TE Bvwg Beschluss 2020/9/24 W209 2233858-1

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Veröffentlicht am 24.09.2020
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Entscheidungsdatum

24.09.2020

Norm

ASVG §18a
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W209 2233858-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Reinhard SEITZ als Einzelrichter in Erledigung der Beschwerde der XXXX , XXXX , XXXX , gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt, Hauptstelle Wien, vom 16.06.2020, GZ: HVBA- XXXX , betreffend Zuerkennung und Beendigung der Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18a Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG) für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes beschlossen:

A)

Der Beschwerde wird im Anfechtungsumfang Folge gegeben, der angefochtene Bescheid, soweit damit der Anspruch auf Selbstversicherung ab 01.10.2013 abgewiesen wurde, gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit beschwerdegegenständlichem Bescheid vom 16.06.2020 gab die belangte Behörde (im Folgenden: PVA) dem Antrag der Beschwerdeführerin vom 15.03.2019 auf Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18a ASVG für Zeiten der Pflege ihres behinderten Sohnes XXXX , geboren am XXXX , ab 01.06.2013 statt. Gleichzeitig sprach sie aus, dass der Anspruch mit 30.09.2013 ende. Begründend wurde ausgeführt, dass eine ärztliche Untersuchung ergeben habe, dass die Selbstversicherung wegen ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege des behinderten Kindes ab 01.10.2013 nicht mehr gerechtfertigt sei.

2. Dagegen richtet sich die vorliegende, binnen offener Rechtsmittelfrist erhobene Beschwerde, in der ausgeführt wurde, dass für die Pflege des Sohnes der Beschwerdeführerin Pflegegeld der Stufe 2 gewährt wurde. Der Sohn sei dauerhaft inkontinent. Seine Blase entspreche der Größe eines Säuglings und werde aktuell medikamentös austherapiert. Der Sohn sei auch in Psychotherapie. Zu den täglichen Übungen kämen daher zusätzliche Fahrten von jeweils 2 Stunden plus 2 Stunden Sitzung dazu. Er nässe am Tag und auch bis zu zweimal in der Nacht ein. Seine körperliche Wahrnehmung sei stark eingeschränkt. Er könne sich nicht selbständig waschen und die Zähne putzen und auch nicht der Jahreszeit entsprechend ankleiden. Sein Körper sei mit Narben übersät, da er sich selbst kaum spüre und dies zu Verletzungen führe. Man könne den Sohn kaum alleine lassen. Er mache vieles im Haus kaputt. Auch seine eigenen Sachen zerstöre er dauernd. Im sozialen Umfeld werde er daher gemieden. Er sei auch für andere gefährlich und schon im Kindergarten gefördert und psychologisch betreut worden. Für das Schuljahr 2020/21 bekomme er einen eigenen Schulassistenten, der ihn am Weg zur Schule und nach Hause begleite sowie in den Pausen beaufsichtige. Das Alltagsleben mit dem Sohn sei sehr zeitintensiv, speziell und herausfordernd. Er sei ein Pflegekind, das dauerhaft bei der Beschwerdeführerin untergebracht sei. Sie liebe ihr Pflegekind und sei bereit, es weiterhin bestmöglich zu unterstützen und zu begleiten.

3. Am 07.08.2020 einlangend legte die PVA die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor. In einer beigefügten Stellungnahme wies sie darauf hin, dass dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Selbstversicherung gemäß § 18a ASVG ab Juni 2013 stattgegeben werden habe können, weil ab diesem Zeitpunkt erhöhte Familienbeihilfe für das behinderte Kind bezogen worden sei. Laut einem eingeholten fachärztlichen Gutachten sei jedoch nur bis 30.09.2013 eine besonders intensive Betreuung notwendig gewesen. Darüber hinaus sei keine ständige persönliche Hilfe erforderlich gewesen bzw. habe kein besonderer Pflegebedarf bestanden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Entscheidung wird folgender Sachverhalt zugrunde gelegt:

Mit beschwerdegegenständlichem Bescheid vom 16.06.2020 wurde dem Antrag der Beschwerdeführerin vom 15.03.2019 auf Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18a ASVG für Zeiten der Pflege ihres behinderten Sohnes XXXX , geboren am XXXX , ab 01.06.2013 stattgegeben und gleichzeitig ausgesprochen, dass die Selbstversicherung mit 30.09.2013 endet.

Für den im gemeinsamen Haushalt lebenden Sohn wird seit Juni 2013 erhöhte Familienbeihilfe iSd § 8 Abs. 4 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG) gewährt.

Der Sohn der Beschwerdeführerin leidet an einer einfachen Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung, leichtgradig, ICD-10: F90.0 (Hauptdiagnose) und an einer sonstigen Störung des Sozialverhaltens, leichtgradig, ICD-10: F91.8 (Nebendiagnose). Er ist nicht von der allgemeinen Schulpflicht befreit und bedarf seit 30.09.2013 keiner ständigen (mehrmals in der Woche regelmäßig) persönlichen Hilfe bzw. besonderen Pflege mehr.

Ermittlungen und darauf basierende Feststellungen zur Frage, ob die Arbeitskraft der Beschwerdeführerin trotz Verneinung eines ständigen Betreuungs- und Pflegebedarfs auch nach dem 30.09.2013 überwiegend in Anspruch genommen wurde (wird), traf die Behörde nicht, obwohl dies, wie der rechtlichen Würdigung weiter unten zu entnehmen ist, erforderlich gewesen wäre.

2. Beweiswürdigung:

Die Zuerkennung des Anspruchs auf freiwillige Selbstversicherung in der Pensionsversicherung ab 01.06.2013 steht aufgrund der Aktenlage als unstrittig fest.

Die Art der Behinderung des Sohns der Beschwerdeführerin sowie das Ausmaß der behinderungsbedingt erforderlichen persönlichen Hilfe und besonderen Pflege ergeben sich aus den von der belangten Behörde eingeholten, auf einer persönlichen Untersuchung basierenden medizinischen Sachverständigengutachten vom 29.01.2020 und 27.05.2020, deren Befund sich auf die Angaben der Beschwerdeführerin stützt, sowie auf die Chefärztliche Stellungnahme vom 28.05.2020, der zufolge aufgrund des festgestellten Leidenszustandes eine Selbstversicherung nach § 18a ASVG wegen ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege des behinderten Kindes ab 01.10.2013 nicht mehr gerechtfertigt ist. Die Gutachten, denen zufolge lediglich im Kleinkindalter aufgrund organischer Beeinträchtigungen (festgewachsene Zunge, zu kleine Harnblase) urologische und logopädische Behandlungen erforderlich waren, die eine besonders intensive Betreuung notwendig gemacht haben, sind schlüssig, nachvollziehbar, weisen keine Widersprüche auf und gehen auf die Art der Leiden und die damit im Zusammenhang stehenden notwendigen Pflege- und Hilfeleistungen ein. Damit erfüllen sie die an ein ärztliches Sachverständigengutachten gestellten Anforderungen.

Das Fehlen von Ermittlungen und Feststellungen zur Frage, ob die Arbeitskraft der Beschwerdeführerin trotz Verneinung eines ständigen Betreuungs- und Pflegebedarfs nicht auf andere Weise überwiegend in Anspruch genommen wird (wurde), ergibt sich aufgrund der Aktenlage.

3. Rechtliche Beurteilung:

§ 414 Abs. 1 ASVG normiert die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes zur Entscheidung über Beschwerden gegen Bescheide eines Versicherungsträgers.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. § 414 Abs. 2 ASVG sieht in den in § 410 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 ASVG aufgezählten Angelegenheiten die Entscheidung durch einen Senat unter Laienrichterbeteiligung vor, wenn dies von einer Partei beantragt wird. Im gegenständlichen Fall handelt es sich um eine derartige Angelegenheit (Z 1). Mangels Antrages liegt jedoch Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

Vorliegend gelangen folgende maßgebende Bestimmungen zur Anwendung:

§ 18a ASVG idF BGBl. I Nr. 2/2015:

„Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten
der Pflege eines behinderten Kindes

§ 18a. (1) Personen, die ein behindertes Kind, für das erhöhte Familienbeihilfe im Sinne des § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376, gewährt wird, unter überwiegender Beanspruchung ihrer Arbeitskraft in häuslicher Umgebung pflegen, können sich, solange sie während dieses Zeitraumes ihren Wohnsitz im Inland haben, längstens jedoch bis zur Vollendung des 40. Lebensjahres des Kindes, in der Pensionsversicherung selbstversichern. Der gemeinsame Haushalt besteht weiter, wenn sich das behinderte Kind nur zeitweilig wegen Heilbehandlung außerhalb der Hausgemeinschaft aufhält. Eine Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes kann jeweils nur für eine Person bestehen.

(2) Die Selbstversicherung ist für eine Zeit ausgeschlossen, während der

1. (Anm.: aufgehoben durch BGBl. I Nr. 2/2015)

2. eine Ausnahme von der Vollversicherung gemäß § 5 Abs. 1 Z 3 besteht oder auf Grund eines der dort genannten Dienstverhältnisse ein Ruhegenuß bezogen wird oder

3. eine Ersatzzeit gemäß § 227 Abs. 1 Z 3 bis 6 oder § 227a vorliegt.

(3) Eine überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft im Sinne des Abs. 1 wird jedenfalls dann angenommen, wenn und so lange das behinderte Kind

1. das Alter für den Beginn der allgemeinen Schulpflicht (§ 2 des Schulpflichtgesetzes 1985, BGBl. Nr. 76/1985) noch nicht erreicht hat und ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf,

2. während der Dauer der allgemeinen Schulpflicht wegen Schulunfähigkeit (§ 15 des Schulpflichtgesetzes 1985) entweder von der allgemeinen Schulpflicht befreit ist oder ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf,

3. nach Vollendung der allgemeinen Schulpflicht und vor Vollendung des 40. Lebensjahres dauernd bettlägrig ist oder ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf.

(4) Die Selbstversicherung ist in dem Zweig der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz zulässig, in dem der (die) Versicherungsberechtigte zuletzt Versicherungszeiten erworben hat. Werden keine Versicherungszeiten in der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz nachgewiesen oder richtet sich deren Zuordnung nach der ersten nachfolgenden Versicherungszeit, so ist die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung der Angestellten zulässig.

(5) Die Selbstversicherung beginnt mit dem Zeitpunkt, den der (die) Versicherte wählt, frühestens mit dem Monatsersten, ab dem die erhöhte Familienbeihilfe (Abs. 1) gewährt wird, spätestens jedoch mit dem Monatsersten, der auf die Antragstellung folgt.

(6) Die Selbstversicherung endet mit dem Ende des Kalendermonates,

1. in dem die erhöhte Familienbeihilfe oder eine sonstige Voraussetzung (Abs. 1) weggefallen ist,

2. in dem der (die) Versicherte seinen (ihren) Austritt erklärt hat.

Ab dem erstmaligen Beginn der Selbstversicherung (Abs. 5) gelten die Voraussetzungen bis zum Ablauf des nächstfolgenden Kalenderjahres als erfüllt; in weiterer Folge hat der Versicherungsträger jeweils jährlich einmal festzustellen, ob die Voraussetzungen für die Selbstversicherung nach Abs. 1 gegeben sind. Der Versicherte ist verpflichtet, den Wegfall der erhöhten Familienbeihilfe dem Träger der Pensionsversicherung binnen zwei Wochen anzuzeigen.

(7) Das Ende der Selbstversicherung steht hinsichtlich der Berechtigung zur Weiterversicherung in der Pensionsversicherung dem Ausscheiden aus der Pflichtversicherung im Sinne des § 17 Abs. 1 Z 1 lit. a gleich.“

§ 669 Abs. 3 ASVG idF BGBl. I Nr. 125/2017:

„Schlussbestimmungen zu Art. 5 des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 3/2013 (78. Novelle):

§ 669. (1) bis (2) …

(3) Die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung nach § 18a kann auf Antrag von Personen, die irgendwann in der Zeit seit dem 1. Jänner 1988 die zum Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Voraussetzungen für diese Selbstversicherung erfüllt haben, nachträglich beansprucht werden, und zwar für alle oder einzelne Monate, längstens jedoch für 120 Monate, in denen die genannten Voraussetzungen vorlagen. § 18 Abs. 2 ist sinngemäß anzuwenden.

(4) bis (8) …“

Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer eheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat.

Diese Voraussetzungen treffen im gegenständlichen Fall zu.

Die Beschwerde richtet sich gegen die mit der nicht mehr erforderlichen ständigen persönlichen Hilfe und besonderen Pflege des behinderten Kindes begründete bescheidmäßige Feststellung der PVA, dass die freiwillige Selbstversicherung der Beschwerdeführerin in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege ihres behinderten Kindes mit 30.09.2013 endet.

Gemäß § 669 Abs. 3 ASVG idF BGBl. I Nr. 125/2017 kann die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung iSd § 18a Abs. 1 ASVG auf Antrag von Personen, die irgendwann in der Zeit seit dem 1. Jänner 1988 die zum Zeitpunkt der Antragstellung (hier: 15.03.2019) geltenden Voraussetzungen für diese Selbstversicherung erfüllt hätten, nachträglich beansprucht werden.

§ 707a ASVG sieht das Inkrafttreten des § 669 Abs. 3 ASVG in der Fassung BGBl. I Nr. 125/2017 mit 1. Jänner 2018 ohne Übergangsregelung vor. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass eine solche aus anderen Bestimmungen abzuleiten wäre bzw. dass diesbezüglich eine Rechtslücke bestünde.

§ 669 Abs. 3 ASVG in der genannten Fassung stellt darauf ab, dass die betreffenden Personen die zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung geltenden Voraussetzungen für diese Selbstversicherung erfüllen müssen, im vorliegenden Fall sohin die im § 18a ASVG in der Fassung BGBl. I Nr. 2/2015 festgelegten Voraussetzungen. Auf die im zu erwerbenden Zeitraum der betreffenden Selbstversicherung früher in Geltung gestandenen Voraussetzungen für eine Selbstversicherung kommt es gemäß § 669 Abs. 3 ASVG nicht an (vgl. VwGH 05.06.2019 Ra 2019/08/0051).

Im vorliegenden Fall wird seit Juni 2013 erhöhte Familienbeihilfe für den im gemeinsamen Haushalt lebenden Sohn der Beschwerdeführerin gewährt. Es kommt daher eine Anerkennung des Anspruches für die Zeit ab Juni 2013 in Betracht.

Nach § 18a Abs. 1 ASVG (in der gegenständlich anzuwendenden Fassung des BGBl. I Nr. 2/2015) muss die Arbeitskraft überwiegend beansprucht werden, um den Anspruch anerkennen zu können. Dies ist gemäß § 18a Abs. 3 Z 1 und 2 ASVG u.a. jedenfalls dann der Fall, wenn das behinderte Kind ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf (Z 1) bzw. solange das behinderte Kind während der Dauer der allgemeinen Schulpflicht wegen Schulunfähigkeit (§ 15 des Schulpflichtgesetzes 1985) entweder von der allgemeinen Schulpflicht befreit ist oder ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf (Z 2).

Der Sohn der Beschwerdeführerin ist am XXXX geboren. Demnach unterliegt er seit 01.09.2016 der allgemeinen Schulpflicht. Eine Befreiung von der allgemeinen Schulpflicht ist nicht gegeben. Somit war im vorliegenden Fall im Wege eines Sachverständigengutachtens zu klären, ob (und in welchem Umfang) unter Berücksichtigung des Alters und der spezifischen Behinderung des Kindes dessen ständige Betreuung auch außerhalb der Zeit des Schulbesuches erforderlich war und ob bei Unterbleiben dieser Betreuung die Entwicklung des Kindes im Verhältnis zu einem ähnlich behinderten Kind, dem diese Zuwendung zuteil wird, benachteiligt oder gefährdet war.

Schließlich ist auch für den beantragten Zeitraum vor Beginn der Schulpflicht zu klären, ob ein derartiger ständiger Pflege- und Betreuungsaufwand bestand.

Ständige Pflege und Hilfe könnte im Falle eines täglichen Schulbesuches z.B. dann erforderlich sein, wenn wegen der mangelnden Kommunikationsfähigkeit des Kindes eine Begleitung auf dem Schulweg bzw. nach der Schule eine dauernde Beaufsichtigung und Zuwendung notwendig wäre. Sollte dies der Fall sein, käme die gesetzliche Vermutung zum Tragen, dass es der Beschwerdeführerin auch in der ihr verbleibenden freien Zeit (in der sich ihr Kind in der Schule befindet) kaum möglich gewesen wäre, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und dadurch für eine eigenständige Alterssicherung vorzusorgen (vgl. VwGH 17.12.1991, 89/08/0353).

Ein derartiger ständiger Bedarf persönlicher Hilfe und besonderer Pflege ist den von Amts wegen eingeholten Sachverständigengutachten nach zu verneinen. Wie der Beweiswürdigung zu entnehmen ist, kommen die von der belangten Behörde eingeholten fachärztlichen Gutachten zu dem Schluss, dass seit 01.10.2013 eine ständige (mehrmals in der Woche regelmäßig) persönliche Hilfe bzw. besonderer Pflege nicht (mehr) erforderlich ist.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.06.2017, Ra 2016/09/0091) hat das Verwaltungsgericht dem Gutachten eines Amtssachverständigen, sofern es nicht unschlüssig ist oder mit den ersichtlichen Tatsachen nicht übereinstimmt, solange zu folgen, als dessen Richtigkeit nicht durch fachlich fundierte Gegenausführungen und Gegenbeweise von vergleichbarem Aussagewert widerlegt wurde.

Die Beschwerdeführerin ist dem vorliegenden Sachverständigenbeweis, der den oben angeführten Anforderungen entspricht, nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten und hat auch sonst kein Vorbringen erstattet, das darauf schließen ließe, dass das Begutachtungsergebnis nicht mit den im vorliegenden Fall gegebenen Tatsachen übereinstimmt.

Damit ist das Erfordernis ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege ab 01.10.2013 zu verneinen.

Mit dem Wort „jedenfalls“ im Einleitungssatz des § 18a Abs. 3 ASVG idF BGBl. I Nr. 2/2015 hat der Gesetzgeber jedoch zum Ausdruck gebracht, dass neben den in Z 1 bis 3 aufgezählten Fällen eine überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft auch auf andere Weise gegeben sein kann.

Die Legaldefinition des § 18 Abs. 3 ASVG stellt somit nicht (primär) auf eine zeitliche Inanspruchnahme durch die Pflege, sondern auf speziell für behinderte Kinder zugeschnittene andere Kriterien ab. Eine überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft ist einem durchschnittlichen Pflegeaufwand ab 21 Stunden wöchentlich bzw. ab 90 Stunden monatlich (entspricht mehr als der halben Normalarbeitszeit) anzunehmen (VwGH 19.01.2017, Ro 2014/08/0084) (vgl. Zehetner in Sonntag (Hrsg) ASVG11 § 18a Rz 4a).

Wie dem von der PVA unwidersprochen gebliebenen Parteienvorbringen zu entnehmen ist, wurde für den Sohn der Beschwerdeführerin Pflegegeld der Stufe 2 gewährt. Dies entspricht den einschlägigen, auf der Internetseite der PVA abrufbaren Informationen zufolge einem monatlichen Pflegeaufwand von mehr als 95 Stunden und kann daher im Hinblick auf die obigen Ausführungen für die Feststellung, ob von einer überwiegenden Beanspruchung der Arbeitskraft der Beschwerdeführerin auszugehen ist, von Bedeutung sein.

Die PVA unterließ jedoch jegliche Ermittlungstätigkeit, um festzustellen, ob der (behinderungsspezifische) Pflege- und Betreuungsaufwand der Beschwerdeführerin die maßgebliche Grenze von 90 Stunden monatlich überschreitet. Dadurch hat sie keine für eine Entscheidung in der Sache nach § 28 Abs. 2 VwGVG ausreichenden brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden mündlichen Verhandlung im Sinne des § 24 VwGVG bloß zu vervollständigen gewesen wären. Dies berechtigt das Verwaltungsgericht, von einer Entscheidung in der Sache abzusehen und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen (vgl. VwGH 20.10.2015, Ra 2015/09/0088).

Vor dem Hintergrund dieses Ergebnisses konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen (s. dazu die in den rechtlichen Erwägungen zitierte VwGH-Judikatur). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Arbeitskraft Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Pflegebedarf Selbstversicherung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W209.2233858.1.00

Im RIS seit

27.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

27.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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