Entscheidungsdatum
08.01.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W161 2149662-3/12E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Monika LASSMANN als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.03.2019, Zl. 1072061205-180868374, beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist Staatsangehöriger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zum sunnitischen Glauben. Er reiste als Minderjähriger mit seinen Eltern und seinen vier minderjährigen Geschwistern nach Österreich ein und stellte am 04.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Mit Bescheid vom 09.07.2015 sprach das Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) aus, dass der Antrag auf internationalen Schutz des BF vom 04.06.2015, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen werde. Für die Prüfung des internationalen Schutzes sei gemäß § 18 Abs. 1b der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlamentes und des Rates Ungarn zuständig. Gemäß § 61 Abs. 1 FPG werde gegen den BF die Außerlandesbringung angeordnet. Demzufolge sei gemäß § 61 Abs. 2 FPG eine Abschiebung nach Ungarn zulässig.
3. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16.09.2015, W168 2111428-1/4Z u.a. gemäß § 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt und mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 05.10.2015, W168 2111428-1/5E u.a. gemäß § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.
Während des Verfahrens legte der BF mehrere medizinische Unterlagen vor und stellt sich seine diesbezügliche Behandlung wie folgt dar:
- Laut ärztlichem Entlassungsbrief einer Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie eines Landeskrankenhauses befand sich der BF dort von 11.11.bis 18.11.2015 in stationärer Behandlung. Als Diagnose wurde posttraumatische Belastungsstörung, traumatische Neurose (ICD-10: F43.1) und suizidale Krise (ICD-10: F32.2) angeführt. Als Entlassungsmedikation Seroquel XR 50mg 0-0-1, Mirtabene 30mg 0-0-1/2 angegeben.
- Laut Bestätigung eines transkulturellen Zentrums vom 20.09.2016 befände sich der BF seit Februar 2016 in psychologischer Behandlung, da bei ihm eine schwere Traumatisierung vorliege. Nach wie vor gäbe es starke psychische Reaktionen auf Belastungen, allerdings auch schon Phasen der Stabilisierung.
- Laut ärztlichem Entlassungsbrief einer Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie eines Landeskrankenhauses befand sich der BF dort vom 14.10. bis 19.10.2016 in stationärer Behandlung. Als Diagnose wird posttraumatische Belastungsstörung und suizidale Krise angeführt.
- In weiterer Folge war der BF zu ambulanten Kontrollen (am 14.11.2016 und 14.12.2016) mit der Diagnose posttraumatische Belastungsstörung vorstellig. An Medikation erhielt er Sertralin 50mg 1x1, Mirtabene 45mg 1x1, Nozinan 25mg 0-1-1-2, Sirdalud 4mg 2x1, Praxiten 15mg 0-0-0-1/2.
4. Mit Bescheid des BFA vom 30.01.2017 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 04.06.2015 hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen, ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 subsidiärer Schutz zuerkannt und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 30.01.2018 erteilt.
Die belangte Behörde stellte fest, dass der BF inzwischen volljährig sei, an einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung leide und sich derzeit in Behandlung in einer Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie befinde. Im November 2015 habe ein Richter bereits einmal aufgrund seiner selbstschädigenden Handlungen und einer ernsthaften Selbstgefährdung eine Einweisung des BF in eine geschlossene Anstalt veranlasst. Eine Gefährdung seiner Person im Sinne des § 8 AsylG sei nicht auszuschließen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan wäre er möglicherweise in einer aussichtslosen Lage und sei ihm daher der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.
In der Begründung zu Spruchpunkt II. führte die belangte Behörde aus, dass der BF einerseits ein junger Mann sei, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne, er aus Kabul komme und dort aufgewachsen und sozialisiert worden sei. Eine Rückkehr komme den Länderberichten zufolge allerdings nur in Betracht, wenn der Betroffene in der Lage sei, aus eigenen Mitteln oder aufgrund von bestehendem Familienanschluss in einem hinreichend sicheren Ort ein sicheres Rückzugsgebiet vor allem für die Nacht zu schaffen. Die Versorgung mit Wohnraum und Nahrungsmitteln stelle sich insbesondere für alleinstehende Rückkehrer meist nur unzureichend dar. Eine staatliche Unterstützung sei anhand der derzeitigen politischen Lage in Afghanistan unwahrscheinlich. Betreffend den BF müsse berücksichtigt werden, dass er unter einer starken posttraumatischen Belastungsstörung leide und eine intensive, medikamentöse Therapie benötige. Er sei derzeit in ambulanter Behandlung und werde es laut Aussage des behandelnden Arztes noch dauern, bis sich seine Erkrankung - auch unter Psychotherapie - bessern werde. Laut den Länderfeststellungen fände die Behandlung von psychischen Erkrankungen in Afghanistan nach wie vor nicht im ausreichenden Maße statt und sei die Folgebehandlung oft schwierig zu leisten, insbesondere wenn der Patient kein unterstützendes Familienumfeld habe. Die medizinische Versorgung psychischer Leiden in Kabul reiche derzeit nicht aus und bestehe die Gefahr, dass er bei einer Rückkehr in seine Heimatstadt weiteren Belastungen aufgrund der dortigen Verhältnisse ausgesetzt sein werde, welche sich negativ auf seinen Gesundheitszustand auswirken könnten. Er sei bereits einmal aufgrund ernsthafter Selbstmordgefährdung und selbstschädigenden Handlungen im geschlossenen Bereich untergebracht gewesen. Zudem sei fraglich, ob er und seine Großfamilie (7 Personen, darunter ein behinderter Bruder) in Kabul oder größeren Städten sofort Wohnraum und Arbeit finden würden, was sich auch dadurch erschwere, weil sie in Kabul keine nahen Verwandten hätten und seine Eltern laut deren Angaben alles aufgegeben hätten. Es sei daher zu befürchten, dass die Familie mangels finanzieller Mittel nicht schnell genug adäquaten Wohnraum schaffen könne und es unter Umständen auch keinen Zugang zu psychologischer Behandlung für den BF gäbe. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass der BF zwar volljährig sei, aber aufgrund der angeführten Erkrankungen derzeit noch von der Betreuung seiner Eltern abhängig sei. In Zusammenschau mit den medizinischen Befunden, der vorliegenden Länderfeststellungen und den persönlichen Umständen der Familie erscheine seine Rückkehr nach Afghanistan derzeit als unzumutbar. Eine Möglichkeit zur eigenverantwortlichen Lebensgestaltung habe der BF derzeit nicht. Eine Ausweichmöglichkeit nach Mazar-e Sharif oder Herat stünde ihm derzeit aufgrund der noch prekären Situation auf dem Gebiet der Behandlung von psychischen Erkrankungen bzw. fehlender Betten für Patienten mit psychischen Erkrankungen ebenfalls nicht zur Verfügung. Auch sei medizinisch unumstritten, dass die Nichtbehandlung bzw. ständig erforderliche Pflege potentiell lebensgefährlich sein könne und das Fehlen der Voraussetzungen für eine eigenverantwortliche Lebensgestaltung sowie das Fehlen der Sicherstellung des überlebensnotwendigen Existenzminimums für eine Refoulementverbot spreche. Aufgrund der allgemein schlechten wirtschaftlichen Situation in seinem Aufenthaltsgebiet, seines schlechten Gesundheitszustandes, der notwendigen Behandlung und ständig nötigen Pflege ergebe sich zum derzeitigen Zeitpunkt noch eine Situation, die einer unmenschlichen Behandlung nach einer Rückkehr in seine Heimat gleichzusetzen wäre. Aufgrund der Länderfeststellungen und der von ihm vorgelegten Arztbriefe ergebe sich derzeit noch eine Rückkehrgefährdung im Sinn des § 8 AsylG.
In rechtlicher Hinsicht wurde ausgeführt, dass die Behörde von einer realen Bedrohungsgefahr ausgehe, weil der BF derzeit weder wirtschaftlich noch gesundheitlich in der Lage sei, ein eigenbestimmtes Leben zu führen, es nicht sicher sei, ob seine Familie in Afghanistan so schnell wieder Fuß fassen könne, um eine siebenköpfige Familie sicher unterzubringen und zu versorgen. Weiters scheine unsicher, ob er Zugang zur nötigen medizinischen (psychiatrisch-psychologischen) Behandlung finde, da die Gesundheitsversorgung laut den Länderfeststellungen gerade für psychisch Kranke und traumatisierte Personen prekär sei. Es sei daher derzeit noch von einer einer unmenschlichen Behandlung gleichzusetzenden Situation zu sprechen und sei ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.
5. Gegen den abweisenden Spruchteil I. des Bescheides vom 30.01.2017 hat der BF fristgerecht Beschwerde erhoben und führte das Bundesverwaltungsgericht am 10.10.2017 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF, seine Eltern, seine Geschwister und ihre Rechtsvertreterin teilnahmen.
Betreffend den BF wurden anlässlich der Verhandlung diverse (psychiatrische) Befunde vorgelegt und sah die erkennende Richterin von der Einvernahme des BF ab und stellte die Einholung eines nervenfachärztlichen Sachverständigengutachtens zur Feststellung der Verhandlungsfähigkeit in Aussicht.
Aus den vorgelegten medizinischen Unterlagen des BF ergibt sich sein Gesundheitszustand wie folgt:
- Laut einem Arztbrief einer psychiatrischen Abteilung befand sich der BF dort vom 04.08. bis 17.08.2017 in stationärer Behandlung. Diagnostiziert wurde eine mittelgradige depressive Episode mit Suizidgedanken bei posttraumatischer Belastungsstörung. Die Entlassungsmedikation war Sertralin 100mg 1x1, Trittico retard 150mg 1x1, Zyprexa 15mg 1x1, Zyprexa Velotab 10mg 2x1, Truxal 50mg 2x1.
- Laut einem psychiatrischem Befund eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 02.10.2017 wurden die Diagnosen PTSD (ICD-10 F43.1), rezidivierende mittelgradige depressive Episode (ICD-10 F33.1) und Bruxismus angeführt. An Medikation wird Sertralin, Trittico, Zyprexa und Truxal empfohlen.
- Laut psychiatrischem Befund eines psychosozialen Zentrums vom 24.11.2017 wurde beim BF die Diagnose PTSD (ICD-10 F43.1), rezidivierende mittelgradige depressive Episode (ICD-10: F33.1), Bruxismus erstellt und ihm als Therapie Sertralin 100mg 1-0-0, Zyprexa 15mg 0-0-1, Zyprexa Velotab 5mg 1-0-0 und Truxal 50mg 0-0-0-1+2 bei Bedarf empfohlen.
6. Am 31.10.2017 und am 02.11.2017 brachte der BF einen Antrag auf Verlängerung der subsidiären Schutzberechtigung gemäß § 8 AsylG 2005 ein.
7. In dem über Auftrag des Bundesverwaltungsgerichtes erstellten psychiatrisch neurologischen Gutachtens eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 05.01.2018 (eingelangte beim Bundesverwaltungsgericht am 23.01.2018) wurde festgestellt, dass der BF an einer mittelgradigen depressiven Episode mit somatischem Syndrom (ICD-10: F32.11) und einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10: F43.1) leide. Bei einer Rückführung nach Afghanistan sei - entgegen den Wünschen und Zielen des BF - seine zumindestens vorübergehende Verschlechterung des psychischen Zustandes, insbesondere der depressiven Symptomatik, nicht ausschließbar. Beim BF sei keine psychische Erkrankung in einem Ausmaß fassbar, die ihn außer Lage setzen würde, an einer Beschwerdeverhandlung teilzunehmen und sei er als verhandlungsfähig zu bezeichnen. Er sei auch in der Lage Erlebtes wiederzugeben und Fragen dazu zu beantworten. Es habe sich kein Hinweis auf eine höhergradige psychische Beeinträchtigung im Sinne der Verhandlungsfähigkeit ergeben. Beim BF sei zwar eine psychische Störung fassbar, jedoch nicht in einem Ausprägungsgrad bzw. hätten sich keine Hinweise gefunden, dass der BF dadurch beeinträchtigt gewesen wäre, seine Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteiles für sich selbst zu erledigen. Derzeit erscheine auf medizinischer Sicht die Anregung einer Sachwalterschaft nicht indiziert.
8. Das Gutachten wurde der belangten Behörde und dem BF am 26.01.2018 übermittelt und die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme eingeräumt.
9. Mit Bescheid des BFA vom 26.01.2018 wurde dem BF die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 30.01.2020 erteilt. Ausgeführt wurde, dass aufgrund der Ermittlungen zur allgemeinen Lage in seinem Herkunftsstaat in Verbindung mit seinem Vorbringen bzw. seinem Antrag das Vorliegen der Voraussetzungen für die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als glaubwürdig gewertet werden könne.
10. Am 30.01.2018 teilte die belangte Behörde mit, dass keine Stellungnahme zu dem übermittelten Gutachten abgegeben werde und wurde auf die Aktenlage verwiesen.
11. Der BF brachte in weiterer Folge - vertreten durch seine Rechtsberatung - eine Stellungnahme ein, worin im Wesentlichen ausgeführt wurde, dass der BF aufgrund seiner psychischen Erkrankung und den damit verbundenen Suizidgedanken eine intensive psychologische und psychotherapeutische Behandlung inklusive täglicher Medikation benötige. Eine adäquate Behandlung sei in Afghanistan nicht gewährleistet. Psychisch Kranke würden in Afghanistan sozial stigmatisiert, abschätzig behandelt und diskriminiert werden. Die Behandlung von psychisch Kranken finde in Afghanistan nicht in ausreichendem Maße statt und sei es dem BF aufgrund seines gesundheitlichen Zustandes nicht möglich, einer Arbeit nachzugehen. Weiters sei nicht gesichert, ob der BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan Zugang zu der erforderlichen Therapie und den benötigten Medikamenten hätte. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan würde der BF in eine auswegslose Situation gelangen. Ihm drohe aufgrund seiner psychischen Erkrankung unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung durch inadäquate medizinische Versorgung und Stigmatisierung durch die Gesellschaft. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan drohe ihm eine Verletzung im Sinne des Art. 3 EMRK.
12. Mit Schreiben vom 05.02.2018 sowie vom 05.03.2018 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht der belangten Behörde die Stellungnahme des BF, wobei die belangte Behörde am 08.02.2018 sowie am 09.03.2018 erneut mitteilte, keine Stellungahme abzugeben, sondern auf die Aktenlage und den erlassenen Bescheid verwies.
13. In weiterer Folge wurde der BF in Österreich zweimal rechtskräftig strafrechtlich verurteilt: -- Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX zu XXXX vom 11.07.2018 (rk 17.07.2018) wurde wegen §§ 27 Abs. 2a SMG, 15 StGB ein Schuldspruch ohne Strafe ausgesprochen.
-- Mit Urteil des Landesgerichts XXXX zu XXXX vom 09.10.2018 (rk 12.10.2018), wurde der BF gemäß §§ 15, 142 Abs. 1, 143 Abs. 1 2. Fall StGB, § 142 Abs. 1 StGB wegen des Verbrechens des Raubes und des Verbrechens des versuchten schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 3 Jahren verurteilt.
14. Am 24.09.2018 wurde vom BFA aufgrund dieser Verurteilungen/bzw. Anklageerhebungen ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 3 AsylG eingeleitet.
15. Am 27.11.2018 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung (betreffend Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides vom 30.01.2017) durch, an welcher der aus der Haft vorgeführte BF und seine Rechtsvertreterin teilnahmen und der eine Dolmetscherin für die Sprache Dari beigezogen wurde. Die belangte Behörde entschuldigte sich unter Verweis auf dienstliche und personelle Gründe für die Nichtteilnahme an der Verhandlung und beantragte schriftlich die Abweisung der Beschwerde sowie die Übersendung des Verhandlungsprotokolls. Die Niederschrift der mündlichen Verhandlung wurde dem BFA im Anschluss an die Verhandlung übermittelt.
Der BF gab zu seinem Gesundheitszustand an, dass es ihm psychisch nicht gut gehe, er in der Haft von einem Psychologen betreut werde und Medikamente einnehme.
Die erkennende Richterin ging aufgrund des in Auftrag gegebenen Gutachtens vom 05.01.2018 von der Verhandlungsfähigkeit des BF aus.
Ergänzend führte der BF zu seinem Gesundheitszustand aus, dass er auch bevor er in Haft genommen worden sei regelmäßig in psychiatrischer Behandlung gewesen sei und morgens sowie abends seine Medikamente genommen habe. Zu seinen persönlichen Verhältnissen gab er an, nunmehr mit seiner Freundin verlobt zu sein. Er habe in Afghanistan eine Tante (in Jalalabad), einen Onkel (in Kabul) und Cousins. Er wisse nicht, wie es der Familie in Afghanistan gehe. Er habe in Österreich auch Drogen genommen (einmal im Monat), weil er zu viele Medikamente genommen habe. In Afghanistan habe er die psychischen Probleme nicht gehabt, erst nach dem (fluchtauslösenden-) Vorfall habe sich sein psychischer Zustand sehr verschlechtert. Nach seinem Verhalten in Haft befragt, gab der BF an, dass der Tag sehr schwierig verlaufe. Er arbeite (verteile das Essen und helfe in der Küche), mache Sport und gehe zur Psychotherapie.
Im Zuge der Verhandlung legte der BF eine Bestätigung einer Organisation namens XXXX vom 05.11.2018 vor, woraus hervorgehe, dass der BF seit September 2017 bis 05.09.2018 regelmäßig in Therapie gewesen sei.
16. Mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 27.11.2018, wurde die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 3 Z 2 iVm § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
Am 17.04.2019 wurde vom Bundesverwaltungsgericht zu GZ W262 2149662-1/20E, die schriftliche Ausfertigung des am 27.11.2018 mündlich verkündeten Erkenntnisses erlassen.
17. In weiterer Folge brachte der BF erneut zahlreiche medizinische Unterlagen betreffend die stationären Aufenthalte aus den Jahren 2015-2017 sowie Unterlagen hinsichtlich seiner Integration in Österreich in Vorlage.
18. Das BFA machte daraufhin eine Nachfrage bei der Justizanstalt, betreffend die Arbeit, die medizinische Behandlung, die Medikation, die psychologische Betreuung und das Verhalten des BF in Haft.
Von der Justizanstalt wurde mitgeteilt, dass der BF am 10.01.2019 zum weiteren Vollzug überstellt worden sei und aufgrund der kurzen Anhaltezeit noch unbeschäftigt sei. Sein Verhalten in der Haft sei ordnungsgemäß. Der psychologische Dienst der Justizanstalt teilte mit, dass es bis dato nur ein Zugangsgespräch gegeben habe, wo der BF über seine psychiatrische Vorgeschichte berichtet habe. Weiters weise der BF multiple oberflächliche Schnittverletzungen an seinen Unterarmen auf, welcher er sich in Form von autoaggressiven Impulsdurchbrüchen selbst zugefügt habe. Nach dem anamnestischen Erstgespräch liege der Verdacht einer posttraumatischen Belastungsstörung (F43.1 nach ICD-10) vor. Im Zuge des Erstgespräches seien regelmäßige psychologische Einzelgespräche vereinbart worden. Aufgrund der kurzen Aufenthaltsdauer würden aber noch keine aussagekräftigen Einschätzungen zu seinem Verhalten in Haft getroffen werden können, der BF zeige sich bisher ruhig und angepasst. Er fungierte für andere Insassen als häufig als Dolmetscher und zeige insgesamt ein sozial verträgliches Verhalten. In der Medikamentenübersicht des BF vom 22.01.2019 wurden die Medikamente Olanzapin 10mg FTBL, Praxiten 15mg FTBL, Pregabalin ACC HKPS 100mg, Sertralin 1A 100mg FTBL, Tramal KPS 50mg, und Truxal 15mg FTBL angeführt.
19. Am 12.02.2019 wurde der BF in der Justizanstalt vom BFA niederschriftlich einvernommen. Die Frage, ob er sich psychisch und physisch in der Lage fühle, Angaben zu seinem Asylverfahren zu machen bejahte der BF und gab er an, sich gut zu fühlen. Psychisch gehe es ihm aber nicht ganz gut. Er nehme Medikamente gegen die psychische Erkrankung, die Namen der Tabletten seien ihm nicht bekannt. Diese nehme er seit er in Österreich sei, seit dem Jahr 2015 ein. Seit 2016 sei er in Behandlung und habe Therapien in Anspruch genommen. Seitdem fühle er sich besser, Angststörungen habe er noch immer. Neue Bestätigungen könne er nicht vorlegen. Seine Angehörigen (Eltern und Geschwister) würden derzeit in XXXX leben. In Afghanistan habe er noch eine Tante in Jalalabad und einen Onkel in Kabul. Befragt, womit die Angehörigen dort den Lebensunterhalt bestreiten bzw. er deren wirtschaftliche Lage bezeichnen würde, gab der BF an, dies nicht sagen zu können. Er sei durch die Medikamente auch etwas vergesslich. Befragt, ob er sonst zu jemand im Heimatland Kontakt habe, gab er an, nicht sagen zu können, ob seine Familie mit den Verwandten in Afghanistan in Kontakt stehe. Sonst habe er keinen Kontakt zu jemandem in Afghanistan. Seine Familie in Österreich bekomme Unterstützung vom Sozialamt und der Caritas. Zu seinem Leben in Österreich gab er an, vom Sozialamt Geld bekommen zu haben, ein Jugendcollege, eine Schule und Deutschkurse besucht zu haben. Er arbeite in Haft nicht, nehme Medikamente und bekomme daher keine Arbeit. Seine Familie und seine Freundin würden ihn in Haft besuchen. Vor der Haft habe er mit ein paar afghanischen Freunden in einer WG in XXXX gelebt.
20. Das BFA holte im Zuge des Aberkennungsverfahrens mehrere Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation zur Verfügbarkeit der vom BF benötigten Medikamente ein.
21. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 29.03.2019 wurde der vormals zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gem. § 9 Abs. 1 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und dem BF die mit Bescheid vom 30.01.2017 erteilte (verlängerte) Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gem. § 9 Abs. 4 entzogen (Spruchpunkt II.). Unter einem wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG idgF gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG idgF erlassen (Spruchpunkt IV.), sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.), und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Schließlich wurde gegen den BF gem. § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf Dauer von 6 Jahren befristetes Einreiseverbot ausgesprochen (Spruchpunkt VII.).
Die belangte Behörde führte begründend insbesondere aus, dass das BFA zu der damaligen Entscheidung insbesondere aufgrund des schlechten Gesundheitszustandes des BF, seiner notwendigen Unterstützung/Betreuung durch die Eltern, der fehlenden Möglichkeit für die Großfamilie sogleich eine Wohnmöglichkeit in Afghanistan zu finden und dem Umstand, dass es keinen Zugang zu psychologischer Behandlung gegeben habe, gekommen sei. Eine Möglichkeit zur eigenverantwortlichen Lebensgestaltung habe er damals aus Sicht der Behörde nicht gehabt. Die Voraussetzungen würden nun nicht mehr vorliegen, sondern hätten sich wesentliche, dauerhafte und relevante Veränderungen ergeben. Sein Gesundheitszustand habe sich verbessert, er sei nicht mehr auf die Unterstützung seiner Eltern angewiesen, sei volljährig, arbeitsfähig und voll selbsterhaltungsfähig. Dies würde in dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Gutachten bestätigt werden. Aktuelle Befunde würden nicht vorliegen, eine intensive Therapie sei daher schon länger nicht mehr notwendig. Die posttraumatische Belastungsstörung sowie die depressive Episode seien in Österreich bereits behandelt worden und seien auch in Afghanistan behandelbar. Es sei nicht davon auszugehen, dass der BF an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidet. Die eingenommenen Medikamente (laut Medikamentenübersicht der Justizanstalt) und psychologische Behandlungsmöglichkeiten seien in Afghanistan (Kabul, Herat und Mazar-e Sharif) laut den Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation vorhanden. Er sei volljährig, ledig und habe keine Versorgungspflichten. Er habe auch vor der Haft von der Familie getrennt in einer WG mit afghanischen Freunden gelebt. Ein Onkel lebe in Kabul, eine Tante in Jalalabad und bestehe aufgrund des vorhandenen Bankwesens auch die Möglichkeit finanzieller Unterstützung durch seine Angehörigen in Österreich. Außerdem sei davon auszugehen, dass der BF neben dem Onkel und der Tante noch über weitere Angehörige im Heimatland verfüge. Er verfüge auch über Schulbildung und habe bereits Berufserfahrung als Autowäscher gesammelt und könne auch auf das in Österreich angeeignete Wissen zurückgreifen. Er könne sich als gläubiger Moslem auch an die islamische Glaubensgemeinschaft mit der Bitte um Hilfe wenden. Weiters würde es finanzielle Rückkehrhilfe und Unterbringungsmöglichkeiten in Lagern geben. Sollte der BF nicht nach Kabul zurückkehren wollen, würde ihm auch in den Städten Mazar-e Sharif und Herat eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehen. Seinen Unterhalt könne er bei einer Rückkehr zumindest mit Gelegenheitsjobs verdienen, eine Integration in das Sozial- und Arbeitssystem Afghanistans sei ebenfalls zumutbar.
In der Beweiswürdigung führte die belangte Behörde insbesondere wie folgt aus:
[...]
Die Feststellungen zu Ihrem Gesundheitszustand beruhen auf dem vom BVwG eingeholten psychiatrischen Gutachten sowie den von Ihnen vorgelegten Arztbriefen. Eine lebensbedrohliche Erkrankung konnte nicht festgestellt werden. Sie sind laut Gutachten voll selbsterhaltungsfähig.
Zu Ihren verwandtschaftlichen Verhältnissen kann bemerkt werden, dass Sie sowohl eine Tante, als auch einen Onkel in Afghanistan haben. Da laut dem Dossier der Staatendokumentation "AfPak", welches ausführt, dass sich afghanische Familie als Clans verstehen, der Zusammenhalt zwischen den Familien traditionell sehr groß ist, ist davon auszugehen, dass Sie noch weitere Angehörige in Afghanistan haben und diese Sie auch entsprechend unterstützen können. Selbst wenn derzeit kein Kontakt zu Ihren Angehörigen besteht, so können Sie diesen nach Ihrer Rückkehr wieder aufnehmen.
Außerdem ist Ihnen als erwachsenen Mann zuzumuten, auch ohne enge Beziehungen zu Ihren Angehörigen zu leben, denn auch in Österreich haben Sie nur zwei Monate nach Zuerkennung des subsidiären Schutzes die gemeinsame Wohnung verlassen und sind mit afghanischen Freunden zusammengezogen.
[...]
22. Gegen den Bescheid des BFA vom 29.03.2019 erhob der BF fristgerecht in vollem Umfang Beschwerde. Ausgeführt wurde, dass der BF aufgrund seiner psychischen Erkrankung und den damit verbundenen Suizidgedanken eine intensive psychologische und psychotherapeutische Behandlung inklusive tägliche Medikation benötige. Durch eine Rückführung sei eine zumindest vorübergehende Verschlechterung des psychischen Zustandes, insbesondere der depressiven Symptomatik nicht ausschließbar. Die Situation in Afghanistan habe sich nicht dauerhaft, nicht langfristig und nicht maßgeblich geändert. Der BF habe nach wie vor keinen Kontakt zu seinen Familienangehörigen in Kabul und Jalalabad. Auch eine IFA sei unter Berücksichtigung der UNHCR-Richtlinien nicht zumutbar. Dem Bescheid sei auch nicht zu entnehmen, in wie weit die vom BF benötigten Medikamente verfügbar seien. Der gesundheitliche Zustand des BF habe sich auch nicht verbessert, sondern nehme der BF nach wie vor zahlreiche Medikamente und werde von seiner Familie emotional unterstützt. Der Argumentation der Behörde, dass aufgrund der mangelnden Notwendigkeit der Bestellung eines Sachwalters folge, dass der BF voll selbsterhaltungsfähig sei, könne nicht gefolgt werden. Daraus könne keinesfalls die Selbsterhaltungsfähigkeit in einem Bürgerkriegsland wie Afghanistan abgeleitet werden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu A):
§ 28 Abs. 1 bis Abs. 3 VwGVG lautet:
"(1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist."
Seit seinem Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063, vertritt der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Ansicht, dass ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert ist, weswegen die in § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist (vgl. VwGH 20.06.2017, Ra 2017/18/0117; VwGH 06.07.2016, Ra 2015/01/0123). Die nach § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungs-möglichkeit ist sohin als eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte zu betrachten, weshalb sie nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken in Frage kommt (vgl. VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063). Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt, bloß ansatzweise ermittelt oder konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH 20.06.2017, Ra 2017/18/0117; VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).
Im gegenständlichen Fall sind dem BFA derart schwerwiegende Ermittlungsmängel anzulasten, die ein Vorgehen gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG rechtfertigen:
Zunächst ist festzuhalten, dass das BFA aufgrund der rechtskräftigen Verurteilungen des BF in casu zu Recht ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten eingeleitet hat. Ebenso hat das BFA zutreffend erkannt, dass diesfalls zunächst das Vorliegen eines Tatbestandes des § 9 Abs. 1 AsylG zu prüfen ist, wobei sich das BFA im Spruch des angefochtenen Bescheides lediglich auf "§ 9 Abs. 1 AsylG 2005" beruft, aus der Begründung des angefochtenen Bescheides, wonach "die Voraussetzungen der Zuerkennung des subsidiären Schutzes nicht mehr vorliegen", ergibt sich aber, dass die Aberkennung offenbar auf den zweiten Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 gestützt wurde. Dem BFA ist weiters auch darin beizupflichten, dass nicht nur eine Änderung der allgemeinen Lage im Herkunftsland zu einer Aberkennung nach dieser Bestimmung führen kann, sondern auch eine Veränderung in den persönlichen Umständen des BF.
Hinsichtlich des Gesundheitszustandes des BF führte das BFA aus, dass dieser sich verbessert habe, eine intensive Therapie "schon länger" nicht mehr notwendig sei und die eingenommenen Medikamente (laut Medikamentenliste der Justizanstalt) in Afghanistan (Kabul, Herat und Mazar-e Sharif) laut den eingeholten Anfragebeantwortungen verfügbar seien.
Vom BFA wird jedoch das Schreiben des psychologischen Dienstes der Justizanstalt völlig außer Acht gelassen. Aus diesem geht eindeutig hervor, dass der BF "multiple oberflächliche Schnittverletzungen an seinen Unterarmen" aufweise, welcher er sich in Form von autoaggressiven Impulsdurchbrüchen selbst zugefügt habe. Weiters wird in dem Schreiben angeführt, dass im Zuge des Erstgespräches regelmäßige psychologische Einzelgespräche vereinbart worden seien, was indiziert, dass der BF auch in Haft in regelmäßiger psychologischer Behandlung steht. Auch der BF selbst gab in seiner Einvernahme am 12.02.2019 an, dass es ihm psychisch nicht ganz gut gehe.
Wie der Akteninhalt belegt, hat der BF schon in der Vergangenheit Selbstmordversuche begangen und war deshalb auch schon mehrmals stationär in Krankenhäusern aufhältig. Auch auf diese Tatsache geht die belangte Behörde im erlassenen Aberkennungsbescheid nicht ein und hätte sich das BFA zur Ermittlung der aktuellen gesundheitlichen Situation des BF mit dem gesamten Akteninhalt auseinandersetzen müssen.
Soweit das BFA davon ausgeht, dass der BF "voll selbsterhaltungsfähig" sei und sich dabei auf das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte psychiatrisch-neurologische Gutachten eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 05.01.2018 beruft, so ist zu betonen, dass dieses Gutachten vorrangig zur Beurteilung der Verhandlungsfähigkeit des BF vor Gericht bzw. der Notwendigkeit der Anregung einer Sachwalterschaft eingeholt wurde. Das Gutachten war zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung auch schon über ein Jahr alt und kann alleine daraus jedenfalls nicht auf die aktuelle "volle Selbsterhaltungsfähigkeit" bzw. die "Arbeitsfähigkeit" des BF in Afghanistan geschlossen werden.
Weiters führte das BFA aus, dass der BF von seinen Angehörigen in Afghanistan finanzielle Unterstützung erlangen könne. Dieses Argument stellt sich bei näherer Betrachtung nach dem derzeitigen Ermittlungsstand allerdings als aktenwidrig dar.
Der BF hat zwar angegeben, dass er eine Tante in Jalalabad und einen Onkel in Kabul habe, doch hat er gleichzeitig aber auch vorgebracht zu diesen keinen Kontakt mehr zu haben bzw. nicht zu wissen, wie seine Verwandten den Lebensunterhalt bestreiten würden. Auch gab er an, nicht zu wissen, ob seine Familie noch Kontakt zu den Angehörigen in Afghanistan habe. Es kann jedenfalls nicht ohne weiters davon ausgegangen werden, dass der BF nach der bisher vergangenen Zeit jedenfalls wieder Kontakt zu seiner Tante und seinem Onkel aufnehmen und Unterstützung erlangen könnte. Auch das Argument des BFA, wonach davon auszugehen sei, dass der BF noch über weitere Verwandte in Afghanistan verfüge, welche ihn unterstützen könnten, entbehrt jeglicher Grundlage. Zwar hat der BF in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 27.11.2018 einmal behauptetet, in Afghanistan auch Cousins zu haben, doch hat das BFA diesbezüglich in der Einvernahme nicht nachgefragt, ob der BF mit diesen noch in Kontakt stehe bzw. er Kontakt gehabt habe oder ob von dieser Seite eine Unterstützung denkbar erschiene.
Der Schluss des BFA, wonach der BF mittlerweile über ein familiäres Netz in Afghanistan verfüge, welches ihn auch finanziell unterstützen könne, ist somit nach der Aktenlage in keinster Weise tragfähig.
Für eine Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten aufgrund geänderter Umstände liegt somit keine tragfähige Sachverhaltsermittlung seitens der ersten Instanz vor.
Da der angefochtene Bescheid zu den dargelegten Punkten grob mangelhaft geblieben ist und die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im gegebenen Fall mit keiner erheblichen Kostenersparnis verbunden ist, war gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG mit Aufhebung des angefochtenen Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde vorzugehen.
Die belangte Behörde wird im fortgesetzten Verfahren somit vorrangig den aktuellen (auch psychischen) Gesundheitszustand bzw. die notwendige Therapie des BF, die Behandelbarkeit in Afghanistan sowie seine derzeitige Medikation und deren Verfügbarkeit in Afghanistan zu beurteilen haben. Weiters wird eruiert werden müssen, ob der BF aktuell noch über Verwandte in Afghanistan verfügt und bejahendenfalls, ob diese Verwandten den BF unterstützend zur Seite stehen können. Allenfalls wird es auch notwendig sein, die in Österreich aufhältigen Eltern des BF dazu zu befragen. Erst nach Klarstellung dieser Tatsachen kann die Leistungs- und Arbeitsfähigkeit des BF sowie in weiterer Folge (unter Berücksichtigung der aktuellen UNHCR-Richtlinien) die Zumutbarkeit einer IFA für den BF beurteilt werden.
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, zumal aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Zu B):
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich im vorliegenden Fall auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu A) wiedergegeben. Insoweit die dort angeführte Judikatur zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde SachverhaltsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W161.2149662.3.00Im RIS seit
26.11.2020Zuletzt aktualisiert am
26.11.2020