TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/20 W270 2192381-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.11.2019
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Entscheidungsdatum

20.11.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W270 2181163-1/44E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. GRASSL über die Beschwerde von XXXX XXXX XXXX , geb. XXXX , StA Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20/5, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 26.02.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Nach seiner illegalen Einreise in das Bundesgebiet stellte der Beschwerdeführer am 01.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dazu erfolgte am darauffolgenden Tag seine Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Seine Antragstellung begründete er damit, dass ihm sein Geschäft in Kunduz von den Taliban weggenommen worden sei. Er und seine Familie seien mehrmals von den Taliban bedroht worden. Die Taliban hätten immer mehr Geld verlangt. Er habe seine Grundstücke verkaufen müssen. Als er den Taliban kein Geld mehr geben habe können, habe er beschlossen das Land zu verlassen.

2. Am 17.10.2017 fand eine Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) statt, die jedoch aufgrund des psychischen und physischen Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers abgebrochen werden musste. Dem Beschwerdeführer wurde eine Ladung zu einer psychologischen Begutachtung bei XXXX XXXX ausgehändigt. Am 14.11.2017 langte das von der belangten Behörde in Auftrag gegebene neurologisch-psychiatrische Gutachten ein.

3. Schließlich fand am 29.01.2018 eine weitere Einvernahme bei der belangten Behörde statt. Dabei brachte der Beschwerdeführer nunmehr vor, in Afghanistan Inhaber eines Elektrowarengeschäftes gewesen zu sein. Viele Leute hätten sich gegen den Verkauf seiner elektronischen Waren ausgesprochen. Er sei auch beschimpft, beleidigt und als "Ungläubiger" bezeichnet worden. Eines Tages hätte ihm eine Person einen Drohbrief der Taliban überreicht, die sich darin auch gegen die Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit aussprachen. Zwei oder drei Wochen später habe er erneut einen Drohbrief erhalten und sei ihm mitgeteilt worden, dass dies nunmehr die letzte Warnung sei. Einige Tage später - er habe sich zu dieser Zeit gerade nicht in seinem Geschäft aufgehalten - seien die Taliban gekommen und hätten sein Geschäft zerstört. Er habe nicht nach Hause gehen können, da er erfahren habe, dass die Taliban auch dort nach ihm gesucht hätten.

4. Mit Schreiben vom 13.02.2018 wurde dem Beschwerdeführer die Möglichkeit gegeben innerhalb einer Woche ab Zustellung des Schreibens zum angeschlossenen neurologisch-psychiatrischen Gutachtens im Rahmen des Parteiengehörs eine Stellungnahme abzugeben. Am 20.02.2018 langte eine diesbezügliche Stellungnahme des Beschwerdeführers bei der belangten Behörde ein.

5. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 26.02.2018 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 01.07.2018 "hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm. § 2 Absatz 1 Ziffer 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF" (Spruchpunkt I.) und "gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG ... hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten" in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab. Ferner sprach sie aus, dass dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen "gemäß § 57 AsylG" nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gegen ihn "gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF", eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt wird, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.). Weiters legte sie gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt VI.).

6. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, welche von der bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation des Beschwerdeführers verfasst wurde. Moniert wird darin insbesondere, dass dem Vorbringen, wonach der Beschwerdeführer in Afghanistan von den Taliban bedroht worden sei und bei einer Rückkehr erneut Probleme mit den Taliban bekommen würde, von der belangten Behörde zu Unrecht kein Glauben geschenkt worden sei. Durch seine berufliche Tätigkeit (Verkauf von Fernsehgeräten, Videokassetten, DVD-Player und DVDs) habe er nach Ansicht der Taliban gegen die islamischen Grundsätze, Normen und Werte verstoßen und sei mit dieser Tätigkeit auch ein vermeintlicher Abfall vom islamischen Glauben verbunden. Aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit zähle er zu den besonders gefährdeten Personengruppe, und sei mittelbar mit Personen gleichgestellt, die in der Medienbranche oder im Journalismus tätig sind. Die Art und Weise, in welcher die belangte Behörde seinem Vorbringen die Glaubwürdigkeit abgesprochen habe, entspreche nicht den Anforderungen einer amtswegigen Ermittlungspflicht. Zudem enthalte der angefochtene Bescheid auch keine ausreichenden Feststellungen über seinen derzeitigen Gesundheitszustand und sei auch auf die aktuellen und aktenkundigen ärztlichen Befunde nicht näher eingegangen worden. Bezug genommen wird weiters auf das von der belangten Behörde in Auftrag gegebene Gutachten bei einem Sachverständigen aus dem Fachgebiet Neurologie und ausgeführt, dass die dort gestellten Fragen seriöser Weise ausschließlich von einem Facharzt für Psychiatrie hätten beantwortet werden können. Die Einholung eines weiteren Gutachtens aus dem Fachbereich der Psychiatrie sei dringend geboten. Weiters sei es nicht nachvollziehbar, wie die belangte Behörde angesichts des instabilen Gesundheitszustandes und der nach wie vor prekären Sicherheitslage in Afghanistan im Fall des Beschwerdeführers von einer zumutbaren Rückkehrmöglichkeit ausgehen könne.

7. Mit Schreiben vom 21.06.2018 richtete das Bundesverwaltungsgericht an den Beschwerdeführer zu Handen seines bevollmächtigten Vereins einen Verbesserungsauftrag. Darin verwies es darauf, dass die Beschwerde insofern mangelhaft sei, als nicht klar ersichtlich sei, ob die Spruchpunkte III., V. und VI. ebenfalls angefochten wurden. Es erging die Aufforderung dies klarzustellen und gegebenenfalls entsprechend den genannten Spruchpunkten zuordenbare "Begehren" und "Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt" nachzuholen. Dem Beschwerdeführer wurde bei Nichtverbesserung innerhalb der gesetzten Frist von zwei Wochen die Beschwerdezurückweisung angedroht. Der Verbesserungsauftrag wurde dem Beschwerdeführer zu Handen seines bevollmächtigten Vereins nachweislich am 22.06.2018 zugestellt. Hierzu langte fristgerecht eine Stellungnahme des Beschwerdeführers ein, mit der die Beschwerde im Umfang des Ausspruches nach § 57 AsylG zurückgezogen wurde. Zum Ausspruch nach § 52 Abs. 9 und 46 FPG wurde Näheres dargelegt und in Bezug auf Spruchpunkt VI. ausgeführt, dass in eventu eine Verlängerung der Frist zur freiwilligen Ausreise beantragt werde, da der Beschwerdeführer aufgrund seines gesundheitlichen Zustandes weiterhin in medizinischer Behandlung stehe und jedenfalls eine abschließende Untersuchung und Behandlung sowie permanente Medikation erforderlich erscheine.

8. Mit Schreiben vom 21.03.2019 wurde dem Beschwerdeführer aufgetragen binnen einer Woche alle aktuellen Befunde und Krankenunterlagen, die sei der Erstattung des medizinischen Gutachtens vom 03.11.2017 (neu) entstanden sind, vorzulegen. Fristgerecht wurden weitere medizinische Unterlagen des Beschwerdeführers in Vorlage gebracht.

9. Mit Schreiben vom 02.05.2019 ersuchte das Bundesverwaltungsgericht Prim. XXXX XXXX , LL.M., um eine Ergänzung zu seinem Gutachten vom 03.11.2017.

10. Am 31.05.2019 fand eine mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt. Darin wurde der Beschwerdeführer insbesondere zu seinem Fluchtvorbringen und seinen Rückkehrbefürchtungen einvernommen.

11. Am 01.08.2019 wurde dem Beschwerdeführer das Ergänzungsgutachten Dris. XXXX zum Parteiengehör übermittelt.

12. Mit Schriftsatz vom 16.08.2019 äußerte sich der Beschwerdeführer zum Gutachten, brachte zur Rückkehrsituation vor und legte Beweismittel vor.

13. Am 22.08.2019 erstattete der Beschwerdeführer eine weitere Stellungnahme betreffend seine Rückkehrbefürchtungen.

14. Am 17.10. 2019 fand angesichts eines Richterwechsels eine weitere Verhandlungstagsatzung statt. Im Rahmen dieser wurden seitens des Bundesverwaltungsgerichts auch eine Reihe weiterer Beweismittel betreffend die Lage in Afghanistan eingeführt. Dem Beschwerdeführer wurde darin insbesondere auch die Möglichkeit eingeräumt, sich zu seinen bisherigen Angaben in Befragungen im Verfahren, zu aktuellen Entwicklungen seines Lebens in Österreich sowie zur Rückkehrsituation zu äußern.

15. Am 05.11.2019 legte der Beschwerdeführer weitere Beweismittel betreffend Vorgänge seines Lebens in Österreich vor.

II. Feststellungen:

1. Zur Person des Beschwerdeführers:

1.1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, wurde am XXXX in der Provinz Kunduz, im Distrikt Chardarah, geboren und ist auch dort aufgewachsen. Er ist Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und bekennt sich zum Islam sunnitischer Ausrichtung. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Paschtu. Neben Dari spricht der Beschwerdeführer mittlerweile auch ein wenig Deutsch. Er hat sein gesamtes Leben bis zu seiner Ausreise in Afghanistan verbracht, weshalb er mit den in Afghanistan vorherrschenden Traditionen, Gebräuchen und Gepflogenheiten vertraut ist. Auch wenn der Beschwerdeführer über eine lediglich rudimentäre Schulbildung und keine abgeschlossene Schul- oder Berufsausbildung hat, konnte er in der Vergangenheit bereits Berufserfahrung als Verkäufer und in der Landwirtschaft sammeln. Bis kurz vor seiner Ausreise war der Beschwerdeführer Inhaber eines Elektronikwarengeschäftes.

1.2. Der Beschwerdeführer leidet an einer Anpassungsstörung mit einer leichtgradigen depressiven Reaktion. Es ist jedoch von keiner dauerhaften Behandlungsbedürftigkeit auszugehen und ist der Beschwerdeführer in der Lage, die Arbeiten des täglichen Lebens selbstständig durchzuführen. Der Beschwerdeführer ist arbeitsfähig. Im Fall einer Abschiebung nach Afghanistan ist eine kurzfristige bis mittelfristige Verschlechterung des Krankheitsbildes möglich, da in diesem Fall der Wunsch, in Österreich bleiben zu dürfen, nicht erfüllt werden würde. Aus neurologisch-psychiatrischer Sicht besteht im Fall einer Abschiebung aber nicht die reale Gefahr, dass der Beschwerdeführer aufgrund der psychischen Störung in einen lebensbedrohlichen Zustand geraten oder die Krankheit sich in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern könnte. Spezifische medizinische Maßnahmen sind weder vor, während oder nach der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan notwendig. Die eingeleitete medikamentöse antidepressive Therapie sollte aber weitergeführt werden. Zur Behandlung des Krankheitsbildes kommen alle gängigen Antidepressiva unter Beachtung der Nebenwirkungen in Betracht. Eine entsprechende Therapieadaptierung könnte durch einen Arzt in der Heimat durchgeführt werden.

1.3. Der Beschwerdeführer ist mit seiner nach wie vor in Afghanistan lebenden Ehefrau verheiratet. Gemeinsam haben sie fünf Kinder (zwei Söhne und drei Töchter). Die Kinder und Ehefrau des Beschwerdeführers leben derzeit in einem Mietshaus in Jalalabad. Seine Frau hat Grundstücke verkauft. Von dem Erlös lebt die Familie derzeit. Die Familie besitzt noch weitere Grundstücke in Kunduz. Auch von Österreich aus hält der Beschwerdeführer zu seiner noch in Afghanistan lebenden (Kern-)Familie regelmäßig telefonischen Kontakt. Seiner Familie geht es gut. Sie sind wirtschaftlich gut situiert. Die Eltern des Beschwerdeführers sind bereits verstorben. In Kunduz leben noch zwei Schwestern des Beschwerdeführers mit ihren Familien. Ein Cousin mütterlicherseits des Beschwerdeführers lebt in Jalalabad.

1.4. Der Beschwerdeführer verfügt über keine Angehörigen bzw. sonstigen engeren Bezugspersonen in Österreich oder im sonstigen Europa.

2. Zur Antragstellung in Österreich:

Der Beschwerdeführer stelle am 01.07.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

3. Zum individuellen Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers sowie zur Situation im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan:

3.1. Bei Rückkehr nach Afghanistan drohen dem Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine gegen ihn gerichtete Handlungen oder Maßnahmen durch staatliche Organe oder durch Private, sei es vor dem Hintergrund seiner ethnischen Zugehörigkeit, seiner Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung (oder aus anderen Gründen) zu erwarten hätte. Insbesondere droht dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auch noch aktuell eine von den Taliban ausgehende Gefahr.

3.2. Für den Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan ist angesichts dessen eine reale (über die bloße Möglichkeit hinausgehende) Gefahr einer Tötung (einschließlich der Verhängung und/oder Vollstreckung der Todesstrafe) durch den Staat oder tödlicher Übergriffe durch Dritte nicht zu prognostizieren.

3.3. Eine mit der Rückkehr in den Herkunftsstaat verbundene stichhaltige (über die bloße Möglichkeit hinausgehende) Gefahr, der Folter ausgesetzt zu sein oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe unterworfen zu sein, wird ebenso nicht festgestellt:

3.4. Insbesondere wird eine solche reale (über die bloße Möglichkeit hinausgehende) Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung weder im Hinblick auf eine drohende Kettenabschiebung festgestellt, noch im Hinblick auf eine drohende Todesstrafe, noch im Hinblick auf den Gesundheitszustand in Verbindung mit einer Unzulänglichkeit der medizinischen Bedingungen im Herkunftsstaat, noch im Hinblick auf die allgemeinen humanitären Bedingungen im Herkunftsstaat in Verbindung mit der persönlichen Lage des Beschwerdeführers (etwa im Sinne einer existenzgefährdenden Notlage oder des Entzugs der notdürftigsten Lebensgrundlage), noch im Hinblick auf psychische Faktoren, auf Haftbedingungen oder aus anderen Gründen.

3.5. Eine solche mit der Rückkehr in den Herkunftsstaat verbundene Gefahr wird auch nicht im Hinblick auf eine etwaige ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit als Zivilperson im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts festgestellt.

4. Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

4.1. Seit seiner Einreise und der anschließenden Antragstellung am 01.07.2015 ist der Beschwerdeführer als Asylwerber aufhältig und lebt in einer Unterkunft für Asylwerber. Er geht keiner regelmäßigen beruflichen Tätigkeit nach. Er hat kein eigenes Einkommen und bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. Er ist nicht selbsterhaltungsfähig.

4.2. Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.

4.3. Seinen bisherigen Aufenthalt im Bundesgebiet hat der Beschwerdeführer positiv genutzt. So hat er sich ehrenamtlich in der römisch-katholischen Pfarre XXXX in Oberösterreich engagiert und auch regelmäßig am XXXX der katholischen Frauenbewegung XXXX teilgenommen, wo er von den Veranstalterinnen als freundlicher und hilfsbereiter junger Mann wahrgenommen wurde. In den vielen im Verfahren vorgelegten Empfehlungsschreiben werden die positiven Charaktereigenschaften des Beschwerdeführers hervorgehoben. Während seines bisherigen Aufenthaltes im Bundesgebiet hat der Beschwerdeführer auch schon mehrere Deutschkurse besucht und spricht mittlerweile bereits ein wenig Deutsch. Bislang hat der Beschwerdeführer jedoch noch keine Deutschprüfung absolviert. Neben den Mitbewohnern in seiner Asylunterkunft hat der Beschwerdeführer auch mit Österreichern Kontakte geknüpft. Der Beschwerdeführer ist auch wiederkehrend ehrenamtlich für die Stadt Wels in der Seniorenbetreuung tätig.

5. Zur persönliche Situation des Beschwerdeführers bei Rückkehr nach Afghanistan:

Für den Beschwerdeführer besteht die Möglichkeit, staatliche Rückkehrhilfe zu beziehen:

Von 01.01^.2017 bis 31.12.2019 implementiert die Internationale Organisation für Migration (IOM), Landesbüro für Österreich, das Projekt "RESTART II - Reintegrations-unterstützung für Freiwillige Rückkehrer/innen nach Afghanistan und Iran". Das Projekt wird durch den Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der Europäischen Union und das Österreichische Bundesministerium für Inneres kofinanziert.

Im Rahmen des Projekts können Drittstaatsangehörige bei ihrer freiwilligen Rückkehr in die Islamische Republiken Afghanistan und Iran sowie bei ihrer nachhaltigen Reintegration im jeweiligen Herkunftsland unterstützt werden.

Das Projekt sieht die Teilnahme von 490 Personen vor. Pro Haushalt kann nur eine Person teilnehmen.

Die Maßnahmen, die die Rückkehrer/innen bei ihren Reintegrationsbemühungen unterstützen, werden gemeinsam mit den Teilnehmer/innen erarbeitet und sind auf deren individuelle Bedürfnisse und Fähigkeiten abgestimmt.

IOM setzt im Rahmen des Projekts folgende Maßnahmen um:

Rückkehrunterstützung

* Informationsgespräche vor der Abreise in Österreich;

* Möglichkeit der Erhebung der familiären Situation im Rückkehrland im Falle der Rückkehr von unbegleiteten Minderjährigen;

* Logistische Organisation der Reise (inklusive Kauf des Flugtickets);

* Unterstützung bei der Abreise am Flughafen Wien Schwechat;

* Empfang und Unterstützung bei der Ankunft sowie Organisation der Weiterreise zum endgültigen Zielort in Afghanistan und der Islamischen Republik Iran;

* Temporäre Unterkunft nach der Ankunft im Rückkehrland.

Reintegrationsunterstützung

* Beratung der Projektteilnehmer/innen nach der Rückkehr bezüglich ihrer Möglichkeiten unter Berücksichtigung der lokalen Gegebenheiten, ihres Ausbildungs- und beruflichen Hintergrunds und ihrer persönlichen Lebenssituation;

* Finanzielle Unterstützung in Form von Bargeld: EUR 500,- für jede/n Projektteilnehmer/in, um die dringendsten Bedürfnisse direkt nach der freiwilligen Rückkehr in das Herkunftsland abzudecken;

* Unterstützung in Form von Sachleistungen wie

* Unterstützung bei Gründung von oder Beteiligung an einem Unternehmen (z.B. Kauf von Ausstattung, Waren);

* Aus- und Weiterbildung;

* Unterkunft;

* Unterstützung für Kinder;

* Medizinische Unterstützung

* Leitfaden zur Unternehmensgründung und Weitervermittlung zu kostenlosen Business Trainings.

6. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

6.1. Zur allgemeinen Lage in Afghanistan:

6.1.1. Sicherheitslage

Laut UNAMA haben sich die Kämpfe 2018 vor allem im Osten, Südosten und in einigen Gebieten im Süden verstärkt. Die Taliban "erzielten territoriale Gewinne in dünn besiedelten Gebieten und entwickelten ihre Positionen in Gebieten, die seit Jahren keine Kämpfe mehr erlebt hatten". Im Dezember 2018 wurde berichtet, dass alle Provinzzentren unter der Kontrolle oder dem Einfluss der afghanischen Regierung standen, doch im Laufe des Jahres 2018 war es den Taliban gelungen, mehrere Bezirkszentren vorübergehend einzunehmen. Im Zusammenhang mit Afghanistan engagieren sich alle Konfliktparteien in Aktivitäten, die (wahllos) Zivilpersonen betreffen. Laut UNAMA-Berichterstattung waren im Jahr 2018 63 % der zivilen Opfer auf AGEs zurückzuführen, 37 % auf die Taliban und 20 % auf die ISKP. Im Jahr 2018 setzte die Altersgruppe verstärkt auf Selbstmord und komplexe Angriffe und verlagerte ihre Zielvorgaben immer mehr auf die Zivilbevölkerung. UNAMA führte 24 % der zivilen Opfer im Jahr 2018 auf regierungsfreundliche Kräfte zurück. Ein Anstieg der Zahl der zivilen Opfer, die den regierungsfreundlichen Kräften zugerechnet werden, um 24 % wurde hauptsächlich durch einen erheblichen Anstieg der zivilen Opfer aus Luftoperationen internationaler Streitkräfte und aus Suchaktionen des ANSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppen verursacht. Im Jahr 2018 dokumentierte die UNAMA insgesamt 10 993 zivile Opfer als Folge des bewaffneten Konflikts, darunter 3 804 zivile Todesopfer. Dies stellt einen Anstieg gegenüber 10 459 zivilen Opfern dar, darunter 3 440 zivile Todesopfer im Jahr 2017.

Einige spezifische Trends, die 2018 beobachtet wurden, beinhalten: Wahlgewalt, vor allem durch die Taliban: Seit Beginn der Wählerregistrierung am 14. April 2018 bis Ende des Jahres hat die UNAMA 1 007 wahlbezogene zivile Opfer (226 Tote und 781 Verletzte) verifiziert. hochkarätige Angriffe, die zu einer hohen Zahl ziviler Opfer führten, vor allem in der Hauptstadtregion: Die Taliban führten zusammen mit anderen militanten Gruppen weiterhin hochkarätige Angriffe durch, vor allem in der Hauptstadtregion. erhöhte Intensität der ISKP-Angriffe: ISKP erhöhte 2018 die Häufigkeit und Intensität seiner Angriffe, insbesondere im Osten. Die Mehrheit der ISKP-Angriffe auf religiöse Stätten zielte angeblich auf schiitische Gemeinschaften.

(Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem EASO Country of Origin Information Report Afghanistan, Security Situation Juni 2019", abrufbar unter: https://www.easo.europa.eu/information-analysis/country-origin-information/country-reports, abgerufen am 15.11.2019 [in Folge "EASO-Bericht Sicherheitslage Juni 2019"], Abschnitte 1.1.1., 1.2.1., 1.2.2., 1.3.3. 1.4.1., 1.2.2.2, 1.5.1.,1.3.)

6.1.2. Regierungsfeindliche Gruppierungen

Allgemeines

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden: das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus.

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen. Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren. Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet.

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird.

Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk Bewegungsfreiheit in Pakistan. Die Gründe dafür sind verschiedene: das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten.

Taliban

Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht. Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden. Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren. Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen.

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurde. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen.

Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans. Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten. Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand. Die ANDSF haben, unterstützt durch US-amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten. Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld - insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vgl. Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten: Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friedens-Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala zu abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden.

Die Taliban geben im Kurznachrichtendienst Twitter Angaben zu ihren Opfern oder Angriffen. Ihre Angaben sind allerdings oft übertrieben. Auch ist es sehr schwierig Ansprüche und Bekennermeldungen zu verifizieren - dies gilt sowohl für Taliban als auch für den IS.

(Auszüge aus dem LIB, Abschnitt. 3. "Sicherheitslage")

6.1.3. Grundversorgungs- und Wirtschaftslage:

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu.

Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich 6% prognostiziert. Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die andauernde Unsicherheit die privaten Investitionen und die Verbrauchernachfrage einschränkt. Während der Agrarsektor wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen im Jahr 2017 nur einen Anstieg von ungefähr 1.4% aufwies, wuchsen der Dienstleistungs- und Industriesektor um 3.4% bzw. 1.8%. Das Handelsbilanzdefizit stieg im ersten Halbjahr 2017, da die Exporte um 3% zurückgingen und die Importe um 8% stiegen.

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus dem LIB, Abschnitt 21. "Grundversorgung und Wirtschaft")

6.1.4. Rechtsschutz und Justizwesen in Afghanistan:

Im Bereich des Rechtsschutzes und des Justizwesens in Afghanistan gibt es legislative Fortschritte; dennoch gibt es keine einheitliche und korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen und werden Dispute überwiegend außerhalb des formellen Justizsystems gelöst. Das formale Justizsystem ist in den städtischen Zentren relativ stark verankert, in den ländlichen Gebieten aber schwächer ausgeprägt. Dem Justizsystem mangelt es an Leistungsfähigkeit, teils mangels qualifizierten Personals (insbesondere in ländlichen Gebieten), teils wegen der eingeschränkten Zugänglichkeit von Gesetzestexten; die Situation bessert sich jedoch. Innerhalb des Gerichtswesens ist auch Korruption vorhanden und sind Richterinnen und Richter und Anwältinnen und Anwälte oftmals Ziel von Bedrohung oder Bestechung durch lokale Anführer oder bewaffnete Gruppen.

(Zusammenfassung aus dem LIB, Abschnitt 4. "Rechtsschutz/Justizwesen")

6.1.5. Sicherheitsbehörden in Afghanistan:

Im Zeitraum 2011 - 2014 wurde die Verantwortung für die Sicherheitsoperationen in Afghanistan schrittweise auf die afghanischen Sicherheitskräfte (ANSF) übertragen. Die ANSF setzt sich aus staatlichen Sicherheitskräften zusammen, darunter die afghanische Nationalarmee (ANA), die afghanische Luftwaffe (AAF), die afghanische Nationalpolizei (ANP), die afghanische lokale Polizei (ALP) und das National Directorate for Security (NDS), welches als Geheimdienst fungiert.

Die Wirksamkeit der afghanischen Streitkräfte hängt nach wie vor von der internationalen Unterstützung ab, um die Kontrolle über das Territorium zu sichern und zu behalten und die operative Kapazität zu unterstützen.

Die Polizeipräsenz ist auch in den Städten stärker und die Polizeibeamten sind verpflichtet, Richtlinien wie den ANP-Verhaltenskodex und die Richtlinien zum Einsatz von Gewalt einzuhalten. Die Reaktion der Polizei wird jedoch als unzuverlässig und inkonsistent bezeichnet, die Polizei hat eine schwache Ermittlungskapazität, es fehlt an forensischer Ausbildung und technischem Wissen. Der Polizei wird auch weit verbreitete Korruption, Gönnerschaft und Machtmissbrauch vorgeworfen: Einzelpersonen in den Institutionen können ihre Machtposition missbrauchen und Erpressung zur Ergänzung ihres niedrigen Einkommens einsetzen. Es kam weiterhin zu willkürlichen Verhaftungen und Inhaftierungen durch die Polizei, und Folter ist bei der Polizei endemisch. Untätigkeit, Inkompetenz, Straffreiheit und Korruption führen zu Leistungsschwächen.

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem Country Guidance: Afghanistan, Juni 2019 [in Folge: "EASO-Länderleitfaden Afghanistan"], des European Asylum Support Office [in Folge: "EASO"], abrufbar https://www.easo.europa.eu/country-guidance, abgerufen 16.10.2019, S. 122 mit Verweis auf weitere Quellen)

6.1.6. Folter und unmenschliche Behandlung:

Laut den Artikeln 29 und 30 der afghanischen Verfassung ist Folter verboten. Aussagen und Geständnisse, die durch Zwang erlangt wurden, sind ungültig. Auch ist Afghanistan Vertragsstaat der vier Genfer Abkommen von 1949, des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) sowie des römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC). Am 22. April 2017 genehmigte die afghanische Regierung ein neues Anti-Folter-Gesetz und erweiterte das im ursprünglichen Strafgesetzbuch enthaltene Folterverbot. Das neue Gesetz bezieht sich jedoch nur auf Folterungen, die im Rahmen des Strafrechtssystems erfolgt sind, und nicht eindeutig auf Misshandlungen, die von militärischen sowie anderen Sicherheitskräften verübt werden. Fehlende Regelungen zur Entschädigung von Folteropfern wurden im August 2017 durch ein entsprechendes Addendum ergänzt.

Trotz dieser Vorgaben gibt es zahlreiche Berichte über Misshandlungen durch Regierungsbeamte, Sicherheitskräfte, Gefängnispersonal und Polizei. Quellen zufolge wenden die Sicherheitskräfte weiterhin exzessive Gewalt an, einschließlich Folter und Gewalt gegen Zivilisten. Personen, die im Rahmen des bewaffneten Konflikts festgenommen wurden, werden insbesondere während des ersten Verhörs gefoltert, um Geständnisse zu erhalten.

Im Zuge einer Befragung gaben für den Zeitraum 1.1.2015 - 31.12.2016 181 (39%) von 469 befragten Personen an, von den afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräften (ANDSF) gefoltert worden zu sein. Auch 38 (45%) von 85 befragten Kinder gaben an im Berichtszeitraum Opfer von Folter oder Missbräuchen geworden zu sein. Die meisten Misshandlungen fanden unter der Obhut des National Directorate of Security (NDS) und der afghanischen Nationalpolizei statt (ANP).

Zwei Jahre nach der Verlautbarung des Nationalplans von 2015 zur Eliminierung der Folter durch die afghanische Regierung, hat diese einige dauerhafte Fortschritte gemacht, insbesondere auf der Gesetzesebene. Zahlreiche im Nationalplan eingegangene Hauptverpflichtungen wurden jedoch nur teilweise verwirklicht

(Zusammenfassung aus dem LIB, Abschnitt 6. "Folter und unmenschliche Behandlung durch den afghanischen Staat")

6.1.7. Binnenflüchtlinge:

Zwischen 1.1.2018 und 15.5.2018 wurden 101.000 IDPs registriert. 23% davon sind erwachsene Männer, 21% erwachsene Frauen und 55% minderjährige Kinder.

Größtenteils stammen IDPs aus unsicheren ländlichen Gebieten und kleinen Städten und suchen relativ bessere Bedingungen in größeren Gemeinden und Städten innerhalb derselben Provinz. Mit Stand Dezember 2017 lebten 54% der Binnenvertriebenen in den afghanischen Provinzhauptstädten, was zu weiterem Druck auf bereits überlastete Dienstleistungen und Infrastrukturen führt.

Die Binnenflüchtlinge leben mehrheitlich in prekären Bedingungen, der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und wirtschaftlicher Teilhabe ist stark eingeschränkt. Ein Großteil ist auf humanitäre Hilfe angewiesen, für welche es jedoch lediglich einen begrenzten Zugang gibt. Aufgrund des Mangels an landwirtschaftlichem Besitz und Vermögen brauchen mehr als 80% der Binnenvertriebenen Nahrungsmittelhilfe. Die afghanische Regierung kooperierte mit dem UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um den Betroffenen Schutz und Unterstützung zu bieten.

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus dem LIB, Abschnitt 20. "Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge")

6.1.8. Zu den Rückkehrern nach Afghanistan:

Als Rückkehrer/innen werden jene afghanische Staatsbürger/innen bezeichnet, die nach Afghanistan zurückgekehrt sind, nachdem sie mindestens sechs Monate im Ausland verbracht haben. Dazu zählen sowohl im Ausland registrierte Afghan/innen, die dann die freiwillige Rückkehr über UNHCR angetreten haben, als auch nicht-registrierte Personen, die nicht über UNHCR zurückgekehrt sind, sondern zwangsweise rückgeführt wurden. Insgesamt sind in den Jahren 2012-2017 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt und war Nangarhar jene Provinz, die die meisten Rückkehrer/innen zu verzeichnen hatte (499.194); zweimal so viel wie Kabul (256.145). Im Jahr 2017 kehrten IOM zufolge insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück (sowohl freiwillig, als auch zwangsweise) (IOM 2.2018). Im Jahr 2018 kehrten mit Stand 21.3. 1.052 Personen aus angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (759 davon kamen aus Pakistan). Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück.

Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten.

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung.

Unterschiedliche Organisationen sind für Rückkehrer/innen unterstützend tätig:

IOM (internationale Organisation für Migration) bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an (Assisted Voluntary Return and Reintegration - AVRR). In Österreich wird das Projekt Restart II seit 1.1.2017 vom österreichischen IOM-Landesbüro implementiert, welches vom österreichischen Bundesministerium für Inneres und AMIF (dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU) mitfinanziert wird. Im Zuge dieses Projektes können freiwillige Rückkehrer/innen nach Afghanistan und in den Iran, nachhaltig bei der Reintegration in ihr Herkunftsland unterstützt werden. In Kooperation mit Partnerinstitutionen des European Reintegration Network (ERIN) wird im Rahmen des ERIN Specific Action Program, nachhaltige Rückkehr und Reintegration freiwillig bzw. zwangsweise rückgeführter Drittstaatangehöriger in ihr Herkunftsland implementiert. IRARA (International Returns & Reintegration Assistance) eine gemeinnützige Organisation bietet durch Reintegrationsdienste nachhaltige Rückkehr an. ACE (Afghanistan Centre for Excellence) ist eine afghanische Organisation, die Schulungen und Arbeitsplatzvermittlung anbietet. AKAH (Aga Khan Agency for Habitat) ist in mehreren Bereichen tätig, zu denen auch die Unterstützung von Rückkehrer/innen zählt. Sowohl ACE als auch AKAH sind Organisationen, die im Rahmen von ERIN Specific Action Program in Afghanistan tätig sind. AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation) bietet zwangsweise zurückgekehrten Personen aus Europa und Australien Beratung und Unterstützung an. Unter anderem betreibt AMASO ein Schutzhaus, welches von privaten Spendern finanziert wird.

UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission). UNHCR und die Weltbank haben im November 2017 ein Abkommen zur gemeinsamen Datennutzung unterzeichnet, um die Reintegration afghanischer Rückkehrer/innen zu stärken. UNHCR leitet Initiativen, um nachhaltige Lösungen in den Provinzen Herat und Nangarhar zu erzielen, indem mit nationalen Behörden/Ministerien und internationalen Organisationen (UNICEF, WHO, IOM, UNDP, UN Habitat, WFP und FAO) zusammengearbeitet wird. Diese Initiativen setzen nationale Pläne in gemeinsame Programme in jenen Regionen um, die eine hohe Anzahl an Rückkehrer/innen und Binnenvertriebenen vorzuweisen haben.

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO. Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden.

Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung

Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft. Seit 2016 erhalten die Rückkehr/innen nur Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (siehe Jangalak-Aufnahmezentrum). Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen.

Die Rolle unterschiedlicher Netzwerke für Rückkehrer/innen

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Quellen zufolge haben aber alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können.

Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen.

Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken (Kolleg/innen, Kommilitonen etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden.

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem LIB, Abschnitt 23. "Rückkehr")

6.2. Lage in der Heimatprovinz bzw. dem Heimatdistrikt des Beschwerdeführers:

Aktuelle Sicherheitslage

Kunduz liegt im Norden Afghanistans und ist in 10 Distrikte unterteilt, darunter drei temporäre Distrikte. Die Provinz grenzt an Takhar, Baghlan, Balkh und teilt eine internationale Grenze mit Tadschikistan. Ein Teil der asiatischen Autobahn AH-7 von Kabul aus führt durch die Provinzen Parwan und Baghlan und verbindet Kabul mit Kunduz und dem Grenzübergang nach Tadschikistan. Eine starke Präsenz aufständischer Gruppen, insbesondere der Taliban, wurde in fast allen Teilen der Provinz Kundus gemeldet. Laut LWJ werden die Bezirke Qala-e-Zal, Aqtash, Kalbad und Gul Tapa als unter Taliban-Kontrolle eingestuft, die anderen Bezirke als umstritten. Es wird berichtet, dass die Taliban in Dasht-e-Archi eine parallele Schattenregierung gebildet haben. ISKP soll sich in den nördlichen Provinzen Afghanistans, darunter auch in Kundus, niedergelassen haben. Darüber hinaus ist eine aufständische Gruppe namens Jabha-ye Qariha, die als Militärflügel von Jundullah bekannt ist, angeblich im Bezirk Dasht-e-Archi aktiv, der mit den Taliban verbündet ist. Es wird auch über die Anwesenheit von ausländischen Kämpfern in der Provinz berichtet. Laut GIM wurden im Zeitraum Januar 2018 - Februar 2019 167 Vorfälle im Zusammenhang mit Aufständischen gemeldet (durchschnittlich 2,8 Vorfälle pro Woche). Beispiele für Vorfälle sind militärische Operationen sowie Luftangriffe afghanischer Sicherheitskräfte, die in der Provinz zahlreiche zivile Opfer forderten. Die afghanische Luftwaffe zum Beispiel setzte mehrere Raketen frei und feuerte schwere Maschinengewehre ab, was 107 Tote forderte, von denen 81 Kinder waren. Es wurden Angriffe von aufständischen Gruppen, insbesondere der Taliban, sowie Kämpfe um die Territorialkontrolle gemeldet. Darüber hinaus gehörte Kundus zu den Provinzen mit der höchsten Gewaltbereitschaft der Taliban bei den Parlamentswahlen 2018: In den meisten Teilen der Provinz, auch innerhalb der Stadt, wurde über Bombardierungen in Wahllokalen berichtet, die Freiwillige und Wähler der Unabhängigen Wahlkommission töteten und verletzen. UNAMA dokumentierte im Jahr 2018 337 zivile Opfer (105 Tote und 232 Verletzte), was 31 zivile Opfer pro 100 000 Einwohner entspricht. Das ist ein Rückgang von 11 % gegenüber 2017. Die Hauptursachen für die zivilen Opfer waren Bodenverbände, gefolgt von Luftangriffen und (Selbstmord-)IEDs. Kundus war eine der drei Provinzen, die die meisten konfliktbedingten Vertreibungen erlebten. Im Zeitraum vom 1. Januar 2018 bis 28. Februar 2019 wurden 48 741 Personen aus der Provinz Kunduz vertrieben, die meisten davon innerhalb der Provinz selbst. Nach Angaben humanitärer Akteure verhindert das Ausmaß der durch Luftangriffe verursachten Schäden an der zivilen Infrastruktur und den Häusern die mögliche Rückkehr von vertriebenen Familien. In der Karte der Konfliktschwere 2018 stuft UNOCHA die Bezirke Emamsaheb, Dasht-eArchi, Chardarah und Kunduz in die höchste Kategorie und die Bezirke Qala-e-Zal und Khanabad in die zweithöchste Kategorie ein. Der Bezirk Aliabad wird in die dritte Kategorie eingeordnet. Weitere Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung haben beispielsweise die Taliban, die in Dast-e-Archi eine parallele Schattenregierung bilden, zu der ein Governor, ein Bildungs-, Justiz-, Gesundheits-, Öffentlichkeits-, Militär- und Finanzausschuss gehören. Auch in einigen Gebieten der Provinz Kunduz wurde über einen eingeschränkten Schulzugang aufgrund von Taliban-Aktivitäten berichtet (Wiedereröffnung im April 2018). In Qala-e-Zal, Gultepa und Gulbad fand die Abstimmung wegen hoher Sicherheitsrisiken nicht statt. Intensive Taliban-Angriffe in den Bezirken Khanabad und Emamsaheb schränkten ebenfalls die Wahl ein.

(Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem EASO-Bericht Sicherheitslage Juni 2019, Abschnitt 2.20.)

6.3. Lage in der Stadt Mazar-e Sharif:

6.3.1. Allgemeines:

Mazar-e Sharif ist die Provinzhauptstadt der Provinz Balkh, die sich im Norden Afghanistans befindet. Die Bevölkerung von Balkh ist heterogen, wobei Tadschiken und Paschtunen die größten Gruppen bilden, gefolgt von Usbeken, Hazara, Turkmenen, Arabern und Belutschen. Die Bevölkerung Mazar-e Sharifs wurde im Jahr 2017/2018 auf rund 428.000 geschätzt und zeichnet sich durch ihre ethnische und sprachliche Vielfalt aus.

Mazar-e Sharif ist als Wirtschaftszentrum des Nordens bekannt und zieht Wirtschaftsmigranten aus ländlichen Gebieten mit seinen Arbeitsmöglichkeiten und seiner relativen Sicherheit an. Als "regionaler Anziehungspunkt im Norden" nahm die Provinz Balkh Migranten vor allem aus den Nordprovinzen Samangan, Sar-e Pul, Jawzjan und Faryab auf. Laut Daten des IOM hatte die Provinz bis Juni 2018 109 845 Rückkehrer, was die fünftgrößte Zahl unter den afghanischen Provinzen war. Laut einer CSO-Umfrage von 2015 sind etwa 38% der Bevölkerung von Mazar-e Sharif Migranten, die überwiegend aus anderen afghanischen Provinzen stammen und nur 17 % Rückkehrer aus dem Ausland. Laut einer UNHCR-Feldstudie von 2018 war die Zahl der Rückkehrer aus dem Iran und anderen Ländern in Mazar-e Sharif sehr gering. Die meisten derjenigen, die aus dem Iran zurückkehrten, waren Berichten zufolge Studenten, die für einen kurzen Zeitraum zurückkehrten, um die notwendigen Unterlagen zu erhalten, und dann in den Iran zurückkehrten, um ihre Ausbildung fortzusetzen. Der UNHCR dokumentierte 466 Flüchtlingsrückkehrer in die Provinz Balkh im Jahr 2018.

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem ACCORD-Bericht "Afghanistan: Entwicklung der wirtschaftlichen Situation, der Versorgungs- und Sicherheitslage in Herat, Mazar-e Sharif (Provinz Balkh) und Kabul 2010-2018" vom [in Folge: "ACCORD-Bericht Versorgungs- und Sicherheitslage"], abrufbar unter: https://www.ecoi.net/en/document/2001546.html#alert, abgerufen am 16.10.2019, S. 6 und 13 und dem EASO Country of Origin Information Report Afghanistan, Key socio-economic indicators. Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City, April 2019 [in Folge: "EASO-Bericht Sozioökonomie"], abrufbar unter: https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/EASO_COI_Afghanistan_KSEI_April_2019.pdf, abgerufen am 16.10.2019, Abschnitt 1.1.3. und 1.2.3.)

Mazar-e Sharif gilt als regionaler Handelsplatz für Nordafghanistan und auch als Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, die Kunsthandwerk, Teppiche und Teppiche anbieten. Mazar-e Sharif war laut Analyst Foschini relativ stabiler als Herat oder Kabul. Die größte Gruppe der Beschäftigten in der Stadt waren Service- und Vertriebsmitarbeiter (23,1 %), gefolgt von Managern/Berufstätigen/Technikern und Kaufleuten (20,9 %). Mazar-e Sharif ist auch eine der Städte in Afghanistan, in denen das Afghanistan New Market Development Project (ANMDP) durchgeführt wird. Das Projekt, das sich auf Herat, Kabul und Jalalabad erstreckt, unterstützt auch kleine und mittlere Unternehmen und Wirtschaftsverbände beim Zugang zu Dienstleistungen der Unternehmensentwicklung. Von seinem Start im Jahr 2013 bis September 2016 umfasste es 145 Organisationen in der Provinz Balkh, darunter eine lokale Pasteurisierungsfabrik in Mazar-e Sharif.

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem EASO-Bericht Sozioökonomie, Abschnitt 4.2.1.)

6.3.2. Sicherheitslage:

Die Balkh-Provinz liegt im nördlichen Teil Afghanistans, an der internationalen Grenze zu Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan und grenzt an Kunduz, Baghlan, Samangan, Sar-e Pul und Jawzjan. Es besteht aus 15 Bezirken. Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Das Machtmonopol auf dem Balkan lag lange Zeit bei dem ehemaligen Kriegsherrn Atta Mohammed Noor, der später Gouverneur des Balkans wurde, aber im Dezember 2017 nach einem Streit mit Präsident Ghani zurücktrat. Die Mehrheit der Bezirke auf dem Balkh wird vom LWJ als unter staatlicher Kontrolle oder unbestimmt eingestuft, wobei zwei Bezirke als umstritten und ein Bezirk als unter talibanischer Kontrolle eingestuft werden. Laut GIM wurden im Zeitraum Januar 2018 bis Februar 2019 131 Vorfälle im Zusammenhang mit Aufständischen gemeldet (durchschnittlich 2,2 Vorfälle pro Woche). Während der Balkan angeblich eine der stabilsten Provinzen Afghanistans ist, sind in der Provinz regierungsfeindliche Elemente aktiv und es wurden 2018 und Anfang 2019 Sicherheitsvorfälle gemeldet. Taliban-Kämpfer haben während des gesamten Jahres 2018 und Anfang 2019 ALP-Personal, Mitglieder regierungsfreundlicher Milizen und Sicherheitsdienste in den Bezirken Sholgareh, Chahrbulak, Chemtal und Dawlatabad angegriffen. Die ANSF führte mehrere Clearing-Operationen in Balkh durch. Darüber hinaus führte die US-Luftwaffe im April 2018 einen Luftangriff im Bezirk Charbulak durch. Weitere Beispiele für Vorfälle sind eine Bombenexplosion am Straßenrand im Bezirk Sholgareh, die Entführung von Reisenden durch die Taliban, die Entführung und Ermordung von Wahlbeobachtern. UNAMA dokumentierte 2018 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte), was 16 zivile Opfer pro 100.000 Einwohner entspricht. Das ist eine Steigerung von 76 % gegenüber 2017. 99 zivile Opfer wurden durch Bodenverpflichtungen in der Balkh-Provinz verursacht, was einem Anstieg von 296% gegenüber 2017 entspricht. Die Hauptursachen für die zivilen Opfer waren Bodenverbände, gefolgt von (Selbstmord-)IEDs und gezielten Morden. Im Zeitraum vom 1. Januar 2018 bis 28. Februar 2019 wurden 1 218 Personen aus der Provinz Balkh vertrieben, alle innerhalb der Provinz selbst. Im gleichen Zeitraum wurden 17 539 Personen in die Provinz Balkh vertrieben, hauptsächlich aus den Provinzen Faryab und Sar-e-Pul. In der Karte zur Darstellung der Konfliktstärke 2018 stuft UNOCHA die Bezirke Chemtal, Charbulak, Balkh und Mazar-e Sharif in die zweithöchste Kategorie ein. Die übrigen Bezirke werden in die unteren Kategorien eingeordnet.

Mazar-e Sharif ist die Provinzhauptstadt von Balkh. Seine Bevölkerung wird offiziell mit 454 457 gemeldet. Balkh - und genauer gesagt Mazar-e Sharif - wird als Kreuzung der Seidenstraße bezeichnet und ist ein Import-/Exportzentrum sowie ein regionales Handelszentrum. In Mazar-e Sharif befindet sich ein Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen.

Der Rücktritt von Atta Mohammed Noor als Gouverneur von Balkh im Dezember 2017 soll zu einer Zunahme krimineller Aktivitäten wie bewaffneter Raubüberfälle, Mord, Zusammenstöße und Entführungen in Mazar-e Sharif geführt haben. Der Bezirk der Hauptstadt wird von der LWJ als staatlich kontrolliert eingestuft. Im Zeitraum vom 1. Januar 2018 bis 28. Februar 2019 wurde keine konfliktbedingte Vertreibung von Mazar-e Sharif gemeldet, und 3 108 Personen wurden in die Stadt verlegt. UNOCHA ordnet den Bezirk Mazar-e Sharif in die zweithöchste Kategorie der Konfliktstärke ein.

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen EASO-Bericht Sicherheitslage Juni 2019, Abschnitt 2.5)

Die UNAMA dokumentiert in seinem im Februar 2018 erschienenen Jahresbericht für das Jahr 2017 in der Provinz Balkh 129 zivile Opfer (52 Getötete und 77 Verletzte). Dies komme einem Rückgang von 68 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gleich. USBVs, Bodeneinsätze und Blindgänger bzw. Landminen seien bezüglich dieser Opferzahlen für die Provinz Balkh die häufigsten Arten von Vorfällen.

UNHCR gibt in einem Gespräch vom November 2018 zur Lage in Mazar-e Sharif und der Provinz Balkh an, dass die afghanischen Sicherheitskräfte stark an sogenannten Räumungsoperationen beteiligt seien. Derzeit richte sich die laufende Räumungsaktion gegen die Präsenz der regierungsfeindlichen Elemente in den nahe der Hauptstraße von Mazar-e Sharif liegenden Dörfern, die die einzige Verbindung zwischen der Stadt und den anderen Provinzen sei. Es gebe einen sich ändernden Trend in der üblichen Vorgehensweise der regierungsfeindlichen Elemente. In den Jahren 2016 und 2017 hätten sie diese Gebiete im Frühjahr und Sommer kontrolliert, hätten sich jedoch in der Regel im Winter wieder aus dem Distrikt Chimtal zurückgezogen. Nun würden sie ihr Möglichstes tun, um ihre Präsenz im zuvor dazugewonnenen Gebiet in der Nähe Mazar-e Sharifs beizubehalten. Es werde erwartet, dass es in der nördlichen Region zu einer Zunahme an Militäroperationen von afghanischen Sicherheitskräften und der von der NATO geführten Beratungs- und Unterstützungsmission Resolute Support Mission kommen werde.

SIGAR schätzt laut Quartalsbericht vom Oktober 2018 die Stabilität der Distrikte der Provinz Balkh mit Stand 31. Juli 2018 wie folgt ein: Die beiden Distrikte Chahar Bolak und Chimtal seien "umkämpft", alle übrigen befänden sich unter der "Kontrolle der afghanischen Regierung".

Für das Jahr 2018 wurden bislang unter anderem folgende Vorfälle dokumentiert: Laut einem Artikel der PAN seien am 24. Mai 2018 in Mazar-e Sharif bei einem Angriff bewaffneter Männer auf einen Polizeikonvoi zwei Personen (darunter ein Gefangener) getötet und sieben weitere Gefangene entführt worden; ACLED dokumentiert für diesen Vorfall nur eine getötete Person. ACLED inkludiert einen weiteren Vorfall vom 22. Juli 2018 in seine Zahlen, bei dem Kämpfer der Taliban einen Polizei-Checkpoint in Mazar-e Sharif überrannt hätten. Dabei seien fünf Polizisten und ein Taliban-Mitglied getötet und neun weitere Polizisten verletzt worden. PAN berichtet von einem Vorfall vom 1. September 2018, bei dem ein Imam in Mazar-e Sharif von bewaffneten Männern erschossen worden sei.

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem ACCORD-Bericht Versorgungs- und Sicherheitslage, S. 205f, 209, 222f sowie aus dem ACCORD-Bericht "Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat Masar-e Scharif vom 27.06.2019, abrufbar unter: https://www.ecoi.net/de/laender/afghanistan/themendossiers/sicherheitslage-und-soziooekonomische-lage-in-herat-und-masar-e-scharif/, abgerufen am 16.10.2019)

6.3.3. Erreichbarkeit von Österreich:

Der Flughafen Mazar-e Sharif (MZR) liegt neun Kilometer östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Dieser Flughafen bietet nationale und internationale Flüge an. Für den Flughafen in Mazar-e Sharif wurden keine Beispiele für Vorfälle gemeldet.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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