Entscheidungsdatum
25.09.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W122 2120729-3/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor ERNSTBRUNNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX , alias XXXX , StA. IRAN, alias Syrien, alias Irak vertreten durch: Diakonie – Flüchtlingsdienst GmbH gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.08.2020, Zl. 1000705905-190676715, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer beantragte am 20.01.2014 im Anschluss an eine Anhaltung und Kontrolle nach dem Fremdenpolizeigesetz die Gewährung internationalen Schutzes. In einem Bericht der Landespolizeidirektion Burgenland vom selben Tag wurde in diesem Zusammenhang der Tatbestand der Schlepperei in krimineller Vereinigung vermutet. Zu den Gründen für das Verlassen des Irak gab der Beschwerdeführer an, das Leben dort sei nicht auszuhalten und sei der Vater schwer krank. Er benötige Geld und wolle bei seinem Bruder in Dänemark als Pizzakoch arbeiten. Politisch werde er nicht verfolgt; er habe keine weiteren Fluchtgründe. Im Rückkehrfall werde er misshandelt werden.
Mit rechtskräftigem Bescheid vom 18.03.2014 wurde dieser Antrag vollinhaltlich abgewiesen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erließ eine Rückkehrentscheidung und erklärte die Abschiebung des Beschwerdeführers für zulässig.
Das BFA führte aus, dass weder die Identität des BF noch der Herkunftsstaat des BF habe festgestellt werden können und dieser an der Feststellung des Sachverhaltes nicht mitgewirkt habe und die Angaben des BF unglaubwürdig seien.
2. Am 05.06.2014 stellte der Beschwerdeführer nach einer Überstellung aus Dänemark einen neuerlichen Asylantrag. Dieser Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 15.01.2016 abgewiesen.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.01.2016 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung nach Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).
Das Bundesamt stellte fest, dass die Identität des BF nicht feststehe, dieser iranischer Staatsangehöriger sei, der kurdischen Volksgruppe angehöre, Sunnit sei und sein Leben als registrierter Flüchtling im Irak verbracht habe. Der BF habe sein Leben in verschiedenen kurdischen Flüchtlingslagern im Irak verbracht. Er sei Sympathisant einer genannten Partei, habe diesbezüglich keine Probleme gehabt und habe er keine exilpolitischen Aktivitäten gesetzt. Politische Verfolgung habe weder im Iran noch im Irak festgestellt werden können.
Beweiswürdigend wurde seitens des BFA ausgeführt, dass die Identität des BF nicht feststehe.
Die geltend gemachten Ausreisegründe hätten sich lediglich auf den Irak bezogen und handle es sich beim Irak nicht um den Herkunftsstaat des BF. Als entscheidungsrelevanter Faktor sei der Iran zu werten und habe der BF mit iranischen Behörden bislang keine Probleme gehabt.
Die Ausreisegründe der Eltern in den 1980er Jahren seien Armut und Hunger aufgrund des damals herrschenden Krieges gewesen und habe sich seitdem viel verändert.
Hinsichtlich einer genannten Partei sei der BF nicht Mitglied, sondern nur Sympathisant und habe er keine Führungsrolle inne, sondern habe ab und zu mitgeholfen, die Parteizeitung zu transportieren, wobei auch keine Kontrollen stattgefunden hätten. Es sei davon auszugehen, dass keine allzugroße Nähe zu dieser Partei bestehe und habe der BF selbst angegeben, bislang keinerlei Probleme gehabt zu haben. Die Fühler des iranischen Geheimdienstes seien weitläufig und wäre dieser bereits tätig geworden, wenn er eine potentielle Gefährdung im BF oder seiner Familie gesehen hätte, jedoch habe der BF keine derartigen Vorfälle erwähnt.
Auch aus der Mitgliedschaft des Vaters des BF zur PDK könne keine Gefährdungslage für den BF erkannt werden, da der BF selbst keine Nähe oder Sympathie zu dieser Partei erwähnt habe und der Vater "krankheitsbedingt" für diese nicht mehr aktiv sei; auch sei die Mitgliedschaft des Vaters zur Partei zweifelhaft und habe der BF diese nie als Anlassfall für das Fluchtvorbringen genannt. Dass der BF bereit sei, nicht immer die Wahrheit anzugeben, sei auch aus dem Umstand ersichtlich, dass dieser in seinem ersten Verfahren falsche Angaben zu seiner Person getätigt habe, weshalb auch nicht ausgeschlossen werden könne, dass es sich bei dem nunmehrigen Vorbringen des BF um ein Konstrukt handle.
Ferner seien staatliche Repressionen gegenüber der kurdischen Ethnie nicht zwangsläufige Bestandteile der allgemeinen Gepflogenheiten im Iran. Der iranische Staat gehe jedoch gegen kurdische Aktivisten wie die genannte Partei vor, doch bestehe im Falle des BF weder eine Mitgliedschaft noch sonst Gründe, um diesen als Aktivisten mit dieser Organisation in Zusammenhang zu bringen.
Aus dem Vorbringen des BF hätten sich keinerlei Anhaltspunkt dafür ergeben, dass eine konkret gegen den BF gerichtete asylrelevante Verfolgung im Iran zu befürchten sei; es sei davon auszugehen, dass der BF den Irak aufgrund der dort erlebten Einschränkungen als Flüchtling verlassen habe, um sich so ein sozial besser gestelltes Leben in Europa zu ermöglichen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat über die dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
„Die Beschwerde wird gemäß den § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Z 3, § und 57 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG 2005 idgF mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der erste Satz von Spruchpunkt III. des bekämpften Bescheides zu lauten hat: ‚Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird Ihnen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt.‘"
Die Ausführungen des Beschwerdeführers, wonach er im Falle einer Einreise in den Iran einer asylrelevanten Gefährdung aufgrund seiner Tätigkeit für eine kurdische Partei im Irak ausgesetzt sei, wären nach der Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichtes als unglaubwürdig zu qualifizieren (30.05.2018, L506 2120729-1/35E).
Mit Beschluss vom 9.10.2018, E 3775/2018, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung einer gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Mit Beschluss vom 21.12.2018, Ra 2018/01/0324-6 wies der Verwaltungsgerichtshof eine Revision gegen jenes Erkenntnis zurück.
Mit Mandatsbescheid vom 18.6.2018 trug das Bundesamt dem Beschwerdeführer gemäß § 57 Abs. 1 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG auf, bis zu seiner Ausreise durchgängig Unterkunft in einer näher bezeichneten Betreuungseinrichtung zu nehmen.
3. Am 4.7.2019 stellte der Beschwerdeführer einen dritten Asylantrag. Bei seiner Befragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Polizeiinspektion Schwechat-Fremdenpolizei) am selben Tag gab er an, er hätte sich nach seinem negativen Bescheid vom 30.5.2018 (gemeint ist das Erkenntnis von diesem Tag) in einem Lager in Tirol aufhalten müssen (gemeint ist die Betreuungseinrichtung, in der Unterkunft zu nehmen dem Beschwerdeführer im Mandatsbescheid vom 18.6.2018 aufgetragen worden war), sei aber in Wien bei einem Freund geblieben. Er habe sich im Jänner 2019 - nur auf der Durchreise - in der Bundesrepublik Deutschland und in Dänemark aufgehalten. Seine Fluchtgründe hätten sich nicht geändert ("derzeit so wie schon damals"; er sei als Kurde im Irak nicht anerkannt). Man wolle ihn weder im Irak noch im Iran oder in der Türkei. Neu hinzugekommen sei, dass er im Irak Mitglied einer näher bezeichneten -Partei gewesen sei und deshalb mit dem dort herrschenden Regime Probleme gehabt habe (damit dürfte die irakische Regierung gemeint sein). Andere Fluchtgründe habe er nicht. Auf die Frage nach seinen Befürchtungen bei einer Rückkehr in seine Heimat gab der Beschwerdeführer an, im Irak würde er keine Dokumente erhalten, im Iran würde er große Probleme mit der Regierung bekommen, weil er Mitglied einer genannten -Partei im Irak sei, eines erklärten Feindes der iranischen Obrigkeit. Er befürchte daher, im Iran getötet oder ins Gefängnis geworfen zu werden. Auf die Frage, seit wann ihm die Änderungen der Situation bzw. seiner Fluchtgründe bekannt seien, erklärte der Beschwerdeführer, er habe den Umstand, dass er im Irak bei einer genannten -Partei sei, schon in seinem ersten Asylverfahren bekannt gegeben. Damals sei ihm nicht geglaubt worden; er habe aber nunmehr "einen Ausweis dieser Partei (im Jahre 2016)" besorgt und könne ihn auch vorlegen.
Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesamt (Erstaufnahmestelle Ost) am 23.7.2019 gab der Beschwerdeführer an, sein psychischer Zustand sei sehr schlecht, sein Kopf sei nicht in Ordnung. Der Arzt habe ihm Medikamente verordnet, damit er heute vorbereitet sei. Er könne nicht schlafen; wenn er schlafe, habe er Alpträume. Er habe keine Lust zu leben. Das einzige, was er derzeit versuche, sei, sein Leben zu retten. Diese Beschwerden habe er seit Juli 2018, der Zustand verschlechtere sich von Tag zu Tag. Der Beschwerdeführer legte Befunde vor, die kopiert und zum Akt genommen wurden (es handelt sich um die Überweisung vom 9.7.2019 und den Ambulanzbefund vom 8.7.2019, beide bereits im Akt vorhanden), ebenso Bestätigungen bzw. Aufenthaltstitel seines Bruders und seiner Nichte sowie von Cousins und Cousinen und einer Schwester aus Dänemark. Er schilderte, welche Medikamente er einnehme, und gab an, er könne nicht für sich sorgen. Er habe eine lange Zeit auf der Straße gelebt und ersuche, wenn möglich, um eine Familienzusammenführung (mit seinen Verwandten in Dänemark). Der einzige Grund, warum er nach Dänemark gegangen sei, sei gewesen, dass er Schutz bei seinen Verwandten gesucht habe, damit sie auf ihn aufpassten. Er habe hier (in Österreich) niemanden gehabt und habe einige Male versucht, sich das Leben zu nehmen. Der Beschwerdeführer wurde auf die Möglichkeit hingewiesen, zu einer - namentlich genannten - Psychologin zu gehen, und gab an, er wolle das in Anspruch nehmen.
Auf die Frage nach den Gründen für seinen weiteren Asylantrag gab er an, er sei heimatlos. Es gebe zwei Lösungen, entweder sich umzubringen oder ihm hier einen Platz zum Leben zu geben.
Mit Bescheid vom 28.9.2019, wies das Bundesamt den - dritten - Asylantrag hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I) und hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. Gemäß § 57 AsylG 2005 erteilte es dem Beschwerdeführer keine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" (Spruchpunkt III); gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG erließ es gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV), und gemäß § 52 Abs. 9 FPG stellte es fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V). Es hielt fest, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI), und erließ gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII). Schließlich trug es dem Beschwerdeführer auf, ab 27.9.2019 in einem näher bezeichneten Quartier Unterkunft zu nehmen (Spruchpunkt VIII). Die Begründung des Bescheides entspricht jener im angefochtenen Bescheid (der etwa einen Monat später erlassen wurde). Insbesondere wird darin festgehalten, der Beschwerdeführer sei zur (psychologischen) Untersuchung am 4.9.2019 nicht erschienen.
Mit Bescheid vom 01.10.2019 behob das Bundesamt gemäß § 68 Abs. 2 AVG seinen Bescheid vom 28.9.2019. Begründend führte es aus, aus dem Befund der Gutachterin ergebe sich, dass der Beschwerdeführer zur medizinischen Untersuchung vom 18.9.2019 erschienen sei und sein psychischer Zustand nochmals geprüft werden sollte. Es werde ihm nun eine Stellungnahme zum Gutachten ermöglicht.
Mit Bescheid vom 30.10.2019, Zl. GF: 14-1000705905 VZ: 190676715-EAST Ost wies die Behörde den - dritten - Asylantrag hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I) und hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. Gemäß § 57 AsylG 2005 erteilte es dem Beschwerdeführer keine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" (Spruchpunkt III); gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG erließ es gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV), und gemäß § 52 Abs. 9 FPG stellte es fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V). Es hielt fest, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI), und erließ gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII). Schließlich trug es dem Beschwerdeführer auf, ab 27.9.2019 in einem näher bezeichneten Quartier Unterkunft zu nehmen (Spruchpunkt VIII). Begründend schildert es den Verfahrensgang und stellt ua. fest, der Beschwerdeführer leide "an einer depressiven Episode ggw. mittelgradig". Das Landesklinikum Baden habe die regelmäßige Einnahme von Medikamenten angeordnet, die gegen Depressionen, mittlere Schmerzen und Entzündungen eingesetzt würden. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer schwere ansteckende oder lebensbedrohliche Krankheiten habe. Das Asylverfahren "mit der IFA-Zahl 14-1000705905/14683698 (der Bescheid vom 15.1.2016 trägt die Zahl 1000705905 - 14683698/BMI-BFA_NOE_RD, der Bescheid vom 18.3.2014 die Zahl "1000705905 VZ: 14039853") sei rechtskräftig negativ abgeschlossen worden. In diesem Verfahren seien alle bis zur Entscheidung entstandenen Sachverhalte berücksichtigt worden, sodass darüber nicht mehr neuerlich zu entscheiden sei. Der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt habe sich seit Rechtskraft des zweiten Asylverfahrens (gemeint seit der Rechtskraft der Entscheidung in diesem Verfahren) nicht geändert.
3. Über die dagegen erhobene Beschwerde hat das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 17.02.2020, W 199 2120729-2/7E wie folgt entschieden:
„Die Beschwerde wird hinsichtlich des Spruchpunktes I gemäß § 68 Abs. 1 AVG als unbegründet abgewiesen. Im Übrigen wird der Beschwerde gemäß § 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz und § 15b AsylG 2005 stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.“
Rechtlich erwägend führte das Bundesverwaltungsgericht wie folgt aus:
„Darauf, ob der nunmehr vorgelegte Ausweis, der die Mitgliedschaft des Beschwerdeführers bei der XXXX -Partei belegen soll, im zweiten Asylverfahren bereits vorgelegt worden ist - wie das Bundesamt meint - oder nicht - wie die Beschwerde meint -, kommt es daher nicht an. Im Übrigen spricht das genannte Erkenntnis von einem Ausweis, den der Beschwerdeführer am 8.2.2016 vorgelegt hat (darin ist von einer "Revolutionären Organisation der Arbeiter im iranischen Kurdistan; Komitee für Sympathisanten" die Rede), mit diesem Ausweis hat sich das Bundesverwaltungsgericht in jenem Erkenntnis beschäftigt. Sollte der Beschwerdeführer nun einen anderen Ausweis vorgelegt haben, der ihn nicht als Sympathisanten, sondern als Parteimitglied ausweisen soll, so ist auf das oben Gesagte zu verweisen, dass nämlich der damit behauptete Sachverhalt bereits verwirklicht war, als das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.5.2018 rechtskräftig wurde.
Wenn die Beschwerde der Meinung sein sollte, auf Grund eines neuen Beweismittels könne ein neues Asylverfahren geführt werden, so steht dies nicht mit dem Gesetz in Einklang; wenn die Voraussetzungen gegeben sind, ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens möglich. Jedenfalls trifft es nicht zu, dass es sich, wie die Beschwerde behauptet, "gerade nicht um Tatsachen" handle, "die schon bei Abschluss des materiell entschiedenen Verfahrens bestanden haben, sondern um eine nachträgliche Änderung des entscheidungsrelevanten Sachverhalts auf Grund neuer Beweismittel". (Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers nicht gestärkt wird, wenn er im Vorverfahren behauptet, er sei nicht Mitglied einer Partei gewesen, jetzt aber das Gegenteil angibt, gestützt auf ein neu entstandenes Beweismittel.)
Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides muss daher erfolglos bleiben.
Dagegen ist das Bundesverwaltungsgericht nicht der Ansicht, dass sich das Bundesamt mit der Situation des Beschwerdeführers bei einer "Rückkehr" in den Iran ausreichend beschäftigt hat. Es hat zwar Feststellungen zu seinem psychischen Zustand getroffen, dabei aber die "Gutachterliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren" vom 29.9.2019 nicht einmal erwähnt, geschweige denn sich erkennbar damit beschäftigt. Dies ist für das Bundesverwaltungsgericht nicht nachvollziehbar, war doch gerade diese Stellungnahme der Anlass dafür, dass das Bundesamt mit Bescheid vom 1.10.2019 seinen eigenen Bescheid vom 28.9.2019 behoben hat. Auch im angefochtenen Bescheid wirft es dem Beschwerdeführer vor, er sei am 4.9.2019 nicht zur Untersuchung erschienen. Dies trifft zwar nach der Aktenlage offenbar zu, jedoch erschien der Beschwerdeführer zu einer Untersuchung am 18.9.2019. Wie es zu dieser Untersuchung gekommen ist, ist aus dem Akt nicht nachvollziehbar, da er keine weitere Ladung enthält. Der weitere Vorwurf im angefochtenen Bescheid, der Beschwerdeführer habe die Möglichkeit, zu einer qualifizierten "Psychologin" zu gehen, nicht wahrgenommen, wird jedenfalls dadurch relativiert, dass er am 18.9.2019 zu einer solchen Untersuchung erschienen ist. Jedenfalls kann nicht ausgeschlossen werden, dass jemand, der unter einer depressiven Störung leidet, einen Untersuchungstermin gerade wegen seiner Störung nicht wahrnimmt, sodass die mangelnde Mitwirkung am Verfahren gerade Ausdruck seiner Krankheit ist.
Das Bundesamt hat zwar, wie ausgeführt, Feststellungen zum psychischen Zustand des Beschwerdeführers getroffen, ebenso Feststellungen zur Situation im Iran, insbesondere zu den Möglichkeiten medizinischer Betreuung und zur Situation von Rückkehrern. Beim Beschwerdeführer treffen jedoch mehrere Umstände zusammen, die es geboten erscheinen lassen, Feststellungen zu gerade seiner konkreten Situation im Falle einer "Rückkehr" zu treffen: Als sunnitischer Kurde gehört er einer ethnischen ebenso wie einer religiösen Minderheit an, sodass der Zugang zur medizinischen Versorgung möglicherweise auf Hindernisse stößt, die sich bei Angehörigen der Mehrheitsethnie und der Mehrheitskonfession nicht stellen. Da der Beschwerdeführer nach seinen unwidersprochenen Angaben keine familiären Beziehungen im Iran hat, wird es ihm schon deshalb schwerer als anderen fallen, sich dort zurechtzufinden und einen Facharzt aufzusuchen. Dabei ist zu bedenken, dass sich manche Leute - gerade an Depressionen Leidende - zu einem solchen Entschluss erst durchringen müssen und dabei von Verwandten oder Bekannten unterstützt werden können. Vor allem aber war der Beschwerdeführer noch nie im Iran. Auch wenn man einem psychisch gesunden jungen Mann grundsätzlich die "Rückkehr" in den Iran zumuten kann, selbst wenn er dieses Land noch nie gesehen hat, stellt sich die Situation bei einem psychisch Kranken deutlich anders dar.
Es fehlt somit an konkreten Feststellungen zur individuellen Situation des Beschwerdeführers bei einer "Rückkehr" in den Iran vor dem Hintergrund all dieser Umstände.“
3. Mit dem gegenständlichen Bescheid vom 10.08.2020, zugestellt am 12.08.2020 wurde über den hinsichtlich subsidiärem Schutz noch offenen Drittantrag des Beschwerdeführers wie folgt abgesprochen:
„I. Gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG wird Ihr Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Ihren Herkunftsstaat Iran abgewiesen.
II. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird Ihnen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt.
III. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wird gegen Sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr 100/2005 (FPG) idgF, erlassen.
IV. Es wird gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass Ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Iran zulässig ist.
V. Gemäß § 55 Absatz 1a FPG besteht keine Frist für die freiwillige Ausreise.
VI. Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über Ihren Antrag auf internationalen Schutz wird gemäß § 18 Absatz 1 Ziffer 6 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. Nr. 87/2012, (BFA-VG) idgF, die aufschiebende Wirkung aberkannt.
VII. Gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 2 Ziffer 6 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. Nr. 100/2005 (FPG) idgF, wird gegen Sie ein auf die Dauer von 2 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.“
Begründend angeführt wurde im Wesentlichen, dass der Beschwerdeführer unter einer depressiven Episode leide, aber im Iran kostenlos behandelbar wäre. Auch die Minderheit der sunnitischen Kurden würde im ganzen Land medizinische Behandlung und Medikamente erhalten.
Zur Covid-19 Pandemie führte die Behörde an, dass im Iran bis zum 30.07.2020 16.569 Todesfälle bestätigt worden wären, eine Sterblichkeitsrate von 3 % vorliege und primär alte und immungeschwächte Personen betroffen wären. Der Beschwerdeführer hätte in Österreich kein Familienleben und Angehörige in Dänemark. Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung wurde damit begründet, dass der Beschwerdeführer die gewährte Frist zur Ausreise mehrfach nicht eingehalten hätte.
4. Mit der dagegen erhobenen Beschwerde vom 07.09.2020 beantragte der Beschwerdeführer die Zuerkennung aufschiebender Wirkung, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, die Feststellung, wonach dem Beschwerdeführer subsidiärer Schutz zukomme; in eventu den Bescheid zu beheben und die Angelegenheit an die Behörde zurückzuverweisen, sowie festzustellen, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre, festzustellen, dass die Voraussetzungen für eine Aufenthaltsberechtigung (plus) vorliegen würden und diese von Amts wegen zu erteilen wäre, sowie in eventu festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz vorliegen würden und dem Beschwerdeführer diese von Amts wegen zu erteilen wäre; den Bescheid hinsichtlich des Einreiseverbots ersatzlos zu beheben; in eventu das befristete Einreiseverbot auf eine angemessene Dauer herabzusetzen.
Begründend führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, dass es ungeklärt wäre, ob er in Verbindung mit seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie eines mangelnden sozialen Netzwerkes medizinische Behandlung in Anspruch nehmen könne. Der Beschwerdeführer hätte in größeren Städten nur theoretisch Zugang zu Psychotherapie und Medikamenten. Er könne sich diese nicht leisten. Der im dritten Asylverfahren vorgelegte Mitgliedsausweis einer genannten Partei wäre im Sinne einer Refoulementprüfung zu berücksichtigen gewesen.
Der Beschwerdeführer könnte durch seine außergewöhnliche individuelle Situation im Iran Opfer von willkürlicher Gewalt werden.
Der Beschwerdeführer versuche, sich zu integrieren und die deutsche Sprache zu lernen. Es fehle an Feststellungen zur Höhe des Einreiseverbots. Aufgrund des Vorbringens des Beschwerdeführers, sich um Ausreisedokumente bemüht zu haben, könne dem Beschwerdeführer keine Ausreiseunwilligkeit vorgeworfen werden. Der Beschwerdeführer führte an, der Beweiswürdigung der Behörde entgegengetreten zu sein.
5. Die belangte Behörde legte den Bescheid, die Beschwerde und die zugehörigen Verwaltungsakten mit Erledigung vom 14.09.2020 dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor, wo der Akt am 22.09.2020 einlangte.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer ist iranischer Staatsangehöriger, moslemischen Glaubens (Sunnit) und Angehöriger der kurdischen Volksgruppe. Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest.
Die Anträge auf Zuerkennung von Asyl wurden bereits dreimal rechtskräftig abgewiesen. Subsidiärer Schutz wurde dem Beschwerdeführer bislang zweimal rechtskräftig verwehrt.
Die Eltern des Beschwerdeführers haben nach der iranischen Revolution im Jahr 1979 den Iran verlassen und leben im Irak als Flüchtlinge; dass diese den Iran aus individuellen politischen Gründen verlassen haben, kann nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer, welcher im Irak aufgewachsen ist und dort auch fallweise gearbeitet hat, wurde durch UNHCR prima facie, d.h. ohne Durchführung einer umfassenden Einzelfallprüfung der Asyleinschluss- und Ausschlussgründe im Irak als Flüchtling registriert und liegen UNHCR keine Informationen zu den individuellen Fluchtgründen des Beschwerdeführers vor.
Der Beschwerdeführer verfügt über zwei Onkel und zwei Tanten im Iran und steht die Familie des Beschwerdeführers zu diesen Verwandten in Kontakt. Ein Bruder des Beschwerdeführers lebt in Dänemark.
Der Beschwerdeführer ist volljährig, ledig und hat keine Kinder.
Der Beschwerdeführer hat den Staat seines bisherigen Aufenthaltes, den Irak, aufgrund der dort herrschenden allgemeinen schlechten und benachteiligten Lage der Flüchtlinge verlassen.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer oder seine Familie in seinem Herkunftsstaat Iran asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war oder pro futuro asylrelevanter Verfolgung im Iran ausgesetzt sein wird.
Der Beschwerdeführer ist grundsätzlich arbeitsfähig; er leidet an einer Anpassungsstörung sowie an einer depressiven Störung und befindet sich in psychotherapeutischer Behandlung.
Es können keine stichhaltigen Gründe für die Annahme festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer Gefahr liefe, im Iran einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in den Iran in eine existenzgefährdende Notsituation geraten würde oder als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen oder internationalen Konfliktes ausgesetzt wäre.
Zum Entscheidungszeitpunkt konnte auch keine sonstige aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers in seinem Herkunftsstaat festgestellt werden.
In Österreich hat der Beschwerdeführer keine Verwandten oder sonstige nahe Bezugspersonen. Der Beschwerdeführer lebt von der staatlichen Grundversorgung, hat einen Deutschkurs besucht und die A1-Prüfung abgelegt.
Im Strafregisterauszug scheinen keine Verurteilungen des Beschwerdeführers auf. Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten. Sein Aufgriff iZm Schlepperei führte zu keinem Strafverfahren gegen ihn.
Der Beschwerdeführer verfügt zum Entscheidungszeitpunkt über keine relevanten Bindungen zu Österreich.
Weitere maßgebliche Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration des Beschwerdeführers in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht konnten nicht festgestellt werden.
Des Weiteren liegen weder die Voraussetzungen für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz", noch für einen Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK vor und ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung geboten. Es ergibt sich aus dem Ermittlungsverfahren überdies, dass die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran festzustellen ist.
Die für den Fall derzeit relevante Situation im Iran stellt sich wie folgt dar:
Politische Lage
Iran ist seit 1979 eine Islamische Republik (AA 4.3.2020b). Das Staatssystem beruht auf dem Konzept der „velayat-e faqih“, der Stellvertreterschaft des Rechtsgelehrten. Dieses besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage sei, eine legitime Regierung zu führen, bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten werde. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel „Revolutionsführer“ (GIZ 2.2020a; vgl. BTI 2020). Der Revolutionsführer (auch Oberster Führer) ist seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei. Er steht noch über dem Präsidenten (ÖB Teheran 10.2019; vgl. US DOS 11.3.2020). Er wird von einer Klerikerversammlung (Expertenrat) auf Lebenszeit gewählt, ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte (AA 4.3.2020a; vgl. FH 4.3.2020, US DOS 11.3.2020) und wesentlich mächtiger als der Präsident. Des weiteren unterstehen ihm unmittelbar die Revolutionsgarden (Pasdaran oder IRGC), die mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen und die gesamte Judikative. Für die entscheidenden Fragen ist letztlich der Oberste Führer verantwortlich (ÖB Teheran 10.2019; vgl. FH 4.3.2020). Obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (z.B. Klerus). Diese Zugehörigkeiten und Allianzen unterliegen dabei einem ständigen Wandel. Reformorientierte Regimekritiker sind weiterhin starken Repressionen ausgesetzt (AA 26.2.2020).
Auf Reformbestrebungen bzw. die wirtschaftliche Öffnung des Landes durch die Regierung Rohanis wird von Hardlinern in Justiz und politischen Institutionen mit verstärktem Vorgehen gegen „unislamisches“ oder konterrevolutionäres Verhalten reagiert. Es kann daher auch nicht von einer wirklichen Verbesserung der Menschenrechtslage gesprochen werden. Ein positiver Schritt Ende 2017 war die Aufhebung der Todesstrafe für die meisten Drogendelikte, was zu einer Halbierung der vollstreckten Todesurteile führte (ÖB Teheran 10.2019).
Rechtsschutz / Justizwesen
Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik, in welcher versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 10.2019). Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative. Dieser ist laut Artikel 157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben, unterliegt jedoch Begrenzungen. Immer wieder wird deutlich, dass Exekutivorgane, v.a. der Sicherheitsapparat, trotz des formalen Verbots, in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung nehmen. Zudem ist zu beobachten, dass fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption (AA 26.2.2020; vgl. BTI 2020). In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer („Iranian Bar Association“; IBA).
Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen, insbesondere in politischen Verfahren, ausgesetzt (AA 26.2.2020). Das Justizsystem wird als Instrument benutzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 4.3.2020).
Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und, dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (US DOS 11.3.2020). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die wahrscheinlich unter Anwendung von Folter erlangt wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 14.1.2020; vgl. AA 26.2.2020, HRC 28.1.2020). Die Behörden setzen sich ständig über die Bestimmungen hinweg, welche die Strafprozessordnung von 2015 für ein ordnungsgemäßes Verfahren vorsieht, wie z.B. das Recht auf einen Rechtsbeistand (AI 18.2.2020; vgl. HRW 14.1.2020).
Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Nach dem iranischen Strafgesetzbuch (IStGB) wird jeder Iraner oder Ausländer, der bestimmte Straftaten im Ausland begangen hat und in Iran festgenommen wird, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Bei der Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 26.2.2020).
Wenn sich Gesetze nicht mit einer Situation befassen, dürfen Richter ihrem Wissen und ihrer Auslegung der Scharia Vorrang einräumen. Nach dieser Methode können Richter eine Person aufgrund ihres eigenen „göttlichen Wissens“ für schuldig erklären (US DOS 11.3.2020).
In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die “Sondergerichte für die Geistlichkeit“ sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015; vgl. BTI 2018).
Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:
- Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere "Feindschaft zu Gott" und "Korruption auf Erden";
- Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;
- Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;
- Spionage für fremde Mächte;
- Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;
- Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).
Gerichtsverfahren, vor allem Verhandlungen vor Revolutionsgerichten, finden nach wie vor unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und sind extrem kurz. Manchmal dauert ein Verfahren nur wenige Minuten (AI 22.2.2018).
Die iranische Strafrechtspraxis unterscheidet sich stark von jener der europäischen Staaten: Körperstrafen sowie die Todesstrafe werden verhängt (ÖB Teheran 10.2020; vgl. AA 26.2.2020). Im iranischen Strafrecht sind körperliche Strafen wie die Amputation von Fingern, Händen und Füßen vorgesehen. Berichte über erfolgte Amputationen dringen selten an die Öffentlichkeit. Wie hoch die Zahl der durchgeführten Amputationen ist, kann nicht geschätzt werden (AA 26.2.2020). Amputation eines beispielsweise Fingers bei Diebstahl fällt unter Vergeltungsstrafen („Qisas“), ebenso wie die Blendung, die auch noch immer angewendet werden kann. Durch Erhalt eines Abstandsgeldes („Diya“) kann der ursprünglich Verletzte jedoch auf die Anwendung einer Blendung verzichten. Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen. Auch auf diese kann vom
„Geschädigten“ gegen eine Abstandsgeldzahlung verzichtet werden. Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 10.2019). Zudem sieht das iranische Strafrecht bei bestimmten Vergehen wie zum Beispiel Alkoholgenuss, Missachten des Fastengebots oder außerehelichem Geschlechtsverkehr auch Auspeitschung vor. Regelmäßig besteht aber auch hier die Möglichkeit, diese durch Geldzahlung abzuwenden (AA 26.2.2020).
Aussagen hinsichtlich einer einheitlichen Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da sich diese durch Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Personen ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Bei bestimmten Anklagepunkten – wie z.B. Gefährdung der nationalen Sicherheit – dürfen Angeklagte zudem nur aus einer Liste von zwanzig vom Staat zugelassenen
Anwälten auswählen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch, besonders deutlich wird dies bei Verurteilungen wegen Äußerungen in sozialen Medien oder Engagement gegen die Hijab- Pflicht (AA 26.2.2020).
Darüber hinaus ist die Strafverfolgungspraxis auch stark von aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmt. Im August 2018 wurde angesichts der kritischen Wirtschaftslage ein Sondergericht für Wirtschaftsstraftaten eingerichtet, das bislang schon einige Menschen wegen Korruption zum Tode verurteilt hat (AA 12.1.2019).
Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen. Bei Vergeltungsstrafen können die Angehörigen der Opfer gegen Zahlung eines Blutgeldes auf den Vollzug der Strafe verzichten. Unter der Präsidentschaft Rohanis hat die Zahl der Aussetzung der hohen Strafen bis hin zur Todesstrafe wegen des Verzichts der Angehörigen auf den Vollzug der Strafe stark zugenommen (AA 26.2.2020).
Rechtsschutz ist oft nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird mitunter – insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren – nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen (AA 26.2.2020).
Sicherheitsbehörden
Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit; etwa das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums, die dem Präsidenten berichten, und die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enghelab-e Islami - IRGC), welche direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij-Kräfte, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung mit lokalen Niederlassungen im ganzen Land, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Basij-Einheiten sind oft bei der Unterdrückung von politischen Oppositionellen oder bei der Einschüchterung von Zivilisten involviert (US DOS 11.3.2020). Organisatorisch sind die Basij den Pasdaran (Revolutionsgarden) unterstellt und ihnen gehören auch Frauen an (AA 26.2.2020). Basijis sind ausschließlich gegenüber dem Obersten Führer loyal und haben oft keinerlei reguläre polizeiliche Ausbildung, die sie mit rechtlichen Grundprinzipien polizeilichen Handelns vertraut gemacht hätten. Basijis haben Stützpunkte u.a. in Schulen und Universitäten, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist. Schätzungen über die Zahl der Basijis gehen weit auseinander und reichen bis zu mehreren Millionen (ÖB Teheran 10.2019).
Die Polizei unterteilt sich in Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internetpolizei, Drogenpolizei, Grenzschutzpolizei, Küstenwache, Militärpolizei, Luftfahrtpolizei, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst. Eine Sonderrolle nehmen die Revolutionsgarden ein, deren Auftrag formell der Schutz der Islamischen Revolution ist. Als Parallelarmee zu den regulären Streitkräften durch den Staatsgründer Khomeini aufgebaut, haben sie neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über fortschrittlichere Ausrüstung als die reguläre Armee, eigene Gefängnisse und eigene Geheimdienste, die auch mit Inlandsaufgaben betraut sind, sowie engste Verbindungen zum Revolutionsführer (AA 26.2.2020). Die Revolutionsgarden sind eng mit der iranischen Wirtschaft verbunden (FH 4.3.2020). Sie betreiben den Imam Khomeini International Airport in der iranischen Hauptstadt und verfügen damit allein durch Start- und Landegebühren über ein äußerst lukratives Geschäft. Auch an den anderen Flug- und Seehäfen im Land kontrollieren die Truppen der IRGC Irans Grenzen. Sie entscheiden, welche Waren ins Land gelassen werden und welche nicht. Sie zahlen weder Zoll noch Steuern. Sie verfügen über Land-, See- und Luftstreitkräfte, kontrollieren Irans strategisches Waffenarsenal und werden auf eine Truppenstärke von mehr als 120.000 geschätzt. Außerdem sind die Revolutionswächter ein gigantisches Wirtschaftsunternehmen, das Augenkliniken betreibt, Kraftfahrzeuge, Autobahnen, Eisenbahnstrecken und sogar U-Bahnen baut. Sie sind eng mit der Öl- und Gaswirtschaft des Landes verflochten, bauen Staudämme und sind im Bergbau aktiv (DW 18.2.2016). Khamenei und den Revolutionsgarden gehören rund 80% der iranischen Wirtschaft. Sie besitzen außer den größten Baufirmen auch Fluggesellschaften, Minen, Versicherungen, Banken, Elektrizitätswerke, Telekommunikationsfirmen, Fußballklubs und Hotels. Für die Auslandsaktivitäten gibt das Regime Milliarden aus (Menawatch 10.1.2018). Längst ist aus den Revolutionsgarden ein bedeutender Machtfaktor geworden – gesellschaftlich, wirtschaftlich, militärisch und politisch. Sehr zum Leidwesen von Hassan Rohani. Der Präsident versucht zwar, die Garden und ihre Chefebene in die Schranken zu weisen. Das gelingt ihm jedoch kaum (Tagesspiegel 8.6.2017; vgl. BTI 2020). Die paramilitärischen Einheiten schalten und walten nach wie vor nach Belieben – nicht nur in Iran, sondern in der Region. Es gibt nur wenige Konflikte, an denen sie nicht beteiligt sind. Libanon, Irak, Syrien, Jemen – überall mischen die Revolutionsgarden mit und versuchen, die islamische Revolution zu exportieren. Ihre Al-Quds-Brigaden sind als Kommandoeinheit speziell für Einsätze im Ausland trainiert (Tagesspiegel 8.6.2017).
Das Ministerium für Information ist als Geheimdienst (Vezarat-e Etela’at) mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung religiöser und illegaler politischer Gruppen beauftragt. Aufgeteilt ist dieser in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst,
Technischen Aufklärungsdienst und eine eigene Universität (Imam Ali Universität). Dabei kommt dem Inlandsgeheimdienst die bedeutendste Rolle bei der Bekämpfung der politischen Opposition zu. Der Geheimdienst tritt bei seinen Maßnahmen zur Bekämpfung der politischen Opposition nicht als solcher auf, sondern bedient sich überwiegend der Sicherheitskräfte und der Justiz (AA 26.2.2020).
Das reguläre Militär (Artesh) erfüllt im Wesentlichen Aufgaben der Landesverteidigung und Gebäudesicherung. Neben dem „Hohen Rat für den Cyberspace“ beschäftigt sich die iranische Cyberpolizei mit Internetkriminalität mit Fokus auf Wirtschaftskriminalität, Betrugsfällen und Verletzungen der Privatsphäre im Internet sowie der Beobachtung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken und sonstigen politisch relevanten Äußerungen im Internet. Sie steht auf der EU- Menschenrechtssanktionsliste (AA 26.2.2020).
Die Regierung hat volle Kontrolle über die Sicherheitskräfte und über den größten Teil des Landes, mit Ausnahme einiger Grenzgebiete. Irans Polizei ist traditionellerweise verantwortlich für die innere Sicherheit und für Proteste oder Aufstände. Sie wird von den Revolutionsgarden (IRGC) und den Basij Milizen unterstützt. Im Zuge der steigenden inneren Herausforderungen verlagerte das herrschende System die Verantwortung für die innere Sicherheit immer mehr zu den IRGC. Die Polizeikräfte arbeiten ineffizient. Getrieben von religiösen Ansichten und Korruption, geht die Polizei gemeinsam mit den Kräften der Basij und der Revolutionsgarden rasch gegen soziale und politische Proteste vor, ist aber weniger eifrig, wenn es darum geht, die Bürger vor kriminellen Aktivitäten zu schützen (BTI 2020).
Der Oberste Führer hat die höchste Autorität über alle Sicherheitsorganisationen. Straffreiheit innerhalb des Sicherheitsapparates ist weiterhin ein Problem. Menschenrechtsgruppen beschuldigen reguläre und paramilitärische Sicherheitskräfte (wie zum Beispiel die Basij), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen zu begehen. Es gibt keinen transparenten Mechanismus, um Fehlverhalten der Sicherheitskräfte zu untersuchen oder zu bestrafen. Es gibt nur wenige Berichte, dass die Regierung Täter zur Rechenschaft zieht (US DOS 11.3.2020).
Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da die Geheimdienste (der Regierung und der Revolutionsgarden) sowie die Basijis nicht nach iranischen rechtsstaatlichen Standards handeln. Auch Verhaltensweisen, die an sich (noch) legal sind, können das Misstrauen der Basijis hervorrufen. Bereits auffälliges Hören von (insbesondere westlicher) Musik, ungewöhnliche Bekleidung oder Haarschnitt, die Äußerung der eigenen Meinung zum Islam, Partys oder gemeinsame Autofahrten junger, nicht miteinander verheirateter Männer und Frauen könnte den Unwillen zufällig anwesender Basijis bzw. mit diesen sympathisierender Personen hervorrufen. Willkürliche Verhaftungen oder Misshandlung durch Basijis können in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden (ÖB Teheran 10.2019).
In Bezug auf die Überwachung der Bevölkerung, ist nicht bekannt, wie groß die Kapazität der iranischen Behörden ist. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018). Insbesondere die kurdische Region scheint stärker überwacht zu sein, als der Rest des Landes (DIS 7.2.2020).
Folter und unmenschliche Behandlung
Folter ist nach Art. 38 der iranischen Verfassung verboten. Dennoch sind seelische und körperliche Folter sowie unmenschliche Behandlung bei Verhören und in Haft, insbesondere in politischen Fällen, durchaus üblich (AA 26.2.2020; vgl. US DOS 11.3.2020, DIS 7.2.2020). Dies betrifft vorrangig nicht registrierte Gefängnisse, aber auch „offizielle“ Gefängnisse, insbesondere den berüchtigten Trakt 209 im Teheraner Evin-Gefängnis, welcher unmittelbar dem Geheimdienstministerium untersteht (AA 26.2.2020; vgl. US DOS 11.3.2020). Die Justizbehörden verhängen und vollstrecken weiterhin grausame und unmenschliche Strafen, die Folter gleichkommen. In einigen Fällen werden die Strafen öffentlich vollstreckt (AI 18.2.2020; vgl. US DOS 13.3.2019, FH 4.3.2020). Zahlreiche Personen wurden wegen Diebstahls oder Überfällen zu Peitschenhieben verurteilt, aber auch wegen Taten, die laut Völkerrecht nicht strafbar sind, wie z. B. Beteiligung an friedlichen Protesten, außereheliche Beziehungen, Alkoholkonsum oder Teilnahme an Feiern, bei denen sowohl Frauen als auch Männer anwesend waren. (AI 18.2.2020).
Bei Delikten, die im krassen Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden. Bereits der Besitz geringer Mengen von Alkohol kann zur Verurteilung zu Peitschenhieben führen (eine zweistellige Zahl an Peitschenhieben ist dabei durchaus realistisch). Die häufigsten Fälle, für welche die Strafe der Auspeitschung durchgeführt wird, sind illegitime Beziehungen, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Teilnahme an gemischtgeschlechtlichen Veranstaltungen, Drogendelikte und Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit. Auch werden Auspeitschungen zum Teil öffentlich vollstreckt (ÖB Teheran 10.2019). Darüber hinaus gibt es Berichte, wonach politische Gefangene mit Elektroschocks gefoltert werden. Weitere berichtete Foltermethoden sind Verprügeln, Schlagen auf Fußsohlen und andere Körperteile, manchmal während die Häftlinge mit dem Kopf nach unten an der Decke aufgehängt waren, Verbrennungen mit Zigaretten und heißen Metallgegenständen, Scheinhinrichtungen (davon wissen praktisch alle politischen Gefangene aus eigener Erfahrung zu berichten), Vergewaltigungen
– teilweise durch Mitgefangene - die Androhung von Vergewaltigung, Einzelhaft, Entzug von Licht, Nahrung und Wasser, und die Verweigerung medizinischer Behandlung (ÖB Teheran 12.2018; vgl. US DOS 11.3.2020).
Folter und andere Misshandlungen passieren häufig in der Ermittlungsphase (HRC 8.2.2019; vgl. DIS 7.2.2020), um Geständnisse zu erzwingen. Dies betrifft vor allem Fälle von ausländischen und Doppelstaatsbürgern, Minderheiten, Menschenrechtsverteidigern und jugendlichen Straftätern (HRC 8.2.2019). Obwohl unter Folter erzwungene Geständnisse vor Gericht laut Verfassung unzulässig sind, legt das Strafgesetzbuch fest, dass ein Geständnis allein dazu verwendet werden kann, eine Verurteilung zu begründen, unabhängig von anderen verfügbaren Beweisen (HRC 8.2.2019; vgl. HRC 28.1.2020). Es besteht eine starke institutionelle Erwartung, Geständnisse zu erzielen. Dies wiederum ist einem fairen Verfahren nicht dienlich (HRC 8.2.2019; vgl. HRW 14.1.2020, HRC 28.1.2020). Frühere Gefangene berichten, dass sie während der Haft geschlagen und gefoltert wurden, bis sie Verbrechen gestanden haben, die von Vernehmungsbeamten diktiert wurden (FH 4.3.2020).
Korruption
Das Gesetz sieht Strafen für Korruption im öffentlichen Bereich vor, aber die Regierung implementiert dieses Gesetz willkürlich. Manchmal werden Korruptionsfälle gegen Beamte rechtmäßig verfolgt, gleichzeitig werden politisch motivierte Anklagen gegen Regimekritiker oder politische Opponenten vorgebracht. Die meisten Beamten betätigen sich weiterhin korrupt und können mit Straffreiheit rechnen. Religiöse Wohltätigkeitsorganisationen, sogenannte „Bonyads“, leisten zwischen einem Viertel und einem Drittel der wirtschaftlichen Leistung des Landes. Bonyads erhalten Begünstigungen durch die Regierung, ihr Finanzgebaren wird jedoch nicht kontrolliert. Oppositionspolitiker und internationale Organisationen bezichtigen diese Bonyads regelmäßig der Korruption. Geleitet werden diese steuerbefreiten Organisationen von Personen, die der Regierung nahe stehen, wie z.B. Angehörige des Militärs oder der Geistlichkeit. Zahlreiche Firmen, die in Verbindung mit den Revolutionsgarden stehen, betätigen sich teils rechtswidrig in Handel und Gewerbe, einschließlich der Bereiche Telekommunikation, Bergbau und Bauwesen. Andere Unternehmen der Revolutionsgarden betätigen sich im Schmuggel von Medikamenten, Drogen und Rohstoffen. Von allen Regierungsmitgliedern (einschließlich Mitglieder des Minister-, Wächter- und Schlichtungsrats und der Expertenversammlung) wird ein jährlicher Bericht über die Vermögenslage verlangt. Es gibt keine Information, ob diese Personen sich an die Gesetze halten (US DOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020).
Auch das Justizwesen ist nicht frei von Korruption (AA 26.2.2020 vgl. US DOS 11.3.2020, BTI 2020). Nach belastbaren Aussagen von Rechtsanwälten ist ca. ein Drittel der Richter bei entsprechender Gegenleistung zu einem Entgegenkommen bereit (AA 26.2.2020 vgl. US DOS 11.3.2020). Auch in der Polizei, sozialen Organisationen, im Öffentlichen Dienst und staatlichen Behörden ist Korruption weit verbreitet. Korruption und Gesetzesverstöße sind auch in der politischen Elite weit verbreitet. Menschen werden jedoch selten strafrechtlich verfolgt und wenn sie es werden, ist dies hauptsächlich auf politische Rivalitäten zurückzuführen (BTI 2020).
Transparency International führt Iran in seinem Korruptionsindex von 2019 mit 26 (von 100) Punkten (0=highly corrupt, 100=very clean) auf Platz 146 von 180 untersuchten Ländern (TI 1.2020). Zum Vergleich im Jahr davor, 2018, lag Iran mit 28 (von 100) Punkten auf Platz 138 von 180 untersuchten Ländern (TI 30.1.2019). Es konnte sich in Iran kaum eine eigenständige Wirtschaft entwickeln, dieses Problem wird durch die weit verbreitete Korruption noch verschärft (GIZ 3.2020b).
Allgemeine Menschenrechtslage
Die iranische Verfassung (IRV) vom 15. November 1979 enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog. Der Generalvorbehalt des Einklangs mit islamischen Prinzipien des Art. 4 IRV lässt jedoch erhebliche Einschränkungen zu. Der im Jahr 2001 geschaffene „Hohe Rat für Menschenrechte“ untersteht unmittelbar der Justiz. Das Gremium erfüllt allerdings nicht die Voraussetzungen der 1993 von der UN-Generalversammlung verabschiedeten „Pariser Prinzipien“ (AA 26.2.2020).
Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen nicht ratifiziert:
- Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe
- Fakultativprotokoll zur Antifolterkonvention
- Zweites Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe
- Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau
- Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen
- Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten (AA 26.2.2020).
Iran zählt zu den Ländern mit einer anhaltend beunruhigenden Lage der Menschenrechte, die jedoch besser ist als in der Mehrzahl der Nachbarländer (ÖB Teheran 10.2019). Der iranische Staat verstößt regelmäßig gegen die Menschenrechte nach westlicher Definition (GIZ 2.2020a). Zu den wichtigsten Menschenrechtsfragen gehören Hinrichtungen für Verbrechen, die nicht dem internationalen Rechtsstandard der "schwersten Verbrechen" entsprechen und ohne einen fairen Prozess, zahlreiche Berichte über rechtswidrige oder willkürliche Tötungen, Verschwindenlassen und Folter durch Regierungsbeamte, harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen, systematische Inhaftierungen, einschließlich Hunderter von politischen Gefangenen (US DOS 11.3.2020; vgl. AI 18.2.2020, FH 4.3.2020, HRW 14.1.2020). Weiters gibt es unrechtmäßige Eingriffe in die
Privatsphäre, erhebliche Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz, insbesondere der Revolutionsgerichte, Beschränkungen der freien Meinungsäußerung, der Presse und des Internets, einschließlich Gewalt, Androhung von Gewalt sowie ungerechtfertigter Festnahmen und Strafverfolgung gegen Journalisten, Zensur, Blockieren von Webseiten und Kriminalisierung von Verleumdungen; erhebliche Eingriffe in das Recht auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit, wie z.B. die restriktiven Gesetze für Nichtregierungsorganisationen (NGO); Einschränkungen der Religionsfreiheit, Beschränkungen der politischen Beteiligung durch willkürliche Kandidatenprüfung, weit verbreitete Korruption auf allen Regierungsebenen, rechtswidrige Rekrutierung von Kindersoldaten durch Regierungsakteure zur Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien, Menschenhandel, Gewalt gegen ethnische Minderheiten, strenge staatliche Beschränkungen der Rechte von Frauen und Minderheiten, Kriminalisierung von sexuellen Minderheiten, Verbrechen, die Gewalt oder Gewaltdrohungen gegen Angehörige sexueller Minderheiten beinhalten, und schließlich das Verbot unabhängiger Gewerkschaften (US DOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020, HRW 14.1.2020). Die Regierung unternahm wenige Schritte, um verantwortliche Beamte zur Rechenschaft zu ziehen. Viele dieser Missstände sind im Rahmen der Regierungspolitik zu verantworten. Straffreiheit ist auf allen Ebenen der Regierung und der Sicherheitskräfte weit verbreitet (US DOS 11.3.2020).
Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze infrage stellt. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weit gefasste Straftatbestände (vgl. Art. 279 bis 288 iStGB sowie Staatsschutzdelikte, insbesondere Art. 1 bis 18 des 5. Buches des iStGB). Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden (AA 26.2.2020). Die Tätigkeit als Frauen- und Menschenrechtsaktivist wird regelmäßig strafrechtlich verfolgt (Vorwurf der Propaganda gegen das Regime o.ä.) und hat oft die Verurteilung zu Haft- oder auch Körperstrafen zur Folge (ÖB Teheran 10.2019). Auch Umweltaktivisten müssen mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen (HRW 14.1.2020; vgl. BTI 2020).
Meinungs- und Pressefreiheit
Die iranische Verfassung garantiert zwar Meinungs- und Pressefreiheit, aber nur insoweit Aussagen nicht „schädlich“ für