Entscheidungsdatum
09.04.2020Norm
BBG §42Spruch
L517 2221641-1/6E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. NIEDERWIMMER als Vorsitzenden und den Richter Mag. Dr. STEININGER und den fachkundigen Laienrichter Mag. SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle XXXX , vom 05.06.2019, OB: XXXX , beschlossen:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle XXXX , vom 05.06.2019, OB: XXXX , gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl I Nr 33/2013 idgF, aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl Nr 1/1930 idgF, nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
17.01.2019—Antrag der beschwerdeführenden Partei (in Folge „bP“ genannt) auf die Ausstellung eines Ausweises gemäß §29b StVO (Parkausweis) und gleichzeitig auf die Ausstellung eines Behindertenpasses und die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass beim Sozialministeriumservice - SMS, Landesstelle XXXX (in Folge belangte Behörde bzw „bB“ genannt)
19.04.2019—Erstellung eines allgemeinmedizinischen und chirurgischen Sachverständigengutachtens; GdB 50 vH; Dauerzustand; Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel;
23.04.2019—Parteiengehör/keine Stellungnahme
05.06.2019—Bescheid der bB; Abweisung des Antrags vom 17.01.2019 auf die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass
06.06.2019—Versendung des unbefristeten Behindertenpasses im Scheckkartenformat an die bP
15.07.2019—Beschwerde der bP
24.07.2019—Beschwerdevorlage am BVwG
16.10.2019—Befundnachreichung durch bB
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1.0. Feststellungen (Sachverhalt):
Die bP besitzt die XXXX Staatsbürgerschaft, ist an der im Akt ersichtlichen XXXX Adresse wohnhaft.
Am 17.01.2019 stellte die bP den Antrag auf die Ausstellung eines Ausweises gemäß §29b StVO (Parkausweis) und gleichzeitig auf die Ausstellung eines Behindertenpasses und die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass bei der bB.
In weiterer Folge wurde am 19.04.2019 im Auftrag der bB nach der Einschätzungsverordnung ein allgemeinmedizinisches und chirurgisches Sachverständigengutachten erstellt. (Begutachtung am 11.04.2019) Es wurden ein Gesamtgrad der Behinderung von 50 vH und die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgestellt. Dieses Gutachten weist folgenden relevanten Inhalt auf:
…
„
Anamnese:
Es liegt ein Antrag zur Ausstellung eines Behindertenpasses vor-Erstantrag. Gleichzeitig wurde auch um die Eintragung der Unzumutbarkeit bzw. Ausstellung eines Parkausweises eingereicht. Die Untersuchung findet am 11.04.2019 statt. Das Gutachten wird nach den Richtlinien der EVO, den vorliegenden Befunden und einer eingehenden klinischen Untersuchung erstellt.
Die im Antrag angeführten Erkrankungen bzw. Diagnosen zur Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung:
1.) VH-Flimmern.
2.) Hyperparathyreoidismus.
3.) Osteopenie.
4.) Z.n. Magenbypass-OP (01/2011).
5.) Z.n. Hysterektomie.
6.) Pfropfarthritis.
Operationen: Magenbypass (01/2011). Varikositas bds. 3x Leistenbruch bds. Zust.n. Hysterektomie.
Derzeitige Beschwerden:
Die Patientin kommt alleine und ohne Gehbehelfe zur Untersuchung. Sie berichtet, dass sie keine Kraft in den Händen habe. Aufgrund der Polyarthritis, habe sie Schmerzen und sie spreche auf die Behandlungen nicht gut an. Die Morgensteifigkeit besteht bis zum Nachmittag. Sie habe auch Schmerzen in beiden Füßen-Fußsohle (Dysästhesie). Die Gehstrecke wird mit 100 m angegeben-Schmerzen in den Füßen. 1 Stockwerk kann sie langsam überwinden. Neu ist seit kurzer Zeit eine Belastungsdyspnoe.
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Amlodipin, Simvastatin, Sintrom, Ebetrexat, Folsan, Sertralin,Candesarcomp, Hydromorphon, Alendronsäure, Prednisolon, Neurobion, Humira, Cal-D-Vita, Atarax, INH.
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Pflegegeldgutachten, Pflegestufe 1, 25.06.2018, Ärztin für Allgemeinmedizin.
Diagnosen:
1.) Pfropfarthritis.
2.) Osteopenie.
Auszug: Die PGW berichtet weinend, dass sie bis Jänner 2018 völlig gesund und beschwerdefrei gewesen sei. Am 11.01.2018 sei sie mit einer schmerzhaften geschwollenen Hand rechts aufgewacht und seither hätten die Schmerzen nie mehr nachgelassen. Andere Gelenke wie Schultern, Fußgelenke würden auch angegriffen.
Prognose:
Eine Besserung ist nicht zu erwarten.
Arztbrief, Uniklinikum- XXXX , 09.04.2019, Abteilung für Innere Medizin.
Diagnosen:
1.) Pfropfarthritis der Handgelenke (EM: 01/2018)-RF neg.-CCP-Ak: Pos.-Nicht erosiv (04/2018)-MTX seit 04/2018 (nach 5 Wochen eigenständig pausiert)-07/2018 erneuter Therapiebeginn-Therapiebeginn mit Humira (23.01.2019).
2.) Latente Tuberkulose (Pos. Elispot)-Beginn INH (11/2018).
3.) Vorhofflimmern.
4.) Arterielle Hypertonie.
5.) V. a. sekundären Hyperparathyreoidismus.
7.) Osteoporose.
8.) Deg. Veränderungen der HWS.
9.) Z.n. Unterarmfraktur rechts (2005).
10.) Z.n. Magenbypass-OP (01/2011).
11.) Z.n. Hysterektomie.
12.) Z.n. Varizen-Operation bds.
13.) Z.n. Leistenhernienoperation.
Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand:
Altersgemäßer Allgemeinzustand.
Ernährungszustand:
Adipöser Ernährungszustand.
Größe: 168,00 cm Gewicht: 90,00 kg Blutdruck: 130/90
Klinischer Status – Fachstatus:
Kopf/ Hals: HNAP: frei, nicht druckschmerzhaft, SD: tastbar, frei verschieblich, LK: keine pathologischen Lymphknoten tastbar, Sehen/Hören: altersgemäß, Zahnstatus: saniert (OK-und UK-Prothese),
Thorax/ Lunge: Knöcherner Thorax seitengleich, VA, Lungenbasen frei verschieblich, keine pathologischen RG's auskultierbar.
Herz: HT rein, rhythmisch (Sinusrhythmus), normofrequent.
Abdomen: Bauchdecke weich, über dem Thoraxniveau gelegen, keine pathologischen Resistenzen tastbar, Bruchpforten geschlossen, Leber und Milz nicht tastbar.
Wirbelsäule: achsengerechte Stellung, FBA: 30 cm, Lasegue: bds. negativ, Dreh-und Kippbewegungen in der LWS/HWS endlagig eingeschränkt, nicht schmerzhaft, KS und DS entlang der LWS auslösbar, aktives Abheben beider unteren Extremitäten von der Unterlage bis 45° möglich,
Obere Extremitäten: alle großen Gelenke an beiden oberen Extremitäten sind im Bewegungsumfang frei, grobe Kraft altersgemäß links eingeschränkt, Handgelenke beiderseits: 40-0-60, keine sichtbaren Reizzeichen in den Fingergelenken, kein Druckschmerz, keine Schwellung,
Untere Extremitäten: alle großen Gelenke an beiden unteren Extremitäten sind im Bewegungsumfang frei, grobe Kraft altersgemäß vorhanden,
Neurologischer Status: Derzeit keine sensiblen und/oder motorischen Ausfälle vorhanden, angegebene Dysästhesie an den Fußsohlen,
Gefäßstatus: Periphere Gefäße beiderseits gut tastbar,
Haut: Altersgemäße Hautstruktur,
Nikotin: 0,
Alkohol: 0,
Gesamtmobilität – Gangbild:
Die Gesamtmobilität wird anamnestisch mit 100 m angegeben. Einbeinstand beiderseits möglich. Zehen-und Fersengang beiderseits nicht durchführbar. Das Gangbild ist kleinschrittig aber sicher.
Status Psychicus:
Patientin allseits orientiert. Antrieb normal. Affizierbarkeit im positiven Skalenbereich gegeben. Duktus kohärent. Keine pathologischen Denkinhalte verifizierbar.
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktions-einschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
1. Rheumatoide Arthritis Handgelenke (Pfropfarthritis).
Einstufung der Erkrankung mit dem oberen Wert des Rahmensatzes von 40 %-Derzeit keine erheblichen Funktionseinschränkungen bei Mehrfachtherapie mit Methotrexat und Prednisolon. Pos.Nr. 02.02.02 Gdb% 40
2. Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule (LWS/HWS)-Osteoporose.
Einstufung der Erkrankung mit dem unteren Wert des Rahmensatzes von 30 %-Mittelgradige Funktionseinschränkung mit Belastungsschmerz und Analgetikatherapie. Pos.Nr. 02.01.02 Gdb% 30
3. Arterielle Hypertonie.
Einstufung der Erkrankung mit dem Fixsatz laut EVO von 20 %-Mehrfachtherapie zur Erzielung einer Normotonie ist notwendig Pos.Nr. 05.01.02 Gdb% 20
4. Zust.n. Hysterektomie.
Einstufung der Erkrankung mit dem Fixsatz von 10 % laut den Bestimmungen der EVO. Pos.Nr. 08.03.02 Gdb% 10
Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Position 1 als Hauptdiagnose-Rheumatoide Arthritis-wird durch Position 2-Degenerative Erkrankung der Wirbelsäule-um eine Stufe auf den Gesamtgrad der Behinderung von 50 % gesteigert. Durch Position 2 kommt es zu einer zusätzlichen Verschlechterung der gesundheitlichen Gesamtsituation (Schmerzsymptomatik/Mobilitätseinschränkung). Die Positionen 3 und 4 haben keinen weiteren funktionellen Einfluss auf die übrigen Erkrankungen und steigern daher den Gesamtgrad der Behinderung nicht weiter.
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
Derzeit liegen keine weiteren Erkrankungen bzw. Diagnosen zur Einstufung vor.
Latente Tuberkulose: INH-Therapie seit 11/2018-Keine Funktionseinschränkungen vorliegend (Bei einer latenten Tuberkulose liegt eine Infektion mit dem Erreger vor, es zeigen sich jedoch keine Symptome und die Patienten sind nicht infektiös).
Dysästesien an beiden Fußsohlen: Eine neurologische Abklärung liegt nicht vor.
Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:
Erstgutachten.
Begründung für die Änderung des Gesamtgrades der Behinderung:
Erstgutachten.
[X] Dauerzustand
1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?
Die derzeit bestehenden Erkrankungen-Rheumatoide Arthritis/Wirbelsäule-schränken die Mobilität zwar ein, jedoch nicht in einem erheblichen Ausmaß. Kurze Wegstrecken von 300- 400 m können ohne erhebliche Einschränkungen zu Fuß zurückgelegt werden. Die anamnestisch angegebene Gehstrecke von 100 m ist medizinisch nicht nachvollziehbar. Patientin verwendet auch keine Gehbehelfe. Niveauunterschiede von 20-30 cm können ohne erhebliche Einschränkungen überwunden werden. Das Gehen und Stehen in einem öffentlichen Verkehrsmittel ist bei ausreichender Kraft und Standsicherheit möglich-Haltegriffe können benützt werden. Erhöhte Sturzgefahr liegt nicht vor. Erheblich vermehrte Schmerzen sind bei unterschiedlichen Beschleunigungen (Anfahren/Bremsen) in einem öffentlichen Verkehrsmittels nicht zu erwarten. Auch von kardio-pulmonaler Seite, liegt ebenfalls keine Indikation zur Eintragung der Unzumutbarkeit vor.
2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?
Derzeit liegt keine schwere Erkrankung des Immunsystems vor, die laut den Richtlinien der EVO zu einer Ausstellung eines Parkausweises führt.
…
„
Am 23.04.2019 erging das Parteiengehör an die bP und es wurde ihr durch die bB Gelegenheit gegeben zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung zu nehmen. Die bP gab keine Stellungnahme ab.
Anschließend erging am 05.06.2019 der Bescheid der bB. Es wurde der Antrag vom 17.01.2019 auf die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass abgewiesen. Rechtsgrundlage waren §§ 42 und 45 des Bundesbehindertengesetztes (BBG)
Begründend wurde ausgeführt: Im Ermittlungsverfahren sei ein Gutachten eingeholt worden. Nach diesem Gutachten würden die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vorliegen. Die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien der Beilage, die einen Bestandteil der Begründung bilde, zu entnehmen. Mit Schreiben vom 23.04.2019 sei der bP Gelegenheit gegeben worden, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen. Da eine Stellungnahme innerhalb der gesetzten Frist nicht eingelangt sei, habe vom Ergebnis des Ermittlungsverfahrens nicht abgegangen werden können. Die Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt worden.
Am 06.06.2019 wurde der unbefristete Behindertenpass mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 50 vH an die bP versendet.
In der Folge erhob die bP mit Schreiben vom 15.07.2019 Beschwerde gegen den Bescheid vom 05.06.2019. Begründung sei die Verschlechterung ihres Gesamtzustandes. Der Beschwerde legte die bP einen Entlassungsschein des Uniklinikum XXXX vom 01.07.2019 mit folgendem Inhalt bei: „Entlassungsdiagnose: Prellung der Lumbosakralgegend und des Beckens.“
Es erfolgte am 24.07.2019 die Beschwerdevorlage am BVwG.
Am 16.10.2019 wurden mehrere aktuelle Befunde nachgereicht:
-Befundbericht neurologische Notfallambulanz vom 31.07.2019
-Entlassungsbrief vom 01.07.2019, Uniklinikum XXXX
-Ambulanzbericht vom 12.08.2019, Universitätsklinik für Innere Medizin XXXX
-Befundbericht neurologische Notfallambulanz vom 08.09.2019
2.0. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Verfahrensgang:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten der bB und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
Der oben unter Punkt II.1. festgestellte Sachverhalt beruht auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens.
Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen ergeben sich durch Einsicht in das zentrale Melderegister sowie die sonstigen relevanten Unterlagen.
2.2. Basierend auf der ständigen Rechtsprechung des VwGH bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" in einen Behindertenpass regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, das die Auswirkungen der Gesundheitsschädigung auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilt, sofern diese Frage nicht in einem unmittelbar zuvor durchgeführten Verfahren gemäß § 14 Abs. 2 Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG) im Rahmen der ärztlichen Begutachtung ausreichend behandelt wurde oder die Unzumutbarkeit aufgrund der Art der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt (vgl. auch VwGH vom 01.03.2016, Ro 2014/11/0024; VwGH vom 27.05.2014, Ro 2014/11/0030; VwGH vom 17. Juni 2013, 2010/11/0021 mit Verweis auf die Erkenntnisse vom 23. Februar 2011, 2007/11/0142 und vom 23. Mai 2012, 2008/11/0128; vgl. auch VwGH vom 20.03.2001, 2000/11/0321).
Nach der ständigen Judikatur des VwGH muss ein Sachverständigengutachten einen Befund und das eigentliche Gutachten im engeren Sinn enthalten. Der Befund ist die vom Sachverständigen – wenn auch unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Feststellungsmethoden – vorgenommene Tatsachenfeststellung. Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen benötigt, bilden das Gutachten im engeren Sinn. Eine sachverständige Äußerung, die sich in der Abgabe eines Urteiles (eines Gutachtens im engeren Sinn) erschöpft, aber weder die Tatsachen, auf die sich dieses Urteil gründet, noch die Art, wie diese Tatsachen ermittelt wurden, erkennen lässt, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar; die Behörde, die eine so geartete Äußerung ihrer Entscheidung zugrunde legt, wird ihrer Pflicht zur Erhebung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (§ 37 AVG) nicht gerecht (VwGH vom 17.02.2004, GZ 2002/06/0151).
Hat eine Partei grundlegende Bedenken gegen ein ärztliches Gutachten, dann ist es nach Ansicht des VwGH an ihr gelegen, auf gleichem fachlichen Niveau diesem entgegenzutreten oder unter Anbietung von tauglichen Beweismitteln darzutun, dass die Aussagen des ärztlichen Sachverständigen mit dem Stand der medizinischen Forschung und Erkenntnis nicht vereinbar sind (VwGH vom 20.10.1978, 1353/78).
Eine Partei kann ein Sachverständigengutachten nur dann erfolgreich bekämpfen, wenn sie unter präziser Darstellung der, gegen die Gutachten gerichteten, sachlichen Einwände ausdrücklich erklärt, dass sie die Einholung eines weiteren Gutachtens bestimmter Fachrichtung zur vollständigen Ermittlung des Sachverhaltes für erforderlich halte und daher einen Antrag auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen stellt (VwGH vom 23.11.1978, 0705/77).
Ebenso kann die Partei ein Sachverständigengutachten erfolgreich bekämpfen, ohne diesem auf gleichem fachlichem Niveau entgegentreten zu müssen, wenn es Widersprüche bzw Ungereimtheiten im Gutachten aufzeigt (vgl. z. B. VwGH vom 20.10.2008, 2005/07/0108).
Bei Beurteilung der Frage, ob eine Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist, wäre vor allem auch zu prüfen gewesen, wie sich die bei der bP gegebene dauernde Gesundheitsschädigung auf die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt (VwGH vom 22.10.2002, GZ 2001/11/0242).
Im gegenständlichen Verfahren hat es die bB unterlassen, den Sachverhalt dem Gesundheitszustand der bP entsprechend vollständig zu erheben – dies aus den nachfolgenden Erwägungen:
Im allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachten vom 19.04.2019 führte der medizinische Sachverständige betreffend die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aus: Das Gehen und Stehen in einem öffentlichen Verkehrsmittel ist bei ausreichender Kraft und Standsicherheit möglich Haltegriffe können benützt werden. Im Untersuchungsbefund stellte er bezüglich der oberen Extremitäten folgendes fest: „alle großen Gelenke an beiden oberen Extremitäten sind im Bewegungsumfang frei, grobe Kraft altersgemäß links eingeschränkt, Handgelenke beiderseits: 40-0-60, keine sichtbaren Reizzeichen in den Fingergelenken, kein Druckschmerz, keine Schwellung“ Weiters wurde im Zusammenhang mit der bei der bP vorliegenden rheumatoiden Arthritis in den Handgelenken (Pfropfarthritis) im Ergebnis der durchgeführten Begutachtung festgestellt, dass derzeit keine erheblichen Funktionseinschränkungen bei Mehrfachtherapie mit Methotrexat und Prednisolon vorliegen würden.
Die soeben dargelegten medizinischen Einschätzungen stehen in deutlichem Widerspruch zu einem ärztlichen Gutachten zum Antrag auf Zuerkennung des Pflegegeldes. Dieses Gutachten wurde von einer Allgemeinmedizinerin im Rahmen eines Hausbesuchs am 25.06.2018 erstellt. Der bP wurde die Pflegegeldstufe 1 zuerkannt. Der monatliche Pflegebedarf betrage 69 Stunden. Im klinischen Untersuchungsbefund führte die Medizinerin betreffend die oberen Extremitäten aus: „rechts: deutliche Schwellung der Fingergrundgelenke Grobkraft vermindert, druckschmerzhaft, beide Schultergelenke: schmerzhafte Bewegungseinschränkung bei der Elevation, Nacken/Schürzengriff mühsam möglich“ Als Pflegegeldrelevante Hauptdiagnose wurde eine Pfropfarthritis festgestellt. In ihrer Gesamtbeurteilung führte die Sachverständige aus: „ die bP kann wegen schmerzhafter Polyarthritis den Haushalt nicht versorgen, nicht kochen, weil sie nicht schneiden und heben kann. Sie benötigt Hilfe beim Tragen der Lebensmittel, einzelne Handgriffe beim Kleiden. Prognose: eine Besserung ist nicht zu erwarten.“
Obwohl dem Allgemeinmediziner, der das medizinische Sachverständigengutachten vom 19. 04.2019 im Auftrag der bB erstellte, das Pflegegeldgutachten vom 25.06.2018 bekannt war und er dieses auch unter dem Punkt „Zusammenfassung relevanter Befunde“ in seinem Gutachten auflistete ,beschränkte er sich bei der Prüfung, ob die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel für die bP zumutbar sei auf die pauschale Aussage, dass Haltegriffe von der bP benützt werden könnten. Es erfolgte keine nähere inhaltliche Auseinandersetzung mit der im Pflegegeldgutachten festgestellten Tatsache, dass die bP durch das Vorliegen einer dauernden Gesundheitsschädigung in Form der schmerzhaften, rheumatoiden Arthritis in den Handgelenken über eine verminderte Grobkraft verfügt. Die bP benötige laut dem Pflegegeldgutachten Hilfe bei einfachsten Haushaltstätigkeiten und sogar beim Ankleiden. Es bestehe eine deutliche Schwellung der Fingergrundgelenke. Auch in den Schultergelenken würden schmerzhafte Bewegungseinschränkungen bei der Elevation vorliegen. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die bP nicht in der Lage ist sich in einem öffentlichen Verkehrsmittel, unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen, an den vorhandenen Haltegriffen so festzuhalten, dass sie die Gefahr eines Sturzes zB bei einer Bremsung, abwenden könnte. Der medizinische Sachverständige hat sich mit dieser Problematik in keinster Weise befasst und das erstellte Gutachten vom 19.04.2019 ist in Zusammenschau mit dem vorliegenden Pflegegeldgutachten nicht schlüssig und nachvollziehbar.
Im allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachten vom 19.04.2019 sind, die von der bP eingenommenen, Medikamente Sertralin und Atarax aufgelistet. Sertralin gehört zur Arzneimittelgruppe der selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRIs). Diese Arzneimittel werden zur Behandlung von depressiven Erkrankungen und/oder Angststörungen angewendet. Atarax ist ein sogenanntes Psycholeptikum (Arzneimittel gegen Erregungszustände) und Anxiolytikum (Arzneimittel gegen Angstzustände). Es wird angewendet zur symptomatischen Behandlung von Pruritus (Juckreiz), Prämedikation vor chirurgischen Eingriffen. und zur symptomatischen Behandlung von Angststörungen bei Erwachsenen. Die bP nimmt also zwei Arzneimittel zur Behandlung von depressiven Erkrankungen bzw. Angstzuständen ein, was darauf hindeutet, dass eine derartige Erkrankung bei der bP vorliegen könnte Mit dem psychischen Zustand der bP hat sich der medizinische Sachverständige im Gutachten vom 19.04.2019 im Zusammenhang mit der Beurteilung der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht auseinandergesetzt und somit ein wesentliches Kriterium nicht berücksichtigt. Das erstellte Gutachten ist sohin in dieser Hinsicht mangelhaft.
Bei genauer Auseinandersetzung mit dem Akteninhalt hätte die bB die eklatanten Widersprüchlichkeiten zwischen den beiden vorliegenden medizinischen Sachverständigengutachten bemerken und berücksichtigen müssen. Das ho. Gericht ist der Ansicht, dass die bB es unterlassen hat den relevanten Sachverhalt dem Gesundheitszustand der bP entsprechend vollständig zu erheben.
3.0. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Entscheidungsrelevante Rechtsgrundlagen:
- Bundesverfassungsgesetz B-VG, BGBl Nr 1/1930 idgF
- Bundesbehindertengesetz BBG, BGBl Nr 283/1990 idgF
- Bundesverwaltungsgerichtsgesetz BVwGG, BGBl I Nr 10/2013 idgF
- Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz VwGVG, BGBl I Nr 33/2013 idgF
- Verwaltungsgerichtshofgesetz VwGG, BGBl Nr 10/1985 idgF
Nachfolgende Bestimmungen beziehen sich auf die im Pkt. 3.1. angeführten Rechtsgrundlagen in der jeweils geltenden Fassung.
3.2. Gemäß Art 130 Abs 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden
1. gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit; …
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
Gemäß § 45 Abs 2 BBG ist ein Bescheid nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs 1 nicht stattgegeben oder der Pass eingezogen wird.
Gemäß § 45 Abs 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Gemäß § 45 Abs 4 BBG hat bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs 3 eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
Gemäß § 45 Abs 5 BBG entsendet die im § 10 Abs 1 Z 6 des BBG genannte Vereinigung die Vertreterin oder den Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung. Hinsichtlich der Aufteilung des Nominierungsrechtes auf gleichartige Vereinigungen ist § 10 Abs 2 des BBG anzuwenden. Für jede Vertreterin und jeden Vertreter ist jeweils auch die erforderliche Anzahl von Ersatzmitgliedern zu entsenden.
In Anwendung des Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG iVm § 45 Abs 3 BBG wird die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes in der zugrundeliegenden Beschwerdeangelegenheit begründet und fällt die Entscheidung der gegenständlichen Rechtssache jenem Richtersenat zu, der unter Berücksichtigung der zitierten Bestimmungen in der Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes dafür vorgesehen ist. Der erkennende Senat ist daher in diesem Beschwerdeverfahren zuständig.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl Nr 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl Nr 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl Nr 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem, dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Bezugnehmend auf die zitierten Bestimmungen waren die unter Pkt 3.1 im Generellen und die in den Pkt 3.2 ff im Speziellen angeführten Rechtsgrundlagen für dieses Verfahren in Anwendung zu bringen.
Gemäß § 28 Abs 1 VwGVG hat, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Abs 3 VwGVG hat, wenn die Voraussetzungen des Abs 2 leg cit nicht vorliegen, das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Dies auch unter dem Aspekt, dass, um eine Entscheidung in dem vorliegenden Beschwerdeverfahren treffen zu können, vorher vom Bundesverwaltungsgericht noch notwendige ergänzende Ermittlungen durch Einholung von weiteren Sachverständigengutachten vorzunehmen wären. Dementsprechend würde es das Verfahren iSd § 28 Abs 2 VwGVG nicht beschleunigen und auch keine Kostenersparnis mit sich bringen. Die Behörde ist in diesem Fall an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgeht.
Gegenständliche Entscheidungsform stellt nach Ansicht des ho Gerichtes ein verfahrensökonomisches Instrument, insbesondere im Hinblick auf eine mögliche verfahrensbeschleunigende Wirkung, dar, welches generell vorab durch die Behörde zu prüfen und einzelfallbezogen in Betracht zu ziehen wäre.
Gemäß § 31 Abs 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
3.3. Aus den angeführten Erwägungen wurde nach Ansicht des ho Gerichtes das Ermittlungsverfahren der bB mangelhaft geführt und ist vor allem hinsichtlich der im Gutachten nicht bzw unzureichend vorgenommenen Auseinandersetzung mit den Gesundheitsbeeinträchtigung der rheumatoiden Arthritis in den Handgelenken und den von der bP eingenommen Medikamenten (Sertralin und Atarax) betreffend ebensolche durchzuführen.
Steht der maßgebliche Sachverhalt fest oder ist die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden, hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden.
§ 28 Abs 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.
Hierzu führt der VwGH aus, dass angesichts des in § 28 VwGVG 2014 insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs 3 VwGVG 2014 verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG 2014 insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).
Obig angeführte Ermittlungsmängel liegen aus Sicht des erkennenden Gerichtes vor und ist der Bescheid nach § 28 Abs 3 VwGVG aufzuheben und zur neuerlichen Erlassung an die Behörde erster Instanz zurückzuverweisen. Dies auch unter dem Aspekt der Raschheit und Wirtschaftlichkeit iSd § 28 Abs 3 2. Satz VwGVG, da aufgrund der infrastrukturellen Gegebenheiten des BVwG das anhängige Verfahren mit Sicherheit nicht rascher, sondern nur kostenintensiver im Vergleich zum Sozialministeriumservice, durch Einholung weiterer Sachverständigengutachten, durchgeführt werden kann.
3.4. Gemäß § 24 Abs 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Gemäß § 24 Abs 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.
Im vorliegenden Fall stand bereits auf Grund der Aktenlage fest, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben war, weshalb eine öffentliche mündliche Verhandlung iSd § 24 Abs 2 VwGVG entfallen konnte.
3.5. Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen (VwGH vom 22.05.2014, Ra 2014/01/0030).
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Behindertenpass Ermittlungspflicht Gesundheitszustand Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Sachverständigengutachten ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:L517.2221641.1.00Im RIS seit
26.11.2020Zuletzt aktualisiert am
26.11.2020