TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/16 L511 2220765-1

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Veröffentlicht am 16.04.2020
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Entscheidungsdatum

16.04.2020

Norm

AlVG §8
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

L511 2220765-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a JICHA als Vorsitzende und die fachkundigen Laienrichter*innen Mag. SIGHARTNER und Mag.a WOLTRAN als Beisitzer*innen über die Beschwerde von XXXX , gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice XXXX vom 11.06.2019, Zahl: XXXX , nach Beschwerdevorentscheidung vom 26.06.2019, Zahl: XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der Bescheid des Arbeitsmarktservice XXXX , vom 26.06.2019, Zahl: XXXX , gemäß § 28 Abs. 2 und Abs. 5 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang und Verfahrensinhalt

1.       Verfahren vor dem Arbeitsmarktservice [AMS]

1.1.    Der Beschwerdeführer bezieht verfahrensgegenständlich seit 2013 mit Unterbrechungen Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung (Aktenzahl der elektronisch übermittelten Aktenteile [im Folgenden: AZ] 2).

1.2.    Mit Bescheid des AMS vom 11.06.2019, Zahl: XXXX , wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer gemäß § 33 Abs. 2 iVm §§ 38, 7 Abs. 2 und 8 Abs. 2 AlVG wegen der Weigerung sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen ab dem 20.05.2019 keine Notstandshilfe mehr erhält (AZ 6)

Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer sämtliche Untersuchungen und somit die Mitwirkung verweigert habe.

1.3.    Mit Schreiben vom 12.06.2019, beim AMS eingelangt am 12.06.2019, erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen den oben bezeichneten Bescheid (AZ 7).

Begründend führte der Beschwerdeführer zusammengefasst aus, er habe sich nicht geweigert an der Maßnahme zur Wiedereingliederung teilzunehmen, sondern habe lediglich die Unterschrift unter die Rahmenbedingungen für diese Maßnahme nicht unterzeichnet. Er sei mit der Weitergabe seiner medizinischen Befunde sowie mit den in der Maßnahme gewonnenen medizinischen Daten an das AMS nicht einverstanden gewesen. Auch wolle er nicht, dass VerwaltungsmitarbeiterInnen des XXXX Einblicke in seine medizinischen Daten erhalten. Der Beschwerdeführer verwies darauf, dass es bereits ein arbeitsmedizinisches und psychiatrisches Gutachten aus dem Jahr 2015 gäbe, und sich an seinem Gesundheitszustand nichts geändert habe.

1.4.    Im ergänzenden Ermittlungsverfahren gewährte das AMS dem Beschwerdeführer Parteiengehör und dieser nahm zum Verfahren Stellung (AZ 24-27).

1.5.    Mit Bescheid vom 26.06.2019, Zahl: XXXX , zugestellt am 19.06.2019, wies das AMS im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung gemäß § 14 VwGVG iVm § 56 AlVG die Beschwerde vom 12.06.2019 ab (AZ 13, 14).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, das existierende Gutachten sei ca. vier Jahre alt, was mit den bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen eine weitere ärztliche Untersuchung zulässig mache, zumal es keine Regelungen zur Bindungswirkung von Gutachten gebe. Der Beschwerdeführer habe den Fragebogen, der als Basis der Untersuchung gedient hätte, nicht ausgefüllt, weshalb diese nicht stattgefunden habe. Dies komme einer Verweigerung der Untersuchung gleich. Auch die vom Beschwerdeführer beanstandete Datenverarbeitung durch das AMS, erfolge der DSGVO entsprechend zu Recht.

1.6.    Mit Schreiben vom 28.06.2019 beantragte der Beschwerdeführer fristgerecht die Vorlage der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (AZ 15).

Im Wesentlichen führte der Beschwerdeführer aus, wie bereits in der Beschwerde. Die Zuweisung zur Maßnahme XXXX sei keine Zuweisung zu einer amtsärztlichen Untersuchung, sondern zu einer Wiedereingliederungsmaßnahme. Zu dieser hätte der Beschwerdeführer auf Grund des Gutachtens aus dem Jahr 2015 aber nicht zugewiesen werden dürfen. Das Ausfüllen von Fragebögen sei nirgends normiert, eine amtsärztliche Untersuchung erfordere keine Zustimmung des Beschwerdeführers.

2.       Mit Bescheid vom 18.06.2019 schloss das AMS die aufschiebende Wirkung der gegenständlichen Beschwerde des Beschwerdeführers aus. Das BVwG gab der dagegen erhobenen Beschwerde mit Erkenntnis vom 03.07.2019, GZ L511 2220542-1/4, statt und sprach aus, dass der verfahrensgegenständlichen Beschwerde vom 12.06.2019 die aufschiebende Wirkung zukommt.

3.       Die belangte Behörde legte am 03.07.2019 dem Bundesverwaltungsgericht [BVwG] die Beschwerde samt Auszügen aus dem Verwaltungsakt in elektronischer Form vor (Ordnungszahl des Gerichtsverfahrensaktes [OZ] 1 [=AZ 1-21]).

3.1.    Das BVwG ersuchte das AMS um Vorlage von weiteren Aktenteilen (OZ 2-4) und ersuchte das XXXX fallbezogen um Auskunft (OZ 5-6) und gewährte den Verfahrensparteien zum Ergebnis Parteiengehör. Der Beschwerdeführer gab dazu am 23.08.2019 eine Stellungnahme ab, das AMS gab keine Stellungnahme ab (OZ 7-8).

3.1.1.  Das XXXX führte zusammengefasst aus, es sei mit der Erbringung von Beratungs- und Betreuungsleistungen beauftragt worden, das arbeitsmedizinische Gutachten stelle lediglich einen kleinen anamnestischen Teil im gesamten Angebot dar. Die Kundinnen werden in der Gruppeneröffnung gebeten den „Berufs- uns Sozialanamnesebogen“ sowie die „Rahmenbedingungen“ (die den Kundinnen lediglich als Information in Hinblick auf Berichtserstellung und Übermittlung der berufsdiagnostischen Daten an das AMS, Ausschließungsgründe vom Beratungsangebot, zeitlicher Rahmen usw. dienen) auszufüllen und zu unterfertigen. Der Beschwerdeführer habe im Erstgespräch angegeben im Juni 2015 bereits an dem Beratungsangebot „ XXXX “ teilgenommen zu haben, weshalb seine gesamten Daten bereits vorhanden wären. Aus diesem Grund habe er keine weiteren Angaben machen wollen. Der Beschwerdeführer sei aufgeklärt worden, dass Daten lediglich ein halbes Jahr ab Beendigung des Angebotes aufbewahrt würden und eine entsprechende Auskunftsbereitschaft für eine konstruktive Zusammenarbeit Voraussetzung wäre. Der Beschwerdeführer habe daraufhin angegeben „er sei bereit die Konsequenzen zu tragen“, weshalb die Weiterführung des Beratungsangebotes für nicht zielführend erachtet worden sei.

Auf die Frage des BVwG, ob ein arbeitsmedizinisches Gutachten auch ohne Ausfüllen von Fragebögen, etwa durch mündliche Anamneseerhebung erstellt werden könne, führte das XXXX wie folgt aus: „Ziel der arbeitsmedizinischen Begutachtung ist ein aktueller Statusbericht und Erläuterung der arbeitsmedizinischen Faktoren, ebenso Berücksichtigung gesundheitlicher Vermittlungshemmnisse und die Erarbeitung möglicher Therapievorschläge. Dafür notwendig ist einerseits die ärztliche Begutachtung durch den Arbeitsmediziner, aber auch die Erhebung berufs- und sozialanamnestischer Daten durch die Beraterin. Diese Informationen werden in Form einer Fragestellung für den begutachtenden Arzt aufbereitet und bilden somit einen notwendigen Bestandteil des arbeitsmedizinischen Gesamtgutachtens. Teilbereiche des gesamten arbeitsmedizinischen Gutachtens werden durch mündliche Anamnese erhoben. Der Berufs- und Sozialanamnesebogen ist jedoch standardisiert als schriftlicher Fragebogen vorgesehen, ähnlich wie standardisierte psychologische Testungen. Ausnahmen bestehen für Personen deren gesundheitliche Einschränkung das schriftliche Ausfüllen eines Fragebogens verunmöglichen.“

3.1.2.  Der Beschwerdeführer wies in seiner Stellungnahme im Wesentlichen darauf hin, dass das XXXX klar ausgeführt habe, dass es sich um Beratungs- und Betreuungsleistungen handle. Die arbeitsmedizinische Untersuchung sei nur ein kleiner Teil dieser Leistung und anders, als das AMS im Bescheid angenommen habe nicht mit einer amtsärztlichen Untersuchung gleichzusetzen.

II.      Zu A) Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       entscheidungswesentliche Feststellungen

1.1.    Der Beschwerdeführer steht seit dem Jahr 2013 mit Unterbrechungen im Leistungsbezug des AMS (AZ 2).

1.2.    Der Beschwerdeführer weist einen Grad der Behinderung von 50 % auf (AZ 17). Im Jahr 2015 wurde (bei einem damaligen Grad der Behinderung von 60%) ein arbeitsmedizinisches Gutachten durch „ XXXX “ erstellt, welches zum Ergebnis kam, dass der Beschwerdeführer arbeitsfähig und aus fachärztlicher Sicht eine Wiedereingliederungsmaßnahme nicht notwendig sei (AZ 7/11-21).

1.3.    Im Rahmen einer Bewerbung bei einem sozialökonomischen Betrieb, Bewerbungsschreiben vom 11.02.2019 (AZ 3) und Bewerbungsbogen vom 12.03.2019 (OZ 2), gab der Beschwerdeführer an, gehbehindert zu sein, nicht sehr lange stehen und gehen zu können, Medikamente zu nehmen und sich in Therapie zu befinden. Genauere Angaben wollte er aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht tätigen.

1.4.    Am 16.04.2019 erfolgte seitens des AMS eine Zuweisung an das XXXX [ XXXX ], mit dem Ersuchen „um eine umfassende ärztliche Diagnose“ und der konkreten Fragestellung nach „Einsetzbarkeit im erlernten Beruf, Auflistung möglicher Hilfs- und Anlerntätigkeiten, detaillierter Auflistung aller zumutbaren Tätigkeitsbereiche“ (OZ 3).

1.5.    Am 30.04.2019 wurde mit dem Beschwerdeführer beim AMS eine Niederschrift aufgenommen, in der seitens des AMS unter Hinweis auf § 8 Abs. 2 AlVG die Teilnahme an einer Abklärung des zumutbaren Tätigkeitsbereichs im Rahmen des Berufsdiagnostischen Zentrums [im Folgenden auch Abklärung] angeordnet wurde und in der der Beschwerdeführer auf die Konsequenzen bei Nichtteilnahme an der Abklärung hingewiesen wurde (AZ 5).

1.6.    Zur am 20.05.2019 beginnenden Veranstaltung „ XXXX “ wurde der Beschwerdeführer eingeladen und er stieg planmäßig in das Beratungsangebot ein (OZ 4, 6).

1.7.    Die Leistung des XXXX ist als Beratungs- und Betreuungsangebot konzipiert. Ziel des Angebotes ist die umfassende Erhebung des gesundheitlichen und beruflichen Status [der Teilnehmer], um daraus eine realistische Empfehlung zur Integration in den Arbeitsmarkt anzubieten. Auf Basis einer individuellen Berufsdiagnostik werden konkrete Einsetzbarkeiten am regionalen und überregionalen Arbeitsmarkt erarbeitet und mit vorhandenen sozialen und berufsbezogenen Aspekten in Bezug gesetzt, aus welchen sich ein konkreter Interventionsvorschlag ableiten lässt. Ein arbeitsmedizinisches Gutachten stellt einen kleinen anamnestischen Teil im gesamten Angebot dar (OZ 6).

1.7.1.  Die Rahmenbedingungen des XXXX (Bsw/F) führen in Punkt 1 aus: „Der Beratungszeitraum beträgt bis zu 4 Wochen, wobei die diesbezüglichen Termine individuell vereinbart werden. Das Angebot umfasst Gruppen- und Einzelberatungen sowie medizinische und psychologische Abklärungen. Einen weiteren Schwerpunkt stellt die Entwicklung beruflicher Perspektiven dar.“

In Punkt 6 ist ausgeführt: „Am Ende des Beratungszeitraumes wird ein Ergebnisbericht verfasst und an die/den zuständige/n AMS-BeraterIn übermittelt.“

1.8.    Der Beschwerdeführer verweigerte am 20.05.2019 die Unterschrift für die Rahmenbedingung sowie das Ausfüllen der Berufs- und Sozialanamnese (AZ 9, OZ 3).

Als Begründung für die Verweigerung der Unterschrift gibt der Beschwerdeführer an, er sei „aber mit der Weitergabe seiner medizinischen Befunde und der in der Maßnahme selbst gewonnenen medizinischen Daten an das AMS nicht einverstanden“ (Bsw S25).

Der Beraterin gegenüber gab er im Erstgespräch an, bereits im Juni 2015 am XXXX teilgenommen zu haben und daher auch keine weiteren Angaben auf vorgefertigten Formularen („Berufs- und Sozialanamnesebogen“, „Rahmenbedingungen“) mehr abgeben zu wollen (OZ 6).

1.9.    Die Weiterführung des Beratungsangebotes wurde seitens des XXXX wegen der fehlenden Unterschrift und der nicht ausgefüllten Berufs- und Sozialanamnese abgebrochen und auch kein arbeitsmedizinisches Gutachten erstellt (OZ 6).

2.       Beweisaufnahme und Beweiswürdigung

2.1.    Die Beweisaufnahme erfolgte durch Einsicht in die dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Auszüge aus dem Verwaltungsverfahrensakt (OZ 1 [=AZ 1-21]; OZ 3-4), aus denen sich auch der unter I. dargelegte Verfahrensgang ergibt, sowie aus von den Verfahrensparteien vorgelegten oder vom BVwG erhobenen Dokumenten und Unterlagen. Zur Entscheidungsfindung wurden vom BVwG insbesondere folgende Unterlagen herangezogen:

?        Bescheid und Beschwerdevorentscheidung des AMS (AZ 6, 13)

?        Beschwerde und Vorlageantrag des Beschwerdeführers (AZ 7, 15)

?        Versicherungsverlauf und Bezugsverlauf (AZ 1, 2)

?        Aufforderung des AMS zur Untersuchung vom 30.04.2019 (AZ 5)

?        Auftrag des AMS an das XXXX ( XXXX ) vom 16.04.2019 (OZ 3)

?        Angebotsbeschreibung und Inhaltsbeschreibung XXXX (AZ 7, S 35; OZ 6)

?        Ausführungen XXXX hinsichtlich Angaben des Beschwerdeführers (OZ 6)

2.2.    Die Feststellungen ergeben sich unmittelbar aus den jeweils zitierten Unterlagen und sind im Verfahren nicht bestritten worden (AZ 1, 2).

3.       Entfall der mündlichen Verhandlung

3.1.    Der Anspruch einer Partei auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist kein absoluter (§ 24 VwGVG unter Hinweis auf Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, [EMRK] noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 [GRC]). Nach der Rechtsprechung des EGMR und ihm folgend des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt unumstritten und nur eine Rechtsfrage zu entscheiden ist oder wenn die Sache keine besondere Komplexität aufweist (vgl. dazu für viele EGMR 12.11.2002, Döry / S, Rn37; VfGH 20.02.2015, B1534; sowie jüngst VwGH 18.12.2018, Ra 2018/03/0132, jeweils mwN).

3.2.    Im gegenständlichen Fall ergab sich klar aus der Aktenlage, dass von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten war. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich zur Gänze aus den dem Beschwerdeführer bekannten vorliegenden Aktenteilen und war weder ergänzungsbedürftig noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig.

4.       Rechtliche Beurteilung

4.1.1.  Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch einen Senat ergeben sich aus § 6 Bundesgesetz über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes [BVwGG] iVm § 56 Abs. 2 AlVG (vgl. VwGH vom 07.09.2017, Ra2017/08/0081). Das Verfahren des Bundesverwaltungsgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt. Verfahrensgegenständlich sind demnach neben dem VwGVG auch die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, sowie jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen sinngemäß anzuwenden, die das AMS im erstinstanzlichen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (§ 17 VwGVG).

4.1.2.  Das AMS hat gegenständlich eine Beschwerdevorentscheidung gemäß § 14 VwGVG erlassen und der Beschwerdeführer hat fristgerecht einen Vorlageantrag gemäß § 15 VwGVG gestellt, mit dem die (gegen den ersten Bescheid gerichtete) Beschwerde dem Verwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt wird. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist daher die an die Stelle des Ausgangsbescheides getretene Beschwerdevorentscheidung, wobei der Ausgangsbescheid Maßstab dafür bleibt, ob die Beschwerde berechtigt ist oder nicht, da sich diese gegen den Ausgangsbescheid richtet und ihre Begründung auf diesen beziehen muss (VwGH 20.05.2015, Ra 2015/09/0025; 17.12.2015, Ro2015/08/0026).

4.1.3.  Die Beschwerde und der Vorlageantrag sind rechtzeitig und auch sonst zulässig.

4.2.    Stattgabe der Beschwerde

4.2.1.  Mit der verfahrensgegenständlichen Beschwerdevorentscheidung wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer den Anspruch auf Leistungsbezug ab 20.05.2019 gemäß § 8 Abs. 2 AlVG verloren habe, da die Abweisung der Beschwerde im Rahmen der Beschwerdevorentscheidung als Erlassung eines mit dem Erstbescheid spruchmäßig übereinstimmenden Bescheides anzusehen ist (vgl. VwGH 18.03.2014, 2013/22/0332).

4.2.2.  Gemäß § 8 Abs. 2 AlVG sind Arbeitslose, wenn sich Zweifel über ihre Arbeitsfähigkeit ergeben oder zu klären ist, ob bestimmte Tätigkeiten ihre Gesundheit gefährden können, verpflichtet, sich ärztlich untersuchen zu lassen. Die Untersuchung der Arbeitsfähigkeit hat an einer vom Kompetenzzentrum Begutachtung der Pensionsversicherungsanstalt festgelegten Stelle stattzufinden. Die Untersuchung, ob bestimmte Tätigkeiten die Gesundheit einer bestimmten Person gefährden können, hat durch einen geeigneten Arzt oder eine geeignete ärztliche Einrichtung zu erfolgen. Wenn eine ärztliche Untersuchung nicht bereits eingeleitet ist, hat die regionale Geschäftsstelle bei Zweifeln über die Arbeitsfähigkeit oder über die Gesundheitsgefährdung eine entsprechende Untersuchung anzuordnen. Wer sich weigert, einer derartigen Anordnung Folge zu leisten, erhält für die Dauer der Weigerung kein Arbeitslosengeld.

4.2.3.  Die vom AMS vorgenommene Anordnung einer medizinischen Untersuchung iSd § 8 Abs. 2 vierter Satz AlVG unter der Sanktionsdrohung des fünften Satzes leg. cit. ist gegen den Willen der Partei nur insoweit rechtmäßig bzw. der Arbeitslose nur insoweit verpflichtet, sich einer Untersuchung zu unterziehen, als auf Grund von bestimmten Tatsachen der objektiv begründete Verdacht besteht, dass Arbeitsfähigkeit nicht (mehr) vorliegt oder dies die Partei selbst behauptet oder als möglich darstellt (VwGH 30.11.2018, Ra2018/08/0235). Die Zweifel an der Arbeitsfähigkeit müssen der Partei gegenüber konkretisiert werden, einerseits, damit auch ihr gegenüber klargestellt ist, dass ein Fall des § 8 Abs. 2 AlVG eingetreten ist und daher nunmehr die Verpflichtung zur Vornahme der Untersuchung besteht, und andererseits, damit ihr iSd § 37 iVm § 45 Abs. 3 AVG allenfalls Gelegenheit gegeben wird, diese Zweifel durch Vorlage bereits vorhandener geeigneter Gründe zu zerstreuen (VwGH 07.09.2017, Ro2017/08/0007).

Anders als die Zuweisung direkt an einen Facharzt kann die Zuweisung an ein arbeitsmedizinisches Zentrum weder als vorweggenommene medizinische Einschätzung durch dafür nicht qualifizierte Mitarbeiter des Arbeitsmarktservice verstanden werden, noch kann dies vom Betroffenen – anders als eine Zuweisung an einen Facharzt für Psychiatrie und Neurologie – mit Grund als erniedrigend oder schockierend angesehen werden. Vor diesem Hintergrund kann die Zuweisung zur ärztlichen Untersuchung an ein "arbeitsmedizinisches Zentrum" den Arbeitslosen nicht zu weiterreichenden Duldungen verpflichten als die Zuweisung an einen Allgemeinmediziner (VwGH 11.09.2008, 2007/08/0049).

4.2.4.  Verfahrensgegenständlich wurde der Beschwerdeführer vom AMS aufgefordert, sich beim XXXX einer arbeitsmedizinischen Begutachtung zu unterziehen, welche Tätigkeiten ihm auf Grund seines – von ihm selbst in einer Bewerbungssituation vorgebrachten – eingeschränkten Gesundheitszustandes möglich sind.

Das AMS hat dem Beschwerdeführer in der Niederschrift vom 30.04.2019 auch mitgeteilt, dass auf Grund seiner eigenen Angaben, wonach er gesundheitliche Einschränkungen habe, eine arbeitsmedizinische Untersuchung zur Abklärung des zumutbaren Tätigkeitsbereichs notwendig sei, womit das AMS seiner Verpflichtung nachkam, jene Umstände, die objektiv geeignet waren, Zweifel an der Arbeitsfähigkeit zu begründen, dem Beschwerdeführer gegenüber darzulegen. Der Beschwerdeführer wendet sich erstmals in der Beschwerde und im Vorlageantrag gegen diese Untersuchung, obwohl zwischen der Aufforderung und dem Termin der arbeitsmedizinischen Abklärung ein Monat Zeit dafür zur Verfügung stand. Es gebe ein Gutachten aus dem Jahr 2015 und im Jahr 2018 sei der Grad seiner Behinderung von 60% auf 50% herabgesetzt worden, weshalb aus seiner Sicht auch keine Neubewertung seines Gesundheitszustandes notwendig sei.

Dazu ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer trotz der gutachterlichen Feststellung von 2015, wonach er arbeitsfähig sei, seit 2013 durchgängig arbeitslos ist und obwohl er seit Oktober 2018 einer geringfügigen Tätigkeit nachgeht, in einer Bewerbung bei einem sozialökonomischen Betrieb im März 2019 explizit darauf hingewiesen hat, dass er nur sehr eingeschränkt einsetzbar sei, weil er „nicht sehr lange stehen und nicht weit gehen könne“.

Dem AMS ist daher aus Sicht des erkennenden Senates nicht entgegenzutreten, wenn es ein neues arbeitsmedizinisches Gutachten, welche konkreten Tätigkeitsbereiche dem Beschwerdeführer zumutbar sind, für notwendig erachtet.

4.2.5.  Entgegen der vom Beschwerdeführer vertretenen Auffassung ist die Aufforderung und Zuweisung an das XXXX nach § 8 Abs. 2 3. Satz AlVG grundsätzlich zulässig (vgl. dazu auch die RV 2000 dB XXIV. GP S11), da es sich beim XXXX um ein arbeitsmedizinisches Zentrum im Sinne des § 80 Arbeitnehmer*innenschutzgesetz und somit um eine geeignete ärztliche Einrichtung handelt zur Feststellung, welche Tätigkeiten dem Beschwerdeführer zumutbar sind (vgl. dazu VwGH 11.09.2008, 2007/08/0049).

4.2.6.  Der erkennende Senat teilt jedoch die Auffassung des Beschwerdeführers, die Leistung des XXXX ähnle mehr einer Maßnahme zur Wiedereingliederung als einer arbeitsmedizinischen Begutachtung. Aus der Anfragebeantwortung sowie den Rahmenbedingungen des XXXX geht klar hervor, dass die Leistung des XXXX , an der der Beschwerdeführer teilnehmen sollte, als Beratungs- und Betreuungsangebot konzipiert ist und die Erstellung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens nur einen kleinen anamnestischen Teil des gesamten bis zu 4-wöchigen Angebotes darstellte, aber nicht im Vordergrund der Betreuungsleistung stand. Es vermag nicht erkannt werden, weshalb der Beschwerdeführer, der ausschließlich zu einer arbeitsmedizinischen Untersuchung zugewiesen worden war, eine 4-wöchige Beratungs- und Betreuungsleistung absolvieren hätte sollen.

4.2.7.  Im Hinblick auf die erforderliche Unterzeichnung der Rahmenbedingungen vor Erstellung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens ist festzuhalten, dass keine Rechtsgrundlage dafür besteht, dem Arbeitslosen, ohne ihn zu untersuchen, das Arbeitslosengeld nach § 8 AlVG deshalb zu entziehen, weil er vor der Untersuchung keine Zustimmung zu einer Datenübertragung gegeben hat (VwGH 18.11.2009, 2007/08/0242).

4.2.8.  Zusammenfassend hat der Beschwerdeführer nicht seine Teilnahme an einer arbeitsmedizinischen Untersuchung verweigert, sondern die Teilnahme an einer 4-wöchigen Beratungsleistung, was jedoch nicht Gegenstand dieses Verfahrens ist.

4.2.9.  Gegenständlich ist (ausschließlich) die Beschwerdevorentscheidung zu beheben (siehe dazu im Detail VwGH 17.12.2015, Ro2015/08/0026), da in Fällen in denen ohne Parteienantrag ein widerrechtlicher Entzug eines Rechtes oder einer Leistung erfolgt, der dem materiellen Recht entsprechende Zustand nur durch ersatzlose Behebung des rechtswidrigen Bescheides hergestellt werden kann (vgl. VwGH 08.10.2010, 2005/04/0002; 21.02.2014, 2013/06/0159).

III.    ad B) Unzulässigkeit der Revision:

Die gegenständliche Entscheidung stützt sich auf die umfangreiche und einheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 8 AlVG und weicht von dieser auch nicht ab. Zur fehlenden Zustimmung zur Datenübertragung VwGH 16.11.2011, 2008/08/0119 mwN; 18.11.2009, 2007/08/0242

Der Entfall der mündlichen Verhandlung steht weder mit der Judikatur der Höchstgerichte noch mit der Judikatur des EGMR in Widerspruch, siehe dazu insbesondere VwGH 26.01.2017, Ra2016/07/0061 mwN, und es ergeben sich auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage, so dass insgesamt die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegen.

Schlagworte

Arbeitsfähigkeit ärztliche Untersuchung ersatzlose Behebung Notstandshilfe Wiedereingliederungsmaßnahme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L511.2220765.1.00

Im RIS seit

20.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

20.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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