TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/7 W189 2222716-1

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Veröffentlicht am 07.11.2019
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Entscheidungsdatum

07.11.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W189 2222716-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Irene RIEPL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Äthiopien, vertreten durch RA Edward Daigneault, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.07.2019, Zl. 219995700-190166113, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.10.2019, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1, § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG, §§ 52 Abs. 2 Z 2, 52 Abs. 9 FPG und § 46 FPG sowie § 55 Abs. 1 bis 3 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin (in der Folge BF), eine Staatsangehörige von Äthiopien, reiste gemeinsam mit ihrem Vater im Februar 2019 legal mit einem Touristenvisum C in das Bundesgebiet ein.

2. Am 15.02.2019 stellte die BF den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz und wurde dazu noch am selben Tag von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes einer Erstbefragung unterzogen. Dabei gab sie an, dass sie Staatsangehörige Äthiopiens sei, der Volksgruppe der Amhara angehöre und christlich-orthodoxen Glaubens sei. Sie spreche die Sprache Amhara. Im Herkunftsstaat, wo ihre Eltern und ihre Schwester leben würden, habe sie elf Jahre die Grundschule besucht. Sie wisse nicht, wo ihr Bruder sei. Die BF habe den Herkunftsstaat legal mit einem österreichischen Visum verlassen. Den Entschluss zur Asylantragsstellung habe sie am 14.02.2019 gefasst. Zu den Fluchtgründen bracht sie vor, dass ihre Eltern sie mit einem älteren Mann hätten zwangsverheiraten wollen; zudem solle sie sich einer Beschneidung unterziehen. Für den Fall einer Weigerung fürchte sie um ihr Leben.

3. Am 07.03.2019 wurde die BF vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) niederschriftlich einvernommen und gab an, dass ihre Muttersprache Amharisch sei. Sie sei äthiopische Staatsangehörige und in Addis Abeba geboren. Dort sei sie 11 Jahre in die Schule gegangen und von ihren Eltern finanziert worden. Die BF sei ledig, kinderlos und gesund. Der Vater der BF habe am Flughafen gearbeitet, die Mutter sei Hausfrau gewesen. Ihre ältere Schwester gehe in die Schule und wohne bei den Eltern. Die BF habe auch einen Bruder, mit dem sie keinen Kontakt habe und über welchen sie nichts wisse. Die BF habe auch weitere Verwandte in Form von Onkeln und Tanten. Die BF wisse nicht, wann sie zuletzt Kontakt zu ihren Angehörigen in Äthiopien gehabt habe. Die Frage, ob sie Social Media verwende, bejahte die BF, jedoch kenne sie ihren Account nicht mehr auswendig. Ins Bundesgebiet sei sie vor etwa einem Monat und drei Wochen gemeinsam mit ihrem Vater eingereist, sie könne sich aber nicht mehr an das Datum erinnern, wann sie den Herkunftsstaat verlassen habe. Die BF habe im Herkunftsstaat niemals Probleme mit den Behörden oder aus Gründen der Volksgruppe, Religion, politischen Gesinnung oder Verfolgung durch Dritte gehabt. Kurz vor ihrer Ausreise habe die BF von ihrer Schwester erfahren, dass ihr Vater sie mit einem älteren Mann habe verheiraten wollen, was auch die Durchführung einer Beschneidung bedeuten würde, weil das vor einer Heirat jedenfalls erforderlich sei. Die Tradition besage auch, dass Mädchen, die - wie die BF - Regelschmerzen haben, mit einem Mann schlafen müssten, um davon befreit zu werden. Ihr Vater habe die Reise nach Österreich eigentlich geplant, um sie von der Heirat zu überzeugen. Sie sei vor ihm weggelaufen, als er kurz am WC gewesen sei und hiergeblieben, weil sie das alles auf gar keinen Fall wolle. Die BF schilderte sodann ihren (Schul-)Alltag in Äthiopien und listete sämtliche Fächer auf, die sie gehabt habe; sie werde versuchen Schulzeugnisse aus dem Herkunftsstaat zukommen zu lassen. Sie wolle als Anwältin bzw. im Sozialbereich arbeiten. Die BF habe keine Verwandten oder Familienangehörigen im Bundesgebiet. Sie beziehe Leistungen aus der Grundversorgung und helfe für ein wenig Taschengeld hier und dort aus.

4. Am 03.05.2019 wurde die BF erneut vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Befragt erklärte die BF, dass sie insgesamt fünf Tage mit ihrem Vater hier gewesen sei, wo genau, wisse sie jedoch nicht. Nicht einmal den Namen des Hotels könne sie nennen. Am Tag vor der Abreise habe sie die Flucht ergriffen, und zwar als ihr Vater im Badezimmer gewesen sei. Seitdem habe sie ihn nicht mehr gesehen. Auf Vorhalt, wonach sie laut äthiopischen Dokumenten in ihrer Erstbefragung ein falsches Geburtsdatum angegeben habe, führte sie an, dass es vermutlich der Stress gewesen sei. Danach wiederholte sie ihre Fluchtgründe, wonach die Eltern sie hätten zwangsverheiraten wollen. Vorgehalten wurde der BF insbesondere, dass nicht glaubwürdig ist, dass ihr Vater einfach nachhause geflogen sei und gar nicht nach der BF gesucht habe, nachdem sein Kind in einem fremden Land verschwunden war. Zu den Lebensumständen im Bundesgebiet gab die BF an, dass sie auch weiterhin Leistungen aus der Grundversorgung beziehe und Deutschkurse besuche. Sie sei nicht Mitglied in einem Verein oder einer Organisation. Sie habe auch weiterhin keinen Kontakt zu den Verwandten im Herkunftsstaat. Schließlich wurden der BF die aktuellen Länderinformationsberichte über die Lage in Äthiopien ausgehändigt und ihr die Möglichkeit eingeräumt, dazu innerhalb von zwei Wochen eine schriftliche Stellungnahme abzugeben, wovon sie keinen Gebrauch machte.

Vorgelegt wurden:

* Teilnahmebestätigung individuelle Bildungsberatung vom 24.04.2019;

* Teilnahmebestätigung Workshop "Deutsch üben", Frauencafé XXXX , vom 30.04.2019.

5. Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA vom 04.07.2019 wurde der Antrag der BF auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Äthiopien gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Unter Spruchpunkt III. wurde ihr ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und weiters gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 iVm § 9 BFA-VG gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), sowie gemäß § 46 FPG die Zulässigkeit ihrer Abschiebung nach Äthiopien festgestellt (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).

Rechtlich wurde zu Spruchpunkt I. insbesondere ausgeführt, dass die BF nicht in der Lage gewesen sei, eine Bedrohungssituation iSd. Genfer Flüchtlingskonvention darzulegen. Die Nichtzuerkennung subsidiären Schutzes wurde im Wesentlichen damit begründet, dass kein reales Risiko einer derart extremen Gefahrenlage vorliege, welches einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen und somit einer Rückführung der BF in ihr Heimatland entgegenstehen würde. Schließlich bestünden im Bundesgebiet keine Hinweise auf weitere familiäre Anknüpfungspunkte oder eine außerordentliche Integration, weshalb das Vorliegen eines schützenswerten Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK nicht festgestellt werden könne. Die Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die die BF bei der Regelung ihrer persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätte, nicht gegeben seien.

6. Gegen diesen Bescheid erhob die BF durch ihre Rechtsvertretung das Rechtsmittel der Beschwerde. Insbesondere wurde mit Verweis auf § 20 AsylG und entsprechender Judikatur moniert, dass das Recht der BF auf sexuelle Selbstbestimmung missachtet worden sei, weshalb sie nicht die Möglichkeit gehabt habe ihr Vorbringen frei von Hemmungen zu erzählen und der Bescheid mit Rechtswidrigkeit behaftet sei. Weiters wurde auf die prekäre Lage von alleinstehenden Frauen in Äthiopien verwiesen. Die BF wäre davon betroffen, da sie nicht zu ihren Eltern zurückkehren könne. Zudem werde die BF einen Nachweis darüber erbringen, dass sie noch nicht beschnitten sei. Beantragt wurde die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.

7. Am 08.10.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) eine öffentliche mündliche Verhandlung in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Amharisch statt, bei welcher der BF Gelegenheit geboten wurde, ausführlich zu ihren Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen Stellung zu nehmen. Die Behörde verzichtete mit Schreiben vom 26.09.2019 aus dienstlichen und personellen Gründen auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung und ist ein Vertreter der Behörde entschuldigt nicht erschienen. Vorgelegt wurden: Bestätigung vom 06.10.2019 betreffend Teilnahme an Gottesdiensten, Bestätigung der burgenländischen VHS vom 04.10.2019 betreffend Teilnahme an Brückenmodulen, eine Teilnahmebestätigung des "Frauen-Café" über die Teilnahme an Workshops von März bis Juni 2019, Teilnahmebestätigung des Bfi vom 04.09.2019 am Kurs "Deutsch als Fremdsprache A1", diverse Fotos von interkulturellen Veranstaltungen sowie eine Bestätigung der Caritas betreffend freiwilliges Engagement im Caritas Actionpool.

8. Mit Stellungnahme der Rechtsvertretung der BF vom 22.10.2019 wurde nochmals darauf hingewiesen, dass die BF für den Fall einer Rückkehr der weiblichen Beschneidung unterzogen würde. So seien in Addis Abeba 54% der Frauen beschnitten, auch Christen. Dem Schreiben beigelegt wurde ein ärztlicher Befundbericht vom 13.08.2019, wonach bei der BF eine Beschneidung der Genitale nicht diagnostizierbar sei. Überdies sei der Vater der BF über die geplante Zwangsheirat nicht telefonisch befragt worden. Der BF sei internationaler Schutz zuzuerkennen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Beweis wurde erhoben durch den Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes der BF, beinhaltend die Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 15.02.2019, die niederschriftlichen Einvernahmen vor dem BFA am 07.03.2019 und am 03.05.2019, durch die Einvernahme der BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 08.10.2019, sowie durch Einsicht in aktuelle Auszüge aus Strafregister, GVS und IZR sowie durch Einsichtnahme in das aktualisierte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Äthiopien (Stand Jänner 2019) und der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 26.01.2018 betreffend Beschneidung von Mädchen.

1.1. Zur Beschwerdeführerin

Die Identität der BF steht fest. Sie ist eine volljährige Staatsangehörige von Äthiopien. Sie spricht die Sprache Amharisch und ist christlich-orthodoxen Glaubens. Vor ihrer Ausreise lebte sie gemeinsam mit ihren Eltern und ihrer Schwester in Addis Abeba, wo sie elf Jahre die Schule besuchte. Der Vater der BF arbeitet bei der XXXX und ihre Mutter ist Hausfrau. Die BF ist ledig, kinderlos und gesund.

1.2. Die BF reiste am 09.02.2019 legal mit ihrem Vater mit einem Touristenvisum C (gültig bis 25.02.2019), ausgestellt von der österreichischen Botschaft in Äthiopien, in das Bundesgebiet ein und stellte am 15.02.2019 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Nicht festgestellt werden kann, dass der BF in Äthiopien eine an asylrelevanten Merkmalen anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität - oder eine sonstige Verfolgung maßgeblicher Intensität - in der Vergangenheit gedroht hat bzw. aktuell droht.

Nicht festgestellt werden kann, dass die BF im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Äthiopien in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre.

Es konnte ferner nicht festgestellt werden, dass die BF im Falle ihrer Rückkehr in ihrem Herkunftsstaat in eine existenzgefährdende Notlage geraten würde und ihr die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

Der Bruder der BF ( XXXX , geb. XXXX ) lebt seit viereinhalb Jahren im Bundesgebiet und ihm wurde mit Bescheid des BFA vom 30.06.2017, Zl. 1054965402-150343954, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Die BF hat keinen Kontakt zu ihrem Bruder und es besteht kein gemeinsamer Wohnsitz oder ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis.

Die BF hat sonst keine Verwandten oder sonstigen nahen Angehörigen in Österreich. Sie lebt von Leistungen von der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Die BF hat einen Deutschkurs des Niveaus A1 besucht und ist nicht in der Lage, sich auf Deutsch zu unterhalten. Die BF besucht Workshops des Frauen-Cafés und Kurse der VHS. Sie engagiert sich freiwillig bei der Caritas, besucht interkulturelle Veranstaltungen und geht regelmäßig in den Gottesdienst.

Im Herkunftsstaat leben auch weiterhin die Familienangehörigen der BF, und zwar ihre Eltern, ihre Schwester und weitere Verwandten in Form von Onkeln und Tanten.

1.3. Zum Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin:

Im Folgenden werden die wesentlichen Passagen aus dem vom BVwG herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Äthiopien, Stand 08.01.2019, wiedergegeben:

Politische Lage

Entsprechend der Verfassung ist Äthiopien ein föderaler und demokratischer Staat. Die Grenzen der Bundesstaaten orientieren sich an sprachlichen und ethnischen Grenzen sowie an Siedlungsgrenzen. Seit Mai 1991 regiert in Äthiopien die Ethiopian People's Revolutionary Democratic Front (EPRDF), die sich aus vier regionalen Parteien zusammensetzt: Tigray People's Liberation Front (TPLF), Amhara National Democratic Movement (ANDM), Oromo People's Democratic Organisation (OPDO) und Southern Ethiopian Peoples' Democratic Movement (SEPDM). Traditionellen Führungsanspruch in der EPRDF hat die TPLF, die zentrale Stellen des Machtapparates und der Wirtschaft unter ihre Kontrolle gebracht hat (AA 17.10.2018).

Auf allen administrativen Ebenen werden regelmäßig Wahlen durchgeführt, zu denen Oppositionsparteien zugelassen sind. Bei den Parlamentswahlen im Mai 2015 gewannen die regierende EPRDF und ihr nahestehende Parteien nach Mehrheitswahlrecht alle 547 Parlamentssitze. Auf allen administrativen Ebenen dominiert die EPRDF. Auch in den Regionalstaaten liegt das Übergewicht der Politikgestaltung weiter bei der Exekutive. Staat und Regierung bzw. Regierungspartei sind in der Praxis nicht eindeutig getrennt (AA 17.10.2018).

Äthiopien ist politisch sehr fragil (GIZ 9.2018). Zudem befindet sich das Land derzeit unter Premierminister Abiy Ahmed in einem politischen Wandel (GIZ 9.2018a). Abiy Ahmed kam im April 2018 nach dem Rücktritt von Hailemariam Desalegn an die Macht. Seitdem hat er den Ausnahmezustand des Landes beendet, politische Gefangene freigelassen, umstrittene Kabinettsmitglieder und Beamte entlassen, Verbote für Websites und sozialen Medien aufgehoben und ein Friedensabkommen mit dem benachbarten Eritrea geschlossen (RI 14.11.2018; vgl. EI 12.12.2018, JA 23.12.2018). Bereits seit Anfang des Jahres waren noch unter der Vorgängerregierung erste Schritte einer politischen Öffnung unternommen worden. In der ersten Jahreshälfte 2018 wurden ca. 25.000 teilweise aus politischen Gründen inhaftierte bzw. verdächtige Personen vorzeitig entlassen. Oppositionsparteien wurden eingeladen, aus dem Exil zurückzukehren, und wurden entkriminalisiert. Abiy Ahmed hat eine Kehrtwende weg von der repressiven Politik seiner Vorgänger vorgenommen. Er bemüht sich seit seinem Amtsantritt mit Erfolg für stärkeren zivilgesellschaftlichen Freiraum und hat die Praxis der Kriminalisierung von Oppositionellen und kritischen Medien de facto beendet. Im Mai 2018 gab es mehrere Dialogformate in Addis Abeba und der benachbarten Region Oromia, unter Beteiligung von Vertretern der Regierung, Opposition und Zivilgesellschaft. Abiy hat zudem angekündigt, dass die für 2020 angesetzten Wahlen frei und fair und ohne weitere Verzögerungen stattfinden sollen (AA 17.10.2018).

Unter der neuen Führung begann Äthiopien mit dem benachbarten Eritrea einen Friedensprozess hinsichtlich des seit 1998 andauernden Konfliktes (JA 23.12.2018). Im Juni 2018 kündigte die äthiopische Regierung an, den Friedensvertrag mit Eritrea von 2002 vollständig zu akzeptieren (GIZ 9.2018a). Mithilfe der USA, Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate begann Abiy Ahmed Gespräche und begrüßte den eritreischen Präsidenten Isaias Afeworki im Juli 2018 in Addis Abeba (JA 23.12.2018). Nach gegenseitigen Staatsbesuchen sowie der Grenzöffnung erfolgte Mitte September 2018 die offizielle Unterzeichnung eines Freundschaftsvertrages zwischen den beiden Ländern (GIZ 9.2018a). Die Handels- und Flugverbindungen wurden wieder aufgenommen, und die UN-Sanktionen gegen Eritrea wurden aufgehoben (JA 23.12.2018).

Am 7.8.2018 unterzeichneten Vertreter der äthiopischen Regierung und der Oromo Liberation Front (OLF) in Asmara ein Versöhnungsabkommen und verkündeten am 12.8.2018 einen einseitigen Waffenstillstand (BAMF 13.8.2018). Am 15.9.2018 kehrten frühere Oromo-Rebellen aus dem Exil in die Hauptstadt Addis Abeba zurück. Die Führung der OLF kündigte an, nach der Aussöhnung mit der Regierung fortan einen friedlichen Kampf für Reformen führen zu wollen. Neben OLF-Chef Dawud Ibsa und anderen Funktionären kamen auch etwa 1.500 Kämpfer aus dem benachbarten Eritrea zurück. Obwohl die Feier von einer massiven Sicherheitspräsenz begleitet wurde, kam es zu Ausschreitungen (BAMF 17.9.2018). Nach offiziellen Angaben wurden nach den Ausschreitungen rund 1.200 Personen inhaftiert (BAMF 1.10.2018).

Abiy Ahmeds Entscheidung Frauen in Führungspositionen zu befördern, wurde weitgehend begrüßt. Die Hälfte der 20 Ministerposten der Regierung wurden an Frauen vergeben, darunter Schlüsselressorts wie das Ministerium für Handel und Industrie und das Verteidigungsministerium. Abiy hat u. a. die renommierte Menschenrechtsanwältin Meaza Ashenafi zur ranghöchsten Richterin des Landes ernannt, die ehemalige UNO-Beamtin Sahle-Work Zewde wurde einstimmig vom Parlament zur Präsidentin gewählt (BAMF 29.10.2018; vgl. BBC 18.11.2018, EZ 25.10.2018, GIZ 9.2018a). Die Präsidentin hat vor allem eine repräsentative Funktion, da die politische Macht beim Ministerpräsidenten liegt (BAMF 29.10.2018; vgl. BBC 18.11.2018). Aisha Mohammed ist nun Verteidigungsministerin, Muferiat Kamil Friedensministerin. Letzterer sind Polizei und Geheimdienste unterstellt. Die Ernennung der beiden Frauen ist auch deshalb historisch, weil es sich um Muslime aus ethnischen Minderheiten (Oromo) handelt, die noch nie zuvor so mächtige Ämter bekleideten. Ihre Anwesenheit im Kabinett hilft Abiy Ahmed nicht nur, Geschlechterparität zu erreichen, sondern auch, seine Unterstützungsbasis unter ethnischen Minderheiten und Muslimen zu erweitern, die sich manchmal über politische Ausgrenzung beklagen (BBC 18.11.2018).

Darüber hinaus ging die Regierung gegen Offizielle vor, die der Korruption und Rechtsverletzungen verdächtigt wurden. 60 Personen wurden verhaftet, darunter der ehemalige Leiter eines militärisch geführten Geschäftskonzerns und ehemalige stellvertretende Leiter des Geheimdienstes, Getachew Assefa. Dieser wurde wegen Korruption und Menschenrechtsverletzungen verhaftet (BBC 18.11.2018; vgl. EI 12.12.2018). Assefa war ein führendes Mitglied des Tigray-Flügels der regierenden EPRDF. Vertreter der EPRDF - darunter die Führung der TPLF - haben erklärt, dass es einen allgemeinen Konsens darüber gibt, dass Kriminelle vor Gericht gestellt werden sollten. Ältere Vertreter der TPLF fordern, dass derartige Verhaftungen nicht politisch motiviert und nur auf Tigray abzielen dürfen. Aktivisten von Tigray erachten die Verhaftungen allerdings als politisch motiviert - mit dem Ziel, die Tigray zu schwächen. Auf einen Protest in neun Großstädten in Tigray folgte am 8.12. und 9.12.2018 eine große Kundgebung in Mekele, bei der Zehntausende teilnahmen. Die Spannungen zwischen der Bundesregierung und der Region Tigray haben sich verschärft (EI 12.12.2018). Es bleibt abzuwarten, ob diese Säuberungen den Staat nicht zu destabilisieren drohen. Zudem sind die Gewaltkonflikte in den Regionen nach wie vor nicht unter Kontrolle, und Abiy weigert sich, Gewalt anzuwenden. Sein Ruf nach Ruhe und Einheit bleibt jedoch ungehört. Die Zahl der IDPs ist gestiegen, und die Gefahr einer Teilung des Landes bleibt nicht ausgeschlossen (JA 23.12.2018).

Seit seinem Amtsantritt im April 2018 als äthiopischer Premierminister, hat Abiy Ahmed tiefgreifende Reformen angeschoben. Trotzdem bleiben die Herausforderungen zahlreich. Die Restriktionen gegen Bürgerrechtsorganisationen sind noch nicht aufgehoben und das Antiterrorismusgesetz muss noch reformiert werden. Für seinen Umgang mit diesen fundamentalen Problemen steht der neue Premierminister in Kritik. Das Versprechen von freien Wahlen stößt auf die Realität eines Landes, das von einer Koalition von Rebellen kontrolliert wird - der EPRDF. Diese ist seit 1991 an der Macht und behält sämtliche Institutionen im Griff (SFH 5.12.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (17.10.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1452858/4598_1543583225_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-aethiopien-stand-september-2018-17-10-2018.pdf, Zugriff 11.12.2018

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (13.8.2018): Briefing Notes vom 13. August 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/1442567/1226_1536220409_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-13-08-2018-deutsch.pdf, Zugriff 28.12.2018

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (17.9.2018): Briefing Notes vom 17. September 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/1445520/1226_1539001493_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-17-09-2018-deutsch.pdf, Zugriff 28.12.2018

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (1.10.2018): Briefing Notes vom 1. Oktober 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/1445533/1226_1539002314_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-01-10-2018-deutsch.pdf, Zugriff 28.12.2018

- BBC News (18.11.2018): The women smashing Ethiopia's glass ceiling, https://www.bbc.com/news/world-africa-46110608, Zugriff 17.12.2018

- EI - Ethiopia Inside (12.12.2018): Rebranded show trials are exactly what remodeled Ethiopia does not need, https://www.ethiopia-insight.com/2018/12/12/rebranded-show-trials-are-exactly-what-remodeled-ethiopia-does-not-need/, Zugriff 17.10.2018

- EZ - Ezega (25.10.2018): Ethiopia Names First Woman President, https://www.ezega.com/News/NewsDetails/6729/Ethiopia-Names-First-Woman-President, Zugriff 6.12.2018

- GIZ - Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2018): Äthiopien, Überblick, https://www.liportal.de/aethiopien/ueberblick/, Zugriff 11.12.2018

- GIZ - Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit Deutschland (9.2018a): Äthiopien, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/aethiopien/geschichte-staat/, Zugriff 10.12.2018

- JA - Jeune Afrique (23.12.2018): Éthiopie: Abiy Ahmed, le négus du changement, https://www.jeuneafrique.com/mag/692770/politique/ethiopie-abiy-ahmed-le-negus-du-changement/?utm_source=newsletter-ja-actu-abonnes&utm_medium=email&utm_campaign=newsletter-ja-actu-abonnes-24-12-18, Zugriff 27.12.2018

- RI - Refugees International in Reliefweb.int (14.11.2018): The Crisis Below the Headlines: Conflict Displacement in Ethiopia, https://reliefweb.int/report/ethiopia/crisis-below-headlines-conflict-displacement-ethiopia, Zugriff 11.12.2018

- SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe (5.12.2018): Sind Rückführungen von äthiopischen Asylsuchenden wirklich dringend?, https://www.fluechtlingshilfe.ch/news/archiv/2018/sind-rueckfuehrungen-von-aethiopischen-asylsuchenden-wirklich-dringend.html, Zugriff 13.12.2018

Sicherheitslage

Nach der Wahl eines neuen Premierministers hat sich die Sicherheitslage derzeit wieder beruhigt. Der im Februar 2018 ausgerufene Notstand wurde am 5.6.2018 vorzeitig beendet (AA 4.1.2019). Derzeit gibt es in keiner äthiopischen Region bürgerkriegsähnliche Zustände; die Konflikte zwischen Ethnien (z.B. Gambella, SNNPR, Oromo/Somali) haben keine derartige Intensität erreicht (AA 17.10.2018). Laut österreichischem Außenministerium gilt in Addis Abeba und den übrigen Landesteilen ein erhöhtes Sicherheitsrisiko (BMEIA 12.12.2018). Ein Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land (EDA 10.12.2018; vgl. BAMF 1.10.2018, BAMF 24.9.2018).

Im ganzen Land kann es bei Demonstrationen zu Ausschreitungen kommen und Gewaltanwendung nicht ausgeschlossen werden (BMEIA 12.12.2018). Die politischen und sozialen Spannungen können jederzeit zu gewalttätigen Demonstrationen, Plünderungen, Straßenblockaden und Streiks führen. Auch in Addis Abeba können gewalttätige Demonstrationen jederzeit vorkommen. Zum Beispiel haben Mitte September 2018 gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten verschiedener Lager sowie zwischen Demonstranten und Sicherheitskräfte zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert (EDA 10.12.2018; vgl. BAMF 1.10.2018, BAMF 24.9.2018). Ende September 2018, sollen bei Protesten in Addis Abeba, 58 Menschen getötet worden sein, staatliche Stellen berichteten von 23 Toten. Die meisten Todesopfer habe es gegeben, als jugendliche Banden der Volksgruppe der Oromo am 16.9.2018 andere Ethnien angriffen. Zu weiteren Todesopfern kam es, als tausende Menschen gegen diese Gewaltwelle protestierten (BAMF 1.10.2018; vgl. BAMF 24.9.2018).

Zusammenstöße zwischen den Gemeinschaften in den Regionen Oromia, SNNPR, Somali, Benishangul Gumuz, Amhara und Tigray haben sich fortgesetzt. Dort werden immer mehr Menschen durch Gewalt vertrieben. Aufgrund der Ende September 2018 in der Region Benishangul Gumuz einsetzenden Gewalt wurden schätzungsweise 240.000 Menschen vertrieben (FEWS 29.11.2018).

Spannungen zwischen verschiedenen Volksgruppen und der Kampf um Wasser und Weideland können in den Migrationsgebieten der nomadisierenden Viehbesitzer im Tiefland zu gewaltsamen Auseinandersetzungen führen, die oft erst durch den Einsatz der Sicherheitskräfte beendet werden (EDA 10.12.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (4.1.2019): Äthiopien: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aethiopien-node/aethiopiensicherheit/209504, Zugriff 4.1.2019

- AA - Auswärtiges Amt (17.10.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1452858/4598_1543583225_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-aethiopien-stand-september-2018-17-10-2018.pdf, Zugriff 11.12.2018

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (1.10.2018): Briefing Notes vom 1. Oktober 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/1445533/1226_1539002314_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-01-10-2018-deutsch.pdf, Zugriff 28.12.2018

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (24.9.2018): Briefing Notes vom 24. September 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/1445536/1226_1539002669_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-24-09-2018-deutsch.pdf, Zugriff 28.12.2018

- BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (12.12.2018): Äthiopien, Reise & Aufenthalt - Sicherheit und Kriminalität, http://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/aethiopien/, Zugriff 12.12.2018

- EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (10.12.2018): Reisehinweise für Äthiopien, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/aethiopien/reisehinweise-aethiopien.html, Zugriff 10.12.2018

- FEWS - Famine Early Warning System Network / World Food Programme, in Reliefweb.int (29.11.2018): Ethiopia Key Message Update, November 2018, https://reliefweb.int/report/ethiopia/ethiopia-key-message-update-november-2018, Zugriff 11.12.2018

Rechtsschutz / Justizwesen

Das äthiopische Rechtssystem enthält Elemente mehrerer westlicher Rechtssysteme und ist schwer zu systematisieren (GIZ 9.2018a). Das Gesetz bzw. die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor (GIZ 9.2018a; vgl. USDOS 20.4.2018, AA 17.10.2018). In der Praxis ist davon auszugehen, dass die Gerichte nicht immer unabhängig arbeiten, was jedoch kaum nachzuweisen ist (AA 17.10.2018). Obwohl die Zivilgerichte weitgehend unabhängig arbeiten, bleiben die Strafgerichte schwach und überlastet und unterliegen politischem Einfluss (USDOS 20.4.2018). Das Justizwesen wird als korrupt und undurchsichtig wahrgenommen. Richter gelten als schlecht ausgebildet und nicht immer über die geltenden Gesetze ausreichend informiert. Dies schlägt sich entsprechend in den Verfahren nieder (GIZ 9.2018a). Strukturen und Gesetzgebung der Justiz im Hinblick auf Umgang mit straffälligen Jugendlichen entsprechen nicht internationalen Standards (AA 17.10.2018).

Sowohl religiöse als auch traditionelle Gerichte sind verfassungsmäßig anerkannt. Viele Bürger in ländlichen Gebieten haben kaum Zugang zum formalen Justizsystem und sind auf traditionelle Konfliktlösungsmechanismen angewiesen. Scharia-Gerichte können religiöse und Familienrechtsfälle übernehmen, die Muslime betreffen. Sie erhalten finanzielle Unterstützung durch den Staat und urteilen in der Mehrheit der Fälle in den vorwiegend muslimischen Somali- und Afar-Gebieten. Daneben gibt es noch weitere traditionelle Rechtssysteme, wie etwa Ältestenräte (USDOS 20.4.2018).

Eine Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die nach Merkmalen wie Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischer Überzeugung diskriminiert, ist nicht ersichtlich. Die äthiopische Regierung bestreitet zudem Strafverfolgung aus politischen Gründen. Allerdings berichten Oppositionspolitiker, Journalisten und inzwischen auch vereinzelt muslimische Aktivisten von Einschüchterungen, willkürlichen Hausdurchsuchungen und Verhaftungen (AA 17.10.2018).

Das in der Verfassung verankerte Recht, nach der Verhaftung innerhalb von 48 Stunden einem Richter vorgeführt zu werden, wird unter anderem wegen Überlastung der Justiz häufig nicht umgesetzt. Darüber hinaus gibt es regelmäßig Berichte über Misshandlungen, insbesondere in Untersuchungshaft, unbekanntem Verbleib zwischen Verhaftung und Vorführung vor Gericht bzw. Einlieferung in ein staatliches Gefängnis oder auch darüber, dass Familienangehörige von Verhafteten unter Druck gesetzt werden. Hinzu kommen weitreichende Befugnisse, die z.B. das Antiterrorgesetz den Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden einräumt, z.T. auch ohne gerichtliche Überwachung (AA 17.10.2018).

Das Public Defender's Office bietet kostenlose Rechtsberatung, allerdings sind dessen Ressourcen beschränkt. Zusätzlich gibt es zahlreiche sog. Legal Aid Clinics und in manchen Landesteilen dürfen auch Rechtsstudenten und -Professoren pro bono als Verteidiger auftreten (USDOS 20.4.2018). Pflichtverteidiger können erst dann in Anspruch genommen werden, wenn der Fall bei Gericht anhängig ist (AA 17.10.2018).

Im Juli 2018 wurde ein Amnestiegesetz in Kraft gesetzt, welches Personen, die bis zum 7.6.2018 wegen Verstoßes gegen bestimmte Artikel des äthiopischen Strafgesetzbuches sowie weiterer Gesetze strafrechtlich verfolgt wurden, die Möglichkeit der Amnestie eingeräumt. Es wurde nicht verlautbart, welche rechtlichen Konsequenzen die Ablehnung eines solchen Antrags zur Folge hätte. Es gibt keine Informationen darüber, ob und in welcher Zahl potenziell Betroffene seit dem 20.7.2018 von dieser befristeten Antragsmöglichkeit Gebrauch machen (AA 17.10.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (17.10.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1452858/4598_1543583225_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-aethiopien-stand-september-2018-17-10-2018.pdf, Zugriff 12.12.2018

- GIZ - Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit Deutschland (9.2018a): Äthiopien, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/aethiopien/geschichte-staat/, Zugriff 11.12.2018

- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Ethiopia, https://www.ecoi.net/en/document/1430108.html, Zugriff 18.12.2018

Sicherheitsbehörden

Die Sicherheitsbehörden nehmen in Äthiopien eine starke Position ein (AA 17.10.2018). Die Sicherheitskräfte handeln im Allgemeinen diszipliniert (AA 17.10.2018; vgl. USDOS 20.4.2018), sind aber oftmals schlecht ausgebildet, schlecht ausgerüstet und besitzen ungenügende Kenntnis der gesetzlichen Vorschriften. Gewalt wird teilweise unverhältnismäßig eingesetzt (AA 17.10.2018). Straffreiheit ist weiterhin ein ernstes Problem. Allerdings lässt die Regierung Polizisten und Soldaten in Menschenrechten ausbilden (USDOS 20.4.2018).

Der National Intelligence and Security Service (NISS) ist als Sicherheits- und Abwehrbehörde gut aufgestellt und verfügt über ein funktionierendes Netz an Zuträgern in allen Bereichen des privaten und öffentlichen Lebens. Sein Schwerpunkt richtete sich in erster Linie gegen die politische inländische Opposition, regierungskritische Journalisten und gegen Gruppierungen aus Eritrea und Somalia (AA 17.10.2018).

Die Bundespolizei (Federal Police) untersteht dem Premierminister und unterliegt parlamentarischer Aufsicht. Diese Aufsicht ist allerdings locker. Jeder der neun Regionalstaaten hat eine eigene Staats- oder Sonderpolizeieinheit ["Liyu"], die jeweils den regionalen zivilen Behörden untersteht (USDOS 20.4.2018). Neben den staatlichen bzw. regionalen Polizeibehörden gibt es in allen Regionen staatliche Milizen (AA 17.10.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Dies sind von Gemeindevertretern ausgewählte, bewaffnete Personen, die ehrenamtlich Militär- und Polizeidienste leisten und im Wesentlichen Polizeiaufgaben in (teilweise sehr entlegenen) ländlichen Gebieten erfüllen (vergleichbar mit "Community Police"). In manchen Fällen werden Milizen auch im Kampf gegen bewaffnete Rebellen eingesetzt. Insbesondere im Somali Regional State (SRS) wurden lokale Milizen gegen die - im Juli 2018 entkriminalisierte - Ogaden National Liberation Front (ONLF) eingesetzt. Der Liyu-Police des SRS werden schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen (AA 17.10.2018).

Die Streitkräfte wurden in den letzten Jahren mit dem Ziel umstrukturiert, sie von Aufgaben der inneren Sicherheit, die der Polizei obliegen, zu entbinden. Dies ist noch nicht landesweit umgesetzt. In einigen Regionen (Oromia, SRS, Gambella, Sidamo) gehen Polizei und Militär weiterhin gezielt gegen vermutete und tatsächliche Unterstützer und Angehörige der dort aktiven, z. T. militant bis terroristisch operierenden oppositionellen Gruppierungen OLF (Oromo Liberation Front), ONLF (Ogaden National Liberation Front), Ethiopian National United Patriotic Front (ENUPF) und Sidamo Liberation Front (SLF) vor. Die beiden erstgenannten Gruppierungen wurden allerdings im Juli 2018 entkriminalisiert (AA 17.10.2018). Im Zuge der Proteste, bzw. des Ausnahmezustandes in der Region Oromia wurden hauptsächlich Militär und Bundespolizei gegen Demonstranten eingesetzt (AA 17.10.2018; vgl. USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (17.10.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1452858/4598_1543583225_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-aethiopien-stand-september-2018-17-10-2018.pdf, Zugriff 12.12.2018

- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Ethiopia, https://www.ecoi.net/en/document/1430108.html, Zugriff 18.12.2018

Folter und unmenschliche Behandlung

Die Verfassung verbietet Folter (AA 17.10.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Allerdings wird das in Verfassung verankerte Verbot in der Praxis unterlaufen (AA 17.10.2018). Der Premierminister hat eingestanden, dass Folter angewendet wird (HRW 19.10.2018). Es gibt glaubwürdige Berichte über die Anwendung von Folter bzw. Misshandlung und extralegale Hinrichtungen (AA 17.10.2018; vgl. USDOS 20.4.2018) während der Untersuchungshaft, durch Polizei, Militär und andere Mitglieder der Sicherheitskräfte, insbesondere in Fällen, in denen der Verdacht oppositioneller Tätigkeit oder der Mitgliedschaft in bewaffneten Oppositionsgruppen und ein vermuteter Zusammenhang mit Terrorismus bestehen (AA 17.10.2018). Mehrere Quellen berichteten von allgemeiner Misshandlung von Gefangenen in offiziellen Haftanstalten, in inoffiziellen Haftanstalten, Polizeistationen und Bundesgefängnissen (USDOS 20.4.2018).

Eine Untersuchung derartiger Verbrechen findet in der Regel nicht statt (AA 17.10.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Mechanismen zur Untersuchung von Missbräuchen durch die Bundespolizei sind nicht bekannt und die Regierung gibt die Untersuchungsergebnisse nur selten öffentlich bekannt. Sie bemüht sich aber, Menschenrechtsschulungen für Polizei- und Militärschüler anzubieten (USDOS 20.4.2018). Eine adäquate und konsistente Reaktion der Behörden auf z. B. in Gerichtsverfahren geäußerte Folter- und Misshandlungsvorwürfe ist nicht zu erkennen. Es wird zudem berichtet, dass sich in Einzelfällen die Sicherheitsorgane oder andere Behörden über Gerichtsurteile hinweggesetzt haben sollen (z. B. im Somali Regional State/SRS) (AA 17.10.2018).

Ermittler des Menschenrechtsrates berichten, dass Gefängnisbeamte Häftlinge schlagen und foltern (USDOS 20.4.2018). Die zukünftige Praxis bleibt abzuwarten (AA 17.10.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (17.10.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1452858/4598_1543583225_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-aethiopien-stand-september-2018-17-10-2018.pdf, Zugriff 12.12.2018

- HRW - Human Rights Watch (19.10.2018): Ethiopia: Ensure Justice for Abuses in Jail Ogaden, https://www.hrw.org/news/2018/10/19/ethiopia-ensure-justice-abuses-jail-ogaden, Zugriff 4.1.2019

- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Ethiopia, https://www.ecoi.net/en/document/1430108.html, Zugriff 18.12.2018

Korruption

Korruption ist gesetzlich verboten. Der Bundesstaatsanwalt ist angehalten, Korruptionsfälle zu untersuchen und zur Strafverfolgung zu bringen. Das Gesetz verpflichtet alle Regierungsbeamten und Mitarbeiter, ihr Vermögen und ihr persönliches Eigentum zu registrieren. Das Gesetz sieht finanzielle und strafrechtliche Sanktionen wegen Nichteinhaltung vor. Die Bundes-Ethik- und Korruptionsbekämpfungskommission (FEACC) meldete, dass sie zwischen Juli 2016 und Jänner 2017 das Vermögen von 6.638 ernannten Personen, Beamten und Mitarbeitern erfasst hat (USDOS 20.4.2018).

Korruption - auch bei Polizei und Justiz - bleibt ein Problem (USDOS 20.4.2018) bzw. wird diese im Alltag als Problem wahrgenommen (GIZ 9.2018a).Im Corruption Perceptions Index 2017 von Transparency International nimmt Äthiopien Platz 107 von 180 Ländern ein (TI 2017).

Es hat einige spektakuläre Korruptionsfälle gegeben, in die hochrangige Vertreter der Regierung verwickelt waren. In den bekannt gewordenen Fällen hat es Verurteilungen gegeben (GIZ 9.2018a; vgl USDOS 20.4.2018). Am 26.7.2017 nahm die Regierung mehr als 50 Regierungsbeamte und Geschäftsleute wegen Korruptionsvorwürfen und Missbrauchs öffentlicher Gelder im Wert von mehr als vier Milliarden Birr (181 Millionen US-Dollar) fest. Unter den Verhafteten waren ein Brigadegeneral, ein Staatsminister und der Leiter der Rechtsabteilung im Ministerium für Finanzen und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Darüber hinaus beschlagnahmte die Regierung Vermögenswerte und Eigentum von mehr als 200 Personen (USDOS 20.4.2018).

Im November 2018 wurden dutzende Führungspersönlichkeiten aufgrund von Korruptionsvorwürfen in Zusammenhang mit dem staatlichen Firmenkonglomerat Metals and Engineering Corporation (Metec) festgenommen, darunter der ehemalige stellvertretende Chef des Geheimdienstes, Yared Zerihun (BBC 15.11.2018; vgl. JA 20.11.2018).

Quellen:

- BBC News (15.11.2018): Ethiopia arrests former deputy spy chief Yared Zerihun, https://www.bbc.co.uk/news/world-africa-46221238, Zugriff 11.12.2018

- GIZ - Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit Deutschland (9.2018a): Äthiopien, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/aethiopien/geschichte-staat/, Zugriff 11.12.2018

- JA - Jeune Afrique (20.11.2018): Vague d'arrestations dans l'armée en Éthiopie : " Une des décisions les plus fortes d'Abiy Ahmed ", https://www.jeuneafrique.com/667626/politique/vague-darrestations-dans-larmee-en-ethiopie-une-des-decisions-les-plus-fortes-dabiy-ahmed/, Zugriff 10.12.2018

- TI - Transparency International (2017): Corruption Perceptions Index - Results, https://www.transparency.org/country/ETH, Zugriff 10.12.2018

- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Ethiopia, https://www.ecoi.net/en/document/1430108.html, Zugriff 21.12.2018

Allgemeine Menschenrechtslage

Menschenrechte und Freiheiten sind als unverletzbar und unveräußerlich in der äthiopischen Verfassung von 1995 genannt. Explizit werden Grundrechte wie Religionsfreiheit, Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von Angehörigen verschiedener ethnischer Gruppen, Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Verbot von unmenschlicher Behandlung und Recht auf Privatheit aufgeführt (AA 17.10.2018). Die Verfassung garantiert also die Menschenrechte, dies deckt sich jedoch nicht mit der Realität (AA 4.2018a).

Trotzdem ist die Menschenrechtssituation in Äthiopien unbefriedigend. Dies gilt vor allem für die Rechtsstaatlichkeit (Vorführung vor Gericht, Verfahrensdauer) und die Behinderung und Verfolgung von Journalisten. Es erfolgen Verhaftungen ohne Haftbefehl und ohne fristgerechte gerichtliche Überprüfung. Lange Gerichtsverfahren sind verbreitet. Hierfür ist auch eine überlastete Justiz verantwortlich (GIZ 9.2018a). Zu den wichtigsten Menschenrechtsproblemen gehören: willkürliche Tötung, Verschwindenlassen, Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch Sicherheitskräfte; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Verhaftung und Inhaftierung durch Sicherheitskräfte; Verweigerung eines fairen öffentlichen Prozesses; Verletzung der Persönlichkeitsrechte; Beschränkungen der Meinungs-, Presse-, Internet-, Versammlungs-, Vereinigungs- und Bewegungsfreiheit; mangelnde Rechenschaftspflicht in Fällen von Vergewaltigung und Gewalt gegen Frauen; Kriminalisierung gleichgeschlechtlicher Orientierung. Die Regierung hat im Allgemeinen keine Schritte unternommen, um Beamte, die andere Menschenrechtsverletzungen als Korruption begangen haben, zu verfolgen oder anderweitig zu bestrafen. Straffreiheit ist ein Problem; es kommt nur zu einer begrenzten Anzahl von Anklagen von Mitgliedern der Sicherheitskräfte oder von Beamten wegen Menschenrechtsverletzungen (USDOS 20.4.2018).

Legale Voraussetzungen zur Verbesserung der Menschenrechte sind erfolgt. Die Menschenrechtskommission des Parlaments ist ebenso wie das Amt des Ombudsmanns eingerichtet. Frauenrechte sind in der Verfassung verankert. Von einer Umsetzung dieser rechtlich festgeschriebenen Menschenrechte ist Äthiopien jedoch weit entfernt: Weibliche Genitalverstümmelung und sehr frühe Verheiratung sind zwar offiziell verboten, jedoch weiterhin Realität für viele Mädchen und junge Frauen (GIZ 9.2018a).

Bei Protesten und gewaltsamen Auseinandersetzungen in Addis Abeba im September 2018 wurden rund 1.200 Menschen verhaftet. Diese Verhaftungen erfolgten teils willkürlich, was die Fortschritte in Menschenrechtsfragen unter Premierminister Abiy Ahmed ernsthaft gefährden könnte (BAMF 1.10.2018).

Der im vergangenen Jahr mehrmals ausgerufene Ausnahmezustand schränkte die Meinungs- und Versammlungsfreiheiten weitestgehend ein und verlieh den Sicherheitskräften weitreichende neue Befugnisse: u.a. Durchsuchungen und Verhaftungen ohne richterlichen Beschluss, Unterbindung von Kommunikationswegen und von Versammlungen. Allerdings wurde der Ausnahmezustand im Juni 2018 aufgehoben (AA 17.10.2018).

Die Medienlandschaft Äthiopiens wird dominiert von staatlichen oder regierungsfreundlichen Zeitungen, Radio- und Fernsehsendern. Die staatlichen Medien werden von der Ethiopian Radio and Television Agency (ERTA) und der Ethiopian Press Agency betrieben. Es gibt private Radiosender, aber nur staatliche Fernsehsender (GIZ 9.2018a). Die Zukunft im Mediensektor ist seit dem Amtsantritt Abiys unklar. Es lassen sich erste Anzeichen einer liberaleren Politik und freieren Berichterstattung beobachten (AA 17.10.2018; vgl. GIZ 9.2018a). Es gibt aber Hinweise darauf, dass die Regierung ihr Anti-Terrorismus-Gesetz dazu nutzt, die Meinungs- und Pressefreiheit auszuhebeln und Oppositionelle mundtot zu machen. Darüber hinaus gibt es Berichte über die politische Instrumentalisierung von Hilfsgütern seitens der Regierung und Zwangsumsiedlungen ganzer Dörfer zugunsten ausländischer Investoren (GIZ 9.2018a).

Internetzensur und -überwachung sind nach wie vor Thema, es ist seit dem Amtsantritt des Premiers Abiy Ahmed aber eine leichte Entspannung zu beobachten. Die Abschaltung des Internets im Zusammenhang mit lokalen gewaltsamen Auseinandersetzungen ist auch unter dem neuen Regierungschef gängige Praxis (GIZ 9.2018a). Im August 2018 wurde als Reaktion auf die Unruhen in der Region Somali das Internet zeitweise abgeschaltet. Im Anschluss wurde Mitte September 2018 im Stadtgebiet das mobile Internet für zwei Tage abgeschaltet (AA 17.10.2018; vgl. GIZ 9.2018a, DW 8.8.2018). Auch das Anti-Terror-Gesetz schränkt die Meinungsfreiheit im Internet ein. Hierfür wird auch der Telefon- und Internetverkehr überwacht. Es ist davon auszugehen, dass sämtliche nicht satellitengestützte Kommunikation abgefangen werden kann (AA 17.10.2018). Die äthiopische Regierung nutzt ihr Monopol in der Telekommunikation und verschiedene modernste Technologien um nicht nur die Bespitzelung bekannter Oppositioneller oder Kritiker im eigenen Land voranzutreiben, sondern ebenso zur Überwachung der äthiopischen Normalbevölkerung und Äthiopiern im Ausland (GIZ 9.2018a).

Stärker als das Medien- und Informationsgesetz wirkt sich das Antiterrorgesetz ("Anti-Terror-Proklamation") auf die Meinungs- und Pressefreiheit in Äthiopien aus, denn es umfasst nicht nur direkte und indirekte Unterstützung von Terrorismus als Tatbestand, sondern auch Berichterstattung über terroristische Gruppen oder Aktivitäten, die von der Öffentlichkeit als Anstiftung bzw. Propaganda aufgefasst werden könnten (AA 17.10.2018). Die Pressegesetzgebung ist restriktiv. Jahrelang hatte die Pressefreiheit in Äthiopien stetig abgenommen. Aus Angst vor Repressalien und Verhaftungen zensierten sich nicht wenige äthiopische Journalisten selbst, veröffentlichten nicht zu sensiblen Themen. Im Worldwide Press Freedom Index der Reporter ohne Grenzen belegt Äthiopien in 2018 Rang 150 von 180 untersuchten Ländern. Erste Maßnahmen des Premiers Abiy Ahmed lassen jedoch auf eine Verbesserung der Situation hoffen: Mehrere hundert bislang gesperrte - überwiegend regierungskritische - Internetseiten sind inzwischen freigegeben worden, mehrere namhafte Journalisten wurden aus Gefängnissen entlassen (GIZ 9.2018a).

Die von der Verfassung garantierte Vereinigungsfreiheit wird behindert. Unabhängige Tätigkeit von nicht partei- bzw. regimetreue Gewerkschaften werden auf unterschiedlichste Art und Weise schikaniert und untergraben (AA 17.10.2018).

Demonstrationen werden häufig gewaltsam beendet und Teilnehmer willkürlich verhaftet. Die Sicherheitskräfte setzten dabei teilweise auch scharfe Munition ein (AA 17.10.2018).

Es gibt Berichte aus der Region Somali über außergerichtliche Hinrichtungen inhaftierter Personen und über außergerichtliche Hinrichtungen von 34 Angehörigen der Wolkait in der Region Tigray. Das in der Verfassung verankerte Verbot von Folter wird in der Praxis offenbar unterlaufen. Von verschiedenen Seiten wurden immer wieder Vorwürfe über Misshandlungen durch Polizei und Militär erhoben. Die zukünftige Praxis bleibt abzuwarten (AA 17.10.2018).

Das äthiopische Parlament hat am Montag, den 24.12.2018, ein Gesetz zur Einrichtung einer Versöhnungskommission verabschiedet, deren Hauptaufgabe es sein wird, der innergemeinschaftlichen Gewalt ein Ende zu setzen und Menschenrechtsverletzungen im Land zu dokumentieren. Laut Angaben des UN-Büros für humanitäre Angelegenheiten (OCHA) sind derzeit in Äthiopien mindestens 2,4 Millionen Menschen wegen interkommunaler Gewalt vertrieben worden (JA 25.12.2018).

Trotz der überraschenden Massenfreilassung von Häftlingen ist davon auszugehen, dass weiterhin eine unbekannte Zahl von Menschen, zum großen Teil ohne Anklage, inhaftiert bleibt - Menschenrechtsorganisationen sprechen von mehreren tausend Personen. Verifizieren lassen sich diese Zahlen nicht. Schwerpunktmäßig betroffen sind junge Männer, auch Schüler und Studenten in den Regionen Oromia und Amhara (AA 17.10.2018).

Das 2009 erlassene äthiopische NGO-Gesetz und die damit einhergehenden Verwaltungsvorschriften aus dem Jahr 2011 haben die Aktivitäten von NGOs, die aufgrund des niedrigen wirtschaftlichen Entwicklungsstands Äthiopiens auf ausländische Finanzierung angewiesen sind, fast zum Erliegen gebracht (AA 17.10.2018). Angesichts Antiregierungsproteste im Laufe des Jahres 2016, hatte die äthiopische Regierung die Überwachung von zivilgesellschaftlichen Bewegungen und Organisationen intensiviert und deren Arbeit z.T. erheblich erschwert. Neben Verhaftungswellen im Rahmen des Ausnahmezustandes, gab es auch Gesetzesverschärfungen (z.B. ein neues Gesetz zu Internetkriminalität) (GIZ 9.2018a). Ein Prozess zur Überarbeitung des NGO-Gesetzes wurde eingeleitet (AA 17.10.2018). Unter Premierminister Dr. Abiy Ahmed scheint sich die Lage für zivilgesellschaftliche Organisationen zu verbessern. Im Rahmen seiner dialog- und versöhnungsorientierten Politik hat er auch NGOs zu Gesprächen und Beteiligung an Reformprozessen eingeladen (GIZ 9.2018a).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (4.2018a): Länderinformation, Äthiopien, Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aethiopien-node/-/209758, Zugriff 7.12.2018

- AA - Auswärtiges Amt (17.10.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1452858/4598_1543583225_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-aethiopien-stand-september-2018-17-10-2018.pdf, Zugriff 7.12.2018

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (1.10.2018): Briefing Notes vom 1. Oktober 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/1445533/1226_1539002314_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-01-10-2018-deutsch.pdf, Zugriff 28.12.2018

- DW - Deutsche Welle (8.8.2018): Äthiopien: Ethnische Konflikte schwelen weiter, https://www.dw.com/de/%C3%A4thiopien-ethnische-konflikte-schwelen-weiter/a-45011266, Zugriff 12.12.2018

- GIZ - Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2018a): Äthiopien, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/aethiopien/geschichte-staat/, Zugriff 12.12.2018

- JA - Jeune Afrique (25.12.2018): Éthiopie : une commission de réconciliation pour mettre fin aux violences intercommunautaires, https://www.jeuneafrique.com/695208/societe/ethiopie-une-commission-de-reconciliation-pour-mettre-fin-aux-violences-intercommunautaires/, Zugriff 27.12.2018

- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Ethiopia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430108.html, Zugriff 13.12.2018

Todesstrafe

Die Todesstrafe wurde in Äthiopien seit 1991 zweimal vollstreckt. Seit der letzten Hinrichtung im August 2007 herrscht ein de facto-Moratorium. Einige Gesetze, zum Beispiel das Strafgesetz und das Antiterrorgesetz, sehen nach wie vor die Todesstrafe vor (AA 4.2018a; vgl. AA 17.10.2018). Äthiopien gilt bezüglich der Todesstrafe als "abolitionist de facto" (CLS 20.12.2018). Ende Mai 2018 ist der zuletzt prominenteste Todeskandidat begnadigt worden, der als Führungsmitglied der damals als Terrorgruppe eingestuften Ginbot 7 verurteilte Andargachew Tsige (AA 17.10.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt Deutschland (4.2018a): Äthiopien, Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aethiopien-node/-/209758#content_1, Zugriff 10.12.2018

- AA - Auswärtiges Amt (17.10.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1452858/4598_1543583225_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-aethiopien-stand-september-2018-17-10-2018.pdf, Zugriff 11.12.2018

- CLS - Cornell Law School (20.12.2018): Death Penalty Database - Ethiopia, https://www.deathpenaltyworldwide.org/country-search-post.cfm?country=Ethiopia, Zugriff 2.1.2019

Religionsfreiheit

Fast alle Äthiopier sind tief gläubige Menschen, für die ihr Glaube fester Bestandteil ihres Alltags ist. Die zwei größten Glaubensgemeinschaften sind die äthiopisch-orthodoxen Christen (ca. 43%) und überwiegend sunnitische Muslime (ca. 34%) (GIZ 9.2018c; vgl. AA 4.2018, CIA 4.12.2018). Die übrigen 23% gehören überwiegend anderen christlichen Kirchen oder traditionellen Religionen an (GIZ 9.2018c). Die orthodoxe Kirche bildet in Äthiopien die größte einzelne Konfession im Land und herrscht besonders in den Regionen Tigray und Amhara sowie in einigen Teilen der Region Oromia vor. Die sunnitischen Muslime, die etwa ein Drittel der äthiopischen Bevölkerung ausmachen, sind in den Regionen Oromia, Somali und Afar vorherrschend. Evangelikale und pfingstkirchliche Christen stellen etwa 9% der Bevölkerung und leben hauptsächlich im Südwesten (ACN 2018).

Die Verfassung kodifiziert die Trennung von Religion und Staat, legt Religionsfreiheit fest, verbietet religiöse Diskriminierung und legt fest, dass die Regierung sich nicht in die Ausübung einer Religion einmischt und dass keine Religion in die Angelegenheiten des Staates eingreift (USDOS 29.5.2018; vgl. ACN 2018). Der Grundsatz der Trennung von Staat und Religion ist in Artikel 11 der äthiopischen Verfassung aus dem Jahr 1993 festgeschrieben. In Artikel 27 wird die Gewissens- und Religionsfreiheit aller äthiopischen Bürger anerkannt, einschließlich der Freiheit, die eigene Religion oder den eigenen Glauben, allein oder in Gemeinschaft, durch Gottesdienste, Einhaltung von Riten und Bräuchen und Lehre zu praktizieren und zu verbreiten. Die Verfassung untersagt die Erteilung von Religionsunterricht an Schulen, sowohl an öffentlichen als auch an privaten Schulen. In den meisten Kirchen und Moscheen ist der Religionsunterricht gestattet. Das Gesetz verbietet außerdem die Gründung politischer Parteien auf religiösen Grundlagen (ACN 2018).

Äthiopien ist für die friedliche Koexistenz der verschiedenen Glaubensgemeinschaften, vor allem für das friedliche Zusammenleben von Muslimen und Christen, bekannt (GIZ 9.2018c). Generell sind bislang keine nennenswerten interreligiösen Spannungen in Äthiopien zu verzeichnen (AA 4.2018a; vgl. ACN 2018). Im Allgemeinen können Glaubensgemeinschaften ihre Religion ohne größere Einschränkungen ausüben, obwohl einige Minderheiten über eine als diskriminierend empfundene Behandlung geklagt haben. Die Festnahme militanter Muslime und die Überwachung muslimischer Gemeinden durch den Staat scheinen ausschließlich auf den berechtigten Sicherheitsinteressen des Staates zu beruhen, nicht auf dem Wunsch, religiöse Aktivität zu unterbinden (ACN 2018).

Allerdings werden Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen religiösen Gruppen teils gewaltsam ausgetragen (AA 17.10.2018). In den Bundesstaaten Oromia und im Somali Regional State (SRS) schwelt ein international kaum wahrgenommener Konflikt (NZZ 16.8.2018). Die Gewalttätigkeiten sind religiös und ethnisch aufgeladen (AN 17.8.2018).

Am 4.8.2018 begannen interkommunale Auseinandersetzungen im SRS (UNOCHA 17.8.2018), als es in der somalischen Region Jijiga zu ethnischen Konflikten kam, bei denen rund 30 Menschen starben. Vor allem die äthiopisch-orthodoxe Kirche war von der Gewalt betroffen (Fides 8.8.2018). In der Region schwelt seit Jahrzehnten ein Konflikt um Landrechte und es kommt zu gewaltsamen, ethnischen Spannungen, welche Hunderte Tote gefordert hat. Vonseiten der um Einfluss fürchtenden (muslimischen) Somali, gab es Angriffe auf christliche Einrichtungen. Die Oromo (größtenteils Christen) fielen wiederum durch gewaltsame Übergriffe auf Somali auf, beide Seiten vermeldeten zahlreiche Tote (NZZ 16.8.2018). Nach Angaben der lokalen Medien wurden mindestens sieben orthodoxe Kirchen angegriffen und in Brand gesteckt. Lokale Quellen sprachen von mindestens sechs ermordeten Priestern und mehreren getöteten Gläubigen (Fides 8.8.2918). Alleine in der Regionalhauptstadt Jijiga suchten rund 35.000 Personen Schutz in und um Kirchen. Andere flüchteten in Nachbarregionen, es kam zu einem Exodus von Bewohnern des SRS, die nicht ethnische Somali sind (UNOCHA 17.8.2018).

Am 23.1.2018 kamen eine Reihe von Menschen ums Leben, als es bei einer orthodoxen Zeremonie in der Stadt Woldiya etwa 500 km nördlich der Hauptstadt Addis Abeba zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Gottesdienstteilnehmern kam. Berichten zufolge begann während einer Prozession eine große Zahl junger Menschen, Parolen gegen die Regierung auszurufen. Laut offizieller Berichterstattung eröffneten Soldaten das Feuer, woraufhin Gewalt ausbrach und sieben Menschen starben. Andere Quellen geben die Zahl der Toten viel höher an - mit bis zu 35. Quellen vor Ort deuteten jedoch an, dass der Vorfall nicht im Zusammenhang mit Religion stand (ACN 2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt Deutschland (17.10.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1452858/4598_1543583225_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-aethiopien-stand-september-2018-17-10-2018.pdf, Zugriff 11.12.2018

- AA - Auswärtiges Amt Deutschland (4.2018): Äthiopien, Überblick, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aethiopien-node/aethiopien/209502, Zugriff 7.12.2018

- AA - Auswärtiges Amt Deutschland (4.2018a): Äthiopien, Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aethiopien-node/-/209758, Zugriff 7.12.2018

- ACN - Kirche in Not (2018): Religionsfreiheit Weltweit, http://religionsfreiheit.kirche-in-not.ch/laenderwahl/afrika/aethiopien-2018.html, Zugriff 7.12.2018

- AN - Africanews (17.8.2018): Ethiopia PM's reform agenda threatened by rising insecurity - HRW, http://www.africanews.com/2018/08/17/ethiopia-pm-s-reform-agenda-threatened-by-rising-insecurity-hrw/, Zugriff 8.1.2019

- CIA - Central Intelligence Agency (4.12.2018): The World Factbook, Ethiopia, Peoples and Society, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/et.html, Zugriff 7.12.2018

- Fides.org - Agenzia Fides (8.8.2018): Priester sterben bei Brandanschlägen auf Kirchen in der somalischen Region, http://www.fides.org/de/news/64614-AFRIKA_AeTHIOPIEN_Priester_sterben_bei_Brandanschlaegen_auf_Kirchen_in_der_somalischen_Region, Zugriff 7.1.2019

- GIZ - Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2018c): Äthiopien, Gesellschaft, www.liportal.de/aethiopien/gesellschaft/, Zugriff 7.12.2018

- NZZ - Neue Züricher Zeitung (16.8.2018): Priester getötet und Kirchen in Brand gesteckt: Weshalb in Äthiopien religiöse Unruhen wüten, https://www.nzz.ch/international/bewaehrungsprobe-fuer-afrikas-hoffnungstraeger-ld.1411858, Zugriff 7.1.2019

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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