TE OGH 2020/10/14 2Ob76/20w

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Veröffentlicht am 14.10.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B*****, vertreten durch Tischler & Tischler Rechtsanwälte GmbH in Klagenfurt, wider die beklagte Partei A*****, Slowenien, vertreten durch Dr. Karl-Peter Hasch, Rechtsanwalt in Villach, wegen 46.383,22 EUR sA, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 18. Februar 2020, GZ 16 R 8/20v-89, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung:

[1]            Das Rekursgericht hat die Klage wegen res iudicata zurückgewiesen, weil die darin geltend gemachten Ansprüche bereits Gegenstand eines rechtskräftig entschiedenen Prozesses vor slowenischen Gerichten gewesen seien.

[2]            Die Klägerin zeigt mit ihrem dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs keine erhebliche Rechtsfrage auf:

Rechtliche Beurteilung

[3]            1. Unstrittig kann das slowenische Urteil im Inland nur jene Wirkungen entfalten, die ihm auch in Slowenien zukommen, weshalb die objektiven und subjektiven Grenzen der Rechtskraft nach slowenischem Recht zu beurteilen sind (vgl 9 Ob 88/10x; 4 Ob 30/15p uva).

[4]             Zulässige Hilfsmittel zur Ermittlung des fremden Rechts sowie der einschlägigen Rechtsprechung und Lehre sind etwa die Mitwirkung der Beteiligten (auch durch Vorlage von Rechtsgutachten), Auskünfte des Bundesministeriums für Justiz und Sachverständigengutachten. Wie sich der Richter diese notwendige Kenntnis des fremden Rechts verschafft, liegt in seinem Ermessen (RS0045163 [T11, T13]; RS0040189 [T8]). Die Überprüfung und Beurteilung der vorliegenden Ermittlungshilfen ist ein Akt der rechtlichen Beurteilung, da das fremde Recht nicht als Tatsache gewertet wird (RS0045163 [T14, T15]).

[5]            Aus diesen Grundsätzen der Rechtsprechung geht eindeutig hervor, dass das Gericht in seiner rechtlichen Beurteilung des ausländischen Rechts auch von Rechtsgutachten von Sachverständigen abweichen kann, zumal ja auch mehrere
– einander widersprechende – Rechtsgutachten vorliegen können.

[6]            2. Das Fehlen einer oberstgerichtlichen Rechtsprechung zu nach kollisionsrechtlichen Bestimmungen anzuwendenden Normen ausländischen Rechts ist für die Frage der Rechtserheblichkeit nach § 528 Abs 1 ZPO (vgl § 502 Abs 1 ZPO) ohne Bedeutung, weil der Oberste Gerichtshof nicht dazu berufen ist, für die Einheitlichkeit oder Rechtsfortbildung fremden Rechts Sorge zu tragen oder Leitlinien zum richtigen Verständnis ausländischen Rechts – abgehoben von der jeweils maßgebenden ausländischen Rechtspraxis – zu entwickeln (RS0042940 [T8]; RS0042948 [T20]; RS0080958 [T2]). Der Revisionsrekurs wäre aus Gründen der Rechtssicherheit daher nur dann zulässig, wenn ausländisches Recht unzutreffend ermittelt oder eine im ursprünglichen Geltungsbereich des maßgeblichen fremden Rechts in Rechtsprechung und Lehre gefestigte Ansicht hintangesetzt worden wäre oder hiebei grobe Subsumtionsfehler unterlaufen wären, die aus Gründen der Rechtssicherheit richtiggestellt werden müssten (RS0042940 [T9]; RS0042948 [T21]).

[7]            3. Derartige Ermittlungs- oder Subsumtionsfehler des Rekursgerichts sind nicht erkennbar:

[8]            3.1. Mit ihrem Referat der Ergebnisse des Gutachtens des vom Gericht bestellten Sachverständigen vermag die Klägerin eine fehlerhafte Anwendung des slowenischen Rechts nicht aufzuzeigen, zumal das Rekursgericht an dessen Meinung nicht gebunden war und es nachvollziehbar ausgeführt hat, warum es sich an den teilweise anderslautenden Privatgutachten (Beilagen ./6 und ./7) orientierte.

[9]            3.2. Aus der vom slowenischen Gericht im Vorprozess angewendeten Bestimmung des Art 195 GÜV (Gesetz über die Schuldverhältnisse), der dem nunmehrigen Art 174 OGB (Schuldgesetzbuch) entspricht, ergibt sich – entgegen der Behauptung der Klägerin – eindeutig, dass eine Verdienstentgangsrente auch bei nur teilweiser Arbeitsunfähigkeit zuerkannt werden kann. Eine monatliche Rente „ab dem Ende der Verhandlung“, also für die Zukunft, war bereits Gegenstand des Vorprozesses in Slowenien, in dem dieses Begehren rechtskräftig abgewiesen worden ist. Die sinngemäße Behauptung der Klägerin, diese künftigen Schäden wären im Vorprozess nicht streitgegenständlich gewesen, trifft nicht zu.

[10]           3.3. Dass das slowenische Gericht das Rentenbegehren wegen Präklusion des dazu erstatteten Vorbringens abgewiesen hat (Art 286 sZPO), hinderte nach den insoweit übereinstimmenden Ausführungen sämtlicher vorliegender Rechtsgutachten den Eintritt der materiellen Rechtskraft nicht (vgl ON 59 P 1.6 und 1.25 f; Beilage ./6 S 8; Beilage ./7 S 10 f; vgl zum österreichischen Recht ähnlich RS0041321; RS0041272 [T3]).

[11]           3.4. Auch liegt hier weder ein Fall der zulässigen Nachforderung noch der Unschlüssigkeit des Vorbringens im Vorprozess oder von nachträglichen Tatbestandsänderungen vor.

[12]           4. Der Klägerin ist somit der Nachweis nicht gelungen, dass dem Rekursgericht eine nach den erörterten Kriterien korrekturbedürftige Fehlbeurteilung der objektiven Grenzen der Rechtskraft des slowenischen Urteils unterlaufen ist. Ihr Revisionsrekurs ist daher zurückzuweisen.

Textnummer

E129863

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0020OB00076.20W.1014.000

Im RIS seit

26.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

26.11.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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