TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/6 L504 2229148-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.05.2020
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Entscheidungsdatum

06.05.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §34
B-VG Art133 Abs4

Spruch

1. L504 2229147-1/4E

2. L504 2229148-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von

1. XXXX geb., StA. staatenlos, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.02.2020, Zl. 1215937404-181241892,

2. XXXX geb., StA. staatenlos, vertreten durch XXXX , diese vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.02.2020, Zl. 1215934108-181241914,

zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrenshergang

Die beschwerdeführenden Parteien [bP1 u. bP2] stellten am 27.12.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Es handelt sich dabei um eine Frau [bP1] mit ihrer minderjährigen, 2012 geborenen Tochter. Sie sind ihren Angaben nach staatenlose Palästinenser mit muslimisch-sunnitischem Glaubensbekenntnis und stammen aus dem Gaza.

In der von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 27.12.2018 durchgeführten Erstbefragung gab die bP1 zu ihrer Ausreisemotivation an, dass ihr Bruder XXXX sie und die mitgereiste Tochter mit dem Umbringen bedroht habe. Die bP1 sei dabei mit dem Messer an den Oberschenkeln verletzt worden. Die Tochter sei durch den Bruder der bP1 schwer misshandelt worden. Anderweitige Gründe für die Ausreise habe sie nicht.

Im Falle der Rückkehr befürchte sie, dass sie beide von ihrem Bruder getötet würden.

Ansonsten gebe es keine Hinweise, dass ihnen bei einer Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe drohen würde oder sie im Falle der Rückkehr mit ihrendwelchen Sanktionen rechnen müssten.

In der nachfolgenden Einvernahme vom 05.03.2019 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl brachte die bP1 für sich und die Tochter zu ihrer ausreisekausalen Problemlage im Herkunftsstaat und allfälligen Problemen die sie im Falle der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat erwarte, im Wesentlichen vor:

„[…]

LA:      Belehrungen: Es wird Ihnen zur Kenntnis gebracht, dass Ihre Angaben die Grundlage für die Entscheidung im Asylverfahren sind. Sie sind verpflichtet, am Asylverfahren mitzuwirken, sämtliche Termine einzuhalten und Ladungen Folge zu leisten, da sonst Nachteile für Sie entstehen können. Es ist unumgänglich, dass Sie die Wahrheit sagen, nichts verschweigen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte selbständig und über Nachfrage wahrheitsgemäß darlegen. Ihre Angaben im Asylverfahren werden vertraulich behandelt und nicht an die Behörden Ihres Heimatlandes weitergegeben.

Auf die Folgen einer wahrheitswidrigen Aussage und der damit verbundenen allenfalls für Sie nachteilig verlaufenden Glaubwürdigkeitsprüfung werden Sie ausdrücklich hingewiesen. Ebenso werden Sie erneut auf Ihre Mitwirkungspflichten gem. § 15 AsylG 2005 und auf die Folgen einer allfälligen Verletzung der Mitwirkungspflichten hingewiesen. Falsche Angaben Ihre Identität bzw. Nationalität betreffend können die Konsequenzen der Strafbestimmungen, insbesondere §§ 119 ff FPG nach sich ziehen. Im Fall von Urkundendelikten, oder etwa einer Täuschung in Bereicherungsabsicht ist auch mit strafrechtlicher Ahndung zu rechnen. Täuschungen über die Identität, die Nationalität oder über die Echtheit von Dokumenten können zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer rechtzeitig eingebrachten Beschwerde führen.

Es ist wichtig, dass Sie nichts verschweigen. Denn sollte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Ihrem Ersuchen um Asylgewährung nicht nachkommen und Sie gegen diese Entscheidung ein Rechtsmittel einbringen, können Sie bei der Berufungsbehörde im Allgemeinen keine neuen Tatsachen und Beweismittel mehr vorbringen. Aus diesem Grunde ersuchen wir Sie, alle Tatsachen im Zusammenhang mit Ihrem Asylersuchen mitzuteilen und wenn Sie im Besitz von Beweismittel sind, diese gleich vorzulegen.

Auf die mögliche Inanspruchnahme eines Rechtsberaters werden Sie aufmerksam gemacht.

Sie werden weiters darauf hingewiesen, dass Sie der Behörde, auch nachdem Sie Österreich verlassen haben, ihren Aufenthaltsort und Ihre Anschrift bekanntzugeben haben. Wenn Sie sich in Österreich aufhalten, genügt es, wenn Sie Ihrer Meldepflicht nach dem MeldeG nachkommen. Bei einer Übersiedelung haben Sie sich binnen 3 Tagen beim Meldeamt umzumelden. Sollten Sie über keinen Wohnsitz verfügen, so werden Sie auf § 19a MeldeG hingewiesen und darauf, dass daran, wenn Ihr Asylverfahren zugelassen wurde und Sie über eine weiße Aufenthaltsberechtigungskarte gem. § 51 AsylG 2005 verfügen, eine 14-tägige Meldeverpflichtung bei der nächstgelegenen Polizeiinspektion nach § 15 Abs. 1 Z. 4 AsylG geknüpft ist.

LA:      Haben Sie diese Informationen verstanden und sind Ihnen die damit verbundenen Rechte und Pflichten bewusst?

VP:      Ja.

LA:      Wie verstehen Sie die Dolmetscherin?

VP:      Sehr gut.

LA:      Haben Sie im Verfahren bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht?

VP:      Ja.

LA:      Wurde(n) Ihnen diese (jeweils) rückübersetzt?

VP:      Nein. Ich habe aber eine Kopie der Niederschrift bekommen. Ich verstehe kein Deutsch und weiß nicht ob alles protokolliert wurde oder nicht.

Fragen zu Ihrer Person

LA:      Verfügen Sie über Dokumente, die Ihre Identität bestätigen?

VP:      Ich habe eine Kopie meines Reisepasses vorgelegt. Den originalen Reisepass habe ich am Flughafen Wien zerrissen und weggeschmissen. Vorgelegte(s) (Dokument(e) werden im Anhang gesammelt angeführt.

LA:      Nennen Sie Ihren vollständigen Namen, Ihr Geburtsdatum und Ihren Geburtsort und Ihre Staatszugehörigkeit!

VP:       XXXX , mein Mädchenname war XXXX . Mein Mann befindet sich noch immer in Gaza. Ich bin am XXXX in Gaza geboren. Ich bin Palästinenserin und Muslimin.

LA:      Wo haben Sie im Heimatland zuletzt gelebt? Nennen Sie die Adresse?

VP:      In XXXX .

LA:      Wie lange haben Sie an der genannten Adresse gelebt?

VP:      Ca. 20 Jahre, seit dem ich verheiratet bin. Nachgefragt: Auch in XXXX , aber in einer andren Straße in der Nähe von XXXX , es ist im Zentrum von XXXX .

LA:      Wann Sind Sie nach Jordanien gegangen?

VP:      2013, wann genau weiß ich nicht. 2 Tage nach der Ausstellung der Einreiserlaubnis bin ich in nach Jordanien gegangen. Bevor ich nach Jordanien ging, war ich ein Jahr in Ägypten.

Anm.: Auf der Einreiseerlaubnis Jordaniens ist als Ausstellungsdatum der 13.11.2013 vermerkt. Der Grund der Einreisegestattung war eine medizinische Behandlung. Es handelt sich um eine einmalige Einreisegestattung.

LA:      Um welche Art der medizinischen Behandlung handelte es sich?

VP:      Ich hatte in Ägypten eine Operation, meine Gebärmutter wurde entfernt. Nach der Operation hatte ich Entzündungen, diese konnten in Ägypten nicht behandelt werden. Deshalb musste ich nach Jordanien um meine Entzündungen zu behandeln. Nachgefragt: Mein Arzt in Ägypten hat über die palästinensische und über die jordanische Botschaft in Ägypten eine Einreiseerlaubnis zur medizinischen Behandlung in Jordanien beantragt. Diese habe ich in Ägypten bekommen.

LA:      Gibt es dort in unmittelbarer Nähe einen markanten Orientierungspunkt wie beispielsweise ein Geschäft oder dergleichen?

VP:      Es gibt ein Kreuz, das sehr bekannt ist, es heißt Dawar Alaakad und dort gibt es ein medizinisches Zentrum, welches Alsalafeya heißt.

LA:      Welche palästinensischen Flüchtlingslager im Gaza-Streifen kennen Sie?

VP:       XXXX : Hai Al Amal, Al Moaskar und Al Katiba.

LA:      Sind Sie und/oder Ihre Familie bei der UNRWA registriert?

VP:      Nein.

LA:      Waren ihre Eltern bei der UNRWA registriert.

VP:      Nein.

LA:      Kennen Sie die UNRWA?

VP:      Ja, kenne ich schon.

Anm.: Das besagte Formular wird im Beisein des Dolmetschers auf Arabisch ausgefüllt.

Fragen zu Ihren Lebensumständen

LA:      Wie geht es Ihnen gesundheitlich?

VP:      Ich habe Bluthochdruck und Atemprobleme. Außerdem bin ich zuckerkrank.

LA:      Sind Sie aktuell in ärztlicher Behandlung, nehmen Sie irgendwelche Medikamente?

VP:      Ja, ich nehme regelmäßig Insulin und auch Medikamente wegen den Atemproblemen.

LA:      Wie geht es Ihrer Tochter gesundheitlich?

VP:      Sie hört im rechten Ohr schlecht, das Ohr produziert zu viel Ohrenschmalz. Sie kann auch den Urin nicht kontrollieren. Das hat Sie seit dem sie geschlagen wurde.

LA:      Ist Ihre Tochter in ärztlicher Behandlung, nimmt sie irgendwelche Medikamente?

VP:      Sie nimmt regelmäßige Medikamente wegen dem Ohr. Sie muss wieder zur Kontrolle, aber auch wegen des unkontrollierten Urin. Sie ist in Österreich in Behandlung. Der Hausarzt hat mir keine Befunde gegeben. Sie besucht den Kindergarten.

LA:     Seit wann bestehen Ihre gesundheitlichen Probleme?

VP:     Seit 3 Jahren.

LA:     Seit wann bestehen die gesundheitlichen Probleme Ihrer Tochter?

VP:     Seit Mai 2018. Wir waren in Gaza ich wollte meine zweite Tochter XXXX besuchen. Mein Bruder und seine Söhne haben erfahren, dass wir in Gaza zurück sind und haben uns attackiert. Sie haben mein Kind mit Gewalt gezogen. Ich konnte flüchten nachdem mein Bruder mich mit dem Messer am Bein getroffen hat und auch am Hals.

Ergänzung nach Rückübersetzung: 2008 wurde ich mit dem Messer von meinem Bruder XXXX verletzt.

LA:      Welche Schulausbildung haben Sie absolviert?

VP:      Ich habe die Schule 10 Jahre in Gaza besucht, aber nicht maturiert.

LA:      Welchen Beruf haben Sie erlernt bzw. ausgeübt?

VP:      Ich war in Gaza Hausfrau, aber in Jordanien habe ich als Reinigungskraft und Köchin gearbeitet.

LA:      Haben Sie irgendwelche Besitztümer in Ihrem Heimatland?

VP:      Ja, ich hatte ein Grundstück in Gaza an der Küste, aber meine Brüder haben mir dieses Stück abgenommen.

LA:      Wie würden Sie Ihre wirtschaftliche/ finanzielle Situation zuletzt (vor der Flucht) im Heimatland gemessen am landesüblichen Durchschnitt bezeichnen (zB. gut/mittel/schlecht)?

VP:      Nicht gut.

LA:      Sind Sie oder Ihre mitgereisten Angehörigen je von einer gerichtlichen Untersuchung oder einem Gerichtsverfahren oder eine (einstweiligen) gerichtlichen Verfügung in Österreich betroffen gewesen?

VP:      Nein.

LA:      Haben Sie im Herkunftsland, oder hier Strafrechtsdelikte begangen?

VP:      Nein.

LA:      Besteht ein offizieller Haftbefehl gegen Sie im Heimatland?

VP:      Nein.

LA:      Sind Sie vorbestraft?

VP:      Nein.

LA:      Waren Sie in Ihrem Heimatland politisch tätig oder gehören Sie einer politischen Partei an?

VP:      Nein.

LA:      Gehörten Sie jemals einer bewaffneten Gruppierung an?

VP:      Nein.

LA:      Hatten Sie persönlich jemals Probleme mit den Behörden (oder staatsähnlichen Institutionen) Ihres Heimatlandes?

VP:      Ich hatte eine Affäre mit XXXX , der hatte Probleme mit der Hamas und wurde von dieser beobachtet. Hamas hat uns zusammen erwischt, aus diesem Grund haben sie eine Ermittlung gegen mich eröffnet und ich wurde gefoltert. Die Hamas hat mich meinem Bruder übergeben. Er ist sozusagen ein XXXX bei der Hamas.

Fragen zu Ihren Familienangehörigen

LA:      Welchen Familienstand haben Sie?

VP:      Offiziell noch verheiratet, wir sind aber getrennt. Nachgefragt: Seit 2012 sind wir getrennt.

LA:      Wann und wo haben Sie geheiratet?

VP:      In XXXX . Ich war 13 Jahre alt.

LA:      Haben Sie traditionell und standesamtlich geheiartet?

VP:      Nur traditionell.

LA:      Wie lauten die Daten (Name, Geburtsdatum) Ihres Gatten?

VP:       XXXX .

LA:      Wo befindet sich Ihr Gatte im Moment?

VP:      In Gaza/ XXXX .

LA:      Haben Sie Kinder? Wie lauten die Daten (Name, Geburtsdatum) Ihrer Kinder?

VP:      Ja, meine Tochter XXXX , IFA: 1215934108 die mit mir nach Österreich gekommen ist und 2 Söhne: XXXX , meine Töchter XXXX . Sie befinden sich aktuell im Gaza-Streifen.

LA:      Haben Sie Geschwister?

VP:      Ja, 2 Brüder: XXXX und 6 Schwestern XXXX

LA:      Wovon bestreiten Ihre Angehörigen den Lebensunterhalt?

VP:       XXXX ist XXXX bei der Hamas, XXXX arbeitet auch bei der Hamas. Er und seine Söhne sind für die Überwachung der Felder zuständig, sie sind wie Polizisten.

LA:      Wie war/ist das Verhältnis zu Ihren Angehörigen?

VP:      Ich habe nur Kontakt zu meiner Schwester XXXX . Von ihr erfahre ich wie es meinen Kindern geht. Niemand weiß, dass sie mit mir Kontakt hat. Nachgefragt: Meine Familie hat keine Ahnung wo ich bin. Sie suchten mich in Ägypten und Jordanien. Nachgefragt: Mein Brüder und seine Söhne. Auch die Söhne vom verstorbenen Bruder.

LA:      Hat Ihre Familie irgendwelche Besitztümer in Ihrem Heimatland, z.B. Häuser, Grund?

VP:      die finanzielle Situation meiner Brüder ist sehr gut, weil mein Vater uns viel Grundstücke gelassen hat. Wenn ich mein Grundstück bekommen hätte, wäre meine finanzielle Situation auch gut.

LA:      Wie gestaltet sich der Kontakt zu Ihrer Schwester? Kommunizieren Sie auch über soziale Netzwerke und neue Medien?

VP:      Über WhatsApp.

LA:      Wann hatten Sie zuletzt mit jemand aus Ihrem Herkunftsland Kontakt?

VP:      Vor 3 Tagen mit der Schwester. Ich habe meine Schwester erzählt, dass ich in Deutschland bin. Ich habe auch Angst, dass meine Schwester es jemandem erzählt.

Fragen zum Fluchtweg

LA:      Wohin gingen Sie, als Sie 2013 in Jordanien zur medizinischen Behandlung waren?

VP:      Ich war 2013 in Jordanien und blieb dort bis Mai 2018. Ich habe dann erfahren, dass meine Tochter XXXX bei einem Autounfall verletzt wurde, deshalb wollte ich sie besuchen und ich bekam eine Erlaubnis für 72 Stunden in Gaza zu sein. Meine Brüder haben von den Kindern meiner Schwester erfahren, dass ich in Gaza bin. Sie haben mich attackiert und ich bin dann von dem hinteren Haustor zu den Nachbarn meiner Cousine geflüchtet. Sie haben aber meine Tochter erwischt und geschlagen. Minuten später haben die Nachbarn und die Männer auf der Straße sich eingemischt und meine Tochter gerettet. Wenn sie das nicht getan hätten, dann wäre meine Tochter tot.

LA:      Wie konnten Sie abermals aus dem Gaza-Streifen ausreisen?

VP:      Wir sind dann nach Ägypten gefahren, um meine Tochter medizinisch zu behandeln. Es gab einen Offizier der Ägypter war an der Grenze, der für uns die Einreise nach Ägypten organisiert hat. Dieser kennt meinen Arzt, der mich beim ersten Mal 2013 behandelt hat.

LA:      Wie bekamen Sie die Genehmigung um nach Ägypten auszureisen zu dürfen?

VP:      Die Grenze, der Rafah-Weg war 30 Tage offen. Der ägyptische Präsident hat das genehmigt. Nachgefragt: Nur die Personen die eine medizinische Behandlung brauchten oder eine Erlaubnis für Ägypten hatten. Sie hatten an der Grenze die Namen aufgerufen, wer ausreisen sollte.

LA:      Kann eine Person, die von der Hamas gesucht wird aus Gaza ausreisen?

VP:      Ja, aber nur wenn die Person eine Erlaubnis der ägyptischen Behörde hat. Seit einem Jahr hat die Behörde in Ramallah die Kontrolle an der Grenze. Auch wenn jemand politisch von der Hamas gesucht wird, kann dieser trotzdem mit der Hilfe der ägyptischen Behörde das Land verlassen.

LA:      Wann hatten Sie beschlossen zu flüchten?

VP:      Ich habe mich nicht entschieden, nachdem ich 2012 von meinen Brüdern XXXX und XXXX geschlagen wurde, war ich bewusstlos und als ich aufwachte fand ich mich in Ägypten wieder.

LA:      Wann war der Vorfall aufgrund Ihrer Affäre?

VP:      Das war Ende September 2012. Ca. am 29 September ist das passiert.

LA:      Warum haben Sie Österreich als Zielland gewählt?

VP:      Ich hatte kein Zielland. Ich wusste nicht einmal, dass ich eines Tages Rechte bekommen werde und behandelt werde. Nachdem, was ich und meine Tochter erlebt habe, hat mich eine Syrerin in Jordanien gesagt, dass ich nach Europa gehen soll

Fragen zur Flucht

LA:      Warum sind Sie 2018 wieder in den Gaza-Streifen gereist?

VP:      Wegen meiner Tochter XXXX . Wegen dem Autounfall. Damals habe ich meine Kinder 6 Jahre nicht gesehen. Ich habe gehört, dass meine Kinder gut in der Schule sind, obwohl sie wegen mir geschimpft wurden, weil ich fremdgegangen bin. Es geht nicht um mich, ich will nur, dass meine Tochter in Sicherheit ist.

Anm.: VP hat sich entschuldigt und den Einvernahmeraum weinend verlassen und benötigte eine Pause.

LA:      Schildern Sie bitte die Situation der Drohungen Ihres Bruders gegen Sie und Ihre Tochter im Mai 2018!

VP:      Meine Tochter und ich gingen zu einer Cousine von mir, diese ist mit einem Mann verheiratet, der im Ausland arbeitete. Er hat aber keinen Kontakt zu meiner Familie. Deshalb dachte ich, dass meine Brüder von dem kurzen Besuch nicht erfahren werden. Ich habe meine Tochter XXXX im Spital besucht. Meine Cousine sagte dem Arzt, dass ich eine Freundin von meiner Cousine bin. Meine Schwester hat meine vier anderen Kinder zum Haus meiner Cousine mitgebracht, damit ich sie auch sehen kann. Der Besuch im Spital verlief gut, danach war ich mit meiner Tochter XXXX bei meiner Cousine. Die Kinder meiner Schwester oder meiner Cousine haben ohne Absicht erzählt, dass ich dort bin und so haben meine Brüder erfahren, dass ich im Gaza war. Ca. 1 Stunde später wurde an der Tür heftig geklopft und meine Cousine hat ein Fenster aufgemacht und hat zu schreien begonnen, weil sie wusste, was gleich passieren wird, damit die Nachbarn sich zu uns beeilen. Ich bin von der hinteren Haustür zu den Nachbarn geflüchtet, meine Tochter XXXX war mit ihrer Schwester XXXX . Meine Cousine sagte mir, ich solle zuerst flüchten und sie kümmern sich um XXXX und werden sie zu mir bringen. Ich war nicht dabei, aber meine Cousine hat mir erzählt, dass mein Bruder XXXX ein Messer in der Hand hatte und er meine Tochter umbringen wollte, weil sie von meiner Affäre ist.

LA:      Sind Sie sich sicher, dass ihre Tochter aus Affäre stammt?

VP:      Ja.

LA:      Wie lange ging die Affäre?

VP:      2 Jahre.

LA:      Wann haben Sie Ihre Affäre kennengelernt?

VP:      Anfang 2010.

LA:      Was ist Ihnen 2008 genau passiert?

VP:      Ich hatte immer Probleme mit der Familie meines Mannes. Sie hatten mich aus dem Haus geschmissen und ich musste zurück um Haus meiner Eltern. 2008 bin ich mit meinen Kindern nach einem Streit zu meinen Eltern gegangen und mein Bruder XXXX hat meine Kinder zurück zu meinem Mann geschickt, das war eine Art meinen Mann unter Druck zu setzen. Ich bin aber eine Mutter und ich bin dann später zu meinem Mann gegangen um meine Kinder zu sehen. Mein Bruder hat davon gehört und als Strafe hat er mich mit dem Messer am Bein und am Hals attackiert. Meine Tochter XXXX kam dann ein paar Tage später nach der Schule zu mir, sie war ein Kind und wollte mich einfach sehen und sie bekam auch eine Strafe. Mein Bruder XXXX hat Ihr das Bein mit einem Bügeleisen verbrannt.

LA:      Wie genau konnten Ihre Brüder von der Affäre erfahren?

VP:      Ich habe meine Affäre in seinem Büro besucht. Er hatte eine Firma und wir wussten nicht, dass er von der Hamas überwacht wurde. Nach einem Jahr, nach dem ich ihn gekannt habe, erzählte er mir, dass er Probleme mit der Hamas hat. Ich wusste nicht wie schlimm die Probleme wirklich sind, denn jeder hat Probleme mit der Hamas. Sie haben uns 2012 erwischt, als ich einmal bei ihm war. Sie haben ihn woanders hin mitgenommen und sie haben mich zur Zentrale der Hamas gebracht. Nachgefragt: XXXX , einem Bezirk von Gaza-Stadt. Dort wurde ich befragt woher ich XXXX kenne. Ich habe natürlich gelogen und gesagt, dass ich zum ersten Mal dort war. Sie sagten mir, dass das nicht stimmt. Sie haben mich ebenfalls überwacht, nachdem ich mehrmals bei ihm war. Damals war ich im Ende des 7 Monats schwanger. Sie haben mich mit Elektroschocks gefoltert und haben einen Ermittlungsakt gegen mich eröffnet. Es waren dann aber Frauen der Hamas, die mich gefoltert haben. Ich sagte ihnen nicht, dass ich von der XXXX -Familie bin, aber einer hat Telefonate gemacht und kam darauf, wer mein Bruder ist. Ich habe den, der das Telefonat führte gebeten, meinem Bruder nichts davon zu erzählen und vor allem, weil meine Familie mich umbringen würde. Er sagte mir, für das was ich getan habe, würde ich den Tod verdienen. Dann kam mein Bruder XXXX und hat mich abgeholt und er hat mich zu unserem Grundstück an der Küste gebracht. Dort warteten mein anderer Bruder XXXX und meine Neffen. Sie haben mich mit Holzstücken geschlagen bis ich bewusstlos war. Später, als ich in Ägypten aufwachte, erfuhr ich, dass unser Nachbar das gesehen hat und mit anderen Männern mir zur Hilfe geeilt sind. Meine Brüder dachten, dass ich schon tot wäre. Zuerst war ich im Naser-Spital in Gaza, dann einen Monat später bin ich aufgewacht, weil ich im Koma war. Ich war dann bereits in Ägypten im Naser-Institut in Kairo.

LA:      Ist Ihnen die Überwachung seitens der Hamas irgendwann aufgefallen?

VP:      Nein, nie. Ich wäre dann nicht dorthin gegangen.

LA:      Was ist aktuell mit Herrn XXXX ?

VP:      Ich weiß nicht. Meine Schwester hat versucht nach ihm zu fragen. Sie sagte, dass er seine Firma verkauft hat, aber niemand weiß wo er ist. Nachgefragt: ich habe ihn das letzte Mal – das war 2012 als sie uns erwischt haben – gesehen.

LA:      Was sind die Aufgaben Ihres Bruders XXXX bei der Hamas?

VP:      Er ist XXXX beim Gericht.

LA:      Wie lange war Ihre Tochter XXXX im Spital?

VP:      ca. 10 Tage.

LA:      Wo bzw. wie haben Sie sich ihr palästinensisches Reisedokument ausstellen lassen?

VP:      Ich hatte meinen alten Reisepass 2010 ausstellen lassen. 2012 hat mir meine Schwester XXXX den Reisepass und meinen Personalausweis zum Spital in Gaza gebracht, weil die Ärzte ihr sagten, dass mein Zustand sehr kritisch ist und sie mussten mich so schnell wie möglich ins Spital nach Ägypten bringen. Sogar meine Schwester reiste mit mir aus, weil ich im Koma war. Als ich aufwachte, war meine neugeborene Tochter neben mir und meine Schwester auch. Nach einem Jahr bin ich dann nach Jordanien, erstens wegen der weiteren ärztlichen Behandlung und weil Ärzte nach mir gefragt wurden. Ich glaube, die Personen waren von meiner Familie oder kennen meine Familie zumindest. In Jordanien habe ich dann bei der palästinensischen Botschaft verlängern lassen.

LA:      Woher wussten Ihre Brüder, dass XXXX ein uneheliches Kind ist?

VP:      Der Bruder meines Mannes hat meinen Brüdern erzählt, dass mein Mann seit 2 Jahren Potenzprobleme hatte und mein Mann hat bestätigt, dass wir seit den letzten 2 Jahren keinen Geschlechtsverkehr hatten. Ich war schwanger bevor ich wieder mit meinem Mann geschlafen habe, deswegen bin ich mir sicher, das XXXX nicht von meinem Mann ist.

LA:      Theoretisch, was würden Sie im Falle einer Rückkehr in Ihren Heimatstaat befürchten?

VP:      Meine Brüder werden mich und meine Tochter sofort umbringen.

LA:      Was müsste sich ändern, um theoretisch wieder zurückkehren zu können?

VP:      Ich wünsche mir, das sich etwas ändert, weil ich meine Kinder sehen möchte, aber ich weiß, es wird sich nie etwas ändern. Ich habe Angst, dass sie auch meine andere Tochter zwingen zu heiraten. Sie ist ein Kind und wollte kein Kopftuch tragen, trotzdem musste sie eines tragen.

LA:      Haben Sie somit all Ihre Gründe für die Asylantragstellung genannt?

VP:      Ja.

LA:      Sie werden nochmals auf das Neuerungsverbot aufmerksam gemacht. Ich frage Sie daher jetzt nochmals ob Sie noch etwas Asylrelevantes oder etwas sonst Bedeutendes angeben möchten, das Ihnen wichtig erscheint, jedoch bislang nicht gefragt wurde?

VP:      Ich habe alles gesagt. Meine Tochter dürfte nicht in Jordanien nicht in die Schule gehen. Sie müsste eine private Schule besuchen, das könnte ich mir aber nicht leisten.

LA:      Auf die Vertraulichkeit der von Ihnen angegebenen Daten wird nochmals hingewiesen. Sind Sie damit einverstanden, dass Erhebungen zum Sachverhalt in Ihrem Heimatland durchgeführt werden? Es werden keine persönlichen Daten an die Behörden Ihres Heimatlandes weitergegeben.

VP:     Ich bin damit einverstanden. Hauptsache ist, das niemand erfährt, dass mein Tochter oder ich hier sind.

LÄNDERFESTSTELLUNGEN:

Anmerkung: Mit Ihnen wird nunmehr erörtert, auf welcher Basis und unter Zugrundelegung welcher Länderfeststellungen das BFA in Ihrem Fall zur Entscheidung gelangen wird. Sie haben die Möglichkeit, im Anschluss dazu Stellung zu nehmen. Diese Feststellungen werden Ihnen ausgefolgt und Sie haben die Möglichkeit binnen einer Frist von einer Woche eine Stellungnahme einbringen. Die auf die allgemeine Situation im Herkunftsstaat stützenden Aussagen basieren auf einer Zusammenstellung der Staatendokumentation des BFA. Diese ist gemäß § 5 Abs. 2 BFA-G zur Objektivität verpflichtet und unterliegt der Beobachtung eines Beirates. Diese Quellen berufen sich vorwiegend unter anderem auf Berichte von EU-Behörden von Behörde von EU-Ländern aber auch Behörden anderer Länder, aber auch Quellen aus Ihrer Heimat wie auch zahlreichen NGOs und auch Botschaftsberichten, die im Einzelnen auch eingesehen werden können.

LA:      Hatten Sie einen Aufenthaltstitel in Jordanien?

VP: In Jordanien bekam ich eine blaue Karte. Diese Karte war für ein Jahr gültig und jedes Jahr musste man diese verlängern. Ich hatte aber keine Rechte, meine Tochter durfte nicht in die Schule gehen und nicht einmal eine ärztliche Behandlung bekam man. Alles musste und müsste man selber bezahlen. Nur der erste Monat war gratis.

[…]

LA:      Ich beende jetzt die Befragung. Konnten Sie zum Verfahren alles vorbringen oder haben Sie noch etwas hinzufügen?

VP:     Ich konnte alles vorbringen.

Anmerkung: Die gesamte Niederschrift wird wortwörtlich rückübersetzt.

LA:      Wie haben Sie die Dolmetscherin verstanden?

VP:      Sehr gut.

LA:      Haben Sie nach der erfolgten Übersetzung irgendwelche Einwendungen gegen die Niederschrift!

VP:      Nein keine Einwände.

LA:      Es wurde alles richtig und vollständig protokolliert?

VP:      Ja.

Anm: Eine Kopie der Niederschrift wird der VP ausgehändigt.

[…]“

Der Antrag auf internationalen Schutz wurde folglich vom Bundesamt bei den bP gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt.

Gem. § 8 Abs 1 AsylG wurde der Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Gaza zuerkannt und gem. § 8 Abs 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 06.02.2021 erteilt.

Das Bundesamt gelangte im Wesentlichen zur Erkenntnis, dass hinsichtlich der Gründe für die Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten eine aktuelle und asylrelevante Bedrohungssituation infolge der aufgetretenen Widersprüche bzw. Unplausibilitäten bei den geschilderten Ereignissen nicht glaubhaft gemacht worden sei. Die Behörde schätzte jedoch die aktuelle Versorgungslage im Gaza für die bP als derart schlecht ein, dass die reale Gefahr bestünde, dass sie im Falle der Rückkehr in eine aussichtslose und damit Art 3 EMRK relevante Lage geraten würden.

Die Anträge der Familienangehörigen bP1 und bP2 wurden im Rahmen eines Familienverfahrens (§ 34 AsylG) im Ergebnis gleich lautend entschieden.

Gegen die Nichtzuerkennung des Status einer Asylberechtigten wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Das BVwG hat durch den Inhalt des übermittelten Verwaltungsaktes der belangten Behörde, einschließlich der Beschwerde Beweis erhoben.

Auf Grund des sachlichen und persönlichen Zusammenhanges wurden die Verfahren der beschwerdeführenden Parteien gem § 39 Abs 2 AVG zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1. Identität und Herkunftsstaat

Name und Geburtsdatum (wie im Einleitungssatz des Spruches angeführt) stehen lt. Bundesamt fest.

Die bP gehören der Volksgruppe der Palästinenser an und sind dem sunnitischen Glauben zugehörig.

Sie sind staatenlos und der hier der Prüfung zugrundeliegende Herkunftsstaat ist der Gaza.

1.2. Regionale Herkunft und persönliche Lebensverhältnisse vor der Ausreise

Die bP sind im Gaza geboren und absolvierte die bP 1 dort Schulbildung.

Sie wohnte vor ihrer Ausreise im Gaza.

Sie hat als Reinigungskraft und Köchin gearbeitet.

Sie ist verheiratet, seit ca. 2012 aber von ihrem Ehemann getrennt. Sie hat 5 Kinder.

Die bP sind nicht bei UNRWA registriert.

1.3. Familiäres/verwandtschaftliches bzw. soziales Netzwerk im Herkunftsstaat

Die bP reisten am 27.12.2018 per Flugzeug über den Flughafen Schwechat in Österreich nicht rechtmäßig ein. Die bP1 vernichtete vor der Einreisekontrolle ihre Reisepässe.

1.4. Ausreisemodalitäten

Sie erlangte ein Visum für Bosnien und reiste von dort weiter nach Österreich.

1.5. Zu den behaupteten ausreisekausalen Geschehnissen / Erlebnissen im Zusammenhang mit staatlichen bzw. nichtstaatlichen Akteuren

Die bP1 vermochte die behaupteten, als ausreisekausal dargelegten, persönlichen Erlebnisse bzw. Befürchtungen, so wie von ihr dargelegt, nicht glaubhaft machen.

Es kann somit nicht festgestellt werden, dass die bP im Zusammenhang mit ihrer als nicht glaubhaft erachteten ausreisekausalen Bedrohungslage im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat, konkret ihre Herkunftsregion Gaza, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr ausgesetzt wäre.

1.6. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat

Das Bundesamt traf auf Basis des zu Gehör gebrachten Länderinformationsblattes der Staatendokumentation nachfolgende Feststellungen, wobei die bP im Verfahren beim Bundesamt dazu im Rahmen des Parteiengehörs keine Stellungnahme abgaben:

Politische Lage

Palästina hat den Status eines Völkerrechtssubjekts, wird aber von Österreich nicht als Staat im Sinne des Völkerrechts anerkannt (BMEIA 6.8.2018). 137 Staaten erkennen Palästina als unabhängigen Staat an (PUN 2018). Am 29.11.2012 erhielt Palästina den Status als beobachtendes Mitglied bei der UNO. Konkret bedeutet der Beobachterstatus als Nicht-Mitgliedstaat, den etwa auch der Vatikan innehat, mehr Mitspracherechte bei den Vereinten Nationen. Künftig können die Palästinenser im Sicherheitsrat und in der Generalversammlung – sofern sie betroffen sind – an Diskussionen teilnehmen und Resolutionen einbringen. Ein weiterer wichtiger Zugewinn ist der Zugang zu Unterorganisationen der UN wie dem Internationalen Strafgerichtshof. Dadurch hätten die Palästinenser das Recht, etwaige Militäroperationen der Israelis in den Palästinensergebieten oder die Siedlungspolitik der israelischen Regierung vor Gericht zu bringen (BPB 30.11.2012).

Im Dezember 2014 stimmte das europäische Parlament mit einer überwältigenden Mehrheit (498 Stimmen dafür, 88 dagegen) für die „Quasi“-Anerkennung Palästinas als Staat. Dieses Votum ist rechtlich nicht bindend, aber es sendet eine starke Botschaft an die internationale Gemeinschaft. Schweden ist einen Schritt weiter gegangen und hat Palästina offiziell als Staat anerkannt (BBC 17.12.2014).

Die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO – Palestinian Liberation Organisation) wurde 1974 als einzig legitime Vertreterin des palästinensischen Volkes von der UNO anerkannt. Im Jahre 1993 folgte die Anerkennung der PLO als einzige Vertreterin der Palästinenser durch Israel, welche im Gegensatz zur Palästinensische Autonomiebehörde (PA – Palestinian Authority) die Palästinenser auch außerhalb der besetzten Gebiete vertritt. Als Dachorganisation für die verschiedenen palästinensischen Parteien und Bewegungen leidet ihre Legitimation jedoch darunter, dass vor allem die Hamas, die 2006 immerhin die Wahlen in den gesamten Gebieten gewann, nicht zu ihren Mitgliedern zählt (ZO 30.11.2012).

Nach dem Erdrutschsieg von Hamas [Anm.: im Jahr 2006] begannen die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern der beiden Gruppen, in deren Verlauf Hunderte Menschen ums Leben kamen. Ihren Höhepunkt fanden diese Auseinandersetzungen im Juni 2007 im Gazastreifen, als die Hamas mit Gewalt die Kontrolle über alle Sicherheitseinrichtungen und Regierungsgebäude der PA übernahm (GIZ 8.2018a). Zahlreiche Mitglieder und Anhänger der Fatah von Palästinenserpräsident Abbas flohen aus Gaza (Spiegel 13.6.2007; FAZ 3.8.2008). Von diesem Zeitpunkt an bis April 2014 war Palästina zweigeteilt, in einen von Hamas kontrollierten Gazastreifen und das von Fatah kontrollierte Westjordanland. Am 23.4.2014 einigten sich Hamas und Fatah erneut auf die Bildung einer Einheitsregierung. Am 2.6.2014 wurde dann die 17-köpfige Einheitsregierung aus parteilosen Experten unter Führung von Rami Hamdallah vereidigt. Erstmals seit sieben Jahren unterstanden damit das Westjordanland und der Gazastreifen der selben Exekutivgewalt [Anm.: de facto blieb die Hamas allerdings weiterhin die bestimmende Kraft in Gaza.]. Die Bildung der neuen Regierung sollte der erste Schritt auf dem Weg zur vollständigen Aussöhnung zwischen Fatah und Hamas sein. Für Anfang 2015 waren Präsidentschafts- und Parlamentswahlen geplant, die jedoch bis jetzt nicht stattgefunden haben (GIZ 8.2018a).

Die Palästinensischen Gebiete bestehen aus dem Westjordanland, dem Gaza-Streifen und Ost-Jerusalem. Die Palästinensische Behörde wurde 1994 nach Abschluss der Osloer Verträge zwischen Israel und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) gegründet. Grundpfeiler des politischen Systems sind der Präsident, die Regierung unter Vorsitz eines Premierministers sowie das Parlament, der sogenannte Legislativrat. Dritte Gewalt ist die unabhängige Justiz. Der Präsident der Palästinensischen Behörde wird vom Volk direkt gewählt. Er ernennt und entlässt die Regierung und unterzeichnet die vom Legislativrat vorgelegten Gesetze. Er ist auch Oberbefehlshaber der Sicherheitsdienste. Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden im Jänner 2005 statt. Die Amtszeit von Präsident Abbas ist formal seit 2009 abgelaufen. Die Zahl der Bediensteten der Palästinensischen Behörde wird zurzeit auf 160.000 geschätzt (AA 1.2018a). Seit Juni 2014 leitet Premierminister und Fatah-Mitglied Rami Hamdallah das palästinensische Kabinett (AA 1.2018a; vgl. GIZ 8.2018a). [Anm.: Der Gaza-Streifen wird de facto aber weiterhin von der Hamas kontrolliert].

Die Bevölkerung in Gaza beläuft sich auf 1,9 Millionen, wovon etwa 70 % registrierte palästinensische Flüchtlinge sind (UNRWA o.D.).

Die Parteienlandschaft wird geprägt von Parteien aus den 1960er Jahren wie Fatah, Volksfront für die Befreiung Palästinas (Popular Front for the Liberation of Palestine, PFLP), demokratische Front für die Befreiung Palästinas (Democratic Front for the Liberation of Palestine, DFLP) sowie von relativ jungen Parteien wie der Hamas und des Palästinensischen Islamischen Dschihad, die Ende der achtziger Jahre entstanden (AA 1.2018a). Der Legislativrat (Palestinian Legislative Council, PLC) setzt sich aus 132 Abgeordneten zusammen. Das Wahlrecht sieht Verhältniswahl (Landesebene) und Direktwahl (Bezirksebene) vor. Die letzten Wahlen fanden im Januar 2006 statt (AA 1.2018a; vgl. GIZ 8.2018a); die vierjährige Legislaturperiode ist seit 2010 abgelaufen. Der Legislativrat tagt seit der Machtübernahme der Hamas in Gaza im Juni 2007 nicht mehr. Mehrere PLC-Abgeordnete befinden sich in israelischer Haft. Im Herbst 2012 fanden im Westjordanland Kommunalwahlen statt. Kommunalwahlen für das Westjordanland und den Gaza-Streifen wurden im Oktober 2016 verschoben (AA 1.2018a)

Nach dem Wahlsieg der Hamas 2006 kam es 2007 zum Bruch zwischen der Hamas und der Fatah von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Im Gazastreifen regiert die Hamas seitdem allein und wird höchstens von noch radikaleren Kräften herausgefordert (DS 17.5.2018). Am 12.10.2017 unterzeichneten Fatah und Hamas in Kairo erneut ein Versöhnungsabkommen. Nach 2011 und 2014 ist dies der dritte Versuch, den seit mehr als zehn Jahren bestehenden Konflikt zwischen den beiden wichtigsten politischen Bewegungen in Palästina zu überwinden (GIZ 8.2018a). Am 1.11.2017 erfolgte die Übergabe der Grenzverwaltung von der Hamas an die PA. Die palästinensische Einheitsregierung ist somit gänzlich zuständig für die Grenzübergänge des Gazastreifens (DS 1.11.2017). Dennoch hat die PA nur wenig Autorität, und die Hamas verfügt über die de facto-Kontrolle in Sicherheits- und anderen Angelegenheiten, obwohl die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) im November 2017 Personal an Gazas Grenzübergängen positioniert hatte (USDOS 20.4.2018). Seit der Spaltung im Jahr 2007 ist Gaza effektiv ein Ein-Parteien-Staat, Restriktionen gegenüber der Fatah werden - abhängig vom Fortschreiten der Vesöhnungsgespräche - allerdings manchmal verringert (FH 1.2018). Der Premier der Einheitsregierung, Rami Hamdalla, wäre bei einem Gaza-Besuch im März fast Opfer eines Attentats geworden (Le Monde 13.3.2018). Daraufhin froren PA und Fatah die Finanzen für den Gazastreifen ein. Sie fordern zuerst die vollständige Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die PA. Doch die Hamas will den Befehl über ihre Polizei-Milizen nicht abgeben (Kurier 31.3.2018). Es werden keine Gehälter mehr gezahlt, nicht für Strom oder Medikamente. Das Wasser ist verseucht, rund die Hälfte der Bevölkerung arbeitslos (Welt 30.3.2018). Die innerpalästinensische Aussöhnung zwischen den Parteien Fatah und Hamas stagniert somit trotz des neuen Abkommens (AA 1.2018a; vgl. GIZ 8.2018a). Versöhnungs- und Wiedervereinigungsversuche blieben weiterhin erfolglos (DS 17.5.2018; vgl. Kurier 31.3.2018).

Die Hamas hatte 2006 bei Parlamentswahlen gesiegt und ein Jahr später gewaltsam die alleinige Kontrolle des Gazastreifens übernommen. Israel, die EU und die USA stufen die Hamas als Terrororganisation ein. Seit mehr als einem Jahrzehnt gab es de facto zwei getrennte Regierungen und keine neuen Parlaments- oder Präsidentschaftswahlen mehr (DS 1.11.2017). Die Hamas regiert de facto weiterhin Gaza. Führende Funktionäre sind: Ismail Haniyya, Chef des Hamas-Politbüros, und Yehia Sinwar, Hamas-Chef in Gaza und Mitbegründer der Essedin-al-Kassam-Brigaden, des bewaffneten Arms der Hamas (Spiegel 30.3.2018, vgl. Spiegel 13.2.2017).

Quellen:

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Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Israel und den Palästinensischen Gebieten ist wesentlich vom israelisch-palästinensischen Konflikt geprägt (AA 7.8.2018).

1994 begann Israel einen Grenzzaun zu bauen, der 2000, während der Intifada, attackiert und danach durch eine Sicherheitsbarriere ersetzt wurde. Dabei richtete Israel auch eine Pufferzone auf dem Gebiet des Streifens ein (was ihn noch schmäler macht), in die laut israelischen Einsatzregeln scharf hineingeschossen werden kann. Die Breite der Zone, bis zu 300 Meter, wird variabel festgelegt – dort fanden die Aufmärsche der vergangenen Tage statt. 2005 zog Israel sein Militär und die nach 1967 angesiedelten Israelis aus dem Gazastreifen ab, behielt jedoch die Kontrolle über Außengrenzen und Luftraum unilateral bei: Daraus resultiert der Rechtsstreit, ob der Gazastreifen noch besetzt ist oder nicht. Die letzten Jahre sind geprägt von einem Wechselspiel von Raketenangriffen auf Israel aus dem Gazastreifen, dem Bau von Schmuggel- und Angriffstunnels – und der immer wieder gelockerten und angezogenen Blockade durch Israel (DS 17.5.2018) sowie israelischen Militäroffensiven (vgl. BBC 22.6.2015).

Für den Gaza-Streifen besteht eine Reisewarnung (AA 78.2018; vgl. BMEIA 7.8.2018, EDA 7.8.2018, FD 7.8.2018). Seit Ende März 2018 kommt es immer wieder zu Massenprotesten entlang der Grenze zu Israel. Gewaltsame Konfrontationen zwischen Demonstranten und der israelischen Armee haben [Anm.: vor allem auf palästinensischer Seite] zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert. Mit weiteren Ereignissen dieser Art muss gerechnet werden (EDA 7.8.2018). Es kommt immer wieder zu massiven Zusammenstößen mit Todesopfern am Grenzzaun (BMEIA 7.8.2018); Kundgebungen und Protestaktionen finden weiterhin statt. Es werden zahlreiche mit Brandsätzen ausgestattete Drachen eingesetzt, die vom Gaza-Streifen aus starten und im Nahbereich des Grenzzauns landen. In den letzten Tagen ist es zu heftigem Raketen- und Mörserbeschuss aus dem Gaza-Streifen heraus auf israelisches Staatsgebiet und zu israelischen Vergeltungsangriffen gekommen. Es kann weiter zu Zwischenfällen im unmittelbaren Bereich des Grenzzauns kommen (AA 7.8.2018). Am 14.5.2018, dem Tag der Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem, eskalierten die Spannungen an der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Israel in besonders gewaltsamen Konfrontationen zwischen Demonstranten und der israelischen Armee; sie forderten zahlreiche Todesopfer und Verletzte (EDA 7.8.2018).

Im Juli 2018 kam es zu einer Verschärfung der Spannungen zwischen Israel und den Palästinensern im Gazastreifen. Die Blockade wurde seitens Israel verschärft, als Reaktion auf zahlreiche Brandsätze, die vom Gazastreifen auf israelisches Gebiet geworfen wurden, und die 1.200 Brände ausgelöst haben. Israel und die Hamas befanden sich am Rande eines offenen Konfliktes, es gab im Juli 2018 alleine 21 tote Palästinenser, davon 14 Zivilisten, darunter sieben Kinder, und einen toten israelischen Soldaten. Die UN und Ägypten verhinderten eine Eskalation durch die Vermittlung eines Waffenstillstandes (UNOCHA 31.7.2018).

Am 3.8.2018 teilten das Gesundheitsministerium in Gaza sowie ein Vertreter eines Krankenhauses mit, dass ein Palästinenser bei gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der israelischen Armee an der Gaza-Grenze erschossen worden ist. Mindestens 220 weitere Menschen seien verletzt worden, davon 90 durch scharfe Munition. Die Armee sprach von 8.000 Palästinensern, die an fünf Punkten an der Grenze zu Israel versucht hätten, die Sicherheitseinrichtungen zu beschädigen. Eine Gruppe sei nach Israel eingedrungen und habe Brandbomben sowie einen Sprengsatz geworfen. Sie sei danach in den Gazastreifen zurückgekehrt. Ein israelischer Panzer habe daraufhin einen militärischen Stützpunkt der im Gazastreifen herrschenden Hamas angegriffen. Seit Ende März 2018 wurden bei Protesten und Konfrontationen nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza 156 Palästinenser von israelischen Soldaten getötet (DS 3.8.2018).

Im Sommer 2014 kam es zu intensiven militärischen Auseinandersetzungen in und um den Gaza-Streifen (Operation „Protective Edge“). Er erfolgten massive Raketen- und Mörserangriffe auf israelisches Territorium, die ganz überwiegend die Ortschaften in Nähe des Gaza-Streifens (Radius von ca. 40 km) betrafen. Im Rahmen der israelischen Militäroperation führte Israel schwere Angriffe auf Ziele im Gaza-Streifen aus, die zahlreiche Opfer forderten. Dabei wurde auch öffentliche Infrastruktur, wie Straßen, Strom- und Abwasserversorgung, beschädigt. Ferner befinden sich in Trümmern sowie auf wenig befahrenen Wegen nach wie vor nicht detonierte Sprengmittel (AA 7.8.2018). Der Krieg zwischen Gaza und Israel im Sommer 2014 forderte 1462 palästinensische zivile und sechs israelische zivile Opfer. Schulen, medizinische Einrichtungen, Wasser- und Abwassersysteme, landwirtschaftliche Flächen und Geschäfte wurden zerstört. Das einzige Elektrizitätswerk Gazas wurde schwer beschädigt. Amnesty International bezichtigt sowohl die israelische als auch die palästinensische Seite, Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben (AI 7.7.2016). Trotz der anschließend vereinbarten Waffenruhe kommt es immer wieder zu vereinzeltem Raketenbeschuss aus dem Gaza-Streifen (AA 7.8.2018; vgl. EDA 7.8.2018), die wiederum israelische Gegenschläge nach sich ziehen (Reuters 29.5.2018).

Quellen:

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Rechtsschutz / Justizwesen

Rechtssicherheit wird in den palästinensischen Gebieten dadurch erschwert, dass immer noch Elemente des osmanischen, britischen, jordanischen, ägyptischen, israelischen (israelische Militärverordnungen) und palästinensischen Rechts (seit 1994) nebeneinander existieren (GIZ 8.2018a; vgl. FH 1.2018). Darüber hinaus wird Gewohnheitsrecht und religiöses Recht (insbesondere im Familienrecht) angewandt. Beschlüsse des Obersten Palästinensischen Gerichtshofes werden nicht immer umgesetzt (GIZ 8.2018a). Obwohl die Gesetze der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) in Gaza formal gültig sind, hat die PA nur wenig Autorität, und die Hamas verfügt über die de facto-Kontrolle in Sicherheits- und anderen Angelegenheiten, obwohl die PA im November 2017 Personal an Gazas Grenzübergängen positioniert hatte (USDOS 20.4.2018). Die Hamas unterhält ein ad hoc Justizsystem, das getrennt von Strukturen der PA funktioniert. Das System ist politischer Einflussnahme ausgesetzt, Richtern mangelt es an angemessener Ausbildung und Erfahrung (FH 1.2018).

Stammesgerichte spielen in Gaza eine wichtige Rolle für die Stabilität in der Gesellschaft. Die Menschen in Gaza bringen ihre Fälle lieber vor Stammesgerichte, weil diese meist sehr schnell ein Urteil fällen. Die Stammesgerichte stehen nicht im Widerspruch zur offiziellen Gerichtsbarkeit, sie operieren mit Unterstützung der letzteren. Problematisch ist, das die Stammesrichter (tribal arbitrators) nicht im selben Maße unparteiisch sind, wie offizielle Richter (al-Monitor 28.3.2018).

Die Auseinandersetzungen zwischen Fatah und Hamas wirken sich auch auf das Justizwesen aus. Nach der Spaltung untersagte die PA ehemaligen Mitarbeitern der Justizbehörden (und auch der Sicherheitskräfte) im Gazastreifen für die Verwaltung der Hamas zu arbeiten. Sie wurden stattdessen von der Autonomiebehörde bezahlt, ohne hierfür zu arbeiten. Die Hamas stellte Ersatz-Staatsanwälte und Richter ein, die häufig keine entsprechende Ausbildung und Qualifikation für die Aufgaben hatten (GIZ 8.2018a).

Im Gazastreifen betrieben von der Hamas angelobte Staatsanwälte und Richter De-Facto-Gerichte, welche die PA als illegal betrachtet. Die Bewohner des Gazastreifens können zivilrechtliche Klagen einreichen. Die Gerichte arbeiten inoffiziellen Berichten zufolge teilweise unparteiisch und unabhängig von der Hamas (USDOS 20.4.2018). Allerdings werden laut Human Rights Watch viele [laut FH einige] zivilrechtliche Fälle von der Hamas vor Militärgerichten verhandelt (USDOS 20.4.2018; vgl. FH 1.2018). Die Israeli Defence Force (IDF) stellt Palästinenser, die wegen Sicherheitsdelikten (die von „Steinewerfen“ über „Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation“ bis hin zu „Verhetzung“ reichen) beschuldigt werden, vor israelische Militärgerichte, denen seitens mancher NGOs vorgeworfen wird, unangemessen und unfair zu sein (USDOS 20.4.2018).

Gesetze der PA sehen das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess vor. Verfahren sind öffentlich, außer in Sonderfällen, etwa wenn es zum Schutz bestimmter Interessen nötig ist, das Verfahren nicht-öffentlich abzuhalten. Es gilt die Unschuldsvermutung und der Angeklagte hat das Recht, zeitnah über die gegen ihn vorliegende Anklage informiert zu werden. Gemäß AI werden diese Rechte manchmal nicht gewahrt. Rechtsbeistand ist vorgesehen, auf Kosten des Staates wenn nötig. Die Angeklagten haben das Recht auf Berufung. Während die PA in der Westbank diese prozeduralen Rechte weitgehend gewährleistet, implementiert sie die Hamas-Behörde im Gazastreifen nur inkonsistent (USDOS 20.4.2018). Dem Gerichtssystems der Hamas gelingt es üblicherweise nicht, einen fairen Prozess zu gewährleisten (FH 1.2018). Rechtlich anerkannte religiöse Gruppen sind befugt, über Fragen des persönlichen Status wie Ehe, Scheidung und Erbschaft zu entscheiden. Sie können kirchliche Gerichte einrichten, um rechtsverbindliche Entscheidungen über den Personenstand und einige Vermögensfragen für Mitglieder ihrer Religionsgemeinschaften zu treffen (USDOS 29.5.2018).

Quellen:

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Sicherheitsbehörden

Im Gazastreifen verfügt die Hamas - in allen Gesellschaftsbereichen - de facto über die Kontrolle. Straffreiheit ist weiterhin ein Problem und die Hamas konnte teilweise Gewalttaten, wie von rivalisierenden salafistischen Gruppen durchgeführte Raketenangriffe gegen Israel nicht unterbinden (USDOS 20.4.2018).

Die Auseinandersetzungen zwischen Fatah und Hamas wirken sich auch auf die Sicherheitskräfte aus. Nach der Spaltung untersagte die palästinensische Behörde ehemaligen Mitarbeitern der Sicherheitskräfte, im Gazastreifen für die Verwaltung der Hamas zu arbeiten. Sie wurden stattdessen von der PA bezahlt, ohne zu arbeiten. Die Arbeit der palästinensischen Sicherheitsdienste und der Polizei wird jedoch auch durch die israelische Armee behindert, z.B. zerstörte sie während des Gazakrieges im Dezember 2008 alle Gefängnisse und Haftzentren in Gaza durch Bombenangriffe (GIZ 8.2018a).

Die Hamas hat kein konventionelles Militär im Gazastreifen, sondern unterhält verschiedene Einheiten von Sicherheitskräften, zusätzlich zu ihrem bewaffneten Flügel, der Izz al-Din al-Qassam Brigade. Dieser militärische Flügel untersteht dem politischen Büro der Hamas (CIA 11.7.2018). Die Izzedin al-Qassam Brigaden als militärischer Arm der Hamas gehen auf die frühen 1980er Jahre zurück, wurden aber offiziell erst nach de

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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