mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid (unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Einstellung der Leistung mit Bescheid vom 14.08.2019) mangels Arbeitswilligkeit keine Folge gegeben wurde.
Der Beschwerdeführer ist sowohl im Zeitpunkt der Antragstellung als auch im Zeitpunkt dieser Entscheidung als arbeitswillig anzusehen.
Hinsichtlich der übrigen Voraussetzungen für die Zuerkennung von Notstandshilfe hat die belangte Behörde keinerlei Ermittlungen gepflogen und auch keine Berechnung der Höhe eines allfälligen Anspruchs vorgenommen.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen über den bisherigen Bezug der Notstandshilfe, vorangegangene Verfahren und die neuerliche Antragstellung basieren auf dem unzweifelhaften Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes sowie hinsichtlich des Beschwerdeverfahrens zu Zahl W121 2226608-1 auch auf die Durchsicht des dortigen Aktes, wobei die belangte Behörde im Zuge des gegenständlichen Verfahrens nicht vorgebracht hat, dass die aufschiebende Wirkung der gegen die Einstellung des Leistungsbezuges erhobenen Beschwerde ausgeschlossen wurde.
Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer sowohl im Zeitpunkt der Antragstellung als auch im Zeitpunkt dieser Entscheidung als arbeitswillig anzusehen ist, ergibt sich daraus, dass dieser – dem Akteninhalt zufolge – seine generelle Arbeitsunwilligkeit zu keinem Zeitpunkt erklärte. Vielmehr wurde in der Beschwerde und im Vorlageantrag hinreichend klar zum Ausdruck gebracht, dass der Beschwerdeführer zur Aufnahme einer ihm zumutbaren Beschäftigung bereit ist. Soweit die belangte Behörde den Standpunkt vertritt, dass der Beschwerdeführer mit Blick auf die – wie ausgeführt weder rechtskräftige noch durchsetzbare – Einstellung des Leistungsbezuges ab 26.07.2019 seine „neuerlich vorliegende Arbeitswilligkeit“ durch Aufnahme einer nachhaltigen vollversicherten Beschäftigung „nachzuweisen“ habe, wird auf die nachfolgenden rechtlichen Ausführungen verwiesen.
Die Feststellung, dass die belangte Behörde hinsichtlich der übrigen Voraussetzungen für die Zuerkennung der Notstandshilfe keinerlei Ermittlungen gepflogen und auch keine Berechnung der Höhe eines allfälligen Anspruchs vorgenommen hat, konnte angesichts der auf die mangelnde Arbeitswilligkeit beschränkten Begründung des Bescheides (der Beschwerdevorentscheidung) sowie des (übrigen) Akteninhalts getroffen werden, der entsprechende Ermittlungen bzw. Ermittlungsergebnisse vermissen lässt.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch einen Senat unter Mitwirkung fachkundiger Laienrichter ergeben sich aus §§ 6, 7 BVwGG iVm § 56 Abs. 2 AlVG.
Zu A) Aufhebung und Zurückverweisung:
3.2. Die im gegenständlichen Fall maßgeblichen Bestimmungen des Arbeitslosenversicherungsgesetzes lauten wie folgt:
„Arbeitslosengeld
§ 7. (1) Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, wer
1. der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht,
2. die Anwartschaft erfüllt und
3. die Bezugsdauer noch nicht erschöpft hat.
(2) Der Arbeitsvermittlung steht zur Verfügung, wer eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf (Abs. 3) und arbeitsfähig (§ 8), arbeitswillig (§ 9) und arbeitslos (§ 12) ist.
(3) Eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf eine Person,
1. die sich zur Aufnahme und Ausübung einer auf dem Arbeitsmarkt üblicherweise angebotenen, den gesetzlichen und kollektivvertraglichen Vorschriften entsprechenden zumutbaren versicherungspflichtigen Beschäftigung bereithält,
2. die sich berechtigt im Bundesgebiet aufhält, um eine unselbständige Beschäftigung aufzunehmen und auszuüben sowie, wenn ihr eine unselbständige Beschäftigung nur nach Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung gestattet ist, keine dieser gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes, BGBl. Nr. 218/1975, entgegenstehenden wichtigen Gründe wie insbesondere wiederholte Verstöße infolge Ausübung einer Beschäftigung ohne Beschäftigungsbewilligung während der letzten zwölf Monate vorliegen.
…“
„Arbeitswilligkeit
§ 9. (1) Arbeitswillig ist, wer bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle oder einen vom Arbeitsmarktservice beauftragten, die Arbeitsvermittlung im Einklang mit den Vorschriften der §§ 2 bis 7 des Arbeitsmarktförderungsgesetzes (AMFG), BGBl. Nr. 31/1969, durchführenden Dienstleister vermittelte zumutbare Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis als Dienstnehmer im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG anzunehmen, sich zum Zwecke beruflicher Ausbildung nach- oder umschulen zu lassen, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen, von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen und von sich aus alle gebotenen Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung zu unternehmen, soweit dies entsprechend den persönlichen Fähigkeiten zumutbar ist.
…“
„Einstellung und Berichtigung des Arbeitslosengeldes
§ 24. (1) Wenn eine der Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld wegfällt, ist es einzustellen; wenn sich eine für das Ausmaß des Arbeitslosengeldes maßgebende Voraussetzung ändert, ist es neu zu bemessen. Die bezugsberechtigte Person ist von der amtswegigen Einstellung oder Neubemessung unverzüglich durch Mitteilung an die zuletzt bekannt gegebene Zustelladresse in Kenntnis zu setzen. Die bezugsberechtigte Person hat das Recht, binnen vier Wochen nach Zustellung der Mitteilung einen Bescheid über die Einstellung oder Neubemessung zu begehren. Wird in diesem Fall nicht binnen vier Wochen nach Einlangen des Begehrens ein Bescheid erlassen, so tritt die Einstellung oder Neubemessung rückwirkend außer Kraft und die vorenthaltene Leistung ist nachzuzahlen. Ein späterer Widerruf gemäß Abs. 2 und eine spätere Rückforderung gemäß § 25 werden dadurch nicht ausgeschlossen.
…“
„Notstandshilfe
Voraussetzungen des Anspruches
§ 33. (1) Arbeitslosen, die den Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Übergangsgeld erschöpft haben, kann auf Antrag Notstandshilfe gewährt werden.
(2) Notstandshilfe ist nur zu gewähren, wenn der (die) Arbeitslose der Vermittlung zur Verfügung steht (§ 7 Abs. 2 und 3) und sich in Notlage befindet.
(3) Notlage liegt vor, wenn dem Arbeitslosen die Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse unmöglich ist.
(4) Notstandshilfe kann nur gewährt werden, wenn sich der Arbeitslose innerhalb von fünf Jahren nach Erschöpfung des Anspruches auf Arbeitslosengeld oder Übergangsgeld um die Notstandshilfe bewirbt. Die vorstehende Frist verlängert sich darüber hinaus um Zeiträume gemäß § 15 und gemäß § 81 Abs. 10.“
„Allgemeine Bestimmungen
§ 38. Soweit in diesem Abschnitt nichts anderes bestimmt ist, sind auf die Notstandshilfe die Bestimmungen des Abschnittes 1 sinngemäß anzuwenden.“
3.3. Wie sich aus der Begründung des angefochtenen Bescheides vom 15.01.2020 und der Beschwerdevorentscheidung vom 27.03.2020 sowie aus der Stellungnahme vom 15.06.2020 unzweifelhaft ergibt, geht die belangte Behörde – in Verkennung der Rechtslage – davon aus, dass der Beschwerdeführer in Folge der Einstellung des Leistungsbezuges mangels Arbeitswilligkeit ab 26.07.2019 mit Bescheid vom 14.08.2019 in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 04.11.2019 seine „neuerlich vorliegende Arbeitswilligkeit“ durch Aufnahme einer nachhaltigen vollversicherten Beschäftigung „nachzuweisen“ habe.
Das Bundesverwaltungsgericht vertritt demgegenüber die Auffassung, dass die Einstellung des Leistungsbezuges mit Bescheid vom 14.08.2019 in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 04.11.2019 (noch) keine Rechtswirkungen zu entfalten vermag, da der Bescheid (die Beschwerdevorentscheidung) derzeit weder rechtskräftig noch durchsetzbar ist. Vielmehr ist die gegen die Einstellung des Leistungsbezuges erhobene Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung nicht aberkannt wurde, nach wie vor beim Bundesverwaltungsgericht anhängig. Die Einstellung des Leistungsbezuges ab 26.07.2019 aus dem Grund der mangelnden Arbeitswilligkeit hat daher bei der Beurteilung des verfahrensgegenständlichen Antrags vom 07.01.2020 außer Betracht zu bleiben.
3.4. Dies aus folgenden Gründen:
Voraussetzung für die Einstellung der Notstandshilfe mangels Arbeitswilligkeit gemäß § 24 Abs. 1 iVm § 38 AlVG ist die generelle Ablehnung der Annahme einer zumutbaren die Arbeitslosigkeit ausschließenden Beschäftigung. Hat eine binnen kurzer Zeit wiederholte Erfüllung des Tatbestands des § 9 AlVG – als Richtschnur können drei festgestellte Vereitelungshandlungen innerhalb eines Jahres gelten – zu temporären Verlusten der Notstandshilfe im Sinn des § 10 AlVG geführt, so kann der belangten Behörde nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie aus dem Verhalten des Arbeitslosen geschlossen hat, dass bei ihm eine generelle Ablehnung der Annahme zumutbarer Beschäftigungen vorliegt und es daher auf Dauer an der Arbeitswilligkeit mangelt. Lässt ein Arbeitsloser erkennen, dass er über einen längeren Zeitraum hinweg keine neue Arbeit anzunehmen gewillt ist, dann steht er der Arbeitsvermittlung in Wahrheit nicht zur Verfügung (VwGH 23.03.2015, Ro 2014/08/0023).
Wurde der Leistungsbezug des Arbeitslosen wegen Arbeitsunwilligkeit eingestellt, so reicht jedenfalls die bloße Erklärung des Arbeitslosen, (wieder) arbeitswillig zu sein, für die Annahme der Wiedererlangung der Arbeitswilligkeit gemäß § 9 AlVG nicht aus. Die wieder gegebene, nachhaltige Bereitschaft, eine Arbeit anzunehmen, kann in einem solchen Fall zum Beispiel dadurch dokumentiert werden, dass tatsächlich ein Beschäftigungsverhältnis angetreten wird (vgl. etwa VwGH 21.11.2007, 2006/08/0292; 28.06.2006, 2005/08/0128). Wieder gegebene Arbeitswilligkeit kann sich auch dadurch zeigen, dass der Arbeitslose nachhaltige und zielgerichtete Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung nachweist (VwGH 21.11.2007, 2006/08/0292).
Eine derart strenge Prüfung der (wieder gegebenen) Arbeitswilligkeit im Zuge einer erneuten Antragstellung des Arbeitslosen setzt somit voraus, dass die Leistung zuvor mangels Arbeitswilligkeit (rechtskräftig und durchsetzbar) eingestellt wurde:
Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur generellen Arbeitsunwilligkeit geht davon aus, dass (bei Vorliegen der Voraussetzungen) zunächst die Einstellung des Leistungsbezuges mangels Arbeitswilligkeit zu verfügen ist und sodann (nach Wegfall dieser Voraussetzung) im Falle einer neuerlichen Antragstellung für die Annahme der Wiedererlangung der Arbeitswilligkeit entsprechende Nachweise seitens des Arbeitslosen zu erforderlich sind.
Genau dies ist gegenständlich aber nicht der Fall: Es besteht derzeit keine rechtskräftige durchsetzbare Einstellung der Notstandshilfe mangels Arbeitswilligkeit, die – in Folge des Wegfalls dieser Erteilungsvoraussetzung – rechtfertigen würde, dass der Beschwerdeführer die Wiedererlangung der Arbeitswilligkeit qualifiziert nachweisen müsste. Die belangte Behörde war in Folge der Anhängigkeit der – ex lege mit aufschiebender Wirkung ausgestatteten – Beschwerde gegen die Einstellung der Leistung beim Bundesverwaltungsgericht daran gehindert, Rechtswirkungen an den Einstellungsbescheid zu knüpfen (vgl. demgegenüber zur Rechtslage vor Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 etwa VwGH 08.10.2013, 2012/08/0197 Rz 12).
Um die Anspruchsvoraussetzung der Arbeitswilligkeit zu erfüllen, war daher eine entsprechende Erklärung des Beschwerdeführers ausreichend. Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt, brachte der Beschwerdeführer seine Arbeitswilligkeit zum Ausdruck. Daran vermag auch der Verweis der belangten Behörde auf zwei rechtskräftige Sanktionen nach § 10 AlVG und bisher erfolglos gebliebene Vermittlungsvorschläge nichts zu ändern.
Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass der Beschwerdeführer als arbeitswillig gemäß § 9 Abs. 1 AlVG anzusehen ist. Bei Vorliegen der übrigen Anspruchsvoraussetzungen hat er einen Anspruch auf Notstandshilfe.
Für eine abschließende Beurteilung des die Sache des Verwaltungsverfahrens bildenden Antrags des Beschwerdeführers vom 07.01.2020 wäre jedoch eine Prüfung der weiteren Voraussetzungen für die Zuerkennung von Notstandshilfe einschließlich der Ermittlung des Anfallstages, der Bezugsdauer und der Höhe eines allfälligen Notstandshilfebezuges erforderlich.
3.5. Befugnis zur Kassation
Gemäß Art. 130 Abs. 4 B-VG hat das Verwaltungsgericht in Rechtssachen nach Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG (außer Verwaltungsstrafsachen) dann in der Sache zu entscheiden, wenn (1.) der maßgebliche Sachverhalt feststeht, oder wenn (2.) die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. § 28 Abs. 2 VwGVG wiederholt diese Anordnung auf einfachgesetzlicher Ebene. § 28 Abs. 3 erster Satz VwGVG sieht die Entscheidung in der Sache vor, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, sofern nicht die belangte Behörde einer Entscheidung in der Sache bei Vorlage der Beschwerde (unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens) widerspricht.
Für den Fall, dass die Behörde „notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen“ hat, kommt dem Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG unter den durch die Judikatur präzisierten Voraussetzungen die Befugnis zu, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, dessen Succus in zahlreichen nachfolgenden Entscheidungen des Höchstgerichts wiederholt wurde, hat die meritorische Entscheidungspflicht des Verwaltungsgerichtes Vorrang und bildet die Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme, deren Inanspruchnahme begründungspflichtig ist und die strikt auf den ihr gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist. Zur Aufhebung und Zurückverweisung ist das Verwaltungsgericht bei „krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken“ befugt, was insbesondere dann der Fall ist, wenn die Verwaltungsbehörde „jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen“, „lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt“ oder „bloß ansatzweise ermittelt“ hat oder wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Behörde „Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer ‚Delegierung‘ der Entscheidung ...)“.
3.6. Im vorliegenden Verfahren ergibt sich, dass die belangte Behörde bloß ansatzweise ermittelt hat.
„Sache“ des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht ist – ungeachtet des durch § 27 VwGVG vorgegebenen Prüfumfanges – nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs der vor dem Verwaltungsgericht belangten Verwaltungsbehörde gebildet hat (VwGH 09.09.2015, Ro 2015/03/0032, mwN). Das Verwaltungsgericht hat also die Angelegenheit zu entscheiden, die von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war (vgl. VwGH 27.08.2014, Ro 2014/05/0062; 27.01.2016, Ra 2014/10/0038).
Vorliegend hatte die belangte Behörde über den Antrag des Beschwerdeführers vom 07.01.2020 auf Zuerkennung der Notstandshilfe zu entscheiden. Dass sie die Abweisung des Antrags im Spruch des angefochtenen Bescheides ausdrücklich auf die mangelnde Arbeitswilligkeit gestützt hat, vermag den Gegenstand des Verwaltungsverfahrens nicht einzuschränken.
Bei der nun erstmals festgestellten Erfüllung der Anspruchsvoraussetzung der Arbeitswilligkeit handelt es sich aber nur um eine von mehreren im AlVG normierten Voraussetzungen für die vom Beschwerdeführer begehrte Gewährung der Notstandshilfe.
Da die belangte Behörde Arbeitswilligkeit demgegenüber als nicht gegeben erachtete, nahm sie – wohl unter verfahrensökonomischen Gesichtspunkten – von der Prüfung der weiteren Anspruchsvoraussetzungen Abstand.
Zur Erreichung der Entscheidungsreife hinsichtlich des Antrags auf Zuerkennung von Notstandshilfe bedürfte es Ermittlungen hinsichtlich der übrigen gesetzlich geregelten Anspruchsvoraussetzungen, des Anfallstages und der Bezugsdauer sowie einer Berechnung der Höhe der allenfalls zustehenden Notstandshilfe. Diesbezüglich finden sich im Verwaltungsakt keinerlei Ermittlungsergebnisse des AMS. Vielmehr wurde hinsichtlich der Prüfung der weiteren Voraussetzungen für die Zuerkennung von Notstandshilfe jegliche Ermittlungstätigkeit der belangten Behörde unterlassen. Die derzeit vorliegenden Ermittlungen könnten eine abschließende Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch auf Zuerkennung von Notstandshilfe nicht ansatzweise tragen, weshalb das Bundesverwaltungsgericht die Befugnis zur Zurückverweisung der Angelegenheit in Einklang mit der Rechtsprechung in Anspruch nimmt (vgl. zu einem vergleichbaren Fall etwa auch VwGH 06.07.2016, Ro 2016/08/0008).
3.7. Die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht selbst ist nicht im Interesse der Raschheit gelegen, weil nichts darauf hindeutet, dass die erforderliche Feststellung durch das Bundesverwaltungsgericht, verglichen mit der Feststellung durch die belangte Behörde nach Zurückverweisung mit einem Zeitgewinn verbunden wäre. Es liegt auch kein Anhaltspunkt dafür vor, dass die Feststellung durch das Bundesverwaltungsgericht im Vergleich zur Feststellung durch die Verwaltungsbehörde mit einer „erheblichen Kostenersparnis“ verbunden wäre. Nicht zuletzt ergeht der h.g. Beschluss auch unter Berücksichtigung des Rechtsschutzinteresses des Beschwerdeführers, dem im Falle einer (im fortgesetzten Verfahren) nicht vollinhaltlich stattgebenden Entscheidung des AMS über sein Anbringen (etwa auch bezüglich des Ausmaßes der Leistung) erneut die Möglichkeit offen stünde, Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht zu erheben, zumal den Verwaltungsgerichten (anders als den Höchstgerichten) volle Kognitionsbefugnis auch in tatsächlicher Hinsicht zukommt.
3.8. Ergebnis
Zusammengefasst ging die belangte Behörde zu Unrecht von einer generellen Arbeitsunwilligkeit des Beschwerdeführers aus, sodass die Beschwerdevorentscheidung, die dem Ausgangsbescheid endgültig derogiert hat (VwGH 17.12.2015, Ro 2015/08/0026), aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen (Ausgangs-)Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen war.
Das AMS wird im fortgesetzten Verfahren zu prüfen haben, ob der Beschwerdeführer die übrigen Voraussetzungen für die Zuerkennung der Notstandshilfe erfüllt, und gestützt auf die Ermittlungsergebnisse – nach Gewährung von Parteiengehör – einen neuen Bescheid zu erlassen bzw. die Leistung in der im gesetzlichen Ausmaß zustehenden Höhe zu gewähren haben.
Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass die belangte Behörde nach § 28 Abs. 3 letzter Satz VwGVG an die rechtliche Beurteilung durch das Bundesverwaltungsgericht gebunden ist, was im konkreten Fall bedeutet, dass dem Beschwerdeführer die Notstandshilfe nicht erneut unter Hinweis auf seine mangelnde Arbeitswilligkeit verwehrt werden darf, es sei denn, es käme im Zeitpunkt der Erlassung eines neuen Bescheides zu einer Änderung der entscheidungsmaßgeblichen Umstände (z.B. Eintritt der Durchsetzbarkeit und Rechtskraft der Entscheidung über die Einstellung des Leistungsbezuges mangels Arbeitswilligkeit).
3.9. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung
Im vorliegenden Beschwerdefall nimmt das Bundesverwaltungsgericht von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG Abstand, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid „aufzuheben“ war. Dieser Tatbestand ist auch auf Beschlüsse zur Aufhebung und Zurückverweisung anwendbar (vgl. zur gleichartigen früheren Rechtslage Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 22). Bei der Ermessensübung war dabei auch ausschlaggebend, dass es der Prozessökonomie und dem Sinn der gesetzlichen Ermächtigung zur Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG jedenfalls entspricht, dass der Aufhebungsbeschluss gefasst wird, wenn sich die grobe Ermittlungslücke bereits aus der Aktenlage und damit noch vor Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergibt. Die Abstandnahme von der Verhandlung steht diesfalls nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg. 18.725/2009) auch im Einklang mit dem einschlägigen Grundrecht nach Art. 6 EMRK (und folglich auch dem insofern – zufolge Art. 52 Abs. 3 GRC – mit gleichen Rechtsfolgen ausgestatteten Art. 47 GRC).
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (s. die unter Pkt. II.3.4. bis II.3.6. zitierte Rechtsprechung); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich anzusehen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Anspruchsvoraussetzungen Arbeitswilligkeit Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung NotstandshilfeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W238.2230669.1.00Im RIS seit
27.11.2020Zuletzt aktualisiert am
27.11.2020