TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/8 W264 2206759-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.05.2020
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Entscheidungsdatum

08.05.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W264 2206760-1/20E
W264 2206761-1/15E
W264 2206759-1/9E
W264 2230292-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des unmündigen minderjährigen Viertbeschwerdeführers (BF4) XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Islamische Republik Afghanistan, vertreten durch seine gesetzliche Vertreterin die Kindesmutter XXXX , diese vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Robert Bitsche, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.2.2020, 1253308806/191201332, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I.       Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II.      Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß
§ 28 Abs 2 VwGVG stattgegeben und wird dem BF4 XXXX gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III.    Gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 VwGVG iVm § 8 Abs 4 AsylG 2005 wird dem XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 7.5.2021 erteilt.

IV.      Gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 VwGVG werden die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des Erstbeschwerdeführers (BF1) XXXX , geb. XXXX alias XXXX alias XXXX , Staatsangehörigkeit Islamische Republik Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Robert Bitsche, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.6.2018, 1098094907/151938425, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I.       Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II.      Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß
§ 28 Abs 2 VwGVG stattgegeben und wird dem BF1 XXXX gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III.    Gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 VwGVG iVm § 8 Abs 4 AsylG 2005 wird dem XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 7.5.2021 erteilt.

V.       Gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 VwGVG werden die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Einzelrichterin über die Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin (BF2) XXXX , geb. XXXX alias XXXX alias XXXX , Staatsangehörigkeit Islamische Republik Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Robert Bitsche, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.6.2018, 1098095207/151937763, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I.       Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II.      Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß
§ 28 Abs 2 VwGVG stattgegeben und wird der BF2 XXXX gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III.    Gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 VwGVG iVm § 8 Abs 4 AsylG 2005 wird der XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 7.5.2021 erteilt.

VI.      Gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 VwGVG werden die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des Drittbeschwerdeführers (BF3) XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Islamische Republik Afghanistan, vertreten durch seine gesetzliche Vertreterin die Kindesmutter XXXX , diese vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Robert Bitsche, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.6.2018, 1098095501/151937682, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

IV.      Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß
§ 28 Abs 2 VwGVG stattgegeben und wird dem BF3 XXXX gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

V.       Gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 VwGVG iVm § 8 Abs 4 AsylG 2005 wird dem XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 7.5.2021 erteilt.

VII.    Gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 VwGVG werden die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die BF1 bis BF3 reisten unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein. Am 6.12.2015 wurden der BF1 und die BF2 jeweils von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der PI XXXX der Landespolizeidirektion Steiermark zu ihrem Fluchtgrunde befragt.

1.1. Auf Seite 3 der mit dem BF1 aufgenommenen Niederschrift der Landespolizeidirektion Steiermark, XXXX , ist zur Frage „verstehen Sie den Dolmetscher?“ nichts angekreuzt und trägt die Niederschrift keine einzige Unterschrift.

Der ersten Seite der Niederschrift ist zu entnehmen: „Ich möchte für meinen Sohn XXXX auch um Asyl ansuchen“.

1.1.1.  Im vom BFA vorgelegten Fremdakt betreffend die BF2 liegt die Niederschrift über die Erstbefragung des BF1 ein, worin sowohl auf jeder Seite als auch auf der letzten Seite eine Paraphe als Unterschrift bei „Antragsteller“ ersichtlich ist. Zu der Frage „Gab es Verständigungsprobleme?“ ist auch auf diesem Exemplar weder „ja“, noch „nein“ angekreuzt und ist ersichtlich, dass bei „Dolmetscher“ das Unterschriftsfeld leer geblieben ist.

Seinen Fluchtgrund begründete der BF1 damit, dass er Afghanistan wegen des Krieges im Alter von vier Jahren verlassen habe und im Iran ein sehr schweres Leben gehabt habe. Afghanen würden laut seiner Angabe im Iran Jobs ausüben, welche die Iraner nicht machen wollen, es habe keine Ausbildungsrechte gegeben und für die Verlängerung der Aufenthaltskarte habe es eines hohen Betrags bedurft, auch für die schulische Ausbildung. Afghanen würden im Iran wie Sklaven behandelt werden und als er im Alter von 19 Jahren gewesen sei, hätten seine Eltern beschlossen, nach Afghanistan zurückzukehren. Auf dem Weg zwischen Herat und Kabul habe es eine Anhaltung durch die Taliban gegeben, welche die Familie ausgeraubt hätten und ihm seien von den Taliban drei Finger abgetrennt worden. Es sei ihm deshalb sehr lange schlecht gegangen. Er wolle nun den Iran und Afghanistan nicht mehr sehen und nicht mehr dorthin zurückkehren, so der BF1.

1.2. Auf Seite 3 der mit der BF2 aufgenommenen Niederschrift der Landespolizeidirektion Steiermark, XXXX , ist zur Frage „verstehen Sie den Dolmetscher?“ „ja“ angekreuzt und ist der Niederschrift auf Seite 7 zu entnehmen: „die aufgenommene Niederschrift wurde in einer mir für mich verständlichen Sprache rückübersetzt“ und ist zur Frage „Haben Sie Ergänzungen / Korrekturen zu machen?“ „nein“ angekreuzt und ist zu der Frage „Gab es Verständigungsprobleme?“ „nein“ angekreuzt. Die BF2 versah jede Seite der Niederschrift mit Paraphe als Unterschrift.

Die BF2 begründete die Flucht in der Erstbefragung wie folgt:

„Ich konnte im Iran nicht meine Schulausbildung fortsetzen. Ich bin wegen der Zukunft meines Kindes da. Die iranischen Behörden verlangten vom meinem Mann in den syrischen Krieg zu ziehen. Da ihm durch den Taliban drei Finger abgetrennt wurden, bekam er keine Arbeit.“

2. Am 1.6.2018 fand vor dem BFA die niederschriftliche Einvernahme statt.

2.1. Der BF1 gab als seine Muttersprache Dari an, lieber sei ihm aber Farsi, da er im Iran aufgewachsen sei. Als seine vor der Einreise ausgeübte Tätigkeit gab er „Staplerfahrer“ an. Er bejahte, im Verfahren bis dato die Wahrheit gesagt zu haben und alle seine Fluchtgründe genannt zu haben. Er gab für sich und den BF3 an, gesund zu sein und keine Medikamente zu benötigen.

Der BF1 wurde belehrt „es ist unumgänglich, dass Sie die Wahrheit sagen, nichts verschweigen und […] wahrheitsgemäß darlegen“ (NS BFA BF1 S. 2).

Er schilderte seine Familienverhältnisse und bisherige Vita und die Fluchtgründe.

Er wurde gefragt „Aus welchen Gründen verließen Sie das Heimatland? Weshalb haben Sie einen Asylantrag gestellt?“ (NS BFA BF1 S. 9). Daraufhin gab der BF1 zu Protokoll, dass er als Kleinkind Afghanistan verlassen und nach Beendigung der Schule im Iran mit den Eltern einen Rückkehrversuch unternommen habe, bei welchem er mit seinen Eltern von Taliban ausgeraubt und ihm Finger abgetrennt hätten. Nach diesem Vorfall sei die Familie nicht mehr in Afghanistan geblieben und sei er ein bis 1 ½ Jahre depressiv gewesen. Er habe dann wieder eine Erwerbstätigkeit in verschiedenen Berufen ausgeübt und sei trotz Bemühungen wegen seiner Staatsangehörigkeit im Iran immer benachteiligt worden. Seitens der iranischen Polizei habe man ihm gesagt, seine Aufenthaltskarte einzuziehen, wenn er nicht in den Syrienkrieg ziehen würde. Daher habe er sich zur Ausreise entschlossen.

Der BF1 verneinte die Frage, ob der unmündige minderjährige BF3 eigene Fluchtgründe habe (NS BFA BF1 S. 11).

Der BF1 wurde auf das Neuerungsverbot aufmerksam gemacht (NS BFA BF1 S. 12).

Der BF1 bestätigte am Ende der Befragung, keine Probleme gehabt zu haben, die Dolmetsch einwandfrei verstanden zu haben und alles verstanden zu haben (NS BFA BF1 S. 12). Die gesamte Niederschrift wurde dem BF1 wortwörtlich rückübersetzt. Er verneinte die Frage sie nach erfolgter Rückübersetzung etwas berichtigen oder ergänzen zu wollen und sei alles richtig übersetzt und protokolliert worden (NS BFA BF1 S. 13). Die Niederschrift trägt sowohl auf Seite 13 als auch auf jeder Einzelseite der Niederschrift eine Paraphe als Unterschrift des BF1.

2.2. Die BF2 gab als ihre Muttersprache Dari an, lieber sei ihr aber Farsi. Sie bejahte, im Verfahren bis dato die Wahrheit gesagt zu haben und ihre Fluchtgründe genannt zu haben (NS BFA BF2 S. 3). Sie nehme keine Medikamente ein und habe eine Blasenentzündung.

Die BF2 wurde belehrt „es ist unumgänglich, dass Sie die Wahrheit sagen, nichts verschweigen und […] wahrheitsgemäß darlegen“ (NS BFA BF2 S. 2).

Sie gab an, in Afghanistan auf die Welt gekommen zu sein und im Alter von zwei Jahren mit den Eltern in den Iran gegangen zu sein, wo sie acht Jahre lang gegen Entgelt die Schule besucht habe (NS BFA BF2 S. 5). Sie habe eine Ausbildung als Friseurin angestrebt, was aber von den iranischen Behörden nicht erlaubt worden sei. Sie habe daraufhin für eine Firma gearbeitet und als diese ihren Sitz verlegt habe, habe man ihr den Lohn vorenthalten. Sie habe sich als Frau und Afghanin dagegen nicht zur Wehr setzen können. Ihr Sohn (BF3) sei im Iran geboren und habe sie bis zur Ausreise im Iran gelebt (NS BFA BF2 S. 6).

Befragt nach eigenen Fluchtgründen, gab sie an, dass ihr Hauptfluchtgrund der Grund ihres Mannes sei und habe sie in Afghanistan als Frau keinerlei Rechte. Ihrem Mann seien Finger abgetrennt worden, in Afghanistan könnten sie nicht leben und im Iran habe sie die Schule nicht beenden können und ihre Rechte – da sie eine Frau ist – nicht verteidigen können (NS BFA BF2 S. 8). Die BF2 gab an in Österreich hätten Frauen und Männer die gleichen Rechte (NS BFA BF2 S. 10).

Die BF2 wurde auf das Neuerungsverbot aufmerksam gemacht (NS BFA BF2 S. 9). Die BF2 bestätigte am Ende der Befragung, keine Probleme gehabt zu haben, den Dolmetsch einwandfrei verstanden zu haben und alles verstanden zu haben (NS BFA BF2 S. 11). Die gesamte Niederschrift wurde der BF2 wortwörtlich rückübersetzt. Sie verneinte die Frage sie nach erfolgter Rückübersetzung etwas berichtigen oder ergänzen zu wollen und sei alles richtig übersetzt und protokolliert worden (NS BFA BF2 S. 11). Die Niederschrift trägt sowohl auf Seite 11 als auch auf jeder Einzelseite der Niederschrift eine Paraphe als Unterschrift der BF2.

3. Die Beschwerdeführer (in Gesamtheit inklusive dem BF3 bzw betreffend nach dem XXXX verwirklichte Sachverhalte inklusive dem BF4 in der Folge als „BF“ bezeichnet) legten über das gesamte Verfahren vor, welche in den bezughabenden Akten einliegen.

3.1. betreffend BF1:

?        Deutschkursbesuchsbestätigungen A2.1., A2.2., B1.1., B1.2., ausgestellt von CARITAS

?        Heiratsurkunde, Ausstellungsdatum 1.2.2018, ausgestellt vom Büro von Hazrat-e Ayatollah Alozma Mohaghegh Kabuli, Herkunftsprovinz der Eheleute jeweils Daykundi

?        Geburtsurkunde des BF3, ausgestellt von der Medizinischen Universität Dhahid Beheshti, Iran

?        ÖSD-Zertifikat A2

?        Kopie eines Reisepasses vom 3.5.2011, ausgestellt von der Embassy of Afghanistan Teheran

?        Integrationserklärung der CARITAS, wonach der BF1 im Haus XXXX in XXXX auch Reparaturen erledigte, sich für die Mülltrennung engagierte und an jeglicher Art der Beschäftigung interessiert ist und bei der Gemeinde XXXX ehrenamtlich bei „ XXXX “ arbeitet und interessiert ist, an Kontaktaufnahme mit Vorarlbergern und Beteiligung am Dorfleben

?        Bestätigung über ehrenamtliche Tätigkeit für „ XXXX “ im Ausmaß von fünf bis zehn Stunden pro Wochen

?        Arbeitsbestätigung – Dienstzeugnis der Gemeinde XXXX om 22.5.2018

?        Lenkerberechtigung B1, ausgestellt von der Verkehrspolizei, Islamische Republik Iran

?        Teilnahmebestätigung Caritas „Schulung Energie- und Wassersparen“ vom 5.4.2018

?        Teilnahmebestätigung „Sprich mit mir und hör mir zu! Elternbildung“, 20.1.-17.2.2018, ausgestellt von der VHS

?        Bestätigung über Teilnahme an Sportangebot und verschiedenen Angeboten der villaK, offene Jugendarbeit XXXX

?        Mitarbeit bei der Weltcup-Veranstaltung und beim M3 Radrennen als Streckenposten, ausgestellt vom Betriebsleiter des XXXX

?        Stundenplan Staplerkurs

?        Schriftliche Prüfung Staplerfahrerprüfung (33 Punkte, nicht bestanden)

?        Zeugnis über die Pflichtschulabschluss-Prüfung vom 5.2.2020 („bestanden“)

?        Bescheinigung über Erste-Hilfe-Auffrischung, ÖRK vom 12.6.2019

?        Teilnahmebestätigung Werte- und Orientierungskurs vom 13.8.2019

?        Bestätigung über 349,5 Stunden Tätigkeiten des BF1, ausgestellt von der CARITAS vom 7.8.2019

?        Bestätigung über die Mithilfe bei der Weltgymnaestrada 2019 (größtes internationales Breitensportfestival der Welt), ausgestellt von Mag. XXXX , 5.8.2019

?        Mitarbeit am „Apfel- und Kartoffelfest“, ausgestellt vom 29.10.2018

?        Integrationsprüfung B1 „nicht bestanden“ am 7.9.2018 (BF1)

3.2. betreffend BF2:

?        Teilnahmebestätigung Caritas „Schulung Energie- und Wassersparen“ vom 5.4.2018

?         Deutschkursbesuchsbestätigungen A1.1, A2, A2.1., A2.2., A2.3., „Lesen und Schreiben II“, ausgestellt von CARITAS

?        Teilnahmebestätigung „Sprich mit mir und hör mir zu! Elternbildung“, 20.1.-17.2.2018, ausgestellt von der VHS

?        Empfehlungsschreiben von XXXX vom 18.5.2018

?        Empfehlungsschreiben von XXXX vom 29.5.2018

?        Geburtsurkunde des BF4 über die Geburt am XXXX , ausgestellt vom Standesamts- und Staatsbürgerschaftsverband XXXX , GZ XXXX /2019

?        Teilnahmebestätigung Schwangerschaftsgymnastik vom 27.9.2019

?        Rechnung über Yoga-Kurs, ausgestellt von Yoga4Therapy

?        Beurteilung der BF2 betreffend freiwillige Teilnahme an einem privat abgehaltenen Deutschkurs vom 2.12.2019, ausgestellt von XXXX

?        Teilnahmebestätigung Werte- und Orientierungskurs am 13.8.2019

?        Zeugnis zur Integrationsprüfung vom 14.5.2019, Niveau A2 „bestanden“

?        Bestätigung über 248,5 Stunden Tätigkeiten der BF2, ausgestellt von der CARITAS vom 7.8.2019

4. Mit den im Spruch genannten Bescheiden wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich Zuerkennung des Status von Asylberechtigten abgewiesen, die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen, die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Afghanistan abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gegen die BF jeweils eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist und die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung beträgt.

5. Gegen die den BF1, die BF2 und den BF3 betreffenden – oben im Spruch näher bezeichneten Bescheide – wurde jeweils mit Schriftsatz des Rechtsberaters Diakonie Flüchtlingsdienst vom 13.7.2018 das Rechtsmittel der Beschwerde erhoben. Gegen den den nachgeborenen BF4 betreffenden – oben im Spruch näher bezeichneten Bescheid – wurde mit Schriftsatz des Rechtsberaters Diakonie Flüchtlingsdienst vom 8.4.2020 das Rechtsmittel der Beschwerde erhoben und die darin gestellten Anträge näher begründet.

6. Die bezughabenden Fremdakte betreffend BF1 bis BF3 langten beim Bundesverwaltungsgericht am 1.10.2018 ein. Der bezughabende Fremdakt betreffend den am XXXX in Österreich geborenen BF4 langte beim Bundesverwaltungsgericht am 14.4.2020 ein.

7. Am 29.8.2019 wurde die öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt. Es wurde der BF1 und die BF2 jeweils zu den Fluchtgründen und zu jenen des BF3 und zu dem nunmehrigen Leben in Österreich befragt. BF1 und BF2 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht belehrt die Wahrheit zu sagen und auf die Folgen einer wahrheitswidrigen Aussage hingewiesen (VP S. 5). BF1 und BF2 wurden von der erkennenden Richterin auf die Mitwirkungspflicht des § 15 AsylG hingewiesen und belehrt, dass es unumgänglich ist, die Wahrheit zu sagen und nichts zu verschweigen und über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen (VP S. 4).

Die erkennende Richterin forderte jeweils den BF1 (VP S. 21) und die BF2 (VP S. 6) auf, in Ruhe in freier Erzählung nochmals die Gründe, warum das Herkunftsland verlassen und ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, von sich aus vollständig und wahrheitsgemäß zu erzählen. Sie forderte sowohl BF1 als auch BF2 auf „Lassen Sie nichts weg! Nehmen Sie sich Zeit und erzählen Sie ganz konkret und mit Details. Falsche Angaben beeinträchtigen die Glaubhaftigkeit Ihres Fluchtberichts. Sie haben nun die Möglichkeit von sich aus alles zu erzählen, ohne auf Fragen von mir warten zu müssen.“ und trugen sowohl der BF1 als auch die BF2 zunächst aus Eigenem ihre Fluchtgründe vor und beantworteten jeweils im Anschluss daran die an sie herangetragenen Fragen.

7.1. Die BF2 gab an, dass sie sich im Iran – wo sie ab dem zweiten Lebensjahr wohnte – ihre Bildung nicht fortsetzen und nicht als Friseurin arbeiten konnte und sie sich für ihre Rechte nicht habe einsetzen können. Der Ehemann BF1 sei nicht ein Cousin, sondern ein Schulkollege ihres Bruders gewesen, so die BF2 (VP S. 7). Im Iran habe sie kein Selbstbestimmungsrecht – insbesondere hinsichtlich Kleidung – gehabt und habe sich eine Frau um 22 Uhr oder 23 Uhr nicht mehr draußen aufhalten dürfen, da man sie ansonsten als „schlechte Frau abgestempelt“ habe (VP S. 8). Diese Schwierigkeiten gäbe es auch in Afghanistan und überdies müsse man dort jederzeit mit der Tötung durch einen Bombenanschlag rechnen und sei ein „Hazara Zielscheibe der Taliban“ (VP S. 8).

Nach dieser Schilderung in eigenen Worten wurde die BF2 aufgefordert, ihre eigenen persönlich erlebten Fluchtgründe zu berichten und gab sie an, sie persönlich könne hier ein selbstbestimmtes Leben führen, sich entscheiden, wie sie sich bekleide, sich so lange draußen aufhalten wie sie wolle, sie verspüre hier Sicherheit und Frieden und sprach sie davon, dass in Österreich Männer und Frauen gleichberechtigt seien. Hier gehe sie spazieren, schwimmen, Radfahren und einkaufen. Sie sei wegen der Freiheit ausgereist, welche sie in Afghanistan nicht habe, so die BF2 (VP S. 8).

Die erkennende Richterin hielt ihr vor, was sie in der Erstbefragung als Fluchtgrund zu Protokoll gab („wegen der Schulbildung im Iran und der Zukunft des damals geborenen BF3) (VP S. 8) und gab sie dazu an, ihr Wunsch wäre es, dass sich ihr Kind hier bildet und ein nützliches Gesellschaftsmitglied werde (VP S. 8).

Angesprochen darauf, ob sie sonst noch Fluchtgründe habe, gab sie an, dass man sich in Afghanistan verschleiern müsse und Burka tragen und sie dies für sich nicht wolle (VP S. 8). Mit der Burka habe man das Gefühl in einem Gefängnis zu sitzen und könne keine Entscheidungen treffen (VP S. 9).

Auf die Frage „Haben Sie alle Fluchtgründe gesagt?“ gab sie an „mein Grund war, dass ich hier die Freiheit haben würde, die ich haben will, ich habe alles gesagt“ (VP S. 10). Später gab sie auf die Frage „Waren das alle Ihre Fluchtgründe?“ an „ja, der Grund ist, dass ich hier die Freiheit habe, welche ich in Afghanistan und im Iran nicht hatte“ (VP S. 11). Nachgefragt, was sie unter „Freiheit“ verstehe, außer das Anziehen und Hinausgehen, gab die BF2 zu Protokoll „hier bin ich frei und habe Selbstbestimmungsrechte, welche ich dort nicht hatte“. Auf Nachfrage, was ein „Selbstbestimmungsrecht“ sei, gab sie an „Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau. In Afghanistan war eine Frau immer eingesperrt und wurde geschlagen“.

Die BF2 schilderte auf Aufforderung ihren Alltag in Österreich und gab an, im Iran als Hausfrau beschäftigt gewesen zu sein (VP S. 11).

Auf die Frage, ob sie sich schon Erkundigungen über Berufsmöglichkeiten in Österreich eingeholt hat, antwortete die BF2 als Friseurin oder als Heimpflegerin arbeiten zu wollen und nachgefragt, welche Ausbildung man dafür benötige, gab sie an „ich möchte zuerst Deutsch auf B1 Level lernen und dann eine einjährige Schule besuchen“. Auf Nachfrage, welche Schule dies sei, gab sie an „Hochschulabschluss und dann eine 3jährige Lehre machen“ (VP S. 12).

Nachgefragt, ob das Kind BF3 die gleichen Fluchtgründe habe, wie sie, gab die BF2 die Volksgruppenangehörigkeit an und führte ins Treffen, wie sie in Afghanistan Schwierigkeiten habe, treffe dies auch den BF3 (VP S. 16).

7.1.1. Die BF2 verzichtete auf die Rückübersetzung und wurde die Vorlage an den Rechtsberater zur Durchsicht begehrt und wurden hernach keine Einwendungen wegen behaupteter Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit erhoben (VP S. 20).

7.2. Der BF1 wiederholte, wie vor dem BFA vorgetragen, dass er als als Kleinkind in den Iran ausgewanderter Afghane bis Beendigung der Schule im Iran gelebt habe und bei der Rückreise nach Afghanistan von Taliban eine schwere Körperverletzung zugefügt bekam, woraufhin seine Eltern mit ihm in den Iran zurückgegangen seien (VP S. 22).

Seine Ehefrau BF2 habe kennengelernt über deren Bruder, mit welchem er zur Schule gegangen sei. Er sei einer Arbeit nachgegangen, habe geheiratet und es im Iran nicht mehr ausgehalten und sei sodann nach Österreich gekommen, so der BF1 in freier Erzählung (VP S. 22).

Er berichtete, dass sie auf der Flucht nach Österreich an der iranisch-türkischen Grenze von der iranischen Polizei nach Afghanistan abgeschoben worden seien und daher aus Afghanistan wieder in den Iran reisten wollten. In Nimroz sei ein Mädchen namens Tabarsum von den Taliban geköpft worden, sodass sich seither niemand mehr traue, über diesen Weg in den Iran auszureisen, daher habe er einen Schlepper für die Flucht über Pakistan ausfindig gemacht, von wo aus sie via Iran nach Europa geflüchtet seien (VP S. 22).

Auf die Frage „Waren das alle Ihre Fluchtgründe?“ gab der BF1 zu Protokoll „In Afghanistan waren die Verbrechen und im Iran die Diskriminierung“ fluchtauslösend (VP S. 22). Auf die Frage, was er mit Verbrechen in Afghanistan meine, gab der BF1 an „die Verbrechen gegen die Volksgruppe“. Der BF1 gab an, die Taliban hätten ihn zur Abtrennung der Finger ausgewählt, „da ich ein Hazara bin“ (VP S. 23).

Auf die Frage „Gibt es noch Fluchtgründe betreffend Afghanistan?“ gab der BF1 eine Zusammenfassung des bisher Gesagten an.

(Auszug aus dem Verhandlungsprotokoll, S. 24):

Auf die nachfolgende Frage „Haben Sie jetzt alle Fluchtgründe vorgebracht“, gab er an „ja“ (VP S. 25) und gab an, dass sein Sohn (gemeint BF3) die gleichen Fluchtgründe habe wie er (VP S. 25).

(Auszug aus dem Verhandlungsprotokoll):

7.2.1. Der BF2 begehrte die Rückübersetzung und wurde ebenso die Vorlage an den Rechtsberater zur Durchsicht begehrt und hernach keine Einwendungen wegen behaupteter Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit erhoben. Der BF1 gab auf die Frage der Richterin ob er nun nach Rückübersetzung Einwendungen gegen die Niederschrift selbst habe und ob alles heute Gesprochene und alles was er gesagt habe, richtig und vollständig protokolliert worden sei, an „keine Einwendungen“ zu erheben (VP S. 29).

7.3. Die BF legten in der Verhandlung folgende Beweismittel vor:

?        Mutter-Kind-Pass betreffend BF4, wonach laut Anamnese die BF2 „Zustand nach Sectio 1x“ habe – woraufhin sie angab, im Iran in einem Krankenhaus den BF3 per Sectio entbunden zu haben (VP S. 9)

?        Heiratsurkunde samt Übersetzung

?        Teilnahmebestätigung für den BF1 betreffend Vorbereitungslehrgang Pflichtschulabschluss vom 19.2.2019

?        Bescheinigung Erste-Hilfe-Auffrischung BF1

?        Teilnahmebestätigung Werte- und Orientierungskurs BF1 am 13.8.2019

?        Bestätigung über 349,5 Stunden Tätigkeiten des BF1, ausgestellt von der CARITAS vom 7.8.2019

?        Bestätigung über die Mithilfe bei der Weltgymnaestrada 2019 (größtes internationales Breitensportfestival der Welt), ausgestellt von Mag. XXXX , 5.8.2019

?        Gruppenfoto

?        Mitarbeit des BF1 am „Apfel- und Kartoffelfest“, ausgestellt vom 29.10.2018

?        Integrationsprüfung B1 „nicht bestanden“ am 7.9.2018 (BF1)

?        Mitarbeit der BF2 am „Apfel- und Kartoffelfest“, ausgestellt vom 29.10.2018

?        Teilnahmebestätigung Werte- und Orientierungskurs am 13.8.2019 (BF2)

?         Zeugnis zur Integrationsprüfung vom 14.5.2019, Niveau A2 „bestanden“ (BF2)

?        Bestätigung über 248,5 Stunden Tätigkeiten der BF2, ausgestellt von der CARITAS vom 7.8.2019 (BF2)

?        Deutschkursbestätigung betreffend BF2, ausgestellt von CARITAS

8. Mit Schriftsatz des Rechtsanwaltes Mag. Bitsche vom 19.12.2019 legte der Rechtsanwalt die Vollmacht vor und gab bekannt, fortan die BF zu vertreten. Ferner wurde im Schriftsatz mit dem Hinweis auf die Lage für Frauen in Afghanistan und die BF2 selbst zur westlichen Orientierung vorgebracht.

9. Am 8.5.2020 erkundigte sich die Referentin der Gerichtsabteilung W264 fernmündlich in der Kanzlei des Rechtsanwaltes Mag. Bitsche, ob auch der BF4 – für welchen der Rechtsberater Diakonie Flüchtlingsdienst das Rechtsmittel der Beschwerde einbrachte – von Mag. Bitsche vertreten wird und wurde dies bestätigt und die Nachreichung einer schriftlichen Vollmacht in Aussicht gestellt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1.    Zur Person der Beschwerdeführer:

1.1.1. Die Identität der BF1 bis BF4 steht mit für das Verfahren ausreichender Sicherheit fest.

Die BF sind afghanische Staatsangehörige aus der Herkunftsprovinz Daikundi und aus der Volksgruppe der Hazara. Sie bekennen sich als Schiiten zur Staatsreligion Afghanistans. Ihre Muttersprache ist Dari. Sie ziehen es vor, in Farsi zu kommunizieren.

1.1.2.  Der BF1 ist traditionell mit der BF2 verheiratet und bestand diese traditionelle Ehe bereits vor der Einreise in das österreichische Bundesgebiet. Die beiden unmündigen minderjährigen BF3 und BF4 sind die Kinder des BF1 und der BF2, für welche BF1 und BF2 sorgepflichtig sind.

1.1.3. BF1 und BF2 reisten in Begleitung des BF3 in Umgehung der Grenzkontrollen unrechtmäßig nach Österreich ein und stellten für sich und den BF3 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz. Für den in Österreich nachgeborenen BF4 stellten sie einen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren.

1.1.4. BF1 und BF2 erlangten vor Einreise nach Europa Schulbildung im Iran. Das Ausmaß kann nicht festgestellt werden.

Der BF1 erlangte in Afghanistan Arbeitserfahrung (Hilfsarbeiter und Staplerfahrer). BF1 und BF2 haben sich in Österreich bereits ehrenamtlich engagiert. Aktuell leben die BF von der Grundversorgung und sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Es kann nicht festgestellt werden, dass keinerlei Verwandte der BF (BF1 bis BF4) mehr in Afghanistan aufhältig sind.

1.1.5. Die BF1 bis BF4 sind gesund. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Verletzung an der Hand des BF1 durch Fremdeinwirkung herbeigeführt wurde.

1.1.6. BF1 und BF2 beherrschen die deutsche Sprache auf dem Niveau A2.

BF1 und BF2 haben in Österreich bereits gemeinnützige Arbeit erbracht und leben von der Grundversorgung.

1.1.7. Die beiden unmündigen minderjährige BF3 und BF4 haben dieselben Fluchtgründe wie die gesetzliche Vertreter BF1 und BF2.

1.1.8. Mit ihren Angaben zeigen die BF (BF1 bis BF4) asylrelevante Gründe für das Verlassen Afghanistans nicht auf. Die Beschwerdeführer konnten keine asylrelevante Verfolgung nach der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft machen. Diese waren im Herkunftsstaat nicht einer asylrechtlich relevanten Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt: weder aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, noch wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder wegen politischen Ansichten von Seiten Dritter.

1.1.9. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die BF1 eine Lebensweise angenommen hat, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde. Die BF2 ist nicht an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert.

1.1.10. Insgesamt konnten die BF nicht glaubhaft vermitteln, dass sie im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen ausgesetzt wären. Den Beschwerdeführern wird im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung nach der Genfer Flüchtlingskonvention im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohen: diese sind im Falle der Rückkehr nach Afghanistan weder aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, noch wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder wegen politischen Ansichten von Seiten Dritter bedroht.

Es sind weder konkret die BF als Angehörige der Volksgruppe der Hazara sowie als schiitische Moslem, noch jeder Angehörige der Volksgruppe der BF (BF1 bis BF4) sowie der Glaubensrichtung der BF in Afghanistan psychischer und / oder physischer Gewalt ausgesetzt.

Die BF sind aufgrund der Tatsache, dass sie sich zuletzt in Europa aufgehalten haben bzw aufgrund der Tatsache, dass der BF4 in Europa geboren ist, in Afghanistan nicht psychischer und / oder physischer Gewalt ausgesetzt. Es ist auch nicht jeder (in Europa geborene) afghanische Staatsangehörige, welcher aus Europa nach Afghanistan zurückgekehrt, ist in Afghanistan psychischer und / oder physischer Gewalt ausgesetzt.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF (BF1 bis BF4) nicht über ihnen wohl gesonnene Verwandte in Afghanistan verfügen.

Es können weder Feststellungen zu der finanziellen / wirtschaftlichen Lage des BF1 während seines Aufenthalts als Jugendlicher in Afghanistan, noch Feststellungen zu der finanziellen / wirtschaftlichen Lage der BF (BF1 bis BF3) während deren Aufenthalt in Afghanistan vor der Ausreise über Pakistan getroffen werden.

1.1.11. Die Herkunftsprovinz der BF ist Daikundi.

Daikundi wird laut aktuellem Länderbericht als eine relativ sichere Provinz erachtet (AAN 27.1.2019; vgl. KP 29.7.2018; TN 6.4.2018, jedoch ist unbeschadet, dessen, dass die BF1 bis BF4 im Falle der Rückkehr in ihren Herkunftsort Daikundi oder in eine der beiden Fluchtalternativen Herat oder Mazar-e Sharif nicht Gefahr liefen, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse (Kleidung sowie Unterkunft) nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Situation zu geraten, zu dem unmündigen minderjährigen im Jahre XXXX nachgeborenen BF4 zu sagen, dass für diesen sowohl in der Herkunftsprovinz, als auch in den beiden innerstaatlichen Fluchtalternativen bzw im gesamten Herkunftsstaat eine allgemeine Gefährdungslage besteht, da der BF4 einer besonders vulnerablen und besonders schutzbedürftigen Personengruppe angehört.

1.2.    Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:

Bezogen auf die Situation der Beschwerdeführer sind folgende Länderfeststellungen als relevant zu werten:


Aus dem Länderbericht der Staatendokumentation vom 13.11.2019 idgF:

Sicherheitslage
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison – was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). […]

Herat
Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und teilt eine internationale Grenze mit dem Iran im Westen und Turkmenistan im Norden. Weiters grenzt Herat an die Provinzen Badghis im Nordosten, Ghor im Osten und Farah im Süden (UNOCHA 4.2014). Herat ist in 16 Distrikte unterteilt: Adraskan, Chishti Sharif, Fersi, Ghoryan, Gulran, Guzera (Nizam-i-Shahid), Herat, Enjil, Karrukh, Kohsan, Kushk (Rubat-i-Sangi), Kushk-i-Kohna, Obe/Awba/Obah/Obeh (AAN 9.12.2018; vgl. PAJ o.D., PAJ 13.6.2019), Pashtun Zarghun, Shindand, Zendahjan. Zudem bestehen vier weitere „temporäre“ Distrikte – Poshtko, Koh-e-Zore (Koh-e Zawar), Zawol und Zerko (CSO 2019; vgl. IEC 2018) –, die zum Zweck einer zielgerichteteren Mittelverteilung aus dem Distrikt Shindand herausgelöst wurden (AAN 3.7.2015; vgl. PAJ 1.3.2015). Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (CSO 2019). Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans (PAJ o.D.).

Die CSO schätzt die Bevölkerung der Provinz für den Zeitraum 2019-20 auf 2.095.117 Einwohner, 556.205 davon in der Provinzhauptstadt (CSO 2019). Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen (PAJ o.D.). Herat-Stadt war historisch gesehen eine tadschikisch dominierte Enklave in einer paschtunischen Mehrheits-Provinz, die beträchtliche Hazara- und Aimaq-Minderheiten umfasst (USIP 2015). Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert. Der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 besonders gestiegen, da viele aus dem Iran rückgeführt oder aus den Provinzen Zentralafghanistans vertrieben wurden (AAN 3.2.2019). Der Grad an ethnischer Segregation ist in Herat heute ausgeprägt (USIP 2015; vgl. BFA Staatendokumentation 13.6.2019).

Die Provinz ist durch die Ring Road mit anderen Großstädten verbunden (TD 5.12.2017). Eine Hauptstraße führt von Herat ostwärts nach Ghor und Bamyan und weiter nach Kabul. Andere Autobahn verbinden die Provinzhauptstadt mit dem afghanisch-turkmenischen Grenzübergang bei Torghundi sowie mit der afghanisch-iranischen Grenzüberquerung bei Islam Qala (iMMAP 19.9.2017). Ein Flughafen mit Linienflugbetrieb zu internationalen und nationalen Destinationen liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft von Herat-Stadt (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).

Laut UNODC Opium Survey 2018 gehörte Herat 2018 nicht zu den zehn wichtigsten Schlafmohn anbauenden Provinzen Afghanistans. 2018 sank der Schlafmohnanbau in Herat im Vergleich zu 2017 um 46%. Die wichtigsten Anbaugebiete für Schlafmohn waren im Jahr 2018 die Distrikte Kushk und Shindand (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen (KP 19.5.2019; vgl. KP 17.12.2018). Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als „sehr sicher“ gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).

Auch im Vergleich zu Kabul gilt Herat-Stadt einem Mitarbeiter von IOM-Kabul zufolge zwar als sicherere Stadt, doch gleichzeitig wird ein Anstieg der Gesetzlosigkeit und Kriminalität verzeichnet: Raubüberfälle nahmen zu und ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen wurde beispielsweise überfallen und ausgeraubt. Entführungen finden gelegentlich statt, wenn auch in Herat nicht in solch einem Ausmaß wie in Kabul (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).

Der Distrikt mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen ist der an Farah angrenzende Distrikt Shindand, wo die Taliban zahlreiche Gebiete kontrollieren. Wegen der großen US-Basis, die in Shindand noch immer operativ ist, kontrollieren die Taliban jedoch nicht den gesamten Distrikt. Aufgrund der ganz Afghanistan betreffenden territorialen Expansion der Taliban in den vergangenen Jahren sah sich jedoch auch die Provinz Herat zunehmend von Kampfhandlungen betroffen.

Dennoch ist das Ausmaß der Gewalt im Vergleich zu einigen Gebieten des Ostens, Südostens, Südens und Nordens Afghanistans deutlich niedriger (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).

Innerhalb der Taliban kam es nach der Bekanntmachung des Todes von Taliban-Führer Mullah Omar im Jahr 2015 zu Friktionen (AAN 11.1.2017; vgl. RUSI 16.3.2016; SAS 2.11.2018). Mullah Rasoul, der eine versöhnlichere Haltung gegenüber der Regierung in Kabul einnahm, spaltete sich zusammen mit rund 1.000 Kämpfern von der Taliban-Hauptgruppe ab. Die Regierungstruppen kämpfen in Herat angeblich nicht gegen die Rasoul-Gruppe, die sich für Friedensgespräche und den Schutz eines großen Pipeline-Projekts der Regierung in der Region einsetzt (SAS 2.11.2018). Innerhalb der Taliban-Hauptfraktion wurde der Schattengouverneur von Herat nach dem Waffenstillstand mit den Regierungstruppen zum Eid al-Fitr-Fest im Juni 2018 durch einen als Hardliner bekannten Taliban aus Kandahar ersetzt (UNSC 13.6.2019).

2017 und 2018 hat der IS bzw. ISKP Berichten zufolge drei Selbstmordanschläge in Herat-Stadt durchgeführt (taz 3.8.2017; Reuters 25.3.2018).

Aufseiten der Regierung ist das 207. Zafar-Corps der ANA für die Sicherheit in der Provinz Herat verantwortlich (USDOD 6.2019; vgl. PAJ 2.1.2019), das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - West (TAAC-W) untersteht, welche von italienischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019; vgl. KP 16.12.2018).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat. Dies entspricht einem Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (UNAMA 24.2.2019).

In der Provinz Herat kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen (KP 16.6.2019; vgl. KP 28.9.2019, KP 29.6.2019, KP 17.6.2019, 21.5.2019). Unter anderem kam es dabei auch zu Luftangriffen durch die afghanischen Sicherheitskräfte (KP 16.6.2019; vgl. AN 23.6.2019). In manchen Fällen wurden bei Drohnenangriffen Talibanaufständische und ihre Führer getötet (AN 23.6.2019; vgl. KP 17.12.2018; KP 25.12.2018). Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand. Dort kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban-Fraktionen, wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften (NYTM 12.12.2018; AJ 7.12.2018; AN 30.11.2018; KP 28.4.2018; VoA 13.4.2018). Regierungskräfte führten beispielsweise im Dezember 2018 (KP 17.12.2018) und Januar 2019 Operationen in Shindand durch (KP 26.1.2019). Obe ist neben Shindand ein weiterer unsicherer Distrikt in Herat (TN 8.9.2018). Im Dezember 2018 wurde berichtet, dass die Kontrolle über Obe derzeit nicht statisch ist, sondern sich täglich ändert und sich in einer Pattsituation befindet (AAN 9.12.2018). Im Juni 2019 griffen die Aufständischen beispielsweise mehrere Posten der Polizei im Distrikt an (AT 2.6.2019; vgl. PAJ 13.6.2019) und die Sicherheitskräfte führten zum Beispiel Anfang Juli 2019 in Obe Operationen durch (XI 11.7.2019). Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (KP 5.7.2019; vgl. PAJ 30.6.2019) wie z.B in den Distrikten Adraskan, Fersi, Kushk-i-Kohna, Obe, Rabat Sangi, Shindand und Zawol (PAJ 30.6.2019).

Auf der Autobahn zwischen Kabul und Herat sowie Herat und Farah werden Reisende immer wieder von Taliban angehalten; diese fordern von Händlern und anderen Reisenden Schutzgelder (ST 14.12.2018).

IDPs – Binnenvertriebene

UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 609 konfliktbedingt aus der Provinz Herat vertriebene Personen, von denen die meisten in der Provinz selbst Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum vom 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 586 aus der Provinz Herat vertriebene Personen (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum vom 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 5.482 Vertriebene in die Provinz Herat, von denen die meisten (2.755) aus Ghor stammten (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 6.459 konfliktbedingt Vertriebene in die Provinz Herat, von denen die meisten (4.769) aus Badghis stammten (UNOCHA 18.8.2019).

Anmerkung: Weitere Informationen zu Herat – u.a. zur Sicherheitslage – können der Analyse der Staatendokumentation „Afghanistan - Informationen zu sozioökonomischen Faktoren in der Provinz Herat“ vom 13.6.2019 entnommen werden (BFA 13.6.2019).

Ad Herat aus Kapitel 22 „Grundversorgung“ aus dem Länderbericht idgF

Der Einschätzung einer in Afghanistan tätigen internationalen NGO zufolge gehört Herat zu den „bessergestellten“ und „sichereren Provinzen“ Afghanistans und weist historisch im Vergleich mit anderen Teilen des Landes wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf (BFA 13.6.2019). Aufgrund der sehr jungen Bevölkerung ist der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter in Herat – wie auch in anderen afghanischen Städten – vergleichsweise klein. Erwerbstätige müssen also eine große Anzahl an von ihnen abhängigen Personen versorgen. Hinzu kommt, dass die Hälfte der arbeitstätigen Bevölkerung in Herat Tagelöhner sind, welche Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt in besonderem Ausmaß ausgesetzt sind (USIP 2.4.2015).

Die Herater Wirtschaft bietet seit langem Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran (GOIRA 2015; vgl. EASO 4.2019, WB/NSIA 9.2018), wie auch Bergbau und Produktion (EASO 4.2019). Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt (GOIRA 2015; vgl. EASO 4.2019). Manche alten Handwerksberufe (Teppichknüpfereien, Glasbläsereien, die Herstellung von Stickereien) haben es geschafft zu überleben, während sich auch bestimmte moderne Industrien entwickelt haben (z.B. Lebensmittelverarbeitung und Verpackung) (EASO 4.2019). Die meisten der in KMUs Beschäftigten sind entweder Tagelöhner oder kleine Unternehmer (GOIRA 2015). Die Arbeitsplätze sind allerdings von der volatilen Sicherheitslage bedroht (insbesondere Entführungen von Geschäftsleuten oder deren Angehörigen durch kriminelle Netzwerke, im stillen Einverständnis mit der Polizei). Als weitere Probleme werden Stromknappheit, bzw. -ausfälle, Schwierigkeiten, mit iranischen oder anderen ausländischen Importen zu konkurrieren und eine steigende Arbeitslosigkeit genannt (EASO 4.2019).

Mazar-e Sharif (in Balkh)

Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistan (CSO) für den Zeitraum 2019-20 leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif (CSO 2019). Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.).

Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum (SH 16.1.2017). Die Autobahn, welche zum usbekischen Grenzübergang Hairatan-Termiz führt, zweigt ca. 40 km östlich von Mazar-e Sharif von der Ringstraße ab. (TD 5.12.2017). In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen (BFA Staatendokumentation 25.3.2019). Im Januar 2019 wurde ein Luftkorridor für Warentransporte eröffnet, der Mazar-e Sharif und Europa über die Türkei verbindet (PAJ 9.1.2019).

Laut dem Opium Survey von UNODC für das Jahr 2018 belegt Balkh den 7. Platz unter den zehn größten Schlafmohn produzierenden Provinzen Afghanistans. Aufgrund der Dürre sank der Mohnanbau in der Provinz 2018 um 30% gegenüber 2017 (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Balkh zählt zu den relativ stabilen (TN 1.9.2019) und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten (AN 6.5.2019). Die vergleichsweise ruhige Sicherheitslage war vor allem auf das Machtmonopol des ehemaligen Kriegsherrn und späteren Gouverneurs von Balkh, Atta Mohammed Noor, zurückzuführen (RFE/RL o.D.; RFE/RL 23.3.2018). In den letzten Monaten versuchen Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Taliban überrannten keines dieser Gebiete (TN 22.8.2019). Einem UN-Bericht zufolge, gibt es eine Gruppe von rund 50 Kämpfern in der Provinz Balkh, welche mit dem Islamischen Staat (IS) sympathisiert (UNSC 1.2.2019). Bei einer Militäroperation im Februar 2019 wurden unter anderem in Balkh IS-Kämpfer getötet (BAMF 11.2.2019).

Das Hauptquartier des 209. ANA Shaheen Corps befindet sich im Distrikt Dehdadi (TN 22.4.2018). Es ist für die Sicherheit in den Provinzen Balkh, Jawzjan, Faryab, Sar-e-Pul und Samangan zuständig und untersteht der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - North (TAAC-N), welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019). Deutsche Bundeswehrsoldaten sind in Camp Marmal in Mazar-e Sharif stationiert (TS 22.9.2018).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen. UNAMA verzeichnete für das Jahr 2018 insgesamt 99 zivile Opfer durch Bodenkämpfe in der Provinz (UNAMA 24.2.2019). Hinsichtlich der nördlichen Region, zu denen UNAMA auch die Provinz Balkh zählt, konnte in den ersten 6 Monaten ein allgemeiner Anstieg ziviler Opfer verzeichnet werden (UNAMA 30.7.2019).

Im Winter 2018/2019 (UNGASC 28.2.2019) und Frühjahr 2019 wurden ANDSF-Operationen in der Provinz Balkh durchgeführt (UNGASC 14.6.2019). Die ANDSF führen auch weiterhin regelmäig Operationen in der Provinz (RFERL 22.9.2019; vgl KP 29.8.2019, KP 31.8.2019, KP 9.9.2019) unter anderem mit Unterstützung der US-amerikanischen Luftwaffe durch (BAMF 14.1.2019; vgl. KP 9.9.2019). Taliban-Kämpfer griffen Einheiten der ALP, Mitglieder regierungsfreundlicher Milizen und Sicherheitsposten beispielsweise in den Distrikten Chahrbulak (TN 9.1.2019; vgl. TN 10.1.2019), Chemtal (TN 11.9.2018; vgl. TN 6.7.2018), Dawlatabad (PAJ 3.9.2018; vgl. RFE/RL 4.9.2018) und Nahri Shahi (ACCORD 30.4.2019) an.

Berichten zufolge, errichten die Taliban auf wichtigen Verbindungsstraßen, die unterschiedliche Provinzen miteinander verbinden, immer wieder Kontrollpunkte. Dadurch wird das Pendeln für Regierungsangestellte erschwert (TN 22.8.2019; vgl. 10.8.2019). Insbesondere der Abschnitt zwischen den Provinzen Balkh und Jawjzan ist von dieser Unsicherheit betroffen (TN 10.8.2019).

IDPs – Binnenvertriebene

UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 1.218 aus der Provinz Balkh vertriebene Personen, die hauptsächlich in der Provinz selbst in den Distrikten Nahri Shahi und Kishindeh Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 4.361 konfliktbedingt Vertriebene aus Balkh, die allesamt in der Provinz selbst verblieben (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 15.313 Vertriebene in die Provinz Balkh, darunter 1.218 aus der Provinz selbst, 10.749 aus Faryab und 1.610 aus Sar-e-Pul (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 14.301 Vertriebene nach Mazar-e-Sharif und Nahri Shahi, die aus der Provinz Faryab, sowie aus Balkh, Jawzjan, Samangan und Sar-e-Pul stammten (UNOCHA 18.8.2019).

Ad Mazar-e Sharif (in Balkh) aus Kapitel 22 „Grundversorgung“ aus dem Länderbericht idgF

Mazar-e Sharif ist ein regionales Handelszentrum für Nordafghanistan, wie auch ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten (GOIRA 2015).

Balkh
Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Usbekistan, im Nordosten an Tadschikistan, im Osten an Kunduz und Baghlan, im Südosten an Samangan, im Südwesten an Sar- e Pul, im Westen an Jawzjan und im Nordwesten an Turkmenistan (UNOCHA 13.4.2014; vgl. GADM 2018). Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Balkh, Char Bolak, Char Kent, Chimtal, Dawlat Abad, Dehdadi, Kaldar, Kishindeh, Khulm, Marmul, Mazar-e Sharif, Nahri Shahi, Sholgara, Shortepa und Zari (CSO 2019; vgl. IEC 2018).

Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistan (CSO) für den Zeitraum 2019-20 leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif (CSO 2019). Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.).

Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum (SH 16.1.2017). Die Autobahn, welche zum usbekischen Grenzübergang Hairatan-Termiz führt, zweigt ca. 40 km östlich von Mazar-e Sharif von der Ringstraße ab. (TD 5.12.2017). In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen (BFA Staatendokumentation 25.3.2019). Im Januar 2019 wurde ein Luftkorridor für Warentransporte eröffnet, der Mazar-e Sharif und Europa über die Türkei verbindet (PAJ 9.1.2019).

Laut dem Opium Survey von UNODC für das Jahr 2018 belegt Balkh den 7. Platz unter den zehn größten Schlafmohn produzierenden Provinzen Afghanistans. Aufgrund der Dürre sank der Mohnanbau in der Provinz 2018 um 30% gegenüber 2017 (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Balkh zählt zu den relativ stabilen (TN 1.9.2019) und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten (AN 6.5.2019). Die vergleichsweise ruhige Sicherheitslage war vor allem auf das Machtmonopol des ehemaligen Kriegsherrn und späteren Gouverneurs von Balkh, Atta Mohammed Noor, zurückzuführen (RFE/RL o.D.; RFE/RL 23.3.2018). In den letzten Monaten versuchen Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Taliban überrannten keines dieser Gebiete (TN 22.8.2019). Einem UN-Bericht zufolge, gibt es eine Gruppe von rund 50 Kämpfern in der Provinz Balkh, welche mit dem Islamischen Staat (IS) sympathisiert (UNSC 1.2.2019

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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