Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 6. November 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in der Strafsache gegen B***** M***** wegen des Vergehens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 28. Februar 2020, GZ 55 Hv 79/18s-54, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019 den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Der Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde B***** M***** des Vergehens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB schuldig erkannt.
Danach hat sie von 12. September bis 15. November 2016 in Wien ihre Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen, wissentlich missbraucht und dadurch M***** B***** mit 45.500 Euro am Vermögen geschädigt, indem sie von vier im Urteil bezeichneten Bankkonten, über die sie aufgrund einer notariellen Vollmacht verfügungsberechtigt war, in mehreren Angriffen Bargeldbehebungen für eigene Zwecke tätigte.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen aus § 281 Abs 1 Z 2, 3, 4, 5, 9 lit a und 10 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.
§ 281 Abs 1 Z 2 StPO wird lediglich nominell angeführt, ohne dazu ein inhaltliches Vorbringen zu erstatten.
Die Verfahrensrüge (Z 3) behauptet, der beigezogene Sachverständige Dr. P***** H***** wäre befangen im Sinn der Z 3 des § 47 Abs 1 StPO, verkennt dabei jedoch, dass deren Nichtbeachtung durch das Gericht in § 126 Abs 4 StPO gerade nicht mit Nichtigkeit bedroht ist (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 195, 199).
Soweit sich die Verfahrensrüge (Z 4) in diesem Zusammenhang auf die Abweisung des Antrags der Angeklagten auf Enthebung des Sachverständigen wegen Befangenheit bezieht, zeigt sie eine Verletzung von Verteidigungsrechten nicht auf. Die bloß beantragte Mitgliedschaft zu einem Verein, welchem auch ein Privatbeteiligter angehören soll, ist nämlich nicht geeignet, die volle Unbefangenheit des Sachverständigen in Zweifel zu ziehen (vgl Lässig, WK-StPO § 47 Rz 1 iVm § 43 Rz 15).
Die weitere Verfahrensrüge (Z 3) bezieht sich auf die folgende Formulierung im Hauptverhandlungsprotokoll: „Gemäß § 252 Abs 2a StPO wird der gesamte Akteninhalt durch den Vorsitzenden zusammengefasst vorgetragen. Ausdrücklich ausgenommen werden vom Vortrag bzw von den Verlesungen die Angaben des Zeugen Dr. S*****, der sich hier im Verfahren entschlagen hat. Auf die wortwörtliche Verlesung wird einverständlich verzichtet“ (ON 53 S 83). Die Rechtsmittelwerberin bringt vor, aus dem Verzicht auf die wörtliche Verlesung könne nicht eine konkludente Zustimmung zum Vortrag des gesamten Akteninhalts geschlossen werden. Dem ist zu entgegnen, dass die Zustimmung des Anklägers oder des Angeklagten zu einem Vortrag gemäß § 252 Abs 2a StPO deren Einverständnis (§ 252 Abs 1 Z 4 StPO) beinhaltet, dass die vom Vortrag umfassten Aktenstücke in der Hauptverhandlung vorkommen (§ 258 Abs 1 StPO), weil der Vortrag die Verlesung oder Vorführung nach § 252 Abs 1 oder Abs 2 StPO substituiert, demnach eine Zustimmung zum Vortrag eine umfassende Willenserklärung zum Vorkommendürfen darstellt (RIS-Justiz RS0127712). Unter dem Aspekt der Z 5 vierter Fall des § 281 Abs 1 StPO unterlässt es die Nichtigkeitswerberin überdies, in der Hauptverhandlung nicht vorgekommene, gleichwohl in den Entscheidungsgründen verwertete Beweismittel deutlich und bestimmt zu bezeichnen (RIS-Justiz RS0111533 [T9]).
Mit der Behauptung, der Notar Dr. D***** S***** habe in der Hauptverhandlung nach „Vorhalt des § 157 Abs 1 Z 2 StPO“ durch den Vorsitzenden von seinem Entschlagungsrecht Gebrauch gemacht, weil er irrig geglaubt habe, zur Aussageverweigerung verpflichtet zu sein, worüber ihn der Vorsitzende hätte belehren müssen, wird Nichtigkeit aus Z 3 nicht aufgezeigt (vgl §§ 157 Abs 2, 159 Abs 3 zweiter Satz StPO; RIS-Justiz RS0099118).
Die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) legt nicht dar, weshalb die von M***** B***** jeweils am 3. September 2016 unterzeichneten Urkunden – nämlich ein Heimvertrag (Beilage ./B in ON 34) sowie eine Spezialvollmacht (ON 38 S 3) – in einem erörterungspflichtigen Widerspruch zur tatrichterlichen Annahme deren spätestens ab 9. September 2016 erkennbaren Geschäftsunfähigkeit (US 7 und 17 f) stehen sollten. Indem die Beschwerdeführerin aus der Unterzeichnung dieser Urkunden in Verbindung mit eigenständigen Erwägungen zu den Wahrnehmungen der (in Ansehung des Heimvertrags bloß vermeintlich [Beilage ./16 zu ON 2]) anwesenden Notare für ihren Standpunkt günstigere Schlussfolgerungen reklamiert, beschränkt sie sich darauf, nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung die Beweiswürdigung des Schöffengerichts zu bekämpfen.
Entgegen dem weiteren Vorbringen der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) war die Aussage im Privatgutachten des Dr. G***** Mi*****, wonach „für Laien die Geschäftsunfähigkeit von M***** B***** nicht erkennbar war“, nicht erörterungsbedürftig, obwohl es in der Hauptverhandlung hervorgekommen ist (vgl jedoch RIS-Justiz RS0118421). Denn diese Aussage stellt eine Schlussfolgerung des Privatgutachters dar, welche über eine bloß zeugenschaftliche Wiedergabe sinnlicher Wahrnehmungen hinausgeht (RIS-Justiz RS0097292 [T21]).
Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) behauptet, die erstgerichtlichen Feststellungen brächten keinen Verstoß gegen interne Regeln zum Ausdruck (vgl Kirchbacher/Sadoghi in WK2 StGB § 153 Rz 2/2). Damit vernachlässigt sie aber die Konstatierungen des Erstgerichts betreffend die Generalvollmacht, B***** in allen Angelegenheiten vor Behörden aller Art wie auch gegenüber Dritten zu vertreten, und die im Innenverhältnis bestehende Beschränkung, Abhebungen nur für die Zwecke der B***** zu tätigen, sowie das Wissen der Angeklagten, dass es ihr an einem wirksamen Auftrag zur Behebung und Verwendung des Geldes fehlte, weshalb sie ihre Vollmacht missbrauchte (US 6 f).
Soweit die Subsumtionsrüge (Z 10) betreffend die Qualifikation nach § 153 Abs 3 erster Fall StGB das Fehlen von Feststellungen behauptet, legt sie nicht dar, weshalb es nicht zulässig sein sollte, Feststellungen durch einen Verweis auf den Spruch zu treffen (US 6 f; RIS-Justiz RS0119090 [T4]).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E129870European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0150OS00090.20D.1106.000Im RIS seit
26.11.2020Zuletzt aktualisiert am
09.12.2020