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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des M in Salzburg, vertreten durch Rechtsanwaltsgemeinschaft Mory & Schellhorn OEG in Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 15. November 1996, Zl. 4.329.346/16-III/13/96, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu erstzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Nationalität und reiste am 7. Dezember 1991 in das Bundesgebiet ein. Am darauffolgenden Tag stellte er den (ersten) Antrag, ihm Asyl zu gewähren. Anläßlich seiner ersten, am 19. März 1992 erfolgten niederschriftlichen Befragung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg gab er zu seinen Fluchtgründen an, er werde - wie alle - als Mitglied der kurdischen Minderheit von den türkischen Machthabern unterdrückt. Er sei im Jahr 1986 von der Hauptschule in Polatli entfernt worden, weil er des öfteren kurdisch gesprochen habe. Die Noten seien nicht schlecht gewesen. Es sei in Polatli auch gang und gäbe gewesen, auf der Straße auch ohne Grund von Polizisten zur Ausweisleistung verhalten zu werden. Bei einer solchen Kontrolle im Jahr 1987 habe er eine Hand in seiner Hosentasche behalten, was für die Polizisten Grund genug gewesen sei, ihn auf die Wachstube mitzunehmen, wo er von Polizisten mit Händen auf den Körper und auf den Kopf geschlagen worden sei. Danach sei er wieder in die Freiheit entlassen worden. Er habe in seiner Heimat auch keiner politischen Bewegung angehört, sondern sei nur wegen seiner Volkszugehörigkeit verfolgt worden. Auch später sei er nicht mehr verhaftet worden, die ständigen Kontrollen auf der Straße seien jedoch weiter gegangen. Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 18. April 1992 wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Zuerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle. Die dagegen gerichtete Berufung, die keine vom erstinstanzlichen Vorbringen abweichenden Umstände enthielt, wurde von der belangten Behörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG mit Bescheid vom 28. März 1995 abgewiesen. Am 18. Mai 1995 stellte der Beschwerdeführer einen neuerlichen (zweiten) Antrag auf Asylgewährung, in dem er geltend machte, er hätte im Zeitpunkt seiner Flucht aus seiner Heimat den Militärdienst noch nicht abgeleistet gehabt, er habe damit das Vergehen der Musterungsdesertion nach dem türkischen Militärstrafgesetz begangen und habe im Falle seiner Rückkehr mit strafgerichtlicher Verfolgung zu rechnen. Damit zusammenhängend drohe ihm Festnahme, Vernehmung, Anwendung von Folter, unmenschliche Behandlung sowie eine wesentlich strengere Bestrafung, als die türkischen Musterungsdeserteure zu erwarten hätten. Darüber hinaus bestünde auch die Gefahr, zwangsweise zur türkischen Armee eingezogen zu werden, wie in kurdischen Kreisen berichtet werde, getötet, oder in Kriegsgebiete abkommandiert zu werden, oder zu "verschwinden". Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 1. Juni 1995 abgewiesen. Im daraufhin anhängig gemachten Berufungsverfahren ordnete die belangte Behörde die Ergänzung des Ermittlungsverfahrens durch neuerliche Vernehmung des Beschwerdeführers an, die vom Bundesasylamt am 15. September 1995 durchgeführt wurde. Mit Bescheid vom 20. September 1995 wurde in der Folge der (2.) Asylantrag des Beschwerdeführers (und eine am 20. Juni 1995 beantragte Wiederaufnahme) abgewiesen. Die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Juni 1996, Zl. 95/20/0681-10, abgewiesen.
Am 22. März 1996 stellte der Beschwerdeführer nunmehr den dritten Asylantrag, den er im wesentlichen damit begründete, gegen ihn werde derzeit von der österreichischen Polizei mit dem Vorwurf ermittelt, er habe an einer Organisation mitgewirkt, die in Österreich Brandanschläge auf türkische Einrichtungen durchgeführt habe. Allein der Verdacht, an solchen Brandanschlägen mitgewirkt zu haben, deren Intention offensichtlich gegen das herrschende Regime der Türkei gerichtet gewesen sei, setze den Betroffenen in höchstem Maße der Gefahr aus, von den türkischen Behörden als Linksextremist und linksextremer Terrorist eingestuft und dementsprechend in der Türkei polizeilich, sicherheitsbehördlich und gerichtlich verfolgt zu werden. Der von den österreichischen Behörden ihm gegenüber erhobene Tatvorwurf sei auch den Behörden seines Heimatstaates bekannt geworden. Im Falle seiner Rückkehr hätte er daher mit sofortiger Festnahme, polizeilichen Vernehmungen unter Anwendung massiver Foltermethoden, Freiheitsentziehung, gerichtlicher Verfolgung sowie letztendlich mit der Todesstrafe zu rechnen.
Ohne erkennbares weiteres Verfahren wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 25. März 1996 diesen (3.) Asylantrag des Beschwerdeführers ab. Ohne näheres Eingehen auf die Begründung des (3.) Asylantrages führte die Erstbehörde rechtlich aus, gemäß § 2 Abs. 3 AsylG 1991 werde Fremden kein Asyl gewährt, die bereits einen Asylantrag in Österreich oder in einem anderen Staat, der die Bestimmungen der Genfer Konvention beachtet, gestellt haben, und deren Antrag abgewiesen wurde, welche Voraussetzung beim Beschwerdeführer vorliegend sei. Die Ausnahmebestimmung des § 2 Abs. 4 leg. cit. finde auch keine Anwendung, da er nach rechtskräftiger Abweisung seiner Asylanträge nicht wieder in seinen Heimatstaat zurückgekehrt sei und daher seinen Asylantrag auch nicht auf Umstände stützen könne, die nach diesem Zeitpunkt eingetreten seien.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die dagegen gerichtete Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Sie übernahm dabei die im erstinstanzlichen Bescheid enthaltenen Darstellungen über Vorbringen und bisherigen Verfahrensgang, fügte jedoch - ohne konkrete Feststellungen zu treffen - eine andere rechtliche Beurteilung an, derzufolge kein neuer Sachverhalt - unbeschadet der von ihr nicht in Zweifel gezogenen Erhebungen der österreichischen Polizei gegen den Beschwerdeführer - hervorgekommen sei, der geeignet gewesen wäre, nach rechtskräftiger Abweisung der beiden ersten Asylanträge nunmehr die Gewährung von Asyl zu rechtfertigen, da die von ihm befürchtete Verfolgung seitens der türkischen Behörden auf Grund desselben Motives erfolgen würden, auf Grund dessen er auch von den österreichischen Behörden und Gerichten in legitimer Weise in Untersuchung gezogen worden sei, nämlich auf Grund des dringenden Verdachtes seiner Beteiligung an einer Organisation, deren Zweck oder Tätigkeit auf die fortgesetzte Begehung von erheblichen Gewalttaten gegen Leib oder Leben und Erpressungen sowie nicht geringfügigen Sachbeschädigungen (Brandstiftungen) gerichtet sei. Die belangte Behörde fährt sodann fort:
"Schon auf Grund der, jeder Rechtsordnung inhärenten regulativen Idee der Einheit derselben und des daraus erfließenden Gebots der Vermeidung von Normwidersprüchen ist bei der Interpretation normativ aufgeladener Tatbestandsmerkmale wie den der "Verfolgung auf Grund der politischen Gesinnung" auf die Kompatibilität der interpretativ gewonnenen Lösung mit der Restrechtsordnung besonderer Bedacht zu nehmen: Das Asylrecht soll vor - auf Grund des Wertekanons der freiheitlich-demokratischen Ordnung - als illegitim motiviert empfundener Nachstellung durch einen anderen Staat schützen. Es ergäbe sohin einen flagranten Wertungswiderspruch, würde Österreich eine Verfolgung Ihrer Person durch die Türkei wegen eines Tatsachenkomplexes auf Grund dessen Österreich selbst Sie belangt, als politische, sohin illegitime, qualifizieren."
Dasselbe gelte, wenn sowohl die österreichischen als auch die türkischen Behörden den Beschwerdeführer irrtümlich verdächtigten, weil es nicht Aufgabe des Asylrechtes sei, vor Irrtümern der Hoheitsgewalt zu schützen. Auch indiziere es keine Flüchtlingseigenschaft, würden im Falle der kriminalbehördlichen Erhebungen rechtsstaatliche Prinzipien verletzt, weil die Garantie rechtsstaatlichen Standards fremder Länder in dieser Allgemeinheit nicht Aufgabe und Ziel der Asylgesetzgebung sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Wie bereits im hg. Erkenntnis vom 26. Juni 1996, Zl. 95/20/0681, in derselben Asylangelegenheit ausgeführt wurde, können (weitere) Asylanträge auch auf Umstände gestützt werden, die sich nach der rechtskräftigen Abweisung eines Asylantrages ergeben, auch wenn eine Rückkehr in den Heimatstaat zwischenzeitlich nicht erfolgt ist (vgl. dazu nicht nur das zuvor zitierte hg. Erkenntnis in dieser Sache, sondern auch die dort bereits zitierte Vorjudikatur). Hier wie dort gilt daher, daß - wie in jedem anderen Asylverfahren auch - diese neuen Umstände, mit denen der Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung (nunmehr) begründet und die während des Aufenthaltes in Österreich eingetreten sind (sogenannte "Nachfluchtgründe"), zur Asylgewährung führen können. Diese sind daher zu überprüfen, wenn sie nicht mit der Absicht des § 2 Abs. 2 Z. 2 AsylG 1991 vom Asylwerber selbst herbeigeführt wurden und geeignet sind, die Annahme einer "wohlbegründeten Furcht vor Verfolgung" zu rechtfertigen. Weder die Frage der behaupteten Asylrelevanz der von den österreichischen Behörden gegen den Beschwerdeführer erhobenen Tatvorwürfe noch die Frage von deren allenfalls absichtlicher Herbeiführung im Sinn des § 2 Abs. 2 Z. 2 AsylG 1991 wurde von den Verwaltungsbehörden geprüft. Daß - gegebenenfalls - politisch motivierte terroristische Aktivitäten, sofern sie nicht den Asylausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 1 AsylG 1991 in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention darstellen, grundsätzlich die Asylgewährung nicht ausschließen, wurde bereits im
hg. Erkenntnis vom 5. November 1992, Zl. 92/01/0703, zuletzt auch im hg. Erkenntnis vom 16. Jänner 1996, Zl. 95/20/0006, dargelegt.
Aus diesen Gründen belastete die belangte Behörde ihren Bescheid mit Ermittlungs- und Begründungsfehlern, sohin Verfahrensverletzungen, bei deren Vermeidung sie zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1996200923.X00Im RIS seit
20.11.2000