TE Bvwg Beschluss 2020/4/2 L516 1429567-4

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.04.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

02.04.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

L516 1429567-4/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA Pakistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.03.2020 in der Fassung des Berichtigungsbescheides vom 13.03.2020, IFA/VZ: 603131805/200258825:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

Der Beschwerdeführer ist pakistanischer Staatsangehöriger. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) erteilte dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 06.03.2020 (I.) keine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG, erließ (II.) gemäß § 10 Abs 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 1 Ziffer 1 FPG, stellte (III.) gemäß §
52 Abs 9 FPG fest, dass die „Abschiebung gemäß § 46 FPG nach zulässig“ sei, sprach (IV.) aus, dass gemäß § 55 Abs 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe und erkannte (V.) einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG die
aufschiebende Wirkung ab.

Das BFA berichtigte jenen Bescheid vom 06.03.2020 mit Bescheid vom 13.03.2020, dessen Spruch wie folgt lautet:

„Der Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien (IFA 603131805 Verfahrenszahl 200258825) wird gem. § 62/4 AVG wie folgt berichtigt:

Der Spruchpunkt III wird dahingehend berichtigt, dass gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt wird, dass Ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach PAKISTAN zulässig ist. Das Fehlen des Herkunftslandes ist aufgrund eines technisch mangelhaften Betriebs einer automationsunterstützten Datenverarbeitungsanlage zurückzuführen. Der Spruch hat richtigerweise wie folgt zu lauten:

I.       Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird Ihnen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt.

II.      Gemäß § 10 Absatz 2 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFAVG) idgF, wird gegen Sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 1 Ziffer 1 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen.

III.    Es wird gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass Ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach PAKISTAN zulässig ist.

IV.      Gemäß § 55 Absatz 4 FPG wird eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt.“

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Bescheid wird zur
Gänze angefochten.

1. Sachverhaltsfeststellungen:

1.1 Der Beschwerdeführer führt in Österreich den im Spruch angeführten Namen sowie das ebenso dort angeführte Geburtsdatum. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Pakistan, gehört der Volksgruppe der Butt sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft an und stammt aus Gujranwala im nördlichen Punjab.

1.2 Der Beschwerdeführer wurde am 28.02.2020 in Österreich im Zuge einer Fahrzeugkontrolle angehalten und in der Folge in ein Personenhaltezentrum eingeliefert (Anzeige über die Anhaltung und Einlieferung vom 29.02.2020). Der Beschwerdeführer hatte

zuvor bereits im Jahr 2012 und 2013 insgesamt zwei Anträge auf internationalen Schutz gestellt, über welche auch 2013 rechtskräftig abweisend entschieden wurde; er hielt sich danach zeitweilig in Italien auf, verfügte auch temporär über einen inzwischen wieder abgelaufenen Aufenthaltstitel für Italien, kehrte bereits einmal 2017 wieder nach Österreich zurück, reiste anschließend freiwillig wieder nach Italien zurück. (AsylGH 04.01.2013,
429.567-1/2012-9E; 11.07.2013, E13 429.567-2/2013-3E; NS 28.03.2017;
Ausreisebestätigung per E-Mail 13.04.2017)

1.3 Am 01.03.2020 führte das BFA mit dem Beschwerdeführer im PAZ unter Beiziehung einer Dolmetscherin eine niederschriftliche Einvernahme zur „Klärung des Aufenthaltsstatus“ durch, die sich auszugsweise – soweit gegenständlich relevant – wie folgt gestaltete (NS 01.03.2020, S 4, 5; Hervorhebungen nicht im Original).

[…]

Zu dem vorliegenden Sachverhalt und Ihren Angaben zu Ihrem Aufenthalt stellt die Behörde fest, dass  Sie sich zurzeit unrechtmäßig im Österreichischen Bundesgebiet aufhalten.

Zur Beendigung Ihres unrechtmäßigen Aufenthaltes ist beabsichtigt, Sie zur Sicherung zur Abschiebung und Erlassung einer aufenthaltsbeende Maßnahme in Schubhaft zu nehmen.

Es wird Ihnen zur Kenntnis gebracht, dass ein Antrag gemäß § 51 Abs. 1 FPG auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten von Ihnen bezeichneten Staat, der nicht Ihr Herkunftsstaat ist, nur während eines Verfahrens zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung, einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes gestellt werden kann.

Nach Vorhalt und Erörterung des § 51 FPG gebe ich an, dass ich in Pakistan weder strafrechtlich noch politisch verfolgt werde.

Es wird Ihnen nun die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme geboten.

A: Mein Onkel väterlicherseits ist politischer Anhänger. Er hat sich bei den Wahlen aufstellen lassen. Anhänger der Gegner verfolgen meine gesamte Familie.

Ich hatte eine Beziehung mit einer Frau musste ich meine Heimat verlassen.

F: Haben Sie dies bereits bei Ihrer Asylantragsstellung in Österreich angegeben?

A: Ich habe nur gesagt, dass ich eine Beziehung mit einem Mädchen hatte und deswegen ausreisen musste.

Das Ermittlungsverfahren wird aufgrund von Entscheidungsreife geschlossen.

Es ist beabsichtigt gegen Sie eine Rückkehrentscheidung zu erlassen.

Sie haben im Bundesgebiet keinen Wohnsitz und ist nicht feststellbar wie lange Sie sich im Bundesgebiet aufhalten. Zudem verfügen Sie über wenig Geld und können Ihre Ausreise nicht aus eigenem finanzieren.

F: Sind Sie bereit, dass diese Niederschrift als Rechtfertigung im Verfahren vor der LPD Wien übermittelt wird.

A: Ja

F: Haben Sie alles verstanden und haben Sie noch Fragen.

A: Ich möchte nicht nach Pakistan ich werde dort verfolgt. Ich möchte nach Italien, ich habe alles dort.

[…]

1.4 Ohne weitere Verfahrensschritte erließ das BFA den nun gegenständlich angefochtenen Bescheid (Bescheid 06.03.2020).

2. Beweiswürdigung:

Die Sachverhaltsfeststellungen stützen sich auf den nicht durchnummerierten
unverdächtigen Verwaltungsverfahrensakt des BFA und den Gerichtsakten des Asylgerichtshofes zu den 2012 und 2013 geführten Vorverfahren. Die konkreten
Beweismittel sind bei den Sachverhaltsfeststellungen jeweils in Klammer angeführt.

3. Rechtliche Beurteilung:

A)

Behebung des bekämpften Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit gemäß § 28 Abs 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA

3.1 Zu § 28 Abs 3 VwGVG hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich meritorisch zu entscheiden haben, eine
Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen jedoch insbesondere dann in Betracht kommen wird, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Zum gegenständlichen Verfahren

3.2 Fallbezogen gab der Beschwerdeführer im Zuge der Einvernahme zur „Klärung des Aufenthaltsstatus“ am 01.03.2020 gegenüber dem BFA an, dass sein Onkel väterlicherseits politischer Anhänger sei, dieser sich bei den Wahlen habe aufstellen lassen und Anhänger
der Gegner die gesamte Familie des Beschwerdeführers verfolgen würden. Im Verlauf jener Einvernahme gab er zudem auf die ihm vom BFA zur Kenntnis gebrachte Absicht, eine Rückkehrentscheidung gegen ihn zu erlassen, an, dass er nicht nach Pakistan wolle, er dort verfolgt werde.

Das BFA hat dazu jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen und den Beschwerdeführer überhaupt nicht zu diesen Angaben zu der von ihm vorgebrachten Verfolgung befragt. Auch im angefochtenen Bescheid ist das BFA darauf mit keinem Wort eingegangen.

Das BFA hat es ebenso unterlassen, entsprechend den Vorgaben des Verwaltungsgerichtshofes mit dem Beschwerdeführer zu erörtern, ob in seinem Verfolgungsvorbringen ein Antrag auf internationalen Schutz zu sehen ist und er einen
solchen stellen möchte oder nicht (vgl VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0109). Das BFA hat dieses Erfordernis zunächst auch selbst erkannt, wie aus einem handschriftlichen Aktenvermerk vom 04.03.2020 hervorgeht, dies anschließend jedoch aufgrund folgender Passage aus dem Einvernahmeprotokoll vom 01.03.2020 unterlassen (NS 01.03.2020, S 5),
wie einer ebenso im Verwaltungsverfahrensakt befindlichen E-Mail vom 05.03.2020 zu entnehmen ist:

„Eine Rückkehr nach Pakistan ist mir zumutbar und es sprechen keine Gründe dagegen, dass ich nicht in meine Heimat zurückkehren kann. Meine Abschiebung nach Pakistan wäre somit zulässig. F: Haben Sie alles verstanden und haben Sie noch Fragen.

A: ja, keine Fragen.“

Angesichts der zuvor dargestellten und zweimal während der Einvernahme vom Beschwerdeführer vorgebrachten Verfolgung, kann aus dieser singulären Antwort in jener Passage auf die ihm gestellte Frage, ob er alles verstanden hat und noch Fragen hat, nicht abgeleitet werden, dass damit eine ausreichende Erörterung im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfolgt worden wäre und der Beschwerdeführer tatsächlich keinen Antrag auf internationalen Schutz stellen wollte.

Die dargestellten Unterlassungen des BFA sind vor dem Hintergrund der zuvor getroffenen Ausführungen als besonders gravierende Ermittlungslücke anzusehen und kann ohne Nachholung der hier aufgezeigten und für die Prüfung notwendigen Tatsachenerhebungen nicht davon ausgegangen werden, dass der Sachverhalt entsprechend
entscheidungsrelevant ermittelt wurde. Dies wird daher vom BFA im fortgesetzten
Verfahren nachzuholen sein haben.

In weiterer Folge wird das BFA das Ermittlungsergebnis unter Berücksichtigung sämtlicher bekannter Bescheinigungsmittel einer schlüssigen Beweiswürdigung zu unterziehen und individuelle Feststellungen zu treffen zu haben, welche als Basis für die rechtliche
Beurteilung dienen.

3.3 Auch unter Effizienzgesichtspunkten verbietet sich eine Heranziehung des § 28 Abs 2 Z 2 VwGVG, zumal die Verwaltungsbehörde die erforderlichen Ermittlungsschritte und damit die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes im Sinne des Gesetzes zumindest mit der gleichen Raschheit und mit nicht höheren Kosten als das Verwaltungsgericht bewerkstelligen wird können. Im Gegenteil ist angesichts der erforderlichen Beweisaufnahme und der grundsätzlich gegebenen Verhandlungspflicht nicht anzunehmen, dass die zur Erforschung
der materiellen Wahrheit ergänzenden Ermittlungen unter Wahrung des Parteiengehörs durch das Bundesverwaltungsgericht selbst mit einer erheblichen Kostenersparnis
verbunden wäre. Wobei es bei der Beurteilung der Kostenersparnis und Raschheit darüber hinaus nicht auf die Auswirkungen auf das Gesamtverfahren, sondern nur auf die Ersparnis
an Zeit und Kosten für die jeweilige konkrete Amtshandlung ankommt. Dass die Zurückverweisung den gesamten Verfahrensverlauf verlängert, ist bei der Zeit- und Kostenersparnis nicht in Rechnung zu stellen, weil ansonsten eine kassatorische
Entscheidung nie in Frage käme (vgl Hengstschläger/Leeb, AVG, § 66 Rz 20 mwN).

3.4 Von diesen Überlegungen ausgehend ist daher im gegenständlichen Fall das dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 28 Abs 3 Satz 2 VwGVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung auszuüben und das Verfahren spruchgemäß an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen.

Entfall der mündlichen Verhandlung

3.5 Aufgrund der Behebung des angefochtenen Bescheides konnte eine Verhandlung gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG entfallen.

Zu B)

Revision

3.6 Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da die für den vorliegenden Fall relevante Rechtslage durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt ist.

3.7 Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Asylantragstellung Ermittlungspflicht Kassation mangelhaftes Ermittlungsverfahren mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L516.1429567.4.00

Im RIS seit

26.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

26.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten