TE Vwgh Erkenntnis 1997/9/18 95/20/0707

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Veröffentlicht am 18.09.1997
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des S in Wien, vertreten durch Dr. Gabriel Liedermann, Rechtsanwalt in 1100 Wien, Gudrunstraße 143, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 4. Oktober 1995, Zl. 4.347.254/1-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger und reiste am 16. September 1995 illegal in das Bundesgebiet ein. Anläßlich seiner im fremdenpolizeilichen Verfahren erfolgten niederschriftlichen Befragung am 17. September 1995 gab er zu seinen Fluchtgründen an, er habe in Arbil als Journalist gearbeitet und moderne Ansichten vertreten und sei daher von kurdischen islamischen Fundamentalisten verfolgt worden. Er sei mit dem Tod bedroht worden und habe deshalb das Land verlassen müssen. Er habe auch nicht in den südlichen Teil des Irak flüchten können, weil er dort vor den irakischen Behörden nicht sicher gewesen wäre. Am 19. September 1995 beantragte der Beschwerdeführer die Gewährung von Asyl. Anläßlich seiner im Asylverfahren noch am selben Tag durchgeführten niederschriftlichen Befragung durch das Bundesasylamt gab er zu seinen Fluchtgründen an, er habe seit dem Jahre 1993 als freier Journalist gearbeitet. Im April 1993 habe die kommunistische Zeitung Bopesho zwei seiner Artikel veröffentlicht, worin er gegen die kurdisch-islamische Bewegung, die proiranisch eingestellt sei, geschrieben habe. In diesem Artikel habe er die kurdisch-islamische Bewegung angegriffen, daß sie die kurdische Sache nicht vertrete und das kurdische Volk verrate. Am 10. April 1993, kurz nach Veröffentlichung dieser Artikel, habe ein moslemischer Geistlicher ihn und die kommunistische Zeitung in seiner Predigt angegriffen und erklärt, daß diese seine Artikel der Sache nicht helfen würden, sondern hetzerische Angriffe auf die kurdisch-islamische Bewegung seien. Am 20. April 1993 habe ein Verwandter von ihm eine Drohung gegen ihn erhalten und ihm ausgerichtet, daß er (der Beschwerdeführer), sollte er nochmals solche Artikel veröffentlichen, "größere Schwierigkeiten" bekommen werde. Um welche Schwierigkeiten es sich dabei handeln würde, sei ihm jedoch nicht mitgeteilt worden. Ab diesem Zeitpunkt habe er auch keine Artikel mehr veröffentlicht und habe bis zum 13. Juli 1995 keine weiteren Probleme gehabt. An diesem Tage habe ihn der Verband für Schriftsteller in Kurdistan zu einer Veranstaltung nach Arbil eingeladen, bei der Probleme der Kurden öffentlich diskutiert worden seien. Auch er sei von der kurdisch-islamischen Bewegung zu Äußerungen aufgefordert worden. Dabei habe er sich u.a. gegen den Iran sowie die rückständigen Handlungen der kurdischen Regierung in einigen religiösen Fragen geäußert. Außerdem habe er seine Einstellung für eine friedliche Regelung und gegen alle islamischen Bewegungen dargelegt. Noch in der gleichen Nacht sei er telefonisch von einem Unbekannten bedroht worden, der erklärt habe, daß er (der Beschwerdeführer) auf Grund seiner Äußerungen die "entsprechende Strafe" erhalten würde. Er habe dieser Drohung vorerst jedoch keine besondere Bedeutung beigemessen. Am 15. August 1995 sei er nach Kare (dieser Ort liege 50 km von Arbil entfernt) gefahren, um einen Onkel zu besuchen. Als er aus den Sammeltaxi in Kare ausgestiegen sei, seien drei oder vier Schüsse auf ihn abgegeben worden. Anschließend habe er zwei Männer, die in der Nähe gestanden seien, davonlaufen gesehen. Ab diesem Zeitpunkt habe er die erhaltenen Drohungen sehr ernst genommen und sich entschlossen, das Land zu verlassen. Dies seien die Gründe gewesen, warum er den Irak auch verlassen habe. Über detailliertere Befragung gab der Beschwerdeführer an, im Zeitpunkt der Abgabe der Schüsse sei er mit dem Fahrer des Sammeltaxis zusammen in Kare auf einem Platz gestanden. Anschließend habe er diesen gefragt, ob er Schwierigkeiten gehabt hätte, was der Taxifahrer verneint habe. Daraus habe er den Schluß gezogen, daß die Schüsse ihm gegolten hätten. Er glaube, daß die kurdisch-islamische Bewegung ihn durch Abgabe dieser Schüsse habe warnen wollen, keine Äußerungen mehr, weder schriftlich noch mündlich, gegen sie abzugeben. Er habe diesen Vorfall weder den Behörden gemeldet noch Anzeige erstattet, da dies sowieso keinen Sinn gehabt hätte, weil die Behörden nicht die Macht bzw. Möglichkeiten gehabt hätten, solche Vorfälle hintanzuhalten. Außer dem geschilderten Vorfall habe er keinerlei Schwierigkeiten mit den Behörden in Arbil gehabt (im übrigen beantwortete der Beschwerdeführer noch weitere Fragen im Zusammenhang mit seiner Reisebewegung).

Mit Bescheid vom 19. September 1995 wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers, ihm Asyl zu gewähren, im wesentlichen mit der Begründung ab, ihm komme Flüchtlingseigenschaft nicht zu, weil er keine konkret gegen ihn selbst gerichtete Verfolgungshandlung im Sinn des § 1 Z. 1 AsylG 1991 habe glaubhaft machen können; darüber hinaus sei er gemäß § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 in den Ländern seiner Durchreise (Türkei und Ungarn) vor Verfolgung sicher gewesen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die gegen den Bescheid des Bundesasylamtes gerichtete Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG unter vollständiger Übernahme der im erstinstanzlichen Bescheid "richtig und vollständig wiedergegebenen" Aussagen des Beschwerdeführers anläßlich seiner niederschriftlichen Vernehmung ab und begründete dies nach inhaltlicher Wiedergabe der vom Beschwerdeführer erhobenen Berufung und Darstellung der von ihr in Anwendung gebrachten Rechtslage - in Übereinstimmung mit dem erstinstanzlichen Bescheid - dahingehend, den Ausführungen des Beschwerdeführers könne die "erforderliche Glaubwürdigkeit" nicht entnommen werden. Beweiswürdigend führte die belangte Behörde sodann aus, der Beschwerdeführer habe auf die Frage, ob er den Vorfall den Behörden gemeldet habe, angegeben, daß dies keinen Sinn gehabt hätte, da die Behörden nicht die Macht und die Möglichkeit hätten, derartige Vorfälle zu verhindern, und schloß daraus, dies wäre erst als glaubwürdig anzusehen, falls das Ergebnis eines entsprechenden Versuches seine Behauptung bestätigt hätte. Es sei auch nicht glaubhaft, daß sämtliche Passanten, die beobachteten, wie auf Personen aus einem Sammeltaxi, das sich auf einem öffentlichen Platz befinde, zweimal geschossen werde, ohne sich darum zu kümmern einfach zur Tagesordnung übergingen, ohne einen solchen Vorfall zu melden, da diesen Passanten die Hintergründe der Tat ja nicht bekannt hätten sein können. Es sei vom Beschwerdeführer auch nicht "einmal einwandfrei belegt worden", daß die Schüsse, sollten sie überhaupt gefallen sein, seiner Person gegolten hätten, da sich doch nach seinen Angaben noch eine

zweite Person in seiner unmittelbaren Nähe aufgehalten habe. Es sei daher lediglich von ihm angenommen worden, daß die Schüsse für ihn hätten bestimmt sein sollen, da er den Vorfall lediglich mit einem "behaupteten" Ereignis in Verbindung zu bringen vermocht habe, welches einen Monat zuvor stattgefunden habe. Er habe auch keinerlei Angaben über die Einschläge der angeblichen Schüsse machen können, sodaß nicht einmal belegt sei, ob die behaupteten Schüsse überhaupt in seine Richtung abgefeuert worden seien. Abgesehen von der Unglaubwürdigkeit dieses Vorbringens sei aber festzustellen, daß der behauptete Anschlag nicht vom Staat bzw. dessen Organen verübt worden sei und daher der Vorfall, selbst wenn er stattgefunden haben sollte, nicht als aktive staatliche Verfolgung hätte gewertet werden können. Der Beschwerdeführer habe sein "Schutzbedürfnis" (gemeint offenbar: die Inanspruchnahme von Schutz) selbst verabsäumt und daher zu verantworten, hätte er doch den Vorfall den zuständigen Behörden melden können, insbesondere da er angegeben habe, mit den irakischen Behörden keinerlei Schwierigkeiten gehabt zu haben und diesbezüglich eine "Berührungsangst" mit den Behörden seines Heimatlandes "von vornherein ausscheiden" müsse. Die Sinnhaftigkeit einer entsprechenden Meldung könne nicht seinem subjektiven Urteil überlassen werden, vielmehr habe er durch sein Verhalten jedenfalls dem Staat die Möglichkeit der Aufklärung und Ahndung eines Verbrechens genommen. Der Hinweis auf eine allenfalls einzuholende Stellungnahme der zuständigen Vertretungsbehörde zur Glaubhaftmachung seines Vorbringens könne lediglich auszugsweise die allgemeine Situation widerspiegeln, in keiner Weise jedoch auf seine individuelle Situation Bedacht nehmen, und sei somit für die Feststellung einer konkreten, gegen ihn persönlich gerichteten Verfolgung nicht genügend. Den von der Erstbehörde herangezogenen Asylausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 zog die belangte Behörde zur Stützung ihrer Entscheidung nicht mehr heran.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Insoweit in der Beschwerde die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung als unschlüssig bekämpft wird, ist ihr zu folgen. Daß der Beschwerdeführer den von ihm geschilderten fluchtauslösenden Vorfall den Behörden nicht gemeldet hat, weil nach seiner subjektiven Einschätzung dies "keinen Sinn gehabt hätte" kann - unabhängig von der rechtlichen Qualifikation dieser Handlungsweise - nicht mit dem Argument als unglaubwürdig angesehen werden, es hätte erst eines "erfolglosen" Versuches bedurft, diese Annahme zu stützen. Die belangte Behörde vermengt die Frage der Glaubwürdigkeit, d.h. der Annahme des Wahrheitsgehaltes der Schilderungen über das Schußattentat, mit der rechtlichen Frage nach der Zurechenbarkeit (mittelbare staatliche Verfolgung) und damit der Asylrelevanz. Aus welchem Grunde eine als sinnlos erachtete und daher unterlassene Anzeige den gesamten Vorfall als zweifelhaft im Sinne von erlogen oder erdichtet erscheinen lassen soll, geht jedenfalls aus den Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid nicht hervor. Auch das weitere von der belangten Behörde herangezogene Argument für die "Unglaubwürdigkeit" der Darstellung des Beschwerdeführers, es sei nämlich nicht glaubhaft, daß sämtliche Passanten, die dieses Attentat beobachtet hätten, sich nicht darum gekümmert und einfach zur "Tagesordnung" übergegangen seien, ist nicht stichhältig. Insofern die belangte Behörde dem Beschwerdeführer die Glaubwürdigkeit über seine Darstellung des Schußattentates mit dem Hinweis abspricht, er stütze sich lediglich auf eine Annahme, daß er Ziel der Schüsse gewesen sei, er habe auch keinerlei Angaben über die Einschläge der angeblichen Schüsse sowie deren Richtung machen können, übersieht sie, daß der Beschwerdeführer seine Annahme, er sei potentielles Opfer gewesen mit dem Argument begründete, der Taxifahrer sei erkennbar nicht gemeint gewesen. Daß der Beschwerdeführer anläßlich seiner Ersteinvernahme nach Einschlägen befragt worden wäre, ergibt sich aus dem Protokoll über diese Einvernahme nicht. Es erweist sich somit als aktenwidrig, der Beschwerdeführer habe keinerlei Angaben über die Einschüsse der angeblichen Schüsse machen können.

Eine unschlüssige Beweiswürdigung bewirkt einen Begründungsmangel, der dann wesentlich ist, wenn die Behörde bei dessen Vermeidung zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können. Es ist daher zu prüfen, ob die oben aufgezeigten Begründungsmängel entscheidungsrelevant sind.

Geht man von der Darstellung des Beschwerdeführers aus, daß auf ihn ein Schußattentat tatsächlich verübt worden ist, ist die Frage zu lösen, inwieweit dieser Vorfall asylrechtlich relevant sein kann. Anläßlich seiner Ersteinvernahme hat der Beschwerdeführer dieses Problem dadurch angesprochen, daß er - wenn auch erst auf Frage des Vernehmungsorganes - angegeben hat, er sei von der islamisch-kurdischen Bewegung auf Grund seiner mit der von dieser Bewegung verfolgten politischen Linie nicht in Einklang stehenden Äußerungen mit Drohungen und letztlich dem Schußattentat verfolgt worden, wobei der Staat bzw. staatliche Behörden nicht in der Lage gewesen wären, derartige Terrorakte hintanzuhalten. Die belangte Behörde vertrat dazu erkennbar die Auffassung, der Beschwerdeführer habe sich durch die Unterlassung der Anzeige selbst eines allfälligen Schutzes seines Heimatlandes begeben, ohne sich mit der Behauptung des Beschwerdeführers über die mangelnde Sinnhaftigkeit einer solchen Anzeige auseinanderzusetzen. Dies steht nicht im Einklang mit der hg. Judikatur (vgl. hg. Erkenntnis vom 20. Juni 1996, Zl. 95/19/0062, 0079), wonach es einem Asylwerber keineswegs zuzumuten ist, von vornherein erkennbar aussichtslose Hilfeersuchen an die Behörden seines Heimatlandes zu richten, wenn aus anderen Anhaltspunkten Indizien dafür zu entnehmen sind (wie z.B. auch die allgemeine Lage von Minderheiten im Heimatland eines Asylwerbers), daß der Staat nicht willens oder - infolge eines Machtvakuums - nicht in der Lage ist, gegen terroristische Akte Dritter entsprechend effektiv vorzugehen. Nichts anderes hat der Beschwerdeführer aber bereits in erster Instanz behauptet, ohne daß die belangte Behörde dies unter Einbeziehung der allgemeinen politischen Verhältnisse im Irak, insbesondere auch im Hinblick auf die Situation der kurdischen Minderheit dort, entsprechend berücksichtigt hätte.

Da die belangte Behörde ausgehend von einer vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht in bezug auf die Zurechenbarkeit der behaupteten Verfolgungshandlung zum Heimatstaat des Beschwerdeführers wesentliche Feststellungen unterlassen hat (sekundärer Verfahrensmangel), belastete sie ihren Bescheid auch mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG - unbeschadet des Umstandes, daß infolge des aufgezeigten Begründungsmangels auch eine Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorliegt, die eine Aufhebung gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG gerechtfertigt hätte - aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995200707.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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