Entscheidungsdatum
27.12.2019Norm
AsylG 2005 §9 Abs1Spruch
W270 2212666-1/14E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Dr. GRASSL über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 21.12.2018, Zl. XXXX , betreffend Aberkennung subsidiären Schutzes nach dem AsylG 2005:
A)
Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die belangte Behörde zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. In Ansehung einer Mitteilung über eine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung leitete die belangte Behörde von Amts wegen gegen XXXX (in Folge: "Beschwerdeführer") ein Verfahren zur Aberkennung des Status als subsidiär Schutzberechtiger ein.
2. Am 19.12.2018 vernahm die belangte Behörde den Beschwerdeführer ein und befragte ihn u.a. zu Familienangehörigen in Afghanistan, zu den Umständen seines Lebens in Österreich und zu möglichen Gründen, welche einer Aberkennung des Schutzstatus bzw. Rückkehr in das Herkunftsland entgegenstehen könnten.
3. Mit Bescheid vom 21.12.2018 erkannte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer den ihm mit Bescheid vom 30.05.2017 zuerkannten Status als subsidiär Schutzberechtigten ab, entzog ihm eine erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei und die Frist für dessen freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage. Die Behörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, dass sich die Umstände des Beschwerdeführers geändert haben, weil er zwischenzeitig volljährig geworden sei.
4. Der Beschwerdeführer zog den Bescheid vollumfänglich in Beschwerde und führte dazu im Wesentlichen aus, dass aufgrund der Lage in Afghanistan weiterhin die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes vorliegen.
5. Das Bundesverwaltungsgericht wurde im Laufe des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens von der belangten Behörde darüber in Kenntnis gesetzt, dass gegenüber dem Beschwerdeführer die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet wurde.
II. Feststellungen:
1. Zur Person des Beschwerdeführers:
1.1. Der Beschwerdeführer trägt den Namen XXXX , wurde am XXXX geboren und ist afghanischer Staatsangehöriger.
1.2. Mit Urteil vom XXXX , Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen der Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt und des Vergehens der schweren Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten, diese bedingt nachgesehen unter einer Probezeit von drei Jahren, verurteilt.
1.3. Mit Urteil des Geschworenengerichts beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom XXXX , Zl. XXXX , wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer Taten begangen habe, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind und ihm, wäre er zurechnungsfähig gewesen, als die Verbrechen der absichtlich schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs. 1 und 87 Abs. 1 StGB zuzurechnen wären und derentwegen er nur wegen seines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands nicht bestraft werden kann. Ebenso wurde in dieser Entscheidung die Unterbringung des Beschwerdeführers in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 1 StGB angeordnet.
2. Zuerkennung subsidiären Schutzes und Erteilung befristeter Aufenthaltsberechtigungen:
2.1. Mit Bescheid vom 30.05.2017, Zl. XXXX , wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 i.V.m. § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Ebenso erteilte die Behörde dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 30.05.2018 Auf S. 18 des Bescheids führte die belangte Behörde begründend vor dem Hintergrund des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 u.a. aus, dass im Fall des Beschwerdeführers nicht von einer realen Gefahr einer Bedrohung auszugehen war, da für ihn selbst von der gesetzlichen Vertretung keine eigenen Flucht- und Asylgründe vorgebracht wurden (S. 18). Jedoch liege in Fall des Beschwerdeführers ein Familienverfahren vor. So sei der Mutter des Beschwerdeführers mit Bescheid ebenfalls vom 30.05.2017 der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden, sodass der Beschwerdeführer auch den gleichen Schutz erhalte.
2.2. Mit Bescheid vom 18.07.2018, Zl. XXXX , erteilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 30.05.2020.
3. Zum angefochtenen Bescheid:
Der angefochtene Bescheid enthält bezogen auf die persönlichen Umstände der Mutter des Beschwerdeführers nur die Sachverhaltsfeststellung, dass diese mit dem Beschwerdeführer in einer Mietwohnung in Wien lebe und von diesem nicht abhängig sei (S. 10 des angefochtenen Bescheids).
III. Beweiswürdigung:
Die Sachverhaltsfeststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu dessen strafgerichtlicher Verurteilung wie auch zur Zuerkennung subsidiären Schutzes, den erteilten befristeten Aufenthaltsberechtigungen sowie den zur Mutter des Beschwerdeführers im angefochtenen Bescheid ergangenen Feststellungen ergeben sich zweifelsfrei aus den vorgelegten Verfahrensakten des verwaltungsbehördlichen Verfahrens. Diese Tatsachen blieben auch in der Beschwerde vollkommen unbestritten.
IV. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Zur Aufhebung des angefochtenen Bescheids und Zurückverweisung an die belangte Behörde zur weiteren Ermittlungstätigkeiten und Erlassung eines neuen Bescheids
1. Maßgebliche Rechtslage
1.1. Die §§ 9 und 34 AsylG 2005 lauten auszugsweise samt jeweils ihren Überschriften:
"Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten
§ 9. (1) Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn
1. die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen;
2. er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat oder
3. er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen neuen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(2) Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn
1. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt;
2. der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder
3. der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.
In diesen Fällen ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(3) ... (4) ...."
"Familienverfahren im Inland
§ 34. (1) Stellt ein Familienangehöriger von
1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;
2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder
3. einem Asylwerber
einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.
(2) ...
(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn
1. dieser nicht straffällig geworden ist;
2. ...
3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 9) und
4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.
(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.
(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.
(6) ...."
1.2. Gemäß § 18 Abs. 1 AsylG 2005 haben das Bundesamt und das Bundesverwaltungsgericht in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.
1.3. § 28 VwGVG 2014 lautet auszugsweise:
"§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist."
2. Anwendung auf den gegenständlichen Fall:
Wesentliche Bescheidbegründung und wesentliches Beschwerdevorbringen
2.1. Die belangte Behörde geht in ihrer Begründung des angefochtenen Bescheids auf das Wesentliche zusammengefasst davon aus, dass sich im Hinblick auf den Beschwerdeführer durch die Erlangung von dessen Volljährigkeit die Umstände insoweit geändert haben, als nunmehr die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes nicht mehr vorliegen. Auch würden sonst keine Gründe für die Zuerkennung dieses Status sprechen (Bescheid S. 122).
2.2. Die Beschwerde bestreitet die von der Behörde als vorliegend angenommenen Voraussetzungen für die Aberkennung des Status als subsidiär Schutzberechtigter nicht, führt jedoch insbesondere aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 weiterhin vorliegen würden.
Zu den zu treffenden Sachverhaltsfeststellungen
2.3. Die von der belangten Behörde zu entscheidende Angelegenheit war die Aberkennung des subsidiären Schutzstatus als solches und damit sämtliche in § 9 Abs. 1 und 2 AsylG 2005 vorgesehenen Prüfschritte und Aussprüche. Dies ist damit auch "Sache" des anhängigen Beschwerdeverfahrens (vgl. VwGH 17.10.2019, Ro 2019/18/0005, Rz. 24f). Das Bundesverwaltungsgericht ist bei der Prüfung der ihm vorliegenden Sache gemäß § 27 VwGVG 2014 aufgrund der Beschwerde in seiner rechtlichen Beurteilung nicht an das Beschwerdevorbringen gebunden. Vielmehr darf und muss es seiner Entscheidung sämtliche aktenkundigen bzw. im Beschwerdeverfahren hervorgekommenen Sachverhaltselemente zugrunde legen (vgl. etwa VwGH 28.05.2019, Ra 2019/22/0036, Rz. 7, m.w.N.).
2.5. Gegenständlich steht der entscheidungsrelevante Sachverhalt weder i.S.d. § 28 Abs. 2 VwGVG 2014 fest noch wäre die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht selbst gemäß § 28 Abs. 3 leg. cit. im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden. Die belangte Behörde hat in Verkennung der Rechtslage die fallbezogen notwendigen Ermittlungen und das Treffen darauf aufbauender Sachverhaltsfeststellungen unterlassen. Dazu nun im Einzelnen:
2.6. In gegenständlichem Fall wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten ausschließlich gemäß § 34 Abs. 3 AsylG 2005 aufgrund der erfolgten Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten an dessen Mutter zuerkannt. In der streitgegenständlichen Aberkennungsentscheidung sah die belangte Behörde - wenngleich sie sich in der Bescheidbegründung ganz allgemein auf § 9 Abs. 1 AsylG 2005 stützte - insbesondere in der gegenüber dem Zeitpunkt der Zuerkennung des Status als subsidiär Schutzberechtigter erlangten Volljährigkeit die Voraussetzungen für die Zuerkennung dieses Status beim Beschwerdeführer als nicht mehr vorliegend (s. dazu die auf S. 10 des angefochtenen Bescheids getroffenen Feststellungen sowie die Ausführungen in der rechtlichen Beurteilung auf dessen S. 122).
2.7. Im Erkenntnis vom 23.10.2019, Zl. Ra 2019/19/0059, hat sich der Verwaltungsgerichtshof grundlegend mit der Frage auseinandergesetzt, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, wenn einem Fremden der Status als Asylberechtigter aberkannt wird, welchen er ausschließlich in Anwendung des § 34 Abs. 2 AsylG 2005 erhielt:
2.8. Der Gerichtshof sprach in der im Vorabsatz erwähnten Entscheidung u.a. aus, dass im Unterschied zu allen anderen Aberkennungstatbeständen des § 7 Abs. 1 AsylG 2005 die in Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK vorgesehene "Wegfall der Umstände"-Klausel nicht gesondert für einen Familienangehörigen, der seinen Asylstatus von einer Bezugsperson abgeleitet hat, geprüft werden könne. So sei bei einer Person, welche die Flüchtlingseigenschaft unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 2 Abschnitt A Z 2 GFK zukomme, der Wegfall solcher Umstände von vornherein nicht denkbar.
2.9. Der Verwaltungsgerichtshof setzte sich in seiner Entscheidung insbesondere mit einem durch die Einführung des "Familienverfahrens" durch die AsylG-Novelle 2003 (BGBl. I 2003/101) bewirkten "Systemwechsel" auseinander, der in der Folge auch Eingang in das AsylG 2005 fand und weiterhin die geltende Rechtslage darstellt (vgl. Rz. 18 ff des zitierten Erkenntnisses). Er wies auch auf interpretative Leitlinien des UNHCR zur GFK sowie auf Gesetzesmaterialien zum AsylG 2005 hin. Nach Letzteren sei es, so der Verwaltungsgerichtshof, Zweck der Regelung über das Familienverfahren nach dem AsylG 2005, Familienangehörigen die Fortsetzung des Familienlebens mit einer Bezugsperson in Österreich zu ermöglichen (Rz. 28 Ra 2019/19/0059).
2.10. Es komme nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs sohin für die Aberkennung des einem Familienangehörigen im Familienverfahren zuerkannten Status des Asylberechtigten wegen Wegfalls der fluchtauslösenden Umstände also darauf an, ob die Umstände, auf Grund deren die Bezugsperson als Flüchtling anerkannt wurde, nicht mehr bestehen und es diese daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatslandes zu stellen. Diese Frage habe die Behörde (allenfalls auch das Verwaltungsgericht) ohne Bindung an eine allfällige diesbezügliche Entscheidung im Verfahren über die Aberkennung des Asylstatus des Familienangehörigen selbstständig zu beurteilen (vgl. Ra 2019/19/0059, Rz. 29).
2.11. Diese Rechtsprechung zur Aberkennung des Status als Asylberechtigungen aufgrund der "Wegfall der Umstände"-Klausel i.Z.m. einem Familienverfahren lässt sich aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts auf den Fall einer Aberkennung des Status als subsidiär Schutzberechtigter wegen geänderter Umstände, sohin gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall ("nicht mehr") AsylG 2005, übertragen:
2.12. Zwar gab es vor der AsylG-Novelle 2003 kein der Asylerstreckung vergleichbares Instrument für die Erstreckung eines gemäß § 8 AsylG 1997 vor dieser Novelle vorgenommenen Ausspruchs. Doch wurde das Familienverfahren mit der erwähnten Novellierung des Asylrechts samt der Gewährung des gleichen Schutzumfangs auch für die Familienangehörige eines subsidiär Schutzberechtigten eingeführt (vgl. den mit der Novelle eingeführten § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 1997). Besondere Vorschriften für die Beendigung des Status für jene Fremden, denen bloß aufgrund der §§ 10 Abs. 3 (bzw. § 15 Abs. 3) subsidiärer Schutz bzw. eine befristete Aufenthaltsberechtigung gewährt wurde, sah der Gesetzgeber hingegen nicht vor.
2.13. Im Schrifttum vertritt Nedwed, dass einem Familienangehörigen, dem subsidiärer Schutz im Familienverfahren ohne eigene Gründe gewährt wurde, nicht einfach entgegengehalten werden, es drohe ihm im Herkunftsstaat kein ernsthafter Schaden, weshalb ihm der internationale Schutz allein deshalb wieder abzuerkennen sei. Darauf kam es bei der Zuerkennung subsidiären Schutzes im Familienverfahren gerade nicht an, weshalb das Fehlen eines ernsthaften Schadens im Herkunftsstaat des Betroffenen auch subsidiärem Schutz führen darf (vgl. Nedwed, Familienverfahren - Schutz des Einzelnen oder des Kollektivs, in Filzwieser/Taucher, Asyl- und Fremdenrecht, Jahrbuch 2019 [2019] 207, 229).
2.14. Gegenständlich hat die belangte Behörde - in Verkennung der Rechtslage - nach den Verfahrensakten jedoch - wenn überhaupt - nur im Ansatz Ermittlungstätigkeiten zu möglichen geänderten persönlichen Umständen der Mutter des Beschwerdeführers gesetzt noch entsprechende Sachverhaltsfeststellungen dazu getroffen. Die getroffenen Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers wie auch zur allgemeinen Lage in Afghanistan reichen als Tatsachensubstrat nicht aus, damit das Bundesverwaltungsgericht beurteilen kann, ob - unabhängig von einer zu treffenden Entscheidung - die Voraussetzungen für eine Aberkennung subsidiären Schutzes bei der Mutter des Beschwerdeführers gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 vorliegen. Eine solche Beurteilung wäre jedoch erst Grundlage, um den Status des Beschwerdeführers abzuerkennen.
Zum Vorliegen der Aufhebungsvoraussetzungen gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG 2014
2.15. Das Bundesverwaltungsgericht geht in der Folge auch davon aus, dass fallbezogen ausnahmsweise die Voraussetzungen für ein Vorgehen gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG 2014 erfüllt sind:
2.16. Das erkennende Gericht übersieht nicht den der im Vorabsatz genannten Vorschrift zu entnehmenden, prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht. Es ist ihm auch bewusst, dass nicht jede einer Verwaltungsbehörde unterlaufene Verletzung von Verfahrensvorschriften das VwG zur Vorgangsweise nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG 2014 berechtigt (vgl. etwa VwGH 31.10.2019, Ra 2019/20/0029, Rz. 12, m.w.N.). Doch erfolgt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs eine Aufhebungs- und Zurückverweisungsentscheidung dann rechtskonform, wenn die Behörde entscheidende Schritte für die Klärung des maßgebenden Sachverhalts unterlassen oder bloß ansatzweise ermittelt hat, ihr also krasse bzw. besonders gravierende Ermittlungslücken unterlaufen sind (vgl. etwa VwGH 09.09.2015, Ro 2015/03/0002 und VwGH 03.04.2018, Ra 2017/01/0433, jeweils m.w.N.). Eine Ermittlungslücke berechtigt ein Verwaltungsgericht überdies dann zur Zurückverweisung, wenn ein rechtlicher Aspekt von der belangten Behörde nicht berücksichtigt werden konnte (29.07.2015, Ra 2015/07/0034).
2.17. Gegenständlich hat die belangte Behörde - weil sie die rechtlichen Verpflichtungen über die durchzuführenden Ermittlungstätigkeiten verkannte - den Sachverhalt betreffend mögliche Aberkennungsvoraussetzungen im Hinblick auf die Mutter des Beschwerdeführers de facto gar nicht erkennbar ermittelt bzw. letztlich auch nur vollkommen ansatzweise - und nicht bloß vom Verwaltungsgericht zu ergänzende (vgl. dazu etwa VwGH 26.03.2019, Ra 2018/19/0556, Rz. 13) - Sachverhaltsfeststellungen dazu getroffen (s. oben Pkt. II.3.). Sie hat damit eben entscheidende Schritte für die Sachverhaltsklärung unterlassen; dies in einem als gravierend bzw. krass anzusehenden Ausmaß.
2.18. Im fortgesetzten Administrativverfahren wird die belangte Behörde, jedenfalls durch die Gewährung schriftlichen Gehörs (dazu zuletzt VwGH 30.10.2019, Ro 2019/14/0007, Rz. 46, wenngleich dort bezogen auf die Person, deren Schutzstatus beendet werden soll), allenfalls auch der Durchführung einer Vernehmung, sowie der Ermittlung der Lage am angenommenen Rückkehrort (samt dessen Erreichbarkeit von Österreich) im Herkunftsstaat jene Tatsachen (bei jeweiliger Gegenüberstellung) zu ermitteln haben, nach denen rechtlich beurteilt werden kann, (i) ob betreffend die Person der Mutter des Beschwerdeführers eine wesentliche und nicht bloß vorübergehende Änderung der Situation gegenüber dem Zeitpunkt der Zuerkennung subsidiären Schutzes (bzw. allenfalls der letztmaligen Verlängerung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung, vgl. VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0353, Rz. 13, m.w.N.) eingetreten ist (dazu etwa VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153, Rz. 101), bzw. (ii) ihr nicht aus anderen Gründen wiederum subsidiärer Schutz gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zuzuerkennen wäre.
2.19. Die nach Ermittlung zu treffenden Feststellungen werden dabei so konkretisiert und nachvollziehbar sein müssen, dass im Rahmen einer Einzelfallprüfung beurteilt werden kann, ob der Mutter im Fall ihrer Rückkehr nach Afghanistan eine reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht oder nicht (und damit weiterhin die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als gegeben zu erachten wären). Es bedarf dabei einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation der Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage in (hier:) Afghanistan zu beziehen hat (vgl. dazu etwa VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153, Rz. 120, m.w.N.). Dabei werden in Hinblick auf die zu setzenden Ermittlungsschritte im Hinblick auf das zur Beurteilung einer möglichen Rückkehr der Mutter zu erarbeitende Tatsachensubstrat insbesondere auch die vom UNHCR wie vom EASO herausgegebenen Informationen zu berücksichtigen sein (vgl. VwGH 30.09.2019, Ra 2018/01/0457, Rz. 12, m.w.N.).
2.20. Nur der Vollständigkeit ist darauf hinzuweisen, dass die Erfüllung der Voraussetzungen anderer Aberkennungstatbestände gemäß § 9 AsylG 2005 in Bezug auf den Beschwerdeführer nicht hervorgekommen sind. Die Verurteilung vom 20.11.2018 betraf keine Verbrechen i.S.d. § 9 Abs. 2 Z 3. Darüber hinaus wurde dem Bundesverwaltungsgericht von der belangten Behörde lediglich mitgeteilt, dass das Geschworenengericht beim Landesgericht für Strafsachen Wien gegenüber dem Beschwerdeführer die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 1 angeordnet wurde (Pkt. II.1.3.). Zu einem Strafausspruch kam es jedoch durch das Geschworenengericht nicht.
Zur Nichtdurchführung einer mündlichen Verhandlung
2.21. Da der angefochtene Bescheid schon aufgrund der Aktenlage aufzuheben war konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 entfallen.
Zu B) Zur Zulässigkeit der Revision:
1. Gegenständlich war die u.a. Rechtsfrage zu lösen, ob der Status des subsidiär Schutzberechtigen, wenn dieser nur im Wege des § 34 Abs. 3 AsylG 2005 zuerkannt worden war, aufgrund des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall ("nicht mehr") leg. cit. nur dann aberkannt werden kann, wenn die Voraussetzungen gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 auch bei der Bezugsperson, von welcher der Status abgeleitet wurde, vorliegen.
2. Die Rechtslage allein ist aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht bereits ausreichend klar und eindeutig. Nun hat sich der Verwaltungsgerichtshof in Ra 2019/19/0059 zwar bereits mit der Konstellation einer Aberkennung von Asyl, welches im Familienverfahren zuerkannt wurde, auseinandergesetzt. Doch hält das entscheidende Gericht diese Rechtsprechung auch nicht mit der entsprechenden Klarheit auf die gegenständlich zu lösende Rechtsfrage für übertragbar (zum Nichtvorliegen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung wegen Übertragbarkeit bereits vorhandener Judikatur etwa VwGH 24.10.2017, Ra 2017/06/0191). Spezifische Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur gegenständlichen Konstellation war im Entscheidungszeitpunkt nicht ersichtlich.
3. Von der Lösung der oben dargestellten Rechtsfrage hängt auch die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs über die Revision ab: So hielt das Bundesverwaltungsgericht die Voraussetzungen für die Aufhebung gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG 2014 fallbezogen für gegeben, weil die belangte Behörde den Sachverhalt zu möglichen geänderten Umständen bezogen auf die Mutter des Beschwerdeführers wenn überhaupt nur ganz ansatzweise ermittelt hat. Hätte das Gericht die Rechtsfrage dahingehend gelöst, dass es nur auf geänderte Umstände des Beschwerdeführers selbst ankommt, wären aus seiner Sicht nach den zu beachtenden höchstgerichtlichen Leitlinien und Grundsätzen die Voraussetzungen zur Aufhebung und Zurückverweisung nicht vorgelegen.
Schlagworte
Aberkennungstatbestand Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Revision zulässigEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W270.2212666.1.00Im RIS seit
26.11.2020Zuletzt aktualisiert am
26.11.2020