TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/17 W198 2188759-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.09.2020
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Entscheidungsdatum

17.09.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W198 2188759-1/47E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Karl SATTLER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den Rechtsanwalt Mag. Georg BÜRSTMAYR, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.02.2018,
Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.04.2019 und am 01.09.2020, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß
§ 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides gemäß
§ 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

III. Die Rückkehrentscheidung wird in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß
§ 9 BFA-VG idgF auf Dauer für unzulässig erklärt und XXXX gemäß § 55 Abs. 1 Z 1 und Z 2 und § 54 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, hat sein Heimatland verlassen, ist illegal in das Bundesgebiet eingereist und hat am 29.06.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

2. Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 29.06.2015 gab der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund an, dass der ältere Bruder seines Vaters bei den Taliban gewesen sei und den Vater des Beschwerdeführers unter Druck gesetzt habe. Aus diesem Grund sei der Vater des Beschwerdeführers im Jahr 2002 nach Pakistan geflüchtet. 2010 sei der ältere Bruder des Vaters des Beschwerdeführers bei einer Bombenexplosion gestorben. Der jüngere Bruder des Vaters des Beschwerdeführers habe dann den Vater des Beschwerdeführers aufgefordert, sich den Taliban anzuschließen. Im Jahr 2011 sei der Vater des Beschwerdeführers getötet worden. Der Bruder des Beschwerdeführers habe den Tod seines Vaters rächen wollen. Aus diesem Grund habe er sich den Taliban angeschlossen und sei seitdem verschwunden. Der Onkel des Beschwerdeführers habe darauf bestanden, dass sich der Beschwerdeführer ebenfalls den Taliban anschieße. Er sei 10 Tage in einem Ausbildungslager gewesen. Nachdem er nachhause gekommen sei, habe ihn sein Onkel mütterlicherseits aus Afghanistan weggeschickt.

3. In einem Gutachten zur Altersfeststellung des Beschwerdeführers vom 16.10.2015 wurde der XXXX als spätestmögliches Geburtsdatum des Beschwerdeführers festgestellt.

4. Der Beschwerdeführer wurde am 21.07.2016 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, dass er aus der Provinz Paktia stamme. Von 2002 bis 2015 habe er in Pakistan gelebt. Zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates befragt, führte der Beschwerdeführer aus, dass seine ganze Familie den Taliban angehören würde. Sein Vater sei auch bei den Taliban gewesen und im Zuge von Kampfhandlungen getötet worden. Der Beschwerdeführer wolle nicht dasselbe Schicksal erleiden und sei deswegen ausgereist.

Der Beschwerdeführer wurde am 03.01.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu erneut niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, dass er im Jahr 2002 mit seiner Familie von Afghanistan nach Pakistan gezogen sei. Seine Mutter, seine Geschwister und seine Ehefrau hätten zum Zeitpunkt der Ausreise des Beschwerdeführers nach wie vor in Pakistan gelebt. Seine Familie sei bei den Taliban gewesen. Sein ältester Onkel väterlicherseits sei im Jahr 2010 getötet worden. Sein jüngerer Onkel väterlicherseits sei seit vielen Jahren ein Talib. Zehn Tage nach der Einreise des Beschwerdeführers in Österreich habe er mit seiner Mutter gesprochen und diese habe gesagt, dass der Onkel väterlicherseits des Beschwerdeführers die beiden jüngeren Brüder des Beschwerdeführers mitgenommen habe. Die Ehefrau des Beschwerdeführers sei schwanger gewesen; sie sei im Dorf überfallen und geschlagen worden und habe das Kind verloren. Der Beschwerdeführer selbst sei auch einige Male von seinem Onkel väterlicherseits mitgenommen worden, zuletzt habe er sich zehn Tage lang bei ihm aufgehalten. Als der Onkel den Beschwerdeführer den anderen Leuten vorgestellt habe, habe er stolz davon gesprochen, dass der Vater des Beschwerdeführers umgekommen sei und deshalb ein Held sei und dass der Beschwerdeführer auf demselben Weg wäre. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan hätte der Beschwerdeführer einerseits Angst vor den Taliban und seinem Onkel und andererseits vor den afghanischen Behörden.

5. Mit angefochtenem Bescheid vom 01.02.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs.1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu seinem Fluchtgrund, zur Situation im Falle seiner Rückkehr und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Es habe keine glaubhafte Gefährdungslage festgestellt werden können. Der Beschwerdeführer habe keine Verfolgung glaubhaft machen können. Dem Beschwerdeführer könne eine Rückkehr nach Afghanistan zugemutet werden.

6. Gegen verfahrensgegenständlich angefochtenen Bescheid wurde mit Schreiben der damaligen Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vom 02.03.2018 Beschwerde erhoben. Darin wurde ausgeführt, dass Teile der Familie des Beschwerdeführers mit den Taliban zusammengearbeitet hätten. Sein Onkel väterlicherseits habe darauf bestanden, dass sich der Beschwerdeführer ebenfalls den Taliban anschließe. Er habe Afghanistan verlassen, da er nicht für die Taliban kämpfen habe wollen. Im Falle einer Rückkehr würde er entweder durch den Staat als Teil einer Taliban-nahen Familie oder von den Taliban selbst verfolgt werden. Abgesehen davon wäre er im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Gruppe der verwestlichten jungen Männer ausgesetzt. In weiterer Folge wurde auf das Gutachten von Friederike Stahlmann verwiesen. Es wurde ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer Asyl, zumindest jedoch subsidiärer Schutz zu gewähren wäre.

7. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 09.03.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

8. Am 17.01.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Vollmachtsbekanntgabe und ergänzende Stellungnahme beim Bundesverwaltungsgericht ein. Darin wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan akut gefährdet wäre, wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe seiner Familie verfolgt zu werden. Es sei naheliegend, dass der Beschwerdeführer, dessen Familie mit den Taliban eng verbunden sei, von allen staatlichen Organen der Mitgliedschaft zu den Taliban verdächtigt würde.

9. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Schreiben vom 13.02.2019 der belangten Behörde die ergänzende Stellungnahme der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vom 16.01.2019 zur Stellungnahme übermittelt.

10. Am 20.02.2019 langte eine Stellungnahme der belangten Behörde beim Bundesverwaltungsgericht ein, in welcher auf die Ausführungen in der ergänzenden Stellungnahme der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vom 16.01.2019 repliziert wurde.

11. Am 20.03.2019 langte eine Mitteilung der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers beim Bundesverwaltungsgericht ein.

12. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.03.2019 wurden der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers auf deren Ersuchen diverse Dokumente (Länderinfo Afghanistan) übermittelt.

13. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.04.2019 an die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers wurde mitgeteilt, dass eine aktualisierte Form des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation – Afghanistan vom 29.06.2018 – Kurzinformation 26.03.2019 – vorliege.

14. Mit Urkundevorlage der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers, eingelangt am 05.04.2019, wurden Integrationsunterlagen betreffend den Beschwerdeführer übermittelt.

15. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Schreiben vom 09.04.2019 der belangten Behörde die Urkundevorlage vom 05.04.2019 übermittelt.

16. Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde in der gegenständlichen Rechtssache am 18.04.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein des Beschwerdeführers und seiner Rechtsvertretung, eines Vertreters der belangten Behörde sowie eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu durchgeführt.

17. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Erkenntnis vom 26.04.2019,
W198 21887559-1/14E, die Beschwerde gemäß §§ 3, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 55, 57 AsylG 2005 idgF., § 9 BFA-VG idgF., und §§ 52, 55 FPG idgF. als unbegründet abgewiesen.

18. Gegen dieses Erkenntnis wurde seitens des Beschwerdeführers außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben.

19. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 25.06.2020, Ra 2019/18/0237-8, das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.04.2019 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

20. Am 20.08.2020 langte eine mit 19.08.2020 datierte Stellungnahme der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers beim Bundesverwaltungsgericht ein. Mit dieser Stellungnahme wurden Integrationsunterlagen betreffend den Beschwerdeführer an das Bundesverwaltungsgericht übermittelt.

21. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Schreiben vom 21.08.2020 der belangten Behörde die Stellungnahme der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vom 19.08.2020 übermittelt.

22. Am 26.08.2020 langte eine mit 25.08.2020 datierte Stellungnahme der belangten Behörde beim Bundesverwaltungsgericht ein.

23. Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde in der gegenständlichen Rechtssache am 01.09.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein des Beschwerdeführers und seiner Rechtsvertretung, eines Vertreters der belangten Behörde sowie eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu durchgeführt. Im Zuge der Verhandlung wurden drei Personen als Zeugen einvernommen und hat der nichtamtliche Sachverständige Dr. Sarajuddin Rasuly ein Gutachten erstattet.

24. Die belangte Behörde gab mit Schriftsatz vom 02.09.2020 Anmerkungen betreffend das Verhandlungsprotokoll bekannt.

25. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Mitteilung vom 02.09.2020 der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers die Eingabe der belangten Behörde vom 02.09.2020 übermittelt.

26. Die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers gab mit Schriftsatz vom 04.09.2020 Anmerkungen betreffend das Verhandlungsprotokoll bekannt.

27. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Schreiben vom 07.09.2020 der belangten Behörde die Eingabe der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vom 04.09.2020 übermittelt.

28. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Schreiben vom 11.09.2020 der belangten Behörde sowie der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers die berichtigte Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 01.09.2020 samt Nachtrag vom 11.09.2020 übermittelt und wurde jeweils der Auftrag erteilt, die letzte Seite der nunmehr vorliegenden Niederschrift durch Einholung der Unterschrift zu ergänzen. Auch die Dolmetscherin sowie der nichtamtliche Sachverständige Dr. Sarajuddin Rasuly wurden aufgefordert, den Nachtrag zur Niederschrift zu unterschreiben.

29. Mit Urkundenvorlage vom 15.09.2020 wurden die Unterschriften des Beschwerdeführers sowie dessen Rechtsvertretung an das Bundesverwaltungsgericht übermittelt.

30. Die Unterschriften des Vertreters der belangten Behörde, der Dolmetscherin sowie des nichtamtlichen Sachverständige Dr. Sarajuddin Rasuly wurden durch deren persönliches Erscheinen am Bundesverwaltungsgericht geleistet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsbürger, geboren XXXX . Er wurde in der Provinz Paktia geboren, verließ im Jahr 2002 gemeinsam mit seiner Familie Afghanistan und hat in der Folge in Pakistan gelebt. Er hat in Pakistan traditionell geheiratet. Er hielt sich seit dem Jahr 2002 nicht mehr in Afghanistan auf.

Der Beschwerdeführer konnte keine Tazkira vorlegen. Somit steht seine Identität nicht zweifelsfrei fest.

Zum Zeitpunkt der Ausreise des Beschwerdeführers aus Pakistan lebten die Frau, die Mutter, die Geschwister sowie der Onkel mütterlicherseits des Beschwerdeführers nach wie vor in Pakistan. Er hat seit dem Jahr 2017 keinen Kontakt zu seinen Angehörigen. Der Beschwerdeführer hat keine Angehörigen in Afghanistan und verfügt dort über keine familiären oder sozialen Anknüpfungspunkte.

Der Beschwerdeführer ist volljährig. Er ist gesund und arbeitsfähig. Er ist Paschtune, ist sunnitischer Moslem und spricht Paschtu. Der Beschwerdeführer hat in Pakistan fünf Jahre lang die Schule besucht. Er hat zudem bei seinem Vater, der Mechaniker war, im Geschäft mitgearbeitet.

Der Beschwerdeführer befindet sich seit spätestens 29.06.2015 in Österreich. Er ist illegal in das Bundesgebiet eingereist. Es halten sich keine Familienangehörigen oder Verwandten des Beschwerdeführers in Österreich auf. Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer hat mehrere Deutschkurse besucht und mehrere Deutschprüfungen (zuletzt ÖSD Zertifikat Deutsch B2) abgelegt. Er hat die Übergangsstufe am XXXX besucht und besucht nunmehr die Bundeshandelsakademie und Bundeshandelsschule XXXX . Er hat den zweiten Jahrgang, nachdem er diesen Jahrgang wiederholt hat, mit gutem Erfolg abgeschlossen. Zudem besucht er eine Musikschule und nimmt Violine-Unterricht. Der Beschwerdeführer hat einen Werte- und Orientierungskurs besucht und nahm an zahlreichen integrativen Aktivitäten, Workshops und Modulen teil. Er ist seit 2017 ordentliches Mitglied beim Roten Kreuz und hat die Ausbildung zum Rettungssanitäter absolviert. Zudem ist er Mitglied bei den Pfadfindern sowie im Verein „ XXXX “ und im Verein „ XXXX “.

Der Beschwerdeführer verfügt seit 30.03.2020 über eine Gewerbeberechtigung (Hausbetreuung, bestehend in der Durchführung einfacher Reinigungstätigkeiten einschließlich objektbezogener einfacher Wartungstätigkeiten).

1.2. Zum Fluchtgrund

Der Beschwerdeführer war in Afghanistan keiner konkreten individuellen Verfolgung ausgesetzt und wurden von ihm keine asylrelevanten Gründe für das Verlassen seines Heimatstaates dargetan. Der Beschwerdeführer war nie einer konkret gegen seine Person gerichteten Verfolgung durch die Taliban bzw. die afghanische Regierung ausgesetzt. Weiters wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr keiner Bedrohung durch die Taliban bzw. die afghanische Regierung ausgesetzt wäre.

Dem Beschwerdeführer droht in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung keine Verfolgung.

Ein konkreter asylrelevanter Anlass für das Verlassen des Herkunftsstaates liegt nicht vor. Es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgungsgefahr ausgesetzt ist.

Der Beschwerdeführer wäre im Falle der Rückkehr wegen seines Aufenthalts in einem westlichen Land oder wegen seiner Wertehaltung in Afghanistan keinen psychischen oder physischen Eingriffen in seine körperliche Integrität ausgesetzt. Der Beschwerdeführer hat sich in Österreich keine Lebenseinstellung angeeignet, die einen nachhaltigen und deutlichen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt. Es liegt keine westliche Lebenseinstellung beim Beschwerdeführer vor, die wesentlicher Bestandteil seiner Persönlichkeit geworden ist, und die ihn in Afghanistan exponieren würde.

1.3. Zur Situation im Falle der Rückkehr:

Bei einer Rückkehr in die Provinz Paktia kann eine Verletzung körperlichen Unversehrtheit des Beschwerdeführers aufgrund der instabilen Sicherheitslage sowie der schlechten Erreichbarkeit dieser Provinz nicht ausgeschlossen werden.

Dem Beschwerdeführer ist eine Rückkehr in die Städte Mazar-e Sharif und Herat möglich und zumutbar. Die Wohnraum- und Versorgungslage ist in Kabul, Mazar-e Sharif und Herat sehr angespannt. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in den Städten Mazar-e Sharif und Herat kann der Beschwerdeführer jedoch grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und in Mazar-e Sharif und Herat einer Arbeit nachgehen und sich selber erhalten.

Es ist dem Beschwerdeführer möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in den Städten, Mazar-e Sharif und Herat Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Er ist in Pakistan im afghanischen Familienverband aufgewachsen und sozialisiert worden, sodass davon auszugehen ist, dass er mit den kulturellen und sozialen Gepflogenheiten Afghanistans hinreichend vertraut ist. Ferner spricht er die in Afghanistan verbreitete Sprache Paschtu. Er hat in Pakistan fünf Jahre die Schule besucht. Ferner hat er in Österreich die Übergangsstufe am XXXX besucht und besucht nunmehr die Bundeshandelsakademie und Bundeshandelsschule XXXX . Während seines Aufenthaltes in Pakistan hat er bei seinem Vater, der Mechaniker war, im Geschäft mitgearbeitet. In Österreich hat er eine Reinigungsfirma gegründet.

Es ist daher anzunehmen, dass der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat auch ohne familiäre Anknüpfungspunkte in der Lage sein wird, sich notfalls mit Hilfstätigkeiten ein ausreichendes Einkommen zu sichern. Zur Überbrückung allfälliger Anfangsschwierigkeiten besteht für ihn die Möglichkeit, Rückkehrhilfe in Anspruch zu kommen. Im Übrigen hat der Beschwerdeführer ein maßgebliches soziales Netzwerk hier in Österreich, welches ihn auch finanziell bei einer Rückkehr zumindest kurzfristig unterstützen wird. Im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan würde er sohin nicht in eine hoffnungslose Lage geraten.

Festgestellt wird, dass die aktuell vorherrschende Pandemie aufgrund des Corona-Virus kein Rückkehrhindernis darstellt. Der Beschwerdeführer ist gesund und gehört mit Blick auf sein Alter und das Fehlen physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde.

Im Falle einer Verbringung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat droht diesem kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in der Folge EMRK).

1.4. Zur Lage im Herkunftsstaat/ maßgebliche Situation in Afghanistan:

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2019). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Nichtsdestotrotz, hat die afghanische Regierung wichtige Transitrouten verloren (USDOD 12.2019).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten (BBC 1.4.2020). Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020).

Für den Berichtszeitraum 8.11.2019-6.2.2020 verzeichnete die UNAMA 4.907 sicherheitsrelevante Vorfälle – ähnlich dem Vorjahreswert. Die Sicherheitslage blieb nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurden in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die alle samt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen waren in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gingen die Kämpfe in den Wintermonaten – Ende 2019 und Anfang 2020 – zurück (UNGASC 17.3.2020).

Die Sicherheitslage im Jahr 2019

Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans weiterhin schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Der Resolute Support (RS) Mision (seit 2015 die Unterstützungsmission der NATO in Afghanistan) zufolge, waren für das Jahr 2019 29.083 feindlich-initiierte Angriffe landesweit zu verzeichnen. Im Gegensatz waren es im Jahr 2018 27.417 (SIGAR 30.1.2020). Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen – speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen – blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Die UNAMA (Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan) registrierte für das gesamte Jahr 2019 10.392 zivile Opfer, was einem Rückgang von 5% gegenüber 2018 entspricht (UNGASC 17.3.2020).

Seit Ende des Jahres 2019 haben Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente erheblich zugenommen. Im September 2019 fanden die afghanischen Präsidentschaftswahlen statt, in diesem Monat wurde auch die höchste Anzahl feindlicher Angriffe eines einzelnen Monats seit Juni 2012 und die höchste Anzahl effektiver feindlicher Angriffe seit Beginn der Aufzeichnung der RS-Mission im Januar 2010 registriert. Dieses Ausmaß an Gewalt setzte sich auch nach den Präsidentschaftswahlen fort, denn im Oktober 2019 wurde die zweithöchste Anzahl feindlicher Angriffe in einem Monat seit Juli 2013 dokumentiert. Betrachtet man jedoch das Jahr 2019 in dessen Gesamtheit, so waren scheinbar feindliche Angriffe, seit Anfang des Jahres, im Zuge der laufenden Friedensgespräche zurückgegangen. Nichtsdestotrotz führte ein turbulentes letztes Halbjahr zu verstärkten Angriffen feindlicher Elemente von insgesamt 6% und effektiver Angriffe von 4% im Jahr 2019 im Vergleich zu den bereits hohen Werten des Jahres 2018 (SIGAR 30.1.2020).

Zivile Opfer

Für das Jahr 2019 registrierte die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) als Folge des bewaffneten Konflikts 10.392 zivile Opfer (3.403 Tote und 6.989 Verletzte), was einen Rückgang um 5% gegenüber dem Vorjahr, aber auch die niedrigste Anzahl an zivilen Opfern seit dem Jahr 2013 bedeutet. Nachdem die Anzahl der durch ISKP verursachten zivilen Opfer zurückgegangen war, konnte ein Rückgang aller zivilen Opfer registriert werden, wenngleich die Anzahl ziviler Opfer speziell durch Taliban und internationale Streitkräfte zugenommen hatte. Im Laufe des Jahres 2019 war das Gewaltniveau erheblichen Schwankungen unterworfen, was auf Erfolge und Misserfolge im Rahmen der Friedensverhandlungen zwischen Taliban und den US-Amerikanern zurückzuführen war. In der ersten Jahreshälfte 2019 kam es zu intensiven Luftangriffen durch die internationalen Streitkräfte und Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte – insbesondere der Spezialkräfte des afghanischen Geheimdienstes NDS (National Directorate of Security Special Forces) (UNAMA 2.2020).

Aufgrund der Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte, gab es zur Jahresmitte mehr zivile Opfer durch regierungsfreundliche Truppen als durch regierungsfeindliche Truppen. Das dritte Quartal des Jahres 2019 registrierte die höchste Anzahl an zivilen Opfern seit 2009, was hauptsächlich auf verstärkte Anzahl von Angriffen durch Selbstmordattentäter und IEDs (improvisierte Sprengsätze) der regierungsfeindlichen Seite – insbesondere der Taliban – sowie auf Gewalt in Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen zurückzuführen ist. Das vierte Quartal 2019 verzeichnete, im Vergleich zum Jahr 2018, eine geringere Anzahl an zivilen Opfern; wenngleich sich deren Anzahl durch Luftangriffe, Suchoperationen und IEDs seit dem Jahr 2015 auf einem Rekordniveau befand (UNAMA 2.2020).

Die RS-Mission sammelt ebenfalls Informationen zu zivilen Opfern in Afghanistan, die sich gegenüber der Datensammlung der UNAMA unterscheiden, da die RS-Mission Zugang zu einem breiteren Spektrum an forensischen Daten und Quellen hat. Der RS-Mission zufolge, ist im Jahr 2019 die Anzahl ziviler Opfer in den meisten Provinzen (19 von 34) im Vergleich zum Jahr 2018 gestiegen; auch haben sich die Schwerpunkte verschoben. So verzeichneten die Provinzen Kabul und Nangarhar weiterhin die höchste Anzahl ziviler Opfer. Im letzten Quartal schrieb die RS-Mission 91% ziviler Opfer regierungsfeindlichen Kräften zu (29% wurden den Taliban zugeschrieben, 11% ISKP, 4% dem Haqqani-Netzwerk und 47% unbekannten Aufständischen). 4% wurden regierungsnahen/-freundlichen Kräften zugeschrieben (3% der ANDSF und 1% den Koalitionskräften), während 5% anderen oder unbekannten Kräften zugeschrieben wurden. Diese Prozentsätze entsprechen in etwa den RS-Opferzahlen für Anfang 2019. Als Hauptursache für zivile Opfer waren weiterhin improvisierte Sprengsätze (43%), gefolgt von direkten (25%) und indirekten Beschüssen (5%) verantwortlich – dies war auch schon zu Beginn des Jahres 2019 der Fall (SIGAR 30.1.2020).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl in den ersten fünf Monaten 2019, als auch im letzten Halbjahr 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 12.2019; vgl. USDOD 6.2019). Das Haqqani-Netzwerk führte von September bis zum Ende des Berichtszeitraums keine HPA in der Hauptstadtregion durch. Die Gesamtzahl der öffentlichkeitswirksamen Angriffe ist sowohl in Kabul als auch im ganzen Land in den letzten anderthalb Jahren stetig zurückgegangen (USDOD 12.2019). Zwischen 1.6.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17) (USDOD 12.2019), landesweit betrug die Zahl 88 (USDOD 12.2019).

Öffentlichkeitswirksame Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente setzten sich im Berichtszeitraum (8.11.2019-6.2.2020) fort: 8 Selbstmordanschläge wurden verzeichnet; im Berichtszeitraum davor (9.8.-7.11.2019) wurden 31 und im Vergleichszeitraum des Vorjahres 12 Selbstmordanschläge verzeichnet. Der Großteil der Anschläge richtetet sich gegen die ANDSF (afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte) und die internationalen Streitkräfte; dazu zählte ein komplexer Angriff der Taliban auf den Militärflughafen Bagram im Dezember 2019. Im Februar 2020 kam es in Provinz Nangarhar zu einem sogenannten „green-on-blue-attack“: der Angreifer trug die Uniform der afghanischen Nationalarmee und eröffnete das Feuer auf internationale Streitkräfte, dabei wurden zwei US-Soldaten und ein Soldat der afghanischen Nationalarmee getötet. Zu einem weiteren Selbstmordanschlag auf eine Militärakademie kam es ebenso im Februar in der Stadt Kabul; bei diesem Angriff wurden mindestens 6 Personen getötet und mehr als 10 verwundet (UNGASC 17.3.2020). Dieser Großangriff beendete mehrere Monate relativer Ruhe in der afghanischen Hauptstadt (DS 11.2.2020; vgl. UNGASC 17.3.2020).

Die Taliban setzten außerdem improvisierte Sprengkörper in Selbstmordfahrzeugen gegen Einrichtungen der ANDSF in den Provinzen Kandahar, Helmand und Balkh ein (UNGASC 17.3.2020).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA und den Taliban war es bereits Anfang März 2020 zu einem ersten großen Angriff des ISKP gekommen (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020). Der ISKP hatte sich an den Verhandlungen nicht beteiligt (BBC 6.3.2020) und bekannte sich zu dem Angriff auf eine Gedenkfeier eines schiitischen Führers; Schätzungen zufolge wurden dabei mindestens 32 Menschen getötet und 60 Personen verletzt (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020).

Am 25.3.2020 kam es zu einem tödlichen Angriff des ISKP auf eine Gebetsstätte der Sikh (Dharamshala) in Kabul. Dabei starben 25 Menschen, 8 weitere wurden verletzt (NYT 26.3.2020; vgl. TN 26.3.2020; BBC 25.3.2020). Regierungsnahe Quellen in Afghanistan machen das Haqqani-Netzwerk für diesen Angriff verantwortlich, sie werten dies als Vergeltung für die Gewalt an Muslimen in Indien (AJ 27.3.2020; vgl. TTI 26.3.2020). Die Taliban distanzierten sich von dem Angriff (NYT 26.3.2020). Am Tag nach dem Angriff auf die Gebetsstätte, detonierte eine magnetische Bombe beim Krematorium der Sikh, als die Trauerfeierlichkeiten für die getöteten Sikh-Mitglieder im Gange waren. Mindestens eine Person wurde dabei verletzt (TTI 26.3.2020; vgl. NYT 26.3.2020).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 12.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 12.2019):

Taliban

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) – Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub – Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar – und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018). Die Taliban sind keine monolithische Organisation (NZZ 20.4.2020); nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind (BR 5.3.2020).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).

Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000 (USDOS 18.9.2018), bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (BAMF 3.6.2019; vgl. VOA 21.5.2019).

Der ISKP geriet in dessen Hochburg in Ostafghanistan nachhaltig unter Druck (UNGASC 17.3.2020). Jahrelange konzertierten sich Militäroffensiven der US-amerikanischen und afghanischen Streitkräfte auf diese Hochburgen. Auch die Taliban intensivierten in jüngster Zeit ihre Angriffe gegen den ISKP in diesen Regionen (NYT 2.12.2020; vgl. SIGAR 30.1.2020). So sollen 5.000 Talibankämpfer aus der Provinz Kandahar gekommen sein, um den ISKP in Nangarhar zu bekämpfen (DW 26.2.2020; vgl. MT 27.2.2020). Schlussendlich ist im November 2019 die wichtigste Hochburg des islamischen Staates in Ostafghanistan zusammengebrochen (NYT 2.12.2020; vgl. SIGAR 30.1.2020). Über 1.400 Kämpfer und Anhänger des ISKP, darunter auch Frauen und Kinder, kapitulierten. Zwar wurde der ISKP im November 2019 weitgehend aus der Provinz Nangarhar vertrieben, jedoch soll er weiterhin in den westlichen Gebieten der Provinz Kunar präsent sein (UNGASC 17.3.2020). Die landesweite Mannstärke des ISKP wurde seit Anfang 2019 von 3.000 Kämpfern auf 300 Kämpfer reduziert (NYT 2.12.2020).

49 Angriffe werden dem ISKP im Zeitraum 8.11.2019-6.2.2020 zugeschrieben, im Vergleichszeitraum des Vorjahres wurden 194 Vorfälle registriert. Im Berichtszeitraum davor wurden 68 Angriffe registriert (UNGASC 17.3.2020).

Die Macht des ISKP in Afghanistan ist kleiner, als jene der Taliban; auch hat er viel Territorium verloren. Der ISKP war bzw. ist nicht Teil der Friedensverhandlungen mit den USA und ist weiterhin in der Lage, tödliche Angriffe durchzuführen (BBC 25.3.2020). Aufgrund des Territoriumsverlustes ist die Rekrutierung und Planung des ISKP stark eingeschränkt (NYT 2.12.2020).

Der ISKP verurteilt die Taliban als "Abtrünnige", die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen (CRS 12.2.2019). Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban (WP 19.8.2019; vgl. AP 19.8.2019). Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken (AP 19.8.2019), zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (WP 19.8.2019).

Al-Qaida und ihr verbundene Gruppierungen

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Beide Gruppierungen haben immer wieder öffentlich die Bedeutung ihres Bündnisses betont (UNSC 15.1.2019). Unter der Schirmherrschaft der Taliban ist al-Qaida in den letzten Jahren stärker geworden; dabei wird die Zahl der Mitglieder auf 240 geschätzt, wobei sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Kunar und Zabul befinden. Mentoren und al-Qaida-Kadettenführer sind oftmals in den Provinzen Helmand und Kandahar aktiv (UNSC 13.6.2019).

Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen. Des Weiteren fungieren al-Qaida-Mitglieder als Ausbilder und Religionslehrer der Taliban und ihrer Familienmitglieder (UNSC 13.6.2019).

Im Rahmen der Friedensgespräche mit US-Vertretern haben die Taliban angeblich im Jänner 2019 zugestimmt, internationale Terrorgruppen wie Al-Qaida aus Afghanistan zu verbannen (TEL 24.1.2019).

Paktia:

Paktika liegt im Osten Afghanistans, an der afghanisch-pakistanischen Grenze. Sie grenzt im Nordwesten an Ghazni, im Norden an Paktia und Khost, im Osten an die Stammesdistrikte Nord- und Süd-Wasiristan (Pakistan), im Süden an Belutschistan (Pakistan) und im Südwesten an Zabul (UNOCHA 4.2014pk; vgl. NPS o.D.pk). Die Provinzhauptstadt ist Sharan/Sharana. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Barmal, Dila Wa Khushamand, Gomal, Giyan, Jani Khel, Mata Khan, Nika (Naka), Omna, Surobi, Sar Rawzah, Sharan, Turwo, Urgoon, Wazakhwah, Wormamay, Yahya Khel, Yosuf Khel, Zarghun Shahr (auch Khairkot) und Ziruk (CSO 2019; vgl. IEC 2018, UNOCHA 4.2014pk, NPS o.D.pk, PAJ o.D.pk, AAN 13.11.2018). Gemäß Angaben auf der offiziellen Website des Büros des afghanischen Präsidenten verfügt die Provinz auch über die folgenden vier nicht offiziellen Distrikte: Shakeen, Bak Khil, Charbaran und Shakhil Abad (OPr 1.2.2018pk).

Die Provinz besteht aus drei Teilregionen: der nördlich-zentralen Teilregion, der südöstlichen Teilregion entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und der südwestlichen Teilregion, genannt Katawaz, die früher Teil von Ghazni war. Darüber hinaus spielen die lokalen Stammesbeziehungen in der Provinz nach wie vor eine wichtige Rolle (AAN 13.11.2018; vgl. AAN 11.12.2018).

Die afghanische zentrale Statistikorganisation (CSO) schätzte die Bevölkerung von Paktika für den Zeitraum 2019-20 auf 762.108 Personen (CSO 2019). Die Bevölkerung besteht hauptsächlich aus Paschtunen mit einer tadschikischen Minderheit in den Städten Sharan und Urgoon (AAN 13.11.2018).

Eine Autobahn verbindet die Provinzen Ghazni und Paktika und führt zur afghanisch-pakistanischen Grenze (MoPW 16.10.2015; vgl. PAJ 13.12.2018) zum Grenzübergang Angoor Ada (PAJ 22.4.2017; vgl. Dawn 25.5.2016). Immer wieder kommt es durch die Taliban zu temporären Sperren und sicherheitsrelevanten Vorfällen auf den Straßen der Provinz Paktika (PAJ 13.12.2018; PAJ 7.6.2018; PAJ 20.8.2018).

Laut UNODC Opium Survey 2018 ist Paktika seit 2014 schlafmohnfrei (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Sowohl die Taliban, als auch das Haqqani-Netzwerk sind in einigen Distrikten der Provinz Paktika aktiv (KP 4.4.2019), wobei einer lokalen Quelle zufolge die Taliban im November 2018 bei der Durchführung von Angriffen gegen regierungsfreundliche Kräfte in Paktika nicht sehr aktiv waren (AAN 13.11.2018). Ende 2018 waren die Taliban in vielen Gebieten der Provinz Paktika vorherrschend. Einige Distrikte standen entweder vollständig unter der Kontrolle der Taliban oder waren umstritten (AAN 11.12.2018), wie z.B. die Distrikte Nika und Omna. Zu anderen Zeitpunkten war die Kontrolle der Regierung in der Provinzhauptstadt und in den Distrikten Mata Khan, Yosuf Khel, Zarghun Shahr, Urgoon und Yahya Khel stark (AAN 13.11.2018). Wobei der Distrikt Yahya Khel als einer der friedlichsten Distrikte in Paktika beschrieben (AAN 11.12.2018).

Das Haqqani-Netzwerk begann in Loya Paktya, einem Gebiet, das sich aus den Provinzen Khost, Paktia und Paktika zusammensetzt, einige Jahre vor 2011 zu expandieren (AAN 24.11.2011); dessen Haupteinsatzgebiet war das Zadran-Tal zwischen Paktia, Paktika und Khost, das als Korridor von Pakistan nach Ghazni und Logar durch die Distrikte Spera in Khost, Giyan in Paktika und Zurmat in Paktia diente (Ruttig 2009; vgl. UNOCHA 4.2014pk). Unter der Schirmherrschaft der Taliban versucht al-Qaida in den Povinzen Badakhshan (Distrikt Shighnan) und Paktika, im Distrikt Barmal, Fuß zu fassen (FE 30.7.2019).

In Bezug auf die Anwesenheit von staatlichen Sicherheitskräften liegt die Provinz Paktika in der Verantwortung des 203. ANA Corps, das unter die Task Force Southeast fällt, die von US-Truppen geleitet wird (USDOD 6.2019; vgl. KP 30.5.2019).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 168 zivile Opfer (128 Tote und 40 Verletzte) in der Provinz Paktika. Dies entspricht einer Steigerung von 11% gegenüber 2018. Die Hauptursachen für die Opfer waren Suchoperationen, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und Luftangriffe (UNAMA 2.2020).

In der Provinz kommt es regelmäßig zu Sicherheitsoperationen gegen Aufständische durch die afghanischen Sicherheitskräfte (KP 19.5.2019; AN 13.5.2019; KP 4.4.2019; KP 25.12.2018; ST 26.12.2018; KP 13.12.2018; PAJ 6.11.2018). Im Dezember 2018 wurden in Folge von Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und bewaffneten Aufständischen mindestens 35 Schulen in der Provinz Paktika, die meisten davon im Distrikt Dila Wa Khushamand, geschlossen (PAJ 16.12.2018)

Bei den Parlamentswahlen im Oktober 2018 kam es in Teilen von Surobi, Sar Rawzah, Mata Khan und Sharan zu einigen Sicherheitsvorfällen (AAN 13.11.2018).

Mazar-e Sharif:

Mazar-e Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana und Pul-e-Khumri und ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst.

In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt sicher zu erreichen ist.

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften.

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt.

Herat-Stadt:

Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und teilt eine internationale Grenze mit dem Iran im Westen und Turkmenistan im Norden. Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt.

Die Provinz ist durch die Ring Road mit anderen Großstädten verbunden. Eine Hauptstraße führt von Herat ostwärts nach Ghor und Bamyan und weiter nach Kabul. Andere Autobahn verbinden die Provinzhauptstadt mit dem afghanisch-turkmenischen Grenzübergang bei Torghundi sowie mit der afghanisch-iranischen Grenzüberquerung bei Islam Qala. Ein Flughafen mit Linienflugbetrieb zu internationalen und nationalen Destinationen liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft von Herat-Stadt.

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Talibankämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als „sehr sicher“ gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban.

Im Zeitraum 1.1.2018-30.9.2019 wurden in der Provinz 145 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 2.095.117 geschätzt.

Rückkehr:

Seit 1.1.2020 sind 279.738 undokumentierter Afghan/innen aus dem Iran nach Afghanistan zurückgekehrt. Die höchste Anzahl an Rückkehrer/innen ohne Papiere aus dem Iran wurden im März 2020 (159.789) verzeichnet. Die Anzahl der seit 1.1.2020 von IOM unterstützten Rückkehrer/innen aus dem Iran beläuft sich auf 29.019. Seit Beginn des islamischen Fastenmonats Ramadan (Anm.: 23.4.-24.5.2020) hat sich die Anzahl der Rückkehr/innen (undokumentierter, aber auch unterstützter Rückkehr/innen) reduziert. Im gleichen Zeitraum kehrten 1.833 undokumentierte und 1.662 von IOM unterstütze Personen aus Pakistan nach Afghanistan zurück (IOM 11.3.2020). Pakistan hat temporär und aufgrund der COVID-19-Krise seine Grenze nach Afghanistan geschlossen (VoA 4.4.2020; vgl. IOM 11.5.2020; TN 18.3.2020; TiN 13.3.2020). Durch das sogenannte „Friendship Gate“ in Chaman (Anm.: in Balochistan/ Spin Boldak, Kandahar) wurden im April 37.000 afghanische Familien auf ausdrücklichen Wunsch der afghanischen Regierung von Pakistan nach Afghanistan gelassen. An einem weiteren Tag im Mai 2020 kehrten insgesamt 2.977 afghanische Staatsbürger/innen nach Afghanistan zurück, die zuvor in unterschiedlichen Regionen Balochistans gestrandet waren (DA 10.5.2020).

Im Zeitraum 1.1.2019 – 4.1.2020 kehrten insgesamt 504.977 Personen aus dem Iran und Pakistan nach Afghanistan zurück: 485.096 aus dem Iran und 19.881 aus Pakistan (IOM 4.1.2020). Im Jahr 2018 kehrten aus den beiden Ländern insgesamt 805.850 nach Afghanistan zurück: 773.125 aus dem Iran und 32.725 aus Pakistan (IOM 5.1.2019). Im Jahr 2017 stammten 464.000 Rückkehrer aus dem Iran 464.000 und 154.000 aus Pakistan (AA 2.9.2019).

Die Wiedervereinigung mit der Familie wird meist zu Beginn von Rückkehrer als positiv empfunden (MMC 1.2019; vgl. IOM KBL 30.4.2020). Jedoch ist der Reintegrationsprozess der Rückkehrer oft durch einen schlechten psychosozialen Zustand charakterisiert. Viele Rückkehrer sind weniger selbsterhaltungsfähig als die meisten anderen Afghanen. Rückkehrerinnen sind von diesen Problemen im Besonderen betroffen (MMC 1.2019).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen (BFA 4.2018). Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Wegen der hohen Fluktuation im Land und der notwendigen Zeit der Hilfsorganisationen, sich darauf einzustellen, ist Hilfe nicht immer sofort dort verfügbar, wo Rückkehrer sich niederlassen. UNHCR beklagt zudem, dass sich viele Rückkehrer in Gebieten befinden, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (AA 2.9.2019).

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert (BFA 13.6.2019). Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kolleg/innen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse – auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke – der Familie, der Freunde und der Bekannten – ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (BFA 4.2018).

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Zudem können fehlende Vertrautheit mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Normen die Integration und Existenzgründung erschweren. Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein. Über diese können die genannten Integrationshemmnisse abgefedert werden, indem die erforderlichen Fähigkeiten etwa im Umgang mit lokalen Behörden sowie sozial erwünschtes Verhalten vermittelt werden und für die Vertrauenswürdigkeit der Rückkehrer gebürgt wird (AA 2.9.2019). UNHCR verzeichnete jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (BFA 13.6.2019).

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Dem deutschen Auswärtigen Amt sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden (AA 2.9.2019). UNHCR berichtet von Fällen zwangsrückgeführter Personen aus Europa, die von religiösen Extremisten bezichtigt werden, verwestlicht zu sein; viele werden der Spionage verdächtigt. Auch glaubt man, Rückkehrer aus Europa wären reich und sie würden die Gastgebergemeinschaft ausnutzen. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (BFA 13.6.2019).

Haben die Rückkehrer lange Zeit im Ausland gelebt oder haben sie zusammen mit der gesamten Familie Afghanistan verlassen, ist es wahrscheinlich, dass lokale Netzwerke nicht mehr existieren oder der Zugang zu diesen erheblich eingeschränkt ist. Dies kann die Reintegration stark erschweren. Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab (AA 2.9.2019). Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung, vulnerable Personen einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran zu unterstützen, bleibt begrenzt und ist weiterhin von der Hilfe der internationalen Gemeinschaft abhängig (USDOS 13.3.2019). Moscheen unterstützen in der Regel nur besonders vulnerable Personen und für eine begrenzte Zeit. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch. Deshalb versuchen sie in der Regel, so bald wie möglich wieder in den Iran zurückzukehren (BFA 13.6.2019).

Viele Rückkehrer, die wieder in Afghanistan sind, werden de-facto IDPs, weil die Konfliktsituation sowie das Fehlen an gemeinschaftlichen Netzwerken sie daran hindert, in ihre Heimatorte zurückzukehren (UNOCHA 12.2018). Trotz offenem Werben für Rückkehr sind essentielle Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheit in den grenznahen Provinzen nicht auf einen Massenzuzug vorbereitet (AAN 31.1.2018). Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (UNOCHA 12.2018).

Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig (BFA 4.2018). Rückkehrer/innen erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer (BFA 4.2018; vgl. Asylos 8.2017). Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück (AAN 19.5.2017).

In Kooperation mit Partnerninstitutionen des European Return and Reintegration Network (ERRIN) wird im Rahmen des ERRIN Specific Action Program sozioökonomische Reintegrationsunterstützung in Form von Beratung und Vermittlung für freiwillige und erzwungene Rückkehrer angeboten (IRARA 9.5.2019).

Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung

Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs sehen bei der Reintegration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der „whole of community“ vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen eine Grundstücksvergabe vor, jedoch gilt dieses System als anfällig für Korruption und Missmanagement. Es ist nicht bekannt, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben und zu welchen Bedingungen (BFA 4.2018).

Die Regierung Afghanistans bemüht sich gemeinsam mit internationalen Unterstützern, Land an Rückkehrer zu vergeben. Gemäß dem 2005 verabschiedeten Land Allocation Scheme (LAS) sollten Rückkehrer und IDPs Baugrundstücke erhalten. Die bedürftigsten Fälle sollten prioritär behandelt werden (Kandiwal 9.2018; vgl. UNHCR 6.2008). Jedoch fanden mehrere Studien Probleme bezüglich Korruption und fehlender Transparenz im Vergabeprozess (Kandiwal 9.2018; vgl. UNAMA 3.2015, AAN 29.3.2016, WB/UNHCR 20.9.2017). Um den Prozess der Landzuweisung zu beginnen, müssen die Rückkehrer einen Antrag in ihrer Heimatprovinz stellen. Wenn dort kein staatliches Land zur Vergabe zur Verfügung steht, muss der Antrag in einer Nachbarprovinz gestellt werden. Danach muss bewiesen werden, dass der Antragsteller bzw. die nächste Familie tatsächlich kein Land besitzen. Dies geschieht aufgrund persönlicher Einschätzung eines Verbindungsmannes und nicht aufgrund von Dokumenten. Hier ist Korruption ein Problem. Je einflussreicher ein Antragsteller ist, desto schneller bekommt er Land zugewiesen (Kandiwal 9.2018). Des Weiteren wurde ein fehlender Zugang zu Infrastruktur und Dienstleistungen, wie auch eine weite Entfernung der Parzellen von Erwerbsmöglichkeiten kritisiert. IDPs und Rückkehrer ohne Dokumente sind von der Vergabe von Land ausgeschlossen (IDMC/NRC 2.2014).

Bereits 2017 hat die afghanische Regierung mit der Umsetzung des Aktionsplans für Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge begonnen. Ein neues, transparenteres Verfahren zur Landvergabe an Rückkehrer läuft als Pilotvorhaben mit neuer rechtlicher Grundlage an, kann aber noch nicht flächendeckend umgesetzt werden. Eine Hürde ist die Identifizierung von geeigneten, im Staatsbesitz befindlichen Ländereien. Generell führt die unklare Landverteilung häufig zu Streitigkeiten. Gründe hierfür sind die jahrzehntelangen kriegerischen Auseinandersetzungen, mangelhafte Verwaltung und Dokumentation von An- und Verkäufen, das große Bevölkerungswachstum sowie das Fehlen eines funktionierenden Katasterwesens. So liegen dem afghanischen Innenministerium Berichte über widerrechtliche Aneignung von Land aus 30 Provinzen vor (AA 2.7.2019).

Unterstützung durch IOM

Die internationale Organisation für Migration (IOM – International Organization for Migration) unterstützt mit diversen Projekten die freiwillige Rückkehr und Reintegration von Rückkehrer/innen nach Afghanistan. In Bezug auf die Art und Höhe der Unterstützungsleistung muss zwischen unterstützter freiwilliger und zwangsweiser Rückkehr unterschieden werden (IOM KBL 26.11.2018; vgl. IOM AUT 23.1.2020; BFA 13.6.2019; BFA 4.2018). Im Rahmen der unterstützten Freiwilligen-Rückkehr kann Unterstützung entweder nur für die Rückkehr (Reise) oder nach erfolgreicher Aufnahme in ein Reintegrationsprojekt auch bei der Wiedereingliederung geleistet werden (IOM AUT 23.12.020).

Mit 1.1.2020 startete das durch den AMIF der Europäischen Union und das österreichische Bundesministerium für Inneres kofinanzierten Reintegrationsprojekt, RESTART III. Im Unterschied zu den beiden Vorprojekten RESTART und RESTART II steht dieses Projekt ausschließlich RückkehrerInnen aus Afghanistan zur Verfügung. RESTART III, ist wie das Vorgängerprojekt auf drei Jahre, nämlich bis 31.12.2022 ausgerichtet und verfügt über eine Kapazität von 400 Personen. Für alle diese 400 Personen ist neben Beratung und Information – in Österreich sowie in Afghanistan – sowohl die Bargeldunterstützung in der Höhe von 500 Euro wie auch die Unterstützung durch Sachleistungen in der Höhe von 2.8

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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