TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/9 W182 2193584-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.10.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

09.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs1a
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W182 2193582-2/3E

W182 2193584-2/3E

W182 2193583-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER über die Beschwerden von XXXX , geb. XXXX , StA. Volksrepublik China, vertreten durch ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.09.2020, Zl. 1153030509 /200711775 nach § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBI. I. Nr 33/2013 idgF, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 68 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. I Nr. 51/1991 idgF, §§ 57, 10 Abs. 1 Z 3, Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, und §§ 52 Abs. 2 und Abs. 9, 53 Abs. 1 iVm Abs. 2, 55 Abs. 1a und § 46 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt VII. zu lauten hat:

„Gemäß § 53 Absatz 1 iVm Abs. 2 Z 6 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. Nr. 100/2005 (FPG) idgF, wird gegen Sie ein auf die Dauer von einem Jahr befristetes Einreiseverbot erlassen.“

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. I Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Volksrepublik China, vertreten durch ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.09.2020, Zl. 1153030204 – 200711759, nach § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBI. I. Nr 33/2013 idgF, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. – VI. des bekämpften Bescheides wird gemäß § 68 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. I Nr. 51/1991 idgF, §§ 57, 10 Abs. 1 Z 3, Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, und §§ 52 Abs. 2 und Abs. 9, 55 Abs. 1a und § 46 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, als unbegründet abgewiesen. Spruchpunkt VII. wird ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. I Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER über die Beschwerden von XXXX , geb. XXXX , StA. Volksrepublik China, vertreten durch ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.09.2020, Zl. 1174995710 – 200711724, nach § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBI. I. Nr 33/2013 idgF, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. – VI. des bekämpften Bescheides wird gemäß § 68 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. I Nr. 51/1991 idgF, §§ 57, 10 Abs. 1 Z 3, Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, und §§ 52 Abs. 2 und Abs. 9, 55 Abs. 1a und § 46 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, als unbegründet abgewiesen. Spruchpunkt VII. wird ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. I Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

1. Die beschwerdeführenden Parteien (im Folgenden: BF), eine Mutter (BF1) und ihre beiden minderjährigen Kinder (BF2 und BF3), sind Staatsangehörige der Volksrepublik China, gehören der Volksgruppe der Han an und sind konfessionslos. Die BF1 stellte am 18.05.2017 für sich und die BF2 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz, für die BF3 am 20.11.2017.

Am 18.05.2017 fand vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Erstbefragung der BF1 im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Chinesisch statt. Dabei gab sie zu ihrem Fluchtgrund befragt an, dass sie China verlassen habe, weil sie ihren Ex-Freund, der in Österreich wohne, besuchen haben wollen. Sie sei von ihm schwanger geworden, deshalb habe sie nicht wieder nach China zu ihrer Mutter zurückkehren können, diese sei aufgrund ihrer Schwangerschaft nicht mehr bereit gewesen sie finanziell zu unterstützen.

Am 09.08.2017 erfolgte im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Chinesisch die niederschriftliche Einvernahme der BF1 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Infolge Bundesamt). Dabei gab sie im Wesentlichen an, dass es ihr nicht möglich sei nach China zurückzukehren, weil ihre Mutter sie nicht mehr als ihre Tochter anerkenne und sie habe bald nicht nur eine, sondern zwei Töchter. In China sei es für ihre Töchter nicht möglich in die Schule zu gehen, weil sie illegal wären. Ihre Kinder wären illegal, weil sie ledig und die Väter der Kinder nicht bekannt seien. Deshalb sei es nicht möglich die Kinder in China anzumelden und in weiterer Folge auch nicht, dass sie dort in den Kindergarten oder zur Schule gingen.

Mit Bescheiden des Bundesamtes vom 27.03.2018 wurden die Anträge der BF1-BF3 auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat VR China (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen die BF1-BF3 eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung der BF1-BF3 gemäß § 46 FPG in die VR China zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

2.1. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.12.2019 mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.04.2020 (zugestellt am: 29.04.2020), Zlen. W278 2193582-1/18E (BF1), W278 2193584-1/13E (BF2) und W278 2193583-1/13E (BF3), mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt VI. der angefochtenen Bescheide zu lauten hat: „Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Möglichkeit der unterstützten Ausreisemöglichkeit.“

2.2. Dazu wurde wie folgt festgestellt:

„Die BF1-BF3 führen die im Spruch genannten Namen und Geburtsdaten. Sie sind chinesische Staatsangehörige, der Volksgruppe der Han zugehörig und konfessionslos. Die Identitäten aller Beschwerdeführer stehen fest. Die BF1-BF3 sprechen Chinesisch als Muttersprache und die BF1 verfügt über sehr gute Englisch,- sowie einfache Deutschkenntnisse. Die BF1 lebte bis zu ihrem 18. Lebensjahr in der VR China, wo sie 12 Jahre die Schule besuchte. Im Jahr 2010 reiste die BF1 nach XXXX aus, wo sie für 2 Jahre eine Hochschule XXXX besuchte und anschließend ein XXXX begann, jedoch nicht abschloss. Im Juni 2014 flog sie zurück nach China, wo sie sich in der Eigentumswohnung ihrer Mutter in der Straße XXXX , Bezirk XXXX , in der Stadt XXXX , in der Provinz XXXX aufhielt. Die Mutter der BF1 wohnt heute noch an angegebener Adresse und besitzt eine weitere Eigentumswohnung. Sie betreibt selbständig eine XXXX . Ihren Lebensunterhalt bestritt die BF1 bis zu ihrer Ausreise aus China und während ihres Aufenthalts in XXXX durch die Unterstützung ihrer Mutter.

Darüber hinaus wohnen noch 2 Geschwister der Mutter der BF1 in der VR China, zu denen sie jedoch keinen Kontakt hat. Die BF1-BF3 leiden an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten. Die BF1 ist arbeitsfähig. Im Hinblick auf die derzeit bestehende Pandemie, aufgrund des COVID 19-Virus, ist festzuhalten, dass die BF keine relevanten Vorerkrankungen aufweisen und nicht unter die Risikogruppe der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen fallen. Ein bei einer Überstellung der BF nach China vorliegendes „real risk“ einer Verletzung des Art. 2 oder 3 EMRK ist hierzu nicht erkennbar. […]

Die BF1 reiste am XXXX 2014 mit dem Flugzeug von Peking nach Wien und in Folge in das österreichische Bundesgebiet ein. Ihre erstgeborene Tochter, die BF2, wurde am XXXX 2015 in Österreich geboren. Am 18.05.2017 stellte die BF1 für sich und die BF2 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Zu jenem Zeitpunkt war die BF1 im XXXX Monat schwanger. Bis zum 29.05.2017 verfügten die BF1 und BF2 über keine aufrechte Meldung im Bundesgebiet. Die BF3 wurde am XXXX 2017 in Österreich nachgeboren und stellte die BF1 für diese am 20.11.2017 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Die BF1-BF3 haben keine in Österreich lebenden Familienangehörigen oder Verwandten und verfügen über chinesische und österreichische Freunde. Die BF1 war in Österreich zu keinem Zeitpunkt erwerbstätig, ehrenamtlich tätig oder Mitglied in einem Verein. Sie hat keinen Deutschkurs besucht und ist im Bundesgebiet auch keiner sonstigen Aus-, Fort- oder Weiterbildung nachgegangen. Die BF1-BF3 bestreiten ihren Lebensunterhalt durch staatliche Grundversorgung. Die BF2 besucht in Österreich den Kindergarten. Die BF1 ist strafrechtlich unbescholten. […]

Die BF1-BF3 sind im Herkunftsstaat keiner, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung ausgesetzt. Sie kam aufgrund einer Urlaubsreise nach Österreich. Die BF1-BF3 laufen im Falle einer Rückkehr in die VR China nicht Gefahr, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe, oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden. Es besteht auch keine Gefahr, dass die BF1-BF3 im Falle ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat in eine existenzgefährdende Notlage geraten würde und ihnen die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre. Die Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen liegen nicht vor.“

2.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat wurde festgestellt:

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation China Stand 16.12.2019, letzte Kurzinformation 29.01.2020

Politische Lage

Die Volksrepublik China ist mit geschätzten 1,385 Milliarden Einwohnern (Stand Juli 2018) und einer Fläche von 9.596.960 km² der bevölkerungsreichste Staat der Welt (CIA 14.1.2020).

China ist in 22 Provinzen, fünf Autonome Regionen der nationalen Minderheiten Tibet, Xinjiang, Innere Mongolei, Ningxia und Guangxi, sowie vier regierungsunmittelbare Städte (Peking, Shanghai, Tianjin, Chongqing) und zwei Sonderverwaltungsregionen (Hongkong, Macau) untergliedert (AA 3.2019a). Hongkong hat seit dem Souveränitätsübergang vom Vereinigten Königreich auf die Volksrepublik China zum 1. Juli 1997 den Status einer Sonderverwaltungsregion (Special Administrative Region - SAR). Grundlage für den Souveränitätsübergang ist die von den beiden Regierungschefs am 19. Dezember 1984 in Peking unterzeichnete ‚Gemeinsame Erklärung‘. Nach dem dort verankerten Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ kann Hongkong für 50 Jahre sein marktwirtschaftliches Wirtschaftssystem aufrechterhalten und genießt einen hohen Grad an politischer und rechtlicher Autonomie. Zum 1. Juli 1997 trat auch das Hongkonger „Basic Law“ in Kraft und löste die koloniale Verfassung ab. Macau wurde nach einem ähnlichen Abkommen am 20. Dezember 1999 von Portugal an die Volksrepublik China zurückgegeben. Die Vereinigung mit Taiwan zur „Wiederherstellung der nationalen territorialen Integrität“ bleibt eines der erklärten Kernziele chinesischer Politik (AA 3.2019a).

Gemäß ihrer Verfassung ist die Volksrepublik China ein „sozialistischer Staat unter der demokratischen Diktatur des Volkes, der von der Arbeiterklasse geführt wird und auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern beruht“ (AA 3.2019a). China ist ein autoritärer Staat, in dem die Kommunistische Partei (KP) verfassungsmäßig die höchste Autorität ist. Beinahe alle hohen Positionen in der Regierung sowie im Sicherheitsapparat werden von Mitgliedern der KP gehalten (USDOS 13.3.2019). Die KP ist die allbestimmende politische Kraft. Der 19. Parteitag hat im Oktober 2017 ein neues Zentralkomitee (ZK) gewählt, dem alle wichtigen Entscheidungsträger in Staat, Regierung, Armee und Gesellschaft angehören. Xi Jinping ist seit 2012 Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas. Das Zentralkomitee wiederum wählt das Politbüro (25 Mitglieder) und den Ständigen Ausschuss des Politbüros (derzeit 7 Mitglieder). Letzteres ist das ranghöchste Parteiorgan und gibt die Leitlinien der Politik vor. Die Personalvorschläge für alle diese Gremien werden zuvor durch die Parteiführung erarbeitet, wobei über das genaue Verfahren und dessen Grad der Formalisierung keine Klarheit besteht (AA 3.2019a vgl. USDOS 13.3.2019).

Xi Jinping ist zudem Vorsitzender der Zentralen Militärkommission (ZMK) der Kommunistischen Partei Chinas und Oberkommandierender der Streitkräfte, die seit 1997 direkt der Kommunistischen Partei Chinas unterstellt sind. Der 2018 erneut gewählte Ministerpräsident Li Keqiang leitet den Staatsrat, die eigentliche Regierung. Er wird von einem „inneren Kabinett“ aus vier Stellvertretenden Ministerpräsidenten und fünf Staatsräten unterstützt. Der Staatsrat fungiert als Exekutive und höchstes Organ der staatlichen Verwaltung (AA 3.2019a).

Der 3.000 Mitglieder zählende Nationale Volkskongress (NVK) wird durch subnationale Kongresse für fünf Jahre gewählt (FH 2.2019a). Er wählt formell den Staatspräsidenten für fünf Jahre und bestätigt den Premierminister, der vom Präsidenten nominiert wird (FH 1.2017a). Der Nationale Volkskongress (NVK) ist formal das gesetzgebende Organ der VR China. Er tagt als Plenum einmal jährlich und beschließt mit einer Legislaturperiode von fünf Jahren nationale Gesetze (LVAk 9.2019). Der NVK ist jedoch vor allem eine symbolische Einrichtung (FH 1.2017a). Nur der Ständige Ausschuss trifft sich regelmäßig, der NVK kommt einmal pro Jahr für zwei Wochen zusammen, um die vorgeschlagene Gesetzgebung anzunehmen (FH 2.2019a). Eine parlamentarische Opposition zur KPCh gibt es nicht (AA 22.12.2019). Es gibt weitere acht kleine „demokratische Parteien“, die auch im Nationalen Volkskongress, aber vor allem in der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes vertreten sind. Deren Vorsitzender ist Wang Yang. Das Gremium unter Führung der KP Chinas hat lediglich beratende Funktion (AA 3.2019a).

Der Nationale Volkskongress hat mit seiner ersten Sitzung der 13. Legislaturperiode (5. - 20. März 2018) Xi Jinping erneut zum Staatspräsidenten gewählt (AA 3.2019a). Xi Jinping ist Vorsitzender der Zentralen Militärkommission (ZMK) der Kommunistischen Partei Chinas und Oberkommandierender der Streitkräfte (AA 3.2019a). Er hält damit die drei einflussreichsten Positionen (USDOS 13.3.2019). Durch die Kommunistische Partei Chinas wurde 2019 in jenen von ihr als kritisch eingestuften gesellschaftlichen Bereichen der Einsatz repressiver Maßnahmen intensiviert (HRW 14.1.2020). Vorrangige Ziele der chinesischen Führung sind die Entwicklung des „Sozialismus chinesischer Prägung im neuen Zeitalter“ und die Verwirklichung des „chinesischen Traums vom großartigen Wiederaufstieg der chinesischen Nation“. Die Wahrung der politischen und sozialen Stabilität unter Führung der Partei gilt als wichtigstes Ziel der KP Chinas. Die strenge Führung durch die Partei soll dabei in allen Bereichen der Gesellschaft durchgesetzt werden. Gleichzeitig laufen Kampagnen zur inneren Reform und Stärkung der Partei. Schwerpunkte sind der Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft sowie die Stärkung der zentralen Kontrolle der Parteiführung.

Die von Deng Xiaoping im Jahr 1978 verkündete Ära von „Reform und Öffnung“ hat China eine lange Phase anhaltend hohen Wachstums gebracht. Vor dem 40-jährigen Jubiläum von „Reform und Öffnung“ im Dezember 2018 scheinen die wirtschaftlichen Reformanstrengungen jedoch weitgehend zum Erliegen gekommen zu sein. Angesichts der dramatischen Herausforderungen durch den demografischen Wandel, die Umweltbelastungen und die weiter zunehmende soziale Ungleichheit erscheint eine Fortsetzung der Reformagenda umso dringlicher. (AA 3.2019a).

Sicherheitslage

Seit Dezember 2019 wurden in Wuhan (Hauptstadt der Provinz Hubei) und in weiteren Provinzen zahlreiche Fälle einer unbekannten Lungenkrankheit diagnostiziert. Bei den Erkrankten wurde eine Infektion mit einem neuartigen Coronavirus nachgewiesen (BMEIA 28.1.2020a). Aktuell steigen die Fallzahlen deutlich an, es sind Todesfälle aufgetreten und die Erkrankung breitet sich in China weiter aus. Die Quelle und Übertragungswege der Infektion sind nicht abschließend geklärt, die Übertragung von Mensch zu Mensch ist aber inzwischen wissenschaftlich gesichert (AA 28.1.2020). Die Stadt Wuhan ist seit dem 23.01.2020 von der Außenwelt weitgehend abgeschottet. Auch die 70 km östlich gelegene Metropole Huanggang wurde isoliert. Der Bahnverkehr und andere öffentliche Verkehrsverbindungen wurden eingestellt (BMEIA 28.1.2020a). Im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Coronavirus werden Einschränkungen der Reise- und Bewegungsfreiheit unterschiedlichen Ausmaßes verhängt. Davon kann zunehmend auch der Fernreiseverkehr betroffen sein. Allgemein ist derzeit mit erheblichen Einschränkungen der Mobilität innerhalb Chinas zu rechnen (AA 28.1.2020). Aufgrund einer massiven Präsenz von Sicherheitskräften in besonders gefährdeten Regionen ist eine Wahrscheinlichkeit von Terroranschlägen in China generell niedrig (GW 25.9.2019). Dennoch kann es vereinzelt zu Demonstrationen und Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften kommen. Auch sind In den letzten Jahren in China Anschläge verübt worden. (EDA 23.1.2020). Die Risiken beschränken sich hauptsächlich auf die Autonome Region Xinjiang. Konflikte und mutmaßliche Diskriminierung und Ungleichbehandlung durch die Han-Mehrheitsbevölkerung, wie auch weit verbreitete „Anti-Halal“ Kampagnen [Anmerkung d. Staatendokumentation: dem Verbot einer Etikettierung von Waren mit den arabischen Schriftzeichen für „Halal“] und die anhaltende harte Linie der lokalen Regierung, können die anhaltende Problematik der muslimischen Gemeinschaft ethnischer Minderheiten über die uigurischen Minderheiten hinaus noch verschärfen (AA 28.1.2020; vgl. GW 25.9.2019). Landerwerb ohne volle Einbeziehung der örtlichen Betroffenen stößt zunehmend auf Proteste, insbesondere in Guangdong, Fujian, Zhejiang, Jiangsu, Shandong und Sichuan. Proteste wegen der Modalitäten von Zwangsumsiedlungen wie auch Entschädigungsleistungen sind an der Tagesordnung und die Behörden verfolgen einige der Anführer solcher Proteste strafrechtlich. Die Wahrscheinlichkeit von Protesten, vor allem in Form von Demonstrationen und Blockaden, wird in Bezug auf den Bau größerer Infrastrukturprojekte, dem Bergbau, etc. auch weiterhin hoch eingeschätzt (GW 25.9.2019; vgl. USDOS 13.3.2019) . China hat anhand der Vorkommnisse der späten 1980er Jahre gelernt, dass soziale Spannungen zu einer ernsthaften Gefährdung des Systems führen können. Infolgedessen wurde ein engmaschiges Kontroll- und Regulierungssystem (z.B. Social Credit System) sowohl in urbanen Kerngebieten als auch in den peripheren Siedlungsgebieten der Minderheiten aufgebaut (LVAk 9.2019).

Rechtsschutz / Justizwesen

Die Führung unternimmt Anstrengungen, das Rechtssystem auszubauen (AA 22.12.2019). Dem steht jedoch der Anspruch der Kommunistischen Partei auf ungeteilte Macht gegenüber (FH 2.2019a). Gewaltenteilung und Mehrparteiendemokratie werden abgelehnt. Von der Verwirklichung rechtsstaatlicher Normen und einem Verfassungsstaat ist China noch weit entfernt. Im Alltag sind viele Chinesen weiterhin mit Willkür und Rechtlosigkeit konfrontiert, neben sozialer Not eine der Hauptquellen von Unzufriedenheit in der chinesischen Gesellschaft (AA 3.2019a). Eine unabhängige Strafjustiz existiert in China nicht. Strafrichter und Staatsanwälte unterliegen der politischen Kontrolle von staatlichen Stellen und Parteigremien (AA 22.12.2019). Die Kontrolle der Gerichte durch politische Institutionen ist ein verfassungsrechtlich verankertes Prinzip (ÖB 11.2019). Die KP dominiert das Rechtssystem auf allen Ebenen und erlaubt Parteifunktionären, Urteile und Verurteilungen zu beeinflussen. Die Aufsicht der KP zeigt sich besonders in politisch heiklen Fällen durch die Anwendung sogenannter „Leitlinien“. Während Bürger in nicht-politischen Fällen ein gewisses Maß an fairer Entscheidung erwarten können, unterliegen solche, die politisch sensible Fragen oder die Interessen mächtiger Gruppen berühren, diesen „Leitlinien“ der politisch-juristischen Ausschüsse (FH 2.2019a). Seit dem vierten Jahresplenum des 18. Zentralkomitees 2014 betont die Führung die Rolle des Rechts und ergriff Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität gerichtlicher Verfahren und zum Aufbau eines „sozialistisches Rechtssystem chinesischer Prägung“ unter dem Motto „den Gesetzen entsprechend das Land regieren“. Echte Rechtsstaatlichkeit im Sinne der Achtung des Legalitätsprinzips in der Verwaltung und der Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit wird dabei aber dezidiert abgelehnt. Das in den Beschlüssen reflektierte Verständnis von Recht soll die Macht des Staates, d.h. der Kommunistischen Partei (KP), keinesfalls einschränken, sondern vielmehr stärken (ÖB 11.2019). Die wichtigste Einrichtung der KP zur Kontrolle des Rechtssystems ist die Kommission des Zentralkomitees für Politik und Recht (ZKPR). Das ZKPR ist in unterschiedlichen Unter-Formaten auf jeder gerichtlichen Ebene verankert, wobei die jeweiligen Ebenen der übergeordneten Ebene verantwortlich sind. Die Macht des Komitees, das auf allen Ebenen auf Verfahren Einfluss nimmt, wurde auch seit den Beschlüssen des Vierten Plenums der KP im Oktober 2014 bewusst nicht angetastet (ÖB 11.2019). Die Richter-Ernennung erfolgt auf Provinzebene durch Rechtskomitees, welchen hochrangige Partei-Funktionäre angehören und welche von einem KP-Inspektorat überwacht werden. Richter sind verpflichtet, über Einflussnahme seitens lokaler Politiker auf Verfahren Bericht zu erstatten. Es ist für Richter schwierig, zwischen „Unabhängigkeit“ von lokalen politischen Einflüssen, und Loyalität zur KP-Linie (welche regelmäßig miteinander und mit einflussreichen Wirtschafts- und Privatinteressen verbunden sind) zu navigieren. Trotz laufender Reformbemühungen gibt es – vor allem auf unterer Gerichtsebene – noch immer einen Mangel an gut ausgebildeten Richtern (ÖB 11.2019). Ein umfassender Regelungsrahmen unterhalb der gesetzlichen Ebene soll „Fehlverhalten“ von Justizbeamten und Staatsanwälten in juristischen Prozessen unterbinden. Das Oberste Volksgericht (OVG) und die Oberste Staatsanwaltschaft haben wiederholt gefordert, „Falschurteile“ der Gerichte zu verhindern, die Richterschaft an das Verfassungsverbot von Folter und anderen Zwangsmaßnahmen bei Vernehmungen zu erinnern und darauf hinzuweisen, dass Verurteilungen sich nicht allein auf Geständnisse stützen dürfen. Die tatsächliche Gerichtspraxis ist allerdings davon noch weit entfernt (AA 22.12.2019). Das umstrittene System der „Umerziehung durch Arbeit“ („laojiao“) wurde 2013 offiziell abgeschafft. Missbräuchliche Einweisungen politisch missliebiger Personen (vor allem Petitionäre oder Dissidenten) in psychiatrische Anstalten aber auch willkürliche Festsetzungen in sogenannten schwarzen Gefängnissen („black jails“ bzw. „legal education center“) ohne faires Gerichtsverfahren oder aufgrund falscher oder gefälschter medizinischer Gutachten kommen weiterhin vor (AA 22.12.2019). Mit der letzten großen Novellierung 2013 sieht die Strafprozessordnung genaue Regeln für Festnahmen vor, führt die „Hochachtung und der Schutz der Menschenrechte“ an und verbietet Folter und Bedrohung bzw. Anwendung anderer illegaler Methoden zur Beweisermittlung. Es besteht jedoch eine teilweise erhebliche Divergenz zwischen den Rechtsvorschriften und deren Umsetzung, und werden diese zum Zwecke der Unterdrückung von politisch unliebsamen Personen instrumentalisiert. Laut Strafprozessordnung müssen auch im Falle einer Festnahme wegen Terrorismus, der Gefährdung der Staatssicherheit oder der schwerwiegenden Korruption die Angehörigen von in Untersuchungshaft sitzenden Personen innerhalb von 24 Stunden über die Festnahme informiert werden, nicht jedoch über den Grund der Festnahme oder über den Aufenthaltsort. Zudem besteht diese Informationspflicht nicht, wenn durch diese Information die Ermittlungen behindert würden – in diesen Fällen müssen Angehörige erst nach 37 Tagen informiert werden. Was eine „Behinderung der Ermittlung“ bedeutet, liegt im Ermessen der Polizei, es gibt kein Rechtsmittel dagegen. Da Verdächtige sich formell in Untersuchungshaft befinden, muss der Ort der Festhaltung laut Gesetz auch in diesen Fällen eine offizielle Einrichtung sein. Das Strafprozessgesetz sieht zudem vor, dass Verdächtige, die die staatliche Sicherheit gefährden, an einem „designierten Ort“ bis zu 6 Monate unter „Hausarrest“ gestellt werden können. Dieser Aufenthaltsort kann auch außerhalb offizieller Einrichtungen liegen. Diese Möglichkeit wurde mit der Strafprozessnovelle 2012 eingeführt und von Rechtsexperten wie dem Rapporteur der UN-Working Group on Enforced or Involuntary Disappearances wegen des inhärenten Folterrisikos als völkerrechtswidrig kritisiert (ÖB 11.2019).

Die Staatsorgane greifen verstärkt auf den „Hausarrest an einem festgelegten Ort“ zurück – eine Form der geheimen Inhaftierung ohne Kontakt zur Außenwelt, die es der Polizei erlaubt, eine Person für die Dauer von bis zu sechs Monaten außerhalb des formellen Systems, das die Inhaftierung von Personen regelt, und ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand der eigenen Wahl, zu Familienangehörigen oder anderen Personen der Außenwelt festzuhalten. Dadurch wurden diese Personen der Gefahr ausgesetzt, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden. Diese Inhaftierungspraxis dient dazu, die Tätigkeit von Menschenrechtsverteidigern – einschließlich der von Rechtsanwälten, politisch engagierten Bürgern und Angehörigen von Religionsgemeinschaften – zu unterbinden (ÖB 11.2019; vgl. AA 22.12.2019, AI 22.2.2018). Im Zusammenhang mit verwaltungsstrafrechtlich bewehrten rechtswidrigen Handlungen kann die Polizei zudem „Verwaltungsstrafen“ verhängen. Diese Strafen reichen von Ermahnungen über Geldbußen bis hin zu einer „Verwaltungshaft“ (ohne richterliche Entscheidung) von bis zu 15 Tagen. Der Aufenthalt in den offiziell nicht existenten „schwarzen Gefängnissen“ kann zwischen wenigen Tagen und in einigen Fällen langjährigen Haftaufenthalten variieren (AA 22.12.2019). Das 2019 erneut revidierte Strafverfahrensgesetz verbessert dem Wortlaut nach die Stellung des Beschuldigten/Angeklagten und des Verteidigers im Ermittlungs- und Strafprozess. Die Umsetzung steht aber in jedem Fall unter dem politischen Eingriffsvorbehalt der jeweiligen Parteiorgane, die fester integrierter Bestandteil auch bei den Strafgerichten sind.(AA 22.12.2019). Seit 2014 wurden schrittweise Reformen zur Verbesserung der Justizleistung unter Wahrung der Parteivormachtstellung durchgeführt. Die Änderungen konzentrierten sich auf die Erhöhung der Transparenz, Professionalität und Autonomie gegenüber den lokalen Behörden (FH 2.2019a). Das chinesische Strafgesetz hat die früher festgeschriebenen „konterrevolutionären Straftaten“ abgeschafft und im Wesentlichen durch „Straftaten, welche die Sicherheit des Staates gefährden“ (Art. 102-114 chin. StGB) ersetzt. Gerade dieser Teil des Strafgesetzes fällt durch eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe auf (AA 22.12.2019). Die Regierung hat weitere Gesetze zur nationalen Sicherheit ausgearbeitet und verabschieden lassen, die eine ernste Gefahr für den Schutz der Menschenrechte darstellen. Das massive landesweite Vorgehen gegen Menschenrechtsanwälte und politisch engagierte Bürger hielt das ganze Jahr 2017 über an (AI 22.2.2018). Prozesse, bei denen die Anklage auf Terrorismus oder „Verrat von Staatsgeheimnissen“ lautet, werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Was ein Staatsgeheimnis ist, kann nach chinesischer Gesetzeslage auch rückwirkend festgelegt werden. Angeklagte werden in diesen Prozessen weiterhin in erheblichem Umfang in der Wahrnehmung ihrer Rechte beschränkt. Unter anderem wird dem Beschuldigten meist nicht erlaubt, Verteidiger seiner Wahl zu beauftragen; nur in seltenen Ausnahmefällen wird vom Gericht überhaupt eine Verteidigung bestellt (AA 22.12.2019). Auch 2018 setzten sich die Übergriffe der Behörden auf Menschenrechtsanwälte das ganze Jahr hindurch mit Verhaftungen und strafrechtlicher Verfolgung fort (FH 2.2019a). Anwälte, Mitarbeiter von Kanzleien und Aktivisten, droht bei öffentlicher Kritik am System Festnahme und Haft (AI 1.10.2019; vgl. ZO 29.1.2019, DP 19.1.2018). Von Schikanösen Maßnahmen können auch Familienangehörige betroffen sein (AI 1.10.2019; vgl. TAZ 29.3.2016). Seit der offiziellen Abschaffung des Systems der „Umerziehung durch Arbeit“ werden Menschenrechtsaktivisten nicht mehr in administrativer Haft angehalten, sondern systematisch auf Basis von Strafrechtstatbeständen wie Staatsgefährdung, Separatismus, Volksverhetzung, oder gemeiner Vergehen oder Verbrechen verurteilt, womit der Anschein der Rechtsstaatlichkeit erweckt werden soll. Aufgrund der vagen Tatbestände, des Zusammenhalts der einzelnen Institutionen und des Mangels an unabhängiger engagierter anwaltlicher Vertretung, kann ein strafrechtlich relevanter Sachverhalt relativ leicht „geschaffen“ werden (ÖB 11.2019). Häufig wurden Anklagen wegen „Untergrabung der staatlichen Ordnung“, „Anstiftung zum Separatismus" oder „Terrorismus“, „Anstiftung zu Subversion" oder „Weitergabe von Staatsgeheimnissen“, wie auch „Streitsucht und Unruhestiftung“ erhoben und langjährige Gefängnisstrafen verhängt (ÖB 11.2019; vgl. AI 22.2.2018). Wegen der mangelnden Unabhängigkeit der Justiz wählen viele Betroffene von Behördenwillkür den Weg der Petition bei einer übergeordneten Behörde (z.B. Provinz- oder Zentralregierung). Petitionen von Bürgern gegen Rechtsbrüche lokaler Kader in den Provinzen nehmen zu. Chinesischen Zeitungsberichten zufolge werden pro Jahr landesweit ca. 10 Millionen Eingaben [Petente] eingereicht. Petitionäre, die Vergehen von lokalen Behörden und Kadern anzeigen wollen, werden häufig von angeheuerten Schlägertrupps aufgegriffen und ohne Kontakt zur Außenwelt in Gefängnissen festgehalten. Diese Art des Verschwindenlassens ist eine weit verbreitete, von der Regierung aber stets verleugnete Methode, um unliebsame Personen aus dem Verkehr zu ziehen (AA 22.12.2019).

Sicherheitsbehörden

Zivile Behörden haben die Kontrolle über Militär- und Sicherheitskräfte (USDOS 13.3.2019). Die Zentrale Militärkommission (ZMK) der Partei leitet die Streitkräfte des Landes (AA 3.2019a). Xi Jinping, der Vorsitzende der ZMK der Kommunistischen Partei Chinas, ist Oberkommandierender der Streitkräfte, welche seit 1997 direkt der Kommunistischen Partei Chinas unterstellt sind (AA 3.2018a). Die Ausgaben für die innere Sicherheit sind in allen Provinzen und Regionen im Zeitraum von 2007 bis 2016 um 215 Prozent angestiegen und erhöhten sich 2018 insbesondere in sensiblen Minderheitenregionen wie Xinjiang und Tibet weiter (DFAT 3.10.2019). Sicherheitsbehörden sind das Ministerium für Staatssicherheit, das Ministerium für Öffentliche Sicherheit, und die Bewaffnete Volkspolizei (BVP) der Volksbefreiungsarmee. Das Ministerium für Staatssicherheit soll vor Staatsfeinden, Spionen und konterrevolutionären Aktivitäten zur Sabotage oder dem Sturz des chinesischen sozialistischen Systems schützen. In die Zuständigkeit dieses Ministeriums fallen auch der Inlands- und Auslandsgeheimdienst. Die BVP ist in 45 Divisionen unterteilt, bestehend aus Innensicherheitspolizei, Grenzüberwachung, Regierungs- und Botschaftsbewachung, sowie Funk- und Kommunikationsspezialisten. Ein wesentlicher Anteil der in den letzten Jahren vorgenommenen Truppenreduktionen in der Volksbefreiungsarmee war in Wahrheit eine Umschichtung von den Linientruppen zur BVP. Darüber hinaus beschäftigen zahlreiche lokale Kader u.a. entlassene Militärangehörige in paramilitärischen Schlägertrupps. Diese Banden gehen häufig bei Zwangsaussiedlung im Zuge von Immobilienspekulation durchaus auch im Zusammenspiel mit der BVP gegen Zivilisten vor. Das Ministerium für Öffentliche Sicherheit beaufsichtigt alle innerstaatlichen Aktivitäten der zivilen Sicherheitsbehörden (außer derjenigen, die in die Zuständigkeit des Staatssicherheitsministeriums fallen), sowie die BVP. Konkret umfassen seine Aufgaben innere Sicherheit, Wirtschaft und Kommunikationssicherheit, neben der Zuständigkeit für Polizeieinsätze und Gefängnisverwaltung. Die Organisationseinheit auf niedrigster Ebene sind die lokalen Polizeikommissariate, die für den alltäglichen Umgang mit der Bevölkerung verantwortlich sind und die Aufgaben von Polizeistationen erfüllen (ÖB 11.2019). Im Juni 2017 wurde mit dem Aufklärungsgesetz ("Intelligence Law", 2017; geändert 2018), durch das Ständige Komitee des Nationalen Volkskongresses Chinas, ein neues Gesetz erlassen, welches über die staatlichen Sicherheitsbehörden hinaus jedes einzelne Mitglied der chinesischen Gesellschaft aufruft, zur nationalen Aufklärungsarbeit beizutragen und nachrichtendienstlich relevante Informationen über Dritte, die an Aktivitäten beteiligt sind, welche der nationalen Sicherheit Chinas oder seinen Interessen schaden können, an die Behörden weiterzugeben (DFAT 3.10.2019). Darüber hinaus besteht ein enges Netz an lokalen Partei-Büros welche mittels freiwilliger „Blockwarte“ die Bewegungen der Bewohner einzelner Viertel überwachen und mit der Polizei zusammenarbeiten (ÖB 11.2019). Die Behörde für Staatssicherheit kann seit Mitte April 2017 Beträge zwischen 10.000 und 500.000 Yuan (etwa 68.000 Euro) für nützliche Hinweise an Informanten auszahlen, welche durch ihre Mitarbeit bei der Enttarnung von ausländischen Spionen helfen. Informationen können über eine speziell eingerichtete Hotline, Briefe oder bei einem persönlichen Besuch bei der Behörde gegeben werden. So sich die Hinweise als zweckdienlichen herausstellen, soll der Informant das Geld erhalten (FAZ 11.4.2017).

Folter und unmenschliche Behandlung

China ratifizierte bereits 1988 die UN-Konvention gegen Folter. Nach Art. 247 und 248 StGB wird Folter zur Erzwingung eines Geständnisses oder zu anderen Zwecken in schweren Fällen mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe, in besonders schweren Fällen mit bis zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe oder Todesstrafe geahndet (AA 22.12.2019). In den letzten Jahren wurden außerdem einige Verordnungen erlassen, die formell für Tatverdächtige im Ermittlungsverfahren einen besseren Schutz vor Folter bieten sollen. Ein großes Problem bleibt jedoch die mangelnde Umsetzung dieser Rechtsinstrumente, die Sicherheitsbehörden genießen weiterhin auch aufgrund des Mangels an Kontrolle und Transparenz einen großen Handlungsspielraum. Sicherheitskräfte setzen sich routinemäßig über rechtliche Schutzbestimmungen hinweg. Für die Polizei stellt Straflosigkeit im Falle von Brutalität und bei verdächtigen Todesfällen in Gewahrsam die Norm dar (ÖB 11.2019; vgl. FH 2.2019a). Menschenrechtsanwälte äußern Besorgnis darüber, dass Rechtsanwälte und Aktivisten weiterhin nach Inhaftierung verschiedenen Formen von Folter, Misshandlung oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt sind. Angehörige der ethnischen Minderheit der Uiguren berichten von systematischer Folter und anderer erniedrigender Behandlung durch im Strafvollzug und in den Internierungslagern beschäftigte Beamte (USDOS 13.3.2019). Die chinesische Führung erklärte am 4. Parteiplenum 2014 zum Ziel, die Rechtsstaatlichkeit zu verbessern und Folter, Misshandlungen und Missstände in der Justiz zu verhindern. Gleichzeitig wird radikal gegen unabhängige Rechtsanwälte, Menschenrechtsverteidiger, und Medien vorgegangen, sodass das Ziel einer Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit in Frage gestellt wird. Neben politischen Absichtserklärungen und einigen wenigen „Vorzeigefällen“, in denen Fehlurteile - etwa nach vollzogener Todesstrafe posthum - revidiert wurden, oder einzelne Polizisten nach tödlicher Folter (und öffentlicher Empörung) entlassen werden, ist jedoch nicht bekannt, dass strukturelle Maßnahmen getroffen werden, um das Risiko von Folter und Misshandlungen zu vermindern (ÖB 11.2019; vgl. AI 22.2.2018). Das revidierte Strafverfahrensrecht verbietet die Verwendung von Geständnissen und Zeugenaussagen, die unter Folter oder anderweitig mit illegalen Mitteln zustande gekommen sind (neuer Art. 53), sowie sonstiger illegal erlangter Beweismittel (Art. 54) im Strafprozess. Trotzdem soll Folter in der Untersuchungshaft häufiger vorkommen als in regulären Gefängnissen (AA 22.12.2019). Die Anwendung von Folter zur Erzwingung von Geständnissen ist nach wie vor weit verbreitet und wird eingesetzt, um Geständnisse zu erhalten oder politische und religiöse Dissidenten zu zwingen, ihre Überzeugungen zu widerrufen (FH 2.2019a). Von Medien, Menschenrechtsgruppen, Mitgliedern der internationalen Gemeinschaft und Uiguren wird über die Anwendung von Gewalt und Folter gegen Uiguren in Umerziehungszentren berichtet (DFAT 3.9.2019). Soweit die chinesische Regierung und die staatlich gelenkte Presse Folterfälle einräumen, stellen sie diese als vereinzelte Übergriffe „unterer Amtsträger“ dar, gegen die man energisch vorgehe (AA 22.12.2019).

Korruption

Korruption stellt nach wie vor ein großes Problem im Land dar (USDOS 13.3.2019). China scheint im Korruptionswahrnehmungsindex (Corruption Perceptions Index) von Transparency International (TI) für das Jahr 2018 mit einer Bewertung von 39 (von 100) (0 sehr korrupt, 100 kaum korrupt) auf dem 87. Rang von 180 Staaten auf (TI 2019). 2017 wurde China mit 41 Punkten (Rang 77 von 180 Staaten) bewertet (TI 2018). Trotz diverser Anti-Korruptionsmaßnahmen bewirken Korruption und deren Auswirkungen auf die Wirtschaft des Landes, nach wie vor deutliche Zeichen von Unzufriedenheit in der Bevölkerung (LVAk 9.2019). Die weitest verbreiteten Formen von Korruption in China sind Bestechung, Veruntreuung öffentlicher Gelder und Günstlingswirtschaft durch Regierungsvertreter. Korruption, politische Einmischung und Vermittlungsleistungen sind beim Erwerb öffentlicher Dienstleistungen und im Umgang mit dem Rechtssystem üblich (DFAT 3.10.2019). Gemäß der Auswertung des Globalen Korruptions-Barometers für China zum Jahre 2017, haben 26 Prozent der Befragten Vermittlungszahlungen geleistet, um Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen, einschließlich Bildung, Leistungen im Gesundheitswesen und der Strafverfolgungsbehörden zu erhalten (TI 2.3.2017). Auch die von der Regierung stark regulierten Bereichen wie Landnutzung, Immobilien, Bergbau und Entwicklung der Infrastruktur sind anfällig für Betrug, Bestechung und Schmiergeldzahlungen. (USDOS 13.3.2019). Bei seinem Amtsantritt startete Präsident Xi eine landesweite Anti-Korruptionskampagne (DFAT 3.10.2019; vgl. FH 2.2019a). Ziel dieser Kampagne war, hochrangige und niederrangige korrupte Beamte zu fassen. 2013 wurden von den Behörden 172.000 Anti-Korruptionsuntersuchungen durchgeführt, im Jahre 2015 waren es 330.000. 2017 wurden 527.000 Untersuchungen durchgeführt und im im ersten Halbjahr 2017 waren es 302.000 Untersuchungen (DFAT 3.10.2019). Mehr als eine Million Beamte wurden nach offiziellen Angaben bisher überprüft und bestraft (FH 2.2019a). Bis Mitte 2017 sind durch das behördliche Durchgreifen über 1.800 Beamte dingfest gemacht worden, darunter 182 Beamte auf Ebene der stellvertretenden Provinz- oder stellvertretenden Ministerialebene bzw. darüber. Die erfolgten Untersuchungen führten zu Verhaftungen, Ausschlüssen aus der Partei und der Verurteilung von 1.130 Beamten (darunter 139 hoher Beamter) wegen Korruption (DFAT 30.10.2019). Unter den Gemaßregelten befinden sich hochrangige Staats- und Parteifunktionäre aus dem Sicherheitsapparat, dem Militär, dem Außenministerium, staatlichen Unternehmen und den staatlichen Medien (DFAT 3.10.2019; vgl. FH 2.2019a). Obwohl die Beamten mit strafrechtlichen Sanktionen wegen Korruption konfrontiert waren, haben die Regierung und die CCP das Gesetz nicht konsequent und transparent umgesetzt (USDOS 13.3.2019). Eine stark auf Parteiloyalität und Verschwiegenheit fokussierte Antikorruptionskampagne kennzeichnet gegenwärtig die innenpolitischen Entwicklungen (AA 22.12.2019).

Allgemeine Menschenrechtslage

Die Volksrepublik China erkennt de jure die grundlegenden Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte an. Sie gehört einer Reihe von Übereinkünften zum Schutz der Menschenrechte an, darunter die Konvention gegen Folter. Die VR China hat den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte 1998 zwar unterzeichnet, allerdings bis heute nicht ratifiziert (AA 3.2019a). Die Menschenrechtslage in China bietet weiterhin ein zwiespältiges und trotz aller Fortschritte im Ergebnis negatives Bild. 2004 wurde der Begriff „Menschenrechte“ in die Verfassung aufgenommen, die individuellen Freiräume der Bürger in Wirtschaft und Gesellschaft wurden in den letzten Jahren erheblich erweitert. Andererseits bleiben die Wahrung der inneren Stabilität und der Machterhalt der KPCh oberste Prämisse und rote Linie. Vor diesem Hintergrund geht die chinesische Führung kompromisslos gegen jene vor, die als Bedrohung dieser Prioritäten angesehen werden, wie z. B. regierungskritische Schriftsteller, Blogger, Bürgerrechtsaktivisten, Menschenrechtsanwälte, Petitionäre oder Mitglieder nicht anerkannter Religionsgemeinschaften (Falun Gong, Hauskirchen etc.). Die seit 2008 zunehmende Repression hat sich seit Amtsantritt Xi Jinpings verstetigt und sich im Berichtszeitraum, insbesondere nach dem 19. Parteitag im Oktober 2017 und dem 13. Nationalen Volkskongress im März 2018 nochmals verstärkt. Oberstes Ziel ist die Aufrechterhaltung „sozialer Stabilität“, die aus Sicht der chinesischen Führung unerlässlich für die weitere Entwicklung des Landes ist. Einschüchterungsmaßnahmen umfassen u.a. Hausarrest, willkürliche Haft in sogenannten schwarzen Gefängnissen („black jails“ bzw. „legal education center“), Folter, Berufsverbote und Druck auf Familienangehörige durch Bedrohungen bis hin zur „Sippenhaft“. Flankiert wird dies durch neue Gesetzgebung sowie eine Verschärfung von bestehenden Verordnungen und Gesetzen in den letzten Jahren (u. a. Gesetz zum Management von internationalen NROs, Wohlfahrtsgesetz, Verordnung über die Regulierung von religiösen Angelegenheiten). Personen, die in Opposition zu Regierung und herrschender Ideologie stehen, setzen sich unmittelbar der Gefahr von Repression durch staatliche Stellen aus, wenn sie aus Sicht der Regierung die Kommunistische Partei, die Einheit des Staates oder das internationale Ansehen Chinas gefährden. Die Schwelle ist immer dann erreicht, wenn die chinesischen Sicherheitsbehörden annehmen, dass ein – noch so loses – Netzwerk gebildet werden könnte. Aus Sicht der Regierung geht von separatistischen Bestrebungen und Untergrundaktivitäten innerhalb Chinas die größte Gefahr aus (AA 22.12.2019). Oberstes Ziel ist die Aufrechterhaltung „sozialer Stabilität“, die aus Sicht der chinesischen Führung unerlässlich für die weitere Entwicklung des Landes ist (AA 22.12.2019). Es gibt weiterhin besorgniserregende Verletzungen rechtsstaatlicher Mindeststandards in ganz China. So gibt es immer noch Strafverfolgung aus politischen Gründen, Administrativhaft (Haftstrafe ohne Gerichtsurteil), Verletzung von allgemeinen Verfahrensgarantien im Strafverfahren (zum Beispiel Unschuldsvermutung, Recht auf Verteidigung), sehr häufige Verhängung der Todesstrafe sowie Fälle von Misshandlungen und Folter. Daneben gibt es das Bekenntnis der Regierung zu einem an Recht und Gesetz ausgerichteten sozialen Regierungshandeln und vermehrt Reformbemühungen im Rechtsbereich (AA 3.2019a). Häufig kommen Übergriffe lokaler Amtsträger bzw. von denen beauftragter Dritter vor, die im Ergebnis den Zielen der Regierungspolitik entsprechen oder der Wahrung des Einkommens dieser Personen dienen. Zumeist handelt es sich um Demonstranten bei Fällen mit wirtschaftlichem Hintergrund (illegale Landnahme, Korruption etc.). Auch Journalisten sind von solchen Fällen betroffen, zum Teil werden offen Kopfgelder ausgesetzt, ohne dass dies rechtliche Konsequenz hat (AA 22.12.2019). Chinas wissenschaftliches Entwicklungskonzept hält auch Einzug in die „Soziale Steuerung“ durch und für die Partei. Umfassende Sicherheit, so erkannte die Parteiführung, benötigt Big Data über Einstellungen und Stimmungen innerhalb der Bevölkerung sowie deren analytische Aufarbeitung (LVAk 9.2019). Die chinesische Regierung plant 2020 ein soziales Kreditsystem einzuführen, das Menschen in allen Lebenslagen bewertet und entsprechend belohnt oder bestraft (EuZ 29.8.2019; vgl. LVAk 9.2019). Als Datenquellen werden das Verhalten in den sozialen Medien, beim Online-Shopping, beim Verfassen von Kurznachrichten, aber auch Kranken- und Gerichtsakten, Verkehrsdelikte, Steuersünden, rüpelhaftes Verhalten in der Öffentlichkeit, Rauchen in öffentlichen Räumen etc. genutzt (EuZ 29.8.2019).

Meinungs- und Pressefreiheit

Pressefreiheit ist in China stark eingeschränkt und nicht gewährleistet (AA 22.12.2019; vgl. ÖB 11.2019). Die Regierung behält eine strenge Kontrolle über das Internet und die Massenmedien (HRW 14.1.2020). Die Unterdrückung grundlegender Rechte, wie Rede- und Versammlungsfreiheit, sowie Reisefreiheit werden den Bewohner der autonomen Region Tibet (TAR) und anderen tibetischen Gebieten, sowie den Uiguren in der autonomen Region Xinjiang (XUAR) ist weiter verschärft worden und ist ausgeprägter als in anderen Teilen des Landes (USDOS 13.3.2019). Das in der chinesischen Verfassung theoretisch gewährte Recht wird durch Vorbehalte in der Verfassung selbst sowie durch zahlreiche einfachgesetzliche Regelungen und administratives Vorgehen weitgehend ausgehöhlt. Die Möglichkeiten von Bürgern zur offenen Meinungsäußerung im privaten Kreis und etwas abgestuft in den sozialen Medien ist teilweise vorhanden wird geduldet, ist aber immer mit unkalkulierbaren persönlichen Risiken verbunden. Trotz weiter ausgreifender Zensur (Internet) bleibt es der eigentliche Ort der öffentlichen Meinungsbildung in China. So stehen die sozialen Medien besonders im Fokus der staatlichen Einflussnahme. De facto unterliegt die Meinungsfreiheit jedoch nach wie vor strenger Reglementierung. Regierungskritik wird immer wieder als Gefährdung der Staatssicherheit verfolgt und drakonisch bestraft. Seit dem Führungswechsel im März 2013 ist durchgehend ein noch einmal verstärkt repressives Vorgehen der chinesischen Behörden gegenüber Kritikern der Regierung oder der Partei (Menschenrechtsverteidiger, Bürgerrechtsanwälte, kritische Intellektuelle und Künstler, Petitionäre oder Mitglieder nicht anerkannter Religionsgemeinschaften etc.) zu beobachten (AA 22.12.2019; vgl. ÖB 11.2019). Als Sprachrohr von Partei und Staat bleibt es Hauptaufgabe der Medien, die „Einheit von Volk, Staat und Partei“ und die politischen Ziele der Staatsführung zu propagieren. Verstöße gegen die Regeln werden teilweise empfindlich bestraft, etwa mit Verlust des Arbeitsplatzes oder gar Inhaftierung (AA 22.12.2019). Partei und Staat dominieren mit eigenen Medien die öffentliche Meinungsbildung; als Informationsquelle genießen sie in der Bevölkerung jedoch wenig Vertrauen. Bei sensiblen Themen, vor allem im politischen Bereich, sind die Spielräume der Berichterstattung eng begrenzt und nehmen seit einigen Jahren wieder ab (AA 3.2019a). Allerdings durchläuft die chinesische Gesellschaft radikale und spürbare Wandlungsprozesse. Das ganz vorwiegend per Firewall-Sperren auf China beschränkte und systematischer Zensur unterworfene Internet (de facto eine Art Intra-Net) mit einer extrem hohen Nutzerquote (Mitte 2019 rund 890 Mio. Internetnutzer bei 1,4 Mrd. Einwohnern) und die ebenfalls rein innerchinesischen sozialen Netzwerke sind in manchen Fällen auch zu Sprachrohren von Frustrationswellen und der Aufdeckung von Missständen geworden.(AA 22.12.2019). China verfügt über eines der restriktivsten Medienumfelder der Welt und ein ausgeklügeltes System der Zensur, insbesondere im Internet. Das Zentralkomitee der kommunistischen Partei übt die Kontrolle über die Nachrichten, sowie die Berichterstattung durch Direkteigentümerschaft der Medienunternehmen aus. Die staatliche Verwaltung der Telekommunikationsinfrastruktur ermöglicht ein Blockieren von Websites, das Entfernen von Mobiltelefonanwendungen vom Inlandsmarkt und das massenhafte Löschen von Mikroblog-Posts, Sofortnachrichten und Benutzerkonten, die verbotene politische, soziale, wirtschaftliche und religiöse Themen zum Inhalt haben (HRW 17.1.2019). Tausende solcher Websites werden über Jahre hinweg blockiert (HRW 14.1.2020; vgl. AI 22.2.2018). China gehört nach der Evaluierung von „Reporter ohne Grenzen“ auch 2019 weiter zu den Ländern mit den stärksten Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit. Es nimmt dort den 177. Platz von 180 Ländern ein (ROG 2020). 2018 nahm China in dieser Auflistung ebenfalls den 176. Platz von 180 Ländern ein (AA 14.12.2018).

Haftbedingungen

Die Haftbedingungen sind im Allgemeinen hart, mit unzureichender Ernährung, regelmäßigen Misshandlungen und Entzug von medizinischen Hilfeleistungen (FH 2.2019a). Das Gesetz verbietet Misshandlung und Beleidigung von Häftlingen oder Geständnisse zu erzwingen (USDOS 13.3.2019). In vielen Fällen wurde Inhaftierten in Untersuchungsgefängnissen anfänglich der Zugang zu Rechtsbeiständen verwehrt (AI 2.8.2019; vgl. AI 22.8.2019), was mit mit dem „Verdacht auf Untergrabung der Staatsgewalt“ (AI 22.8.2019) oder der „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ begründet wurde (AI 22.2.2017). Neben der Freiheitsstrafe existieren verschiedene Formen freiheitsentziehender Maßnahmen, sogenannte Administrativhaft: „Haft zur Erziehung“ (shourong jiaoyu), „Haft zur Umerziehung“ und „Zwangsmäßige Drogenrehabilitation in Isolation“. Sie zielen häufig auf Prostituierte und Drogenabhängige, aber auch politisch missliebige Personen (z.B. Anti-Falun Gong-Kampagne) ab. (AA 22.12.2019). Erkenntnissen zu Folge wurde nach Abschaffung des Systems „Umerziehung durch Arbeit“ („laojiao“) eine Umbenennung von hunderten dieser Haftanstalten in sogenannte „legal education centers“ betrieben. Menschenrechtsorganisationen kritisieren, dass diese Maßnahmen weder Rehabilitierungs-/Entzugshilfe bieten noch der Resozialisierung der Drogenabhängigen dienen. Vielmehr stehe der Freiheitsentzug (Minimum zwei Jahre) und die Verrichtung unbezahlter Arbeit im Vordergrund (AA 14.12.2018). Die ohne gesetzliche Basis operierenden Umerziehungs-Zentren für Prostituierte und Konsumenten der Prostitution (wobei letztere sich in der Regel per Korruption freikaufen können) wurden hingegen per 29.12.2019 (BBC 28.12.2019) abgeschafft (ZO 29.12.2019). Nach glaubhaften Berichten von NGOs sind mindestens 3.000 politischer Verbrechen angeklagte Personen in den vergangenen zwei Jahrzehnten in Anstalten für „politisch Anormale“ festgehalten worden; ca. 1.000 Mitglieder von Falun Gong wurden gegen ihren Willen psychiatrischer Behandlung unterzogen. Es wird von Zwangsmedikation und Gewaltanwendung (Elektroschocks) berichtet (AA 14.12.2018). Berichten zu Folge sind politische Gefangene, darunter Angehörige der Falun Gong, Uiguren, tibetische Buddhisten und im Untergrund ihren Glauben praktizierende Christen, in Haftanstalten der Gefahr von gewaltsamen Organentnahmen ausgesetzt (WSJ 5.2.2019). Missbräuchliche Einweisungen politisch missliebiger Personen (vor allem Petitionäre oder Dissidenten) in psychiatrische Anstalten ohne faires Gerichtsverfahren oder aufgrund falscher oder gefälschter medizinischer Gutachten kommen weiterhin vor (AA 22.12.2019). Die Polizei kann in solchen Anstalten Personen nach eigenem Gutdünken ohne zeitliche Begrenzungen festhalten (ÖB 11.2019).

Todesstrafe

Es gibt Anzeichen, dass China sich langsam in Richtung einer Verminderung der Anwendung der Todesstrafe bewegt. Seit 2006 muss der Oberste Volksgerichtshof jede verhängte Todesstrafe bestätigen, deshalb ist von einem Rückgang der Hinrichtungen auszugehen. Dennoch dürfte China jährlich mehr Menschen hinrichten als alle anderen Länder zusammen. Die tatsächliche Zahl der Hinrichtungen ist in China ein Staatsgeheimnis. Die Todesstrafe wird bei 46 Verbrechen angewendet, von denen 21 keine Gewaltverbrechen sind. (ÖB 11.2019). Die genaue Zahl der Hinrichtungen bleibt Staatsgeheimnis. Man geht davon aus, dass China bei der Anzahl der Hinrichtungen weltweit führt (AI 10.4.2019). NGOs schätzen aber auch, dass die Zahl der Vollstreckungen seit mehreren Jahren abnimmt (AA 22.12.2019).

Relevante Bevölkerungsgruppen

Frauen

Frauen genießen denselben Rechtsstatus und dieselben Rechte wie Männer (USDOS 13.3.2019). Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern ist erklärtes politisches Ziel der Regierung. Allerdings gibt es noch immer wenige Frauen in gehobenen Positionen, so auch in der Politik. Im Ständigen Ausschuss des Polit-Büros ist keine Frau vertreten (AA 22.12.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Das Wahlgesetz sieht ein generelles Kontingent für weibliche Minderheitenvertreter vor, doch die Verwirklichung dieser Kontingente erforderte oft, dass die Wahlbehörden gegen das Wahlgesetz verstoßen (USDOS 13.3.2019). Häusliche Gewalt ist in China weiterhin weit verbreitet und stellt ein ernsthaftes Problem dar (DFAT 3.10.2019; vg. USDOS 13.3.2019). Es gibt Gesetze zum Schutz von Frauen, dennoch kommt es zu Diskriminierung von Frauen (USDOS 13.3.2019). Es besteht kein politisches Bewusstsein zu Geschlechtergleichheit oder Frauenrechten. Besonders in ländlichen Gebieten kommt es zu geschlechtsspezifischer Diskriminierung, ungleichem Zugang zu öffentlichen Leistungen und Landrechten. Gewalt gegen Frauen und insbesondere häusliche Gewalt und Missbrauch von Mädchen, auch in öffentlichen Einrichtungen wie Schulen, sind Tabuthemen und weit verbreitet (ÖB 11.2019), in der patriarchalisch veranlagten chinesischen Gesellschaft sind Frauen vor allem in ländlichen Gebieten benachteiligt (AA 22.12.2019). Vergewaltigung ist illegal, Strafen für Vergewaltigung reichen von drei Jahren Gefängnis bis zur Hinrichtung. Die meisten Fälle von Vergewaltigung werden durch private Vergleiche beendet. Die Anerkennung häuslicher Gewalt durch die Gerichte verbesserte sich (USDOS 13.3.2019). Das erste Gesetz des Landes zur Bekämpfung häuslicher Gewalt trat 2016 in Kraft. Berichten zufolge kommt es in mindestens einem Viertel der Familien zu häuslicher Gewalt (USDOS 13.3.2019; vgl. FH 2.2019a). Das Familiengewaltgesetz definiert häusliche Gewalt als zivile und nicht als kriminelle Handlung zwischen Familienmitgliedern. Auch führt eine Zuordnung häuslicher Gewalt als private Angelegenheit zu einer Untätigkeit der Beamten gegenüber Fällen häuslicher Gewalt gegen Frauen. Aktivisten haben sich darüber beschwert, dass das neue Gesetz keine Unterstützung für die Opfer bietet und dass es für die Opfer äußerst schwierig ist, Gerichtsverfahren gegen ihre Täter zu gewinnen, vor allem wegen des Versagens der Behörden in der Beweissicherung und weil kaum Zeugen vor Gericht aussagen (USDOS 13.3.2019; vgl. FH 2.2019a). Einige Gerichte bieten Opfern Schutz durch Verhängung einstweiliger Verfügungen an, welche Täter von einer Kontaktaufnahme mit dem Opfer abhalten sollen. Die offizielle Unterstützung ist nicht immer wirksam, weil sie die Opfer nicht immer erreicht. Auch wird häusliche Gewalt durch die öffentlichen Sicherheitskräfte oftmals ignoriert (USDOS 13.3.2019). Zwangsprostitution und Menschenhandel werden strafrechtlich verfolgt (AA 22.12.2019). Vom Menschenhandel sind besonders Frauen und Kinder aus ländlichen Gebieten betroffen. Es gibt einen nationalen Aktionsplan gegen den Handel mit Frauen und Kindern. Menschenhändler können mit der Todesstrafe belegt werden (ÖB 11.2019). Prostitution ist keine Straftat, aber ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung, der mit Administrativhaft geahndet wird. Mitte 2014 gab es 116 Umerziehungslager, in denen ca. 118.000 Frauen einsaßen und zu fabrikähnlicher Arbeit gezwungen wurden. Es gibt glaubhafte Berichte, dass lokale Behörden an Einrichtungen, in denen Prostitution ausgeübt wird, beteiligt sind. Nach dem Gesetz über den Schutz und die Rechte von Frauen ist sexuelle Belästigung von Frauen strafbar. Das Gesetz ist jedoch sehr vage formuliert, entsprechende Regelungen im Strafgesetz fehlen (AA 22.12.2019; vgl. HRW 17.1.2019).

Familienplanungspolitik

Die Kommunistische Partei (KP) schränkt das Recht der Eltern auf Wahl der Anzahl der Kinder ein und nutzt Familienplanungseinheiten von der Dorf- bis zur Provinzebene, um Bevölkerungsbegrenzungen und -verteilungen durchzusetzen. Das Bevölkerungs- und Familienplanungsgesetz erlaubt es Ehepaaren, zwei Kinder zu haben. Darüber hinaus ist es Paaren erlaubt, ein drittes Kinde zu beantragen, wenn die lokalen Vorschriften, wie auch die Regelungen der jeweiligen festgelegten Bedingungen der Provinz erfüllt werden. Staatliche Medien behaupten, dass die Zahl der erzwungenen Abtreibungen in den letzten Jahren im Zuge gelockerter Vorschriften, einschließlich der Umsetzung der Zwei-Kind-Politik, zurückgegangen ist. Bürger welche gegen Gesetzte der Familienplanung verstoßen, werden mit hohen Strafen belegt (USDOS 13.3.2019) Die Politik der Familienplanung wurde nicht abgeschafft, sondern lediglich auf zwei Kinder pro Ehepaar erweitert. Generell wird und wurde die Implementierung der Familienplanungspolitik in einzelnen Provinzen und Gemeinden jedoch sehr unterschiedlich gehandhabt. (ÖB 11.2019). Viele lokale Vorschriften sehen Erleichterungen vor (z.B. für nationale Minderheiten, Rückkehrer etc.) (AA 22.12.2019). Weiterhin muss vor der Geburt eine Genehmigung eingeholt werden. Genehmigungen erfolgen nur an verheiratete Ehepaare. Alleinstehende Frauen haben damit keine Möglichkeit „legal“ Kinder zur Welt zu bringen. Wie zuvor

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten