TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/30 W229 2169121-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.09.2020
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Entscheidungsdatum

30.09.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W229 2169121-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Elisabeth WUTZL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Robert BITSCHE, Nikolsdorfergasse 7-11/15, 1050 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.08.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1, 2 und 4 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 07.10.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Bei seiner Erstbefragung am selben Tag durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, er stamme aus der Provinz Ghazni. Seine Muttersprache sei Farsi, er sei schiitischer Moslem. Er habe neun Jahre lang die Grundschule besucht, er habe keine Berufsausbildung, aber als Hilfsarbeiter gearbeitet. Seine Kernfamilie bestehe aus seiner Mutter, drei Schwestern und drei Brüdern. Sein Vater sei bereits verstorben.

3. Mit Schreiben des Beschwerdeführers vom 02.11.2015 gab der Beschwerdeführer an, es sei bei der Erstbefragung zu einem Fehler der Übersetzung gekommen, sein Geburtsdatum sei der XXXX , dies entspreche dem XXXX . Er bitte um Korrektur.

4. Im weiteren Verfahrensverlauf gab der Beschwerdeführer in seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) am 14.07.2017 zusammengefasst weiter an, er stamme aus dem Dorf XXXX , Distrikt XXXX , Provinz Ghazni. Bis zu seiner Flucht habe er in XXXX gelebt, etwa 20 Minuten von der Stadt Ghazni entfernt. Er habe die Schule besucht und nachmittags in dem Lebensmittelgeschäft seines Onkels mütterlicherseits ausgeholfen. Er habe derzeit keinen Kontakt mehr mit seiner Familie.

Befragt zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, dass ihm sein Vater eines Tages gesagt habe, dass er mit den Taliban zusammengearbeitet habe. Er habe den Beschwerdeführer zu XXXX mitgenommen, dieser habe dem Beschwerdeführer gesagt, er solle wie sein Vater, seine Onkel und sein Cousin XXXX für die Taliban arbeiten. Der Beschwerdeführer habe Bekannten gesagt, dass sein Vater für die Taliban arbeite, woraufhin zwischen den Bekannten und zwei weiteren Männern ein Streit mit dem Vater des Beschwerdeführers begonnen habe. Dabei sei der Vater des Beschwerdeführers verletzt worden und gestorben. Der Cousin des Beschwerdeführers, XXXX , habe ihn gewarnt, dass XXXX und seine beiden Onkel ihn umbringen haben wollen, damit er sie nicht verrate. Deshalb habe der Beschwerdeführer Afghanistan verlassen.

Der Beschwerdeführer legte ein Konvolut an Integrationsunterlagen vor.

5. Mit Bescheid vom 03.08.2017 wies das BFA den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt; gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wurde eine Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt IV.).

6. Mit Verfahrensanordnung vom 04.08.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig der Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberatung für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

7. Gegen den oben genannten Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seinen nunmehrigen Rechtsvertreter fristgerecht Beschwerde, welche am 22.08.2017 beim BFA einlangte und in der Folge an das Bundesverwaltungsgericht weitergeleitet wurde (eingelangt am 29.08.2017).

8. Am 11.05.2020 langten beim Bundesverwaltungsgericht eine Beschwerdeergänzung ein. Dabei wurden mehrere Integrationsunterlagen sowie der Taufschein vom 03.11.2019 vorgelegt.

9. Am 21.07.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer und seine Rechtsvertretung teilnahmen, der ein Dolmetscher für die Sprache Dari beigezogen und eine Zeugin einvernommen wurde. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm an der mündlichen Verhandlung ebenfalls teil.

Der Beschwerdeführer legte ein Zeugnis über die Abschlussprüfung Englisch sowie ein Empfehlungsschreiben seines Dienstgebers vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer, XXXX , geboren am XXXX , ist afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara. Seine Muttersprache ist Dari. Der Beschwerdeführer stammt aus dem Dorf XXXX , Distrikt XXXX , Provinz Ghazni, wo er bis zu seiner Ausreise lebte. Der Beschwerdeführer besuchte neun Jahre die Schule. Er verfügt in Afghanistan über keine Berufsausbildung, half jedoch im Geschäft seines Onkels mit. Der Beschwerdeführer ist nicht verheiratet und hat keine Kinder.

Die Mutter des Beschwerdeführers starb, als er drei Jahre alt war, er hat eine Stiefmutter sowie drei Schwestern und drei Brüder. Der Vater des Beschwerdeführers ist bereits gestorben. Der Beschwerdeführer hat zwei Onkel väterlicherseits und einen Onkel mütterlicherseits sowie eine Tante in Afghanistan. Nach seiner Ankunft in Österreich hatte der Beschwerdeführer keinen Kontakt mit seiner Familie. Im Jahr 2018 konnte er über seinen Onkel mütterlicherseits Kontakt zu seiner Familie aufnehmen. Diese brach den Kontakt zu ihm wieder ab, nachdem der Beschwerdeführer ihnen erzählte, dass er konvertiert sei.

1.2. Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der Beschwerdeführer stellte am 07.10.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Ab 2016 wohnte er in XXXX , nunmehr wohnt er in XXXX .

Der Beschwerdeführer besuchte mehrere Deutschkurse. Im Juli 2017 absolvierte er den Pflichtschulabschluss. Er arbeitete ehrenamtlich in einem Seniorenheim mit und verrichtete gemeinnützige Arbeiten für die Gemeinde XXXX .

Seit 16.12.2017 absolviert der Beschwerdeführer eine Lehre mit Matura zum Restaurantfachmann bei der XXXX GmbH in XXXX . Seine Lehrzeit endet mit 15.12.2020. Sein Lehrherr hat dem Beschwerdeführer zugesagt, ihn danach im Betrieb zu übernehmen.

Der Beschwerdeführer hat einen Freundeskreis, in seiner Freizeit macht er Sport. Er hat eine Freundin, mit der er oft Zeit verbringt.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer wuchs als schiitischer Moslem auf, seine Eltern waren gläubig und in der Familie wurden fünf Mal pro Tag die Gebete verrichtet sowie die Fastenzeit eingehalten.

Der Beschwerdeführer hatte Mitte 2017 erstmal Kontakt zum christlichen Glauben. Mit einem Arbeitskollegen unterhielt sich der Beschwerdeführer immer wieder über Religion und über das Christentum, schließlich schenkte dieser dem Beschwerdeführer eine Bibel in den Sprachen Farsi und Deutsch. Der Beschwerdeführer begann, sich für das Christentum zu interessieren. Er besuchte ab September 2018 einen Taufvorbereitungskurs, der etwa ein Mal pro Woche stattfand.

Der Beschwerdeführer ist zum katholischen Glauben konvertiert. Er wurde am 03.11.2019 im Stadtpfarramt zum XXXX getauft, seine Taufpaten sind XXXX und XXXX . Wenn der Beschwerdeführer an den Wochenenden nicht arbeitet, besucht er den Gottesdienst in der Kirche XXXX in XXXX . Er hilft in der Kirche als Dolmetscher und bei Arbeiten in der Kirche mit. Der Beschwerdeführer betet am Abend oder am Morgen und schließt insbesondere seine Freunde in seine Gebete mit ein.

Es ist festzustellen, dass der Beschwerdeführer aus innerer Überzeugung seine Religion vom Islam zum Christentum gewechselt hat und dieser Schritt von Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit getragen zu sein scheint. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer seinen christlichen Glauben ablegen oder in seinem Herkunftsstaat Afghanistan verleugnen würde.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 13.11.2019 in der Fassung vom 21.07.2020 - LIB 21.07.2020, S. 27).

Die afghanischen Regierungskräfte und die Amerikaner können die Taliban, die über rund 60.000 Kämpfer verfügen, nicht besiegen. Auch die Islamisten sind nicht stark genug, um die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation. Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet. Die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Auch verzögert sich die Umsetzung des Abkommens, der Abzug der ausländischen Truppenangehörigen ist abhängig davon, ob die Taliban ihren Teil des Abkommens einhalten. Die Taliban haben seit dem unterzeichneten Abkommen im Februar mehr als 4.500 Angriffe verübt. Die von dieser Gewalt am stärksten betroffenen Provinzen sind auch jene Provinzen, die am stärksten von COVID-19-Fällen betroffen sind (LIB 21.07.2020, S. 30).

1.4.1. Aktueller Stand der COVID-19 Krise in Afghanistan:

Das genaue Ausmaß der COVID-19 Krise in Afghanistan ist unbekannt. Berichten zufolge haben sich mehr als 35.000 Menschen mit COVID-19 angesteckt, mehr als 1.280 sind daran gestorben. Allerdings werden bestätigte Fälle und Todesfälle aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens, der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters insgesamt zu wenig gemeldet. Kabul ist hinsichtlich der bestätigten Fälle nach wie vor der am stärksten betroffene Teil des Landes, gefolgt von den Provinzen Herat, Balkh, Nangarhar und Kandahar. Beamte in der Provinz Herat sagten, dass der Strom afghanischer Flüchtlinge, die aus dem Iran zurückkehren, und die Nachlässigkeit der Menschen, die Gesundheitsrichtlinien zu befolgen, die Möglichkeit einer neuen Welle des Virus erhöht haben, und dass diese in einigen Gebieten bereits begonnen hätte. Am 18.07.2020 wurde mit 60 neuen COVID-19 Fällen der niedrigste tägliche Anstieg seit drei Monaten verzeichnet – wobei an diesem Tag landesweit nur 194 Tests durchgeführt wurden (LIB 21.07.2020, S. 7).

Krankenhäuser und Kliniken sind weiterhin mit Problemen bei der Aufrechterhaltung und Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten konfrontiert, wie der Bereitstellung persönlicher Schutzausrichtung, Testkits und der begrenzten Anzahl geschulter Mitarbeiter. 10 % der insgesamt bestätigten COVID-19-Fälle entfallen auf das Gesundheitspersonal (LIB 21.07.2020, S. 7).

Landesweit sind in Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans in Kraft. Die Regierung gab am 06.06.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Berichten zufolge werden die Vorgaben der Regierung nicht befolgt, und die Durchsetzung war nachsichtig. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden (LIB 21.07.2020, S. 8).

Der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan wird zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung haben wird. Die Lebensmittelpreise sind teilweise stark gestiegen. Berichten zufolge sind über 20 % der befragten Bauern nicht in der Lage, ihre nächste Ernte anzubauen, wobei der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die COVID-19-Beschränkungen als Schlüsselfaktoren genannt werden (LIB 21.07.2020, S. 10).

1.4.2. Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (LIB 21.07.2020, S. 33). Diese ist jedoch regional und sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich (EASO Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 89 ff; LIB 21.07.2020, S. 33 ff). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen waren die Provinzen Helmand, Kandahar, Nangarhar und Bhalk (LIB 21.07.2020, S. 33).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Nichtsdestotrotz, hat die afghanische Regierung wichtige Transitrouten verloren. (LIB 21.07.2020, S. 33).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer „strategischen Pattsituation“, die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann. Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten. Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist. Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (LIB 21.07.2020, S. 21 - 22).

Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans weiterhin schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen – speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen – blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Im Zeitraum 08.11.2019 bis 06.02.2020 waren die aktivsten Konfliktregionen in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden (LIB 21.07.2020, S. 33).

Für das Jahr 2019 wurden als Folge des bewaffneten Konflikts 10.392 zivile Opfer (3.403 Tote und 6.989 Verletzte) registriert, was einen Rückgang um 5% gegenüber 2018, aber auch die niedrigste Anzahl an zivilen Opfern seit dem Jahr 2013 bedeutet. Die Anzahl der durch ISKP (Islamischer Staat Khorasan Provinz) verursachten zivilen Opfer ist zurückgegangen, die Anzahl ziviler Opfer speziell durch Taliban und internationale Streitkräfte haben zugenommen. Im Laufe des Jahres 2019 war das Gewaltniveau erheblichen Schwankungen unterworfen, was auf Erfolge und Misserfolge im Rahmen der Friedensverhandlungen zwischen Taliban und den US-Amerikanern zurückzuführen war (LIB 21.07.2020, S. 34).

Sowohl in den ersten fünf Monaten 2019, als auch im letzten Halbjahr 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (LIB 21.07.2020, S. 36).

1.4.3. Regierungsfeindliche Gruppen:

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (LIB 21.07.2020, S. 37).

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada – Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub – Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar – und Serajuddin Haqqani Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes. Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (LIB 21.07.2020, S. 37).

Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt. Die Kämpfe werden hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LIB 21.07.2020, S. 38).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Das Khalid bin Walid-Camp soll 12 Ableger, in acht Provinzen betreiben (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden. Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB 21.07.2020, S. 38).

In Gebieten, in denen regierungsfeindliche Gruppen Kontrolle ausüben, gibt es eine Vielzahl an Methoden, um Kämpfer zu rekrutieren, darunter auch solche, die auf Zwang basieren, wobei der Begriff Zwangsrekrutierung von Quellen unterschiedlich interpretiert und Informationen zur Rekrutierung unterschiedlich kategorisiert werden. Landinfo versteht Zwang im Zusammenhang mit Rekrutierung dahingehend, dass jemand, der sich einer Mobilisierung widersetzt, speziellen Zwangsmaßnahmen und Übergriffen (zumeist körperlicher Bestrafung) durch den Rekrutierer ausgesetzt ist. Die Zwangsmaßnahmen können auch andere schwerwiegende Maßnahmen beinhalten und gegen Dritte, beispielsweise Familienmitglieder, gerichtet sein. Auch wenn jemand keinen Drohungen oder körperlichen Übergriffen ausgesetzt ist, können Faktoren wie Armut, kulturelle Gegebenheiten und Ausgrenzung die Unterscheidung zwischen freiwilliger und zwangsweiser Beteiligung zum Verschwimmen bringen. Die Taliban haben keinen Mangel an freiwilligen Rekruten und machen nur in Ausnahmefällen von Zwangsrekrutierung Gebrauch. Druck und Zwang, den Taliban beizutreten, sind jedoch nicht immer gewalttätig (LIB 21.07.2020, S. 258).

1.4.4. Ghazni:

Die Provinz Ghazni mit der gleichnamigen Hauptstadt liegt im Südosten Afghanistan und grenzt an die Provinzen Bamyan und Wardak im Norden, Logar, Paktya und Paktika im Osten, Zabul im Süden und Uruzgan und Daykundi im Westen. Die Provinz wird von Paschtunen, Tadschiken und Hazara sowie von mehreren kleineren Gruppen wie Bayats, Sadats und Sikhs bewohnt. Fast die Hälfte der Bevölkerung von Ghazni sind Paschtunen, etwas weniger als die Hälfte sind Hazara und rund 5% sind Tadschiken (LIB 21.07.2020, S. 92).

Die Stadt Ghazni liegt an der Ring Road, welche die Hauptstadt Kabul mit dem großen Ballungszentrum Kandahar im Süden verbindet und auch die Straße zu Paktikas Hauptstadt Sharan zweigt in der Stadt Ghazni von der Ring Road ab, die Straße nach Paktyas Hauptstadt Gardez dagegen etwas nördlich der Stadt. Die Kontrolle über Ghazni ist daher von strategischer Bedeutung. Einem Bericht vom Dezember 2018 zufolge steht die Ghazni-Paktika-Autobahn unter Taliban-Kontrolle und ist für Zivil- und Regierungsfahrzeuge gesperrt, wobei die Aufständischen weiterhin Druck auf die Kabul-Kandahar-Autobahn ausüben bzw. Straßenkontrollen durchführen. Im Mai 2019 war die Ghazni-Paktika-Autobahn seit einem Jahr geschlossen, auch die Ghazni-Paktia-Autobahn war Anfang März 2019 trotz einer 20-tägigen Militäroperation gegen die Taliban immer noch gesperrt. Im Mai 2019 führten die Regierungskräfte an den Rändern von Ghazni-Stadt Räumungsoperationen zur Befreiung der Verkehrswege durch. Die Kontrolle über die Straße nach Gardez, der Provinzhauptstadt von Paktia, ist bedeutsam für die Verteidigung von Ghazni, da sich die Militärbasis des für die Provinz zuständigen Corps dort befindet (LIB 21.07.2020, S. 92 - 93).

Gemäß dem UNODC Opium Survey 2018 gehörte Ghazni 2018 nicht zu den zehn wichtigsten schlafmohnanbauenden Provinzen Afghanistans. Zwischen 2013 und 2016 war Ghazni schlafmohnfrei, jedoch wurden 2017 wieder etwa 1.000 ha angebaut. Die Anbaufläche nahm 2018 erneut um 64 % ab. Der größte Teil von Ghazni's Schlafmohn wurde 2018 im volatilen Distrikt Ajristan angebaut (LIB 21.07.2020, S. 93).

Ghazni gehörte im Mai 2019 zu den relativ volatilen Provinzen im Südosten Afghanistans. Talibankämpfer sind in einigen der unruhigen Distrikte der Provinz aktiv, wo sie oft versuchen, terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitseinrichtungen durchzuführen. Gleichzeitig führen die Regierungskräfte regelmäßig Operationen in Ghazni durch, um die Aufständischen aus der Provinz zu vertreiben. Aufgrund der Präsenz von Taliban-Aufständischen in manchen Regionen der Provinz, gilt Ghazni als relativ unruhig, so standen beispielsweise Ende 2018, acht Distrikte der Provinz unter Kontrolle der Taliban gestanden haben, fünf weitere Distrikte waren stark umkämpft. Dem Verteidigungsminister zufolge, sind in der Provinz mehr Taliban und Al-Qaida-Kämpfer aktiv, als in anderen Provinzen. Dem Innenminister zufolge, hat sich die Sicherheitslage in der Provinz verschlechtert und die Taliban erlitten bei jüngsten Zusammenstößen schwere Verluste (LIB 21.07.2020, S. 93 - 94).

Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 673 zivile Opfer (213 Tote und 460 Verletzte) in der Provinz Ghazni. Dies entspricht einer Steigerung von 3 % gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmordattentate, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und Kämpfen am Boden. Einem UN-Bericht zufolge, war Ghazni neben Helmand und Farah zwischen Februar und Juni 2019 eines der aktivsten Konfliktgebiete Afghanistan (LIB 21.07.2020, S. 95).

In der Provinz kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen und Luftangriffen. Bei manchen militärischen Operationen werden Taliban getötet. Außerdem kommt es immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften. Auch verlautbarte die Regierung im September 2019 nach wie vor Offensiven gegen die Aufständischen in der Provinz zu führen, um das Territorium der Taliban zu verkleinern (LIB 21.07.2020, S. 95).

Im November 2018 starteten die Taliban beispielsweise eine Großoffensive gegen die von Hazara dominierten Distrikte Jaghuri und Malistan, nachdem die Aufständischen bereits Ende Oktober das benachbarte Khas Uruzgan in der Provinz Uruzgan angegriffen hatten. Bis Ende November 2018 wurden die Taliban aus Jaghuri und Malistan vertrieben (LIB 21.07.2020, S. 96).

1.4.5. Allgemeine Menschenrechtslage:

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Außerdem wurde Afghanistan für den Zeitraum 2018-2020 erstmals zum Mitglied des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen gewählt. Die Menschenrechte haben in Afghanistan eine klare gesetzliche Grundlage – so enthält die afghanische Verfassung aus dem Jahr 2004 einen Grundrechtkatalog, Afghanistan hat die meisten der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge, zum Teil mit Vorbehalten, unterzeichnet und/oder ratifiziert. Die afghanische Regierung ist jedoch nicht in der Lage, die Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB 21.07.2020, S. 258).

1.4.6. Religionsfreiheit:

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt. Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus; in Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist. Im Laufe des Untersuchungsjahres 2018 gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen aufgrund von Blasphemie oder Apostasie. Auch im Berichtszeitraum davor gab es keine Berichte zur staatlichen Strafverfolgung von Apostasie und Blasphemie (LIB 21.07.2020, S. 271).

Konvertiten vom Islam zu anderen Religionen berichteten, dass sie weiterhin vor Bestrafung durch Regierung sowie Repressalien durch Familie und Gesellschaft fürchteten. Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen. Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist, sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (LIB 21.07.2020, S. 271).

Das Zivil- und Strafrecht basiert auf der Verfassung; laut dieser müssen Gerichte die verfassungsrechtlichen Bestimmungen sowie das Gesetz bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. In Fällen, in denen weder die Verfassung noch das Straf- oder Zivilgesetzbuch einen bestimmten Rahmen vorgeben, können Gerichte laut Verfassung die sunnitische Rechtsprechung der hanafitischen Rechtsschule innerhalb des durch die Verfassung vorgegeben Rahmens anwenden, um Gerechtigkeit zu erlangen. Die Verfassung erlaubt es den Gerichten auch, das schiitische Recht in jenen Fällen anzuwenden, in denen schiitische Personen beteiligt sind. Nicht-Muslime dürfen in Angelegenheiten, die die Scharia-Rechtsprechung erfordern, nicht aussagen. Die Verfassung erwähnt keine eigenen Gesetze für Nicht-Muslime (LIB 21.07.2020, S. 272).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (LIB 21.07.2020, S. 272 - 273).

Schiiten:

Der Anteil schiitischer Muslime an der Bevölkerung wird auf 10 bis 19% geschätzt. Zuverlässige Zahlen zur Größe der schiitischen Gemeinschaft sind nicht verfügbar und werden vom Statistikamt nicht erfasst. Gemäß Gemeindeleitern sind die Schiiten Afghanistans mehrheitlich Jafari-Schiiten (Zwölfer-Schiiten), 90% von ihnen gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara. Unter den Schiiten gibt es auch Ismailiten (LIB 21.07.2020, S. 273).

Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten. Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen. Gemäß Zahlen von UNAMA gab es im Jahr 2018 19 Fälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten, bei denen 223 Menschen getötet und 524 Menschen verletzt wurden; ein zahlenmäßiger Anstieg der zivilen Opfer um 34%. In den Jahren 2016, 2017 und 2018 wurden durch den Islamischen Staat (IS) und die Taliban 51 terroristischen Angriffe auf Glaubensstätten und religiöse Anführer der Schiiten bzw. Hazara durchgeführt (LIB 21.07.2020, S. 273).

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen. Obwohl einige schiitische Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demografischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiert. Vertreter der Sunniten hingegen geben an, dass Schiiten im Vergleich zur Bevölkerungszahl in den Behörden überrepräsentiert seien. Einige Mitglieder der ismailitischen Gemeinschaft beanstanden die vermeintliche Vorenthaltung von politischen Posten; wenngleich vier Parlamentssitze für Ismailiten reserviert sind (LIB 21.07.2020, S. 274).

Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime 25 bis 30%. Des Weiteren tagen regelmäßig rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern. Das afghanische Ministry of Hajj and Religious Affairs (MOHRA) erlaubt sowohl Sunniten als auch Schiiten Pilgerfahrten zu unternehmen (LIB 21.07.2020, S. 274).

Christentum und Konversion zum Christentum:

Nichtmuslimische Gruppierungen wie Sikhs, Baha‘i, Hindus und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Genaue Angaben zur Größe der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden. USDOS schätzte im Jahresbericht zur Religionsfreiheit 2009 die Größe der geheimen christlichen Gemeinschaft auf 500 bis 8.000 Personen. Religiöse Freiheit für Christen in Afghanistan existiert; gemäß der afghanischen Verfassung ist es Gläubigen erlaubt, ihre Religion in Afghanistan im Rahmen der Gesetze frei auszuüben. Dennoch gibt es unterschiedliche Interpretationen zu religiöser Freiheit, da konvertierte Christen im Gegensatz zu originären Christen vielen Einschränkungen ausgesetzt sind. Religiöse Freiheit beinhaltet nicht die Konversion (LIB 21.07.2020, S. 275).

Tausende ausländische Christen und einige wenige Afghanen, die originäre Christen und nicht vom Islam konvertiert sind, werden normal und fair behandelt. Es gibt kleine Unterschiede zwischen Stadt und Land. In den ländlichen Gesellschaften ist man tendenziell feindseliger (LIB 21.07.2020, S. 275).

Gemäß hanafitischer Rechtsprechung ist Missionierung illegal; Christen berichten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Es gibt keine Berichte zu staatlicher Verfolgung aufgrund von Apostasie oder Blasphemie (LIB 21.07.2020, S. 276).

Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen. Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam. Laut islamischer Rechtsprechung soll jeder Konvertit drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken (LIB 21.07.2020, S. 275).

Konvertiten vom Islam zum Christentum werden von der Gesellschaft nicht gut behandelt, weswegen sie sich meist nicht öffentlich bekennen. Zur Zahl der Konvertiten gibt es keine Statistik. In den meisten Fällen versuchen die Behörden Konvertiten gegen die schlechte Behandlung durch die Gesellschaft zu unterstützen, zumindest um potenzielles Chaos und Misshandlung zu vermeiden (LIB 21.07.2020, S. 275).

Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens, da es keine öffentlich zugänglichen Kirchen im Land gibt. Einzelne christliche Andachtsstätten befinden sich in ausländischen Militärbasen. Die einzige legale christliche Kirche im Land befindet sich am Gelände der italienischen Botschaft in Kabul. Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung dieser katholischen Kapelle unter der Bedingung, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Missionierung vermieden werde (LIB 21.07.2020, S. 275 - 276).

Beobachtern zufolge hegen muslimische Ortsansässige den Verdacht, Entwicklungsprojekte würden das Christentum verbreiten und missionieren. Ein christliches Krankenhaus ist seit 2005 in Kabul aktiv (CURE 8.2018); bei einem Angriff durch einen Mitarbeiter des eigenen Wachdienstes wurden im Jahr 2014 drei ausländische Ärzte dieses Krankenhauses getötet. Auch gibt es in Kabul den Verein „Pro Bambini di Kabul“, der aus Mitgliedern verschiedener christlicher Orden besteht. Dieser betreibt eine Schule für Kinder mit Behinderung (LIB 21.07.2020, S. 276).

1.4.7. Relevante ethnische Minderheiten:

In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 35 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht. Schätzungen zufolge, sind: 40 bis 42% Pashtunen, 27 bis 30% Tadschiken, 9 bis 10% Hazara, 9% Usbeken, ca. 4% Aimaken, 3% Turkmenen und 2% Belutschen. Weiters leben in Afghanistan eine große Zahl an kleinen und kleinsten Völkern und Stämmen, die Sprachen aus unterschiedlichsten Sprachfamilien sprechen (LIB 21.07.2020, S. 281).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (LIB 21.07.2020, S. 281).

Hazara:

Ethnische Hazara sind mehrheitlich Zwölfer-Schiiten, auch bekannt als Jafari Schiiten. Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9 bis 10% der Bevölkerung. Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt; der Hazaradjat [zentrales Hochland] umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz (Maidan) Wardak sowie Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul. Jahrzehntelange Kriege und schwierige Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (LIB 21.07.2020, S. 285).

Die Stadt Kabul ist in den letzten Jahrzehnten rasant gewachsen und ethnisch gesehen vielfältig. Neuankömmlinge aus den Provinzen tendieren dazu, sich in Gegenden niederzulassen, wo sie ein gewisses Maß an Unterstützung ihrer Gemeinschaft erwarten können (sofern sie solche Kontakte haben) oder sich in jenem Stadtteil niederzulassen, der für sie am praktischen sie ist, da viele von ihnen – zumindest anfangs – regelmäßig zurück in ihre Heimatprovinzen pendeln. Viele Hazara leben unter anderem in Stadtvierteln im Westen der Stadt (LIB 21.07.2020, S. 285).

Die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, hat sich grundsätzlich verbessert und Hazara bekleiden inzwischen auch prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind jedoch in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert. Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung. Nichtsdestotrotz, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen (LIB 21.07.2020, S. 285 – 286).

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Kernfamilie bzw. dem Klan. Sollte der dem Haushalt vorstehende Mann versterben, wird die Witwe Haushaltsvorständin, bis der älteste Sohn volljährig ist. Es bestehen keine sozialen und politischen Stammesstrukturen (LIB 21.07.2020, S. 286).

Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, was im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter steht. Berichten zufolge halten Angriffe durch den ISKP (Islamischer Staat Khorasan Provinz) und andere aufständische Gruppierungen auf spezifische religiöse und ethno-religiöse Gruppen – inklusive der schiitischen Hazara – an (LIB 21.07.2020, S. 286).

Im Laufe des Jahres 2109 setzte der ISKP Angriffe gegen schiitische, vorwiegend aus der Hazara Gemeinschaften, fort. Beispielsweise griff der ISKP einen Hochzeitssaal in einem vorwiegend schiitischen Hazara-Viertel in Kabul an; dabei wurden 91 Personen getötet, darunter 15 Kinder und weitere 143 Personen verletzt wurden. Zwar waren unter den Getöteten auch Hazara, die meisten Opfer waren Nicht-Hazara-Schiiten und Sunniten. Der ISKP nannte ein sektiererisches Motiv für den Angriff. Das von schiitischen Hazara bewohnte Gebiet Dasht-e Barchi in Westkabul ist immer wieder Ziel von Angriffen. Die Regierung hat Pläne zur Verstärkung der Präsenz der afghanischen Sicherheitskräfte verlautbart. Angriffe werden auch als Vergeltung gegen mutmaßliche schiitische Unterstützung der iranischen Aktivitäten in Syrien durchgeführt. In Randgebieten des Hazaradjat kommt es immer wieder zu Spannungen und teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Nomaden und sesshaften Landwirten, oftmals Hazara. (LIB 21.07.2020, S. 286).

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert. NGOs berichten, dass Polizeibeamte, die der Hazara-Gemeinschaft angehören, öfter als andere Ethnien in unsicheren Gebieten eingesetzt werden oder im Innenministerium an symbolische Positionen ohne Kompetenzen befördert werden (LIB 21.07.2020, S. 286).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers ergeben sich aus den im gesamten Verfahren übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers, an deren Richtigkeit auch in der Verhandlung keine Zweifel entstanden sind. Zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers ist festzuhalten, dass im Rahmen der Erstbefragung festgehalten wurde, der Beschwerdeführer sei am XXXX geboren, mit einer Erklärung des Beschwerdeführers vom 02.11.2015 wurde das BFA darüber informiert, dass der Beschwerdeführer sein Alter korrigieren wolle, da er am XXXX geboren sei. Dieses Geburtsdatum bestätigte er auch im Rahmen der Einvernahme am 14.07.2017.

Die Feststellungen zur Staats- und Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers, seiner Herkunft und Muttersprache sowie Familienstand beruhen auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers, welche über das gesamte Verfahren gleichgeblieben sind. Die Feststellung zur Schulbildung und der beruflichen Tätigkeit des Beschwerdeführers in Afghanistan ergeben sich aus seinen insgesamt glaubhaften Angaben.

Die Feststellungen zur Familie des Beschwerdeführers beruhen auf seinen soweit gleichbleibenden und insgesamt glaubhaften Angaben vor dem BFA und in der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Dass die Familie des Beschwerdeführers den 2018 wieder hergestellten Kontakt zu ihm abbrach, da er ihnen von seiner Konversion erzählte, bringt der Beschwerdeführer in der mündlichen Beschwerdeverhandlung glaubhaft vor (vgl. BVwG VH S. 14).

2.2. Zu den Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Das Datum des Antrages auf internationalen Schutz ergibt sich aus der Erstbefragung am 07.10.2015. Dass der Beschwerdeführer in XXXX wohnte, ergibt sich aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung sowie den zahlreichen Unterstützungsschreiben, welche im Akt einliegen. Der derzeitige Wohnort ergibt sich aus dem im Akt einliegenden ZMR-Auszug.

Weiters liegen im Akt die Bestätigungen über absolvierte Deutschkurse und Deutschprüfungen ein, die Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers wurden auch in der mündlichen Verhandlung deutlich, da der Beschwerdeführer die ihm gestellten Fragen ohne Übersetzung verstand und auch einen wesentlichen Teil der Fragen auf Deutsch beantwortete. Das Zeugnis über die Pflichtschulabschluss-Prüfung vom 03.07.2017 liegt im Akt ein. Dass der Beschwerdeführer eine Lehre mit Matura bei der XXXX GmbH macht, ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers, weiters liegt ein Empfehlungsschreiben des Dienstgebers im Akt ein. Dass der Beschwerdeführer nach der Lehre im Betrieb übernommen werden kann, ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung (vgl. BVwG VH S. 21).

Die Feststellungen zu Freundeskreis, Freizeit und der Freundin des Beschwerdeführers beruhen auf seinen Angaben in der Beschwerdeverhandlung (vgl. BVwG VH S. 7 und 21).

Die Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus der Abfrage des Strafregisters.

2.3. Zu den Feststellungen zur in Österreich erfolgten Konversion:

Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (VwGH 14.03.2019, Ra 2018/18/0455 mit Hinweis auf VwGH 22.2.2018, Ra 2017/18/0426, mwN). Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergegangene Verhaltens- bzw. Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel (vgl. zuletzt VwGH 23.10.2019, Ra 2019/08/0376-10 mHa VwGH 14.03.2019, Ra 2018/18/0441).

Der Beschwerdeführer bekannte sich in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 14.07.2017 zum schiitischen Glauben. Die Feststellungen zur religiösen Erziehung und Religionsausübung des Beschwerdeführers beruhen auf seinen diesbezüglichen Angaben in der Beschwerdeverhandlung (vgl. insb. BVwG VH S. 11).

Die Feststellungen, wie der Beschwerdeführer mit dem christlichen Glauben in Kontakt gekommen ist, ergeben sich aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung (vgl. BVwG VH S. 11 f.) sowie aus den Ausführungen der einvernommenen Zeugin, der Pastoralassistentin XXXX (vgl. BVwG VH S. 18 f.).

Der Beschwerdeführer hat in der Beschwerdeverhandlung einen persönlich überzeugenden Eindruck hinterlassen. Seine Schilderungen erschienen plausibel und nachvollziehbar. Der Beschwerdeführer hat insbesondere sein Interesse für das Christentum und seine Motivation für den Religionswechsel stimmig darzulegen vermocht. So schilderte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung glaubhaft, dass er bei seinem Arbeitskollegen gemerkt habe, dass dieser immer glücklich und freundlich sei, und er deshalb mit diesem über Religion gesprochen und ein Interesse am Christentum entwickelt und begonnen habe, einen Gottesdienst zu besuchen (vgl. BVwG VH S. 11 f.). Dass es dem Beschwerdeführer zuvor manchmal nicht gut ging und er keine innere Ruhe hatte, bringt er zum einen selber vor (vgl. BVwG VH S. 11 f.), darüber hinaus schildert dies auch die einvernommene Zeugin in der Beschwerdeverhandlung (vgl. BVwG VH S. 20) sowie XXXX in ihrem Empfehlungsschreiben vom 10.07.2017. Auch führte der Beschwerdeführer aus, dass ihn insbesondere die Passage Johannes 9, 1 - 5 beeindruckt habe, da auch er im Geiste blind gewesen sei und durch den katholischen Glauben das Licht sehen könne (vgl. BVwG VH S. 15). Darüber hinaus gab der Beschwerdeführer an, dass sich durch die Konversion sein Leben insofern verändert habe, dass er nunmehr voller Hoffnung sei und keine Angst habe (vgl. BVwG VH S. 16). Der

Der Beschwerdeführer gab weiters an, dass er von seinem Arbeitskollegen eine Bibel geschenkt bekommen habe, welche er gelesen habe (vgl. BVwG VH S. 13). Dass der Beschwerdeführer in der Lage war, diese alleine zu lesen, erscheint insbesondere aufgrund seiner neunjährigen Schulbildung und des Umstandes, dass die Bibel zweisprachig war, durchaus nachvollziehbar. Die Zeugin bestätigt zudem, dass der Beschwerdeführer bereits zu Beginn des Katechumenats viel über die Inhalte der Bibel gewusst und darin gelesen habe (vgl. BVwG VH S. 19). Auch beschreiben die vom Beschwerdeführer vorgelegten Empfehlungsschreiben ihn als intelligent und wissbegierig.

Ebenso führte er glaubhaft aus, dass das Christentum seinen Alltag und seine Lebensführung verändert habe, so beschreibt er insbesondere, dass er zu anderen freundlich sei und ihnen helfe, wenn er in der Lage dazu sei. Darüber hinaus gibt er an, regelmäßig Gebete zu verrichten sowie nach zeitlicher Möglichkeit den Gottesdienst zu besuchen (vgl. BVwG VH S. 16). In der Beschwerdeverhandlung wurde deutlich, dass der Beschwerdeführer bereits über ein fundiertes Wissen über das Christentum verfügt und dies auch in Relation zum Islam setzen kann. Auch konnte der Beschwerdeführer alle ihm gestellten inhaltlichen Fragen zum Christentum gut beantworten und beschränkte sich dabei nicht auf leicht verfügbares Fachwissen, so schilderte er etwa den Ablauf eines Gottesdienstes, erklärte die Bedeutung der Taufe und konnte christliche Feiertage und ihre Bedeutung nennen. Ebenso konnte der Beschwerdeführer eine Passage der Bibel (Johannes 9, 1 - 5) erklären und schlüssig ausführen, warum gerade diese für ihn wichtig ist (vgl. erneut BVwG VH S. 15).

Die einvernommene Zeugin führte darüber hinaus aus, dass nach ihrer Einschätzung der christliche Glaube ein wesentlicher Bestandteil der Identität des Beschwerdeführers geworden sei (insb. BVwG VH S. 19: „RI: Warum haben Sie sich beim BF auch als Taufpatin eintragen lassen? Z: Es gibt in allen Kulturen solche und solche Menschen, welche die es ernst nehmen und welche die es nicht ernst nehmen. Er ist einer der schon im Katechumenat hervorgestochen ist, ein Lichtblick und einer wo ich wieder weiß, warum ich das mache. […] RI: Aus welchen Gründen sind Sie davon überzeugt, dass der BF sich vom Islam abwandte und aus innerster Überzeugung Christ geworden ist? Z: Weil er sehr reflektiert ist, weil er mir den Koran und die Bibel gegenüberstellen kann. Er kann mir sagen worauf es ankommt im Christentum. Die Grundaussagen des Christentums kann er mir sagen. Er kann mir auch erzählen, was ihn bewegt im Christentum bzw. wie es auf ihn wirkt und wie er es einbettet.“ sowie S. 20: „R: Was war für sie ausschlaggebend, dass Sie den BF taufen? Z: Wir haben mal über Abschiebung gesprochen. Der BF hat erzählt das er ganz sicher das dieser Gott bei ihm ist in jeder Situation und Lebenslage. Das heißt nicht, wenn ich zu Gott bete geht es mir gut sondern das wenn ich im Dunkeln bin, spüre das Gott bei mir ist und ich deshalb zu Gott bete. Bei uns hieß es damals, wenn ich bete wird die Schularbeit gut, aber der BF hat erkannt, dass es ein Gott ist der mich begleitet und der immer bei mir ist und diese Sichtweise habe ich für gut befunden. Und auch das die Grundlage für den Glauben die Gemeinschaft ist.“). Überdies führte die Zeugin aus, dass sie im Katechumenat auch Personen ablehne oder ihnen sage, wenn diese noch Zeit in der Vorbereitung brauchen (vgl. BVwG VH S. 19). Daraus ist somit ableitbar, dass die Zeugin als Pastoralassistentin und Leiterin der Taufvorbereitungen der Ansicht ist, dass der Beschwerdeführer den Glauben verinnerlicht hat und bereit für die Taufe war.

Der Beschwerdeführer gab an, dass seine Familie und auch einige seiner Freunde aufgrund seiner Konversion den Kontakt zu ihm abbrachen (vgl. BVwG VH S. 14 und 17). Auch darin zeigt sich die Ernsthaftigkeit der Konversion des Beschwerdeführers, da er sich sich bei seiner Entscheidung von Unverständnis bzw. Widerstand seitens seiner Familie und Freunde letztendlich nicht beeinflussen lässt.

Insgesamt wurde in der mündlichen Verhandlung auch deutlich, dass der Beschwerdeführer ein fortgesetztes Interesse am Christentum bzw. Katholizismus hat.

Dass der Beschwerdeführer einen Taufvorbereitungskurs besuchte, ergibt sich sowohl aus seinen eigenen diesbezüglichen Angaben in der Beschwerdeverhandlung, als auch aus den Angaben der einvernommenen Zeugin. Der Beschwerdeführer ist faktisch und für Dritte wahrnehmbar zum christlichen Glauben konvertiert, so erfolgte die Taufe am 03.11.2019. Der Taufschein vom 03.11.2019 sowie eine Übersicht des Ablaufs der Taufvorbereitungen liegen im Akt ein. Neben Mitgliedern der Kirchengemeinschaft und Teilnehmern des Taufvorbereitungskurses wissen auch die Familie des Beschwerdeführers in Afghanistan sowie (ehemalige) Freunde über die Konversion Bescheid (vgl. BVwG VH S. 14). Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die Konversion des Beschwerdeführers zum katholischen Glauben über sein persönliches Umfeld hinaus nach außen bekannt geworden ist.

Seitens des Bundesverwaltungsgerichts bestehen keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers in Bezug auf seine Konversion zum Christentum. Für die Annahme einer Scheinkonversion sind keinerlei Hinweise hervorgekommen.

In Anbetracht der Konversion des Beschwerdeführers, welche einen Nachfluchtgrund darstellt, konnten weitere Ermittlungen und (daran anknüpfende) Feststellungen zu den von ihm im asylbehördlichen Verfahren vorgebrachten Ausreisegründen aus verfahrensökonomischen Gründen entfallen.

2.4. Zu den Länderfeststellungen:

Die diesem Erkenntnis zugrunde gelegten Länderfeststellungen gründen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Afghanistan ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Die Berichte wurden dem Beschwerdeführer zur Verfügung gestellt und ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt. Der Beschwerdeführer trat den getroffenen Feststellungen ausdrücklich nicht entgegen. Festzuhalten ist, dass die dem Erkenntnis zugrunde gelegten Länderinformationen eine Überarbeitung der Version, welche im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgelegt wurde, darstellt, jedoch lediglich die Informationen über den Stand der Covid-19-Pandemie aktualisiert wurden.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu A) Stattgabe der zulässigen Beschwerde:

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß den §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074, uva.). Verlangt wird eine „Verfolgungsgefahr“, wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287).

Die Voraussetzung der „wohlbegründeten Furcht“ vor Verfolgung wird in der Regel aber nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. u.a. VwGH 20.06.2007, 2006/19/0265, mwN).

Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. z.B. VwGH 28.10.2009, 2006/01/0793; 23.02.2011, 2011/23/0064) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Abgesehen davon, dass einer derartigen nicht vom Staat sondern von Privatpersonen ausgehenden Bedrohung nur dann Asylrelevanz zuzubilligen wäre, wenn solche Übergriffe von staatlichen Stellen geduldet würden (VwGH 11.06.1997, 95/01/0617) bzw. wenn der betreffende Staat nicht in der Lage oder nicht gewillt wäre, diese Verfolgung hintanzuhalten, hat der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang ausdrücklich klargestellt, dass die Asylgewährung für den Fall einer solchen Bedrohung nur dann in Betracht kommt, wenn diese von Privatpersonen ausgehende Verfolgung auf Konventionsgründe zurückzuführen ist (vgl. VwGH 30.06.2005, 2002/20/0205; 23.11.2006, 2005/20/0551; 29.06.2006, 2002/20/0167).

Eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat hingegen nur dann asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. etwa VwGH 26.11.2014, Ra 2014/19/0059; 18.11.2015, Ra 2014/18/0162; 19.04.2016, Ra 2015/20/0302, je mwN).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichen Schutzes einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat „nicht gewillt oder nicht in der Lage“ sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191).

3.1.2. Zur Zuerkennung des Status des Asylberechtigten:

Mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers, in Österreich zum christlichen Glauben konvertiert zu sein und im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan wegen seiner Konversion aus religiösen Gründen verfolgt zu werden, macht er einen subjektiven Nachfluchtgrund iSd § 3 Abs. 2 AsylG 2005 geltend.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist in Bezug auf die asylrechtliche Relevanz einer Konversion zum Christentum entscheidend, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines (behaupteten) inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden (vgl. VwGH vom 07.05.2018, Ra 2018/20/0186).

Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt, hat sich der Beschwerdeführer aus freier persönlicher Überzeugung und von Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit getragen zum christlichen Glauben hingewendet. Es ist nicht ersichtlich, dass sich der Beschwerdeführer in Afghanistan vom christlichen Glauben abwenden würde bzw. sich nich

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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