TE Lvwg Erkenntnis 2020/11/10 LVwG-2019/17/1991-6

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Veröffentlicht am 10.11.2020
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Entscheidungsdatum

10.11.2020

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht
20/09 Internationales Privatrecht

Norm

NAG 2005 §2
NAG 2005 §46
IPRG §6

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seine Richterin Dr.in Luchner über die Beschwerde der afghanischen Staatsangehörigen AA, vertreten durch BB, Rechtsanwalt in Z, Adresse 1, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Y vom 27.8.2019, Zl. ***, betreffend die Abweisung des Antrages auf Erteilung des Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ gemäß § 46 Abs 1 Z 2 lit c Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG)

zu Recht:

1.   Der Beschwerde wird stattgegeben, der angefochtene Bescheid behoben und ist der Beschwerdeführerin ihrem Antrag vom 16.01.2019 entsprechend ein Aufenthaltstitel “Rot-Weiß-Rot - Karte plus” mit einer Gültigkeit vom 01.12.2020 bis 01.12.2021 zu erteilen.

2.   Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.   Vorverfahren:

Die nunmehrige Beschwerdeführerin stellte am 16.1.2019 bei der Österreichischen Botschaft Islamabad einen (Erst-)Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot Karte plus“ gemäß § 46 Abs 1 Z 2 lit c NAG und berief sich dabei auf ihre Ehe mit Herrn CC, welchem in Österreich Asyl gewährt wurde.

Die belangte Behörde wies den Antrag mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 27.8.2019, Zl. ***, ab und begründete dies damit, dass sowohl die religiöse Eheschließung am 31.12.2017, als auch die Registrierung der Eheschließung beim Obersten Gerichtshof in Kabul in Abwesenheit des Herrn CC stattgefunden habe. Es handle sich somit um eine sogenannte „Stellvertreterehe“. Hinsichtlich der Rechtsgültigkeit einer im Ausland geschlossenen Ehe bestimme § 16 Abs 2 IPRG, dass die Form einer Eheschließung im Ausland nach dem Personalstatut jedes der Verlobten zu beurteilen sei. Es genüge jedoch die Einhaltung der Formvorschriften des Ortes der Eheschließung. Gemäß der Vorbehaltsklausel zur Aufrechterhaltung des sogenannten „ordre public“ (§ 6 IPRG), sei eine Bestimmung des fremden Rechtes jedoch dann nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führen würde, das mit den Grundwerten der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar sei. An ihrer Stelle sei erforderlichenfalls die entsprechende Bestimmung des österreichischen Rechtes anzuwenden. Eine „Stellvertreterehe“ sei nach der ständigen Judikatur des Bundesverwaltungsgerichtes nicht anzuerkennen, wenn sie einen Verstoß gegen den „ordre public“ darstelle. Das sei gegenständlich der Fall. Die Tatsache, dass die Ehegatten laut einstimmigen Angaben bei der Eheschließung am 31.12.2017, bei der Herr CC – genauso wie bei der anschließenden Registrierung – nicht anwesend gewesen sei, zuvor keinen Kontakt gehabt und somit auch keine Beziehung geführt hätten und die Ehe vielmehr von den Eltern der beiden arrangiert und vereinbart worden sei, stelle eine Unvereinbarkeit mit der österreichischen Rechtsordnung dar.

Aufgrund der beabsichtigten Abweisung des Erstantrages habe in Anwesenheit beider am 22.6.2019 an der Botschaft der islamischen Republik Afghanistan in Islamabad eine neuerliche Eheschließung stattgefunden. Im Hinblick auf die Personalstatuten der Ehegatten, insbesondere des in Österreich asylberechtigten Bräutigams, sei die zweite Eheschließung (nach Schließung einer bereits bestehenden Ehe) jedoch als ungültig anzusehen. Eine Eheschließung in einer afghanischen Auslandsvertretung sei nach afghanischem Recht erst wirksam, wenn sie vom Obersten Gerichtshof in Kabul registriert worden sei. Nach österreichischem Recht sei eine Eheschließung hingegen ausschließlich vor einem staatlichen Standesbeamten möglich.

Da die Beschwerdeführerin die besondere Erteilungsvoraussetzung als „Familienangehörige“ im Sinne des § 2 Abs 1 Z 9 iVm § 46 Abs 1 Z 2 lit c NAG nicht erfülle, sei der verfahrenseinleitende Antrag abzuweisen gewesen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, fristgerecht erhobene, Beschwerde vom 23.9.2019, in welcher insbesondere Folgendes vorgebracht wird:

„Wenn in der Begründung des Bescheides zu lesen ist, dass die Antragstellerin „ihren Ehegatten erstmalig zum Zweck der Abgabe des Antrages bei der Österreichischen Botschaft getroffen habe“, dann ist dies unrichtig:

Tatsächlich sind die Eheleute weitschichtig verwandt und kennen sich von Kindesbeinen an. Sie sind zwar in verschiedenen Dörfern aufgewachsen, haben sich aber bei Familienfeierlichkeiten kennengelernt. Solche Feierlichkeiten finden durchschnittlich einmal im Monat statt, und zwar bei religiösen Festen, nämlich beim Opferfest, Zuckerfest und Neujahrsfest, aber auch bei privaten Festen wie Hochzeiten, Begräbnisse etc.

Die Eheleute haben sich als schon gut gekannt und sich keineswegs das erste Mal bei der Antragstellung gesehen.

Der Ehegatte ist vor etwa 7 Jahren nach Österreich geflüchtet. Weil er in Afghanistan einer Verfolgung ausgesetzt war, ist er in Österreich als Flüchtling anerkannt worden und genießt Asyl, sodass es ihm nicht möglich und zumutbar war und ist, nach Afghanistan zu reisen.

Freilich hat er über verschiedene elektronische Medien Kontakt zu seiner Familie gehalten und so auch den Kontakt zu seiner Frau hergestellt und belebt. So entstand dann eine Liebe die dazu geführt hat, dass sie beschlossen haben zu heiraten. Freilich wurden die in Afghanistan gesellschaftlich und religiös üblichen Förmlichkeiten eingehalten, nämlich: Die Mutter des Bräutigams fragt bei der Mutter der Braut, ob diese mit einer Heirat einverstanden wäre, nach 6 Monaten wird die Antwort übermittelt und im Fall der Zusage die Feierlichkeit organisiert und die näheren Modalitäten besprochen. Dabei war klar, dass der Antragsteller nicht nach Afghanistan zur Hochzeit fahren kann, weshalb vereinbart wurde, dass er seinen Bruder für das Ritual bevollmächtigt.

So wurde also die Ehe geschlossen und vor dem Obersten Gerichtshof registriert.

Der Ehegatte erhielt aber behördlicherseits eine unrichtige Auskunft, nämlich, dass so eine Stellvertreterehe in Österreich nicht anerkannt werden würde, sodass er nach Pakistan reisen müsse und dort „nochmals“ heiraten solle.

Mit dem nun angefochtenen Bescheid wird diese pakistanische Ehe nicht anerkannt.

Tatsächlich ist die Ehe, die in Afghanistan geschlossen wurde, rechtsgültig:

Nach afghanischem Recht ist eine Stellvertreterehe erlaubt und zulässig. Die bloße Tatsache einer Stellvertreterehe widerspricht aber nicht dem österreichischen ordre public
(Ra 2019/22/0043; Ra 2018/18/0534; VfGH E 1805/2018). Die Stellvertreterehe betrifft letztlich nur Fragen der Form, die nicht ausschlaggebend und von großer Bedeutung ist. Ein bloßes Abweichen von zwingenden österreichischen Vorschriften bewirkt noch keinen ordre public-Verstoß. Schutzobjekt dieser Bestimmung ist vielmehr die „Grundwertung der österreichischen Rechtsordnung“. Es ist zu prüfen, ob persönliche Freiheit, Gleichberechtigung, das Verbot abstammungsmäßiger, rassistischer oder konfessioneller Diskriminierung oder das Verbot der Kinderehe, des Ehezwangs, der Schutz des Kindeswohl im Kindschaftsrecht oder das Verbot der Ausbeutung gegeben sein könnte.

Dafür gibt es hier aber keine Anhaltspunkte, sodass die Ehe als gültig angesehen werden muss.“

Die belangte Behörde nahm von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung Abstand und legte die Beschwerde dem Landesverwaltungsgericht Tirol mit Schreiben vom 23.9.2019 zur Entscheidung vor.

Beweis wurde aufgenommen durch Einsichtnahme in den erst und zweitinstanzlichen Verwaltungsakt und dort insbesondere in die vom Rechtsvertreter gelegten Urkunden nämlich die Heiratsurkunde vom 24.06.2019 und in die Urkunde über die Registrierung vor dem Oberesten Gerichtshof der Muslimischen Republik Afghanistan.

Aufgrund des durchgeführten Beweisverfahrens steht nachstehender Sachverhalt als erwiesen fest:

II.  Sachverhalt:

Die am 05.09.1996 geborene Beschwerdeführerin ist afghanische Staatsbürgerin. Am 31.12.2017 heiratete sie den am 01.01.1987 geborenen afghanischen Staatsangehörigen CC in Heyratan-Balkh (Afghanistan). Die Eheschließung wurde am 10.3.2018 beim Obersten Gerichtshof in Kabul (Afghanistan) registriert. Weder bei der Eheschließung, noch bei der anschließenden Registrierung der Ehe war Herr CC persönlich anwesend. Es war lediglich die Beschwerdeführerin persönlich anwesend. Herr CC ließ sich von seinem Bruder DD vertreten.

Herr CC flüchtete im Jänner 2012 aus Afghanistan nach Österreich. Ihm wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26.2.2014 Asyl gewährt.

Die Entscheidung konnte ohne Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung ergehen, da gemäß § 24 Abs 4 VwGVG die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und einem Entfall der Verhandlung weder Art 6 Abs 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegensteht. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist hier geklärt. In der vorliegenden Beschwerde wurden ausschließlich Rechtsfragen aufgeworfen, zu deren Lösung im Sinne der Judikatur des EGMR eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.

III. Beweiswürdigung:

Sämtliche Feststellungen ergeben sich aus den Angaben der Beschwerdeführerin selbst (Niederschrift der Österreichischen Botschaft Islamabad vom 16.1.2019) bzw. aus den Angaben des Herrn CC (Niederschriften der belangten Behörde vom 19.3.2019 und 9.8.2019) sowie aus den vorgelegten Dokumenten durch den Rechtsvertreter im erst und zweitinstanzlichen Akt und sind unstrittig.

IV.  Rechtliche Grundlagen:

Gegenständlich sind insbesondere folgende Rechtsvorschriften von Relevanz:

Bundesgesetz über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG) BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2020:

„Begriffsbestimmungen

§ 2

(1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist

[…]

         9.       Familienangehöriger: wer Ehegatte oder minderjähriges lediges Kind, einschließlich Adoptiv- oder Stiefkind, ist (Kernfamilie); dies gilt weiters auch für eingetragene Partner; Ehegatten und eingetragene Partner müssen das 21. Lebensjahr zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits vollendet haben; lebt im Fall einer Mehrfachehe bereits ein Ehegatte gemeinsam mit dem Zusammenführenden im Bundesgebiet, so sind die weiteren Ehegatten keine anspruchsberechtigten Familienangehörigen zur Erlangung eines Aufenthaltstitels;

[…]“

„Bestimmungen über die Familienzusammenführung

§ 46.

(1) Familienangehörigen von Drittstaatsangehörigen ist ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen, und

[…]

         2.       ein Quotenplatz vorhanden ist und der Zusammenführende

[…]

         c)       Asylberechtigter ist und § 34 Abs. 2 AsylG 2005 nicht gilt, oder

[…]“

Bundesgesetz vom 15. Juni 1978 über das internationale Privatrecht (IPR-Gesetz - IPRG) BGBl. Nr. 304/1978 in der geltenden Fassung:

„Vorbehaltsklausel (ordre public)

§ 6. Eine Bestimmung des fremden Rechtes ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führen würde, das mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar ist. An ihrer Stelle ist erforderlichenfalls die entsprechende Bestimmung des österreichischen Rechtes anzuwenden.“

„Personalstatut einer natürlichen Person

§ 9

(1) Das Personalstatut einer natürlichen Person ist das Recht des Staates, dem die Person angehört. Hat eine Person neben einer fremden Staatsangehörigkeit auch die österreichische Staatsbürgerschaft, so ist diese maßgebend. Für andere Mehrstaater ist die Staatsangehörigkeit des Staates maßgebend, zu dem die stärkste Beziehung besteht.

[…]

(3) Das Personalstatut einer Person, die Flüchtling im Sinn der für Österreich geltenden internationalen Übereinkommen ist oder deren Beziehungen zu ihrem Heimatstaat aus vergleichbar schwerwiegenden Gründen abgebrochen sind, ist das Recht des Staates, in dem sie ihren Wohnsitz, mangels eines solchen ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat; eine Verweisung dieses Rechtes auf das Recht des Heimatstaates (§ 5) ist unbeachtlich.“

„Form der Eheschließung

§ 16

[…]

(2) Die Form einer Eheschließung im Ausland ist nach dem Personalstatut jedes der Verlobten zu beurteilen; es genügt jedoch die Einhaltung der Formvorschriften des Ortes der Eheschließung.“

V.   Erwägungen:

Die Beschwerdeführerin ist afghanische Staatsangehörige. Sie hat am 16.01.2019 persönlich einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ nach dem NAG bei der Österreichischen Botschaft in Islamabad eingebracht. Die Antragstellung dient dem Familiennachzug zu ihrem, in Österreich lebenden Ehemann CC, geboren am xx.xx.xxxx. Der Zusammenführende ist im Sinn des § 46 Abs 1 NAG afghanischer Staatsangehöriger. Er ist im Jahr 2012 nach Österreich gekommen. Er ist seit 05.06.2014 (hier erstmalig) als Arbeiter beschäftigt gewesen und seit 06.02.2017 bis zum heutigen Tag als Angestellter beschäftigt. Seit 21.09.2018 ist er mit Hauptwohnsitz in X in der Adresse 2 gemeldet.

Der Beschwerdeführer erhält ein monatliches Bruttogehalt in der Höhe von Euro 2.150,00 (seit 01.07.2018). Er hat eine Gehaltsabrechnung vorgelegt für den Jänner 2019. Damals hat er Euro 1.674,39 bezogen.

Dies ergibt gerechnet auf 14 Jahresgehälter ein durchschnittliches Einkommen in der Höhe von Euro 1.884,85.

Für die Wohnung in W hat er ein Benützungsentgelt in der Höhe von Euro 50,00 vorzulegen. Bei dieser Wohnung handelt es sich um eine Priesterwohnung in der Marienkirche in W im ersten Stock. Unter Berücksichtigung der monatlichen Mietkosten in der Höhe von Euro 50,00 und unter Anrechnung des Werts der freien Station gemäß § 292 Abs 3, zweiter Satz ASVG in der Höhe von Euro 299,95 verbleibt ein Betrag von Euro 2.134,80. Der seit 01.01.2020 für Ehepartner geltende Ausgleichszulagenrichtsatz in der Höhe von Euro 1.524,99 wird damit um mehr als Euro 600,00 pro Monat überschritten. Das nachgewiesene Einkommen ist somit als ausreichend im Sinn des § 11 Abs 2 Z 4 Abs 5 NAG anzusehen.

Die sonstigen Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 11 Abs 2 NAG liegen ebenfalls vor. Es konnte auch kein Erteilungshindernis im Sinn des § 11 Abs 1 NAG festgestellt werden. Auch die belangte Behörde hat diesbezüglich keine negativen Feststellungen getroffen.

Zum von der belangten Behörde herangezogenen Abweisungsgrund des Nichtvorliegens einer wesentlichen Eheschließung für das gegenständliche Familiennachzugsverfahren ist auszuführen, dass gemäß § 16 Abs 2 des IPRG die Form der Eheschließung im Ausland nach dem Personalstatut jenes der Verlobten zu beurteilen ist und die Einhaltung der Formvorschriften des Ortes der Eheschließung genügt. Gemäß der Vorbehaltsklausel des § 6 IPRG (ordre public) sind diese Bestimmungen des Fremdenrechts nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führen würde, das mit den Grundwerten der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar ist. An ihrer Stelle ist gegebenenfalls die entsprechende Bestimmung des österreichischen Rechts anzuwenden. Die erste Eheschließung der Beschwerdeführerin mit dem Zusammenführenden erfolgte am 31.12.2017 in EE Stadt in Afghanistan. Es hat sich um eine religiöse Eheschließung gehandelt. Der Zusammenführende konnte damals weder bei der Eheschließung noch bei der späteren Registrierung anwesend sein, da er als Asylwerber in Österreich lebte.

Dem Beschwerdeführer wurde anlässlich einer Niederschrift vor der Bezirkshauptmannschaft Y am 19.03.2019 mitgeteilt, dass diese Art der Eheschließung von der Erstbehörde nicht anerkannt werden würde, worauf hin sich der Beschwerdeführer entschloss eine neuerliche Eheschließung mit der Beschwerdeführerin, diesmal in seiner Anwesenheit, durchzuführen. Sie haben in der Botschaft der Islamischen Republik Afghanistan in Islamabad geheiratet. Es wurde eine Heiratsurkunde ausgestellt und diese unter der Nummer 32 registriert.

Diese Urkunde wurde von einem gerichtlich beeideten Dolmetscher für persische Sprache übersetzt und hat er die Richtigkeit dieser Urkunde und die Übersetzung bestätigt. Es liegt allerdings unabhängig von der wiederholten Eheschließung eine solche erste vor, bei der der Zusammenführende zwar nicht selbst anwesend war, die jedoch nach afghanischem Recht rechtsgültig zustande kam. Die zweite Eheschließung am 22.06.2019 fand an der Botschaft im Islamabad (Pakistan) statt. Beide Eheleute waren persönlich anwesend. Im erstinstanzlichen Bescheid wird davon ausgegangen, dass die neuerliche zweite Eheschließung aufgrund einer bereits bestehenden Ehe als ungültig anzusehen ist.

Diese bereits „bestehende“ Ehe, wird von der Erstinstanz im Widerspruch zu ihrer Rechtsmeinung so bezeichnet wird, da sie von ihr als bestehende Ehe nicht anerkannt wurde.

Der Abschluss des ersten Ehevertrags wurde bereits in einer Heiratsurkunde dokumentiert. Weiters wurde die erste Eheschließung bei der Bestätigung durch das Höchstgericht von Afghanistan und bei einer Beglaubigung des afghanischen Außenministeriums bestätigt. Die Originalheiratsurkunde (marriage certificate) und die Registrierung der Heiratsurkunde beim Supreme Court der Islamischen Republik Afghanistan unter „Serial Nummer“ ***, Registernummer ***, Ausstellungsdatum xx.xx.xxxx, Datum der Heirat xx.xx.xxxx wurden im Original vorgelegt und zum Akt genommen. Dass diese Stellvertretung bei der religiösen Eheschließung, die im gegenständlichen Fall zu beurteilen war, dem afghanischen Recht widerspreche, wurde weder von der belangten Behörde konkret behauptet noch dargetan. Es wurde lediglich ausgeführt, dass diese Eheschließungen (Stellvertreterehe oder auch Handschuhehe) bei der einer oder beide Verlobte nicht persönlich anwesend sind, sondern durch Dritte vertreten werden, nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht anzuerkennen sei, da sie einen Verstoß gegen den „ordre public“ darstellen würden. Es wurde ausgeführt, dass ein Verstoß gegen den „ordre public“ vorliegen würde, wenn die zukünftigen Ehepartner weder bei der Eheschließung noch bei der späteren Registrierung gemeinsam anwesend wären. Derartige Stellvertreterehen seien daher nicht anzuerkennen und könne sich ein Antragsteller im Rahmen einer Familienzusammenführung nicht auf diese Ehe berufen. Im gegenständlichen Fall würde im Hinblick auf die Personalstatuten der Ehegatten insbesondere des in Österreich Asylberechtigten Bräutigams die neuerliche zweite Eheschließung aufgrund dessen, dass bereits eine bestehende (als ungültig deklarierte) Ehe vorliege sohin als ungültig anzusehen sei.

Für das Eingreifen der Vorbehaltsklausel des § 6 IPRG kommt es darauf an, dass das Ergebnis der Anwendung fremden Sachrechts und nicht bloß dieses selbst anstößig ist. Der bloße Widerspruch mit Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung allein führt nicht zur „ordre-public-Widrigkeit“ sondern es muss die Unerträglichkeit des konkreten Ergebnisses im Einzelfall vorliegen (Verfassungsgerichtshof 10.10.2018, E1805/2018-14, E1806-1807/2018-13, VwGH 25.04.2019, Ra 2019/22/0043-3).

Im gegenständlichen Fall lag aufgrund des durchgeführten Verfahrens und der vorgelegten Dokumente eine nach afghanischem Recht durchgeführte und von den afghanischen Behörden und Gerichten bestätigte Eheschließung vor, bei der der in Österreich lebende Ehegatte der Beschwerdeführerin bei der religiösen Eheschließung im Dezember 2017 nicht persönlich anwesend war und sich durch bevollmächtigte Personen vertreten ließ.

Diese im österreichischen Eherecht nicht, aber sehr wohl im heranzuziehenden afghanischen Eherecht zulässige Möglichkeit der Vertretung bei der Eheschließung führt für sich allein betrachtet noch nicht zu einem Eingreifen der Vorbehaltsklausel des § 6 IPRG. Im Verfahren konnte glaubhaft dargetan werden, dass keine der für eine Anwendung der Vorbehaltsklausel des § 6 IPRG erforderlichen Fakten wie zB eine Mehrfachehe, eine Kinderehe oder eine Zwangsverehelichung, die den österreichischen Grundwerten jedenfalls widersprechen würden, im gegenständlichen Fall vorlagen.

Die Beschwerdeführerin und deren Ehegatte kannten sich vor der erfolgten Eheschließung zwar nicht sehr gut und es handelte sich um eine arrangierte Ehe. Die Beschwerdeführerin war zum Zeitpunkt der Eheschließung allerdings bereits 21 Jahre alt.

Es gibt aufgrund des durchgeführten Verfahrens kein Hinweis, dass das Eheversprechen nicht freiwillig abgegeben wurde.

Hinzu kommt, dass die Eheleute sogar ein zweites Mal ein Eheversprechen abgegeben haben, nämlich eineinhalb Jahre nach dem ersten Eheversprechen. Dies dokumentiert den tatsächlichen großen Willen beider, diese erste geschlossene Ehe ernsthaft zu wollen und aufrechtzuerhalten. Sie sind durch Skype in Kontakt, da das Reisen, um sich zu treffen, nur sehr schwer möglich ist, schon aufgrund der finanziellen Gegebenheiten und des Status des Beschwerdeführers.

Nach Rechtsansicht des Landesverwaltungsgerichts Tirols und unter Bezugnahme auf die zitierte Rechtsprechung des VfGH und des VwGH liegt im gegenständlichen Fall, bezüglich der im Verfahren vor der belangten Behörde und vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol nachgewiesene Eheschließung nach afghanischem Recht, kein Sachverhalt vor, der die Anwendung der Vorbehaltsklausel des § 6 IPRG (ordre public) rechtfertigen würde.

Die Anwendung des heranzuziehenden Fremdenrechts führt gerade im gegenständlichen Fall zu keinem Ergebnis das mit den Grundwerten der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar ist. Laut Rechtsprechung des VfGH führt der bloße Widerspruch der Grundwerte der österreichischen Rechtsordnung allein eben nicht zur ordre-public-Widrigkeit, sondern es muss – wie bereits zitiert – die Unerträglichkeit des konkreten Ergebnisses im Einzelfall vorliegen. Eine solche geforderte Unerträglichkeit des konkreten Ergebnisses im gegenständlichen aufenthaltsrechtlichen Verfahren liegt laut Rechtsansicht des Landesverwaltungsgerichts Tirol nicht vor.

Im Ergebnis ist daher auszusprechen, dass die Anwendung des Fremdenrechts und damit die vorliegende „Stellvertreterehe“ nicht den Grundwerten der Österreichischen Rechtsordnung im Sinne des § 6 IPRG entgegensteht. Es war daher nicht erforderlich und geboten an deren Stelle die entsprechende Bestimmung des österreichischen Rechts anzuwenden. Zu der in der Begründung des angefochtenen Bescheids zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wird auf die zitierte aktuellere Rechtsprechung des VfGH und VwGH verwiesen. Aufgrund des durchgeführten Verfahrens vor der belangten Behörde und des Beschwerdeverfahrens vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol ergibt sich, dass die Voraussetzungen des ersten Teils des NAG erfüllt sind und auch die speziellen Bestimmungen über die Familienzusammenführung im Sinn des § 46 Abs 1 Z 2 lit a NAG vorliegen. Es war daher der Beschwerde stattzugeben, der angefochtene abweisende Bescheid aufzuheben und aufgrund des vorhandenen bis zum 15.04.2023 gültigen Reisedokuments der beantragte Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ im Rahmen einer Familienzusammenführung mit einer zwölfmonatigen Befristung vom 01.12.2020 bis 01.12.2021 zu erteilen.

IV.  Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Im vorliegenden Fall war vielmehr die einzelfallbezogene Sachverhaltsfrage zu klären, inwiefern die belangte Behörde den Kostenbeitrag entsprechend der anzuwendenden Bestimmungen richtig festgesetzt hat.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.

Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.

Es besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.

Landesverwaltungsgericht Tirol

Dr.in Luchner

(Richterin)

Schlagworte

Ordre public;
Stellvertreterehe;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGTI:2020:LVwG.2019.17.1991.6

Zuletzt aktualisiert am

25.11.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Tirol LVwg Tirol, https://www.lvwg-tirol.gv.at
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