TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/15 L511 2227213-1

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Veröffentlicht am 15.04.2020
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Entscheidungsdatum

15.04.2020

Norm

AlVG §8
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

L511 2227213–1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a JICHA als Vorsitzende und die fachkundigen Laienrichter*innen Mag. SIGHARTNER und Mag.a WOLTRAN als Beisitzer*innen über die Beschwerde von XXXX , gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice XXXX vom 01.10.2019, Zahl: XXXX , nach Beschwerdevorentscheidung vom 19.12.2019, Zahl: XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der Bescheid des Arbeitsmarktservice XXXX , vom 19.12.2019, Zahl: XXXX , gemäß § 28 Abs. 2 und Abs. 5 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang und Verfahrensinhalt

1.       Verfahren vor dem Arbeitsmarktservice [AMS]

1.1.    Der Beschwerdeführer bezog zuletzt bis 30.08.2018 Notstandshilfe und stellte am 26.08.2019 erneut einen Antrag auf Leistungsbezug aus der Arbeitslosenversicherung (Aktenzahl der elektronisch übermittelten Aktenteile [im Folgenden: AZ] 2, 3, 13).

1.2.    Das AMS ordnete unter Hinweis auf § 8 Abs. 2 AlVG die Teilnahme an einer Abklärung der Arbeitsfähigkeit (siehe zur Vorgeschichte die im RIS abrufbare Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts L503 2211401-1) bei der PVA am 06.09.2019 an (AZ 11).

1.3.    Am 23.09.2019 wurde dem AMS eine Teilbegutachtung, welche eine körperliche Arbeitsfähigkeit attestiert, übermittelt. Es habe keine Beurteilung des geistig/psychischen Leistungsvermögens sowie des Arbeitstempos erstellt werden können, da der Beschwerdeführer eine psychiatrische Begutachtung abgelehnt habe (AZ 15-16).

1.4.    Mit Bescheid des AMS vom 01.10.2019, Zahl: XXXX , wurde der Antrag auf Leistungsbezug gemäß § 33 Abs. 2 iVm §§ 38, 7 Abs. 2 und 8 Abs. 2 AlVG wegen der Weigerung des Beschwerdeführers sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen abgelehnt (AZ 17).

Begründend wurde ausgeführt, aufgrund der Weigerung an der Untersuchung teilzunehmen habe die Arbeitsfähigkeit nicht geklärt werden können.

1.5.    Mit Schreiben vom 08.11.2019, erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde [Bsw] gegen den am 14.10.2019 zugestellten Bescheid (AZ 20).

Begründend führte der Beschwerdeführer zusammengefasst aus, es läge nicht an ihm, dass nicht alle nötigen Untersuchungen durchgeführt wurden, sondern an der PVA, die sich beharrlich geweigert habe, ihn dermatologisch untersuchen zu lassen. Stattdessen hat die begutachtende Ärztin versucht, ihn zu einer freiwilligen psychiatrischen Begutachtung zu schicken, was er jedoch abgelehnt haben, da er sich zu 100% psychisch gesund fühle. Die Begründung, dass eine psychiatrische Erkrankung nicht auszuschließen sei, berechtige nicht zur Anordnung einer psychiatrischen Untersuchung. Eine psychiatrische Untersuchung sei nie angeordnet, sondern nur als freiwillig annehmbare Untersuchung angeboten worden.

1.6.    Im ergänzenden Ermittlungsverfahren holte das AMS Auskünfte von der PVA zur Kommunikation mit dem Beschwerdeführer (AZ 22, 23), sowie zum Begriff Zuweisung (AZ 25) ein, und gewährte dem Beschwerdeführer dazu Parteiengehör, wozu dieser auch Stellung nahm (AZ 24-27).

Die PVA gab auf die Anfrage des AMS durch eine Mitarbeiterin der Medizinischen Administration an, die untersuchende Allgemeinmedizinerin habe den Beschwerdeführer darauf hingewiesen, dass sie ohne psychiatrische Untersuchung kein abschließendes Gutachten erstellen könne und dies dem AMS so mitgeteilt werde. An den genauen Wortlaut könne sich die Ärztin jedoch nicht erinnern (AZ 22-23).

Bei dem Begriff Zuweisung handle es sich um einen internen Sprachgebrauch. Wenn ein Hauptgutachter der Ansicht sein, dass ein Facharztgutachten erforderlich sei, um ein Gesamtgutachten erstellen zu können, werde zum betreffenden Facharzt „zugewiesen“. Dieser befinde sich im Haus und der Termin könne manchmal am selben Tag wahrgenommen werden. Fallbezogen hätte die psychiatrische Begutachtung am selben Tag stattfinden können (AZ 25).

Der Beschwerdeführer führt in der Stellungnahme neben ausführlicher Beschreibung seiner Beschwerden aus, die Gutachterin der PVA habe keine Zuweisung zur psychiatrischen Untersuchung erteilt, da der konkrete Untersuchungsauftrag gefehlt habe. Er habe den Eindruck gehabt, die Ärztin habe gedroht ihn körperlich als arbeitsfähig darzustellen, falls er nicht bereit sei, sich als psychische krank deklarieren zu lassen.

Wörtlich habe die Ärztin in diesem Zusammenhang auszugsweise folgendes gesagt [Anonymisierung und Transkription der in der Beschwerde in Mundart wiedergegebenen Aussagen durch das BVwG]:

„Und das andere wäre der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, den brauchen wir einfach dazu, Herr BF. Ich bin keine Fachärztin. Und wir brauchen einfach einen Facharzt dazu.“ […] „… Wir lassen fast alle über einen Psychiater anschauen bei uns.“

Auf die Frage, ob das Pflicht sei, habe die Ärztin gesagt „Nun ja, Pflicht ist es nicht, aber …“, ohne den Satz zu vollenden.

1.7.    Mit Bescheid vom 19.12.2019, Zahl: XXXX , zugestellt am 19.06.2019, wies das AMS im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung [BVE] gemäß § 14 VwGVG iVm § 56 AlVG die am 08.11.2019 eingelangte Beschwerde vom 08.11.2019 ab (AZ 28).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe den Untersuchungstermin beim Kompetenzzentrum Begutachtung der PVA am 06.09.2019 zwar wahrgenommen, es habe jedoch keine Beurteilung seines geistig/psychischen Leistungsvermögens sowie des Arbeitstempos erstellt werden können, da er diese Untersuchung abgelehnt haben. Der begründete Auftrag des AMS zur Feststellung der Arbeitsfähigkeit bzw. zur Feststellung, ob bestimmte Tätigkeiten die Gesundheit gefährden könnten, habe durch die Weigerung des Beschwerdeführers nicht abgeschlossen werden können. Die hauptbegutachtende Ärztin habe den Beschwerdeführer in klarer Weise darüber informiert, dass eine Untersuchung durch die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie notwendig sei, um ein abschließendes Gutachten erstellen zu können. Der Beschwerdeführer müsse daher die ihm bekannten Rechtsfolgen seiner Weigerung in Kauf nehmen.

1.8.    Mit Schreiben vom 02.01.2020, eingebracht beim AMS am 28.06.2019, beantragte der Beschwerdeführer fristgerecht die Vorlage der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (AZ 5-8).

Darin listet der Beschwerdeführer den Verfahrensgang detailliert auf und nimmt zu einzelnen Sätzen der Beschwerdevorentscheidung detailliert Stellung. Inhaltlich führt er dabei im Wesentlichen aus wie bereits in der Beschwerde.

2.       Die belangte Behörde legte am 07.01.2020 dem Bundesverwaltungsgericht [BVwG] die Beschwerde samt Auszügen aus dem Verwaltungsakt in elektronischer Form vor ((Ordnungszahl des Gerichtsverfahrensaktes [OZ] 1 [=AZ 1-28]).

2.1.    Das BVwG ersuchte die PVA unter Hinweis auf die Judikatur zur Gutachtenserstellung um Gutachtensergänzung, sowie in der Folge das AMS unter Hinweis auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 10.09.2014, 2013/08/0184) um Stellungnahme zur erfolgten Beantwortung durch die PVA (OZ 2-3, 8-10).

Die PVA übermittelte eine Beantwortung, welche nicht durch die ursprünglich behandelnde Ärztin, sondern durch den nicht involvierten leitenden Arzt erfolgte.

Der Beschwerdeführer nahm Stellung zur Fragestellung des BVwG an die PVA und hielt fest, dass diese nicht ausreichend sei (OZ 4).

Das AMS verwies in seiner Stellungnahme darauf, dass mit der Zuweisung zu einem Allgemeinmediziner des Kompetenzzentrums Begutachtung der PVA (die Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Zuweisung sei durch die Niederschrift vom 26.8.2019 gegeben), sämtliche Voraussetzungen auch hinsichtlich weiterführender Untersuchungen, erfüllt seien.

II.      Zu A) Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       entscheidungswesentliche Feststellungen

1.1.    Der Beschwerdeführer stellte am 26.08.2019 einen Antrag auf Leistungsbezug aus der Arbeitslosenversicherung (AZ 13).

1.2.    Am 26.08.2019 wurde mit dem Beschwerdeführer beim AMS eine Niederschrift aufgenommen, in der seitens des AMS unter Hinweis auf § 8 Abs. 2 AlVG die Teilnahme an einer Abklärung der Arbeitsfähigkeit bei der PVA am 06.09.2019 angeordnet wurde und in der der Beschwerdeführer auf die Konsequenzen bei Nichtteilnahme an der Abklärung hingewiesen wurde (AZ 11).

1.3.    Der Beschwerdeführer nahm den Termin am 06.09.2019 bei der PVA wahr, lehnte jedoch eine weitere Untersuchung durch eine Fachärztin aus dem Fachbereich Psychiatrie am selben Tag ab (AZ 15, 25).

1.4.    Zur Erforderlichkeit eines Facharztgutachtens aus dem Bereich Psychiatrie wird im Gutachten vom 06.09.2019 ausgeführt (AZ 15 S3): „Aufgrund seines Verhaltens ist eine psychiatrische Erkrankung nicht auszuschließen. Ich hätte ihn zur Fachärztin für Psychiatrie zugewiesen, aber der Klient wollte auf keinen Fall eine psychiatrische Begutachtung.“

Sämtliche weitere Auskünfte durch die PVA erfolgten nicht durch die begutachtende Ärztin, sondern jeweils über Dritte.

Auf die Anfrage des AMS gab die PVA durch eine Mitarbeiterin der Medizinischen Administration an, die untersuchende Allgemeinmedizinerin habe den Beschwerdeführer darauf hingewiesen, dass sie ohne psychiatrische Untersuchung kein abschließendes Gutachten erstellen könne und dies dem AMS so mitgeteilt werde. An den genauen Wortlaut könne sich die Ärztin jedoch nicht erinnern (AZ 22-23).

Über Auftrag des BVwG zur Gutachtensergänzung wurde vom nicht involvierten leitenden Arzt, anstelle der begutachtenden Ärztin ausgeführt (OZ 3): „Aufgrund der geschilderten Beschwerden des Probanden war für die Allgemeinmedizinerin eine psychiatrische Erkrankung z.B. aus dem Formenbereich der somatoformen Störungen nicht auszuschließen.“

1.5.    Das AMS verwies in seiner Stellungnahme darauf, dass mit der Zuweisung zu einem Allgemeinmediziner des Kompetenzzentrums Begutachtung der PVA (die Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Zuweisung sei durch die Niederschrift vom 26.8.2019 gegeben), sämtliche Voraussetzungen auch hinsichtlich weiterführender Untersuchungen, erfüllt seien.

2.       Beweisaufnahme und Beweiswürdigung

2.1.    Die Beweisaufnahme erfolgte durch Einsicht in die dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Auszüge aus dem Verwaltungsverfahrensakt (OZ 1 [=AZ 1-28]), sowie aus von den Verfahrensparteien vorgelegten oder vom BVwG erhobenen Dokumenten und Unterlagen. Zur Entscheidungsfindung wurden vom BVwG insbesondere folgende Unterlagen herangezogen:

?        Bescheid, Parteiengehör und Beschwerdevorentscheidung des AMS (AZ 17, 24, 28)

?        Stellungnahmen, Beschwerde und Vorlageantrag des Beschwerdeführers (AZ 18, 27, 20-21, 5-8)

?        Niederschrift gemäß §8 AlVG (AZ 11)

?        Gutachten der PVA (AZ 15, 16)

?        E-Mail der PVA, Aktenvermerk über Telefonat mit der PVA (AZ 22, 23, 25)

?        Gutachtensergänzung durch die PVA (OZ 3)

?        Stellungnahme des AMS zur Gutachtensergänzung (OZ 4)

2.2.    Die Feststellungen ergeben sich unmittelbar aus den jeweils zitierten Unterlagen und sind im Verfahren nicht bestritten worden (AZ 1, 2).

3.       Entfall der mündlichen Verhandlung

3.1.    Der Anspruch einer Partei auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist kein absoluter (§ 24 VwGVG unter Hinweis auf Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, [EMRK] noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 [GRC]). Nach der Rechtsprechung des EGMR und ihm folgend des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt unumstritten und nur eine Rechtsfrage zu entscheiden ist oder wenn die Sache keine besondere Komplexität aufweist (vgl. dazu für viele EGMR 12.11.2002, Döry / S, Rn37; VfGH 20.02.2015, B1534; sowie jüngst VwGH 18.12.2018, Ra 2018/03/0132, jeweils mwN).

3.2.    Im gegenständlichen Fall ergab sich klar aus der Aktenlage, dass von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten war. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich zur Gänze aus den dem Beschwerdeführer bekannten vorliegenden Aktenteilen und war weder ergänzungsbedürftig noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig.

4.       Rechtliche Beurteilung

4.1.1.  Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch einen Senat ergeben sich aus § 6 Bundesgesetz über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes [BVwGG] iVm § 56 Abs. 2 AlVG (vgl. VwGH vom 07.09.2017, Ra2017/08/0081). Das Verfahren des Bundesverwaltungsgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt. Verfahrensgegenständlich sind demnach neben dem VwGVG auch die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, sowie jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen sinngemäß anzuwenden, die das AMS im erstinstanzlichen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (§ 17 VwGVG).

4.1.2.  Das AMS hat gegenständlich eine Beschwerdevorentscheidung gemäß § 14 VwGVG erlassen und der Beschwerdeführer hat fristgerecht einen Vorlageantrag gemäß § 15 VwGVG gestellt, mit dem die (gegen den ersten Bescheid gerichtete) Beschwerde dem Verwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt wird. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist daher die an die Stelle des Ausgangsbescheides getretene Beschwerdevorentscheidung, wobei der Ausgangsbescheid Maßstab dafür bleibt, ob die Beschwerde berechtigt ist oder nicht, da sich diese gegen den Ausgangsbescheid richtet und ihre Begründung auf diesen beziehen muss (VwGH 20.05.2015, Ra 2015/09/0025; 17.12.2015, Ro2015/08/0026).

4.1.3.  Die Beschwerde und der Vorlageantrag sind rechtzeitig und auch sonst zulässig.

4.2.    Stattgabe der Beschwerde

4.2.1.  Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Antrag des Beschwerdeführers auf Notstandshilfe keine Folge gegeben, da die Abweisung der Beschwerde im Rahmen der Beschwerdevorentscheidung als Erlassung eines mit dem Erstbescheid spruchmäßig übereinstimmenden Bescheides anzusehen ist (vgl. VwGH 18.03.2014, 2013/22/0332).

4.2.2.  Für einen Großteil der Leistungen des AMS, darunter gemäß § 33 Abs. 2 AlVG auch der Anspruch auf Notstandshilfe, stellt § 7 Abs. 1 Z 1 AlVG die Grundlage für die Gewährung der beantragten Leistung dar. Gemäß § 7 Abs. 1 Z1 AlVG hat nur Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer (ua) der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht. Der Arbeitsvermittlung steht zur Verfügung, wer eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf (Abs. 3) und arbeitsfähig (§ 8), arbeitswillig (§ 9) und arbeitslos (§ 12) ist (Abs. 2 leg.cit).

4.2.3.  Gemäß § 8 Abs. 2 AlVG sind Arbeitslose, wenn sich Zweifel über ihre Arbeitsfähigkeit ergeben oder zu klären ist, ob bestimmte Tätigkeiten ihre Gesundheit gefährden können, verpflichtet, sich ärztlich untersuchen zu lassen. Die Untersuchung der Arbeitsfähigkeit hat an einer vom Kompetenzzentrum Begutachtung der Pensionsversicherungsanstalt festgelegten Stelle stattzufinden. Die Untersuchung, ob bestimmte Tätigkeiten die Gesundheit einer bestimmten Person gefährden können, hat durch einen geeigneten Arzt oder eine geeignete ärztliche Einrichtung zu erfolgen. Wenn eine ärztliche Untersuchung nicht bereits eingeleitet ist, hat die regionale Geschäftsstelle bei Zweifeln über die Arbeitsfähigkeit oder über die Gesundheitsgefährdung eine entsprechende Untersuchung anzuordnen. Wer sich weigert, einer derartigen Anordnung Folge zu leisten, erhält für die Dauer der Weigerung kein Arbeitslosengeld.

4.2.4.  Eine vom AMS vorgenommene Anordnung einer medizinischen Untersuchung iSd § 8 Abs. 2 vierter Satz AlVG unter der Sanktionsdrohung des fünften Satzes leg. cit. ist gegen den Willen der Partei nur insoweit rechtmäßig bzw. der Arbeitslose nur insoweit verpflichtet, sich einer Untersuchung zu unterziehen, als auf Grund von bestimmten Tatsachen der objektiv begründete Verdacht besteht, dass Arbeitsfähigkeit nicht (mehr) vorliegt oder dies die Partei selbst behauptet oder als möglich darstellt. Die Zuweisung an die "Gesundheitsstraße" der Pensionsversicherungsanstalt zur medizinischen Begutachtung iSd § 351b ASVG ist der Zuweisung an einen Arzt für Allgemeinmedizin gleichzuhalten. Es ist nicht notwendig, die Zuweisung mit Bescheid zu verfügen. Die Partei ist aber über die Gründe für eine Zuweisung zu einer Untersuchung zu unterrichten, dazu zu hören und über die Sanktion für den Fall der Verweigerung der Untersuchung zu belehren (VwGH 30.11.2018, Ra2018/08/0235 mwN).

Die Zuweisung zur Untersuchung hat vorerst nur an einen Arzt für Allgemeinmedizin zu erfolgen. Soweit dieser die Frage der Arbeitsfähigkeit nicht abschließend zu beurteilen vermag, wäre es seine Sache darzutun, dass und welche weiteren Untersuchungen durch Fachärzte oder gegebenenfalls welche die Partei in höherem Maß belastenden Untersuchungen, wie z.B. bildgebende Verfahren oder invasive Maßnahmen, zur Abklärung des Leidenszustandes aus medizinischer Sicht erforderlich sind. Dies gilt auch für die Zuweisung zu einem Facharzt aus dem Fachgebiet der Psychiatrie und Neurologie (mit der Sanktion des § 8 Abs. 2 letzter Satz AlVG). Eine solche Zuweisung ist nur zulässig, wenn sie entweder der zunächst heranzuziehende Gutachter auf Grund des von ihm erhobenen Befundes für erforderlich erachtet oder die Partei ihr nachweislich zustimmt. Die Partei ist aber in jedem Fall über die Gründe für eine Zuweisung zu einer Untersuchung zu unterrichten, dazu zu hören und über die Sanktion für den Fall der Verweigerung der Untersuchung zu belehren (für viele VwGH 10.09.2014, 2013/08/0184).

4.2.5.  Fallbezogen ist – wie das AMS zutreffend in der Stellungnahme ausführt – die Zuweisung seitens des AMS an die PVA korrekt erfolgt, und der Beschwerdeführer wurde auch über die Sanktion für den Fall der Verweigerung der Untersuchung rechtskonform belehrt.

4.2.6.  Allerdings erfolgte die Zuweisung der Allgemeinärztin zur fachärztlichen Begutachten aus dem Fachgebiet der Psychiatrie nicht den Richtlinien der Judikatur entsprechend. Ein solche ist nur dann zulässig, wenn dies auf Grund des erhobenen Befundes erforderlich ist oder der Betroffene zustimmt.

Aus den vorliegenden Unterlagen der PVA lässt sich jedoch – trotz Aufforderung zur Ergänzung durch das BVwG – weder ein Befund, noch eine schlüssige Begründung für die Erforderlichkeit der Zuweisung ableiten (vgl. dazu etwa VwGH 31.07.2018, Ra2017/08/0129). Zunächst hat die begutachtende Ärztin weder dem AMS noch dem BVwG gegenüber selber eine Auskunft erteilt oder eine Gutachtensergänzung abgegeben. Der als „Gutachtensergänzung“ durch den leitenden Arzt der PVA erfolgte Hinweis, aus dem Verhalten des Beschwerdeführers bzw. aus den geschilderten Beschwerden, sei möglicherweise an eine psychiatrische Erkrankung z.B. aus dem Formenbereich der somatoformen Störungen nicht auszuschließen, entspricht den in der Judikatur aufgestellten Anforderungen nicht.

Ein erforderlicher Befund samt sich aus diesem ergebender Grund für die Zuweisung lässt sich somit weder dem Gutachten vom 06.09.2019 noch der Gutachtensergänzung vom 28.02.2020 entnehmen.

4.2.7.  Der Beschwerdeführer war mangels nachvollziehbarer Begründung durch die Allgemeinärztin daher nicht verpflichtet sich der psychiatrischen Untersuchung zu unterziehen und die verhängte Sanktion gemäß § 8 Abs. 2 AlVG erweist sich als rechtswidrig.

4.2.8.  Die Beschwerdevorentscheidung des AMS (siehe dazu im Detail VwGH 17.12.2015, Ro2015/08/0026) ist daher spruchgemäß zu beheben, was zur Folge hat, dass der Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung des Arbeitslosengeldes der Beschwerdeführerin vom 26.08.2019 wieder offen und unerledigt ist.

4.3.    Für das fortgesetzte Verfahren wird zu berücksichtigen sein, dass der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom 16.12.2019 an das AMS davon ausgeht, dass er auf Grund seiner dermatologischen Erkrankungen zumindest vorübergehend arbeitsunfähig ist (StN S4, S7), was sollten diesbezügliche Befunde vorliegen, eine Begutachtung durch eine*n Dermatolog*in nahelegt.

III.    ad B) Unzulässigkeit der Revision:

Die gegenständliche Entscheidung stützt sich auf die umfangreiche und einheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 8 AlVG und weicht von dieser auch nicht ab. Zur Zulässigkeit und den Erfordernissen der Zuweisung an eine*n Fachärzt*in aus dem Fachgebiet der Psychiatrie und Neurologie explizit VwGH 10.09.2014, 2013/08/0184.

Der Entfall der mündlichen Verhandlung steht weder mit der Judikatur der Höchstgerichte noch mit der Judikatur des EGMR in Widerspruch, siehe dazu insbesondere VwGH 26.01.2017, Ra2016/07/0061 mwN, und es ergeben sich auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage, so dass insgesamt die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegen.

Schlagworte

Arbeitsfähigkeit ärztliche Untersuchung Begründungsmangel Notstandshilfe Zuweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L511.2227213.1.00

Im RIS seit

20.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

20.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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